Und ich werde dich nie wieder Papa nennen - Caroline Darian - E-Book
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Und ich werde dich nie wieder Papa nennen E-Book

Caroline Darian

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Beschreibung

Die Scham muss die Seite wechseln Ein Prozess, der die Welt erschüttert. Eine Mutter, die als Ikone gefeiert wird. Ein Vater, den man als Monster bezeichnet. Eine Tochter, die ums Überleben kämpft. Weil sie Teil eines Verbrechens ist, in dem ihre Eltern Opfer und Täter sind. Das ist ihre Geschichte. Caroline Darian, Tochter von Gisèle und Dominique Pelicot, erhält am 2. November 2020 einen Anruf von ihrer Mutter. Ihr Vater wurde verhaftet. Fast zehn Jahre lang hat Pelicot seine Frau heimlich mit medikamentösen Substanzen betäubt, um sie im bewusstlosen Zustand zu vergewaltigen und knapp 70 fremden Männern zuzuführen. Auch von Caroline gibt es verhängnisvolle Fotos. Sie kann sich ebenso wenig erinnern wie ihre Mutter an die unzähligen Vergewaltigungen. Mit außergewöhnlichem Mut erzählt Caroline Darian von dem Sturz ins Bodenlose. Tagebuchartig beschreibt sie, wie das Ausmaß des Jahrhundertverbrechens ihre Familie zerstört. Wie sie ihre Mutter beschützen will und zugleich mit Angstzuständen kämpft. Wie aus dem geliebten Vater ein brutaler Vergewaltiger wurde. Wie sie ihrem Sohn erklärt, dass er keinen Großvater mehr hat. Caroline versucht zu begreifen, wie es zum Unvorstellbaren kommen konnte. Dieses Buch ist eine Liebeserklärung der Tochter an die Mutter, die es geschafft hat, ihren Stolz und ihre Lebenskraft in den widrigsten Momenten zu bewahren. Damit die Schande sich gegen die Täter richtet, damit die Gesetzeslage sich ändert. Mutter und Tochter haben das private Trauma in einen gemeinsamen Kampf verwandelt. Sie werden weltweit als Heldinnen gefeiert.

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Seitenzahl: 178

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Caroline Darian

Und ich werde dich nie wieder Papa nennen

Aus dem Französischen von Michaela Meßner und Grit Weirauch

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Über Caroline Darian

Über dieses Buch

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

zur Kurzübersicht

Über Caroline Darian

Caroline Darian ist leitende Angestellte in einem großen Unternehmen. Seit dem Erscheinen ihres Buches hat sie den Verein #MendorsPas: Stop à la soumission chimique gegründet, um sich für eine bessere Betreuung der Opfer von sexueller Gewalt durch medikamentöse Substanzen einzusetzen.

Die Übersetzerinnen

Michaela Meßner studierte Romanistik und Ethnologie in Mainz und München. Sie erhielt zahlreiche Stipendien und wurde mit dem Raymond-Aron-Preis ausgezeichnet.

Grit Weirauch studierte Romanistik und Komparatistik in Saarbrücken und Berlin. Seit 2008 ist Grit Weirauch als freie Übersetzerin aus dem Französischen und Spanischen tätig. 

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Über dieses Buch

Ein Prozess, der die Welt erschüttert. Eine Mutter, die als Ikone gefeiert wird. Ein Vater, den man als Monster bezeichnet. Eine Tochter, die ums Überleben kämpft. Weil sie Teil eines Verbrechens ist, in dem ihre Eltern Opfer und Täter sind. Das ist ihre Geschichte:

