Unfaithful Music – Mein Leben - Elvis Costello - E-Book

Unfaithful Music – Mein Leben E-Book

Elvis Costello

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Beschreibung

»Mit guten Manieren und schlechtem Atem kommt man nirgendwo hin.« Getreu dieser Devise sang Elvis Costello in seinem Protestsong gegen Margaret Thatcher, er werde auf ihrem Grab stehen und darauf herumtrampeln. Bei seinem legendären Auftritt bei Saturday Night Live stellte er sich der Zensur von Bands wie den Sex Pistols im Radio entgegen. Bis heute nimmt Costello bei seiner Kritik an politischen Missständen und jeder Form von Nationalismus nie ein Blatt vor den Mund. In den dreißig Alben, mit denen der Brite seit 1977 Erfolge feiert, erfand sich der eigenwillige Künstler immer wieder neu. Seine rauen Anfänge lagen zwischen Rock, New Wave und Punk − und schon damals erreichte er ein Millionenpublikum. Mit »She«, aufgenommen für die romantische Komödie »Notting Hill«, rührte er die Herzen aller Liebenden. Über alle Hinwendungen zu so unterschiedlichen Stilrichtungen wie Country, Folk, Motown, Jazz, Ska und Klassik hinweg begeistert Costello seine Fans − und ist dabei in Deutschland gerade mit seinen jüngsten Alben besonders erfolgreich. Elvis Costellos Buch erklärt die Hintergründe seiner legendären Songtexte und berührt durch seine Poesie.

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www.berlinverlag.de

Aus dem Englischen von Henning Dedekind, Henriette Heise und Hubert Mania

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Berlin Verlag erschienenen Buchausgabe

1. Auflage 2015

ISBN 978-3-8270-7832-2

Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel Unfaithful Music and Disappearing Ink bei Blue Riders Press, New York

© Declan MacManus 2015

Diese Ausgabe erscheint in Übereinkunft mit Blue Rider Press,

einem Imprint der Penguin Group (USA) LLC,

einem Unternehmen von Penguin Random House.

Für die deutsche Ausgabe © Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, München / Berlin 2015

Für die, die vor uns kamen,

und für die, die noch kommen werden

Alone with your tweezers and your handkerchief

You murder time and truth, love, laughter and belief

So don’t try to touch my heart

It’s darker than you think

And don’t try to read my mind

Because it’s full of disappearing ink

»All the Rage«

Alleingelassen mit Pinzette und Halstuch

Verdirbst du Zeit und Wahrheit, Liebe, Gelächter und Vertrauen

Versuch also nicht, mein Herz zu rühren

Es ist dunkler, als du denkst

Und versuch nicht, meine Gedanken zu lesen

Denn sie sind unsichtbar wie Geheimtinte

»All the Rage«

1

A WHITE BOY IN THE HAMMERSMITH PALAIS

EIN WEISSER JUNGE IM HAMMERSMITH PALAIS

Abb.1

Ich glaube, ich habe den ersten Besuch eines Tanzlokals meiner Leidenschaft fürs Catchen zu verdanken.

In meiner Kindheit verging kaum eine Woche ohne folgendes Gespräch mit einem Fremden:

»Bist du mit dem verwandt?«

»Wie bitte?«

Im Nachhinein betrachtet, hätte ich lieber überhaupt nie etwas sagen sollen.

»Na, du weißt schon, bist du mit dem Catcher verwandt?«

Meine Mutter brachte vielleicht gerade noch ein müdes Lachen zustande, als wollte sie sagen: »Ähm, das habe ich in meinem ganzen Leben noch nie gehört.«

Ich kam mir einfach nur bescheuert vor.

Obwohl ich tatsächlich den Verdacht hatte, ich könnte ein entfernter Verwandter von Mick McManus sein, einem Proficatcher, dessen Kämpfe jeden Samstagnachmittag im Fernsehen übertragen wurden. In den frühen 1960er-Jahren gab es bei den Wettkämpfen noch nicht die Pyroeffekte der heutigen Spektakel, nur gut eingeölte Entertainer wie Jackie Pallo oder Johnny Kwango, die sich in einem engen Boxring Raufereien mit schweißüberströmten Muskelpaketen lieferten, sie durch die Luft schleuderten und manchmal auch aus dem Ring herauskatapultierten.

Mick McManus schrieb sich wie der Name meines Daddys, bevor der ein »a« hinzufügte, weil »MacManus« in Druckbuchstaben irgendwie schicker und besser aussah.

Ich kam dahinter, dass wir beide obendrein dieselbe untersetzte Figur wie der Typ in dem Film The Man You Love to Hate von Erich von Stroheim hatten. Auch mein schwarzes Haar war vergleichbar mit Pomade festgeklebt.

Später stellte sich heraus, dass man Mick, genau wie mich, nur durch Kitzeln zum Aufgeben zwingen konnte. Spät in seiner Laufbahn kassierte er eine beispiellose Niederlage, weil sein Gegner diese hinterhältige Taktik anwandte, worauf der Meister dem Ring empört den Rücken kehrte.

Um 1961 übte ich meine Spezialtechnik »Fliegende Schere« vor dem Fernseher und sackte dann immer so zusammen, als sei ich von einem Vorderarmschlag niedergestreckt worden. Schließlich wurde es den Nachbarn unter uns zu bunt, dass ich ständig von den Möbeln heruntersprang; und außerdem wollte meine Mutter die Wohnung aufräumen. Deshalb überredete sie meinen Dad, mich samstagnachmittags mit zur Arbeit ins Hammersmith Palais zu nehmen.

Das war der Arbeitsplatz meines Vaters. Sein Büro. Seine Fabrik.

Es war ein altes Straßenbahndepot, das zu einem Tanzpalast umgebaut worden war, eingeklemmt zwischen der Kneipe The Laurie Arms und einer Ladenzeile ganz in der Nähe vom Hammersmith Broadway.

Während andere Väter abends um halb sechs nach Hause kamen, machte sich mein Vater erst abends um sechs zur Arbeit fertig, oder, wie in diesem Fall, samstagnachmittags. Mein Dad war Sänger im Joe Loss Orchestra.

Die Wände des Palais sahen aus, als seien sie mit dunklem Samtstoff überzogen, doch wenn man mit der Hand darüberfuhr, rieselte es wie Staub herab. Es roch ziemlich merkwürdig und fühlte sich komisch an. Nicht gerade ein Ort für Kinder.

Abb.2

Heute kann man sich kaum noch vorstellen, dass ein Etablissement wie dieses für so wenige Gäste schon nachmittags öffnete, doch wenn das Joe Loss Orchestra auf der Drehbühne allmählich sichtbar wurde, konnte man schon vergessen, dass es draußen noch hell war.

Auf der Galerie war ich sicher und konnte auf die Tanzfläche schauen. Ich bekam eine Flasche Limonade und eine Packung Chips in die Hand gedrückt und die strikte Anweisung, mit niemandem zu reden.

Das Publikum war so seltsam wie spärlich. Als ich darauf hinwies, dass zwei ältere Damen miteinander tanzten, hieß es, das wären »alte Jungfern«.

Da war eine Mutter, die ihrer kleinen Tochter Tanzschritte beibrachte und sie dabei manchmal hochhob und auf ihre eigenen Füße stellte, um dem Mädchen das Gefühl für den richtigen Rhythmus zu vermitteln.

Abb.3

Das Kommando über die Tanzfläche hatten die Profitänzer, die die Nachmittagsvorstellungen am Samstag für Trainingseinheiten nutzten. Eifersüchtig hüteten sie ihr Territorium und waren unduldsam gegenüber unachtsamen Hindernissen wie Kindern. Aus meiner Perspektive wirkten ihre hochnäsigen Gesichter und ihre unvermittelt einfrierenden Posen ziemlich lächerlich, wenn sie den Kopf schief legten und ihren Hals wie pickende Hühner bewegten. Manchmal hatten sie auch etwas Bedrohliches an sich, vor allem wenn sie beim Quickstep in den Galopp schalteten. Aus demselben Grund fürchten Infanteristen die Angriffe der Kavallerie.

Sonst war niemand auf der Galerie, abgesehen von den Frauen, die für die Garderobe zuständig waren, und einem Kioskverkäufer, der Erfrischungen anbot. Ich glaube, mein Dad hatte eine von ihnen beauftragt, von Zeit zu Zeit nach mir zu sehen, um sicherzugehen, dass ich nicht umherirrte.

Sie hätte sich keine Sorgen machen müssen, denn ich starrte wie gebannt auf die Bühne.

Das Joe Loss Orchestra war damals eines der erfolgreichsten Tanzorchester im Land. Es bestand aus drei und manchmal auch vier Trompetern, vier Posaunisten, fünf Saxofonisten, einer Rhythmusgruppe und drei Sängern. Ihre Sets und Radiosendungen eröffneten und beendeten sie jeweils mit ihrer Erkennungsmelodie »In the Mood«, die sie sich vom Glenn Miller Orchestra geliehen hatten.

Eigentlich spielten sie eine ganze Menge Kompositionen von Miller aus den Kriegsjahren, wie zum Beispiel die wunderbar sentimentalen Stücke »Moonlight Serenade« und »Pennsylvania 6-5000«, bei dem die Bandmitglieder die Telefonnummer der Titelzeile laut ausrufen. Mein Lieblingsstück war »American Patrol«, wahrscheinlich weil es wie der Titelsong eines Räuber-und-Gendarm-Films klang.

Was die Gestaltung an musikalischer Abenteuerlust vermissen ließ, machte Joe Loss wett, indem er Arrangeure mit scharfem Gehör für kurzlebige Tanzmoden auftrieb. Sie hatten einen Hit mit »Must Be Madison« und nahmen Songs mit humoristischen Elementen auf. Die hießen etwa »March of the Mods« und »March of the Voomins«. Den Titel »Go Home, Bill Ludendorf« schrieb mein Dad gemeinsam mit dem Bandpianisten Syd Lucas.

