Verführte Wahrheit - Rainer Lutra - E-Book

Verführte Wahrheit E-Book

Rainer Lutra

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Beschreibung

Der Briefroman "Verführte Wahrheit" erzählt von einem 56-jährigen Mann, der seine Affäre in tagebuchartiger Selbstreflexionen dokumentiert hat. Wenn diese Form dazu verwendet wird, von einer "toxischen Liebesbeziehung" zu erzählen, wird die emotionale Wucht beinahe erdrückend, und genau das ist die Intention dieses Romans. Was zunächst wie eine romantische Verbindung voller Leidenschaft erscheint, entpuppte sich allmählich als ein Netz aus fürsorglicher Abhängigkeit, Euphorie, emotionalem Missbrauch und führte zum brutalen Schlussstrich. Die anfänglich beidseitigen Zuneigungen, schlug nach nur wenigen Monaten in eine eiskalte Zurückweisung durch die Partnerin um. Durch die unverblümte, oft schonungslos ehrliche Darstellung in den Einträgen wird der Leser zu einem stillen Beobachter. Zurück bleibt "verbrannte Erde" ohne Happy End.

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Seitenzahl: 158

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Briefroman eines 56-jährigen Mannes

Anmerkung des Autors

Dies ist kein gewöhnlicher Roman. Was Sie hier lesen, entspringt nicht der reinen Fantasie, sondern ist geprägt von Erlebnissen, die mein Leben für immer verändert haben. Die Seiten, die vor Ihnen liegen, sind durchzogen von Erinnerungen, die mich noch immer begleiten, auch nach all den Jahren. Es ist die Geschichte einer Beziehung, die es wirklich gab, und einer Liebe, die jenseits aller Grenzen wuchs: geographisch, sprachlich und emotional. Diese Beziehung spielte im Grenzgebiet zu einem unserer Nachbarländer, und ihre Existenz hat in meinem Herzen unauslöschliche Spuren hinterlassen.

Dieses Buch ist ein Versuch, die Zeit einzufangen und die Eindrücke zu Verarbeiten, die in Momenten großer Nähe und tiefen Empfindens entstanden sind. Die Geschehnisse sind real, genauso wie die Sehnsucht, die zwischen den Zeilen schwingt. Es ist eine Erzählung über eine Beziehung, die mein Leben prägte, und über eine Liebe, die nicht an Zeit oder Raum scheiterte, sondern an narzisstischer Kälte.

Manchmal habe ich mich gefragt, warum diese Erinnerungen so lebendig geblieben sind, warum sie nach so vielen Jahren immer wieder aufsteigen, als wären sie gerade erst geschehen. Vielleicht, weil wahre Gefühle niemals verblassen. Vielleicht, weil manche Menschen in unserem Leben mehr als nureine Rolle spielen, sie sind Kapitel, die unser Buch des Lebens bestimmen. Vermutlich auch vor Angst einer Wiederholung.

Meine in Worte gefassten Gedanken sind mehr als ein Tagebuch. Sie sind ein Dialog mit der Vergangenheit, ein Blick zurück, der nach vorn weist. Es mag persönlich sein, aber ich hoffe, dass es dennoch etwas in Ihnen, den Lesern, berühren kann. Denn am Ende sind es die universellen Themen – Liebe, Verlust, Erinnerung – die uns alle verbinden.

Möge dieser Roman nicht nur von der Frau erzählen, die ich einst, wenn auch zu kurz, liebte, sondern auch von der Kraft der Gefühle, die uns über Grenzen hinwegträgt.

Aus meinem Tagebuch

Kontaktanzeige

Der Brief

Nachtgedanken

Schmerzen

Die Lösung

Der Kurerfolg

Fotosession

Club Schiava

Vorweihnachtszeit

Gefesselt

Selbstreflexion

Spieglein, Spieglein…..

Club Schiava II

Chance

Ausbruch

Abschied

Ein verzweifelter Brief

War sie wirklich eine Narzisstin?

