Wo der Wald schweigt - Toni Waidacher - E-Book

Wo der Wald schweigt E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Als Sophie Tappert, die Pfarrhaushälterin, an diesem Morgen die Bäckerei Terzing, wo sie für das Frühstück Pfarrer Trenkers ein paar Stangerln besorgt hatte, verließ, kam ihr die fünfundzwanzigjährige Anita Meierhöfer entgegen. Anita war eine mittelgroße Frau mit langen, brünetten Haaren und einer sportlichen, dennoch fraulichen Figur. »Guten Morgen, Frau Tappert«, grüßte sie freundlich. »So früh schon auf den Beinen?« Anita lachte. Sie besaß ein hübsches, sympathisches Gesicht, das von einem grünlichen Augenpaar beherrscht wurde. Es verlieh diesem Gesicht eine besondere Note, denn es bildete einen außergewöhnlichen Kontrast zu den braunen Haaren. Die Zähne Anitas blitzten weiß zwischen den schön geschnittenen Lippen. »Das ist das Los einer Pfarrhaushälterin«, versetzte Sophie lächelnd. »Nachdem der Hochwürden die Frühmesse gelesen hat, braucht er was Vernünftiges zwischen die Zähne. Dass er das kriegt, dafür bin ich zuständig. Du bist ja selber ziemlich früh unterwegs, Madel«, fügte Sophie hinzu. »Ich hab' eine Woche Urlaub und will dem Horst auf seinem Hof ein bissel zur Hand gehen. Er hat ja kaum Hilfe. Seine Mama kann nimmer, sie versorgt allenfalls noch den Haushalt, sein Papa ist unheilbar erkrankt und befindet sich seit einigen Wochen im Pflegeheim in Waldeck.« »Dass der Lemberger-Karl ins Pflegeheim eingeliefert worden ist, das hat sich herumgesprochen«, sagte Sophie.

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Seitenzahl: 135

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Der Bergpfarrer – 532 –Wo der Wald schweigt

Ein Tal zwischen Liebe, Gier und Gewissen

Toni Waidacher

Als Sophie Tappert, die Pfarrhaushälterin, an diesem Morgen die Bäckerei Terzing, wo sie für das Frühstück Pfarrer Trenkers ein paar Stangerln besorgt hatte, verließ, kam ihr die fünfundzwanzigjährige Anita Meierhöfer entgegen.

Anita war eine mittelgroße Frau mit langen, brünetten Haaren und einer sportlichen, dennoch fraulichen Figur. »Guten Morgen, Frau Tappert«, grüßte sie freundlich. »So früh schon auf den Beinen?« Anita lachte. Sie besaß ein hübsches, sympathisches Gesicht, das von einem grünlichen Augenpaar beherrscht wurde. Es verlieh diesem Gesicht eine besondere Note, denn es bildete einen außergewöhnlichen Kontrast zu den braunen Haaren. Die Zähne Anitas blitzten weiß zwischen den schön geschnittenen Lippen.

»Das ist das Los einer Pfarrhaushälterin«, versetzte Sophie lächelnd. »Nachdem der Hochwürden die Frühmesse gelesen hat, braucht er was Vernünftiges zwischen die Zähne. Dass er das kriegt, dafür bin ich zuständig. Du bist ja selber ziemlich früh unterwegs, Madel«, fügte Sophie hinzu.

