Für jeden eine Kugel - Ute Dombrowski - E-Book

Für jeden eine Kugel E-Book

Ute Dombrowski

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Beschreibung

In Eltville wird der Juwelier Josef Morentz überfallen und ausgeraubt. Er überlebt schwer verletzt und der Täter wird schnell gefasst. Es gibt nur ein Problem: Er hat seine Waffe auf der Flucht verloren. Als im neuen Jahr eine Leiche entdeckt wird, müssen Bianca und ihre Kollegen feststellen, dass der Mann mit derselben Waffe wie der Juwelier getötet wurde. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, denn diese Waffe in der Hand eines Unbekannten birgt nicht abschätzbare Gefahren. Können Bianca und Ferdinand den Täter finden, ehe er weiter mordet?

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Ute Dombrowski

Für jeden eine Kugel

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

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Impressum neobooks

1

Für jeden eine Kugel

Ute Dombrowski

1. Auflage 2019

Copyright © 2019 Ute Dombrowski

Umschlag: Ute Dombrowski

Lektorat/Korrektorat: Julia Dillenberger-Ochs

Satz: Ute Dombrowski

Verlag: Ute Dombrowski Niedertiefenbach

Druck: epubli

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors und Selbstverlegers unzulässig.

Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

„Im Haus der Tränen lächelt Venus nicht.“

William Shakespeare

Aus: „Romeo und Julia“

4. Aufzug, 1. Szene, Paris

Marek hatte sich in einem Hauseingang versteckt und beobachtete in der einbrechenden Dunkelheit das Juweliergeschäft. Josef Morentz, der seit vielen Jahren seinen Schmuck nicht nur an die Eltviller Bevölkerung, sondern auch an die betuchte Kundschaft aus dem Rhein-Main-Gebiet verkaufte, schloss seinen Laden ab und begann mit der Abrechnung. Der Umsatz Anfang Dezember war für ihn immer sehr befriedigend und so lächelte er auch heute beim Kassenabschluss.

„Na, das hat sich ja wieder einmal gelohnt“, murmelte der Sechzigjährige, der mindestens zehn Jahre jünger wirkte, denn er war durchtrainiert und hielt sich durch gesunde Ernährung fit.

Josef beschloss, die gesamte Wocheneinnahme jetzt schon mit nach Hause zu nehmen. In seinem eigenen Tresor bewahrte er viel Bargeld auf, schon sein Vater hatte es so getan. Er legte alles in einen großen Geldbeutel und schob ihn gemeinsam mit seinem neuen Elektroschocker in die Aktentasche, die er sich an einem langen Riemen quer über die Schulter hing. So fühlte er sich sicher, wenn er seinen Heimweg durch die Altstadt und am Rhein entlang antrat. Er ging stets zu Fuß, das gehörte zu seinem täglichen Fitnessprogramm.

Josef grinste, als er an die Worte seiner aktuellen Freundin dachte: „Schatz, ich habe wirklich Angst um dich und finde es nicht gut, dass du so allein in der Dunkelheit herumläufst.“

„Tja“, sagte er zu seinem Spiegelbild hinter dem Verkaufstresen, „wenn du wüsstest, Schatz, dass ich diesen riesigen Batzen Geld in der Tasche habe, dann würdest du noch mehr zittern.“

Der große Mann schloss den Laden ab und ließ das Gitter-Rollo herunter. Er prüfte, ob alles zu war und machte sich auf den Weg durch die Altstadt. Sein Geschäft in der Grabengasse war seit drei Generationen im Familienbesitz und er war stolz darauf, es zu einer exklusiven Adresse gebracht zu haben. Leise pfiff er vor sich hin und freute sich auf den Abend mit seiner dreißig Jahre jüngeren Freundin. Er kannte Dajana Bernburg seit einem halben Jahr und die Leute auf der Straße drehten sich nach ihnen um, wenn er mit der rassigen Brünetten durch Eltville schlenderte.

Marek, der ungeduldig darauf gewartet hatte, dass der Juwelier endlich seinen Laden verließ, hoffte auf eine reiche Beute, jetzt, wo das Weihnachtsgeschäft voll im Gange war. Mit hochgestelltem Kragen, einer schwarzen Mütze und einem dunklen Schal vor dem Mund lief er hinter Josef Morentz her und musste sich anstrengen, um mit dem sportlichen Mann mitzuhalten. Niemand sonst war unterwegs, denn es war ungemütlich und windig, Nieselregen machte den Abend noch unangenehmer.

Er hatte gesehen, wie der Juwelier seine Abrechnung gemacht hatte und als sein Blick auf die dicke Aktentasche gefallen war, breitete sich ein angenehmes Gefühl in ihm aus, was ihn sofort die Kälte vergessen ließ, die ihm beim Warten die Beine heraufgekrochen war. Jetzt war ihm sowieso warm, denn er war dem Juwelier schon sehr nahe gekommen. Noch drei Schritte. Seine Hand legte sich wie von selbst um die Waffe in seiner Manteltasche. Sie fühlte sich gut an, war nicht zu schwer und gab ihm ein Gefühl von unendlicher Macht.

