Vampir allein zu Haus - Lynsay Sands - E-Book
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Vampir allein zu Haus E-Book

Lynsay Sands

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Beschreibung

Schön ist es, ein Vampir zu sein ...

Seit dem dramatischen Tod ihrer Freundin hat Allie deren kleinen Sohn Liam in ihrer Obhut und ist auf der Flucht vor abtrünnigen Vampiren. Was das Ganze noch komplizierter macht: Liam ist unsterblich und benötigt Blut zum Überleben. Allie versorgt ihn daher mit ihrem eigenen. Doch je älter der Junge wird, desto mehr Blut braucht er. Mehr als Allie geben könnte. Da scheint der Einbruch in die Blutbank eine gute Idee - bis sie auf frischer Tat ertappt wird und sowohl die Abtrünnigen als auch ihre Jäger auf sie aufmerksam werden. Für Allie stellen alle Unsterblichen eine Bedrohung dar, aber als sie auf Magnus trifft, steht ihre Welt auf einmal kopf ...

"Die Geschichte über diese unsterbliche Liebe macht die Fans definitiv glücklich!" Library Journal

Band 30 der erfolgreichen Vampirserie um die liebenswerte Argeneau-Familie

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Seitenzahl: 532

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Prolog

1

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Epilog

Die Autorin

Lynsay Sands bei LYX

Impressum

LYNSAY SANDS

Vampir allein zu Haus

Roman

Ins Deutsche übertragen von Ralph Sander

Zu diesem Buch

Allie Chambers ist auf der Flucht: Als vor vier Jahren ihre Nachbarin Stella auf tragische Weise umgekommen ist, hat sich Allies Leben komplett umgekrempelt. Seither kümmert sie sich, wie versprochen, aufopferungsvoll um Liam, Stellas Sohn. Aber abtrünnige Vampire sind den beiden auf den Fersen, weswegen sie nie lange an einem Ort verweilen können. Hinzu kommt, dass Liam unsterblich ist und Blut zum Überleben benötigt. Je älter er wird, desto mehr braucht er. Allie versorgt ihn mit ihrem eigenen, nur gerät sie schon bald an ihre körperlichen Grenzen. Die Idee, Konserven aus einer Blutbank zu stehlen, ist jedoch nur auf den ersten Blick vielversprechend … denn Allie wird auf frischer Tat ertappt. Aber da-mit nicht genug: Zwei der Polizisten sind Vampire! Allie weiß, dass sie sofort verschwinden muss. Gleichwohl löst Magnus Bjarnesen, der große und gut aussehende Detective, verwirrende Dinge in der jungen Frau aus, und sie fühlt sich unweigerlich zu ihm hingezogen. Als er ihr offenbart, dass er ihr dabei helfen kann, ein für alle Mal die Abtrünnigen loszuwerden, ist Allie hin- und hergerissen. Denn die Vergangenheit hat gezeigt, dass sie niemandem vertrauen kann – schon gar keinem Vampir. Und noch weniger einem, der behauptet, ihr Seelengefährte zu sein. Doch die Anziehung wird über-mächtig – und Allie muss sich entscheiden, ob sie ihr Herz öffnen und ihr Leben in die Hände eines Unsterblichen legen kann.

Prolog

Allie lag zusammengerollt auf der Couch und sah sich eine Wiederholung von The Big Bang Theory an, dabei schlürfte sie die Ramen-Nudeln runter, die ihr verspätetes Abendessen darstellten. Plötzlich klopfte jemand an die Haustür. Reflexartig begann sie zu lächeln. Es war fast Mitternacht, und es gab nur einen einzigen Menschen, von dem sie wusste, dass er um diese Zeit wahrscheinlich noch auf war. Stella, ihre Nachbarin aus dem Haus gleich gegenüber, war so wie sie selbst eine Nachteule und außerdem noch eine frischgebackene Mutter.

Sie stellte die Portion Nudeln auf dem Wohnzimmertisch ab, sprang von der Couch und eilte zur Tür. Es war Mitte Februar, fast den ganzen Tag über hatte es geschneit, und draußen war es wirklich eisig kalt. Zu kalt, um mit einem einen Monat alten Baby vor einer Tür herumzustehen.

»Ach, schön, dass du doch noch auf bist!«, begrüßte die zierliche braunhaarige Frau sie mit überschwänglichen Gesten, als Allie ihr die Tür öffnete.

»So wie üblich«, entgegnete Allie amüsiert und machte prompt einen Schritt zur Seite, als Stella auch schon hereinstürmte. »Ich bin mit dem Projekt fast fertig, darum hab ich mir erlaubt, früher Schluss zu machen.«

»Und bestimmt willst du dich jetzt ausruhen«, sagte Stella ein wenig betreten, während sie den dick eingepackten, kleinen Liam mit einer Hand umfasste, damit sie die Tür hinter sich zumachen konnte. »Okay, aber ich will dir auch gar nicht lange zur Last fallen.« Sie deutete auf die Tasche, die an dem Arm hing, mit dem sie Liam an sich gedrückt hielt, und fügte hinzu: »Mir ist gerade eingefallen, dass ich das schon früher hatte rüberbringen wollen, und ich dachte, es würde dir gefallen …« Ihr aufgedrehtes Plaudern verstummte abrupt, und im selben Moment wurde sie todernst. Sie wickelte den kleinen Liam aus der Decke und hielt ihn Allie hin. »Du musst ihn nehmen.«

Allie riss die Augen auf, dennoch nahm sie das Baby an sich und drückte es behutsam an ihre Brust. Sofort holte Stella eine Puppe aus der Tasche und wickelte sie so in die Decke ein, wie sie es zuvor mit dem Jungen gemacht hatte. Besorgt verfolgte Allie das ganze Procedere mit, doch bevor sie fragen konnte, was das alles sollte, erklärte Stella: »Die haben mich entdeckt.«

Schützend drückte Allie den kleinen Jungen fester an sich, während sich ihre Sorge in nackte Angst verwandelte. »Was ist passiert?«

»Nichts … jedenfalls noch nicht«, fügte Stella etwas leiser hinzu. »Auf dem Weg vom Coffeeshop nach Hause ist mir aufgefallen, dass sie mich verfolgen.«

»Und dann kommst du zu mir«, sagte Allie.

»Aber nur, um Liam bei dir abzugeben«, beteuerte Stella. »Jetzt werde ich sie von hier weglotsen, damit euch beiden nichts zustoßen kann.« Sie hatte die Puppe fertig eingewickelt und setzte sie auf den Beistelltisch im Flur, dann fasste sie in ihren Nacken, um das herzförmige Medaillon abzunehmen, das sie bislang immer getragen hatte. Sie sah Allie an und fragte in ernstem Tonfall: »Du wirst dein Versprechen halten und dich um ihn kümmern?«

»Ja, selbstverständlich.«

»Danke«, hauchte Stella und legte ihr die Kette mit dem Medaillon um. »Darin befindet sich ein Foto von Liams Vater und mir. Wenn er irgendwann alt genug ist, um das alles zu verstehen, zeigst du ihm das Foto und erklärst ihm alles. Sag ihm, dass ich ihn mehr geliebt habe als alles andere, und sorg dafür, dass er das niemals vergisst.«

»Nein, natürlich werde ich dafür sorgen«, antwortete Allie leise und sah auf das Medaillon, das jetzt auf ihrer Brust ruhte, während sie Liams winzigen warmen Körper weiter an sich gedrückt hielt. Nachdenklich sah sie mit an, wie Stella die eingewickelte Puppe so in ihren Arm nahm, wie sie Liam zuvor getragen hatte. Sie biss sich auf die Lippe und betrachtete ihre Freundin sorgenvoll. »Stella …«

»Ich bin mir sicher, dass alles ein gutes Ende nehmen wird. Das ist nur zur Vorsicht«, unterbrach Stella sie und brachte ein Lächeln zustande. »Danke … dafür, dass du meine Freundin bist und dass du Liam so liebst.«

»Ich …« Allie hatte kaum zum Reden angesetzt, da verstummte sie auch schon wieder, da Stella bereits verschwunden war. Sie starrte einen Moment lang die Tür an, die bereits wieder ins Schloss gefallen war, und wunderte sich einmal mehr über die unglaubliche Schnelligkeit, mit der diese Frau manchmal unterwegs war. Sie nahm Liam in den anderen Arm und ging zur Tür, wo sie die Jalousie gerade weit genug zur Seite schob, um einen Blick nach draußen werfen zu können. Sie beobachtete, wie Stella mit dem »Baby« redete, während sie es in Liams Kinderwagen legte, den sie vor der Veranda hatte stehen lassen. Dann sah sie sich um, als würde sie nach jemandem Ausschau halten, von dem sie beobachtet wurde. Allie konnte niemanden entdecken, doch in der Dunkelheit hätte sich vermutlich eine ganze Armee in der nächtlichen Schwärze zwischen den Häusern verstecken können, ohne dass es ihr aufgefallen wäre.

Sie biss sich auf die Lippe, und ihr Blick wanderte zurück zu Stella, die das »Baby« wieder ordentlich zugedeckt hatte. Dann schob sie den Kinderwagen durch den Schnee, der den Fußweg bedeckte.

