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Mann als Frau als Mann? Frau als Mann als Frau? Lustvoll analysiert Barbara Vinken Mode als das Spiel zwischen Geschlechtern und Identitäten. Ziehen wir uns als Frau, als Mann an? Drücken wir in unseren Kleidern nur uns selbst aus oder immer auch eine Fülle von gesellschaftlichen Codes? Mode, so Barbara Vinken, ist immer zugleich eine Sprache, eine Konvention, der wir unterworfen sind, und ein Mittel, genau diese Konventionen zu durchkreuzen – sich dem Reiz des Ver-kleidens hinzugeben. Erst als Spiel zwischen den Geschlechtern, den Klassen und den Identitäten gelingt es der Mode, Gender als raffiniertes rhetorisches Gebilde vorzuführen. Und so ist, was in der Mode passiert, auch kein Verwischen von Gender, nicht Gender fluidity, sondern ein durchaus verunsicherndes, hartes Gegeneinander-Führen der Konstruktionen von "Weiblichkeit" und "Männlichkeit" - provokativ, witzig und geistreich.
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Seitenzahl: 88
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Barbara Vinken
Was wir tun,wenn wir uns anziehen
Aus der Reihe »UNRUHE BEWAHREN«
Residenz Verlag
Unruhe bewahren – Frühlingsvorlesung & Herbstvorlesung
Eine Veranstaltung der Akademie Graz in Kooperation mit dem Literaturhaus Graz und DIE PRESSE
Die Frühlingsvorlesung zum Thema »Ver-kleiden. Was wir tun, wenn wir uns anziehen« fand am 2. und 3. Juni 2022 im Literaturhaus Graz statt.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
www.residenzverlag.com
© 2022 Residenz Verlag GmbH
Wien – Salzburg
Alle Rechte, insbesondere das des auszugsweisen Abdrucks und das der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten.
Herausgegeben von Astrid Kury, Thomas Macho, Peter Strasser
Umschlaggestaltung: Kurt Dornig
Lektorat: Jessica Beer
ISBN e-Book: 978 3 7017 4691 0
ISBN Print: 978 3 7017 3570 9
Den Weberinnen vom Comer See gewidmet
Vorwort Familiengeschichten: Fußball und Glitzer-Tutu
I Vom Mut zur Nicht-Identität
II Mode und Verzweiflung
Dank
Bildnachweis
Bibliographie
Ich bin als die Älteste von fünf Kindern aufgewachsen. Unser Vater schnitt uns die Haare – Mecki für die Jungen, kurz für die Mädchen, ein echter Bubikopf. Natürlich trugen wir oft Hosen. Gar nicht selten bin ich für einen Jungen gehalten worden, und nichts war mir unangenehmer, ja peinlicher. Wenn ich eins nicht sein wollte, dann ein Junge. Am Sonntag spielte die ganze Familie Fußball, und obwohl ich ein brachialer Torschütze war, habe ich auch das nicht wirklich gern gemocht.
Bis zum 15., 16. Lebensjahr war ich von dem Verdacht verfolgt, für einen Jungen gehalten zu werden. Geträumt habe ich von einem rosa Glitzer-Tutu, das ich nie bekam. Nichts lieber wollte ich sein als ein Mädchen. Das ist mir später leidlich durch die Unterstützung einer Tante gelungen. Sie hat uns drei Mädchen nicht nur Kleider und kurze, weit schwingende Röcke genäht, sondern uns auch mit Hilfe der riesigen Schminkprobekästen aus der Drogerie der Großeltern in die Geheimnisse des Make-ups eingeführt. Da gab es alles, was ein Mädchen zu einem Mädchen machte. Mit dem ganzen »Gedöns« hatte meine Mutter, die vielbeschäftigt war und es, blond und vollbusig, auch nicht brauchte, nichts am Hut. Immerhin lackierte sie sich im Sommer zur Badesaison die Fußnägel – zu meinem vollendeten Glück knallpink. Stundenlang habe ich meiner Tante zugesehen, wenn sie sich »zurechtmachte«. Einigermaßen habe ich es dann geschafft, als Mädchen wahrgenommen zu werden, und heute gehe ich problemlos als Frau durch. Darüber freue ich mich jeden Tag.
Das rosa Tutu, tröstete ich mich, könnte ich meiner Tochter schenken. Doch dann bekam ich einen Sohn. Bei meinen Nichten wäre das Tutu ganz schlecht angekommen; die haben nämlich sehr emanzipierte Eltern, die mit dem ganzen Weiblichkeitsgetue auch nichts am Hut haben. Und so habe ich das Tutu meinem angeheirateten Enkel geschenkt, der zwar biologisch männlich, aber eigentlich ein Mädchen ist. Sie liebt dieses dunkle Objekt unseres Begehrens.