Mein kindliches Gehör war noch unbefangen gegenüber dem schmalzigen Arpeggio, das die Bläser in »Wheels Cha Cha« spielten. Wegen der lustigen Tanzschritte wartete ich immer auf den Tango, auf die Paso-doble-Stücke oder auf den Samba, weil mein Vater dann die Rassel nahm oder auf der Conga spielte. Die professionellen Turniertänzer machten sich nicht viel aus Sängern, weil die beim Phrasieren den Takt herumreißen. Deshalb kam mein Dad auch nur ein oder zwei Mal am Nachmittag zum Einsatz.

Ich wartete ungeduldig auf diese Augenblicke, trat mit dem Fuß gegen die Wand der Galerie, stocherte träge in einem auf der Tischplatte befestigten Gehäuse mit Klappdeckel herum, bis ich meinen grauen, von Asche bestäubten Finger herauszog.

Schließlich wurde mein Vater ans Mikrofon gebeten, um ein spanisches Lied zu singen. Er konnte tatsächlich Spanisch. Einmal errötete die spanische Ehefrau eines Freundes von mir, als sie sich erkundigte, wo er Spanisch gelernt habe.

»Im Bett«, antwortete er.

Ich glaube, er sagte die Wahrheit.

Mit seinem Talent, sich die Songs nach ihrem Klang anzueignen, gelang es ihm, die meisten Leute zu blenden, wenn sie ihn baten, auf Italienisch, Französisch oder gar Jiddisch zu singen. Der internationale Hit aus Argentinien »Cuando Calienta el Sol« und Peppino di Capris schwermütiger italienischer Popsong »Roberta«, auf Spanisch gesungen, waren zwei Rumbas, die er an diesen Nachmittagen sang. Sie wurden schließlich für das Album mit dem wunderbaren Titel Go Latin with Loss aufgenommen, auf dem Ross auch »La Bamba« von Ritchie Valens sang.

Mein Vater sah nicht gerade so aus wie der typisch romantische Frontmann. Er war nur einsachtundsechzig groß und trug eine schwarze Hornbrille wie die, die ich selbst größtenteils im Laufe meiner Karriere zur Schau gestellt habe. Sein Haar war an den Seiten angeklatscht und zu einer dezenten pechschwarzen Schmalztolle gestylt, bis um 1965 auch ihn die Mode einholte, das Haar nach vorn zu kämmen, und er bei Topper in der Carnaby Street Chelsea-Stiefel mit hohen Absätzen kaufte.

Im Jahr 1961 war mein Vater dreiunddreißig und »die Jungs in der Band«, wie er sie immer nannte, wirkten auf mich wie alte Männer, waren aber wahrscheinlich auch nur Ende dreißig, Anfang vierzig. Sie trugen zusammenpassende Bandgarderobe mit Schalkragen, Jacken in Weinrot und Babyblau sowie Anzughosen mit einem Seitenstreifen aus glänzendem Satin. Bei den Nachmittagsvorstellungen trug mein Vater einen dunklen Straßenanzug und Abendgarderobe, wenn die Umstände es erforderten. Die Ansicht, einen Anzug zu tragen, wenn man zur Arbeit geht, verfestigte sich derart in mir, dass es bis auf den heutigen Tag schon gut achtunddreißig Grad Celsius werden muss, bevor ich mein Jackett ausziehe.

Ende 1980 hatte ich bereits meinen eigenen kurzen Karrieremoment als Blamage der Popmusik hinter mir, als mein Dad und ich uns mit Rose Brennan, der ehemaligen Starsängerin von Joe Loss, und dem Tänzer Lionel Blair in einem durch einen Vorhang abgetrennten Bereich im Ballsaal des Lancaster-Gate-Hotels unterhielten. Auf dem Fernsehschirm konnte ich sehen, wie Joe seine Band in dem Stil dirigierte, wie ich ihn aus meiner Kindheit kannte. Noch immer stieß er mit einer formvollendeten Handbewegung die Spitze seines Taktstocks zuerst Richtung Fußboden, danach zur Decke, wobei er seinen kleinen Finger anmutig abspreizte. Wie früher wippte er energisch von den Fußballen zu den Fersen und wieder zurück, sodass sich die eine oder andere Haarsträhne löste, wenngleich sein einstmals mit Pomade gestyltes schwarzes Haar inzwischen silbern geworden war.

Ein Produktionsassistent klopfte mir auf die Schulter und sagte: »Denk dran, wenn Eamonn dich vorstellt, sag einfach das, worauf wir uns geeinigt haben, alles andere bringt ihn nur aus der Fassung.«

»Eamonn« war der frühere irische Sportreporter Eamonn Andrews. Er hatte die eindrucksvolle Statur eines ehemaligen Boxers, der im irischen Radio Karriere gemacht hatte, bevor er seine ersten Auftritte mit dem Joe Loss Orchestra in England hatte und zum Moderator einiger über lange Zeit erfolgreicher Fernsehshows wurde. Am bekanntesten war er als Gastgeber von This Is Your Life, einer Show, die in den späten 1950er-Jahren gestartet war und inzwischen – nach einem Revival im Jahr 1969 – in ihr zweites Jahrzehnt trat.

Wer sich nicht mehr an die Sendung erinnert (oder sie nicht kennt), dem sei gesagt, dass Eamonn sich immer aus irgendeinem vorbereiteten Hinterhalt heranpirschte, ein großes rotes Buch mit dem Titel der Sendung umklammert hielt und seine Beute mit der dramatischen Ankündigung überraschte, sie müsste alle Pläne für den Abend sausen lassen, denn »heute Abend ist: This Is Your Life«.

Das Opfer wurde dann üblicherweise in einem schnellen Auto Hals über Kopf in ein Fernsehstudio gebracht, wo seine Familie und Freunde durch einen Torbogen eintraten. Eine Fanfare kündigte sie an, und die Vorstellungen waren ungefähr auf diesem Niveau:

»Er war der Chorknabe, der neben Ihnen in der Kapelle saß und lebende Frösche in Ihre Soutane steckte. Sie haben ihn seit 1932 nicht mehr gesehen, aber heute Abend ist er hier …«

Das war das Stichwort für Gelächter und Tränen, und es folgte eine freundliche, aber ziemlich knappe Lebensgeschichte.

Bei dieser Gelegenheit war die Falle bereits gestellt, da Joe Loss nämlich bei einer Abendgesellschaft mit Tanz zu Ehren seines fünfzigjährigen Jubiläums im Showgeschäft ein Konzert gab. Da betrat der Comedian Spike Milligan die Garderobe und hatte noch ein paar Minuten Zeit. Mir war nicht klar gewesen, dass er eine Beziehung zu Joe Loss hatte, da seine eigene Goon Show im Radio und seine Bücher wie Puckoon und Adolf Hitler – My Part in his Downfall aus einem anderen Universum zu stammen schienen. Doch seine allerersten Auftritte absolvierte er mit Joes Band bei Sommerveranstaltungen in kleinen Städten wie Bridlington.

Wir drängten uns vor dem Bildschirm zusammen, um den großen Augenblick der Überraschung zu erleben. Als der Applaus für das letzte Musikstück verklungen war, trat Eamonn Andrews aus dem Schatten. Das einsetzende Gekicher und Gegluckse gab fast schon alles preis.

Bei den Opfern von This Is Your Life fiel der Groschen normalerweise, wenn sie Eamonn auf sich zukommen sahen. Manche wichen mit vorgetäuschtem Schrecken zurück, andere lachten hysterisch oder vergossen ein paar Tränen, einige flohen sogar vom Tatort und verweigerten die Teilnahme ganz und gar. Wahrscheinlich wurde deshalb die Sendung nicht mehr live übertragen.

In dem Bruchteil der Sekunde, bevor Eamonn Joe auf die Schulter klopfte, schrie eine aus der Goon Show vertraute schneidende Stimme:

»Tausend Pfund für denjenigen, der diesen Mann warnt!«

Falls die Konzertgäste jenseits des Vorhangs es hören konnten, wurde es jedenfalls schnell von Applaus und Jubel verschluckt.

Die an diesem Abend aufgedeckten Details der Lebensgeschichte von Joe Loss waren mir bis dahin nur lückenhaft bekannt gewesen. Eamonn erzählte, wie Joe Geige spielen gelernt und begonnen habe, in den frühen 1930er-Jahren im Kit-Kat-Club eine kleine Gruppe mit dem Namen The Harlem Band zu leiten – ein seltsamer Name für eine Band, dessen Frontmann Kind russischer Einwanderer aus Spitalfields war.

Im Jahr 1935 hatte er der späteren Kriegsheldin Vera Lynn zu ihrer ersten Radiosendung verholfen, hatte auf Prinzessin Margarets Hochzeit gespielt und für Generationen von Liebhabern und Tänzern in den Ballsälen im Hammersmith Palais, Lyceum und Empire sowie im Radio die passende Musik präsentiert.

Rose Brennan und mein Dad waren vermutlich seine bekanntesten Sänger gewesen, sodass es sinnvoll erschien, sie als Überraschungsgäste auf der Party zu präsentieren. Hinzu kam Larry Gretton, der immer noch zur Band gehörte. Er war ein bärenstarker Mann mit romantischem Charme, der ein wenig hölzern rüberkam. Sein schön gewelltes blondes Haar war womöglich nicht sein eigenes. Er und mein Dad waren tolle Gegenspieler in den lustigen Stücken gewesen, nicht zuletzt wegen ihres Größenunterschieds. Ich besitze ein Werbefoto von ihnen, auf dem sie gestreifte Varieté-Blazer tragen und Strohhüte mit zusammenpassenden Hutbändern mit den Händen umklammern. Sie starren mit ernster Miene ihren Boss an, der eine Pose eingenommen hat, als wollte er ihnen, mit dem Bleistift in der Hand, irgendein wichtiges Detail über die Aufführung eines längst vergessenen humoristischen Songs vermitteln.