»Ich hätte noch den Schnee räumen sollen, als ich mit der Arbeit aufgehört habe«, tadelte Allie sich selbst. Am Nachmittag war sie schon einmal mit dem Schneeräumer unterwegs gewesen, aber seitdem hatte es unablässig weitergeschneit, und ein paar Zentimeter von dem weißen Zeugs waren somit inzwischen schon zusammengekommen. Genau genommen lag der Schnee noch nicht sonderlich hoch, dennoch konnte es schon etwas mühsam werden, wenn man mit einem Kinderwagen unterwegs war. Aber offenbar nicht für Stella, wie Allie beobachten konnte. Allerdings war Stella auch erheblich stärker als jede durchschnittliche Frau.

Trotz der fortgeschrittenen Uhrzeit und der Tatsache, dass kaum Autos unterwegs waren, blieb Stella stehen und sah nach links und rechts, ehe sie die Straße überquerte, um zu ihrem Haus zu gelangen. Dort angekommen, nahm sie das »Baby« aus dem Kinderwagen und ging die Stufen zu der kleinen Veranda hoch. Allie sah, wie sie die Haustür aufschloss und eintrat. Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, kam es zu einer heftigen Explosion.

Der Knall war ohrenbetäubend, und Allie spürte, wie der Boden unter ihren Füßen vibrierte, als das Haus gegenüber in die Luft flog. Die Fensterscheiben zersprangen, Scherben flogen Dutzende Meter weit durch die Luft, während für Sekunden Flammen durch die leeren Rahmen nach draußen schossen.

»Keine Sorge, ganz bestimmt hat sie sich mit ihrer übermenschlichen Schnelligkeit in Sicherheit bringen können«, flüsterte sie Liam zu, der mit einem Mal unruhig wurde, so als hätte er das Ereignis mitangesehen und dessen Bedeutung erfasst.

Sie hatte kaum ausgesprochen, da tauchte Stella tatsächlich in der offenen Tür ihres brennenden Hauses auf. Den falschen Liam hielt sie an sich geklammert, während Flammen ihren Körper einhüllten. Stella stand einen Moment lang da, teilweise verdeckt durch das Feuer, das um sie herum tobte, schließlich kehrte sie ins Haus zurück und verschwand in den Flammen.

Allie starrte lange Zeit auf den brennenden Eingangsbereich, ohne so recht zu wissen, worauf sie eigentlich wartete. Vielleicht rechnete sie damit, dass Stella noch einmal auftauchte und ihr zuwinkte, um sie wissen zu lassen, dass alles in Ordnung war. Doch das geschah nicht, und dann endlich ließ Allie die Jalousie los, die zurück an ihren Platz rutschte und ihr so den Blick auf das in Flammen stehende Haus nahm.

Sie musste angestrengt schlucken, als sie das Baby in ihren Armen ansah. Sie hatte Stella versprochen, Liam großzuziehen und zu beschützen, sollte seiner Mutter etwas zustoßen. Stella war nie näher darauf eingegangen, was genau sie damit meinte, aber in einem flammenden Inferno umzukommen fiel durchaus in diese Kategorie.

»Lieber Gott«, hauchte Allie und sah immer noch das kleine Waisenkind an, das sie an sich gedrückt hielt. Sie musste sich jetzt um ein Baby kümmern und dafür sorgen, dass ihm nichts zustieß. Sie, Allison Chambers, dreißig Jahre alt und Single, die noch nie ein Kind bekommen hatte und aller Wahrscheinlichkeit nach auch niemals eines bekommen würde – sie war jetzt … Mutter? Pflegemutter? Adoptivmutter? Was sie genau war, wusste sie zwar nicht, aber fest stand, dass sie ab sofort für das Kind in ihren Armen verantwortlich war. Und dabei hatte sie überhaupt keine Ahnung, was Babys anging. Schon gar nicht, wenn es sich um ein Vampirbaby handelte. Was um alles in der Welt sollte sie tun?

1

Magnus verließ das Flugzeug und blieb auf den Stufen der Gangway abrupt stehen. Seine Finger schlossen sich fester um den Griff seines Koffers, als ihm ein eisiger Nordwind ins Gesicht wehte. Der Wind war kalt genug, um ihm den Atem zu rauben, und für einen Moment wünschte er, er könnte kehrtmachen, sich wieder in seinen Sitz sinken lassen und darauf bestehen, ins heimische England zurückgeflogen zu werden. Dann bemerkte er den SUV, der auf die private Landebahn gefahren kam.

Er straffte die Schultern, zog den Kopf ein und eilte die Stufen zur Rollbahn hinunter, wobei er sich bei jedem Schritt gegen den kalten Wind stemmen musste. Er war entschlossen zu bleiben, immerhin war er nicht den weiten Weg von England hergekommen, nur um beim ersten eisigen Windhauch den Rückzug anzutreten. Schließlich konnte er nicht einfach ohne die Frau heimkehren, die er hier abholen sollte.

»Was hast du dir dabei gedacht? Hast du gewartet, bis die Wettervorhersage die schlimmste Kälte ankündigt, um dann einen Flug zu buchen?«

Magnus hob den Kopf, als er die Worte hörte, die ihm galten. Dabei sah er, dass der SUV dicht vor ihm angehalten hatte und ein junger dunkelhaariger Mann auf der Fahrerseite ausstieg und um den Wagen herum auf ihn zukam.

»Tybo«, begrüßte Magnus ihn und übergab ihm den Koffer, als der andere Mann seine Hand danach ausstreckte. »Es ist ein wenig frisch.«

»Ein wenig frisch? Verdammt, es ist saukalt«, rief Tybo, um das Pfeifen des Winds zu übertönen, während er den Koffer auf die Rückbank des SUV stellte. Er warf die Tür zu und bemerkte: »Es würde mich wundern, wenn der Pilot überhaupt noch starten kann. Ich möchte wetten, dass sich schon Eis auf den Tragflächen gebildet hat.« Dann lief er zur Fahrerseite zurück.

Magnus reagierte mit einem knappen Raunen und nahm auf dem Beifahrersitz Platz, da er es kaum erwarten konnte, sich von der Wärme im Wageninneren umfangen zu lassen.

»Wie war der Flug?«, fragte Tybo, während er verschiedene Tasten und Schalter bediente, um die Heizung etwas höher zu stellen.

»Ohne irgendwelche Zwischenfälle. Ich habe die meiste Zeit geschlafen«, gab Magnus zu und lehnte sich nach hinten, als ihm die warme Luft ins Gesicht wehte.

»Gut, dann bist du also ausgeruht und einsatzbereit«, sagte Tybo, legte den ersten Gang ein und wendete auf der Rollbahn.

»Einsatzbereit?«, fragte Magnus argwöhnisch. »Ich muss für nichts einsatzbereit sein. Ich werde lediglich zu Marguerite Argeneau Notte gebracht, weiter nichts. Und da sollst du mich hinbringen, wie mir gesagt wurde.«

»Na ja, wie die Dinge liegen, ist Marguerite hergekommen, um dich persönlich abzuholen«, ließ Tybo ihn wissen.

»Und warum fährst du mich dann nicht zum Haus, sondern in Richtung Tor?«, wunderte er sich, während sein Blick zum Haus der Vollstrecker wanderte, das an ihnen vorbeizog.

»Also, wie ich schon sagte, ist Marguerite hergekommen, um dich abzuholen, und während wir auf dich gewartet haben, kam sie mit mir und Sam ins Gespräch, und wir haben über deine Lebensgefährtin geredet …«

»Meine mögliche Lebensgefährtin«, korrigierte Magnus ihn, was er aber mehr zu seinem eigenen Schutz machte. Er wollte nicht mit zu großem Enthusiasmus an die Sache herangehen, solange er nicht wusste, ob sie wirklich zu etwas führen würde. Er lebte schon sehr lange und hatte sich die meiste Zeit nach einer Lebensgefährtin gesehnt. Da würde es für ihn völlig niederschmetternd sein, wenn er sich allzu große Hoffnungen machte, die am Ende womöglich in einem Scherbenhaufen enden würden. Da war es besser, wenn er erst einmal abwartete, wie sich die Dinge entwickelten.

Tybo quittierte das mit einem flüchtigen Brummen, fuhr dann jedoch fort: »Mortimer kam in die Küche, als wir uns unterhielten, und zwar genau in dem Moment, als ihr Name fiel: Allison Chambers.«

»Allie«, berichtigte Magnus ihn. »Marguerite sagt, sie möchte lieber Allie genannt werden.«

»Ja, Allie. Jedenfalls hatte er kurz zuvor den Polizeifunk abgehört und mitbekommen, dass eine Frau namens Allison Chambers festgenommen worden war, weil sie eine Blutbank ausgeraubt hatte. Er wollte jemanden hinschicken, um …«

»Was?«, unterbrach Magnus ihn erschrocken. »Meine Allie hat eine Blutbank überfallen?«

»Ja. Zumindest sind wir uns ziemlich sicher, dass es deine Allie ist. Immerhin war es die Blutbank, bei der sie beschäftigt ist. Mortimer wollte Valerian und mich ins Krankenhaus schicken, um herauszufinden, ob die Tat irgendetwas mit Unsterblichen zu tun hat oder nicht. Aber als ihm dann klar wurde, dass sie deine Lebensgefährtin ist …«

»Sie hat eine Blutbank überfallen?«, wiederholte Magnus, der noch immer nicht über die Tatsache hinwegkam, dass sie überhaupt irgendetwas überfallen hatte. Dann erst wurde ihm bewusst, was Tybo noch gesagt hatte. »Wieso ins Krankenhaus? Wurde sie verletzt?«

»Mortimer ist sich nicht sicher, wieso die Polizei sie ins Krankenhaus gebracht hat. Du weißt, Polizisten geben über Funk nur das Nötigste durch.«

Magnus verzog den Mund angesichts dieses spärlichen Informationsflusses und war nun in Sorge, dass seine mögliche Lebensgefährtin verletzt sein könnte und vielleicht sogar im Sterben lag. Das würde genau zu ihm passen, dass er seiner Lebensgefährtin begegnete, wenn diese gerade gestorben war.

