Vermisst in Nastätten - Ute Dombrowski - E-Book

Vermisst in Nastätten E-Book

Ute Dombrowski

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Beschreibung

Anfang Dezember ist die Welt in Nastätten in Ordnung: Die Menschen bereiten sich auf Weihnachten vor, auch Undine und ihre Freundinnen freuen sich auf eine besinnliche Zeit. Doch plötzlich müssen sie sich Sorgen um Sabine und ihre Tochter machen. Was ist da los? Sind die beiden in Gefahr? Als dann auch noch eine Leiche gefunden wird, überschlagen sich die Ereignisse und die Polizei sucht mit Nachdruck nach dem Mörder. Undine und Lene beteiligen sich natürlich an den Ermittlungen, auch wenn sie wissen, dass es Reiner alles andere als recht ist.

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Seitenzahl: 265

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Ute Dombrowski

Vermisst in Nastätten

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

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Impressum neobooks

1

Vermisst

in Nastätten

Der fünfte Fall

Ute Dombrowski

Die Personen und die Handlung des Buches sind frei erfunden.

Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

1. Auflage 2021

Copyright © 2021 Ute Dombrowski

Umschlag: Ute Dombrowski mit www.canva.com

Lektorat/Korrektorat: Julia Dillenberger-Ochs

Satz: Ute Dombrowski

Verlag: Ute Dombrowski Niedertiefenbach

Druck: epubli

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors und Selbstverlegers unzulässig.

Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Undine öffnete die Tür, ließ Zorro raus und wollte ihren Fuß in den Schuh stecken.

„Au! Was ist das denn?“

Sie bückte sich und hob den Schuh auf, um hineinzuschauen. Als eine kleine Schachtel zum Vorschein kam, fiel ihr ein, dass heute der sechste Dezember war: Nikolaus. Sie zog die Schuhe an, lief hinter Zorro her in den Garten, löste die glänzende rote Schleife und öffnete die Schachtel. Eine dünne silberne Kette mit einem winzigen glitzernden Steinchen lag auf blauem Samt. Sie klappte die Schachtel wieder zu und grinste. Es war die Kette, die sie am letzten Wochenende, als sie gemeinsam mit Reiner über die alljährliche Weihnachtsstraße geschlendert war, im Schaufenster des Juweliers bewundert hatte.

Während Zorro durch den Garten tobte, die Hühner laut gackerten und ein eisiger Wind um ihre Schultern pfiff, dachte Undine an die letzten Monate. Der Herbst war ruhig gewesen, nachdem alle Nastätter ihre Schuhe wieder in Sicherheit wussten, es hatte auch keine weiteren Verbrechen gegeben.

Die Beziehung mit Reiner lief gut, trotz oder gerade wegen der getrennten Wohnungen. Jedes Treffen, jede Verabredung hatte so immer noch den Reiz des ersten Mals. Reiner gab sich Mühe und mit der klei­nen Kette zum Nikolaus wollte er wohl zeigen, wie aufmerksam er war. Sie freute sich wirklich sehr, war ihr das kleine Schmuckstück doch schon vor einigen Wochen ins Auge gefallen.

Aber es gab noch etwas, was ihr Freude bereitete. Die Frauen hatten es sich zur Angewohnheit gemacht, sich alle zwei Wochen donnerstags in der „Gondola“ zu treffen, wo sie gut zu Abend essen und ausgiebig schwätzen konnten: Undine, Lene, Sabine, Karla, Jasmin und Jennifer. Irgendwann waren Anna und Frank auch dort gewesen und so hatte sich Anna ihnen ebenfalls angeschlossen, nachdem Frank einverstanden gewesen war.

In der kommenden Woche war es wieder soweit. Und es würde das letzte Mal für dieses Jahr sein, denn der nachfolgende Termin wäre an Heiligabend gewesen, aber Weihnachten gehörte der Familie. Sie würden sich dann erst wieder im Januar treffen. Undine seufzte und öffnete das Gartentor. Zorro rannte in Richtung Buch, schaute sich jedoch ab und zu um, um sich zu vergewissern, dass ihm sein Frauchen noch folgte. Nachdem er ausgiebig in einem Busch geschnüffelt hatte, kam er mit einem Stück Ast zurück zu Undine und legte ihn vor ihre Füße.

Undine verstand die Aufforderung und warf den Ast, soweit sie konnte. Dieses Spielchen wiederholten sie immer und immer wieder, denn Zorro liebte es. Auf dem Rückweg trug er den Ast wie eine Trophäe und ließ ihn erst im Garten wieder fallen. Undine fror und freute sich auf den ersten Kaffee am Morgen.

Im Haus war es schon ein bisschen warm, also hatte jemand das Feuer im Küchenofen entfacht. Sie schaute um die Ecke, wo Reiner grinsend am gedeckten Esstisch saß.

„Oh, der Nikolaus hat sich hier zu schaffen gemacht.“

„Nanana, du willst mich doch wohl nicht mit dem bärtigen alten Zausel vergleichen?“

Undine rutschte zu ihm auf die Bank und lehnte sich an ihn.