Epilog

Kontaktanzeige

Meine Sehnsucht war nicht mehr zu bändigen, eine Frau für eine Beziehung zu finden, notfalls für eine Affäre, hoffentlich für mehr. Mit diesen Gedanken gab ich online die Kontaktanzeige in der regionalen Samstagsausgabe auf:

Junggebliebener, dynamischer Er, 58, geschieden, sportlich, Golfspieler, mit klassischen Werten, sucht für eine reife Beziehung die unabhängige Frau für Kultur, Bildung, Reisen und prickelnde Erotik. [email protected]

Zuschriften unter OZ…….169

Wer wagt es, in einer Tageszeitung nach einer Frau für „prickelnde Erotik“ zu suchen? Mit dieser Frage hatte ich mich schon während des Schreibens meiner Anzeige beschäftigt. Aber genau darum ging es mir, ein wenig Mut zeigen, etwas wagen, statt auf die altmodischen „Ehewünsche“-Rubriken zu setzen, die mich in ihrer Langeweile fast zum Einschlafen brachten. Ich hatte zusätzlich zur Chiffre eine E-Mail-Adresse angegeben, um Frauen, die keine Zeit und Geduld für Chiffre-Antworten verschwenden wollten, eine schnelle Kontaktoption zu bieten. Die Idee, wochenlang auf eine Antwort zu warten, und dann das ewige Hin und Her mit Briefen, das passte nicht mehr für alle Frauen ins Heute. Ich wollte ebenso gerne direkte Kommunikation und glaubte fest, dass es Damen gibt, die ebenso denken.

Schon eine ganze Weile nach meiner Scheidung lebte ich ohne feste Beziehung, und ja, die Abende und Nächte hatten etwas Einsames. Aber was ich vermisste, war diese intensive, körperliche Verbindung, das Kribbeln, das Feuer. „Prickelnde Erotik“, so hatte ich es in meiner Anzeige formuliert. Und ich meinte es genauso, wie es da stand, und war voller Neugier, ob und wie darauf eine Frau reagieren würde.

Nur einen Tag nach der Veröffentlichung war sie da: die erste Antwort. Mein Herz schlug schneller, als ich eine E-Mail mit unbekannter Adresse öffnete. Sie hatte sich „Hallo Unbekannter“ als Anrede ausgesucht, neutral, aber nicht ohne eine gewisse Wärme. Ihre Worte waren höflich, fast formell, aber dazwischen spürte ich etwas, das mich elektrisierte. Sie schrieb, dass meine Anzeige sie neugierig gemacht hätte. Ich lächelte vor mich hin. Genau das wollte ich erreichen. Und doch fragte ich mich: Wie viel davon war echtes Interesse, und wie viel einfach nur der Reiz, den diese wenigen Wortein der Anzeige eventuell auslösten?

Als ich ihre Nachricht erneut las, fiel mir auf, dass sie sich selbst in einem Zwiespalt zu befinden schien. Sie hatte meine Anzeige gelesen, darüber nachgedacht, gezögert und dann doch auf „Senden“ gedrückt. Das gefiel mir. Es zeigte, dass sie mutig war, sich selbst treu blieb, aber auch nach etwas suchte, dasihr fehlte. Genau das machte sie interessant.

Ich überlegte nicht lange, bevor ich antwortete. Auch wollte ich sie nicht warten lassen, und ich hatte genug Lebenserfahrung, um zu wissen, dass man eine Gelegenheit beim Schopf packen musste. Meine Antwort fiel länger aus, als ich ursprünglich geplant hatte. Ich erzählte ein wenig von mir, ließ aber bewusst vieles offen. Geheimnisse hatten ihren Reiz, und ich wollte sie neugierig halten. Es ging mir nicht darum, sie gleich in ein Café oder Restaurant einzuladen. Nein, ich wollte, dass sie sich ein Bild von mir machte, ein Bild, das sie reizen würde, mehr zu erfahren.

Nachdem ich die E-Mail abgeschickt hatte, lehnte ich mich zurück und trank einen Cappuccino auf meiner Terrasse. Die Sonne sank langsam hinter dem Hügel, und ich fragte mich, was sie gerade tat. Vielleicht war sie wie ich allein in ihrer Wohnung, vielleicht ging sie auch einfach ihren Alltagspflichten nach, während meine Nachricht auf ihrem Laptop oder Smartphone wartete.