Als Erster wurde mein Dad auf die Bühne gerufen. Er erzählte ein paar alberne Geschichten aus seiner Zeit mit dem Orchester.

Dann war ich an der Reihe.

Eamonn verfiel in seinen üblichen Plauderstil, den ich jetzt annähernd wiedergeben werde.

»Vielleicht erinnern Sie sich ja an den jungen Mann, der in der Galerie des Hammersmith Palais saß. Inzwischen ist er der Popstar, der den erfolgreichen Song ›Oliver’s Army‹ geschrieben hat.

Sie kennen ihn als ›Declan‹, den Sohn von Ross MacManus, aber heute Abend ist er hier als ›Elvis Costello‹. Kommen Sie rein, Elvis …«

Es war das skurrilste Entree, das ich je erlebt hatte. Selbst wenn ich eine dieser goldenen Showtreppen, die die Bühne des Hammersmith Palais umrahmten, hätte herunterlatschen müssen, wäre ich mir kaum lächerlicher vorgekommen.

Als mein Dad in der Band war, hatte mich Joe Loss nie wie ein Kind behandelt. Er sprach mich stets mit »junger Mann« an, er erschien mir freundlich und hörte aufmerksam zu, wenn ich seine Fragen beantwortete. Jetzt war er bei seiner ersten Begegnung mit mir als Erwachsenem genauso liebenswürdig und gelassen.

Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, was ich an dem Abend zum Besten gab, wahrscheinlich meine Erinnerungen an die Besuche der Nachmittagsvorstellungen im Hammersmith Palais, die Sie gerade gelesen haben. Offenbar war Joe stolz auf meinen Erfolg, als hätte er nichts anderes erwartet.

Blitzschnell war alles vorbei, genau wie im Leben selbst.

Es war mir unmöglich zu sagen, wie viel es mir bedeutete, da zu sein oder über all die Dinge zu sprechen, die ich wahrscheinlich an diesen wenigen Nachmittagen, lauernd im Dunkeln, gelernt habe.

Joe Loss leitete seine Band beinahe sechzig Jahre lang, und das ist – in guten wie in schlechten Zeiten und im Auf und Ab der Trends – wahrhaftig keine geringe Leistung. Noch heute gibt es eine Band unter seinem Namen.

Später weihte mein Dad mich in eines der Bandgeheimnisse ein. Bei seiner schwungvollen Bühnenperformance traf Joe Loss offenbar den Takt nicht immer so ganz genau. Wenn es jemals eine geringfügige Unstimmigkeit in den Reihen der Musiker gab, hielten sie sich genau an seinen Taktstock und steigerten oder drosselten mit Schadenfreude das Tempo. Dann klangen sie wie ein lädiertes Grammofon. Es war eine subtile, fast unmerkliche Form von Ungehorsam, aber sie funktionierte wahrscheinlich wie eine Art Sicherheitsventil für eine Gruppe von Männern, die sechs Tage in der Woche im selben Tanzlokal in unmittelbarer Nähe miteinander arbeiteten.

Die Bandmitglieder bekamen nur zwei Wochen Urlaub im Jahr, genau wie alle anderen Arbeiter im Land, doch gehörte es natürlich auch zu ihren Aufgaben, für Unterhaltung zu sorgen, wenn alle anderen Weihnachten und Silvester feierten. Sie arbeiteten hart. Wenn sie nicht im Palais oder in einem anderen Londoner Tanzlokal auftraten, arbeiteten sie fürs Radio oder gingen auf Tournee.

In einigen meiner frühesten Erinnerungen kommt mein Vater mit einem riesigen Plüschtier oder mit einem kleinen, bunt lackierten Esel aus Gips unter dem Arm nach Hause. Er hatte versprochen, ihn von einer Tournee durch Irland mitzubringen. Zwar habe ich Fotos, aber keine wirklichen Erinnerungen daran, dass meine Mutter mich als Kleinkind auf dem Arm zum Strand von Douglas trug. Das war während eines Engagements auf der Isle of Man Mitte der 1950er-Jahre. Auf diesem Bild trägt meine Ma eine Perlenkette und Make-up, das volle Programm. Aber es war kein wirklich glamouröses Leben, denn die Bandmitglieder mussten ihre klammen Klamotten entweder in eiskalten oder in überheizten Umkleideräumen wechseln, oder sie saßen zusammengequetscht in zugigen Tourneebussen während ihrer Nachtfahrten auf nebligen Fern- und Regionalstraßen.

Joe Loss war ein Pedant, wenn es um Aussehen, Pünktlichkeit und Disziplin ging. Offenbar betrachtete er meinen Vater fast wie einen Sohn, fragte ständig nach der Herkunft seiner Familie, als wollte er nicht akzeptieren, dass sie nicht jüdischen, sondern irischen Ursprungs war. Er verzieh ihm sogar ziemlich viele Fehltritte.

Ich erinnere mich an einen Abend, als meine Mutter mir erlaubte, länger aufzubleiben, um meinen Dad in der Sendung Come Dancing zu sehen. Damals war es noch eine Liveübertragung, die nichts mit Casting und Prominenten zu tun hatte. Es war einfach nur ein Wettbewerb zwischen Amateurteams von Turniertänzern, also war mir klar, dass die Chance, meinen Dad singen zu sehen, ziemlich gering war, aber es war natürlich ein unerhörtes Ereignis, ihn im Fernsehen zu sehen.

In dem Augenblick, als die Kamera zu ihm herüberschwenkte, glaubte ich, an der Reaktion meiner Mutter zu erkennen, dass irgendetwas nicht stimmte.

Die Show hatte mit den Lateinamerikanischen Tänzen begonnen, mein Vater stand hinter der Conga und spielte mit erheblich mehr Wucht und Leidenschaft, als das Stück eigentlich verlangte.

Meine Ma verließ das Zimmer und setzte den Teekessel auf, während ich insgeheim ihr Entsetzen über den offensichtlich berauschten Zustand meines Vaters registrierte.

Kurze Zeit später klingelte das Telefon im Flur, und ich konnte den gedämpften, aber besorgten Klang ihrer Stimme hören.

Meine Mutter schien mit der einen oder anderen Ehefrau der Orchestermusiker eine Menge Zeit am Telefon zu verbringen. Mal sympathisierten sie mit dem letzten Besäufnis ihrer Ehemänner, dann trösteten sie sich gegenseitig. Die Details blieben mir damals noch verborgen, aber von dem, was ich aufschnappte und kapierte, waren im Allgemeinen Alkohol und andere Frauen im Spiel.

Mein Vater blieb nach diesem Auftritt ungefähr drei Tage lang »gefeuert«, bevor Joe Loss einlenkte und ihn wieder einstellte.

Ich kann mich nicht genau erinnern, wann meine Eltern sich trennten, denn selbst als mein Dad anderswo lebte, kam er mich häufig besuchen. Es gab keine große, verhängnisvolle Ankündigung der Trennung, oder wenn es sie gab, dann habe ich sie verdrängt.

Noch immer kam er manchmal sonntagmorgens und ging mit mir um elf Uhr zum Gottesdienst in die St.-Elizabeth-Kirche auf dem Richmond Hill. Dort wurde die Liturgie noch lange in lateinischer Sprache zelebriert, nachdem Latein überall sonst per päpstlichem Erlass abgeschafft worden war. Danach aßen wir zusammen zu Mittag und lauschten der BBC-Musikwunschsendung Two-Way Family Favourites, die Kontakte zwischen Soldatenfamilien und ihren im Einsatz befindlichen Verwandten in Übersee herstellte. Während im Hintergrund der Wunschtitel für irgendeinen in Westdeutschland stationierten Obergefreiten der britischen Feldpost lief, erinnerte sich mein Dad zum Beispiel an einen Freund aus Birkenhead, der Schlagzeuger und Maler war, oder er erzählte Neues von der Arbeit.

Ross war eindeutig charmant, vielleicht eine Spur zu charmant. Junge Frauen riefen spätabends noch bei uns an und stifteten Unheil, bis wir gezwungen waren, unseren Eintrag aus dem Telefonbuch streichen zu lassen.

Obwohl es mir verboten war, nach Einbruch der Dunkelheit ins Palais zu gehen, wusste ich, dass die fast leere Tanzfläche der Nachmittagsvorstellungen abends brechend voll war, und darunter waren manchmal ausgesprochen halbseidene Typen.

Meine Mutter erinnert sich an einen ziemlich zweifelhaften Bekannten meines Dads, der ihr die Hand gab und sie mit dem Spruch begrüßte »Hi, ich bin Phil, der Dieb«, und das nur ein paar Schritte vom Polizeirevier von Hammersmith entfernt.

Viele Jahre nachdem mein Dad bei Joe Loss ausgestiegen war und durch die Clubs im Norden Englands tourte, während ich ein paar Hits unter meinem Namen gelandet hatte, fanden Londoner Taxifahrer Vergnügen daran, mir zu sagen: »Ich habe deinen Dad im Palais singen gesehen«, wobei sie es nie versäumten hinzuzufügen: »Er war als Sänger verdammt noch mal besser, als du es je sein wirst«, was ich nie ernsthaft bestritten habe.

Als die Attractions und ich zum ersten Mal im Januar 1979 im Palais auftraten, verglich uns ein Kritiker abfällig mit Freddie and the Dreamers.