Caroline Darian, Tochter von Gisèle und Dominique Pelicot, erhält am 2. November 2020 einen Anruf von ihrer Mutter. Ihr Vater wurde verhaftet. Seit fast zehn Jahren hat Pelicot seine Frau heimlich mit chemischen Substanzen betäubt, um sie im bewusstlosen Zustand zu vergewaltigen und knapp 70 fremden Männern zuzuführen. Auch von Caroline gibt es verhängnisvolle Fotos. Sie kann sich ebenso wenig erinnern wie ihre Mutter an die unzähligen Vergewaltigungen. Mit außergewöhnlichem Mut erzählt Caroline Darian von dem Sturz ins Bodenlose. Tagebuchartig beschreibt sie, wie das Ausmaß des Jahrhundertverbrechens ihre Familie zerstört. Wie sie ihre Mutter beschützen will und zugleich mit Angstzuständen kämpft. Wie sie sich vom Vater verabschiedet und ihrem Sohn erklärt, warum sein Großvater im Gefängnis sitzt. Caroline versucht zu begreifen, wie es zum Unvorstellbaren kommen konnte. Dieses Buch ist auch eine Liebeserklärung der Tochter an die Mutter, die es geschafft hat, ihre Würde in den widrigsten Momenten zu bewahren. Damit die Schande sich gegen die Täter richtet, damit die Gesetzeslage sich ändert. Mutter und Tochter haben das private Trauma in einen gemeinsamen Kampf verwandelt. Dafür werden sie weltweit als Heldinnen gefeiert.

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Impressum

Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KGBahnhofsvorplatz 150667 Köln

Titel der Originalausgabe: Et j’ai cessé de t’appeler Papa

© 2022, éditions Jean-Claude Lattès.

Aus dem Französischen von Michaela Meßner und Grit Weirauch

© 2025, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln

Alle Rechte vorbehalten

Covergestaltung: Kosmos Design, Münster

Covermotiv: © Olivier Roller

 

ISBN978-3-462-31380-2

 

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Inhaltsverzeichnis

Motto

Die »chemische Unterwerfung«

Vorwort

Sonntag, 1. November 2020

Montag, 2. November 2020

Dienstag, 3. November 2020

Mittwoch, 4. November 2020

Donnerstag, 5. November 2020

Freitag, 6. November 2020

Samstag, 7. November 2020

Sonntag, 8. November 2020

Montag, 9. November 2020

Mittwoch, 11. November 2020

Mittwoch, 18. November 2020

Montag, 23. November 2020

Dienstag, 24. November 2020

Freitag, 27. November 2020

Donnerstag, 10. Dezember 2020

Samstag, 12. Dezember 2020

Montag, 14. Dezember 2020

Donnerstag, 17. Dezember 2020

Donnerstag, 24. Dezember 2020

Freitag, 1. Januar 2021

Samstag, 23. Januar 2021

Sonntag, 24. Januar 2021

Donnerstag, 28. Januar 2021

Dienstag, 2. Februar 2021

Sonntag, 7. Februar 2021

Dienstag, 2. März 2021

Mittwoch, 10. März 2021

Mittwoch, 31. März 2021

Sonntag, 5. April 2021

Freitag, 9. April 2021

Dienstag, 13. April 2021

Freitag, 16. April 2021

Montag, 26. April 2021

Sonntag, 23. Mai 2021

Montag, 31. Mai 2021

Montag, 23. August 2021

Samstag, 4. September 2021

Mittwoch, 29. September 2021

Montag, 4. Oktober 2021

Donnerstag, 14. Oktober 2021

Donnerstag, 21. Oktober 2021

Samstag, 23. Oktober 2021

Mittwoch, 17. November 2021

Montag, 22. November 2021

Sonntag, 28. November 2021

Danksagung

Sind die Dinge erst einmal geschrieben, gibt es kein Entrinnen mehr.

Lionel Duroy

Die »chemische Unterwerfung«

Wir werden in diesem Buch von einem Begriff Gebrauch machen, der in dieser Form im Deutschen bislang unüblich ist. In der Rechtsmedizin und Toxikologie sowie in Opferhilfeorganisationen hierzulande wird meist von der Verabreichung von »K.-o.-Tropfen« als Überbegriff gesprochen.

