Usedom-Krimi 4: Das Geheimnis des Küstendampfers
Usedom Verbrechen Band 4: Hannah Thomsen & Leo Bergmann
Mirko Kukuk
Impressum © 2025 Mirko Kukuk
Texte: © Copyright by Mirko KukukUmschlaggestaltung: © Copyright by Mirko KukukMirko KukukKleinfeld 10221149
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[email protected] Unterstützung bei Text/Bild: GeminiDie in diesem Buch dargestellten Figuren und Ereignisse sind fiktiv. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder toten realen Personen ist zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt.
Inhalt
Titelseite
Impressum
Prolog: Der Ruf der „Seemöwe“
Charakterprofile: Steckbrief
Kapitel 1: Ein stummer Zeuge auf See
Kapitel 2: Die Schätze der Vergangenheit
Kapitel 3: Eine eingeschworene Gemeinschaft
Kapitel 4: Digitale Karten, alte Rätsel
Kapitel 5: Der Schatten des Krieges
Kapitel 6: Der Wächter des Erbes
Kapitel 7: Eine geheime Auktion
Kapitel 8: Der Verrat im Verein
Kapitel 9: Alte Feindschaften leben auf
Kapitel 10: Die Spur des Methanols
Kapitel 11: Der Mörder an Bord
Kapitel 12: Das letzte Logbuch
Kapitel 13: Der geheime Hort
Kapitel 14: Das Vermächtnis des Schweigens
Epilog: Die leisen Wellen der Wahrheit
Nachwort:
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Prolog: Der Ruf der „Seemöwe“
Usedom. Ein Juwel der Ostsee, wo die Seebrücken majestätisch ins Meer ragen und der feine Sandstrand zum Träumen einlädt. Eine Insel, die ihre Geschichte atmet – vom Glanz der Kaiserbäder bis zu den stillen Erinnerungen des Zweiten Weltkriegs. Doch manchmal birgt die Idylle ein tödliches Geheimnis, das tief in den stürmischen Gewässern der Vergangenheit schlummert.
An diesem milden Frühlingstag im Jahr 2025 versank die Insel in einem goldenen Licht. Die "Seemöwe", ein alter Küstendampfer und stolzes Wahrzeichen Usedoms, legte wie jeden Morgen von der Seebrücke Heringsdorf ab. Touristen strömten an Bord, bereit für eine beschauliche Fahrt entlang der Küste. Doch diese Fahrt sollte anders werden.
In der schlichten Kapitänskabine, abseits des fröhlichen Treibens, lag Professor Joachim Werner regungslos über seinem Schreibtisch. Die Seemöwe, einst sein Refugium für verborgene Forschungen, war nun der stumme Zeuge eines Verbrechens. Um ihn herum verstreut lagen vergilbte Seekarten, alte Logbücher und rätselhafte Dokumente, die von einem Schatz flüsterten – einem Schatz, der nicht nur aus Gold bestand, sondern aus vergessenen Wahrheiten und schmerzhaften Erinnerungen.
Hauptkommissarin Hannah Thomsen und Kriminaltechniker Dr. Leo Bergmann, spezialisiert auf digitale Spuren, ahnten nicht, dass dieser Fall sie nicht nur in die Tiefen eines mysteriösen Mordes führen würde, sondern auch in die verborgenen Abgründe einer scheinbar friedlichen Gemeinschaft. Zwischen den idyllischen Fassaden der Bäderarchitektur und den rauschenden Wellen der Ostsee lag ein Netz aus alten Geheimnissen, Verrat und einem Vermächtnis des Schweigens, das nun, durch den Tod von Professor Werner, brutal ans Licht gezerrt wurde.
Der Ruf der "Seemöwe" war an diesem Morgen kein fröhliches Nebelhorn, sondern ein dunkles Echo aus der Vergangenheit, das die Jagd auf einen Mörder eröffnete. Eine Jagd, die die Grundfesten Usedoms erschüttern und die Frage aufwerfen würde: Wie weit geht eine Gemeinschaft, um ihre Geheimnisse zu schützen?
Charakterprofile: Steckbrief
Kommissarin Hannah Thomsen
Name: Hannah Thomsen Dienstgrad: Kriminalkommissarin Alter: Ende 40 Dienstort: Kripo Ahlbeck, Usedom Besondere Merkmale: Intuitive und scharfsinnige Ermittlerin mit tiefer Kenntnis Usedoms. Ihre direkte Art und pragmatische Herangehensweise verbergen eine große Empathie für die Opfer und einen unerschütterlichen Gerechtigkeitssinn. Sie verlässt sich auf ihr Bauchgefühl, ergänzt durch jahrelange Erfahrung. Hannah ist geerdet und lässt sich nicht vom äußeren Schein täuschen, sondern sucht stets nach der menschlichen Geschichte hinter dem Verbrechen. Ihre Stärke liegt im "Zwischen-den-Zeilen-Lesen" und dem Entschlüsseln komplexer Beziehungsgeflechte.