»Ich hab‘ eine Woche Urlaub und will dem Horst auf seinem Hof ein bissel zur Hand gehen. Er hat ja kaum Hilfe. Seine Mama kann nimmer, sie versorgt allenfalls noch den Haushalt, sein Papa ist unheilbar erkrankt und befindet sich seit einigen Wochen im Pflegeheim in Waldeck.«

»Dass der Lemberger-Karl ins Pflegeheim eingeliefert worden ist, das hat sich herumgesprochen«, sagte Sophie. »Schlimm, schlimm. Der Karl ist doch noch gar net alt. Was fehlt denn der Betty? Ist sie etwa auch krank?«

»Direkt krank ist sie net«, antwortete Anita. »Aber seit der Karl so schwer erkrankt ist, hat sie irgendwie resigniert. Sie hadert nur noch mit dem Schicksal, fühlt sich von Gott und der Welt verlassen, isst fast nix mehr und hat schon an die zehn Kilo an Gewicht verloren. Es ist, als hätt‘ ihr die schwere, unheilbare Erkrankung Karls jeden Lebenswillen genommen.«

»Wie läuft’s denn mit dir und dem Horst?«, fragte Sophie. »Mal hört man, dass ihr ein Paar seid, dann erzählt man sich wieder, dass du immer noch net über die Sache mit dem Matthias Obwandner hinweggekommen wärst und den Horst zappeln lässt. Das mit dem Matthias ist doch schon ein halbes Jahr her. Du wirst ihm doch nimmer nachweinen, hat er dich doch ziemlich rüde behandelt.«

Ein Schatten schien über Anitas hübsches Gesicht zu huschen. Ihr Lächeln war längst versickert. »Darüber bin ich hinweg«, erklärte sie. »Nein, das war net die feine englische Art vom Matthias. Per SMS hat er mich abserviert. In der Gemeinde war das ja damals Tagesgespräch. Einige Leut‘ sind mir sogar mit Häme begegnet. - Dass ich den Horst zappeln lass‘, das ist ein Gerücht, Frau Tappert. Wir sind seit einem Vierteljahr ein Paar. Der Horst hat sogar schon von Verlobung gesprochen.«

»Das freut mich für dich, Madel«, sagte Sophie, und es kam von Herzen. »Die Hilfe, die er von dir erhält, wird der Horst gut gebrauchen können. Es ist ja eine große Landwirtschaft, die er von seinem Vater übernommen hat. Wenn seine Mama gerade noch den Haushalt versorgen kann, dann bleibt alles andere an ihm hängen; die Bearbeitung der Nutzflächen, die Waldarbeit, und die anfallenden Arbeiten im Stall sowie an Haus und Hof.«

»Er will, was die Landwirtschaft betrifft, kürzertreten«, sagte Anita. »Sein Plan ist es, auf dem Hof künftig Zimmer zu vermieten und Urlaub auf dem Bauernhof anzubieten. Dazu sind aber umfangreiche Umbaumaßnahmen notwendig. Das nimmt er in Kauf, denn wie gesagt, die Landwirtschaft will er nur noch im Nebenerwerb betreiben. Außerdem hat er was vor, das mir persönlich ganz und gar net behagt.«

»So, was denn?«, erkundigte sich Sophie.

»Er will sich gewissermaßen eine neue Geldquelle erschließen, die neben der Zimmervermietung den Lebensunterhalt sicherstellen und die Heimkosten für seinen Vater hereinbringen soll. Ich bin absolut dagegen, und ich werd‘ sicherlich net die Einzige im Tal sein. Er aber ist total von der Idee begeistert. Es ist ein Gedanke, die im Gemeinderat von St. Johann aufs Tablett gebracht worden ist, den der Horst aufgegriffen hat, und die bei ihm mehr und mehr zur fixen Vorstellung gerät.«

»Wenn’s von unserem Gemeinderat kommt, Madel, dann ist es gewiss nix Vernünftiges«, sagte Sophie und es klang ziemlich geringschätzig. »Allen anderen voran hat der Bruckner, unser Gemeindeoberhaupt, die verrücktesten Pläne, um den Tourismus anzukurbeln. Was ist das denn für eine Idee, die den Lemberger-Horst so sehr aus dem Häuschen bringt?«

»Er hat von dem Vorschlag irgendeines Gemeinderatsmitglieds gehört, wonach oben, bei der Kachlachklamm, ein Wirtshaus errichtet werden soll, und dass man des Weiteren einen Sessellift bauen möcht‘, der über die Kachlachklamm hinaus die Besucher bis hinauf zur Streusachhütte befördern kann.«