»Chemische Unterwerfung« beschreibt die vorsätzliche und meist heimliche Verabreichung von psychotropen Substanzen in Form von Tropfen, Pulver oder Tabletten. Sie erfolgt unter Drohung oder ohne Wissen des Opfers, um es wehrlos und handlungsunfähig zu machen und so Straftaten unterschiedlichster Art zu begehen (sexuelle Übergriffe, Entführung, Diebstahl etc.). Seit Langem ist dieses Phänomen bekannt, wird aber erst in jüngerer Zeit in Frankreich und in der Schweiz mit dem Begriff »chemische Unterwerfung« beschrieben.

Im vorliegenden Fall ist der Täter eine Vertrauensperson aus dem unmittelbaren persönlichen Umfeld. Da die verabreichten psychoaktiven Substanzen das Erinnerungsvermögen des Opfers beeinflussen, werden viele Straftaten nicht angezeigt und geahndet. Auch aus weiteren Gründen wird von einer sehr hohen Dunkelziffer ausgegangen.

 

Anmerkung der Übersetzerinnen

Vorwort

Während ich dieses Vorwort schreibe, wird im Justizpalast von Avignon ein historischer Prozess eröffnet. Eine Premiere in den Annalen der französischen Justiz.

 

Der Prozess wird sich über vier Monate hinziehen, angesetzt auf wöchentlich fünf Verhandlungstage ab dem 2. September 2024. 51 Angeklagte, darunter mein Vater, werden vor dem Strafgerichtshof des Departements Vaucluse erscheinen, Hauptanklagepunkt sind die schweren Vergewaltigungen, denen meine Mutter zum Opfer fiel. Sie wurde ohne ihr Wissen von ihrem Ehemann unter Drogen gesetzt, über einen Zeitraum von nahezu zehn Jahren.

Genauer gesagt wird meinem Erzeuger vorgeworfen, über eine Dating- und Chatplattform im Internet Kontakt zu Männern aufgenommen zu haben, denen er Sex mit seiner bewusstlosen Frau anbot, die er mit Tabletten betäubt hatte. Er verlangte keinerlei finanzielle Entschädigung. Allerdings stellte er die Bedingung, dass er filmen durfte.

18 Angeklagte befinden sich aktuell in Untersuchungshaft und 33 in Freiheit, sie stehen bis zur Urteilsverkündung am 20. Dezember 2024 unter gerichtlicher Aufsicht. Das bedeutet, dass sie sich während der vier Prozessmonate im Gerichtsgebäude frei bewegen und jeden Abend wie unbescholtene Bürger nach Hause gehen können. Es wird mit am schwersten zu verkraften sein, wochenlang, nur durch ein paar Stühle getrennt, in ihrer Nähe zu sitzen.

Den Angeklagten drohen bis zu 20 Jahre Haft. Sie werden von 49 Anwälten vertreten, die Anklage lautet Vergewaltigung (in mehreren Fällen), mit mehreren erschwerenden Umständen, gemeinschaftliche Vergewaltigung (in mehreren Fällen), versuchte Vergewaltigung (in mehreren Fällen), mit mehreren erschwerenden Umständen, sexuelle Übergriffe in der Gruppe, Verletzung der Intimsphäre durch Fixierung, Aufzeichnung oder Übertragung des pornografischen Bildes einer Person, und schließlich Besitz einer bildlichen pornografischen Darstellung einer minderjährigen Person.

Allein schon diese Liste der Hauptanklagepunkte ist unerträglich. Aber immerhin, dieser Prozess wird wirklich stattfinden, in Anwesenheit der fünf Nebenkläger, das heißt meiner Mutter, meiner beiden Brüder, meiner Schwägerin und mir.