»Deshalb fahren wir jetzt zum Krankenhaus und werden da der Sache auf den Grund gehen«, schloss Tybo seine Ausführungen ab.

Magnus nickte zustimmend, um gleich darauf verständnislos den Kopf zu schütteln. »Warum um alles in der Welt sollte sie eine Blutbank ausrauben? Marguerite sprach doch davon, dass sie sterblich ist.«

Tybo zuckte mit den Schultern. »Das sollen wir ja herausfinden. Sofern sie diesen Raub überhaupt begangen hat«, fügte er nachdenklich hinzu. »Ich meine, immerhin arbeitet sie da. Vielleicht ist das Ganze auch nur ein Missverständnis.«

»Sie wollen also sagen, dass das alles nur ein Missverständnis war?«

Allie ignorierte die Ironie, die in den skeptischen Worten des älteren Polizisten mitschwang, und konzentrierte sich ganz auf den jüngeren, deutlich mitfühlenderen Kollegen, als sie erwiderte: »Es ist ein Missverständnis, wenn Sie glauben, dass ich in die Blutbank eingebrochen bin. Das ist nicht der Fall. Ich habe einen Schlüssel«, betonte sie. »Ich arbeite da.«

»Und Sie wollten bloß irgendwas umsortieren? Um elf Uhr in der Nacht?«, fragte der ältere Polizist mit unüberhörbar zweifelndem Unterton.

Allie nickte nachdrücklich. »Ich musste Blutkonserven in einen anderen Kühlschrank legen, weil die an ein bestimmtes Krankenhaus gehen sollen. Den Tag über hatte ich nicht daran gedacht.«

»Und um elf Uhr nachts hielten Sie das für eine gute Idee?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Ich habe um elf die Party verlassen, und dabei fiel es mir ein.« Sie lächelte flüchtig und fügte hinzu: »Na ja, ich hatte was getrunken, deshalb war das vielleicht nicht die klügste Entscheidung. Aber ich wollte nicht, dass meine Chefin das am Morgen erledigen muss. Sie ist schon älter und hat Arthritis, da ist so was gar nicht so einfach zu bewerkstelligen.« Sie hielt kurz inne und stellte fest, dass die beiden Männer ihr abnahmen, was sie ihnen erzählte. »Außerdem – welche Beute sollte ich in einer Blutbank schon machen? Da gibt es kein Geld und keine Medikamente, die ich weiterverkaufen könnte. Außer Blut gibt es da nichts. Und wer klaut schon Blut?«

Zu ihrer großen Erleichterung schien das ein überzeugendes Argument zu sein, da der jüngere Polizist nickte, als hätte er etwas absolut Einleuchtendes zu hören bekommen. Auch der skeptische Gesichtsausdruck des älteren Polizisten ließ deutlich nach. Dann fragte er jedoch: »Und Ihre Aufmachung?«

Allie sah nach unten auf ihre schwarze Jeans und die schwarze Bluse, wusste aber, dass es den beiden Männern um die schwarze Katzenmaske ging, mit der sie sie ertappt hatten. Zum Glück hatte sie im letzten Moment noch daran gedacht, diese Maske zu ergänzen, falls etwas nicht nach Plan lief und sie erwischt wurde. Gott sei Dank war ihr das noch rechtzeitig in den Sinn gekommen, da sie irgendwann im Verlauf dieser Aktion ohnmächtig geworden und mit dem Kopf auf dem harten Fliesenboden aufgeschlagen war. Offenbar war sie von einer der Putzfrauen entdeckt worden, die um Mitternacht ihren Dienst antraten. Deshalb hatte sie sich auch in der Notaufnahme des Krankenhauses wiedergefunden – mit einem Arzt und den beiden Polizisten an ihrem Bett, die jede Menge Fragen stellten.

»Es war eine Kostümparty«, sagte sie und lieferte ihnen damit die Ausrede, die sie sich schon zuvor zurechtgelegt hatte. »Ich war als Katze verkleidet, nicht als Einbrecherin«, stellte sie klar und hoffte, dass man ihr diese Geschichte abnahm. Wieder nickte der jüngere Polizist, was ihr das Gefühl gab, überzeugend geklungen zu haben. »Die Ohren muss ich auf der Party vergessen haben. Die werden an einem Gummiband getragen, was mir nach einer Weile wehgetan hat. Je später der Abend wurde, umso schlimmer wurden die Kopfschmerzen. Aber vielleicht hatte ich auch einfach nur zu viel getrunken.« In Wahrheit hatte sie keinen Tropfen Alkohol zu sich genommen. Aber ihr war es lieber, wenn die beiden Männer glaubten, dass sie nicht viel vertrug und sie einfach nicht mehr Herr über sich selbst war. Das war immer noch besser, als unter dem Verdacht zu stehen, Blut stehlen zu wollen. Sie konnte es sich einfach nicht leisten, ins Gefängnis zu wandern. Wer sollte dann auf Liam aufpassen?

Dieser Gedanke machte ihr zu schaffen, während sie darauf wartete, dass die Polizisten endlich zu der Einsicht gelangten, hier nur ihre Zeit zu vergeuden. Was würde aus ihrem Sohn werden, wenn sie sie tatsächlich ins Gefängnis steckten?

»Also gut.«

Allie hob den Kopf und sah den älteren Polizisten an, der diese Worte von sich gegeben hatte.

»Das Ganze ist offenbar ein Fall von …« Er verzog ratlos den Mund. »Ich bin mir nicht mal sicher, wie man das eigentlich bezeichnen soll, außer dass Sie unter Alkoholeinfluss eine unkluge Entscheidung getroffen haben. Wenn Sie zukünftig auf eine Party gehen, Ma’am, und Sie haben vor, da etwas zu trinken, dann lassen Sie Ihre Büroschlüssel lieber zu Hause. Auf diese Weise können Sie dann hoffentlich verhindern, dass sich so etwas wiederholt.«

»Sofern sie die Büroschlüssel noch mal ausgehändigt bekommt«, merkte der jüngere Mann an und warf ihr einen mitfühlenden Blick zu. »Wir mussten Ihre Vorgesetzte anrufen und sie von dem Vorfall unterrichten. Sie wollte sich sofort auf den Weg zur Blutbank machen und sich vor Ort ein Bild von der Situation verschaffen. Und sie wollte das Reinigungspersonal beruhigen.«

»Was auch nötig ist«, fügte der ältere Mann hinzu. »Es war für die Putzfrauen ein ziemlicher Schreck gewesen, als die Sie in Ihrer seltsamen Aufmachung und in einer Blutlache auf dem Boden liegend vorgefunden haben.«

»O nein! Es sind Blutbeutel geplatzt?«, fragte Allie voller Schreck über diese Vergeudung von kostbaren Ressourcen. Blutbanken hatten auch so schon ihre liebe Mühe, genügend Blut bereitzustellen, um die Nachfrage der Krankenhäuser decken zu können.

»Nein, mit den Blutkonserven ist nichts passiert. Das Blut stammte von Ihrer Kopfverletzung«, sagte der ältere Polizist mit ernster Miene. »Sie haben sich beim Hinfallen gehörig den Kopf gestoßen.«

»Oh«, seufzte sie und fasste sich reflexartig an den Kopf, wo sie etwas ertastete, das sich wie ein Verband anfühlte. Sie war mitten auf ihrem Raubzug ohnmächtig geworden, was ganz plötzlich geschehen war, als auf einmal Schwindel eingesetzt hatte. Sie hatte sich zuvor schon ein wenig schwach gefühlt, aber keine ernsthaften Beschwerden wahrgenommen. Doch als sie mit dem Karton voller Blutkonserven den Raum durchqueren wollte, hatte sich auf einmal vor ihren Augen alles zu drehen begonnen, und dann hatte sie das Gefühl gehabt, als käme der Fußboden auf sie zugeschossen. Und dabei hatte sie sich den Kopf angeschlagen und noch mehr Blut verloren.

»Gut«, sagte der ältere Polizist und klappte das Notizbuch zu, in dem er immer wieder etwas vermerkt hatte, seit sie aufgewacht war. »Dann machen wir uns jetzt wieder auf den Weg, damit die Schwestern Sie auf ein Zimmer bringen können.«

»Ein Zimmer?«, fragte sie erschrocken.