Ich wollte mir ihre Gedanken vorstellen: Ob sie mich wohl attraktiv fand? Ob sie glaubte, dass ich das war, was sie suchte? Und dann, das wurde mir plötzlich klar, war es nicht auch ein Risiko für mich? Würde sie eine Frau sein, die zu meinen Worten passte? Es gab keine Garantie, dass es klickte, dass Funken sprühten. Aber war das nicht auch der Reiz an der Sache? Und sie war ja nur die erste Frau, dieauf meine Anzeige antwortete.

Liebe Cynthia,

vielen Dank für Deine Nachricht. Es hat mich gefreut, zu lesen, dass meine Worte etwas in Dir bewegt haben, vielleicht Neugier, vielleicht ein leichtes Kribbeln? Mit diesem Gedanken schreibe ich Dir nun zurück.

Lass uns das „Du“ wagen. Es passt besser, wenn man sich darauf einlässt, einander näher zu kommen, vorsichtig und mit Respekt, natürlich. Und Respekt ist mir wichtig, in der Sprache ebenso wie in der Begegnung.

Lass mich mit etwas beginnen, das ich klarstellen möchte: Ich bin ein Mensch, der die Wahrheit schätzt, in Worten wie in Taten. Lügen und falsches Theater? Das habe ich hinter mir gelassen. Alles, was Du von mir hörst oder liest, ist aufrichtig.

Ich bin 56 Jahre alt, bald 57, und ja, ich habe eine winzige Zahl in der Anzeige verschleiert. Nicht, um Dich zu täuschen, sondern aus einem kleinen Schutz heraus. Du verstehst sicher, dass man manchmal mehr von sich preisgibt, als man zunächst will. Aber jetzt, da wir uns schreiben, möchte ich keine Geheimnisse vor Dir haben.

Ein paar Worte zu mir: Ich schätze Kultur, feinsinnige Gespräche und das Leben in all seinen Facetten. Ich liebe die leisen Momente, einen Spaziergang am Fluss, das Lächeln bei einer Tasse Cappuccino im Bett, genauso wie die intensiven Augenblicke. Für michbedeutet Nähe nicht nur Worte, sondern auch Gesten.

Die Frau, die ich suche, ist jemand, die Genuss ebenso liebt wie ich, sei es bei einem Konzert, einem Museumsbesuch oder einem Schaufensterbummel im Sommerregen. Sie ist jemand, die das Leben mit allen Sinnen erlebt, die sich in einem Kuss verlieren kann, während der Regen auf uns herabprasselt. Und ja, sie ist jemand, die keine Angst hat, Leidenschaft zuzulassen.

Für mich ist Erotik ein Tanz, bei dem Respekt nie verloren geht, sei es in einer Nachricht, einem Blick oder einem Berühren. Es ist das Spiel der Sinne, das uns einander näherbringt, manchmal verspielt, manchmal intensiv.

Ich koche übrigens leidenschaftlich gern, besonders in Gesellschaft. Ein Abend, an dem wir gemeinsam in der Küche stehen, uns beim Zubereiten des Essens necken und der bei Kerzenschein beginnt, aber keineswegs dort endet, gehört zu meinen Lieblingsfantasien. Am Montag bekomme ich eine neue Küche eingebaut, vielleicht ein passender Ort, um diese Vorstellung Realität werden zu lassen?

Cynthia, ich möchte ehrlich sein: Meine Hoffnung ist, dass aus einem kleinen Funken eine Flamme wird. Nicht nur für ein Abenteuer, sondern vielleicht für eine Verbindung, die mit einem leisen „Wir gehören zusammen“ ihren Anfang findet.

Doch bis dahin bleiben wir neugierig. Erzähle mir von Dir, von Deinen Träumen, Deinen Wünschen, von dem, was Du suchst. Ich möchte, dass „Ich“hinter mir lassen und herausfinden, ob es ein „Wir“ geben kann.

Ich freue mich, bald von Dir zu hören.

Liebe Grüße R.

PS. Wenn Du magst, können wir Fotos austauschen, müssen aber nichts überstürzen. Es ist der Mensch hinter den Bildern, der zählt.

Ihre Antwort, sie kam nur wenige Stunden später, haute mich fast um. Ich hatte ja gehofft, dass sie interessant wäre, vielleicht auch ein wenig neugierig auf mich, aber das hier? Das übertraf jede Erwartung.