Die Verabreichung von psychotropen Substanzen wie etwa K.-o.-Tropfen ohne Wissen des Opfers (bei Sexualstraftaten) wird in Frankreich in jüngster Zeit mit dem Begriff »chemische Unterwerfung« beschrieben. Um die »chemische Unterwerfung« nachzuweisen, der meine Mutter zum Opfer gefallen war, werden wir uns mit den 20.000 digitalen Dateien auseinandersetzen müssen, die mein Vater gespeichert hat. Fotos, Filme, eine Galerie des Schreckens. Denn es ist dutzendfach geschehen, über Jahre hinweg. Und es gibt auch Fotos von mir, an die ich mich nicht erinnern kann und von denen ich auch nicht weiß, in welchem Zusammenhang sie gemacht wurden.

Die Anhörung wird öffentlich stattfinden, nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Um die vielen betroffenen Parteien fassen zu können, wurden die Gerichtssäle aufgeteilt in einen Saal, der den Angeklagten, den Anwälten und den Nebenklägern vorbehalten ist, und einen Übertragungsraum, zu dem Publikum und Presse Zugang haben. Auf diese logistische Vorkehrung bereiten wir uns im Hintergrund schon seit Monaten vor – meine Mutter, meine Geschwister und ich.

Ab Anfang September 2024 werden wir also im Zeugenstand aussagen müssen und von einer Horde von Anwälten und einem Strafgericht, dem nicht wie üblicherweise auch Schöffen, sondern ausschließlich Berufsrichter angehören, befragt werden. Sie werden sich unser Leben genau anschauen, darin herumwühlen, es sezieren und komplett zerlegen, bis in den hintersten Winkel, dieses Leben, das wir vor wenigen Jahren noch »banal« genannt hätten.

Wir wissen sehr gut, was das heißt. Den Albtraum noch einmal zu durchleben, aber auch uns zu entblößen.

Eine kleine Verschnaufpause von wenigen Tagen ist uns gestattet, bevor Mitte September die Anhörung meines Vaters Dominique erfolgt. Anschließend werden in den Folgewochen die anderen vorgeladenen Personen befragt. Dem folgen die Plädoyers unserer Anwälte und der Verteidigung.

Die Zeit noch einmal zu durchleben, ist nicht nur schmerzhaft, es macht uns auch hilflos. Wir haben keinerlei einschlägige Erfahrung, kein bekanntes Beispiel, an dem wir uns orientieren könnten. Unsere Familiengeschichte ist eine wahre Katastrophe. Denn mein Vater hat es nicht nur geschafft, seine Frau fast zehn Jahre mit Medikamenten zu betäuben und zu vergewaltigen, er hat sie auch über 80 Unbekannten zum Missbrauch überlassen, meist über die Internet-Plattform Coco.gg, und zwar aus reinem Voyeurismus, ohne finanzielle Gegenleistung. Vor Kurzem ist diese Domain endlich per Gerichtsbeschluss beschlagnahmt worden. Da sie in mehreren Kriminalfällen auftaucht und über 23.000 Gerichtsverfahren damit in Verbindung gebracht werden, wurde sie offiziell am 25. Juni 2024 geschlossen.

*

Das Kind des Opfers und des Täters zu sein, ist eine schreckliche Last.

 

Seit vier Jahren versuche ich mir ein neues Leben aufzubauen, während mir alle Gewissheiten, auf denen meine Identität beruhte, auf einen Schlag genommen wurden. In einer Sekunde ist mein Leben auf schwindelerregende Weise ins Wanken geraten. Die Vergangenheit wurde ausradiert, aber welche Zukunft folgt darauf? Wie soll es weitergehen, wenn das Schicksal plötzlich den gesamten Alltag zerstört? Unser familiärer Schiffbruch ist vergleichbar mit einem Labyrinth, in dem fast zwei Jahre lang jeder Schritt vorwärts eine neue Tür zu anderen düsteren Enthüllungen öffnete, zu Bruchstücken von Fällen, die lange Zeit vor unserem stattgefunden hatten. Mit einem endlosen Strom an Fragen, auf die es keine Antworten gibt.