»Der Arzt sagt, dass man Sie vierundzwanzig Stunden zur Beobachtung hierbehalten möchte«, erklärte der jüngere Polizist in sanftem Tonfall. »Sie haben sich den Kopf angeschlagen, und wenn ein Schädel gegen ein hartes Objekt schlägt, ist das immer eine gefährliche Angelegenheit. Man will hier ja nur, dass Sie schnell wieder auf den Beinen sind. Aber dazu müssen sie überprüfen, ob das Gehirn angeschwollen ist oder nicht.«

»Allerdings erwarten wir Sie morgen auf der Wache«, ließ der ältere Polizist sie in ernstem Tonfall wissen. »Sie müssen den ganzen Papierkram unterschreiben, den wir wegen Ihres kleinen Ausflugs aufsetzen müssen.«

»Ja, natürlich«, murmelte Allie, war aber in Gedanken schon auf dem Weg nach Hause. Liam war etwas ganz Besonderes, sie konnte ihn nicht zu lange allein lassen.

»Officer Mannly?«, ertönte eine sanfte, leise Stimme.

Der ältere Polizist drehte sich zu der jungen Krankenschwester um, die dort aufgetaucht war, wo der um das Bett verlaufende Vorhang offen stand.

»Da sind zwei Detectives, die mit Dr. Whitehead reden. Ich glaube, sie sind wegen Miss Chambers hier. Ich dachte, das würde Sie vielleicht interessieren.«

»Zwei Detectives? So, so«, sagte Mannly missgelaunt. »Danke. Dann werden wir mal zu ihnen gehen und ihnen erklären, dass sie sich ganz umsonst auf den Weg gemacht haben.«

Als die Schwester daraufhin nickte und sich zum Gehen wandte, drehte er sich wieder zu Allie um und lächelte sie schief an. »Sie ruhen sich erst mal aus, aber vergessen Sie nicht, morgen zur Wache zu kommen. Nach Möglichkeit nicht in diesem Katzenkostüm.«

»Ja.« Allie rang sich zu einem Lächeln durch und murmelte ein »Danke«, ehe die Männer weggingen und hinter dem Vorhang aus ihrem Blickfeld verschwanden. Ganz bestimmt konnte man sie nicht gegen ihren Willen im Krankenhaus festhalten. Man hatte sie schließlich nicht unter Arrest gestellt. Gott sei Dank!

Sie beschloss, sich aus dem Gebäude zu schleichen, ohne sich in irgendeine Diskussion mit wem auch immer verstricken zu lassen. Sie kletterte aus dem Bett, bei dem es sich eigentlich um die Trage handelte, auf der man sie hergebracht hatte. Als sie auf den Beinen stand, musste sie sich erst mal an der Trage festhalten, da sie das Gefühl hatte, hin und her zu schwanken. Es dauerte eine volle Minute, bis der Boden aufhörte sich zu bewegen. Dann seufzte sie leise und schlich bis zum Vorhang, um durch den abgeteilten Bereich einen Blick nach draußen zu wagen. Sie befand sich in einer schlechten Verfassung, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellte. Allie liebte Liam wirklich über alles, doch diese Liebe nagte immer stärker an ihren Kräften.

Für den Augenblick jedoch verdrängte sie diesen Gedanken. Sie sah, wie mehrere Ärzte und Krankenschwestern hin und her eilten und mal in diesem, mal in jenem abgeteilten Bereich verschwanden. Und da waren zwei in Schwarz gekleidete Männer, die mit dem Arzt redeten, der sich zuvor um sie gekümmert hatte. Einer der Männer trug eine Lederhose, dazu ein T-Shirt und einen schwarzen Ledermantel. Der andere trug einen Anzug und einen langen Mantel. Vermutlich die Detectives, immerhin gingen Officer Mannly und sein Kollege zu den beiden hin.

Allie wollte sich eben wegdrehen, als sie etwas Silbriges aufblitzen sah. Es kam nicht von einer Armbanduhr oder einem Ring an der Hand eines der beiden Detectives, sondern es kam von ihren Augen. Als einer von ihnen auf einmal in ihre Richtung schaute, zog sie sich schnell hinter den Vorhang zurück. Ihr Herz raste wieder, und vor ihren Augen schien sich erneut alles zu drehen

Sie zwang sich dazu, ein paarmal langsam und tief durchzuatmen, bis sie wieder zur Ruhe gekommen war. Ihr fehlte es im Moment wirklich an Blut, ganz erheblich sogar. So sehr, dass sie sich vorkam wie ein Auto, das nur noch ein paar Tropfen Benzin hatte. Genau deswegen hatte sie sich auf dieses riskante und lächerliche Wagnis eingelassen, die Blutbank zu berauben. Aber nicht nur, dass ihr schwindlig wurde, dieser Mangel an Blut machte sie auch viel langsamer als üblich. Und das, wo sie von hier wegkommen musste, ohne von diesen »Detectives« gesehen zu werden.

Allie wägte die zur Verfügung stehenden Optionen ab und lief dann zur anderen Seite der Parzelle, kniete sich hin und spähte unter dem Vorhang nach nebenan. Da sie keine Beine sehen konnte, wusste sie, dass sie freie Bahn hatte, und tauchte unter dem Vorhang hindurch. Zwar lag dort jemand im Bett, doch der hatte sich auf die Seite gedreht und zusammengerollt, die Augen vor Schmerzen zusammengekniffen.

Auf allen vieren eilte sie um den Patienten herum, den Blick immer auf den freien Spalt unter dem Vorhang gerichtet. Nebenan waren die Beine von Ärzten und Schwestern zu sehen, doch die waren gerade im Begriff, diesen Bereich zu verlassen. Kaum war das geschehen, tauchte Allie unter dem Stoff hindurch und begab sich auf die andere Seite.

»Hallo?« Die Frage, die von einer alten Frau auf der Trage zu kommen schien, überraschte und erschreckte Allie gleichermaßen, aber sie drehte sich nicht um, sondern murmelte nur ein »Tut mir leid«. Auf allen vieren kroch sie nach nebenan und musste feststellen, dass sie die letzte Behandlungskabine hinter sich gelassen hatte, sofern man die abgeteilten Bereiche überhaupt als solche bezeichnen wollte. Nun befand sie sich in einem kleinen Alkoven mit Regalen und einem Waschbecken gleich neben einer Tür. Vermutlich gelangte man durch diese Tür in andere Bereiche des Krankenhauses und letztendlich auch zu einem Ausgang. Sie durchquerte den Alkoven, der mangels Vorhang keinen Schutz vor Entdeckung bot, und spähte nach draußen.

Der Arzt hatte sich inzwischen von den beiden Detectives abgewandt, die sich nun mit den Polizisten unterhielten und dabei so wirkten, als würden sie sich viel zu sehr auf die zwei konzentrieren. Dieser Anblick bestärkte sie nur in ihrem Entschluss, umgehend von hier zu verschwinden. Sie musste auf dem schnellsten Weg nach Hause, Liam und die stets bereitstehenden Reisetaschen packen und dann Toronto hinter sich lassen, so schnell es nur ging.

Sie hatte gehofft, in dieser Stadt endlich mal etwas länger bleiben zu können. Für eine Weile hatte es auch ganz danach ausgesehen, da sie es immerhin auf vier Monate gebracht hatte, während sie sonst nach zwei bis drei Monaten wieder aufbrechen musste. Aber man hatte sie erneut aufgespürt, und damit wurde es Zeit unterzutauchen. Der Gedanke, sich erneut auf den Weg zu machen, zermürbte Allie. Sie war körperlich, seelisch und geistig völlig erschöpft und hätte sich am liebsten einfach hingelegt, zusammengerollt und dann eine Woche lang durchgeschlafen. Oder gleich ein ganzes Jahr lang. Aber diese Option hatte sie nicht.

Sie musste sich eben zusammenreißen und weiterziehen. Liam zuliebe.

»So, die Polizisten und die Ärzte hätten wir damit erledigt«, sagte Magnus leise, als Erstere davongingen und keinerlei Erinnerung an ihre Begegnung mit Allie Chambers mehr hatten.

»Ja«, stimmte Tybo ihm zu, während er den gesamten Bereich der Notaufnahme forschend im Blick behielt. Zweifellos suchte er in den Erinnerungen des anwesenden Personals nach Hinweisen darauf, ob sonst noch jemand etwas mitbekommen hatte. »Mortimer wird dann noch jemanden losschicken müssen, der alle übrigen Spuren verwischt, also den Mitschnitt des Notrufs löschen lässt und so weiter.«

»Ist das wirklich nötig? Ich hielt es ehrlich gesagt schon für überflüssig, die Erinnerungen der Ärzte und Polizisten zu löschen. Sie scheinen doch alle zu glauben, dass Allies Raubzug nur ein Missverständnis war.«

»Aber sie ist eine mögliche Lebensgefährtin für dich, Magnus, und damit könnte es eine Spur geben, die zu uns führt. Jeder Hinweis auf eine derartige Verbindung muss komplett gelöscht werden.«

»Ja, natürlich«, entgegnete Magnus, der wusste, dass Tybo völlig recht hatte. Es hätte ihm von vornherein klar sein müssen, aber die Aussicht auf eine Begegnung mit seiner Lebensgefährtin hatte ihn ein wenig aus dem Konzept gebracht. Eine mögliche Lebensgefährtin, hielt er sich vor Augen. Sie mochte ja zu ihm passen, doch das hieß noch lange nicht, dass sie auch damit einverstanden sein würde, seine Lebensgefährtin zu werden. Seufzend drückte er den Rücken durch. »Also? Gehen wir jetzt zu ihr und bringen sie hier raus?«

»Nein.«

Magnus drehte sich verdutzt zu ihm um. »Nein?«

»Ich will damit sagen, wir können nicht zu ihr gehen«, stellte er klar und verzog missmutig den Mund. »Weil sie nämlich nicht mehr hier ist. Sie ist weggegangen, als wir mit den Polizisten beschäftigt waren.«

»Was?«, rief Magnus entsetzt. »Was soll das heißen, sie ist weggegangen? Warum hast du sie nicht aufgehalten?«

»Weil ich keine Szene machen wollte, nachdem wir gerade so viel Zeit darauf verwandt hatten, die Erinnerungen dieser Leute zu löschen«, erklärte Tybo in beschwichtigendem Tonfall. »Aber das ist kein Problem. Wir haben ihre Adresse, also können wir sie zu Hause aufsuchen. Dann kannst du …« Er zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Dann kannst du dich ihr vorstellen oder so. Hast du dir eigentlich überlegt, wie du das mit ihr angehen willst?«

»Ich …« Magnus schaute finster drein. »Jedenfalls nicht so. Vielleicht eine scheinbar zufällige Begegnung. Irgendwas, was ganz natürlich und ungezwungen wirkt. Und danach umwerbe ich sie.«

»Umwerben?« Tybo musste grinsen.