„Nein, du bist nicht bärtig, mein Lieber, nur ein bisschen alt. Aber das macht nichts, solange du mir solch tolle Geschenke machst. Ich mag es, wenn du dir merken kannst, was mir gefällt.“

„Tja, ein Kommissar hat eben eine gute Beobachtungsgabe.“

Undine küsste Reiner auf die Wange, setzte sich gegenüber auf ihren Platz und legte die Kette um ihren Hals. Der kleine Stein glitzerte fröhlich.

Sie frühstückten und wollten den Tag für einen Ausflug nutzen. Die Weihnachtsmärkte waren geöffnet und weil Reiner die Weihnachtsstraße gar nicht so schlimm gefunden hatte, hatten sie beschlossen, nach Limburg auf den Markt zu fahren. Es fühlte sich an wie eine Tour in die Großstadt, aber Undine lockte der verkaufsoffene Sonntag, weil sie gemeinsam mit Reiner nach Weihnachtsgeschenken schauen konnte. Er wusste nichts von ihrem Plan, hoffte er doch, gemütlich mit einer Bratwurst in der Hand die Leute zu beobachten und sich von Weihnachtsmusik berieseln lassen zu können.

Undine kannte seine Abneigung gegen den Trubel beim Weihnachtsshopping, aber sie mussten etwas für seine Mutter kaufen, die sie über den Jahreswechsel besuchen wollten. Da es Reiners Mutter war, sollte er sich auch Gedanken über ein Geschenk machen.

Undine räumte nach dem Frühstück den Tisch ab und reinigte rasch das Geschirr. Dann ging sie nach oben und zog sich an.

„Hat denn der Weihnachtsmarkt um diese Zeit schon offen?“, hörte sie Reiner rufen.

„Jaja, es ist doch fast zehn.“

„Ich schaue mal im Internet nach.“

„Das habe ich schon gemacht.“

Undine lauschte nach unten und fand die Stille verdächtig. Sie ging hinunter und sah Reiner am Laptop.

„Er öffnet erst um zwölf. Was wollen wir denn schon zwei Stunden früher dort?“

„Wir gehen noch ein bisschen spazieren, zum Beispiel zum Dom …“

„Ha!“, rief der Kommissar und sein Blick verdüsterte sich. „Es ist verkaufsoffener Sonntag. Wusstest du das?“

„Nein, woher denn?“, fragte Undine und schaute ihn samtweich an.

„Pah, natürlich wusstest du das. Du willst mich ins Einkaufs-Getümmel locken und dachtest, du kannst mich überlisten.“

„Niemals würde ich es wagen …“

„Meine Liebe, du hast schon ganz andere Sachen gewagt! Also los! Raus mit der Wahrheit!“

„Na gut, wir werden durch Limburg schlendern und deiner Mutter ein Geschenk kaufen. Zusammen!“

„Da mache ich nicht mit. Ich bleibe hier.“

„Dann kannst du allein zu deiner Mutter fahren.“

Sie starrten sich an wie zwei Boxer im Ring, bereit, aufeinander loszugehen. Plötzlich ging Reiner auf sie zu, nahm sie in den Arm und lachte.

„Du bist mir schon eine. Bei dir ist man vor keiner Überraschung sicher. Aber wir essen eine Bratwurst auf dem Weihnachtsmarkt!“

„Du kannst eine essen, ich nicht.“

„Warum denn nicht? Das gehört doch dazu.“

Undine schüttelte vehement den Kopf.

„Ich esse ausschließlich die Bratwurst, die unsere Feuerwehr grillt, wenn Weihnachtsstraße ist. Du weißt, wie gut die ist.“

„Jaja, du und deine Feuerwehrbratwurst. Dann eben nicht, musst du halt hungern. Am Abend gehen wir aber schön essen. Zu deinem Italiener. Seit du dich mit den Mädels dort triffst, durfte ich ja nicht mehr hin.“

Undine machte sich los und erklärte sich lachend einverstanden.

„Wenn du alles brav mitmachst, dann gehe ich mit dir essen. Außerdem ist das am nächsten Donnerstag unser letztes Treffen dieses Jahr. Hoffentlich kommen dieses Mal alle.“

„Wer hat denn gefehlt?“

„Sabine, sie hatte einen Termin mit ihrem Freund und seiner Familie.“

„Oder sie hat genug von euch.“

Undine boxte Reiner auf den Oberarm. Dann zog sie ihn hinter sich her zum Auto.

Während der Fahrt dachte sie an Sabine, die in den letzten Wochen still geworden war. Lene war das auch schon aufgefallen, aber Sabine gab an, dass sie einfach nur müde war und sich vielleicht eine Erkältung ankündigte. Und dann hatte sie das letzte Treffen abgesagt.

„Von uns kann man nie genug haben“, fielen ihre Worte in das Schweigen.

„Ich weiß“, brummte Reiner.