Ich habe vergeblich versucht, die wahre Identität des Mannes, der mich großgezogen hat, zu erkennen und zu verstehen. Heute frage ich mich immer noch, warum ich nichts gesehen, nichts geahnt habe. Ich werde ihm nie verzeihen, was er in all den Jahren getan hat. Und doch bleibt mir das Bild des Vaters, den ich zu kennen glaubte. Es ist trotz allem fest in mir verankert, mein Lebenshintergrund.

Seit dem 2. November 2020 habe ich keinen Kontakt mehr zu ihm. Doch das schicksalhafte Datum des Prozesses rückt immer näher, und sobald es mir gelingt, ein paar Stunden zu schlafen, träume ich von ihm. Er spricht mit mir, wir lachen, wir erleben gemeinsame Momente. Der Wecker holt mich in den Albtraum zurück – ins Jetzt. Und mein Vater fehlt mir. Nicht der, der bald vor den Richtern steht, sondern der Mann, der sich 42 Jahre lang um mich gekümmert hat. Ich habe ihn so sehr geliebt damals, bevor ich erfuhr, was für ungeheuerliche Dinge er getan hat.

Wie kann ich mich in aller Gelassenheit auf die Begegnung vorbereiten? Wie soll ich mit dieser Mischung aus Wut, Scham und Empathie umgehen, die ich für dieses Elternteil empfinde? Ich erfahre, dass er in den letzten vier Jahren drei Mal die Haftanstalt wechseln musste. Ich kenne seine Gefängniskarriere: Le Pontet (in Avignon), Beaumettes (in Marseille) und schließlich Draguignan (Vaucluse). Isolationshaft. Eine erste Stimme flüstert mir zu: Kommt er zurecht? Leidet er darunter, dass wir nicht mehr da sind, unter der Einsamkeit, unter der Gewalt in dieser geschlossenen Welt? Eine zweite Stimme meldet sich: Das ist nur gerecht, wenn man bedenkt, wie viel Leid er uns angetan hat. Mama, uns, unserer Familie. Da muss dieser Perverse jetzt durch, er erntet nur, was er gesät hat.

Mein Vater ist ein Verbrecher und mit dieser knallharten Realität muss ich wohl leben lernen. Muss lernen zu akzeptieren, dass ich zerrissen bin zwischen dem Bedürfnis nach Gerechtigkeit und Wahrheit, und dieser Liebe, die ich immer für ihn empfunden habe.

 

Manchmal überkommt mich ein Gefühl von Verlassenheit. Es nimmt mich gefangen, erdrückt mich. Papa, warum bist du so fern von uns? Ich dachte, ich hätte den Verlust meines Vaters verwunden. In Wahrheit aber weckt dieser Prozess das kleine Mädchen in mir. Dem es noch nicht gelungen ist, das Vaterbild auszumerzen. Und ich habe Angst, dass es mir nicht gelingt, ihn zu verabscheuen. Vielleicht wird mir dieser Prozess dabei helfen, die Trauerarbeit endgültig abzuschließen. Mein Vater ist ja am Leben, aber vielleicht werde ich ihm nie mehr direkt in die Augen schauen und ihm sagen können, dass er mir einmal wichtig war, dass er einen Teil meines Lebens zerstört hat, dass er den Funken von damals ausgelöscht, das Vertrauen, das ich Männern von Natur aus entgegengebracht habe, mit Füßen getreten hat.

*

Immerhin wird unsere Geschichte ein in Frankreich noch stark unterschätztes gesellschaftliches Phänomen aufdecken. Die »chemische Unterwerfung« ist in Familie und Gesellschaft stärker verbreitet als angenommen. Diese Methode ist die bevorzugte Waffe der Sexualverbrecher. Gegenwärtig haben wir immer noch keine verlässlichen statistischen Daten, um das zu belegen. Es versteht sich von selbst, dass 2020, als mein Vater verhaftet wurde, noch niemand darüber sprach.