Leute von Welt sind heutzutage pansexuell, nicht binär oder genderfluid. So wie Virginia Woolfs Orlando, Mozarts Cherubino, Chanels garçonne. Oder David Bowie. Sie alle waren gleichzeitig erotische Ikonen, deren Reiz im Oszillieren zwischen weiblich und männlich, im Schillern zwischen Kind und Mann, Kind und Frau liegt. Die reizende, vielleicht genderfluide, sicher nicht genderneutrale Zwischenlage dieser Personen wurde durch Kleider, Körpersprache und Haltung, durch Kosmetik und Körperbehandlung unterstützt. Alles eine Frage des Fashioning: Die garçonne hat Hosen und vielleicht sogar die Hosen an. Sie trägt das Kleidungsstück, das zum Synonym für »männlich« wurde. Cherubino schwelgt als damerino in Schleifen, Rüschen und Röcken, dem Pars pro Toto für Weiblichkeit. Die Sprache hat dafür immer schon neue Formen erfunden: in der garçonne als weiblicher Form von etwas jungem Männlichem, dem Jungen, im damerino als männlicher Verkleinerung von etwas Weiblichem, der Dame.
Ein Blick in die Vogue, ein Umsehen an den Universitäten der Großstädte setzt schnell ins Bild: Gender-Fluidity is it. Unter fast jeder Zoom-Kachel stehen zusätzlich zum Namen die Pronomina, mit denen die Person angesprochen werden möchte: elle/iel/il/they. Aber mit dem Ankommen des Nichtbinären im angesagten Mainstream scheinen Heiterkeit und Ironie gewichen; es mag Covid gewesen sein, das den Ernst der Lage auch hier, auf dem Feld der Genderidentität verschärft hat. Die Kämpfe um die Geschlechterdifferenz toben mit einer weniger theoretisch – das war einmal – als emotional aufgeladenen Intensität, wie sie nur noch Kriege oder Klimakatastrophen hervorrufen. Gender Trouble ist da eine Untertreibung geworden.
Hinter der erhofften Überwindung der Binarität steht das Versprechen einer Befreiung aus dem Eingesperrtseins in einer »zwangs-heterosexuellen« Matrix, des Ausbruchs aus Zwängen. Sich »selbst« in grenzenloser Freiheit auszudrücken, keiner Norm gehorchen zu müssen oder, modetechnisch gesprochen, alle Korsette zu sprengen: Be whatever you want ist das verlockende Versprechen. Von Zurichtungen zu Weiblichkeit und Männlichkeit will man sich gleichermaßen befreien, um authentisch zu leben, nur man selbst zu sein. Dazu gehört, seine Liebesobjekte nicht konventionell, boy loves girl, sondern frei von den festgelegten, festgefahren klischierten Kategorien wie Gender zu wählen. »Er« ist mit weißem Rüschenhemd, weitem Hals-Dekolleté, schulterlangen blonden Locken und lackierten Fingernägeln ausgesprochen weiblich; »Sie« mit rasiertem Kopf und anthrazitgrauem, lässig auf der Hüfte sitzendem Hosenanzug jungenhaft. Die Differenz männlich/weiblich wird als einengend, willkürlich, unpassend empfunden.
LGBTIQ+ kommt mit dem Pathos der Befreiung zur Selbstbestimmung in einem klassisch emanzipatorischen Diskurs daher. Mit dem Ausbrechen aus allem Konventionellen, allem Schubladendenken, allen Stereotypen, allem gesellschaftlich Einengenden wird der Befreiungsdiskurs, so evident wie bewährt, bis an die Grenzen der sich individuell verstehenden und fühlenden Subjekte erweitert. Gegen alle tyrannische Unterdrückung ein Anderssein offen und ohne Scham bunt zu feiern sei es jetzt an der Zeit. Nichts ist öder, schwingt zwischen den Zeilen mit, als ein Cis-Mann, eine Cis-Frau zu sein (statt Trans-) und sich heterosexuell brav in die Genderrolle des bei der Geburt zugewiesenen Geschlechts zu fügen.
Oft, das ist ein bewährtes Moment aller Befreiungsbewegungen, kommt die Befreiung von den einengenden Konventionen militant daher und richtet sich ostentativ gegen alles, was sich schafsdumm, konformistisch ein- und anpasst. In diesem All-Inclusive wird das Recht, sich nicht einzupassen, manchmal mit einem gewissen Dogmatismus eingefordert und kunterbunt wird dabei sehr Unterschiedliches zusammengeworfen.