„Tasche her!“, sagte er mit fester Stimme, als er genau hinter Josef stand, und packte den langen Schultergurt. „Und dreh dich nicht um, sonst knall ich dich ab!“

Marek drückte den Lauf der Waffe in Josefs Rücken und versuchte, die Tasche über den Kopf seines Opfers zu heben. Das erwies sich als schwierig, denn Josef hatte langsam die Hände gehoben und wirkte nun noch größer, als er ohnehin schon war.

„Gib mir die Tasche und mach keinen Mist!“

Josef überlegte fieberhaft, was er machen sollte und war nicht gewillt, seinen Reichtum diesem dreisten Dieb zu überlassen. Langsam nahm er die Hände wieder herunter, drehte sich dann blitzschnell um und schleuderte dem Angreifer die Tasche in den Bauch. Der Dieb taumelte kurz, hatte sich aber rasch wieder im Griff und zielte auf den Kopf des Juweliers. Josef schaute in den Lauf der Waffe und ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken.

„He, nicht schießen, da hast du bloß noch mehr Probleme. Sag mal, ich habe dich doch schon irgendwo gesehen …“

In dem Moment knallte es und ein Blitz zuckte auf Josef zu. Er spürte einen kurzen Schmerz in der rechten Schulter und sackte zusammen. Der Dieb nahm die Tasche an sich und wollte wegrennen, da rappelte sich Josef wieder auf und eilte trotz Schmerzen hinterher. Der andere war fast an der Rheinpromenade angekommen, die ebenso wie die dunklen Gassen vollkommen verwaist war, und drehte sich um. In seiner Verzweiflung schoss er erneut auf Josef und traf ihn in den Bauch. Dass das Opfer zusammenbrach und liegenblieb, sah er nicht mehr, denn er rannte durch die nächste Gasse zurück in die Altstadt. Als er bemerkte, dass er nicht mehr verfolgt wurde, lief er langsamer. Die Waffe hatte er nach dem zweiten Schuss in den Mantel gesteckt, jetzt tastete er danach.

Entsetzt blieb er stehen. Aufgeregt durchwühlte er alle Taschen, aber ihm war schon vorher klargeworden, dass die Waffe weg war. Er musste sie beim Rennen verloren haben.

„Scheiße“, murmelte er. „Scheiße, Scheiße, so eine Scheiße.“

Ein Zurück gab es nicht mehr, denn er hörte die Sirenen der Polizei. Als eine Tür neben ihm aufging, sah er in das Gesicht einer Frau.

„Waren das Schüsse? Haben Sie das auch gehört?“

Marek zuckte nur kurz mit den Schultern und lief langsam und unauffällig weiter. Nachdem er endlich die Tür zu seiner winzigen Wohnung von innen abgeschlossen hatte, atmete er auf. Dann schüttete er den Inhalt der Tasche auf den Küchentisch.

„Wahnsinn!“, sagte er zu den Bündeln aus Geldscheinen. „Ich bin reich! Oh Mann, ich bin reich! Weihnachten kann kommen.“

Der Verlust der Waffe war kein Problem mehr, denn jetzt hatte er das, was er wollte: Geld im Überfluss. Er riss den Kühlschrank auf, griff nach der Sektflasche, die er extra für heute bereitgestellt hatte, und goss sich etwas in einen großen Kaffeebecher. Er prostete dem Geldhaufen zu und trank die Tasse in einem Zug leer.

„Wie viel wird das sein?“

Mit einem verträumten Blick rührte Marek mit dem Zeigefinger im Geld.

„Das hast du verdient, du arroganter Sack. Was du mit meiner Schwester abgezogen hast, war das Letzte. Jetzt kannst du mal zusehen, wie es ist verletzt zu werden. Ich hoffe, du bist nicht tot, du reicher Scheißkerl, das wäre zu schade. Nein, es wäre zu einfach, du sollst leiden, wie meine Schwester gelitten hat. Du Schwein!“

Josef hatte ihn erkannt, das war klar, aber vielleicht würde er es niemandem mehr sagen können. Seit Mareks kleine Schwester Kerstin auf Drängen des Juweliers ihr Kind abgetrieben hatte, war sie nicht mehr glücklich geworden und hatte sich am letzten Weihnachtsfest das Leben genommen. Marek hatte sie tot in der Wanne gefunden, als er sie zum gemeinsamen Weihnachtsessen bei seiner Mutter abholen wollte. Kerstin hatte Tabletten genommen und sich die Pulsadern aufgeschnitten. Der Anblick ihres weißen Körpers mit den offenen Augen in dem Wasser, das wie Roséwein aussah, hatte sich in seine Seele eingebrannt und er wollte dem Mann, der ihr das angetan hatte, auch wehtun.

Er hatte ein Jahr gebraucht, um an die Waffe zu kommen und gestern hatte er seiner Mutter, die in einem Pflegeheim lebte und nur starr vor sich hinsah, gesagt: „Morgen räche ich Kerstin und bestrafe den reichen Sack, der sie wie ein Spielzeug weggeworfen hat. Ach, Mama, er hat mir alles genommen, was wichtig war: erst meine Schwester und dann meine Mutter. Jetzt werde ich ihm das wegnehmen, was für ihn wichtiger als alles andere ist: sein Geld. Ich komme übermorgen wieder zu dir.“

Er hauchte einen Kuss auf die Stirn dieser blassen Frau, die vor ihm saß und nicht mehr verstand, was um sie herum geschah. Sie war ein Schatten ihrer selbst, nachdem sie den Schlaganfall erlitten hatte. Der Tod ihrer Tochter hatte sie krank gemacht.