Die »chemische Unterwerfung« ist schwer zu fassen, noch nicht ausreichend erkannt, unzureichend quantifiziert, schlecht diagnostiziert und damit auch schlecht begleitet, dabei betrifft sie die verschiedensten Personengruppen: Frauen, hin und wieder Männer, aber auch Kinder und sogar Säuglinge und ältere Menschen, und zwar in allen Schichten der Gesellschaft. GHB kannte man, K.-o.-Tropfen, die sogenannte »Vergewaltigungsdroge«, aber wer kommt schon auf die Idee, man könnte von einer nahestehenden Person betäubt und missbraucht werden, mit Medikamenten aus dem heimischen Medizinschrank.

Die Skandale der letzten Jahre, vom Frauenmord bis zum Inzest, zeigen auf, dass Fälle von sexueller Gewalt in der Regel auf Machtdynamiken beruhen, die vereinzelte Vorfälle zur systemischen Praktik werden lassen. Die »chemische Unterwerfung« bildet leider keine Ausnahme von der Regel: Die Opfer sind mehrheitlich Frauen, und bei fast 70 % der dokumentierten Fälle handelt es sich um sexuelle Übergriffe. Diese Art von Gewalt findet vorwiegend im privaten Umfeld statt.

Man muss sich nur etwas eingehender mit den Ergebnissen der Studie beschäftigen, die von der Nationalen Agentur der Sicherheit von Medikamenten und Gesundheitsprodukten (ANSM) durchgeführt wurde. Bei einer Stichprobe von 727 gemeldeten Fällen, die 2021 durch erstattete Anzeigen von Polizeidienststellen übermittelt wurden, finden sich 82 Fälle von »chemischer Unterwerfung«, woraus sich ein allgemeines Bild der Opfer ableiten lässt: vorwiegend Frauen (69,5 % der Fälle, aber alles weist darauf hin, dass der prozentuale Anteil noch viel höher ist) zwischen 20 und 30 Jahren. Die verwendete Substanz ist in der Regel ein Medikament: Antihistaminika, Anxiolytika, Schlafmittel, Opioide (56 % der Fälle) oder MDMA (also Ecstasy, 21,9%) und ganz selten GHB (4,8%). Und der Täter ist häufig ein naher Verwandter (41,5%), der in einem privaten Kontext agiert (42,6%).

Medikamente wie Schlafmittel, Antiallergika oder Hustenmittel, die eigentlich heilen sollen, werden also wegen ihrer sedierenden und muskelentspannenden Wirkung zweckentfremdet. Eine weitere wichtige Besonderheit ist, dass die Betroffenen oft gar nicht wissen, dass sie zum Opfer gemacht wurden, wie im Fall meiner Mutter. Sie haben keine Ahnung, was mit ihnen geschieht. Zu der ohnehin bestehenden Schwierigkeit im Bereich der häuslichen Gewalt, darüber zu sprechen oder darauf zu reagieren, kommt noch hinzu, dass das Opfer keine klare Erinnerung an die Gewalttat oder den Täter hat. Die »chemische Unterwerfung« ist heimtückisch, kaum nachweisbar. Sie vermittelt den Tätern ein Gefühl der Straffreiheit, sodass Monate und Jahre vergehen können, ehe irgendjemand etwas bemerkt.

In vielen Fällen besteht die Strategie des sexuell Gestörten darin, sein Opfer reaktionsunfähig zu machen, als würde man eine Lampe ausknipsen. Das Opfer wird zu einem leblosen Ding, einer Puppe, die dem Aggressor ausgeliefert ist. Im Übrigen werten einige Experten die zunehmende Verbreitung der »chemischen Unterwerfung« als Zeichen für die zur Schuldabwehr führende Illusion, das Opfer werde nichts spüren, werde ohne jede Erinnerung aufwachen.