Schon die ersten Zeilen fesselten mich. Sie schrieb offen, fast herausfordernd, und doch mit einer gewissen Eleganz, die mich beeindruckte. Ich konnte spüren, dass sie sich Mühe gegeben hatte, genau die richtige Mischung aus Lockerheit und Ernsthaftigkeit zu treffen. Es war, als wollte sie mir zeigen: Ich bin keine, die Du so leicht durchschauen kannst.

Sie erzählte mir von sich, von ihrem kleinen Ort, kaum 35 Kilometer von meinem entfernt. Ich musste schmunzeln. Die Welt ist doch klein, dachte ich. Und dann, wie aus dem Nichts,diese Wendung: „Halt, liebe Cynthia“, schrieb sie, fast so, als würde sie sich selbst in die Realität zurückrufen, „suchst Du wirklich einen Mann, der so nah wohnt, dass er plötzlich vor Deiner Haustür steht, wenn Du ihn loswerden willst?“

Ich lachte laut auf. Diese Frau war witzig, scharfsinnig, und sie hatte keine Scheu, ihre Gedankendirekt mit mir zu teilen, selbst die, die sie vielleicht besser hätte verschweigen sollen. Aber genau das machte sie so faszinierend.

Dann las ich, wie sie mit sich rang. „Ich wollte kurzen schnellen Sex“, schrieb sie, „mit Stil und Charme, ein Mann, der Niveau hat, auch im Bett.“ Diese Direktheit. Es war, als würde sie mir mit jedem Satz einen kleinen Einblick in ihre Gedankenwelt gewähren, während sie gleichzeitig dafür sorgte, dass ich mehr erfahren wollte.

Und dann ihre eingefügten Fotos. Als ich ihre Worte las, spürte ich, wie meine Neugier ins Unermessliche stieg. Sie erzählte von ihrem Urlaub auf den Malediven und den Fotos, die sie mir noch zusätzlich schicken wollte. Das Bild vom Strand, ihre langen Beine, auf die sie stolz ist, sie wusste genau, wie sie sich in Szene setzte. Und dann das Bild mit dem Frosch aus Stein, der zum Prinzen werden sollte. Sie beschrieb es so lebhaft, dass ich es fast vor mir sah: Ihr tief ausgeschnittenes Kleid, die Brüste, die kaum darin Platz fanden, und dieser Hauch von Selbstironie, der alles durchzog.

Sie hätte auch zwei „normale“ Schnappschüsse angehängt, schrieb sie. „Das Mädchen von nebenan“, nannte sie es, aber ich hatte das Gefühl, dass sie in Wahrheit alles andere war als das.

Und dann kam der Moment, an dem ich merkte, dass sie sich nicht nur für mich interessierte, sondern auch ein wenig Respekt vor meiner Meinung hatte. Sie schrieb mir, dass sie mich mit ihren 180 cm überragen würde. Sie erzählte von ihrem sportlichen Körper, fast beiläufig, aber mit einem gewissen Stolz, der mich lächeln ließ.

Doch der Teil, der mich am meisten berührte, war ihr offener Umgang mit ihrer aktuellen Situation. Sie erklärte, warum sie mir an einem Montag so ausführlich schreiben konnte, wegen eines Hexenschusses, der sie an der Arbeit hinderte. Aber sie tat es so, dass kein Raum für Mitleid blieb. Im Gegenteil, sie machte klar, dass sie kämpferisch war, voller Energie, und dass sie keine Frau war, die sich von einem Rückschlag unterkriegen ließ.

Ich war beeindruckt. Tief beeindruckt.

Natürlich hatte sie mir noch weitere Fotos geschickt, wie ich es vorgeschlagen hatte. Und als ich sie öffnete, wusste ich, dass ich sie unbedingt treffen musste. Nicht irgendwann, sondern bald. Diese Frau war nicht nur attraktiv, sie war klug, witzig, und sie hatte das gewisse Etwas, das man nicht erklären kann, das man aber spürt, wenn es da ist.