„Vielleicht ist sie wirklich müde.“

„Sicher.“

„Vielleicht wird sie krank.“

„Möglich.“

„Ich werde mal vorbeigehen und fragen. Vielleicht kann ich ihr helfen.“

„Vielleicht, vielleicht, vielleicht.“

„Du nimmst das nicht ernst.“

„Doch, sehr. Aber es kann nicht jeder jeden Tag so aufgedreht sein wie du.“

Undine kniff die Augen zusammen.

„Aufgedreht? Was soll das heißen? Nerve ich dich?“

„Niemals. Und jetzt pass auf den Verkehr auf. Ich will lebend in Limburg ankommen.“

Sie schwiegen, Undine suchte einen Parkplatz und dann liefen sie in Richtung Altstadt.

„Siehst du!“, rief sie fröhlich. „Es ist noch schön leer hier. Nachmittags wären viel mehr Menschen unterwegs. Was gefällt denn deiner Mutter?“

Reiner stöhnte und zuckte mit den Schultern. Dann ergab er sich seinem Schicksal.

2

Am nächsten Morgen machte sich Reiner auf den Weg ins Büro. Er hatte in seiner Wohnung geschlafen, um Undine nicht so früh zu stören. Jennifer kam fünf Minuten nach ihm und strahlte wie immer über das ganze Gesicht.

„Guten Morgen! Wie fand sie die Kette?“

„Morgen“, brummte Reiner und schlürfte seinen Kaffee. „Was bist du denn schon wieder so ekelhaft munter? Undine war begeistert von der Kette und hat mich zum Dank in Limburg durch die Läden geschleift. Dabei wollte ich nur eine Bratwurst auf dem Weihnachtsmarkt. Aber am Abend waren wir noch schön essen.“

„Sehr gut, Juliano und ich fahren am ersten Feiertag nach Italien.“

„Aha, daher die gute Laune.“

„Ich hoffe, du kommst ohne mich zurecht.“

„Kaum, ich bete, dass keine Verbrechen geschehen, solange du nicht im Lande bist. Wir fahren über den Jahreswechsel zu meiner Mutter. Sie bekommt eine neue Tischdecke und Deko-Kram.“

„Das ist doch schön. Jahreswechsel an der Küste ist ein Traum!“

Reiner schüttelte sich. Jennifer war schnell zu begeistern und ihre heiße Liebe zu Juliano war noch kein bisschen abgekühlt. Jeden Morgen kam sie gutgelaunt ins Büro und sprühte nur so vor Energie. Reiner war zufrieden, dass es privat in letzter Zeit gut lief und außerdem war es auch im Job ruhig und entspannt. Es gab kleinere Delikte, aber niemand war seit dem letzten Mordfall zu Schaden gekommen. Sie hatten Zeit, Liegengebliebenes aufzuarbeiten.

„Was liegt an?“

„Nichts.“

„Dann lass uns mal eine Runde herumfahren und nach dem Rechten sehen. Ich mag nicht schon wieder den ganzen Tag im miefigen Büro sitzen.“

Reiner griff nach seiner Jacke.

„Das ist eine gute Idee.“

Auf der Fahrt durch den Landkreis saß Reiner am Steuer und Jennifer behielt die Umgebung im Blick. Menschen sahen sie auf dem Lande so gut wie keine und das lag nicht nur am Wetter. Hier war einfach niemand unterwegs. Die meisten Leute arbeiteten außerhalb, andere waren daheim und bereiteten das Weihnachtsfest vor. Am Tage fehlten auch die Lichterketten, wodurch noch keine richtige Weihnachtsstimmung aufkam. Abends allerdings konnte man überall ein zauberhaftes Lichtspiel in allen Farben sehen.

Reiner hatte wortlos zahlreiche Lichterketten auf Undine Wunsch hin platziert, aber als sie auch in seiner Wohnung weihnachtliche Hand anlegen woll­te, hatte er sich tapfer gewehrt.

„Dann eben nicht!“, hatte sie gesagt und war gegangen.

„Habt ihr schon einen Weihnachtsbaum?“, hörte Reiner Jennifer fragen.

„Wozu? Wir fahren doch weg.“

„Aber doch nicht an Heiligabend. Komm, wir holen einen Baum in Nastätten und du machst Undine eine Freude.“

„Ich habe ihr mit der Kette schon genug Freude gemacht.“

„Ach was! Man kann einer Frau nie genug Freude machen. Los, fahren wir nach Nastätten. Juliano hat uns auch schon einen mitgebracht und aufgestellt. Und das, obwohl wir nicht viel davon haben werden.“

Reiner knurrte, ergab sich aber schon wieder in sein Schicksal.

„Weiberkram!“

„Das hat nichts mit Weiberkram zu tun, es ist nun einfach mal ein Brauch. So wie die Eier zu Ostern.“

„Aber wir fahren doch weg! Da bröseln dann während unserer Abwesenheit die Nadeln auf den Boden und … ich … Undine hat nur Arbeit damit. Später verheizt sie den Kram und damit das viele Geld, was so ein Ding kostet.“

An der Tankstelle in Nastätten sah Jennifer Sabine beim Tanken. Nun, krank scheint Sabine nicht zu sein, dachte sie, denn auch sie hatte sich über die Absage der Freundin beim letzten Essen gewundert. Bei den Treffen davor hatte sie jedes Mal recht früh ihr Freund Robert abgeholt. Wenn Sabine ihn in der Tür entdeckt hatte, war sie immer hektisch aufgebrochen.