»Was ist?«, fragte Magnus misstrauisch.

»Nichts«, gab der jüngere Mann zurück und grinste nur noch breiter. »Du lieferst nur gerade den Beweis dafür, dass du steinalt bist. Eine Frau zu umwerben ist ja so was von altmodisch.«

»Meinst du damit den Begriff oder das tatsächliche Umwerben?«, hakte Magnus gereizt nach.

»Sowohl als auch«, sagte Tybo, dann legte er eine Hand auf die Schulter des anderen Mannes und dirigierte ihn auf diese Weise in Richtung Ausgang. »Tut mir leid, aber die zufällige Begegnung ist vom Tisch. Wir müssen herausfinden, was sie tatsächlich im Labor gewollt hat.«

»Das wissen wir doch«, konterte Magnus, gerade als sie die Notaufnahme verließen. »Sie wollte die Blutkonserven in einen anderen Kühlschrank umräumen, weil sie das am Tag vergessen hatte, und dann …«

»Mag sein«, unterbrach Tybo ihn. »Aber wir müssen Gewissheit haben.«

»Ja, natürlich«, stimmte Magnus ihm frustriert zu, auch wenn ihm diese Aussicht gar nicht gefiel. Er hatte immer auf ein natürlicheres Kennenlernen gehofft. So würden sie sich vielmehr zum ersten Mal unter Bedingungen begegnen, die dazu angetan waren, dass es für ihn nur noch schwieriger wurde. Aber lieber schwieriger als gar nicht. Dafür wartete er schon viel zu lange darauf, seine Lebensgefährtin endlich kennenzulernen. »Also gehen wir zu ihr?«

»Richtig«, sagte Tybo, dann verließen sie schweigend das Krankenhaus und gingen zu ihrem SUV. Während der Fahrt sprach keiner von ihnen ein Wort, bis sie gut zwanzig Minuten später auf den Parkplatz vor einem Apartmentgebäude einbogen. Tybo stellte den Motor ab und wandte sich dann an Magnus. »Wie willst du jetzt vorgehen? Ich meine, ich will es für dich nicht schwieriger machen, als es ohnehin schon ist. Du kannst im Wagen warten, während ich allein reingehe, ihre Gedanken lese, und wenn alles in Ordnung ist und sie wirklich kein Blut stehlen wollte, dann kann ich ja einfach wieder gehen. Und du kannst dich später darum kümmern, dass ihr euch rein zufällig über den Weg lauft und du anfängst, sie zu umwerben, wenn du es für richtig hältst.«

»Das würdest du tun?«, fragte er überrascht.

»Klar«, bekräftigte Tybo und wies ihn dann darauf hin: »Es ist ja ohnehin nicht so, als wärst du mir in irgendeiner Weise von Nutzen. Wenn sie eine mögliche Lebensgefährtin ist, kannst du sie eh weder lesen noch kontrollieren. Wenn sie also wirklich nicht vorhatte, die Blutkonserven zu stehlen, ist es sogar sinnvoller für dich, hier zu warten. Dann kannst du ihr später über den Weg laufen, ohne dass es zu irgendwelchen Missverständnissen kommt.«

Magnus nickte, doch seine Aufmerksamkeit galt längst zwei Männern, die sich vor dem Gebäude durch die Dunkelheit bewegten und dabei zum Teil vom Gebüsch verdeckt wurden. Er versteifte sich, als ihm auffiel, dass die Augen der beiden Männer im Dunkeln leuchteten.

»Also, ich lasse den Motor laufen, und du …«

»Allie wohnt doch im Erdgeschoss, oder?«, fiel Magnus ihm ins Wort.

»Ja«, antwortete Tybo irritiert.

»Nach vorne raus?«

»Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass sie Apartment einhundertsieben hat.«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihre Wohnung nach vorne raus liegt«, erwiderte Magnus und fasste nach dem Türgriff.

»Wieso?«

»Weil da soeben zwei Unsterbliche in eine Wohnung im Erdgeschoss einsteigen«, knurrte Magnus und stieg aus.

Fluchend stellte Tybo den Motor ab und folgte ihm.

2

»Mommy!«

Allie drückte die Tür hinter sich zu und zwang sich zu einem Lächeln, als ihr kleiner Junge ihr im Flur entgegengelaufen kam. Sein dunkles Haar war vom Schlaf zerzaust, der Spiderman-Schlafanzug zerknittert.

»Liam«, hauchte sie erleichtert darüber, dass der Junge lebte und wohlauf war. Damit hatte sie zumindest eine Sorge weniger. »Du sollst doch schlafen.«

»Ich bin aufgewacht, und du warst nicht da«, beklagte sich der Junge und hob den Kopf an, um ihr einen vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen.

»Ich weiß. Es tut mir leid. Ich wollte gar nicht so lange wegbleiben«, antwortete sie betreten, während sie an ihm vorbei in den Flur sah. Sie musste die Taschen holen und mit Liam von hier verschwinden. Niemand konnte sagen, wie viel Zeit ihnen noch blieb, aber es bedeutete nichts Gutes, dass im Krankenhaus Vampire aufgetaucht waren, die nach ihr suchten. Auf der Heimfahrt im Taxi war sie in Panik gewesen, weil sie fürchtete, zu Hause feststellen zu müssen, dass man den Jungen entführt hatte und ein paar Vampire auf sie warteten, um sie entweder zu töten oder auch zu kidnappen.

»Was ist denn das?«

Als sie merkte, dass der Junge an ihrem Kopfverband zog, richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn.

»Gar nichts«, antwortete sie ausweichend. »Du musst jetzt deinen Teddybär holen, ich kümmere mich um unsere Reisetaschen«, sagte sie und dirigierte ihn in Richtung Kinderzimmer. »Wir müssen weg von hier.«

»Wir ziehen schon wieder um?«, fragte der Junge missmutig.

»Ja, Schatz, und zwar sofort. Also hol jetzt deinen Teddy, sonst müssen wir ihn hier zurücklassen«, machte sie ihm nachdrücklich klar. Ihr entging nicht, dass er angesichts dieser Neuigkeit die Schultern hängen ließ. Es machte ihm sichtlich zu schaffen, aber seine Sicherheit hatte oberste Priorität. Und hier war es für ihn zu riskant geworden.

Seufzend richtete sie sich auf und ging zum Schrank im Flur, um die Reisetaschen herauszuholen. Sie hatte gerade eben die Tragegurte über ihre Schulter gelegt, als Liam in seinem Zimmer vor Angst zu schreien begann. Panik überkam sie, als sie durch den Flur in Richtung Wohnzimmer lief. Doch so sehr sie sich auch beeilte, sie kam zu spät. Kaum hatte sie das Wohnzimmer betreten, wurde sie gepackt und festgehalten, was so schnell geschah, dass ihr Angreifer nur ein Vampir sein konnte. Die Art, wie er sie scheinbar mühelos festhielt, sprach zudem für die überlegene Kraft eines Vampirs. Dann kam ein zweiter Mann aus dem Schlafzimmer, er hielt Liam fest, der schlaff in seinen Armen hing. In seinen Augen loderte ein goldenes Feuer.

»Warum hast du sie nicht einfach kontrolliert?«, fragte dieser Mann, als er sah, wie sehr Allie sich gegen ihren Angreifer zu wehren versuchte.

»Ich mag es, wenn sie Widerstand leisten«, antwortete der erste Mann und lachte auf. Doch gleich darauf verkrampfte er sich, und dann drang nur noch ein Röcheln aus seiner Kehle. Davon bekam Allie jedoch genauso wenig mit wie von der Tatsache, dass sie sich auf einmal wieder bewegen konnte. Dafür hing ihr Blick viel zu gebannt an einem weiteren Mann, der wie aus dem Nichts hinter Liams Kidnapper aufgetaucht war und ihn in einen Würgegriff nahm. Prompt ließ er Liam fallen, um sich seinem eigenen Angreifer zu stellen.

»Liam!« Allie machte einen Satz auf den Jungen zu, der verwirrt dreinschaute, aber unverletzt zu sein schien. Hastig zog sie ihn an sich, damit er nicht zwischen die zwei Kämpfenden geriet, und lief mit ihm um die beiden anderen Männer herum, von denen einer sie eben noch in seiner Gewalt gehabt hatte.