Ich schrieb ihr sofort zurück, ohne zu zögern. Es waren nur wenige Minuten vergangen, seit sie mir ihre Antwort geschickt hatte. Aber diese Zeit reichte, um mir klarzumachen, dass sie eine Frau war, die ich nicht einfach ignorieren konnte.

... Wow, Du bist eine sehr attraktive Frau, darf ich jetzt weiteratmen?

Liebe Grüße R.

PS. Ich halte immer noch die Luft an!

Ich saß da, starrte auf den Bildschirm, betrachtete mir ihre Fotos, und versuchte, mir die Frau hinter diesen frechen, fast unverschämten Zeilen vorzustellen. Sie ließ mich schmunzeln, brachte mich zum Nachdenken, und gleichzeitig zur Ratlosigkeit. Wie zum Teufel konnte jemand so direkt, so provokant, und dabei so unerhört charmant sein? Ich spürte, wie sie mich durch ihre Worte testete, wie sie meine Reaktionen ausloten wollte, und dabei fast spielerisch die Oberhand behielt.

Sie lacht sich bestimmt schlapp, dachte ich mir. Vermutlich sitzt sie gerade in ihrem Sessel, einen Kaffee oder vielleicht ein Glas Wein in der Hand, und malt sich aus, wie ich hier vor meinem Computer die Luft anhalte. Die Vorstellung, dass sie mir insgeheim amüsiert unterstellte, ich würde nichts anderes im Kopf haben, als sie ins Bett zu kriegen, war gleichermaßen witzig wie herausfordernd. Verdammt, sie hatte ja recht, musste ich mir eingestehen. Natürlich wollte ich sie kennenlernen, sie sehen, ihre Stimme hören. Und ja, verdammt noch mal, auch der Gedanke an Nähe, an diese knisternde Spannung, an alles, was danach kommen könnte, ließ mich nicht los.

Aber dann war da diese Bemerkung über meine Küche. Ich konnte mir fast bildlich vorstellen, wie sie die Augen verdrehte, als sie meine Nachricht las: Küche wird gerade eingebaut, zwei alte Kumpels helfen mir. In ihrer Phantasie saßen wir wohl jetztschon mit einer Kiste Bier zusammen, Männer-Klischee Nummer eins, während sie ungeduldig darauf wartete, dass ich endlich die Initiative ergriff. Ich lachte leise in mich hinein, ja, ich vermutete, dass sie wahrscheinlich gerade so dachte.

Aber sie war keine „Durschnittsfrau“. Das wurde mir ebenso klar. Es gab keine gespielte Zurückhaltung in ihren Worten, kein Anbiedern, kein schüchternes Tasten nach Sympathie. Sie wusste, was sie wollte, oder besser gesagt, wen sie wollte. Und das beeindruckte mich. So viele Frauen waren in ihren Nachrichten nett, höflich, zurückhaltend, fast ängstlich, abwartend, manchmal charmant, aber sie? Sie war unverblümt, roh und unverschämt ehrlich.

Ich stellte mir vor, wie sie da saß, mit ihrem Laptop auf den Knien, wahrscheinlich fluchend, weil ihr Rücken sie wieder quälte. Sie hatte es ja erwähnt, der blöde Hexenschuss. Allein die Art, wie sie über ihre Schmerzen schrieb, machte mir klar, dass sie eine Kämpferin war. Keine, die jammert und wartet, dass man sie bemitleidet. Nein, sie wollte einfach, dass man sie nimmt, wie sie ist, mit allen Macken und Ecken, aber auch mit diesem Feuer, das in ihr brannte. Ich spürte förmlich, wie ungeduldig sie war. Ihre Worte hatten eine Dringlichkeit, die mich mehr als neugierig machte. Sie wollte nicht warten, nicht auf mich, nicht auf irgendjemanden. Das Leben, so schien es, war für sie ein Tanz, der keinen Stillstand kannte, auch wenn sie gerade verletzt war. Sie gierte nach Bewegung, nach Nähe, nach etwas, das sie aus ihremAlltag riss. Und jetzt? Jetzt war ich wohl an der Reihe, ihr genau das zu bieten.

Ich entschied für mich, dass ich sie so schnell wie möglich treffen wollte. Aber nicht nur wegen der Erotik, die zwischen unseren Nachrichten knisterte. Sie war geheimnisvoll frech. Und das war genau das, was mich neugierig machte.