Ich wusste, wir würden es schaffen. Die Tanzbands waren längst verdrängt worden, und das Palais war mittlerweile ein überfüllter und überheizter Schauplatz des Rock and Roll geworden, der ein wenig schäbig und heruntergekommen wirkte.

Ich trank keine Limonade mehr, aber ich ging hoch in die Galerie. Derselbe Geruch stand in der Luft, nur dass ich inzwischen die Bestandteile benennen konnte: verschüttetes, schales Bier, abgestandener Tabakrauch, Nikotinflecken und, natürlich, die unterdrückten Tränen von Mädchen, die sitzengelassen worden waren.

Vielleicht haben Sie von mir ein paar mehr Zeilen über den alten Ort erwartet, aber ich denke, Joe Strummer hat mit dem Clash-Song »(White Man) In Hammersmith Palais« einer brandneuen Musikrichtung seinen unauslöschlichen Stempel aufgedrückt.

Wir nahmen uns vor, alle paar Jahre dort zu spielen, aber es wurde erst 1984 etwas daraus. Dann absolvierten wir eine Tour durchs ganze Land, spielten auf Theaterbühnen und kehrten nach London zurück, wo wir fünf Wochen lang jeden Montagabend im Palais auftraten. Zum Schluss spielten wir fast vierzig Songs pro Konzert.

Ich suchte etwas und konnte es nicht finden.

Im Jahr 1981 hatten wir den verlassenen Tanzsaal sogar für einen Nachmittag gemietet, um ein Foto für die Rückseite des Albums Trust inszenieren zu können. Statt alle Beteiligten in der Danksagung des Albums aufzulisten, steckten wir sie in geliehene Smokings, setzten sie hinter Notenständer mit Monogramm, drückten ihnen gemietete Instrumente in die Hand und baten sie, so zu tun, als spielten sie.

Die Attractions beherrschten, wie üblich, ihr Metier, während Glenn Tilbrook, unser Gastsänger, und Cynthia, die Sekretärin meines Managers, auf den Stühlen der Sänger saßen und ihre Rolle überzeugend spielten. Nick Lowe tat so, als spielte er Saxofon, während Toningenieur Roger Bechirian die Streicher dirigierte. Unsere Roadies, die Angestellten von Demon Records und die Eigentümer der Eden Studios, wo wir Trust fertiggestellt hatten, mimten alle anderen Mitglieder des Ensembles.

Es war eine liebevoll inszenierte Klamotte, von Chalkie Davies in prächtigem Schwarz-Weiß fotografiert, aber die Aufnahme ist mehr als nur ein wenig melancholisch.

Als ich meinen Platz in der Mitte der Bühne einnahm, verbarg ich meine Augen hinter dunklen Gläsern und mein neuer seidener Savile-Row-Anzug war zugeknöpft.

Es gab keinen Weg zurück.

Die Zeit und die Abrissbirne haben den Rest vom Hammersmith Palais erledigt.

2

THEN THEY EXPECT YOU TO PICK A CAREER

DANN SOLLST DU EINEN BERUF ERGREIFEN

Abb.4

Es war ein blöder Unfall.

Kein Siebzehnjähriger sollte auf diese Weise sterben.

Ich hatte aufgehört, mich mit dem Lehrer anzulegen – eine Fähigkeit, die die anderen zu schätzen wussten, da sie uns ein weiteres halbstündiges Diktat über die philanthropische Arbeit von Jeremy Bentham ersparen konnte.

Der überkorrekte kleine Lehrer schlug die mit Eselsohren versehene Dissertation zu, aus der er eigentlich nur akribisch vorlas, statt etwas zu erklären, entließ uns mit geschürzten, Ungeduld signalisierenden Lippen und machte sich auf den Weg zum Mittagessen.

Wir eilten die abgewetzten georgianischen Stufen hinunter und atmeten auf dem Bürgersteig tief durch, dankbar für die nicht mehr ganz so stickige Luft. Mein Freund Tony Byrne beobachtete, wie der Lehrmeister bereits sein kleines, ramponiertes Auto aufschloss, und bat laut rufend um eine schnelle Mitfahrt zum Hauptgebäude der Schule, keine dreihundert Meter von den Stufen des Anbaus entfernt.

»Bitte, Sir, meine Beine sind müde.«

Der anfangs noch zögernde Mann ließ sich durch den urkomischen Appell umstimmen.

Abb.5

Der Junge sprang vom Bordstein und sprintete los. Wahrscheinlich sah er das andere Auto gar nicht. Keiner von uns sah den Aufprall. Wir hörten nur das dumpfe Geräusch, drehten uns um und sahen, wie der Junge durch die Luft gewirbelt wurde und anschließend – für uns alle unerträglich – auf den Pflastersteinen landete. Sein Kopf sprang hoch und knallte ein zweites Mal zu Boden. Dann lag er ganz still da.

Kein Blut war zu sehen. Niemand schrie. Nur die schnell sich entfernenden Schritte waren zu hören, die Hilfe holten.

Innerhalb weniger Minuten nahm seine Haut einen durchsichtigen Blauton an.

Ich erinnere mich nicht, ob jemand weinte.

Ich erinnere mich nicht, ob jemand sprach.

In der Ferne war eine Sirene zu hören.

In der elften Stunde jenes Tages ging ich über die Penny-Brücke, die über den westlichen Teil des Hafenbeckens von Birkenhead führte, zum Haus meiner Oma im North End. Das einzige Geräusch, was ich hörte, waren meine eigenen Schritte auf dem Metallgitter über dem schwarzen Wasser.

Ich hielt meinen Freitagabendtermin ein und spielte ein paar Lieder beim Lamplight, einem Folkabend, der im Remploy Social Club stattfand. Der gehörte zu einer Fabrik, die Behinderte beschäftigte.

Ich erinnere mich nicht mehr, was ich an diesem Abend gesungen habe. Wahrscheinlich stand ich noch unter Schock. In dieser Nacht fand ich keinen Schlaf. In den bangen, schlaflosen Stunden verfluchte ich Schwester Philomena und dachte daran, wie sie zu uns Acht- und Neunjährigen ins Klassenzimmer gekommen war und gesagt hatte: »Wenn ihr dreißig Jahre alt seid, werden manche von euch nicht mehr am Leben sein.«

Ich schätze mal, das war lediglich die melodramatische Methode, uns ein Gefühl für die Sterblichkeit zu vermitteln und die Verantwortung für unsere unsterblichen Seelen wachzurufen. Wenn ich heute daran denke, stelle ich mir vor, wie schrecklich jung und unerfahren sie gewesen sein musste. Vielleicht wollte sie uns ohne grausame Absicht die legendäre katholische Furcht einbläuen.

Am Sonntagabend hatte Schwester Philomena erwiesenermaßen recht behalten. Unser Freund wachte nicht mehr auf.

In seinem Elternhaus fand eine altmodische Totenfeier am offenen Sarg statt. Ich kam bis zur Wohnzimmertür und konnte nicht weitergehen, warf nur einen flüchtigen Blick auf seine wächserne Stirn, die geschlossenen Lider und die geschminkten Lippen. Den bitteren Tränen der Familienmitglieder konnte ich nichts entgegensetzen, seine verzweifelte Mutter nicht trösten, der es am Grab noch gelang, »Gute Nacht, Gott segne dich« zu sagen, als brächte sie ihr Kind zu Bett.

Der Arzt hatte mir ein paar blaue Tabletten gegeben. Ich weiß nicht mehr, ob wir alle von demselben chemischen Dunst umwölkt waren, aber sechs von uns trugen ihn auf unseren Schultern aus der Kirche hinaus, ohne dass einer zusammenbrach.

Eine Woche nach der Beerdigung fand ich, verstaut in einem kleinen Notizheft in meiner Blazertasche, ein zerfleddertes und gefaltetes Blatt Papier. Es war der Text von John Lennons »Working Class Hero«, den Tony mit unsteter Handschrift und mit einem undichten Kugelschreiber sorgfältig für mich abgeschrieben hatte. Er hatte mich überreden wollen, das Lied zu singen.

Ich sagte, ich sei kaum für diesen Titel qualifiziert, und John Lennon übrigens genauso wenig.

Tony fuhr voll auf die Zeile mit den »fucking peasants« (bekloppten Proleten) ab, vermutlich weil niemand zuvor jemals »fucking« auf einer Platte gesungen hatte, während die Leute in Liverpool problemlos fünf »Fucks« in ein dreisilbiges Wort quetschen konnten, wenn sie ihrer Meinung Nachdruck verleihen wollten.

Nicht ganz zwei Monate später, genauer gesagt am 28.April 1972, traten mein Gesangspartner Allan Mayes und ich als Vorgruppe für ein psychedelisches Folktrio auf, das sich Natural Acoustic Band nannte. Das Konzert fand in der Quarry Bank High School statt, wo John Lennon zur Schule gegangen war.

Ich dachte an Tony und an unsere eher neckischen Diskussionen, ob Lennons kurz zuvor veröffentlichtes »Imagine« totaler Mist oder ein Geniestreich war, und an unsere Argumente für die Verdienste und die Glaubwürdigkeit von »Working Class Hero«. Umso überraschter war ich, als ich sah, dass Quarry Bank ein schnuckeliges, gutbürgerliches Gymnasium inmitten ansehnlicher Grünflächen war. Jedenfalls zweifellos nicht vergleichbar mit unserer düsteren viktorianischen Monstrosität aus rotem Backstein, die aus Islington im Zentrum Liverpools herausragte.

Ich nehme mal an, die Lehrer gaben ihr Bestes. Aber was nutzte es schon, uns Widerstrebenden die Wertschätzung der Poesie von Gerard Manley Hopkins einzupauken? Sie brachten uns den »Sprungrhythmus« bei und ließen uns zitieren:

Glory be to God for dappled things –

For skies of couple-colour as a brinded cow

Die einzige »heilige Kuh«, von der ich hören wollte, war die auf dieser Platte von Lee Dorsey.