„Sabines Freund ist komisch. Er ist mir … irgendwie … unsympathisch.“

„Wie kommst du denn jetzt darauf?“

„Sie war eben an der Tankstelle.“

„Undine hat auch schon erzählt, dass sie bei eurem letzten Treffen nicht dabei war. Darf man bei euch denn nicht fehlen?“

„Quatschkopf, natürlich darf man fehlen. Aber Robert hat sie immer um neun abgeholt, nie durfte sie länger bleiben und er hat so verkniffen geschaut, als würde es ihm nicht gefallen, dass sie dabei ist.“

„Ach was, der hatte bestimmt nur keine Lust auf solch einen Haufen Frauen. Wenn er dagegen wäre, wäre sie doch gar nicht erst gekommen.“

„Als wenn ein Mann bestimmt, ob sich eine Frau mit ihren Freundinnen trifft! Du hast echt keine Ahnung, wie Frauen ticken.“

„Ich wollte eben sagen: Klär mich auf. Aber nein, lass es lieber, ich habe genug damit zu tun, die EINE Frau zu verstehen, mit der ich zusammen bin.“

Sie schwiegen, als Jennifer auf den Weihnachtsbaumhändler zeigte, der seinen Stand rechts auf dem Parkplatz aufgebaut hatte. Reiner blinkte, bog widerwillig ab und parkte. Dann schlenderte er an den Bäumen entlang, während Jennifer einen nach dem anderen anpries, als würde sie selbst das Geld dafür bekommen.

„Ach schau, der ist doch ein Prachtstück“, rief sie, nahm den Baum, drehte ihn vor Reiner hin und her.

„Jaja, hübsch.“

„Wollen Sie den?“, fragte der Verkäufer, der Reiners Not sah.

Der Kommissar nickte, der Verkäufer packte den Baum in ein Netz und trug ihn zum Auto. Reiner atmete auf, als sie wieder weiterfuhren.

„Wir bringen den gleich zu Undine und ich kaufe noch etwas zum Mitnehmen nach Italien.“

Aha, dachte Reiner, das war also der Grund. Er seufzte und Jennifer begann zu lachen. Vor Undines Haus stand ein dunkel gekleideter Mann, der sich am Briefkasten zu schaffen machte. Reiner stutzte. Nachdem sie hinten geparkt hatten, ließ er Jennifer und den Weihnachtsbaum einfach stehen und lief durch den Garten nach vorne. Der Mann war verschwunden. Reiner sah nach links und nach rechts, dann schüttelte er den Kopf. Wer weiß, was der Kerl da wollte. Er schaute selbst in den Briefkasten, aber der war leer.

„Was ist denn?“, fragte Jennifer, als er zurück auf dem Parkplatz war.

„Da stand einer an Undines Briefkasten, als wir gekommen sind. Hast du den nicht gesehen?“

„Nein, ich habe nicht darauf geachtet. Was wollte er?“

„Keine Ahnung, er war weg.“

Sie luden den Baum aus dem Auto und Reiner schleppte ihn zuerst unter das Dach am Haus. In diesem Augenblick kam Undine heraus und wollte in die Werkstatt gehen. Sie hatte einen Korb mit Feuerholz dabei.

„Nanu! Mit dir habe ich ja gar nicht gerechnet.“

Sie kam zu ihnen, umarmte Jennifer und küsste Reiner. Dann fiel ihr Blick auf den Baum.

„Oh, ein Weihnachtsbaum. Woher kommt der?“

„Ich habe ihn für uns gekauft.“

Undine sah Reiner und Jennifer an. Die Kommissarin zwinkerte. Undine lobte den Baum in höchsten Tönen, nachdem ihn Reiner vom Netz befreit und mitten im Hof ausgebreitet hatte. Sie lief los und kam mit einem gusseisernen Ständer zurück. Gemeinsam stellten sie den Baum hinein. Die Frauen traten einen Schritt nach hinten.

„Reiner, das war eine tolle Idee. Ich freue mich schon auf Heiligabend. Danke, dass du mitgedacht hast, obwohl wir dann wegfahren.“

Der Kommissar begann zu lachen und winkte Jennifer, ihm zu folgen. Kopfschüttelnd verließ er den Hof. Jennifer verschob ihren Einkauf bei Undine auf einen späteren Zeitpunkt.

3

Am Nachmittag stand Lene vor dem Tor. Sie war mit Undine zum Einkaufen verabredet. Ein Stück die Straße hoch Richtung Buch sprang eben ein dunkel gekleideter Mann in ein Auto und raste dann an ihr vorbei.

„So ein Spinner“, murmelte Lene und sah ihm nachdenklich hinterher.

Sie betrat den Hof und hatte den Raser sofort vergessen, weil sie Undine sah, die vollkommen in sich versunken vor einem Tannenbaum stand. Sie stellte sich neben sie und betrachtete den wunderbar gewachsenen Baum, der üppige Zweige und eine gerade Spitze hatte.