„Lieber R., wie läuft’s mit der neuen Küche? Ist die Kaffeemaschine schon in Betrieb? Und was ist mit der Spülmaschine – läuft die schon?“

Ich musste schmunzeln, als ich ihre Nachricht las. Es war dieser typische, leichte Einstieg, der irgendwie nichts sagen wollte und doch alles über ihren Humor verriet. Sie hatte offensichtlich eine gute Portion Selbstironie, und das gefiel mir. Aber dann wechselte der Ton plötzlich, und ihre Worte nahmen eine Intensität an, die mich aufhorchen ließ.

„Das Thema Erotik ist natürlich schon sehr intim,“ schrieb sie, „…eigentlich geht es gar nicht intimer.“ „Aber es ist wichtig, und zu viele Partnerschaften zerbrechen daran. Genauso wichtig ist es, mit bestimmten Vorlieben nicht hinterm Berg zu halten – oder sich die Bedürfnisse woanders zu holen.“

Ich musste die Zeilen zweimal lesen, so direkt war sie, so unverschleiert. Ihre Ehrlichkeit traf mich wie ein Klaps auf den Kopf, und gleichzeitig war es genaudas, was mich faszinierte.

Ich stellte mir vor, wie sie wohl gezögert hatte, bevor sie diese Zeilen schrieb. Vielleicht hatte sie den Satz einmal gelöscht und dann doch wieder eingefügt. Sie schrieb, als würde sie einen offenen Brief an sich selbst verfassen, fast schon selbstkritisch. Aber da war auch diese Selbstverständlichkeit, die zeigte, dass sie wusste, was sie wollte, oder bestimmt, was sie nicht wollte.

„Ich erschrak über meine eigenen Worte,“ hatte sie sogar zugegeben. Nicht weil sie ihre Bedürfnisse andeutete, sondern weil ihre Zeilen klangen, als suche sie eine Partnerschaft. Ich lächelte, als ich das las. Sie versuchte, sich selbst einzubremsen, als hätte sie Angst, dass sie durch ihre Ehrlichkeit zu viel von sich preisgab. Doch genau das machte sie so unglaublich echt. Und dann kam dieser Gedanke, den sie mit entwaffnender Offenheit formulierte: „Egal, das wird sich sowieso ergeben, wie es nun mal kommt.“

Es war ein Satz, der alles relativierte, der ihre Unkompliziertheit zeigte. Sie war kein Mensch, der Pläne schmiedete oder sich Illusionen machte. Sie lebte im Momentund nahm die Dinge, wie sie kamen.

Aber was sie über ihre „Vorlieben“ schrieb, ließ mich schmunzeln. Sie hatte klar gemacht, dass sie ihre Bedürfnisse nicht verleugnen wollte. Gleichzeitig hatte sie eingeräumt, dass bestimmte Dinge Zeit brauchen, dass sie nicht vorhatte, alles, was sie ausmachte, gleich in einer Nacht auf den Tisch zu legen. Ich spürte, wie eine Mischung aus Respekt und Verlangenin mir aufstieg. Cynthia hatte Tiefe, und sie wusste genau, wie sie mit ihrem Charme spielen konnte.

Doch der nächste Teil ihrer Nachricht brachte eine unerwartete Wendung. „Scheiß‘ Rücken,“ schrieb sie, und ich konnte förmlich spüren, wie sie vor Schmerz die Zähne zusammenbiss. Offenbar machte ihr der Hexenschuss sehr zu schaffen, und ich fragte mich unwillkürlich, wie sehr das ihr Leben beeinflussen musste.

Sie zeigte aber auch hier wieder ihren Humor. „Ich nehme mir vor, sobald unser Treffen steht, alle zwei Stunden Schmerztabletten einzuwerfen.“

Allein die Art, wie sie das schrieb, brachte mich zum Lachen. Sie machte sich über sich selbst lustig, wollte um jeden Preis vermeiden, hilflos oder schwach zu wirken. Stattdessen beschrieb sie, wie sie verhindern wollte, dass ich sie mit dem AOK-Chopper abholen müsste, anstatt mit einem „Cabriolet“. Diese Frau war einfach hinreißend.