Doch für das Opfer ist nicht alles vergessen. Der Körper und das Unterbewusste tragen Spuren der brutalen Behandlung. Außerdem haben die Medikamente, die heimlich verabreicht wurden, Nebenwirkungen. Es ist schon schwierig genug, nach einer erlittenen Vergewaltigung Anzeige zu erstatten. Wenn darüber hinaus die Erinnerungen verschwommen sind, wenn der Gewaltakt nicht bewusst erlebt wurde, bleiben nur Schweigen, Verwirrung und Schande.

Die Opfer verstummen, gerade weil sie sich nicht wirklich sicher sind, ob sie zum Opfer gemacht wurden. Ihre Gesundheit verschlechtert sich. Sie sind beunruhigt, ohne es recht zu verstehen, und dann kommt weiteres Leid hinzu: die Ärzte-Odyssee. Denn die Ärzte haben während der Ausbildung nicht gelernt, die Symptome »chemischer Unterwerfung« zu erkennen. Weshalb diese Möglichkeit auch nie ins Auge gefasst wird. Die außergewöhnliche Müdigkeit, die Erinnerungslücken, die Stürze, der Schwindel, diese Symptome werden nie mit übermäßigem Medikamentenkonsum in Verbindung gebracht (da die Patientin dem Arzt ja versichert, sie nehme gar keine ein!).

In den wenigen Fällen, in denen der Verdacht auf »chemische Unterwerfung« geäußert wird, führen die Angebote der Gesundheitsversorgung in eine echte diagnostische Sackgasse. Die toxikologischen Analysen, die unumgänglich sind, da nur mit ihrer Hilfe verdächtige Substanzen erkannt werden können, sind in der Behandlung de facto leider nicht vorgesehen. Und hier nimmt ein neuer Kreuzweg seinen Anfang: Die Beweissuche ist teuer und geht auf Kosten der Opfer. Die Isolationsfalle schnappt zu, und je stärker man sich auf der Jagd nach diesen Beweisen verausgabt, in desto größere Ferne rückt die Möglichkeit, Anzeige zu erstatten.

Der Kern des Problems ist folgender: Wie sollen die Opfer geschützt werden, wenn man den unmittelbar involvierten Fachleuten nicht die Mittel an die Hand gibt, diese Gewalttaten zu erkennen? Wie sollen diese Fälle der Justiz gemeldet werden, wenn die Zusammenarbeit zwischen Justiz und der medizinischen Grundversorgung nicht gestärkt wird? Es ist oberste Priorität, die Behandlung der Opfer »chemischer Unterwerfung« ins Zentrum zu rücken. Diese Art von Gewaltausübung ist kein Sonderfall aus der Rubrik Vermischtes, sondern stellt die öffentliche Gesundheit vor eine echte Herausforderung. Stürze, Koma, Gedächtnisstörungen, Schlafstörungen, Gewichtsverlust, Entzugserscheinungen, aber auch ungewollte Schwangerschaften, Verkehrsunfälle und posttraumatische Belastungsstörungen sind allesamt vermeidbare Risiken, wie die nationale Untersuchung zur »chemischen Unterwerfung« herausgefunden hat. Für Gesundheitsbehörden, Justizbehörden, Ordnungskräfte, Vereine und Verbände ist die Herausforderung vielgestaltig und die Verantwortung geteilt.

 

Im September 2022, wenige Monate nach Erscheinen dieses literarischen Berichts, beschließe ich, die besten treibenden Kräfte um mich zu versammeln. Weniger als ein Jahr später lancieren wir eine Sensibilisierungs- und Präventionskampagne mit dem Hashtag #MendorsPas (Betäubemichnicht): Stopp der chemischen Unterwerfung. Es ist die Gelegenheit, einen neuen Kampf zu eröffnen, für die unsichtbaren Opfer – und nicht nur für meine Mutter – das Wort zu ergreifen.