Sein Vater war schon fünf Jahre tot. Er hatte einen Gehirntumor gehabt und damals dachte Marek schon, dass seine Mutter das nicht überstehen würde. Kerstin und er hatten sich rund um die Uhr um sie gekümmert, obwohl ihr eigener Schmerz übermäßig groß war. Vater war der Fels in der Familie gewesen, er war stark und ihr Beschützer, aber der kleine Tumor, der sich an einer Stelle des Gehirns festgesetzt hatte, wo er nicht entfernt werden konnte, hatte ihn in die Knie gezwungen. Die tickende Zeitbombe war eines Morgens nach dem Aufstehen explodiert und Vater war an einer Hirnblutung gestorben.

Marek saß jetzt an seinem Küchentisch und plötzlich fühlte er sich beim Anblick des Geldes nicht mehr so toll und mächtig. Egal, wie viel es war, es würde ihm seine Lieben nicht zurückbringen. Eine Träne löste sich aus seinem Augenwinkel und er legte den Kopf auf seine Unterarme.

2

Bianca saß am Frühstückstisch und überlegte, wann sie mal einen Weihnachtsbaum gehabt hatte. Bei den Eltern natürlich, da war das Schmücken ein Ritual am Morgen vor Heiligabend. Irgendwann war sie allein gewesen und hatte sich selbst keinen Baum hingestellt, zuerst, weil es zu schmerzhaft war und später, weil sie keine Zeit und keine Lust mehr hatte. Am letzten Weihnachtsfest, das sie mit Michael verlebt hatte, hatten sie einen Strauß Tannenzweige in eine große Vase gestellt, eine Lichterkette und kleine goldene Kugeln daran befestigt. Sie hatte nicht an Michael denken wollen, denn dann überrollte sie jedes Mal eine Welle der Trauer, aber heute ging es sogar ohne Tränen.

„Danke, Eric“, murmelte sie.

Eric Ströckwitz war derjenige, der ihren Schmerz ernst nahm, der ihr zuhörte, mit dem sie über Michael reden konnte, der sie nicht für sich allein haben wollte und sie bekam jedes Mal Schnappatmung, wenn sie diese wahnsinnige Liebe in sich spürte, die sie für ihn empfand.

Dabei wäre es fast zu spät gewesen, nachdem Ludger auf sie geschossen hatte. Nach dreizehn Tagen war sie wach geworden, da saß Eric an ihrem Bett und weinte vor Rührung, als sie langsam die Augen öffnete und in die Sonne blinzelte.

„Bianca, oh mein Gott, ich dachte, du stirbst!“

„Was ist passiert? Wo bin ich?“

Eric hatte ihr alles erzählt und als dann auch noch Ferdinand auftauchte und sichtlich froh war, dass seine Kollegin am Leben war und keine bleibenden Schäden zurückbehalten hatte, ging es ihr gleich viel besser. Zufrieden schloss sie die Augen. Am nächsten Tag hatte sie sich an die Zeit vor der Schießerei im Weinkeller erinnert.

„Das mit dem Prinzen und der Prinzessin lassen wir aber in Zukunft.“

„Wie kommst du denn jetzt darauf?“

„Ich bin keine Prinzessin, sondern eine ganz normale Frau. Und ich stehe nicht auf so einen Kitsch.“

„Das mit dem Kitsch ist in Ordnung, aber normal bist du irgendwie nicht.“

Bianca runzelte die Stirn.

„Was soll das denn heißen?“

Eric hatte lachend gesagt: „Na, wer sich einfach so in die Flugbahn einer Kugel wirft, nur um einen Kerl zu retten, der kann doch nicht normal sein.“

Jetzt ließ sie ihr Brötchen auf den Teller gleiten und eine Träne lief ihre Wange hinab. Eric, der aus dem Bad gekommen war und sich zu ihr gesetzt hatte, sah sie erschrocken an.

„Bianca! Was ist los? Tut dir etwas weh?“

„Nein, alles ist gut. Ich musste nur daran denken, dass Ludger dich beinahe erschossen hätte.“

Er nahm ihre Hand und küsste zärtlich die Fingerspitzen. Bianca wischte die Träne weg und lächelte.

„Gott sei Dank nur beinahe. Aber du musst mir versprechen, dich nicht mehr in so eine Gefahr zu bringen.“

„Das habe ich dir schon tausend Mal versprochen, aber wenn es dich beruhigt, dann tue ich es noch einmal. Leider muss ich jetzt los. Ich muss euren jungen Mann verhören, der beinahe ein Mörder geworden wäre.“

„Denkst du, er war es?“

„Er hatte das Geld und den Ausweis von Josef Morentz. Wie sollte er sonst darangekommen sein, wenn nicht durch den Überfall.“

„Vielleicht hat er alles gefunden.“

„Das glaubst du doch wohl selbst nicht!“

Eric war aufgestanden, räumte sein Geschirr ab und küsste Bianca zum Abschied. Dann war er auch schon aus der Tür. Die Kommissarin ging zum Fenster und schaute hinaus. Es war eisig kalt und die feuchte Luft dazu war sehr unangenehm. Sie sah Eric zu seinem Auto gehen und winkte. Er nickte ihr zu und fuhr los, nachdem er die Scheiben freigekratzt hatte.