„Ist er nicht hübsch?“

„Wolltet ihr nicht wegfahren? Wozu hast du einen Baum gekauft?“

„Ich habe den nicht gekauft, den haben Reiner und Jennifer gebracht. Reiner führt irgendwas im Schil­de.“

Lene stutzte.

„Warum? Weil er dir einen Weihnachtsbaum gekauft hat?“

Undine riss ihren Blick von dem Baum los und zog Lene hinter sich her in die Werkstatt. Dort war es kuschelig, der kleine Holzofen strahlte eine große Hitze aus, sodass Lene sofort die Jacke auszog und auf Zorros Couch ablegte. Sie setzte sich an den großen Tisch und nahm die Teetasse, die Undine ihr hingestellt hatte, zwischen ihre Hände.

„Was ist denn los? Habt ihr Ärger?“

Undine lachte.

„Im Gegenteil. Es ist harmonisch wie verrückt. Erst hatte ich die Kette im Schuh, von der ich dir erzählt hatte, dann habe ich Reiner überlistet, mit mir auf dem verkaufsoffenen Sonntag einkaufen zu gehen und er hat nicht wie immer nur gemeckert. Er hat sich wirklich zusammengerissen. Und eben kommt er mit einem Weihnachtsbaum. Da muss man einfach misstrauisch werden.“

„Sei doch froh, dass er so friedlich ist. In der Adventszeit muss man nun mal netter sein als sonst. Das hebt die Stimmung.“

Undine dachte nach. Reiner und sie waren alles andere als harmoniesüchtig und es störte sie, dass es in ihrer Beziehung gerade so ruhig war.

„Es ist nur … mir fehlt die Reibung. Ich wollte nie einen Mann, aber einen Ja-Sager nun schon gar nicht. Ich will mich streiten und versöhnen, ich will mich nicht dauernd freuen müssen.“

Lene legte einen Arm um ihre Freundin.

„Du bist total ungerecht. Reiner gibt sich Mühe und das ist auch richtig. Es wird schon wieder eine Möglichkeit ergeben, sich ordentlich zu streiten.“

„Meinst du?“

Lene nickte mit ernstem Gesicht.

„Lass mal Weihnachten vorübergehen, dann fängst du einen netten kleinen Streit an und schon geht es dir wieder gut.“

Undine lachte, als die Tür aufging.

„Jasmin!“, riefen Undine und Lene gleichzeitig.

„Da bist du ja endlich. Dann können wir los. Ich dachte schon, du kommst nicht mehr pünktlich. Was hat denn so lange gedauert?“

Jasmin war beim Arzt gewesen und stöhnte jetzt.

„Trotz Termin hat es ewig gedauert. Und nun ratet mal, wen ich dort getroffen habe!“

„Günther?“

„Nein!“

„Anna?“

„Nein!“

„Dann sag es!“, fuhr Undine sie ungeduldig an.

„Michelle.“

„Welche Michelle?“

„Na, die Tochter von Sabine. Und stellt euch vor: Sie hatte eine aufgeplatzte Lippe und ein blaues Auge.“

„Ach!“, entfuhr es Undine.

Sie kniff die Augen zusammen und Lene beugte sich ein Stück vor.

„Was hatte sie denn für eine Erklärung?“

„Wofür?“

Lene seufzte.

„Für die Verletzungen.“

„Ach ja, sie ist mit dem Rad gestürzt.“

Lene bohrte weiter.

„Hatte sie noch andere Verletzungen? Wenn man mit dem Rad stürzt, dann tut man sich zum Beispiel am Arm weh.“

„Davon hat sie nichts gesagt. Können wir jetzt einkaufen gehen?“

Die drei brachen auf, aber Undine und Lene ließ der Gedanke an Michelle nicht los. Jasmin redete unaufhörlich, was beim Arzt los war und so fiel es ihr nicht weiter auf, dass die beiden anderen Frauen so wortkarg waren.

„Jetzt muss ich doch über Weihnachten Antibiotika nehmen und kann nicht mal ein Glas Wein trinken.“

Sie sah Undine nicken.

Nun waren sie am Supermarkt angekommen und teilten sich einen Einkaufswagen. Während sie durch die Reihen drängten und dabei den einen oder anderen Bekannten begrüßten, legten sie ihre Lebensmittel in den Wagen. An der Kasse stand eine lange Schlange.

„Hat dir der Arzt etwas verschrieben?“, fragte Undine Jasmin und sah, wie diese einschnappte.

„Ihr habt mir gar nicht zugehört. Ich habe das alles ausführlich erzählt. Dann eben nicht. Ich könnte sterben und ihr würdet es nicht mitbekommen.“

„Ach was! Entschuldige“, sagte Undine zerknirscht.