Sophie schaute ziemlich verständnislos drein. »Will etwa der Horst diese wahnwitzige Idee übernehmen? Eventuell als Investor?«

»Nein. Zu seinem Waldgebiet gehört doch der Langferner. Der Horst denkt darüber nach, auf dem Berg ein Restaurant zu eröffnen, und er fasst ebenfalls den Bau eines Sessellifts ins Auge.«

»Da müsst‘ er ja sehr viel Wald zerstören«, stieß Sophie geradezu fassungslos hervor. »Ein Restaurant auf dem Berg würd‘ ja auch eine umfassende Infrastruktur voraussetzen; Wasser, Strom, Gas, Kanalisation, Telefonanschluss ...« Sie verstummte kurz, dachte nach, doch ihr schien nichts mehr einzufallen, sodass sie lediglich hinzufügte: »Was weiß ich, was sonst noch alles dazu gehört. Hat sich das der Horst schon mal vor Augen geführt. Flora und Fauna würden immens darunter leiden. Das kann ihm doch net egal sein.«

»Scheint es ihm aber, Frau Tappert«, verriet Anita. »Ich hab‘ doch genauso argumentiert wie Sie, aber er hat nur abgewinkt und meinen Einwand mit der Bemerkung, dass auf dem Langferner und rund ums Tal noch genug Wald zur Verfügung stehen würde, vom Tisch gefegt.«

»Ist seine Absicht denn schon konkret, Anita«, fragte Sophie, »oder hat er sie nur mal so ganz nebenbei angedacht?«

»Er hat im Sinn, mit seinem Plan demnächst an den Greitlinger-Sepp, unseren Bürgermeister, heranzutreten. Wenn der Gemeinderat grünes Licht gibt, dann will er seine Absicht so schnell wie möglich in die Tat umsetzen.«

»Du scheinst mir gar net besonders glücklich darüber zu sein, Madel«, stellte Sophie fest.

»Bin ich auch net, Frau Tappert«, erwiderte Anita impulsiv. »Wie Sie schon gesagt haben: Es müsst‘ eine umfassende Infrastruktur geschaffen werden. Für das Restaurant, die Bergstation und einige Wirtschaftsgebäude müssten mehrere hundert Quadratmeter Wald vernichtet, außerdem müsst‘ für den Lift eine breite Bresche in den Wald geschlagen werden. Eine Talstation müsst‘ gebaut und an das öffentliche Versorgungsnetz angeschlossen werden. Was der Horst vorhat, ist Raubbau an der Natur. Und wenn ich die Umsetzung seiner Absicht verhindern kann, dann tu‘ ich es auch.«

»Weiß er, dass du absolut gegen seine Planungen bist?«, erkundigte sich Sophie.

»Natürlich. Er aber ist Feuer und Flamme. Jeden Abend hockt er an seinem Schreibtisch und entwirft Pläne für das Restaurant und alles, was dazugehört. Kaum hat er einen Entwurf fertig, verwirft er ihn, um alles noch ein bissel größer zu planen.«

»Hat er denn so viel Geld, dass er so groß planen kann?«, fragte Sophie.

»Im Hinblick auf die Finanzierung will er mit der Sparkasse wegen einer Hypothek verhandeln. Natürlich hat er auch Eigenkapital. Das würd‘ allerdings bei Weitem net ausreichen. Wie sagt er immer, wenn ich ihn frag‘, warum er so hoch hinauswill? Net kleckern, sondern klotzen!«