Allie erkannte in den zwei Männern jene »Detectives« wieder, die sich im Krankenhaus mit den Polizisten unterhalten hatten. Was das alles zu bedeuten hatte, war ihr allerdings schleierhaft. In der Notaufnahme war sie davon ausgegangen, dass sie zu der Gruppe von Vampiren gehörten, die auf sie und Liam Jagd machte. Aber wenn das der Fall wäre, warum hätten sie dann soeben zwei von ihren eigenen Leuten attackieren sollen? Und wie viele von diesen verdammten Vampiren gab es überhaupt? Allie hatte angenommen oder besser gesagt gehofft, dass nur eine solche Gruppe existierte, die von dem Vampir angeführt wurde, der Stella und alle seine Untergebenen gewandelt hatte. Aber das war offensichtlich nicht der Fall. Das Problem war jedoch, dass sie keine Ahnung hatte, was denn nun Sache war. Allerdings hatte sie auch nicht vor, erst noch einen der Anwesenden zu fragen. Ihre Hauptsorge galt Liam, den sie aus dem Haus schaffen und in Sicherheit bringen musste.

Sie hielt die Hand des Jungen fest umschlossen, als sie mit ihm das Apartment verließ und mit ihm durch den Korridor lief, so schnell sie konnte. Wenn sie bei Kräften war, konnte Liam sie schon mühelos in Grund und Boden rennen. So kraftlos, wie sie sich in der letzten Zeit fühlte, und mit den zwei Reisetaschen beladen konnte sie nur versuchen, ihn daran zu hindern, ihr einfach davonzulaufen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als so schnell zu laufen, wie sie eben konnte.

Allie bog mit dem Jungen um die Ecke in Richtung Foyer, als sie erneut von hinten gepackt und zurückgezogen wurde, bis sie wieder in dem Flur stand, den sie eben verlassen hatte. Diesmal hatte ihr Angreifer einen Arm um ihre Taille gelegt, doch jetzt wurde sie wesentlich sanfter festgehalten. Mit der Hand des anderen Arms hielt er ihr den Mund zu. Obwohl es kein brutaler Griff war, geriet Allie erneut so sehr in Panik, dass sie fast nicht mitbekam, wie der Mann ihr zuflüsterte: »Deren Freunde sind da draußen unterwegs. Sieh nur.«

Sie zwinkerte, während seine Worte zu ihr durchdrangen. Sie schaute um die Ecke und wunderte sich vor allem, dass er ihr so viel Bewegungsfreiheit ließ. Wortlos sah sie mit an, wie drei Wagen vor dem Haus vorfuhren. Männer stiegen aus, von denen einige langhaarig waren, die aber alle gleichermaßen schmierig aussahen, ganz so wie die Männer, die eben in ihrem Apartment über sie und Liam hergefallen waren. Ihr entging auch nicht, dass bei ihnen allen die Augen leuchteten wie bei einer Katze, wenn sie das Licht reflektierten.

»Gibt es hier einen Hinterausgang?«

Allie wandte sich von den Männern ab, die zur Haustür gelaufen kamen. Der Mann, der sie gegen seine Brust gedrückt hielt, drehte sich mit ihr zu seinem Kollegen um, der offenbar diese Frage gestellt hatte. Der Mann in der schwarzen Jeans hielt Liam eher so auf Hüfthöhe, als wäre er dessen netter Onkel und nicht etwa sein Kidnapper. Er hatte den Arm um ihn gelegt, doch das schien lediglich dem Zweck zu dienen, ihm Halt zu geben, und nicht, um ihn an einer Flucht zu hindern.

Dennoch wusste Allie nicht, was sie davon halten sollte. Soweit sie wusste, waren alle Vampire von Natur aus schlecht. Na ja, Liam ausgenommen, und seine Mom war letztlich auch eine nette Frau gewesen.

»Ich bin Tybo, der Typ hinter dir ist Magnus«, erklärte der Vampir, der Liam im Arm hielt. »Wir sind die Guten. Wir jagen Abtrünnige von der Art, wie sie eben in deinem Apartment aufgekreuzt sind. Und die sich da draußen zusammenrotten. Allerdings sind es zu viele, als dass wir uns mit ihnen anlegen könnten. Darum müssen wir so schnell und so leise wie möglich von hier verschwinden. Und am besten auch noch so, dass uns niemand dabei beobachten kann. Gibt es hier einen Hinterausgang?«

Allie zögerte, da sie nicht wusste, ob sie diesen beiden Vampiren glauben und vertrauen sollte. Aber sie hatten sie vor den zwei Angreifern in ihrem Apartment gerettet, und sie schienen nun dafür sorgen zu wollen, dass sie und Liam vor den Typen in Sicherheit gebracht wurden, die vermutlich in diesem Moment versuchten, ins Haus zu gelangen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich für das mutmaßlich kleinere Übel zu entscheiden. Sie zeigte in die Richtung, aus der sie gekommen waren, und schon in der nächsten Sekunde wurde sie von dem Mann, der Magnus heißen musste, hochgehoben und davongetragen.

Es kam ihr vor, als würden sie durch den Korridor fliegen. Eigentlich wollte Allie dagegen protestieren, dass sie wie ein Kind getragen wurde, doch sie wusste, dass sie mit diesem Tempo niemals hätte mithalten können. Also zwang sie sich, es so gelassen und reglos wie möglich über sich ergehen zu lassen, dass sie von Magnus getragen wurde, dem »Detective« im schwarzen Anzug und langen Mantel. Der übrigens verdammt gut roch, wie sie zugeben musste. Natürlich hatte sie prompt ein schlechtes Gefühl, weil ihr das überhaupt aufgefallen war.

Sie waren fast am Ende des Korridors angelangt, als Allie hörte, wie irgendwo hinter ihnen Glas zerschlagen wurde. Tybo drückte die Tür des Notausgangs auf und trug den Jungen nach draußen. Magnus war ihm mit ihr zusammen so schnell gefolgt, dass die Tür noch nicht mal ansatzweise begonnen hatte zuzufallen.

»Unbemerkt werden wir nicht zum SUV zurückkommen«, bemerkte Tybo im Flüsterton, als er stehen blieb und den kurzen gepflasterten Weg betrachtete, auf dem sie sich nun befanden. Der diente nur der Müllabfuhr, die auf diesem Weg die Abfallcontainer aus dem Haus holte. Ansonsten war diese Zufahrt genauso verwaist, wie es jetzt auch der Fall war. Auf der gegenüberliegenden Seite verlief ein hoher Zaun, der dieses Grundstück von dem nebenan gelegenen Geschäftszentrum abtrennte.

»Über den Zaun«, entschied Magnus. Verwundert sah Allie mit an, wie der Mann, der Liam trug, daraufhin genau das in die Tat umsetzte. Er nahm zwei Schritte Anlauf und sprang über den zweieinhalb Meter hohen Zaun, als wäre er Superman, der ausnahmsweise ohne sein Cape unterwegs war. Er war gerade hinter dem Zaun verschwunden, da nahm auch Magnus Anlauf.

Allie krallte sich in seine Schulter und kniff die Augen zu, dann schickte sie ein Stoßgebet zum Himmel, als sie spürte, wie sie sich in die Lüfte erhoben. Sie rührte sich nicht, bis sie hinter dem Zaun gelandet waren. Der Aufprall auf dem Boden war wie ein Schlag, der von Magnus auf sie übersprang und durch ihren ganzen Körper fuhr. Als Magnus dann weiterlief, machte sie die Augen wieder auf.

Sie befanden sich in der Gasse, von der aus die Geschäfte auf dem Platz beliefert wurden. Die beiden »Detectives« rannten mit ihnen die Gasse entlang, wobei Allie annahm, dass sie am Ende derselben um die Ecke biegen würden, um auf den Platz mit seinen Geschäften und Lokalen zu gelangen. Bestimmt würden sie mit ihr in einem der Restaurants Zuflucht suchen, denn in der Öffentlichkeit würden die Vampire sich nicht an sie heranwagen. Doch dann betraten sie durch die Hintertür das letzte Ladenlokal in der Gasse, bei dem es sich um eine Pizzeria zu handeln schien. So genau konnte sie das Schild nicht lesen. Da sie nie Geld übrig gehabt hatte, um sich Fastfood leisten zu können, hatte sie auch nie Wert darauf gelegt zu wissen, wie die Pizzeria gleich nebenan hieß. Die beiden Männer wiederum liefen so schnell, dass sie um sich herum kaum etwas außer verwischten Konturen wahrnahm. Warme Luft schlug ihnen entgegen, als sie den Laden betraten.

»Ich werde uns einen Wagen beschaffen«, ließ Tybo sie wissen.

Magnus reagierte nur mit einem kurzen Brummen, was vermutlich Zustimmung bedeutete. Dann ging Tybo mit Liam auf dem Arm weiter durch den langen Gang, dem Stimmengewirr und dem Lärm und den Gerüchen aus der Küche entgegen.

»Der Junge ist bei Tybo gut aufgehoben.«

Allie wandte den Blick von dem anderen Mann ab und sah zu Magnus, drehte den Kopf jedoch gleich wieder zur Seite. Sie war einfach zu nah an seinem Gesicht, sodass sein Atem über ihre Lippen und Wangen strich, wenn sie ihn anschaute.