Kommissar Leonard "Leo" Bergmann
Name: Leonard "Leo" Bergmann Dienstgrad: Kriminalkommissar (Cyber-Forensiker) Alter: Anfang 30 Dienstort: Kripo Ahlbeck, Usedom Besondere Merkmale: Das digitale Genie des Teams, spezialisiert auf Cyber-Forensik und Datenanalyse. Leo ist ruhig, analytisch und oft in seine Bildschirme vertieft. Er besitzt eine außergewöhnliche Fähigkeit, komplexe digitale Spuren zu entschlüsseln, von verschlüsselten Chats bis zu gelöschten Dateien. Während Hannah die menschliche Seite eines Falles beleuchtet, taucht Leo in die Tiefen des Internets ein, um entscheidende Muster und Beweise zu finden. Seine akribische Arbeitsweise und sein technisches Know-how machen ihn zum unverzichtbaren Gegenpart zu Hannahs intuitiver Herangehensweise.
Kapitel 1: Ein stummer Zeuge auf See
Der Morgen auf Usedom versprach einen weiteren dieser seltenen, vollkommenen Sommertage. Die Sonne warf bereits goldene Streifen über die friedliche Ostsee, und eine leichte Brise trug den salzigen Duft von Meer und Kiefern über die Promenade von Heringsdorf. Familien schlenderten gemächlich, Eisdielen bereiteten ihre ersten Kugeln vor, und am Horizont zeichnete sich die markante Silhouette des historischen Küstendampfers „Seemöwe“ ab, der langsam aus dem Hafen von Swinemünde kommend auf seine Anlegestelle bei der Seebrücke zusteuerte. Es war kurz vor halb neun, und die ersten Touristen sammelten sich bereits, um die begehrten Tickets für die heutige Frühfahrt zu ergattern. Ein Bild wie aus einem Reisekatalog, perfekt inszeniert, um die Seele baumeln zu lassen.
Doch dieser perfekte Morgen sollte jäh gestört werden.
An Deck stand Kapitän Lars Jensen, ein Mann mit wettergegerbtem Gesicht und Augen, die so blau waren wie die tiefste See an einem wolkenlosen Tag. Seit mehr als dreißig Jahren steuerte er die „Seemöwe“ durch die Boddengewässer und über die Ostsee. Er kannte jeden Winkel dieses alten Schiffes, jede Niete, jedes Holzbrett. Und er kannte auch Professor Dr. Joachim Werner, den bekannten Historiker und Direktor des Usedomer Marinemuseums, der seit zwei Wochen eine der kleinen, luxuriösen Passagierkabinen der „Seemöwe“ gemietet hatte. Werner nutzte die Zeit an Bord, um fernab vom Trubel des Museums in Ruhe an seinem neuen Projekt zu arbeiten. Er war ein stiller, aber stets präziser Passagier, der morgens früh aufstand und oft bis tief in die Nacht an seinem Schreibtisch saß.
„Guten Morgen, Kapitän! Alles klar für die Fahrt?“, rief Lena Brandt, die erste Offizierin, die soeben die Gangway hochkam. Sie war jung, ehrgeizig und hatte eine ansteckende Energie, die selbst den grummeligen Kapitän Jensen manchmal zum Lächeln brachte.
„Morgen, Lena. Wie immer. Nur der Professor… der ist noch nicht aus seiner Kabine gekommen“, brummte Jensen, während er ein letztes Mal die Festmacherleinen prüfte. „Er ist sonst immer der Erste, der den Morgenwind auf dem Deck genießt.“
Lena zuckte die Achseln. „Vielleicht hat er mal ausgeschlafen. Die Arbeit an seinem „Schatz“ muss ihn ganz schön mitgenommen haben.“ Sie lachte leise. „Soll ich mal klopfen?“
Jensen nickte. „Mach das. Wir legen in einer Viertelstunde ab. Wir wollen die Leute ja nicht warten lassen.“
Lena machte sich auf den Weg zum Heck des Schiffes, wo sich die vier Passagierkabinen befanden. Sie klopfte leicht an die Tür von Kabine drei. Keine Antwort. Sie klopfte fester. Wieder nichts. Ein ungutes Gefühl beschlich sie. Der Professor war zwar verschroben, aber nie unzuverlässig.