„Ich muss Antibiotika nehmen.“

Lene fragte: „Und warum hast du Wein gekauft?“

Mit verkniffenem Blick sagte Jasmin: „Es ist Weihnachten! Da braucht man auch Geschenke. Aber lass gut sein. Euch erzähle ich nichts mehr. Was ist denn so interessant, dass ihr mich total ausgeblendet habt? Habe ich etwas verpasst?“

„Michelles Verletzungen gehen mir nicht aus dem Kopf. Zusammen mit der Zurückhaltung von Sabine und diesem komischen Robert ist das schon auffällig.“

Sie waren dran, legten ihre Waren auf das Band und packten auf der anderen Seite alles ein. Erst auf dem Rückweg fiel Jasmin Undines Bemerkung wieder ein.

„Was denkst du denn, was passiert ist? Dass Robert Michelle verprügelt hat oder was?“

„Nein!“

„Was dann?“

„Ich weiß nicht, aber ich habe ein merkwürdiges Gefühl.“

„So ein Blödsinn. Der Mann ist Banker und sie ist bis über beide Ohren verknallt und überglücklich. Dazu sieht der Mann noch gut aus und hat anständige Manieren.“

Undine schwieg, aber in ihr rumpelten die Gedanken umher wie umgefallene Kegel beim Bowling.

„Das werden wir ja sehen. Ich gehe dem auf den Grund.“

Sie trennten sich auf dem Hof und jede brachte ihre Einkäufe unter. Dann setzte sich Undine an den Tisch, nahm einen Block und einen Stift und schrieb ihre Gedanken zu Sabine und Michelle auf. Am Ende malte sie „ROBERT“ unter die Stichpunkte und setzte ein großes Fragezeichen daneben.

Das musste sie klären.

Kurz entschlossen machte sie sich auf den Weg zu Sabine, kam aber enttäuscht wieder heim, weil niemand geöffnet hatte. Sie nahm sich vor, am Abend mit Reiner darüber zu reden, verwarf den Plan aber wieder, denn sie ahnte, dass er ihr einen Vogel zeigen würde. Dabei wäre es eine fantastische Gelegenheit, sich mal wieder zu streiten, aber sie wollte Lenes Ratschlag beherzigen und bis nach Weihnachten warten.

„Ich werde schon herausfinden, was los ist!“

4

Am nächsten Morgen war es ein bisschen milder, aber dicke Wolken kündigten etwas an, was es lange nicht mehr gegeben hatte: Schnee. Undine streckte ihre Na­se in den Morgen, als sie sich mit Zorro auf die übliche Runde machte und nickte.

„Es wird schneien. Es riecht förmlich nach Schnee. Komm Zorro, hol das Stöckchen!“

Sie warf den Ast von gestern, den der Hund aus dem Garten mitgeschleppt hatte, weit weg und Zorro raste los. Fröhlich hechelnd kam er zurück und legte den Ast in Undines Hände.

Jetzt fielen ihr Michelles Verletzungen ein. Das Mädchen war aufgeblüht, nachdem sie ihre belastenden Gedanken losgeworden war, hatte Freunde gefunden und war aktiver und ausgeglichener. Sie bereitete sich auf das Abitur vor und wollte Biologie studieren. Eigentlich sollte sie doch zuhause sitzen und lernen, wie konnte es denn passieren, dass sie sich so sehr verletzte?

Dann schüttelte Undine den Kopf.

„Quatsch, sie muss ja auch mal raus. Und in Nastätten kann man gut mit dem Fahrrad unterwegs sein. Wahrscheinlich hat sie bei einer Freundin gelernt.“

Sie wischte die Idee weg, dass jemand dem Mädchen etwas angetan hatte.

„Ach Zorro, da ist wohl die Fantasie mit mir durchgegangen. Ich werde einfach Sabine am Donnerstag fragen.“

Zorro sah sein Frauchen verständnisvoll an und rannte weiter. Als die beiden zurück waren, kochte sich Undine Kaffee und machte sich auf die Suche nach Geschenkpapier. Reiner wollte zum Mittagessen kommen und sie plante, vorher die Geschenke einzupacken. Für Reiner hatte sie einen Bildband über den Rheingau gekauft, denn er mochte diese Gegend und den Wein sehr. Für Jasmin hatte sie ein hübsches Seidentuch ausgesucht und Lene sollte einen neuen Krimi bekommen. Den hatte sie im Bücherland bestellt und musste ihn noch bei Anja Liefelt-Brünn abholen.

„Das mache ich nach dem Frühstück.“

Sie fand das Geschenkpapier hinten im Regal. Als alles eingepackt war, belegte sie eine Scheibe Brot mit Käse und knabberte daran herum.

„Ich brauche noch frisches Brot. Am besten schreibe ich mir einen Zettel, damit ich nichts vergesse. Also … Brot, Buch …“

Nachdenklich knabberte sie nun am Bleistift und schüttelte sich.

„Bäh, das schmeckt nicht. Ach, ich muss auch noch zu Günther und das Brettchen abholen.“

Während sie schrieb, dachte sie an die Überraschung, die sie noch für Reiners Mutter geplant hatte: Ein großes rundes Brett aus einer Baumscheibe, die Günther polieren und lackieren wollte. Das hatte sie beim letzten Mal bei ihm gesehen und es passte zur Tischdecke und dem bisschen Deko-Kram, den sie mitnehmen wollte.