»Das ist sehr interessant, was du mir da erzählst, Madel. Vielleicht weist du den Horst drauf hin, dass ihm, wenn er versucht, seine Idee umzusetzen, in Pfarrer Trenker ein net zu unterschätzender Gegner erwachsen wird. Du kennst unseren Pfarrer, Anita. Wenn’s um Natur- und Umweltschutz geht, kennt er keinen Freund. Da muss sich der Horst warm anziehen. Das kannst du ihm ruhig sagen. Zähl‘ ihm ruhig die Beispiele auf, die in den vergangenen Jahren immer wieder für Krieg zwischen dem Pfarrer und dem Bürgermeister gesorgt haben. Der Bürgermeister hat net eine einzige Schlacht, geschweige denn einen Krieg gewonnen.«

»Daran hab‘ ich noch gar net gedacht, Frau Tappert. Der Grund ist wahrscheinlich, dass der Langferner zur Gemeinde Engelsbach gehört. Natürlich, der Kampf Pfarrer Trenkers findet Gemeindegrenzen überschreitend statt, wenn jemand versucht, mit der Natur oder der Umwelt Schindluder zu treiben. Ja, darauf werd‘ ich den Horst aufmerksam machen. Vielleicht bremst das seinen Elan ein bissel.«

»Wollen wir’s hoffen, Madel«, sagte Sophie. »So, jetzt muss ich aber zusehen, dass ich weiterkomm‘. Ich wünsch‘ dir einen schönen Tag. Und – lass dich net unterkriegen. Die Natur und die Umwelt sind es wert, dass man für sie kämpft.«

»Ganz meine Meinung, Frau Tappert. Auf Wiedersehen. Auch Ihnen einen angenehmen Tag.«

*

Anita traf eine Stunde später auf dem Lembergerhof ein. Als sie im Hof aus dem Auto stieg, zeigte sich Horst Lemberger in der Haustür des großen, im alpenländischen Stil errichteten Wohnhauses. Alles sah gepflegt und sauber aus. Auf dem Balkon und auf den Fensterbänken blühten Geranien und Petunien um die Wette; eine farbige Vielfalt, die das Auge erfreute.

›Noch ist alles gepflegt und sauber!‹, sagte sich Anita. ›Aber wie lange noch? Ich könnt‘ dafür sorgen, dass es so bleibt. So lang mir der Horst aber keinen Heiratsantrag macht, werd‘ ich weiterhin meinen Job bei der Gemeinde verrichten und kaum die Zeit haben, mich hier groß einzuschalten. Doch irgendwann wird dem Horst alles über den Kopf wachsen. Und dann verkommt der Hof nach und nach. Das wird sich net aufhalten lassen. Es sei denn ...‹

Sie unterbrach ihre Gedanken, denn Horst trat ins Freie und näherte sich ihr. Er lächelte erfreut, nahm sie, als er sie erreicht hatte, in die Arme und gab ihr einen Kuss. »Schön, dass du dir die Zeit nimmst, um mir ein bissel unter die Arme zu greifen. Spatzl. Ich muss hinaus auf den großen Rübenacker und Unkraut ziehen. Es wächst schon kniehoch. Fast ausschließlich Disteln.« Er wies mit dem Daumen über die Schulter. »Die Mama ist drin.«

»Wo soll ich anfangen?«, fragte Anita. »Im Haus oder im Stall. Gemolken hast du die Kühe ja schon, denk‘ ich.«

»Natürlich. Der Milchkutscher hat die Milch schon abgeholt.« Horst, ein achtundzwanzigjähriger, eins fünfundsiebzig großer, untersetzter Bursche, dachte kurz nach, dann erwiderte er. »Frag‘ die Mama, ob du ihr im Haus helfen sollst. Wenn sie’s alleine schafft, dann könntest du den Stall ausmisten. Ich bin noch net dazu gekommen.«

»Vielleicht solltest du dich nach einer Hilfe umsehen«, riet Anita. »Du bist doch Mitglied beim Maschinenring. Warum lässt du dir keine Hilfskraft zuweisen? Selbst wenn jemand nur tageweise käm‘, wär‘ dir geholfen.«