Man gab uns Dickens’ Harte Zeiten zu lesen mit dem Hinweis, diese stünden uns unmittelbar bevor.

Bis zu meinem sechzehnten Lebensjahr ging ich auf eine Realschule in Hounslow an der Straße, die zum Londoner Flughafen Heathrow führte. Ich glaube, wir nahmen dort an einem verrückten Erziehungsexperiment teil, bei dem klassische Literatur auf genau ein Schauspiel von Shakespeare beschränkt war. Die restlichen Bücher auf der Leseliste gehörten mehr oder weniger zur zeitgenössischen Literatur der 1950er- und frühen 1960er-Jahre. Arnold Weskers Theaterstück über die Vertreibung der Faschisten aus dem Londoner East End und John Osbornes Drama über einen »zornigen jungen Mann« sowie Romane aus dem Norden über zerplatzte Begierden und Sehnsüchte von John Braine, Keith Waterhouse und Alan Sillitoe: bevölkert von Tagträumern und andeutungsweise habgierigen Frauen.

Die meisten dieser Bücher hatten den Vorteil, bereits verfilmt und von der britischen Behörde für Altersfreigaben mit dem Prädikat »A« versehen worden zu sein. Das bedeutete zwar, »nur für Erwachsene«, allerdings nicht unter den Bedingungen von heute. Man musste über sechzehn oder in Begleitung eines Erwachsenen sein, wenn man so einen Film sehen wollte, aber wenn es einem gelang, sich ins Kino zu schleichen, konnte man einen Aufsatz auf der Grundlage des Films schreiben und sich die Lektüre des Buches komplett sparen. Ganz ordentlich funktionierte das mit einem Aufsatz über Eine Geschichte aus zwei Städten, für den ich mich sogar nur auf eine Comicversion des Buches von Dickens bezogen habe.

Trotzdem arbeiteten wir uns gewissenhaft durch die Werke von George Orwell, William Golding und Nevil Shute, die alle die Tyrannei, den Zusammenbruch der Zivilisation und die künftige Massenvernichtung vorhersagten.

Ich ging sogar so weit, sämtliche Theaterstücke von George Bernard Shaw zu meinem eigenen Vergnügen zu lesen, nur weil ich seine Barttracht so toll fand. Tatsächlich las ich die ganze irische Literatur, die im Familienbücherschrank stand: die Dichtung von W. B. Yeats, die Komödien von Oscar Wilde sowie die Stücke über die irische Unabhängigkeitsbewegung von O’Casey bis Behan, obwohl keines dieser Bücher auf dem Lehrplan stand.

Inzwischen war ich also in Liverpool, wo man erwartete, dass ich Wohlgefallen an den Sonetten des kleinen Gerard Manley Hopkins fand, nur weil der für kurze Zeit an unserer Schule unterrichtet hatte, als sie noch ein renommiertes Jesuitenkolleg war, das seinerseits mittlerweile einem begrünten Vorort gewichen war.

In den zwei Jahren, nachdem meine Mutter und ich nach Liverpool umgezogen waren, behielt meine Schule den vornehmen Namen St.Francis Xavier bei, was meinen früheren Direktor in Hounslow zutiefst beeindruckte, als ich mich von ihm verabschiedete. Ich wies ihn allerdings nicht darauf hin, dass die Institution kaum größere akademische Ambitionen hatte als seine hübsche kleine Realschule, die nur eine Minute von den Landebahnen von Heathrow entfernt lag.

Ich würde den Hauptunterschied zwischen den beiden Schulen folgendermaßen definieren: Wenn wir im Sommer in Hounslow die Fenster aufrissen, ging die Hälfte des Unterrichts unter im Lärm einer landenden VC-10, und wenn gar eine riesige Tupolew Tu-114 aus Moskau einschwebte, wackelte das ganze Gebäude vom vorbeirauschenden Lärm der vier Doppelpropellerantriebe.

Nachts lag ich häufig wach und lauschte den brummenden Flugzeugen am Himmel. Manchmal schienen sie mir so nahe zu sein, dass ich das Gefühl hatte, sie landeten auf unserem Dach. Eine Zeit lang war es meine Wunschvorstellung, die Freiheit und die Mittel zu haben, jederzeit auf dem Londoner Flughafen aufzukreuzen und jedes beliebige Flugziel auszuwählen.

Wenn du obendrein ein Einzelkind bist und keine älteren Geschwister hast, die dich mit einem Kissen zu ersticken versuchen oder dich mit endlosen Spekulationen über Liebesdinge am Einschlafen hindern, bleibt dir eine Menge Zeit für deine eigenen Vorstellungen. Und es gibt immer irgendjemanden oder irgendetwas, wovon du träumen kannst.

Das Mädchen, das ich heiraten wollte, hatte ich mit vierzehn entdeckt. Mary war nur ein Jahr jünger als ich. Die Familie Burgoyne war erst kürzlich aus ihrer Heimatstadt Galway im Westen Irlands hierhergezogen. Eines Nachmittags sah ich, wie sie nach einem sommerlichen Regenschauer aus einem Doppeldeckerbus stieg. Ein paar Tropfen Öl oder Benzin in einer Regenpfütze zauberten einen Regenbogen, der über ihren braunen Schuh spritzte, als sie ausstieg. Ich brauchte vier Jahre, bis ich den Mut fand, mich vor ihr zu bekennen und sie um eine Verabredung zu bitten.

Ein paar Jahre lang lebte ich in mehr als dreihundert Kilometern Entfernung. Auf meiner Schule in Liverpool gab es nicht einmal Mädchen, die einen ablenken konnten.

Als ich siebzehn wurde und in die 13. Klasse kam, war ich verpflichtet, den albernen Talar eines Aufsichtsschülers anzulegen und die kleineren Jungs zu kontrollieren, die unbekümmert die Treppen hochrannten. Einige von denen waren üble kleine Wadenbeißer aus Everton.

Während ich im Süden manchmal als »der Mac« galt, trug in meinem Liverpooler Klassenzimmer offenbar jeder zweite Typ einen »Mac« in seinem Namen. Wer keinen irischen Familiennamen hatte wie McEvitt, McVeigh, Kearns, Byrne oder Devine, hörte auf griechische oder italienische Namen. Es sah so aus, als gäbe es in der ganzen Stadt überhaupt keine englischen Katholiken.

Wir verbrachten so viel Zeit, wie wir konnten, in einem Gemeinschaftsraum, wo uns für kurze Zeit das Privileg zustand, einen Plattenspieler zu benutzen. Die Klasse teilte sich auf in die, die sich den Kopf über die Alben von Pink Floyd zerbrachen, und in ein paar skeptischere Typen, die auf Soulmusik standen.

Sobald sie entdeckt hatten, dass ich ein wenig spielen konnte, überredeten sie mich, meine Gitarre in die Schule mitzubringen. Tony Byrne interessierte sich fürs Fotografieren, aber ich wusste nicht, dass er an diesem Tag Fotos gemacht hatte, bis mir seine Schwester Veronica kürzlich ein paar seiner Bilder schickte. Eins zeigt mich als einen forsch dreinschauenden Gitarristen, der für eine Gruppe Jungs spielt, die Schulblazer tragen und mit ausdruckslosen Gesichtern zusammengesackt an abgewetzten Schreibtischen sitzen. Ich würde mir gern vorstellen, dass sie konzentriert und nicht gelangweilt waren.

Seltsamerweise erinnere ich mich noch genau, was ich gesungen hatte. Es war ein Song von Tony Joe White mit dem Titel »Groupie Girl«, den wir alle für ziemlich frivol hielten, obwohl mir nicht ganz klar war, was das bedeutete.

Noch nicht.

Ich stammte vom Stadtrand im Westen Londons, wo du für eine Teenagerparty nichts weiter brauchtest als ein Exemplar von Motown Chartbusters Vol. 3 oder die Rocksteady-Sammlung Tighten Up Vol. 2. Für die volle Dröhnung empfahl sich »Watneys Party Seven« – eine Vier-Liter-Dose Bier – sowie eine Flasche Eierlikör, um mit Limonade »Snowballs« für die Mädchen, die im Allgemeinen anspruchsvoller waren, mixen zu können. Als ich versuchte, in einer Jungenschule in der Grafschaft Merseyside Fuß zu fassen, ergab sich anscheinend nie die Gelegenheit zu erwähnen, dass ich den Song »Working in the Coal Mine« mochte.

Zum Glück hatten wir die abwegigen Bewährungs- und Mutproben, die bei der Ankunft eines neuen Schülers in einer Schule fällig waren, bereits hinter uns gelassen. Das Schlimmste daran war, dass ich endlos wegen meines angeblichen »Cockney«-Akzents gehänselt wurde. Was mich betraf, hatte ich das nordenglische »a« von meinen Eltern geerbt. Ich sagte »glas« und »grass«, während die Südengländer es »glarse« und »grarse« aussprachen. Wenn ich sagte, ich lese ein Buch in meinem Zimmer, hörten meine Mitschüler von mir »buck« (für »book«) und »rum« (für »room«), weil ich nicht »bewk« oder »rrroo-m« mit einem rollenden »r« sprach. Seit dieser Zeit habe ich gelernt, meine Sprechstimme den Umständen anzupassen.

Aber das war eigentlich alles recht harmlos, und ein paar von uns stellten bald fest, dass wir bei den Heimspielen des FC Liverpool gemeinsam auf dem heiligen Boden der »Kop« standen, der Stehtribüne hinter dem Tor im Anfield-Stadion.