„Wir brauchen ein Haus mit einer großen Garage“, murmelte sie vor sich hin.

Sechs Wochen nach der Verletzung war sie wieder zuhause gewesen und weitere drei Wochen später stand sie voller Tatendrang im Büro. Eine Narbe würde sie für die Ewigkeit daran erinnern, dass sie ihrem Liebsten das Leben gerettet hatte. Eric und sie hatten immer noch je eine Wohnung im selben Haus, aber sie verbrachten die meiste Zeit bei Bianca. Erics Wohnung war zu einer Art Büro geworden. Manchmal fuhren sie zusammen ins Polizeipräsidium, aber heute musste Bianca erst später hin, denn Ferdinand hatte einen Zahnarzttermin und wollte sie danach abholen.

Sie räumte auf, saugte und nahm die Zeitung in die Hand. Hier wurde ganz groß und reißerisch über den Überfall auf den bekannten Juwelier berichtet.

Bianca las: „Der Täter Marek W. hatte Josef M. aufgelauert, seine Geldtasche gestohlen und auf ihn geschossen. Wie durch ein Wunder konnte sein Leben gerettet werden.“

Sie legte die Zeitung beiseite und streckte sich.

„Vielleicht besuche ich ihn mal im Krankenhaus.“

Es klingelte und Ferdinand stand vor der Tür.

„Hast du einen Kaffee für mich?“

„Darfst du direkt nach dem Zahnarzt Kaffee trinken?“

Ferdinand winkte ab.

„Ich muss einen besseren Geschmack kriegen. Gerade ist es ekelhaft. Also, was ist? Sei nett zu deinem Kollegen.“

Bianca lief in die Küche und schaltete zum zweiten Mal heute die Kaffeemaschine an. Dann setzten sie sich an den Tisch.

„Es ist bitterkalt draußen. Was denkst du? Bekommen wir mal Schnee?“, brummte Ferdinand.

„Keine Ahnung. Weißt du, was ich habe? Einen Weihnachtsbaum.“

„Uuuuh, das ist ja spektakulär. Ich werde mir keinen hinstellen. So allein hat das ja keinen Sinn.“

„Warum kommst du nicht zu uns an Weihnachten?“

Ferdinand legte eine Hand auf Biancas Arm und lächelte.

„Danke, aber ich schaffe das schon. Ich werde essen gehen, spazieren und den Rest der Zeit werde ich schlafen. Ich brauche weiter nichts. Es macht mich schon sehr froh, dass das mit dir und Eric so gut läuft. Ihr seid füreinander bestimmt.“

„Manchmal …“

Bianca schwieg und biss sich auf die Unterlippe. Ferdinand sah sie fragend an.

„Manchmal denke ich daran, mich von ihm zu trennen.“

„Weil du glaubst, dass das nochmal passieren könn­te?“

„Ja, ich werde immer Angst haben, dass ihm etwas zustößt. Verstehst du das?“

„Meine Liebe“, sagte Ferdinand leise, „er könnte auch überfahren werden oder eine schlimme Krankheit bekommen oder einen Herzinfarkt, aber das wird nicht passieren. Du musst aufhören, dich verrückt zu machen. Das alles, was dir durch den Kopf geht, könnte theoretisch auch dir und mir jederzeit passieren. Schau nach vorne! Du liebst ihn doch, oder?“

„Ja, ich liebe ihn wie wahnsinnig. Und jeden Tag wächst meine Liebe und auch meine Angst um ihn. Ich weiß, das ist Quatsch, aber ich kann nichts dagegen tun.“

„Genießt eure Zeit und die Liebe. Vielleicht dürft ihr mich an Weihnachten zum Kaffee einladen.“

Das werden wir ganz sicher, dachte Bianca und grinste.

„Wollen wir mal arbeiten oder verbummeln wir den ganzen Tag?“

„Arbeiten. Wir müssen die Tatwaffe finden. Der Täter behauptet, er hätte sie verloren.“

„Wie dumm muss man denn sein, seine Tatwaffe zu verlieren?“

„Er hat ausgesagt, er sei gerannt und als er dann nach der Waffe getastet hatte, war sie weg.“

„Wie oft hat er geschossen?“

„Zweimal.“

„Da freut sich der, der sie findet. Was für ein Magazin hat er benutzt?“

„Er meinte, es seien achtzehn Schuss drin gewesen.“

„Dann lass uns losfahren und nach dem Ding suchen. Es kann doch wohl nicht sein, dass sie einfach weg ist. Vielleicht hat er sie in den Rhein geworfen.“

3

„Ach, dieser kleine Gangster wollte sich nur rächen“, erklärte Josef Morentz, der mit blassem Gesicht im Bett des Krankenhauses lag.