»Das kostet mir zu viel Geld«, versetzte Horst. »Ich brauch‘ meine Kohle für wichtigere Dinge.«

»Ja, ja, ich weiß.« Anitas Mund verkniff sich für einen Moment. Dann: »Du brauchst dein Geld für den Umbau des Hofes zum Feriendomizil und für die Umsetzung deiner Idee, auf dem Langferner eine Gaststätte zu etablieren, gell?« Anitas Miene war nun ausgesprochen ernst, geradezu verschlossen. Sie fuhr fort: »Ich hab‘ heut‘ Früh vor der Bäckerei die Frau Tappert getroffen und mit ihr über deine Pläne gesprochen. Sie ist, wie auch ich, der Meinung, dass du Raubbau an der Natur betreibst, wenn du deine Planungen umsetzt. Und sie lässt dir bestellen, dass dir in Pfarrer Trenker ein Gegner erwachsen wird, der sich net einfach abschütteln lässt, und der sich bisher immer durchgesetzt hat, wenn es drum gegangen ist, von Flora und Fauna Schaden abzuwenden.«

Horst presste einen Moment lang die Lippen zusammen. Dann stieß er hervor: »Ich fürcht‘ den Pfarrer Trenker net. In der Gemeinde St. Johann mag sein Wort ja was gelten. Wir aber sind hier in der Gemeinde Engelsbach. Und da hat er nix mitzuschnabeln. Sollt‘ er sich dennoch einmischen, dann wird ihm der Greitlinger schon klarmachen, dass er sich aus den Entscheidungen der Gemeinde Engelsbach tunlichst rauszuhalten hat.«

Anita wurde stutzig. »Hast du denn mit eurem Bürgermeister schon über deine Absichten gesprochen?«, fragte sie.

»Gestern Nachmittag hab‘ ich mit ihm telefoniert.«

»Und?«

»Nun, er war von meiner Idee ziemlich angetan. Wir müssen uns halt mal zusammensetzen, hat er gemeint, und die Angelegenheit besprechen. Wenn der Gemeinderat mitzieht, dann kann sich der Pfarrer Trenker von St. Johann krummschließen. Dann wird das Projekt durchgezogen.«

»Ich bin absolut dagegen«, erklärte Anita.

»Noch bist du dagegen, Spatzl. Wenn die Sach‘ erst mal spruchreif ist und wir anfangen, die Pläne umzusetzen, wirst du ganz anders drüber denken. Der Langferner wird zum Touristenmagnet, und ich werd‘ reich. Auch für den Gemeindesäckel wird einiges abfallen. Und das weiß der Greitlinger-Sepp auch. Er ist ja kein Dummer.«

»Schuster, bleib‘ bei deinen Leisten, sagt man«, wandte Anita ein. »Der Lembergerhof ist einer der reichsten Höfe im Wachnertal. Deine Urgroßeltern, deine Großeltern, deine Eltern und auch du – ihr seid mit der Landwirtschaft immer gut gefahren. Plötzlich willst du alles, was einige Generationen lang aufgebaut worden ist und gutgetan hat, über den Haufen werfen. Ich weiß net, ob das gut geht, Horst. Du wirst net nur den Pfarrer Trenker zum Gegner haben. Es gibt eine Reihe von Menschen im Tal, denen der Natur- und der Umweltschutz sehr, sehr wichtig ist. Sie werden auf die Barrikaden gehen, wenn du Hand an den Wald legst.«