»Du kannst mich jetzt runterlassen«, ließ sie ihn wissen, was er nach kurzem Zögern dann auch tatsächlich machte. »Danke.« Sie gab sich Mühe, sich nicht die Erleichterung anmerken zu lassen, die sie in Wahrheit empfand.

»Gern geschehen.«

Allie sah ihn aus dem Augenwinkel an, drehte sich dann aber zu Tybo um, der am Eingang zur Küche mit einem Mann redete, der eine Schürze umgebunden hatte. Nervös sah sie zu Liam, der seine Arme um Tybos Hals geschlungen hatte, als wäre es das Natürlichste auf der Welt, von ihm gehalten zu werden. Allie machte dieser Anblick stutzig, da der Junge normalerweise bei Fremden auf Abstand blieb. Allerdings kam er ja ohnehin kaum mit anderen Leuten in Kontakt. Auf einmal begannen die Trageriemen der beiden Reisetaschen von ihrer Schulter zu rutschen, und Allie musste sie erst wieder ein Stück weit hochziehen, damit sie Halt fanden.

»Kann ich dir die Taschen abnehmen?«

Als sie sah, dass Magnus bereits nach diesen greifen wollte, machte sie prompt einen Schritt nach hinten und schob seine Hand zur Seite. »Nein.«

Er sah sie verdutzt an, ließ die Sache aber auf sich beruhen und fragte stattdessen: »Wer waren die Männer in deinem Apartment?«

Die Frage konnte bei ihr nur Erstaunen auslösen. »Das solltest du mir eigentlich sagen können. Schließlich waren das Vampire, so wie du auch einer bist.«

Aus einem unerfindlichen Grund richtete er sich kerzengerade auf wie ein Soldat in Habachthaltung. Als er dann zu einer Antwort ansetzte, hatte sein Tonfall fast etwas Beleidigtes an sich. »Ich bin ein Unsterblicher, kein Vampir. Und diese Männer, denen wir in die Quere gekommen sind, haben mit mir und Tybo rein gar nichts gemeinsam, da es sich bei ihnen zweifellos um Abtrünnige handelt.«

Allie konnte mit seiner Erklärung so wenig anfangen, dass sie nachfragen wollte, doch in dem Moment kam Tybo mit Liam zu ihnen.

»Es wird Zeit, dass wir gehen«, verkündete der Mann. »Wir fahren mit einem der Pizzaboten mit. Er fährt gleich vor, also hier entlang.«

»Augenblick mal«, ging Allie dazwischen, eilte hinter dem Mann her, zog an seinem Arm und holte Liam zu sich zurück. »Danke, dass ihr mir geholfen habt, aber wir werden mit euch nirgendwo hinfahren. Liam und ich, wir …«

»… ihr werdet ohne uns da draußen keine zehn Minuten mehr zu leben haben«, unterbrach Magnus sie nachdrücklich. »Wir sind eure einzige Hoffnung, Allie. Tybo und ich, wir können dich zu einem sicheren Ort bringen, wo ihr geschützt seid, während wir herausfinden, was hier eigentlich los ist und wie wir das aus der Welt schaffen können.«

»Und das soll ich einfach so glauben?« Sie sah die beiden mit finsterer Miene an. »Ich kenne euch kein bisschen besser als diese beiden Männer, die in mein Apartment eingedrungen sind.«

»Magnus«, sagte Tybo leise. »Wir haben dafür keine Zeit. Ich hoffe zwar, dass diese Männer erst das ganze Haus auf den Kopf stellen. Aber es sind so viele, dass sie ein paar für das Haus abstellen können, während der Rest die Umgebung absuchen kann. Wir müssen los.«

Allie sah Tybo argwöhnisch an. Seine Worte klangen so, als würde er den anderen Mann für irgendwas um Erlaubnis bitten. Sie war sich sicher, mit ihrer Vermutung richtig zu liegen, als Magnus knapp und sichtlich widerwillig nickte. Als Tybo sich im nächsten Moment zu ihr umdrehte und sie äußerst konzentriert ansah, musste sie mit einem Mal feststellen, dass sie kehrtmachte und mit Liam im Arm nach vorn ins Restaurant ging. Es war nicht das, was sie eigentlich tun wollte, und genaugenommen hätte sie panisch und entsetzt darauf reagieren müssen, dass sie etwas tat, was ihrem Willen widersprach. Seltsamerweise jedoch war sie die Ruhe selbst und ließ das Ganze gar nicht auf sich wirken.

Es kam ihr fast so vor, als hätte man sie unter Drogen gesetzt, doch selbst dieser Gedanke versetzte sie nicht in Aufregung, was irgendwie auch nicht richtig zu sein schien. Es fühlte sich eher so an, als ob alle Ängste und Sorgen hinter einem Schleier verborgen wären, sodass sie keine Verbindung zu ihnen herstellen konnte. Stattdessen war sie von Ruhe und Ausgeglichenheit durchdrungen. Was immer auch der Grund für dieses Ausbleiben einer angemessenen Reaktion sein mochte, blieb ihr verborgen. Stattdessen trug sie Liam durch die Küche und dann durch das Lokal mit dem weißen Boden und den orangefarbenen Plastikstühlen, bis sie vor dem Restaurant angekommen war, wo der Wagen bereits auf sie wartete. Sie setzte sich auf die Rückbank und rutschte durch, bis sie neben einem ganzen Stapel Isoliertaschen saß. Sie drehte Liam so, dass er bequem auf ihrem Schoß sitzen konnte, dann zwängte sich Magnus auf das schmale noch verbliebene Stück Sitzbank, während Tybo auf dem Beifahrersitz Platz nahm.

Allie bekam mit, dass Tybo ein Telefon aus der Tasche zog und mit jemandem namens Mortimer redete, aber ihre Aufmerksamkeit galt in erster Linie dem Parkplatz, den sie wachsam nach den Leuten absuchte, die aus dem vor dem Wohnhaus geparkten Wagen ausgestiegen waren. Erleichtert stellte sie fest, dass keiner von ihnen zu sehen war, als sie den Parkplatz verließen und auf die Straße einbogen.

»Mortimer erwartet uns. Sam bereitet schon für Allie und Liam ein Zimmer vor und auch eines für dich, Magnus«, erklärte Tybo.

Magnus wandte den Blick von Allie ab und sah den jüngeren Unsterblichen an, der soeben sein Handy einsteckte. Tybo hatte sich auf dem Beifahrersitz so zur Seite gedreht, dass er mit Magnus reden konnte. »Und er schickt Leute los«, fuhr er fort, »um die Abtrünnigen im Apartment festzusetzen, sofern die noch da sind. Falls nicht, werden sie nur aufräumen und in Erfahrung bringen, ob es eine Kamera gibt, die den Eingangsbereich überwacht. Bei der Gelegenheit holen sie dann auch unseren SUV ab.«

»M-hm«, machte Magnus und wandte sich wieder zu Allie und Liam um, der zusammengerollt auf Allies Schoß lag, den Kopf an ihre Brust gelehnt. Allie selbst war ebenfalls eingeschlafen und gegen den Stapel Isoliertaschen gesunken. Während der Junge vermutlich vor Übermüdung schlief, war Magnus sich ziemlich sicher, dass Tybo für Allies Zustand verantwortlich war. Keine Frau würde in einer solchen Situation schlafen können, fand er.

»Sie ist extrem blass«, merkte Tybo an.

Magnus nickte und betrachtete die klassisch geschnittenen Gesichtszüge und die fahle Haut. Die Augen hatte sie jetzt geschlossen, aber er wusste, sie waren nussbraun. Das war ihm zuvor aufgefallen. Die hellbraunen Haare trug sie lang, und auch wenn die meisten Männer sie wohl als ganz hübsch bezeichnet hätten, war sie für ihn die schönste Frau auf Erden. Seine Lebensgefährtin, ging es ihm durch den Kopf. »Den Polizisten zufolge war sie hingefallen und hatte sich den Kopf angeschlagen.«

»Sie ist nicht hingefallen«, entgegnete Tybo mit ernster Miene. »Sie ist ohnmächtig geworden … wegen Blutmangels.«

Magnus sah ihn verständnislos an. »Was?«

»Sie füttert den Jungen seit gut vier Jahren mit ihrem eigenen Blut durch«, erklärte er, während sein Blick auf ihr Gesicht gerichtet war, da er Stück für Stück die Informationen zusammensuchte, die er brauchte. »Sie hat aus Verzweiflung die Blutbank ausrauben wollen, weil es sie allmählich all ihrer Kräfte beraubt, den Jungen mit ihrem Blut zu ernähren. Das weiß sie auch. Deshalb hatte sie gehofft, für ihn die Blutkonserven mitgehen zu lassen, damit ihr Körper Zeit bekommt, sich zu regenerieren. Dass sie dort angestellt ist, hätte den Diebstahl eigentlich erleichtern sollen.«

Magnus schaute wieder zu Allie hin und wünschte, er könnte ihre Gedanken lesen, damit Tybo das nicht machen musste. Es gefiel ihm nicht, dass der andere Mann so in ihrem Kopf herumstocherte.