Den Rest der Zeit hockten wir zusammen und lauschten der neuen akustischen Musik, die vom Laurel Canyon in Los Angeles kam. Es gelang mir, einigen meiner neuen Kumpels deren ungesunde Faszination für die Musik von Emerson, Lake and Palmer auszureden.

Viele der besten Musiktourneen kamen nur bis Manchester, das fünfundsechzig Kilometer entfernt ist. Wenn man gute Tickets haben wollte, musste man im Morgengrauen aufstehen, die Schule schwänzen und einen Frühzug erwischen, um ganz vorn in der Schlange am Kartenschalter stehen zu können. Bei einem solchen Ausflug sahen wir James Taylor mit Carole King im Vorprogramm, mussten uns aber entscheiden, entweder den Schluss des Konzerts oder unseren letzten Zug nach Hause zu verpassen.

Gelegentlich machte eine Tour auch im Liverpool Stadium Halt, eine dumpfe Halle für Boxveranstaltungen, auf deren Sitzen manchmal noch das Blut klebte. Einmal sah ich dort Loudon Wainwright III., der die Leute nur mit einer akustischen Gitarre und mit einem Song über ein dahingeschiedenes Stinktier in Atem hielt, aber in diesem Fall stimmte die Atmosphäre.

Im Frühjahr 1971 machte die Nachricht die Runde, die Rolling Stones kämen nach Liverpool. Sie sollten an einem Abend zwei Konzerte geben. Das war ein Monat vor der Veröffentlichung von Sticky Fingers und unmittelbar bevor sie ins französische Steuerexil gingen, wo Exile on Main Street entstand.

An dem Tag, als der Verkauf der Eintrittskarten begann, verschlief ich, und als ich zum Empire Theatre kam, schlängelten sich die meisten meiner Mitschüler und viele andere in der Innenstadt in Zweier- und Dreierreihen wegen der Tickets um den Häuserblock.

Ich heuchelte mir jugendliche Gleichgültigkeit vor und unterhielt mich mit mir selbst:

»Die Rolling Stones?«

»Ja und? Haben den Zenit wahrscheinlich längst überschritten.«

Also beschloss ich, das gesparte Geld in eine Schallplatte zu investieren.

Das wäre eine prima Geschichte gewesen, wenn die Platte, die ich dann kaufte, etwas Inspirierenderes und Dauerhafteres gewesen wäre als ausgerechnet Volunteers von Jefferson Airplane.

In den Tagen nach dem Tod meines Freundes Tony fiel es uns schwer, in die Schule zu gehen und so weiterzumachen wie bisher. Oft musste ich daran denken, dass wir wohl so manche Mittagspause genutzt hätten, um nach Whitechapel zu gehen, wo wir in den Schallplattenabteilungen von Rushworth’s, NEMS oder Beaver Radio vorgaben, Alben zu kaufen.

Tony wollte nicht die direkte Route durchs Stadtzentrum nehmen, weil wir womöglich seinem Vater über den Weg laufen könnten, der an einem Zeitungsstand arbeitete und das Liverpool Echo verkaufte. Ich wusste, dass sein Vater sich mit der Familie zerstritten hatte, während Tony seinerseits darüber informiert war, dass meine Eltern getrennt lebten, aber das war dann auch schon das Ende der Fahnenstange. Über unsere Gefühle oder ähnliche Anliegen sprachen wir nicht.

Wir baten die Angestellten, uns ein paar Stücke von einer neuen LP vorzuspielen, damit wir sie unter einem Kopfhörer probehören konnten, auch wenn sie wahrscheinlich wussten, dass wir kein Geld hatten. Aber sie waren entgegenkommend, und so kaufte ich dann auch gelegentlich vom Ladentisch ein paar heruntergesetzte Singles und manchmal sogar ein paar Notenblätter.

Das meiste dieser aussortierten Scheiben war Bubblegumzeug, das länger liegen blieb, als es in den Charts willkommen gewesen war, aber manchmal stolperte man durchaus über ein Juwel.

Eines Tages wühlte ich mich durch die Scheiben und fand eine Elektra-Single, von der ich in Zigzag gelesen hatte. In dieser Musikzeitschrift standen Artikel über Captain Beefheart, Love und Formationen, über die man anderswo gar nichts erfuhr. Zigzag hatte auch Pete Frames akribische, handgezeichnete »Stammbäume des Rock« abgedruckt, in denen er erklärte, wie Mitglieder von Zoot Money’s Big Roll Band zu Dantalian’s Chariot mutiert waren – und andere, absolut unentbehrliche Informationen.

Genau aufgrund eines solchen Frame-Diagramms wusste ich, dass »Please Let Me Love You« von den Beefeaters eigentlich eine frühe Aufnahme einer Gruppe war, die 1964 ihren Namen verändert hatte und sich von da an The Byrds nannte.

Im Jahr 1971 sollte ich die Byrds gleich zweimal live erleben. Das erste Mal gaben sie ein hitziges Konzert in der Universität von Liverpool, bei dem Clarence White während »Eight Miles High« ein zwanzigminütiges Solo auf seiner Telecaster spielte, das den Schmerz über die am Nachmittag miterlebte Niederlage von Liverpool gegen Arsenal im FA-Pokalfinale einigermaßen linderte. Beim zweiten Anlass war eine Überlandfahrt in die Kathedralenstadt Lincoln unumgänglich.

Ich war ein ziemlich naiver Sechzehnjähriger, der noch nie auf einem Acker geschlafen hatte, aber mein Freund John war ein paar Jahre älter als ich und fühlte sich verantwortungsbewusst genug, uns dort hin- und wieder zurückzubringen, ohne dass wir in Schwierigkeiten gerieten. Johns Eltern ermahnten uns ernsthaft, nichts zu schlucken, was wir nicht kannten, und meine Oma packte uns ein paar Sandwiches ein.

Das Festival in Lincoln sollte einen Tag lang dauern, aber wir mussten schon am Vorabend vor Ort zelten, um so viele Auftritte wie möglich mitzubekommen. John war Pfadfinder gewesen, sodass er etwas vom Aufbau eines Zeltes verstand, selbst bei Sturm und Regen. Dummerweise wusste ich nicht, dass man das Zelttuch nicht von innen berühren soll, und so verbrachten wir den Rest der Nacht damit, um die Wette zu zittern und wieder trocken zu werden.

Nach den Maßstäben der britischen Sommerzeit war der nächste Tag glühend heiß, sodass der Ackerboden schnell getrocknet war. Wir sicherten uns einen Platz mit gutem Blick aufs Geschehen und futterten ekelhaften »künstlichen« Vegetarierschinken aus der Dose, der genauso gut Rinderpastete hätte gewesen sein können.

Auf dem Programm des Lincoln Folk Festivals standen englische Folkstars von Sandy Denny bis Pentangle und Steeleye Span, doch der Tag begann mit Sonny Terry und Brownie McGhee, Mundharmonika und Gitarre.

Da ich eine Platte von Tim Hardin besaß, war sein Name auf dem Plakat Grund genug für mich gewesen, frühzeitig da zu sein. Damals wusste ich noch nicht genug über Drogen, um zu verstehen, warum sein Auftritt so schwach und konfus war und nur wenige Augenblicke unbeständiger Schönheit bot.

Der Tag zog sich mit britischen und schottischen Volkstänzen und entrückten Hippiesongs für meinen Geschmack etwas in die Länge. Als daher gegen Abend die »Akustik«-Byrds auf die Bühne kamen, ihre Instrumente einstöpselten und eine stürmische Version von »So You Want to Be a Rock'n'Roll Star« boten, war dies genau der Schub, den der Tag gebraucht hatte.

Ein Jahr zuvor waren die Byrds beim Bath Festival in einen Regenschauer geraten, sodass sie spontan einen akustischen Set spielten, der fantastisch angekommen und der Grund für ihre Verpflichtung in Lincoln gewesen war. Nach diesem elektrischen Ausbruch zu Beginn ihres Auftritts nahmen Roger McGuinn und seine Musiker ihre akustischen Gitarren zur Hand, doch das Publikum stellte fest, dass Clarence White an seiner Martin genauso umwerfend war wie an der Fender.

Wie auf den meisten Festivals damals geriet auch hier der Zeitplan durcheinander. Wir schafften es zwar, die Songs von James Taylor zu hören, die wir in Manchester verpasst hatten, mussten uns aber von Buffy Sainte-Maries Abschlusskonzert losreißen, um im Laufschritt den letzten Zug noch zu erwischen.

Als wir am Bahnhof von Lincoln ankamen, sahen wir nur noch die Schlusslichter des Zuges. In unseren Taschen hatten wir nicht mal genügend Geld für eine Tasse Tee, geschweige denn für eine Übernachtung mit Frühstück. Es erschien uns sinnlos, zurück zum Festival zu gehen, also rollten wir unsere Decken aus und versuchten, auf dem inzwischen kühl gewordenen Steinfußboden des Bahnhofsgebäudes zu schlafen. Wir schliefen, wenn überhaupt, äußerst unruhig.

Beim ersten Tageslicht wachten wir auf und fröstelten – eher vor Erschöpfung als vor Kälte. Allerdings mussten wir noch eine ganze Weile warten, bis die Züge wieder fuhren.

Plötzlich tauchte aus dem Nichts eine exotisch gekleidete Gestalt auf und schlenderte an uns vorbei wie ein Unteroffizier nach dem Wecksignal an den Nachzüglern. Er erzählte uns, er komme aus Nigeria, sprach aber mit dem theatralischen Akzent eines Angehörigen der englischen Oberschicht. Offenbar erregte unser heruntergekommener Anblick sein Mitgefühl, denn er bot uns ein Frühstück in seiner Wohnung an.