Wir haben es mit verschiedenen Phänomenen und Triebschicksalen zu tun. Auf der Seite der nichtbinären Personen findet man ein generelles Unbehagen gegenüber Klischees, den Stereotypen männlich/weiblich. Man äußert ein Anderssein, das sich befreien will und das durch Selbstdefinition tut, in Ich-bin-Sätzen: Ich bin pansexuell, nichtbinär. Diese Satzform hat bekennenden Charakter: Ich bin bi, schwul, lesbisch.
Auf der anderen Seite, der Seite des Transsexuellen, der Transfrauen und -männer, fühlt man sich im falschen Körper eingesperrt, ist man sich sicher, »in Wirklichkeit« ein anderes zu sein. Das »Geschlecht der Seele«, die Gewissheit, männlich oder weiblich zu sein, entspricht hier nicht dem biologischen Körper mit seinen primären und sekundären Merkmalen, nicht dem Leib, in dem man sich falsch fühlt. Das kann eine sehr schmerzhafte Erfahrung sein; oft wird der Weg zum »wirklichen« Geschlecht als Leidensweg beschrieben. Das »wirkliche« Geschlecht, das man idealerweise ist, wird dann oft kompensatorisch in extremen Genderstereotypen inszeniert: etwa am liebsten weiblich, weiblicher, am weiblichsten. Stichwort Lillifee, wenn man weiß, dass man eigentlich ein Mädchen ist und auf alles fliegt, was pink ist, also am liebsten auf das rosa Glitzer-Tutu.
Änderungen im Habitus sind mit im Spiel. Die Geheimsprache der Kleider, an denen Eingeweihte die sexuellen Vorlieben ihrer Gegenüber ablesen konnten, wie Marcel Proust sie zu Anfang des letzten Jahrhunderts beschrieb, war ja nicht nur der Intoleranz der Gesellschaft gegenüber Homosexuellen geschuldet, sondern hatte ihren eigenen Reiz. Wie denn überhaupt das Geheimnis, das man mit wenigen teilt, das Verstecken vor den Augen der Öffentlichkeit, nicht ausschließlich als eine schützende Notwendigkeit, sondern als ein eigener Wert, als in sich süß empfunden werden kann. Man kann es genießen, die anderen doppelsprachig täuschend an der Nase herumzuführen.
Das Brechen von Tabus, das Überschreiten von Verboten, das Geheime wird heute oft nicht mehr als reizvoll erfahren. Jedes Sein soll gleichberechtigt vor aller Augen zur Norm werden können. Das Coming-out wird als ein Akt des Mutes gefeiert: Man bekennt sich offen zu dem, was (man in) »Wirklichkeit« ist. Das Gegenteil davon ist nicht mehr das Geheimnis, sondern eine feige Lüge. Die Wirklichkeit ist keine des Widerstands mehr und leidet keine Widersprüche.
Stattdessen stößt man immer wieder auf den Begriff der Gender Identity. Identität, Authentizität, ganz und nur man »selbst« zu sein und dafür einen »Safe Space« einzufordern, scheint das deutliche Begehren dieser unterschiedlichen Identitäten zu sein. So vielfältig sie sind, verlangen sie dasselbe: Sicherung der angestrebten neuen Freiheit. Als könnte man ihr, ihrem unbekannten Wesen, nicht trauen, als traue man der neuen Identität nicht. Denn diese Wirklichkeit ist genau genommen die der Nicht-Identität und erfordert den Mut zum Nicht-identisch-Sein.
Hinter dem verbissen geführten Streit, ob man besser von einem »von Geburt an zugewiesenen Geschlecht« sprechen sollte (männlich oder weiblich, Junge oder Mädchen) oder nur von dem bei Geburt »festgestellten Geschlecht«, verbirgt sich ein Missverständnis, was »Sexus« eigentlich heißt bzw. was damit »eigentlich« benannt ist. Man sagt zu Recht, dass das Geschlecht »zugewiesen« wird, weil in der Zuweisung viel mehr passiert, als einen Menschen, der XX und eine Vulva hat, ein Mädchen zu nennen. Wenn wir sagen: »Es ist ein Mädchen«, sagen wir viel mehr als »Vulva« oder XX. Denn XX oder XY, Vulva oder Penis sagt – ganz abgesehen davon, dass die jeweiligen Körper einmal die primären und sekundären Merkmale des biologischen Geschlechts aufweisen