Sie versuchte die Klinke. Die Tür war nicht abgeschlossen. Vorsichtig drückte sie sie auf und steckte den Kopf in den Raum. „Professor Werner? Wir legen gleich ab!“
Der Raum war dunkel, die Vorhänge zugezogen. Der Geruch von altem Holz, Salzwasser und etwas Undefinierbarem lag in der Luft. Auf dem kleinen Schreibtisch in der Mitte der Kabine lag eine aufgeschlagene, uralte Seekarte, darauf ein Zirkel und ein Bleistift. Und dahinter, auf dem Stuhl sitzend, Professor Werner. Er saß aufrecht, den Kopf leicht zur Seite geneigt, die Augen starr ins Leere blickend. Er wirkte, als würde er schlafen, doch etwas war anders. Eine unnatürliche Starre lag über ihm. Seine Haut hatte einen aschgrauen Ton angenommen.
Lena spürte, wie ihr das Blut in den Adern gefror. „Professor…?“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Sie trat näher, ihr Herz pochte bis zum Hals. Erst jetzt sah sie es: Auf dem Schreibtisch lag ein kleines, leeres Glas, das eine leichte, fast süßliche Note verströmte.
Sie legte eine Hand auf seine Schulter. Kalt. Eiskalt.
Ein panischer Schrei entfuhr ihr, der durch die morgendliche Stille des Schiffes hallte und Kapitän Jensen zusammenzucken ließ.
Kommissarin Hannah Thomsen parkte den zivilen Streifenwagen mit quietschenden Reifen in zweiter Reihe vor der Seebrücke. Neben ihr Dr. Leonard „Leo“ Bergmann, ihr brillanter, aber oft etwas weltfremder Kollege, der bereits sein Notizbuch zückte.
„Ein Mord auf einem Touristenboot. Das ist ja mal was Neues für Usedom“, murmelte Leo, als sie ausstiegen.
„Und das kurz vor Saisonhöhepunkt“, erwiderte Hannah trocken. „Das wird ein Fest für die Boulevardpresse.“ Sie hasste den Rummel, der mit solchen Fällen einherging, besonders auf der Insel, wo jeder jeden kannte.
Die „Seemöwe“ lag wie ein dunkler Fleck im glitzernden Wasser. Absperrbänder flatterten im Wind, und uniformierte Kollegen hielten die neugierige Menschenmenge zurück. Der Anblick des alten Dampfers, der normalerweise Freude und Urlaubsstimmung verbreitete, wirkte nun beklemmend.
Am Gangway wartete Kriminaloberkommissar Jörg Lange, ein routinierter Beamter aus Wolgast, der bereits erste Informationen gesammelt hatte. „Kommissarin Thomsen, Herr Dr. Bergmann. Danke, dass Sie so schnell da sind. Der Fundort ist gesichert. Das Schiff liegt noch an der Anlegestelle.“
„Was wissen wir?“, fragte Hannah, ihre Augen musterten das Schiff.
„Das Opfer ist Professor Dr. Joachim Werner, 68 Jahre alt, Direktor des Usedomer Marinemuseums. Er wurde heute Morgen von der ersten Offizierin der ,Seemöwe‘, Lena Brandt, tot in seiner Kabine aufgefunden.“ Lange reichte ihnen eine Mappe. „Die Obduktion wurde angefordert. Aber es sieht nach Erstickung aus. Seltsamerweise ohne Spuren von Kampf oder Gewalt. Die Kabine war unverschlossen und sieht unberührt aus.“
Leo runzelte die Stirn. „Erstickung ohne Kampfspuren? Das ist ungewöhnlich. Wurde etwas gefunden, das auf ein Ersticken hindeutet, zum Beispiel ein Kissen oder ein Tuch?“
„Bisher nichts Auffälliges“, antwortete Lange. „Der Notarzt vermutete zunächst Herzversagen, aber die erste Offizierin war sich sicher, dass etwas nicht stimmte. Sie sprach von einem seltsamen Geruch.“
„Geruch?“, fragte Leo sofort, seine Augen blitzten auf. „Was für ein Geruch?“
„Sie konnte es nicht beschreiben. Irgendwas Süßliches, aber auch chemisch, meinte sie.“
Hannah und Leo betraten das Schiff. Der Geruch, von dem Lena Brandt gesprochen hatte, war für Hannah kaum wahrnehmbar, eine Mischung aus Maschinenöl, salziger Luft und etwas, das sie nicht zuordnen konnte. Für Leos geschulte Nase schien es deutlicher. Er zog ein kleines Etui mit forensischen Utensilien hervor und eine Atemmaske.