Das war ausdrücklich diejenige Art von Einladung, die abzulehnen uns unsere Eltern eingetrichtert hatten, aber wir folgten ihm trotzdem durch ein paar Straßen hin zu einer Wohnung, die aussah wie eine verwüstete Studentenbude. An den Wänden hingen psychedelische Plakate, und es roch nach Räucherstäbchen und Zigaretten mit seltsamen Inhaltsstoffen.

Unser Gastgeber verschwand hinter einem Vorhang aus Glasperlen, und kurz darauf dröhnte trotz der frühen Stunde laute Musik aus dem anderen Zimmer. Sekunden später tauchte er in der Türöffnung auf, einen Joint in der Hand und nur mit einem blauen Morgenrock aus Satin bekleidet, den er allzu lässig um seine Taille gerafft hatte.

»Scheiße, er hat keinen Schlüpper an«, rief John, und wir stürzten zur Tür.

Irgendeine Kostbarkeit fand sich immer.

Im Jahr 1971 eröffnete unter dem Namen Probe Records ein kleiner Laden genau dort, wo die Praxen der Nobelärzte in der Rodney Street auf die Zeitungshändler und Süßwarenläden der Clarence Street trafen. Der Laden führte Schallplatten, die man nirgendwo sonst fand. Der Inhaber Geoff Davies gehörte zu jenen Musikfans, die dich mit einem missbilligenden Blick von einem Fehlkauf abhielten.

Virgin Records war damals zum größten Teil noch ein Versandhandel, aber eröffnete schon eine Art Geschäft für Alternativkultur in der Bold Street. Es war der erste Laden in der Stadt, der Riesenkissen und Kopfhörer bereitstellte, sodass die Leute die Genialität dieser endlos langen Progressive-Rock-Alben tatsächlich genießen und würdigen konnten. Sie bauten sogar ein Wasserbett für die Kunden auf, aber das hielt nur so lange, bis ein paar Radaubrüder mit Messern hineinstachen und den Laden überschwemmten.

Trotz allem, was mir Musik bedeutete, schien mir der Beruf des Musikers noch immer nicht geeignet oder verlockend zu sein. Ich wusste, dass mir von Geburt an gutes Aussehen und Selbstvertrauen fehlten, die Voraussetzungen für den Publikumserfolg. Außerdem glaubte ich mit jugendlichem Idealismus daran, dass Musik über bloßen kommerziellen Erfolg erhaben sei, doch tief im Inneren war ich mir sicher, dass die Verführungen, denen mein Vater im Rampenlicht ausgesetzt war, meine Eltern entzweit hatten.

Dennoch erinnere ich mich nicht, auf meinen Dad jemals sauer gewesen zu sein, weil er uns verließ, wahrscheinlich deshalb, weil meine Mutter ihn nie schlechtmachte. Stattdessen verbarg sie ihre Bitterkeit, bis ihre Nerven zerrüttet waren.

Ich glaube, sie hat nie aufgehört, ihn zu lieben.

Bis 1972 waren meine Kräfte und widersprüchlichen Träume zu gleichen Teilen der Musik und dem Fußball gewidmet.

Nach dem Tod meines Freundes Tony bin ich wohl nicht mehr so regelmäßig ins Stadion gegangen und habe den Unterricht vernachlässigt. Für die Schule zu lernen, kam mir völlig sinnlos vor. Plötzlich schien mir alles außer Musik Zeitverschwendung zu sein. Was auch immer im Unterricht durchgenommen wurde, nichts davon hatte mit dem Leben zu tun, das ich mir jetzt auszumalen begann. Wie jeder andere Schüler kämpfte ich mich benebelt durch, sezierte Frösche und hatte einen Französischlehrer mit einem solch starken Liverpooler Akzent, dass es mir bis heute schwerfällt, mich in frankofonen Ländern verständlich zu machen.

Der »Berufsberater«, der unsere Schule besuchte, klärte uns auf, unser Examen würde uns den Weg zu einer unbedeutenden Universität oder zu einer bescheidenen Fachhochschule ebnen. Würden wir jedoch durch die Prüfung rasseln, wären wir im Grunde zu einem Bürojob ohne Aufstiegsmöglichkeiten verdammt, da wir bereits zu alt wären, um ein »Handwerk« zu erlernen, es sei denn, wir wären bereit, eine Militärlaufbahn einzuschlagen. In den Rekrutierungsannoncen der Armee war viel die Rede von der Einberufung und Ausbildung zum Mechaniker oder Elektriker, ja, man würde sogar Zeit finden, Wasserskilaufen zu lernen. Dass man Leute erschießen sollte oder selbst dabei draufgehen konnte, wurde selten erwähnt.

In jenem Jahr gab es zum ersten Mal seit den 1930er-Jahren eine Million Arbeitslose in Großbritannien, und obwohl es in den nächsten zehn Jahren noch schlimmer kommen sollte, war dies bereits genug, um die Eltern zu ängstigen und die Schüler gefügig zu machen. Auf dem Mersey fuhren deutlich weniger Schiffe als in der Kindheit meiner Mutter, aber es wurden noch immer reichlich Geschäfte mit Schmuggelware gemacht.

Eines Morgens wurden wir in die Aula beordert, um einen Vortrag des Rauschgiftdezernats über die Gefahren von Aufputschmitteln und Joints anzuhören. Wenn es die Absicht des Polizeibeamten gewesen sein sollte, uns Angst vor diesen Verlockungen einzuflößen, dann scheiterte er grandios mit seiner Eröffnungsgeste. Er griff nämlich in eine Ledermappe und holte etwas heraus, das aussah wie ein kurzes, mit klarem Möbellack überzogenes Stück Rohholz. Es war ein Riesenblock Haschisch.

»Das hier …«, er machte eine Kunstpause, um die dramatische Wirkung zu steigern, bis alle Augen auf das Objekt gerichtet waren, das er über seinem Kopf schwenkte. Dann fuhr er fort, »… ist MARRY-JOO-ANA«. Er sprach das Wort mit diesem altmodischen Liverpooler Akzent aus. Genauso hörte sich mein Opa an.

»Und man wird es euch BESTIMMT anbieten«, was eigentlich ganz verlockend klang.

Anschließend beschrieb er ausführlich die grässlichen Folgen und Strafen für diejenigen, die sich darauf einließen, während der Block »MARRY-JOO-ANNA« durch unsere Reihen wanderte, damit wir es später einmal wiedererkennen würden.

Man kann sich leicht vorstellen, dass er es in weniger unschuldigen Zeiten etwas leichter und mit ein paar Taschenmesserspuren versehen zurückbekommen hätte, aber an diesem Vormittag ging es durch bereitwillige Hände und wurde von neugierigen Augen bestaunt, ohne dass am Ende auch nur ein Krümel fehlte.

Ich nehme an, Patrick McManus, mein anderer Großvater, versteckte ein paar illegale Gegenstände in seinem Seesack, wenn er in den 1920er-Jahren von Überseereisen als Musiker auf den Passagierdampfern nach Hause kam, aber die einzige wirklich professionelle Schmugglerin in unserer Familie war meine Mutter.

Lillian Abletts Schulbildung war in den Kriegsjahren so gut wie zum Erliegen gekommen. Mal wurde sie evakuiert und aufs Land verschickt, dann wurden Schulgebäude bombardiert oder beschlagnahmt, zumal nicht genügend Lehrer da waren. Als sie vierzehn war, kümmerte sie sich selbst um Arbeit. Lillian war schon von Natur aus unabhängig, während die äußeren Umstände diesen Charakterzug noch verstärkten. Ihre Mutter Ada konnte sich schon damals wegen einer chronischen rheumatoiden Arthritis kaum noch bewegen, was sie innerhalb weniger Jahre ans Haus fesselte. Trotzdem bestand sie darauf, ihre Tochter zum Arbeitsamt zu begleiten.

Dort schlug man ihr einen Job als Verkäuferin bei Rushworth & Dreaper vor, einem renommierten vierstöckigen Geschäft, das Klaviere, Orgeln und Blechblasinstrumente verkaufte, aber auch über eine ausgezeichnete Schallplattenabteilung im Erdgeschoss verfügte, die mit einem enormen Bestand an Notenblättern um Verkaufsfläche wetteiferte. Es gab eine ganze Reihe großartiger Orte in Liverpool, die zu betreten eine Frau – mit Ada Abletts Hintergrund – nicht mal im Traum wagte. Einer war das Hotel Adelphi, damals eine glänzende Imitation eines Luxusdampfers der Reederei Cunard. Rushworth’s spielte in derselben Liga.

Lillian war jedoch unerschrocken genug und kam erst nach fünfzehn Minuten vom Vorstellungsgespräch zu ihrer Mutter zurück, die draußen auf dem Bürgersteig auf sie wartete. In dieser Zeit hatte sie offenbar den Manager davon überzeugt, sie einzustellen. Und so wurde sie vom Chefverkäufer in die Geheimnisse der Schallplattenkataloge eingeweiht und verdiente zehn Schillinge pro Woche. Lillians Vertrauen in ihr eigenes Empfinden für Musik machte sie wertvoll für die leitenden Angestellten, die wenig oder gar nichts über Tanzbandmusik oder Jazz wussten. Im Austausch dafür erhielt meine Ma eine solide Ausbildung im Klassik- und Opernsegment, zu der auch die Arbeit als unbezahlte Platzanweiserin in der Philharmonic Hall gehörte. Zum Schluss konnte sie die Schlüsselwerke des Repertoires identifizieren und empfehlen.