Ich habe bei der Gründung dieser Initiative sehr viel Glück gehabt. Ich konnte auf die außerordentliche Unterstützung und Mobilisierung mehrerer Menschen zählen, denen ich unendlich dankbar bin. Zu den entscheidenden Begegnungen der letzten beiden Jahre zählt zunächst die mit Dr. Leila Chaouachi – Apothekerin und Expertin für Pharmakovigilanz am Zentrum für Suchtüberwachung in Paris. Sie ist verantwortlich für die jährliche Untersuchung der ANSM und gilt im Bereich der medizinischen Betreuung von Opfern »chemischer Unterwerfung« in Frankreich als eine der besten Pädagoginnen. Nicht zuletzt dank ihr habe ich verstanden, dass meine Familiengeschichte alles andere als ein Einzelfall ist.

Und dann waren da noch die Verbündeten der ersten Stunde, ohne die ich nie gewagt hätte, an eine große Zahl von Medienpersönlichkeiten mit der Bitte heranzutreten, mich bei der Bekanntmachung dieser Social-Media-Kampagne zu unterstützen, mit der wir aufrütteln und informieren wollen. Ohne meine Freundin Arielle und ihr gesamtes Team wäre ich niemals in den Medien so aktiv geworden und wahrscheinlich auch nicht den Schritt gegangen, im September 2023 die Satzung des Vereins #MendorsPas: Stop à la soumission chimique ins Vereinsregister eintragen zu lassen. Diese einzigartige Sensibilisierungskampagne verfolgte das Ziel, über die Folgen der »chemischer Unterwerfung« im privaten Bereich aufzuklären. Wir haben zur Entwicklung eines breiten Angebots von Fortbildungsmaßnahmen für medizinische Fachkräfte aufgerufen sowie zur Bildung einer ministerienübergreifenden Arbeitsgruppe, in der die Mehrheit der Beteiligten gemeinsam daran arbeitet, den Kreislauf der Opferbetreuung, vor allem im Bereich der medizinischen Grundversorgung, zu verbessern.

 

Am 14. November 2023 hat der Fall Joël Guerriau für Schlagzeilen gesorgt. Der Senator soll versucht haben, Sandrine Josso, damals Abgeordnete im Departement Loire-Atlantique, zu betäuben. Unter dem Vorwand, die Wiederwahl in den Senat feiern zu wollen, hatte er sie zu sich nach Hause eingeladen. Sandrine erzählt, sie habe sich gewundert, dass keine weiteren Gäste gekommen waren, und Joël Guerriau habe Drogen in ihre Champagnerflöte getan, ohne dass sie es bemerkt habe. Als ihr plötzlich schwindlig und übel wird, denkt sie zunächst an einen Herzinfarkt. Es gelingt ihr zu fliehen …

Der Taxifahrer ist zwar über ihren Zustand besorgt, aber Sandrine ergreift eigenständig die Initiative und meldet sich in der Notaufnahme an. Sie erreicht das Krankenhaus mit den typischen Symptomen nach Verabreichung von Drogen: erweiterte Pupillen, trockener Mund, veränderter Allgemeinzustand. Die toxikologischen Untersuchungen erbringen den Nachweis von Ecstasy in ihrem Blut. Anschließend wurde gegen Joël Guerriau ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, wegen »Verabreichung einer Substanz an eine Person, ohne deren Wissen, die geeignet ist, das Urteilsvermögen oder die Handlungskontrolle zu beeinträchtigen, mit der Absicht einer Vergewaltigung oder eines sexuellen Übergriffs«. Ihm drohen bis zu fünf Jahre Haft.

Im Fall von Sandrine wurde noch kein Urteil gesprochen. Aber dieser Fall zeichnet jetzt schon ein erschreckendes Bild: Der Angriff kann von einem Bürokollegen kommen. Man kann von einem Freund unter