„Ich bin vor einiger Zeit auch angeschossen worden.“

„Dann war ihr Täter genauso blöd zum Schießen wie der Trottel Marek.“

„Sie kennen ihn?“

„Ich war mit seiner Schwester liiert, aber wir haben nicht zusammengepasst. Als ich mich getrennt habe, hat sie sich umgebracht. So ein Dummerchen. Als ob das was genützt hätte. Sie war einfach nicht meine Kragenweite, zu gewöhnlich, wenn sie verstehen, aber das habe ich zu spät bemerkt.“

Er hatte über den Tod der Frau geredet, als wäre es nur der Fehlkauf eines Autos gewesen. In Bianca krampfte sich sofort alles zusammen und sie ahnte, dass Josef Morentz der Frau viel Leid zugefügt hatte.

„Ich habe mich vor meinen Freund geworfen, als jemand auf ihn schoss“, sagte sie, stand auf und verließ das Zimmer, ohne auf eine Antwort zu warten.

„So ein eiskalter Arsch“, schimpfte sie im Präsidium, als sie Ferdinand gegenübersaß.

„Niemand darf einen Menschen selbst richten, dafür sind wir da und der Richter.“

„Ich weiß das doch, aber ich ärgere mich. Er hat über diese Frau so abfällig geredet, dass ich einfach immer noch sauer bin.“

„Ich denke manchmal an Nele und verstehe, warum sie das getan hat, aber es bleibt trotzdem falsch. In solchen Momenten, wie du ihn erlebt hast, sage ich mir immer, dass wir die Guten sind und uns an Regeln halten müssen.“

Bianca nickte nur und wendete sich jetzt dem Computer zu. Sie hatte den Namen des Juweliers in die Suchmaschine eingegeben und scrollte langsam abwärts.

„Der Mann hat viel Geld, seit Generationen ist das Geschäft in der Familie, aber erst er hat es zu einer richtigen Goldgrube gemacht. Und er verkehrt in den besten Kreisen. Bestimmt hat Ludger bei ihm eingekauft. Seine Damen, die alle sehr jung sind, wechselt er wie seine Socken. Auf jedem Foto sieht man ihn mit einer anderen. Nur in diesem Jahr hat er die Frau schon länger.“

„Und Marek Wingheimers Schwester hat dazugehört?“

„Ja, schau, hier ist ein Foto von ihnen. Eine unscheinbare Schönheit. Sie hat ein gewinnendes Lächeln.“

Ferdinand war um den Tisch herumgekommen und sah die Fotos an. Dann nickte er.

„Sie schien wirklich nicht zu den Damen zu passen, die er sonst bevorzugt. Und sie war blutjung. Wie alt ist er?“

Bianca schaute in die Akte und sagte: „Sechzig.“

„Naja, das macht ihn nicht sympathischer.“

„Eben.“

„Also, was machen wir denn jetzt wegen der Waffe? Sie ist nirgends zu finden. Wir sind den Weg doch genau abgegangen und haben überall geschaut. Wenn er die Wahrheit gesagt hat, dann ist die Waffe jetzt irgendwo, wo sie nicht sein sollte.“

„Das möchte ich mir lieber nicht vorstellen. Wir müssen ihn noch ein bisschen ausquetschen, vielleicht hat er sie versteckt für später.“

Ein Kollege kam herein, ohne zu klopfen und warf einen grünen Aktenordner auf den Tisch. Er rief ihnen nur kurz zu, dass das der Fall Kerstin Wingheimer war, den Ferdinand angefordert hatte. Ehe der sich bedanken konnte, war die Tür wieder zu. Der Kommissar zog den Ordner zu sich heran und begann zu lesen.

„Ach du je!“, rief er nach ein paar Minuten. „Kerstin Wingheimer war schwanger, hatte einen Abbruch und kam danach nicht wieder auf die Beine. Ihr Bruder hatte sie am Heiligabend gefunden.“

„Wann war das?“

„Letztes Jahr. Oh Mann, er hat sie gefunden, als er sie abholen wollte. Sie hatten ein fröhliches Fest mit der Familie geplant.“

„Wie furchtbar, da kann man doch nie wieder Weihnachten feiern. Die ganze Familie ist traumatisiert.“

„Es kommt noch dicker: Marek hat ausgesagt, dass Josef Morentz Kerstin zu der Abtreibung gezwungen hat.“

„Und du schimpfst mit mir, weil ich ihn hasse.“

„Es tut mir leid. Er hat es ja beinahe herausgefordert.“

Bianca griff zum Telefonhörer und wählte eine Nummer.

„Gab es im letzten Jahr Anzeigen von einem Josef Morentz wegen Belästigung oder ähnlichen Gründen?“

Es wurde gesprochen.

„Ah ja, dann danke.“

Sie legte auf.

„Marek Wingheimer hat den Mann niemals bedrängt. Anscheinend hat sich seine Wut jeden Tag gesteigert, bis seine Chance gekommen war.“

„Und er hat zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Zum einen hatte er seine Rache und zum anderen gab es einen Haufen Geld.“

Es klopfte abermals und Eric kam herein. Er war gut gelaunt und küsste Bianca auf die Stirn. Ferdinand gab er die Hand.