Damals wurden individuelle Sätze von Sinfonien und Konzerten über die vier Minuten fassenden Seiten einer 78er-Schellackplatte verteilt, sodass man von den Verkäuferinnen erwartete, mit den zerbrechlichen Scheiben gut umzugehen und sie potenziellen Kunden in einer schalldichten Kabine vorzuspielen. Keine der jungen Frauen, die in dem Laden arbeiteten, war darum bemüht, sich in diesem beengten Raum mit einem besonders berüchtigten Dirigenten einzufinden, der seine Gastauftritte mit der Royal Liverpool Philharmonic als Vorspiel nutzte, um sich an das weibliche Verkaufspersonal heranzumachen.

Nach drei Jahren bei Rushworth’s wechselte Lillian zu einem Konkurrenzgeschäft in der Parker Street am Clayton Square. Ich erinnere mich, als kleiner Junge den Platz voller Blumenstände gesehen zu haben. Es gab einen Taxistand und das Jacey-Kino, das ein fortlaufendes Zeichentrickfilmprogramm anbot.

Ein perfekter Platz.

Später wurde das Jacey ein Programmkino, das Filme wie DieStraße der Schande und The Subject Is Sex zeigte, bevor es ein Kino für nicht jugendfreie Filme und schließlich zum »Schrein des in alle Ewigkeit gebenedeiten Sakraments« umgebaut wurde, dem Versammlungsort einer katholischen Kirchengemeinde.

In den späten 1940er-Jahren sah der Schauplatz etwas anders aus. Der Laden, in dem Lillian arbeitete, nannte sich Bennett’s, ein kleiner Betrieb, der Musiker während ihrer Pausen bei Tanztees im Reece anzog. Das war ein schickes Restaurant mit Konditorei und Tanzsaal im ersten Stock. Natürlich kauften diese Musiker nie irgendetwas, sondern wollten nur, dass meine Ma ihnen Schallplatten vorspielte, sodass Sol Bennett persönlich diese Nieten ab und zu aus dem Laden scheuchte. Immerhin verbreitete sich die Nachricht, dass Lillian »das Mädchen bei Bennett’s war, das über Jazz Bescheid wusste«.

Mein Vater war gerade von seinem Wehrdienst in Ägypten bei der Royal Air Force zurückgekehrt und hatte angefangen, in den Clubs von Merseyside Trompete zu spielen. Manchmal wurden Ross McManus and His Quintette angekündigt, als kämen sie gerade von Engagements in Paris und London zurück, wo sie doch lediglich von der British Legion Hall an der Park Road East in Birkenhead aus den Mersey überqueren und die schwindelerregende Höhe eines Liverpooler Kellers erklimmen mussten, um zu spielen.

Abb.6

Ross hockte in gelben Socken und einer amerikanischen Secondhand-Sportjacke auf den Treppenstufen unter Mr.Bennetts Büro. Er und seine Freunde wollten unbedingt Amerikaner sein. Sie fingen sogar an, im Park von Birkenhead Baseball zu spielen. Ihre Mannschaft hieß The Bidston Indians, und sie trugen, wenn sie herumhingen, Pilotensonnenbrillen und ausrangierte Fliegerjacken von der US-Air-Force mit der Cartoonfigur eines Indianers auf dem Rücken.

Abb.7

Einer aus der Gruppe änderte seinen Namen in den mehr nach Yankee klingenden Spitznamen »Zeke«, deshalb nehme ich an, dass es Ronald McManus leichtfiel, den eigentlichen Vornamen abzulegen und sich für seinen dritten zu entscheiden: Ross.

Er entwarf Zukunftspläne, während meine Mutter ihm so lange Neuerscheinungen vorspielte, bis Mr.Bennett ihn aus dem Laden warf. Schließlich hatte er sie sogar dazu überredet, bei den Bandproben zu singen, da der Sänger wegen seines Jobs in einem Wettbüro nie pünktlich kam. Lillian kannte alle Songs, wenngleich sie nie das Selbstvertrauen besaß, vor Publikum zu singen.

Ross fing neu an mit den Bop City All Stars und bot für Clubs, die sie engagieren wollten, Abende an unter dem Motto »Rocking with Ross«. Eigene Konzertabende veranstalteten Ross und Lillian in jedem erdenklichen Schuppen. Meine Mutter kassierte einen kleinen Eintrittspreis, der kaum die Kosten der Band deckte, während die Stammgäste oftmals ihren eigenen Alkohol hereinschmuggeln mussten, wenn der Club keine Lizenz für einen Alkoholausschank besaß.

Nicht jeder war begeistert von der Musik, die sie spielten. Ein Trompeter der Merseysippi Jazz Band – einer beliebten Traditional-Jazz-Band – versetzte Ross einen Fausthieb, weil mein Dad ihn streitlustig löcherte, ihm sein Mundstück auszuleihen, denn er wollte diese verrückte neue Musik spielen.

Lillian fand es gleichermaßen schwierig, Mr.Bennett zu überzeugen, obskure Schallplatten anzubieten unter der Voraussetzung, es gebe zwar eine kleine, aber vermutlich mittellose Gruppe potenzieller Käufer. Einer ihrer Kunden wollte unbedingt die revolutionären Aufnahmen von Lennie Tristano und Lee Konitz hören, eine Scheibe, die nicht einmal in England erschienen war. Eine solche Platte direkt in den USA zu bestellen, war wegen des Aufschlags der Einfuhrsteuer sündhaft teuer. Da nahm Lillian die Dinge selbst in die Hand.

Sie war mit einem jungen Mann namens Norman Milne befreundet, der einer Teilzeitbeschäftigung als Sänger in den Clubs der Stadt nachging. Bevor er von seiner Musik leben konnte, arbeitete er bei der Handelsmarine. Als meine Mutter daher hörte, er fahre mit dem Schiff nach New York, gab sie ihm fünf Pfund ihres eigenen Geldes und Details zu den Tristano-Konitz-Platten mit auf den Weg.

Offenbar brachte Norman sie dann auch tatsächlich in seinem Koffer mit nach Liverpool. Zumal der Name »Norman« nicht unbedingt nach jemandem klingt, der zollpflichtige Gegenstände an Zoll- und Steuerbeamten vorbeilotst.

Durch den Einfallsreichtum meiner Mutter und mithilfe ihres zur See fahrenden Kumpans wurden ihre Kunden mit seltener und in England nicht erhältlicher Musik versorgt.

Norman, der singende Matrose, gewann während einer seiner Überfahrten einen Gesangswettbewerb in der New Yorker Radio City Music Hall und machte, ermutigt durch den Erfolg, Karriere im Showgeschäft. Er änderte seinen Namen in Michael Holliday und wurde ein gefragter Musiker bei Aufnahmen im lässigen Stil von Bing Crosby. In den UK hatte er Hits mit »The Yellow Rose of Texas« und »Sixteen Tons«. Er sang sogar den Titelsong zu Gerry Andersons Marionettenwesternserie Four Feather Falls.

Im Jahr 1958 hatte er mit »The Story of My Life«, einem Song von Burt Bacharach und Hal David, seinen ersten Nummer-eins-Hit.

Eines Morgens im Jahr 1963 hörten meine Mutter und ich den Home Service mit Jack de Manio am Mikrofon, als Michael Hollidays Tod bekanntgegeben wurde. Ma rang nach Luft und vergoss wahrscheinlich auch ein paar Tränen.

Mein Dad lebte damals noch mit uns zusammen und verarbeitete im Schlaf alles, was er nach Feierabend erlebt hatte. Als es Zeit wurde, ihn zu wecken, platzte ich gedankenlos die Neuigkeit heraus, obwohl mir jede Möglichkeit fehlte, die Andeutungen in der Meldung richtig zu interpretieren.

  Abb.8

Die BBC sagte, der Sänger habe unter »Lampenfieber« gelitten und einen »Nervenzusammenbruch« gehabt. Ich hatte keinen Schimmer, was diese Begriffe bedeuteten. Ich bemerkte nur, dass meine Eltern entsetzt waren. Erst als ich viel älter war, wurde mir bewusst, wie viele Geheimnisse ein Mann damals gezwungen war, für sich zu behalten.

Vierzig Jahre später lud ich Lee Konitz in ein New Yorker Studio ein, damit er bei einem Stück für ein Album verloren gegangener und wiedergefundener Liebeslieder mitspielte, das ich North nannte. Er steuerte ein wundervolles Solo auf dem Altsaxofon für die Coda meines Songs »Someone Took the Words Away« bei.

Gegen Ende der Session erzählte ich Lee, wie meine Mutter seine Platten nach England geschmuggelt hatte, und fragte ihn, ob er ihr das Notenblatt widmen und für sie signieren wolle. Mit charakteristisch prägnanter Sparsamkeit schrieb er:

»Lillian, Thanks, Lee Konitz«.

3

DON’T START ME TALKING

BRING MICH NICHT ZUM REDEN

Abb.9

Wir waren alle blau wie die Veilchen und schwankten durch die Straßen von Lüttich, nachdem wir die chaotische Szene im Wald hinter uns gelassen hatten. Ich hatte den ganzen Nachmittag Pernod mit Coca-Cola getrunken und konnte nicht mehr zwei und zwei zusammenzählen, geschweige denn aufrecht stehen.

Unser Auftritt 1977 beim Festival Jazz Bilzen hatte eher gedämpfte Reaktionen bei den punkbesessenen Söhnen und Töchtern des Königreichs Belgien ausgelöst, aber die Jungs von The Clash lieferten sich am Ende ein grandioses Scharmützel mit den Schlägertypen der Security. Das Publikum hatte versucht, die Absperrungen niederzureißen, um näher an die Band heranzukommen. Volle Bierdosen sausten haarscharf an der Bühne vorbei und wurden als Munition benutzt, um die Eindringlinge zurückzuschlagen. Ich beobachtete, wie ein Anhänger am Zaun in kurzer Folge dreimal nacheinander direkt am Kopf getroffen wurde, bevor er umfiel.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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