»Bedauerlicherweise«, redete Tybo weiter, »ist sie bei der Ausführung dieses Plans ohnmächtig geworden, hat sich den Kopf angeschlagen und so noch mehr von ihrem kostbaren Blut verloren.« Tybo seufzte frustriert. »Jetzt dürfte sie vermutlich selbst eine Bluttransfusion dringend nötig haben. Sie ist sehr schwach, Magnus. Sogar im Schlaf ist ihre Herzfrequenz zu hoch, und ihr Atem geht flach und schnell.«

Magnus zog angesichts dieser Neuigkeiten die Augenbrauen zusammen und strich Allie eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich selbstständig gemacht hatte. »Ein Kind mit Blut zu versorgen, das noch so klein ist wie Liam, sollte ihrer Gesundheit eigentlich keinen Schaden zufügen.«

»Richtig«, stimmte Tybo ihm zu. Er schwieg einen Moment lang, dann sagte er: »Ich nehme an, sie hat ihm zu viel Blut gegeben.«

Magnus stöhnte leise. Zu viel Blut zu geben bedeutete für den Körper des Jungen, dass der eine große Menge Blut darauf verwandte, das überschüssige Blut aus dem Kreislauf zu schaffen, was wiederum den Bedarf an Blut steigerte. Es war ein Teufelskreis, da der Junge in diesem Fall ständig Hunger hatte und dauernd noch mehr Blut benötigte. Dummerweise waren das Mengen, die ein Sterblicher nicht abgeben konnte, ohne selbst Schaden zu nehmen. Hätte sie noch eine Weile so weitergemacht, wäre das ihr sicherer Tod gewesen. Sie konnte ohnehin von Glück sagen, dass sie nicht längst an einem Herzinfarkt oder an Blutarmut gestorben war.

»Wer ist der Junge überhaupt?«, wollte Magnus wissen. »Wie kann sie die Mutter eines Unsterblichen sein?«

Tybo schwieg so lange, dass Magnus sich schließlich wieder zu ihm umdrehte. Der jüngere Mann saß auf das Äußerste konzentriert da und suchte in ihrem Kopf nach einer Antwort auf diese Frage. Schließlich murmelte er: »Stella.«

»Ich …« Tybo zwinkerte ein paarmal und rieb sich mit den Fingern über die Stirn, als wolle er einem Kopfschmerz entgegenwirken. »Ihre Gedanken sind sehr verworren und fast schon verschleiert. Es kommt mir so vor, als wäre sie so sehr daran gewöhnt, nicht über diese Dinge nachzudenken, dass es ihr sogar gelingt, im Schlaf ihre Erinnerungen abzuschirmen. Mehr als den Namen Stella konnte ich nicht aus ihr rauskriegen.«

»Blutverlust kann auch zu Verwirrung führen«, meinte Magnus nachdenklich und sah Allie an. Er wünschte, sie wäre wach, um all diese Fragen beantworten zu können. Aber er wusste, es war besser, wenn sie schlief, bis sie an ihrem Ziel angekommen waren. In wachem Zustand würde sie sich vermutlich mit aller Kraft dagegen wehren, mit ihnen zum Haus der Vollstrecker zu fahren. Es war sinnvoller, sie erst dorthin zu bringen, ihr klarzumachen, dass sie dort in Sicherheit war, und dann die Fragen zu stellen, die ihm unablässig durch den Kopf gingen.

3

Allie fühlte sich völlig erschöpft, als sie aufwachte. Aber seit einer Weile war das zum Normalzustand geworden. Sie konnte schlafen, so viel sie wollte, es war einfach nie genug. Ständig war sie müde und abgekämpft. Dass es daran lag, dass sie zu wenig Blut in ihrem Körper hatte, war ihr klar. Liam benötigte mehr, als ihr Körper aus eigener Kraft produzieren konnte. Darum hatte sie sich auch zu dem eigentlich niederträchtigen Entschluss verleiten lassen, die Blutbank auszurauben. Blutbanken hatten immer mit zu geringen Beständen und zu hoher Nachfrage zu kämpfen, daher fühlte sie sich auch so mies, dass sie überhaupt in Erwägung gezogen hatte, sich bei den Blutkonserven bedienen zu wollen. Aber Liam brauchte nun mal das Blut, und sie konnte es ihm nicht geben. Sie war ja sogar bereit zu sterben, wenn das bedeutete, dass der Junge leben würde. Aber dann wäre er ganz allein in einer Welt, in der niemand Vampire mochte. Sie war davon überzeugt, dass man ihn töten würde, zumindest aber würde man ihn einsperren, ihn untersuchen und Experimente mit ihm durchführen, die ihm das Leben zur Hölle machen würden.

Diese Gedanken veranlassten Allie dazu, sich im Bett aufzusetzen und zur Seite zu drehen. Sie musste aufstehen und nach Liam sehen, damit …

Allies Überlegungen waren wie weggewischt, stattdessen war sie in höchste Alarmbereitschaft versetzt, da ihr mit einem Mal bewusst wurde, dass das nicht ihr Bett in dem Apartment war, das sie seit vier Monaten bewohnte. Sie schaute sich in dem in kühlem Blau gehaltenen Raum um, der in helles Sonnenlicht getaucht war. Dann kehrte die Erinnerung zurück. Sie wusste wieder alles, was sich bis zu dem Moment ereignet hatte, als sie aus der Pizzeria gekommen und in das Pizza-Taxi eingestiegen waren. Das musste so gegen ein Uhr in der Nacht gewesen sein.

Für die Zeit danach war ihr Gedächtnis leer …

Vermutlich war sie wieder ohnmächtig geworden, das war die naheliegende Erklärung. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass sie aus Blutmangel das Bewusstsein verloren hatte. Auf der anderen Seite war sie davon überzeugt, dass sie auf keinen Fall eingeschlafen sein konnte. Das hätte sie angesichts der Umstände auch gar nicht gekonnt. Vor Vampiren zu fliehen und von anderen Vampiren unterstützt zu werden war keineswegs eine Situation, in der sie Schlaf hätte finden können. Überhaupt war nichts gut daran, sich in der Gesellschaft von Vampiren zu befinden. Soweit Allie das beurteilen konnte, waren alle Vampire schlecht, allerdings wäre sie nie auf die Idee gekommen, dass es verschiedene Gruppierungen geben könnte. Diese für sie neue Erkenntnis war sehr beunruhigend – vor allem im Hinblick darauf, dass Liam nicht mehr bei ihr war.

Sie presste die Lippen zusammen und wollte aufstehen, musste sich aber gleich wieder auf die Bettkante setzen, da sich das Zimmer sofort um sie herum zu drehen begann. Verdammt, diese Schwäche war ein verfluchtes Handicap. Vor allem jetzt, wo sie sich auf die Suche nach Liam machen und herausfinden wollte, wohin es sie verschlagen hatte. Solange sie das nicht wusste, konnte sie sich nicht überlegen, wie sie vorgehen sollte. Dann fiel ihr auf, dass die beiden Reisetaschen neben dem Bett standen.

Sie schob den Fuß unter den Tragegurt der größeren Tasche, um sie zu sich heranzuziehen. Dann beugte sie sich vor, damit sie die Tasche aufs Bett hieven konnte. Das erwies sich als unglaublich schwer, aber Allie wusste, dass es mehr mit ihrer körperlichen Verfassung zu tun hatte als mit dem tatsächlichen Gewicht. Missmutig verzog sie den Mund angesichts dieser Erkenntnis, vor allem, weil sie früher immer gut in Form gewesen war. Allie war Mitglied in einem Fitnessclub gewesen, sie hatte einen persönlichen Trainer gehabt, der eigens für sie Übungen zusammengestellt hatte, zu denen auch Gewichtheben gehörte. Sie war mal stark und drahtig gewesen. Heute hingegen war sie klapprig und schwach, und das gefiel ihr gar nicht. Sie musste wieder zu Kräften kommen. Das Problem war nur, dass sie dazu nicht in der Lage sein würde, solange sie keine andere Lösung gefunden hatte, Liam zu ernähren, ohne dafür ihren letzten Tropfen Blut zu geben.

Sie verdrängte diese Überlegungen für den Moment, machte den Reißverschluss der Seitentasche auf und holte die Flasche Haarspray und das Feuerzeug heraus. Letzteres steckte sie in die Hosentasche ihrer schwarzen Jeans, während das Haarspray in den weiten Ärmeln ihrer schwarzen Bluse Platz fand. Dann stellte sie die Tasche zurück auf den Boden, atmete tief durch und erhob sich langsam von der Bettkante.

Zu ihrer großen Erleichterung begann sich das Zimmer diesmal nicht zu drehen, dennoch wartete sie noch einen Moment lang ab und atmete ein paarmal tief durch, ehe sie zu der Tür ging, von der sie annahm, dass sie aus dem Zimmer hinausführte.

Sie hatte richtig gelegen mit ihrer Vermutung, und so gelangte sie in einen langen Flur, der in einem warmen Beigeton gestrichen war. Es war ein verdammt langer Flur, wie Allie feststellen musste, als sie die Tür hinter sich zuzog. Jedenfalls kam er ihr in ihrem geschwächten Zustand so vor, da es ein weiter Weg bis hin zu dem Geländer war, von dem sie annahm, dass es zu der nach unten führenden Treppe gehörte. Oh ja, es fühlte sich wirklich so an, als müsste sie meilenweit laufen, um dort anzukommen.