„Wie weit seid ihr mit der Waffe?“

„Sie ist weg.“

„Das ist sehr unschön.“

„Das wissen wir auch“, knurrte Bianca, „und ich bin gerade dabei mir auszumalen, wer dieses Ding haben könnte.“

„Womöglich haben Kinder sie beim Spielen gefunden“, warf Ferdinand ein.

„Oh nein, bitte nicht. Es müssten noch genug Kugeln drin sein, um damit großen Schaden anzurichten.“

„Und wenn sie in den Rhein gerutscht ist?“

„Wir brauchen Taucher. Eric, leite doch mal in die Wege, dass man den Uferbereich absucht. Ich würde Marek Wingheimer gerne befragen.“

„Das habe ich schon getan. Er ist geständig und hat mir auch erklärt, dass es in seinen Augen nötig war, dem Mann eine Lektion zu erteilen. Er ist ohne Reue, das bringt ihn für eine lange Zeit hinter Gitter.“

„Der arme Kerl.“

„Aber Bianca! Wie kannst du das sagen? Er hat einen Mann überfallen, ausgeraubt und wollte ihn töten.“

„Ich verteidige nicht seine Tat, aber ein bisschen Mitgefühl habe ich trotzdem. Er hat seine Schwester verloren, weil ein Kerl sie zu einer Abtreibung gezwungen hat und seine Mutter ist seit ihrem Schlaganfall in einem Pflegeheim und bekommt nichts mehr mit.“

„Ich habe auch Mitgefühl“, sagte Eric und schüttelte den Kopf, „aber es gibt andere Mittel und Wege, um zu seinem Recht zu kommen. Selbstjustiz ist falsch.“

Bianca hatte eine Erwiderung auf den Lippen, verkniff sie sich aber, denn sie wollte nicht mit Eric streiten, schon gar nicht vor Ferdinand, der ratlos von einem zum anderen geschaut hatte.

Jetzt mischte er sich ein: „Egal, welche Ansichten wir vertreten, eines ist jetzt wichtig: Wir müssen diese Waffe finden, ehe jemand damit etwas anstellt, was ihm später leidtut. Ich stimme Bianca zu und würde auch gerne mit Marek reden, wenn wir das dürfen.“

Eric atmete tief durch.

„Natürlich dürft ihr das. Ich werde in der Zwischenzeit die Taucher in den Rhein schicken. Bis später, Schatz.“

Dann war er aus dem Büro gelaufen und Ferdinand grinste.

„Schatz.“

„Halt die Klappe“, sagte Bianca lachend.

Sie machten sich auf den Weg ins Gefängnis, wo Marek Wingheimer in Untersuchungshaft saß. Im Besucherraum war es stickig und das Licht machte müde, obwohl es erst Mittag war.

Marek Wingheimer war ein Häufchen Elend, als man ihn hereinführte. Er setzte sich und starrte auf die Tischplatte.

„Wir sind Bianca Verskoff und Ferdinand Waldhöft von der Kriminalpolizei Eltville und möchten mit Ihnen reden.“

„Aber vorhin hat mich der Staatsanwalt verhört und dann waren auch die anderen schon da. Ich habe alles zugegeben, was wollen Sie denn noch?“

„Es tut mir leid, dass sie das Ganze so mitnimmt. Können Sie mir bitte erklären, was Sie mit Ihrer Tat beabsichtigt haben und woher die Waffe stammt?“

„Was haben denn alle mit dieser Waffe?“

„Herr Wingheimer, ist Ihnen mal in den Sinn gekommen, dass diese Waffe jetzt womöglich irgendein Kind hat, das jemanden damit verletzten oder töten könnte?“

„Oh Mann, das habe ich doch nicht gewollt!“

„Beruhigen Sie sich und schildern Sie den Abend nochmal ganz genau.“

Marek begann zu sprechen und als er fertig war, liefen Tränen über seine Wangen.

„Ich dachte, danach fühle ich mich gut. Ich war plötzlich reich, aber dann …“

„Dann haben Sie begriffen, dass das alles Ihre Schwester nicht mehr zurückbringt“, sagte Ferdinand, der am Fenster gestanden hatte, leise.

Marek nickte.

„Ich dachte, ich bringe Mama in ein schöneres Heim, wo man sich besser um sie sorgt und dann fahre ich in die Sonne und beginne ein neues Leben. Aber das Bild meiner toten Schwester in der Wanne lässt mich einfach nicht mehr los. Wissen Sie, es ist alles noch genauso mies wie vorher. Und irgendwie noch viel schlimmer …“

„Wie sind Sie an die Waffe gekommen?“

„Erstmal habe ich gespart. Silvester habe ich mich betrunken und dann beschlossen, den Mann zu bestrafen. Ich bin durch die Stadt getorkelt und ein paar Mal hingefallen. Am Neujahrsmorgen war der Gedanke immer noch da und dann begann ich, jeden Cent umzudrehen und habe mir nichts mehr gegönnt. Ich wusste aus Filmen, dass man eine Waffe braucht.“

„Und dann? Wann haben Sie die Pistole gekauft?“

„Ich habe im Internet recherchiert. Ohne Waffenschein konnte man sich nicht einfach eine Pistole kaufen, also musste es anders gehen. Am Bahnhof in Wiesbaden lungerte immer so ein Kerl herum, der sah aus, als wenn er einem alles besorgen könnte. Ich habe ihn eine Weile beobachtet. Ständig kamen Leu­te, denen er etwas in die Hand drückte und umgekehrt. Im März habe ich ihn angesprochen.“

„Kennen Sie seinen Namen?“, fragte Bianca.