Ihr Blick fiel auf die Uhr und sie stöhnte. Halb zehn, sie musste los, sonst würde sie nicht pünktlich zum Mittagessen zurück sein. Da es noch nicht schneite, fuhr sie zuerst nach Holzhausen.

Günther war wie erwartet in der Werkstatt. Er hatte sich über die kleine Tischkreissäge gebeugt und war ganz versunken. Undine ging auf die andere Seite der Säge und fuchtelte mit den Armen, damit er sie sehen konnte.

Günther hob den Kopf und schaltete die Säge aus.

„Was willst du denn schon so früh hier?“, begrüßte er sie gewohnt mürrisch.

„Hast du das Brett fertig?“

Auch Undine sparte sich die Begrüßung. Günther wischte sich die Hände an der Hose ab und ging zum Regal. Zum Vorschein kam ein glänzendes Brett von vierzig Zentimeter Durchmesser.

„Hier! Macht zwanzig.“

„Gut, das gefällt mir sehr.“

Undine kramte im Portemonnaie und gab ihm einen Zwanzig-Euro-Schein. Günther nickte und wollte sich wieder der Arbeit zuwenden, aber dann schien ihm etwas einzufallen.

„Was macht dein Kommissar? Fängt er noch Verbrecher? Ich habe lange nichts mehr gehört.“

„Er fängt noch Verbrecher, doch nur kleine. Im Moment ist es ruhig, aber das sollte auch zu Weihnachten so sein.“

„Pah! Weihnachten! Lass mich mit dem Gedusel in Ruhe. Es ist ein Tag wie jeder andere, nur dass mehr gefressen wird.“

„Ach komm, ein bisschen Besinnlichkeit würde dir auch mal guttun. Dann findest du vielleicht mal eine Frau.“

Günther lachte und winkte ab.

„Wer braucht schon Weiber? Die machen ja sowieso nur, was sie wollen. Keine will mehr auf einen Mann hören und es muss alles nur gut und teuer sein. Nein, nein, Weiber kommen mir nicht ins Haus.“

„Das ist schade, denn du verpasst etwas.“

„Was denn? Sowas wie dich oder diese Anna?“

Kaum hatte er den Namen ausgesprochen, da stieg ihm die Zornesröte ins Gesicht.

„Rede mir nicht von der! Die denkt, sie hat das Sagen, seit sie im Gemeinderat mitmischt. Aber Politik ist Männersache, basta!“

Undine hatte keine Lust mehr, Günthers Sprüchen zuzuhören, also nickte sie und verließ das Grundstück. In diesem Moment kam Anna aus dem Kindergarten.

„Nanu? Habe ich etwas verpasst?“, fragte Undine lachend.

„Nein, absolut nichts. Ich habe meine Nichte weggebracht, weil meine Schwägerin einen frühen Termin hat. Wie geht es dir? Was machst du hier?“

„Ich habe deinen Lieblingsmenschen besucht und ein Geschenk für Reiners Mutter abgeholt.“

Undine zeigte Anna das Brett.

„Naja, das kann er wirklich gut, aber ansonsten ist der Mann eine Plage. Ich bin immer froh, wenn ich ihn nicht sehen muss. Letztens auf der Gemeindesitzung hat er sich wieder wichtig gemacht und in einem Anlauf alle Fettnäpfchen genommen. Die anderen, die zum öffentlichen Teil gekommen waren, haben nur den Kopf geschüttelt. Aber vergessen wir mal Günther. Ich freue mich so auf Donnerstag!“

Jetzt strahlte Anna, als würde sie in zwei Tagen in die Südsee fliegen. Undine konnte sie gut verstehen. Waren doch die Mädelstreffen voller Wärme und Fröhlichkeit, dazu kam das gute Essen.

„Ich zehre auch immer tagelang von der entspannten Stimmung. Hoffentlich kommen dieses Mal alle.“

„Es wäre schade, schließlich ist das unser Abschluss für dieses Jahr. Denkst du dabei an Sabine?“

Undine nickte.

„Ich finde es schon immer merkwürdig, dass ihr Robert sie so früh abholt. Als könne sie nicht selbst heimgehen.“

„Ja!“, rief Anna. „Ich mag den Kerl nicht, auch wenn er gut aussieht, höflich und charmant ist. Ich finde, er strahlt … ähm, … so eine eigenartige Kälte aus.“

„Genau, ich mag den auch nicht. Je länger ich ihn kenne, desto unangenehmer ist er mir.“

„Denkst du, er ist gut zu Sabine und Michelle?“

Undine zuckte mit den Schultern. Darüber hatte sie sich schon so viele Gedanken gemacht, und seit Jasmin von Michelles Verletzungen berichtet hatte, spukten ihr böse Bilder im Kopf herum. Sollte sie Anna davon erzählen? In Gedanken sah sie Lene und Jasmin vor sich, die empört den Kopf schüttelten und entschied sich dagegen. Sie würde Sabine am Donnerstag ein bisschen auf den Zahn fühlen.