Die Kabine Nummer drei war klein und zweckmäßig eingerichtet. Ein schmales Bett, ein kleiner Schrank, und der Schreibtisch, auf dem noch immer die alte Seekarte lag. Professor Werner saß, wie beschrieben, regungslos auf seinem Stuhl. Er trug ein schlichtes Hemd und eine Stoffhose. Eine Lesebrille hing ihm noch um den Hals. Es sah tatsächlich so aus, als wäre er einfach friedlich eingeschlafen.
Hannah ging um den Schreibtisch herum. „Keine Unordnung. Das ist merkwürdig. Wenn jemand angegriffen wird, gibt es normalerweise Spuren eines Kampfes, Dinge fallen um, das Opfer wehrt sich.“
Leo beugte sich über den Schreibtisch, ohne etwas zu berühren. Er inspizierte das leere Glas, das Lena Brandt gefunden hatte. „Hier. Eine winzige Restflüssigkeit. Und dieser Geruch… ja, chemisch. Süßlich, aber nicht angenehm. Das könnte der Schlüssel sein.“ Er zückte ein kleines Fläschchen, um eine Probe zu nehmen.
„Der Professor war also bei der Arbeit, als er starb“, bemerkte Hannah. Sie deutete auf die Seekarte. „Was haben wir hier? Eine Karte der Ostsee, aber sehr alt. Und hier, eine Markierung vor der Küste Usedoms.“
„Das ist eine alte Seekarte aus den 1940er-Jahren“, erklärte Lange, der ihnen gefolgt war. „Werner war spezialisiert auf maritime Geschichte des Zweiten Weltkriegs. Gerüchten zufolge hat er an etwas ganz Großem gearbeitet.“
Leo nickte abwesend, konzentriert auf das Glas. „Er wurde erstickt, aber ohne äußere Gewalteinwirkung. Das deutet auf ein Mittel hin, das die Atmung lähmt oder blockiert, ohne dass sich das Opfer wehren kann. Oder es war jemand, dem er vertraute und dem er nicht misstraute, bis es zu spät war.“
Hannah blickte sich im Raum um. Die Kabine war winzig, es gab kaum Versteckmöglichkeiten. Sie öffnete vorsichtig den Schrank. Darin hingen ein paar Jacken und Anzüge. Nichts Auffälliges. Unter dem Bett fand sie einen kleinen, ledernen Aktenkoffer. Er war verschlossen.
„Die persönlichen Effekten sichern wir natürlich“, sagte Lange. „Sein Laptop steht auch noch auf dem Nachttisch.“
Leo hob den Kopf. „Laptop? Das ist interessant. Wenn er hier gearbeitet hat, sind alle seine aktuellen Forschungsergebnisse darauf gespeichert. Das wird unser erster Ansatzpunkt sein.“
Hannah trat wieder zum Schreibtisch. Der Blick auf Professor Werners lebloses Gesicht war gespenstisch. Ein Mann, der sein Leben der Erforschung der Vergangenheit gewidmet hatte, war nun selbst ein Teil eines dunklen Geheimnisses geworden. Und dieses Geheimnis lag hier, mitten auf der idyllischen Ostsee, verborgen auf einem alten Dampfer.
„Keine Kampfspuren, die Tür unverschlossen, ein Chemikaliengeruch und ein Mann, der still an seinem Schreibtisch stirbt, während er eine Schatzkarte studiert“, fasste Hannah zusammen. „Das ist kein einfacher Fall, Leo. Hier stimmt etwas ganz und gar nicht.“
Leo nickte, während er vorsichtig die Probe des Glases sicherte. „Das ist das Schwierige an dieser Art von Mord. Wenn es keine äußeren Verletzungen gibt, muss man tief graben. Aber dieser Geruch… ich habe eine Vermutung. Das könnte der Durchbruch sein.“
Die Sonne schien durch die Ritzen der Vorhänge und warf unwirkliche Lichtstreifen auf den leblosen Historiker. Außerhalb der Kabine hörte man gedämpfte Stimmen der Beamten und das leise Plätschern des Wassers gegen den Schiffsrumpf. Eine trügerische Ruhe, die das Grauen in Kabine drei verbarg. Hannah wusste, dass dieser Fall sie in die dunkelsten Winkel der Inselgeschichte und tief in menschliche Abgründe führen würde. Und die „Seemöwe“ war nur der Anfang.
Kapitel 2: Die Schätze der Vergangenheit