„Nein, ich habe ihn auch nicht wiedergesehen. Er wollte tausend Euro haben für die Pistole und ein Magazin. Ich hatte ja keine Ahnung und habe ihm gesagt, dass ich noch Zeit brauche, um das Geld aufzutreiben. Er sagte, ich solle ihm dann eine SMS schicken. Das war es dann auch. Im Oktober hatte ich das Geld und habe ihm Bescheid gegeben. Er sagte, ich könne die Waffe aus dem Schließfach nehmen und solle das Geld hineintun. Fertig. Das wars.“

„Welches Schließfach?“

„Drei.“

„Haben Sie den Mann nochmal dort gesehen?“

„Nein, nie wieder.“

„Können Sie ihn beschreiben?“

„Schwarze Klamotten, graues Basecap, Sonnenbrille, schmutzige Fingernägel und zerrissene, dreckige Turnschuhe. Es sah abgerissen aus, aber das goldene Armband war sicher echt. Fragen Sie mich nicht nach der Nummer, die war einen Tag später nicht mehr erreichbar.“

Ferdinand hatte sich Notizen gemacht und als sie wieder auf dem Parkplatz standen, rief er Hannes an und gab die Beschreibung durch. Der Frankfurter Kommissar versprach, sich um die Sache zu kümmern.

„Glaubst du ihm?“, fragte Bianca nachdenklich.

„Ja, ich denke schon. Also müssen wir davon ausgehen, dass jemand in Eltville eine Waffe mit einem fast vollen Magazin hat, wenn sie nicht doch im Rhein liegt.“

4

Die Leiche des Mannes lehnte am Neujahrsmorgen an der Rückwand der Bushaltestelle. Seine Haut war grau, die toten Augen starrten auf einen unsichtbaren Punkt an der Mauer. Er hatte gerade so in die Lücke zwischen dem Bushäuschen und der Wand des alten Hauses gepasst. Schuhe und Hose waren schmutzig, Hemd und Jacke standen offen und gaben den Blick auf einen dürren Oberkörper frei. In Höhe des Herzens sah man ein blutiges Loch.

„Wer hat ihn gefunden?“, fragte Bianca ihren Kollegen Herrmann Pfriehl von der Spurensicherung.

„Die Frau dort hinten. Sie hat ihren Hund ausgeführt.“

„Um diese Zeit? Es ist gerade mal sechs und Neujahr.“

„Vielleicht hat sie so lange gefeiert und wollte mit dem kleinen Kerl Gassi gehen, ehe sie sich ins Bett legt. Frag sie doch!“

Bianca und Eric hatten zu Weihnachten ein paar freie Tage gehabt, dafür hatte sie sich bereiterklärt, den Dienst über den Jahreswechsel zu übernehmen, auch Ferdinand war eben aufgetaucht. Um Mitternacht hatten sie sich alle im Büro getroffen und mit Kaffee angestoßen.

„Auf ein schönes gemeinsames Jahr“, hatte Eric Bianca ins Ohr geflüstert und sie zärtlich geküsst.

Sie hatten sich über die relativ ruhige Nacht gefreut und waren hochgeschreckt, als sie zum Tatort gerufen wurden.

„Hallo, ich bin Bianca Verskoff von der Kripo Eltville, das ist mein Kollege Waldhöft. Sie haben den Toten gefunden?“, sprach sie die junge Frau an, die gähnend auf der Kofferraumkante des Streifenwagens saß.

Sie hielt ein kleines weißes Wollknäuel auf ihrem Schoß und schlotterte vor Kälte, obwohl man ihr eine Decke um die Schultern gelegt hatte.

„Ich bin Leona Friedersohn. Boss hat dort geschnüffelt und ich dachte, der Typ pennt da. Besoffen nach dem Feiern.“

„Warum sind Sie denn so früh schon auf den Beinen?“

Leona zeigte auf den kleinen Hund.

„Boss hat seine Zeiten. Da interessiert es ihn nicht, ob Feiertag ist. Mann, war ich erschrocken, als ich das Blut gesehen habe. Ich musste doch an ihm rütteln, bei der Kälte draußen pennen ist nicht sehr gesund.“

„Wie lange ist das jetzt her?“

„Eine Stunde vielleicht? Keine Ahnung, wie lange ich hier schon sitze. Kann ich irgendwoher einen Kaffee bekommen?“

„Ich besorge Ihnen einen“, erklärte Ferdinand mürrisch. „Ich brauche auch einen.“

„Super, mit Milch und Zucker, wenn es geht.“

„Ich versuche mein Bestes.“

Damit verschwand der Kommissar um die Ecke. Bianca setzte die Befragung fort.