„Ich hoffe es. Wir können ja Sabine fragen, wie er ist.“

Jetzt schaute Anna auf die Uhr.

„Oh, ich muss los, die Schule fängt sonst ohne mich an.“

Sie lachten.

„Dann beeil dich! Die Kinder müssen etwas lernen.“

„Bis übermorgen!“

Undine sah ihr nach, bis sie in ihr Auto geschlüpft war. Dann fuhr sie zurück nach Nastätten. Im Buchladen hielt sie ein Schwätzchen mit Anja Liefelt-Brünn und machte sich danach auf den Weg zum Bäcker.

Kornelia Krinkmann begrüßte sie freundlich.

„Hallo Undine, wie geht es dir? Was machen die Verbrecher?“

„Guten Morgen, meine Liebe. Die Verbrecher haben auch Advent, da müssen sie sich zusammenreißen. Machst du mir einen Kaffee?“

Undine lag gut in der Zeit, also konnte sie sich auch ein Schwätzchen mit Kornelia gönnen. Vielleicht wusste die etwas Spannendes über Robert und Sabine.

Aber leider hatte Kornelia keine Zeit zum Reden, denn ständig kamen Kunden. Missmutig machte sich Undine auf den Heimweg.

5

„Wage es nicht, irgendjemandem davon zu erzählen! Ich weiß, dass ihr Undine einen Brief schreiben wolltet.“

„Was … woher?“

„Denkst du, ich bin blöd? Ich habe ihren Briefkasten kontrolliert und werde das jeden Tag tun. Was, glaubst du, passiert, wenn ich auch nur einen winzigen Zettel von dir dort finde? Weihnachten ohne Michelle, weil sie im Krankenhaus liegt? Wie wäre das?“

Robert stand mit zornigem Blick vor Sabine. Sie schüttelte den Kopf und zitterte. Er hatte das Gespräch zwischen ihr und Michelle belauscht, in dem das Mädchen geplant hatte, Undine über Robert zu informieren. Sabine hatte sie ängstlich gebeten, vorsichtig zu sein. Robert zerrte an ihrem Oberarm und es tat höllisch weh. Es war nicht das erste Mal, dass er ihr wehtat, aber als er Michelle vor ihren Augen geschlagen hatte, nur um Sabine zu zeigen, welche Macht er über sie hatte, war sie in eine Art Starre verfallen, hoffnungslos und voller Angst. Sabine fühlte sich in der Falle: Verhielt sich Michelle nicht so, wie Robert es wollte, tat er Sabine weh. Verhielt sich Sabine nicht so, wie er es erwartete, tat er Michelle weh.

„Ich schwöre, ich sage nichts!“

Seit er den beiden vor einer Weile eine Ansage gemacht hatte, wie es in Zukunft hier laufen würde, war das Mädchen aufsässig gewesen. Da musste er sie in die Schranken weisen.

„Ich muss zur Arbeit. Wenn ich zurückkomme, seid ihr besser zuhause!“

Statt sich wie sonst mit einem Kuss zu verabschieden, nahm Robert Sabines Kinn in die Hand und drückte zu.

„Ich kann noch ganz anders, meine Schöne. Wenn du nicht machst, was ich will, dann hat Michelle nächstes Mal vielleicht nicht so viel Glück.“

Sabine schluckte und atmete erst auf, als Robert aus dem Haus war. Sie schleppte sich die Treppe hinauf, klopfte an Michelles Tür und trat ein.

„Liebes, wie geht es dir?“

„Kannst du ihn nicht rauswerfen? Ich hasse den!“, schleuderte ihr Michelle vorwurfsvoll entgegen.

Sie lag auf dem Bett und lernte. Der Arzt hatte sie krankgeschrieben, weil sie sich so nicht in der Schule blicken lassen wollte.

„Ach Süße, er ist ja nicht immer so, nur, wenn er auf der Arbeit Stress hat.“

„Mama! Er hat mich geschlagen!“

„Das hat er nicht so gemeint, ich bin mir sicher.“

Sabine wollte Michelle keine Angst machen, also hatte sie nichts von den sehr konkreten Drohungen gesagt, auch nichts von dem, was bereits passiert war.

Michelle sprang auf.

„Wie blind bist du eigentlich?“

„Ich … er …“

„Der Typ hat mir gedroht, wenn ich jemandem davon erzähle, dass er dir noch mehr wehtut.“

„Ich …“, begann Sabine, aber sie konnte nicht weiterreden, denn Tränen der Verzweiflung traten in ihre Augen. „Ich weiß nicht, was ich tun soll. Wenn ich nicht mache, was er sagt, tut er dir etwas an.“

Sie strich Michelle sanft über die Hand und ging aus dem Zimmer. Wir müssen zusammenhalten, dachte sie. Robert hatte Michelle mit dem Handrücken mitten ins Gesicht geschlagen, als Sabine ihr erlaubt hatte, bei einer Freundin zu übernachten. Einfach so war seine Hand auf ihre Tochter losgeflogen und Michelles Lippe war sofort aufgeplatzt.

„Du bleibst zuhause!“, hatte er angeordnet.