»Es sind immer die gleichen Diskussionen, die du mit mir führst, Spatzl«, versetzte Horst, nachdem er einmal genervt geseufzt hatte. »Bitte, verschon‘ mich mit dem Gelaber von Schutz von Flora und Fauna. Die paar Käfer, Ameisen und Vögel finden in unserem geradezu unendlichen Waldgebiet neue Plätze. Wer hat sich vor fünfzig, hundert oder hundertfünfzig Jahren um den Naturschutz gekümmert? Kein Mensch. Man hat ganze Wälder gerodet und Siedlungen gebaut. Straßen, Eisenbahntrassen, Sportplätze und riesige Flughäfen wurden angelegt. Das ist gewiss net ohne Schaden für die Natur abgegangen. Schränkt es uns ein? Ich würd‘ sagen, in keiner Weise. Ungefähr ein Drittel der Fläche Deutschlands ist Waldgebiet, wir sind eines der waldreichsten Länder Europas. Denkst du, da fallen die paar hundert Quadratmeter, die ich für meine Planungen benötige, ins Gewicht?«

»Jeder Baum, der ohne Not gefällt wird, zählt«, entgegnete Anita. »Aber du ignorierst das. Bei dir steht das Geldverdienen im Vordergrund. Es ist etwas, das ich nicht nachvollziehen kann. Geld ist doch net alles auf der Welt.«

»Es macht vielleicht net glücklich«, versetzte Horst etwas spöttisch, »aber mich macht’s zufrieden. Mach‘ dir doch net so viele Gedanken, Spatzl. Du weißt, ich liebe dich, und ich leg‘ dir, wenn du es forderst, die Welt zu Füßen. Aber in dieser Sache lass‘ ich mir von niemand was dreinreden. Die Landwirtschaft ist nämlich nimmer das, was sie einmal war. Dürreperioden auf der einen, ungewöhnlich starke Niederschläge, die ganze Ernten vernichten, auf der anderen Seite, sowie Stürme, die immense Schäden in den Wäldern anrichten, machen das Überleben als Landwirt net einfach. Mit dem, was man einnimmt, sind kaum noch die anfallenden Kosten zu decken. Darum werd‘ ich mir eine gesicherte Existenz aufbauen. Daran, denk‘ ich, ist nix Verwerfliches, nix, was man mir zum Vorwurf machen könnt‘.«

»Wenn alle so denken wie du, dann gibt es bald keine Bauern mehr«, erklärte Anita. Dann winkte sie ab. »Bei dir ist in dieser Sache jedes Wort müßig. Ich geh‘ jetzt hinein. In den nächsten Tagen kann ich tagtäglich kommen, denn ich hab‘, wie du weißt, Urlaub. Dir rat‘ ich, alles, was du vorhast, noch einmal gründlich zu überdenken. Du wirst dir nicht zu unterschätzende Probleme schaffen. Ich will damit zum Ausdruck bringen, dass du mit deiner Idee ganz gewiss net glücklich wirst.«

Horsts forschender, geradezu durchdringender Blick saugte sich an Anitas Gesicht fest. »Du wirst dich doch net auf die Seite meiner Gegner schlagen, Spatzl?«, fragte er.

»Ich hoff‘, du nimmst noch Vernunft an«, erwiderte Anita ausweichend, dann ging sie an Horst vorbei und strebte der Haustür zu.

Er drehte sich um und sein Blick folgte ihr. Seine Brauen hatten sich zusammengeschoben und über seiner Nasenwurzel hatten sich zwei senkrechte Falten gebildet. Es verlieh seinen Zügen einen finsteren Ausdruck. ›Mach‘ bloß keine Geschichten, Spatzl‹, durchfuhr es ihn. Die Antwort, die sie ihm auf seine Frage von eben gegeben hatte, beinhaltete nach seinem Dafürhalten eine versteckte Warnung.

Anita verschwand im Haus. In der Küche traf sie auf die sechsundfünfzigjährige Betty, die Mutter von Horst. Betty sah vorgealtert und krank aus. Ihr Gesicht hatte eine bleiche Farbe, die Augen lagen in tiefen, dunklen Höhlen, um ihren Mund hatte sich ein verbitterter Zug festgesetzt. »Guten Morgen, Betty«, grüßte Anita. Von draußen erklang der Motor des Schleppers, mit dem Horst zum Rübenacker fahren würde.