„Haben Sie jemanden hier in der Nähe gesehen?“

„Nein, wer rennt schon um diese Zeit draußen herum. Außer mir, will ich sagen. Ich treffe fast nie Menschen, wenn ich morgens mit Boss draußen bin. Und ehe Sie fragen: Ja, ich mache die Hundekacke immer weg. Ich hasse es, wenn einer seinen Hund irgendwo auf den Weg scheißen und den Dreck liegen lässt.“

Ich hätte nicht danach gefragt, dachte Bianca und ein Schauer lief ihr über den Rücken. Sie war auch immer wütend, wenn sie in manchen Ecken der Stadt Slalom um die Hundehaufen laufen musste.

In diesem Moment kehrte Ferdinand mit drei Bechern Kaffee zurück und hielt seinen anschließend mit beiden Händen fest.

„Saukalt“, brummte er. „Kennen Sie den Toten? Haben Sie ihn schon einmal gesehen?“

Die junge Frau schüttelte den Kopf.

„Gut“, sagte Bianca, „gehen Sie nach Hause, ehe Sie sich eine Erkältung holen. Wenn Ihnen noch etwas einfallen sollte, rufen Sie mich an.“

Sie gab Leona ihre Karte. Mit dem Kaffeebecher in der einen und der Hundeleine in der anderen Hand schlenderte die junge Frau davon. Boss wedelte mit dem kleinen Stummelschwänzchen und tippelte hinterher.

Bianca trank das heiße Gebräu, das sehr bitter schmeckte, aber das war ihr im Moment egal. Sie rief Eric an und berichtete kurz, was sie bereits wussten. Er bat sie ins Präsidium und wartete im Büro.

„Der Kerl ist in unserem System, er konnte anhand seiner Fingerabdrücke identifiziert werden. Es handelt sich um Konstantin Gernhold. Er ist vierundvierzig und vorbestraft wegen kleinerer Drogendelikte, häuslicher Gewalt, Einbruch und Körperverletzung. Außerdem mischt er im Rotlichtmilieu mit.“

„Na super, ein netter Zeitgenosse.“

Ferdinand hatte Kopfschmerzen und seine Nase war verstopft, jetzt begann er auch noch zu husten.

„Wirst du etwa krank?“, fragte Bianca voller Sorge.

„Es fühlt sich so an. Sagt mal, schafft ihr beide das hier allein? Mir geht es mies und möchte nur schlafen.“

Eric nickte und setzte sich zu Bianca. Der Kommissar griff direkt wieder nach seiner Jacke, schüttete den Rest Kaffee weg und ging heim.

„Wenn der seinen Kaffee nicht mal austrinkt, ist er wirklich krank. Ob es eine Tat ist, die mit dem Rotlicht zusammenhängt?“

„Das könnte schon sein“, erklärte der Staatsanwalt. „Mal sehen, was die Obduktion ergibt. Vielleicht ist eines seiner Geschäfte schiefgegangen oder er hat jemanden beschissen, der sich das nicht hat gefallen lassen.“

„Aber Herr Staatsanwalt, solche Worte aus Ihrem Mund. Ich bin entsetzt.“

„Frau Kommissarin, du kannst mich ja verhaften, wenn du es schaffst. Nein, mal im Ernst, der war nun wirklich kein unbeschriebenes Blatt und hatte sicher Feinde wie Sand am Meer. Da wird sich jemand gerächt haben.“

„Gut, dann müssen wir uns im Milieu umhören. Hatte er eine Familie?“

„Geschieden. Das war sicher das Beste, was der Frau passieren konnte. Die Anzeige wegen häuslicher Gewalt kam von einem Nachbarn, der die Nase voll hatte, denn der gute Mann hat seine Frau regelmäßig verprügelt. Danach war sie im Frauenhaus und hat sich scheiden lassen.“

„Hat man ihn verurteilt?“

„Bewährung“, sagte Eric mit bitterem Unterton.

„Ist sie wenigstens weggezogen?“

„Das werden wir herausfinden. Soll ich mal Hannes fragen, ob er dir ein bisschen unter die Arme greift, solange Ferdinand aus dem Rennen ist?“

„Ach was, ich schaffe das schon allein.“

Eric sah sauer aus und wollte etwas sagen, da lenkte Bianca ein.

„Nein, ruf ihn ruhig an. Ich weiß, ich soll langsam machen.“

Nun lächelte Eric und verabschiedete sich mit einem Kuss auf die Wange. Bianca schaltete den Computer ein und recherchierte die Adresse von Mia Weigerlich, der Ex-Frau des Opfers. Obwohl, dachte sie, den Fotos nach ist eher sie das Opfer und der Kerl hat es eigentlich verdient. Jetzt musste sie schon wieder an Nele denken. Auch sie hatte mit ihren Taten Menschen retten wollen, die Opfer häuslicher Gewalt gewesen waren, aber sie hatte den falschen Weg gewählt.

Das war ein Tabu-Thema für Eric, der Selbstjustiz und Racheaktionen aller Art verdammte. Das hatte sie beim Fall Marek Wingheimer deutlich gespürt. In einer passenden Stunde würde sie ihren Freund mal darauf ansprechen und herausfinden, warum dieses Thema für ihn so ein rotes Tuch war.

„Das ist ja mutig“, flüsterte sie plötzlich, denn Mia Weigerlich wohnte immer noch in Eltville.