Zwischen Himmel und Abgrund - Toni Waidacher - E-Book

Zwischen Himmel und Abgrund E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Es war ein Tag wie im Bilderbuch, als Astrid Volkmer und Ulrike Neulinger bei Ria Stubler, der mütterlichen Pensionswirtin, eincheckten. Beide junge Frauen waren dreiundzwanzig Jahre alt, sie kamen aus Zirndorf in der Nähe von Nürnberg, Mittelfranken, sie waren beste Freundinnen und ausgesprochen hübsch. Ria fand sofort Gefallen an den beiden. Astrid war dunkelhaarig und hatte braune, feurige Augen, Ulrikes Haare waren blond und ihre Augen blau. Es war um die Mittagszeit. Der Himmel, der sich über dem Wachnertal spannte und von dem man meinen konnte, dass er von den Gipfeln der gigantischen Felsen, die das Tal säumten, getragen wurde, war ungetrübt blau. Scharf hoben sich die steinernen Riesen gegen diesen Hintergrund ab. Das kahle Hochgebirge bildete die Kulisse für bewaldete Berge rund ums Tal. Astrid und Ulrike standen vor der Anmeldung in der Pension. Ria hatte den Computer hochgefahren. Nach einigen Mausklicks nickte sie und sagte: »Da hab' ich Sie. Sie bleiben bis übernächsten Samstag, zwei Wochen also. Freut mich. Herzlich willkommen in St. Johann, herzlich willkommen in der Pension Stubler. Ich hoff', Sie verbringen zwei angenehme Wochen bei uns. Das Freizeitangebot bei uns im Tal ist zwar net allzu breit gefächert, dafür aber bieten wir viel Natur und Beschaulichkeit. Wenn jemand mit sich was anzufangen weiß, dann wird ihm auch die Zeit net lang.« Die beiden jungen Frauen lachten. »Genau das, was uns das Wachnertal bietet, haben wir gesucht.

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Seitenzahl: 131

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Der Bergpfarrer – 533 –Zwischen Himmel und Abgrund

Ein Sturm, der alles verändert.

Toni Waidacher

Es war ein Tag wie im Bilderbuch, als Astrid Volkmer und Ulrike Neulinger bei Ria Stubler, der mütterlichen Pensionswirtin, eincheckten. Beide junge Frauen waren dreiundzwanzig Jahre alt, sie kamen aus Zirndorf in der Nähe von Nürnberg, Mittelfranken, sie waren beste Freundinnen und ausgesprochen hübsch.

Ria fand sofort Gefallen an den beiden. Astrid war dunkelhaarig und hatte braune, feurige Augen, Ulrikes Haare waren blond und ihre Augen blau.

Es war um die Mittagszeit. Der Himmel, der sich über dem Wachnertal spannte und von dem man meinen konnte, dass er von den Gipfeln der gigantischen Felsen, die das Tal säumten, getragen wurde, war ungetrübt blau. Scharf hoben sich die steinernen Riesen gegen diesen Hintergrund ab. Das kahle Hochgebirge bildete die Kulisse für bewaldete Berge rund ums Tal.

Astrid und Ulrike standen vor der Anmeldung in der Pension. Ria hatte den Computer hochgefahren. Nach einigen Mausklicks nickte sie und sagte: »Da hab‘ ich Sie. Sie bleiben bis übernächsten Samstag, zwei Wochen also. Freut mich. Herzlich willkommen in St. Johann, herzlich willkommen in der Pension Stubler. Ich hoff‘, Sie verbringen zwei angenehme Wochen bei uns. Das Freizeitangebot bei uns im Tal ist zwar net allzu breit gefächert, dafür aber bieten wir viel Natur und Beschaulichkeit. Wenn jemand mit sich was anzufangen weiß, dann wird ihm auch die Zeit net lang.«

Die beiden jungen Frauen lachten. »Genau das, was uns das Wachnertal bietet, haben wir gesucht. Ruhe, Beschaulichkeit und Natürlichkeit«, gab Astrid zu verstehen.

»Das alles finden S‘ bei uns«, erklärte Ria. »Bei uns ist halt die Welt noch in Ordnung. Wer natürlich das Remmidemmi sucht, der ist bei uns verkehrt. Wobei ich Sie vielleicht gleich darauf hinweisen sollt‘, dass an den Samstagabenden im Saal des Hotels entweder Tanz ist oder ein Heimatabend stattfindet. Heut‘ Abend ist auch wieder was los. Wenn die jungen Damen also gern das Tanzbein schwingen, dann kann ich Ihnen nur empfehlen, den Tanzabend zu besuchen.«

»Das wär‘ ja gleich ein guter Einstand«, freute sich die dunkelhaarige Astrid. »Wir tanzen beide gern. Werden auch genügend Burschen da sein, die, ohne von einer eifersüchtigen Gattin oder Freundin bewacht zu werden, die Tanzfläche unsicher machen?«

Ria lachte amüsiert. »Das will ich meinen. Mehr als genug. Wir haben einen Männerüberschuss im Tal. - Die Burschen werden sich um euch reißen«, prophezeite sie.

»Dann sind wir ja richtig«, rief die blauäugige Ulrike und lachte.

»Die Ulrike macht natürlich nur Spaß«, schränkte Astrid ein. »Natürlich werden wir zu dem Tanzabend gehen. Ruhe und Beschaulichkeit, gut und schön, aber ein bissel Rambazamba kann auch net schaden.«

»Ganz meine Meinung«, pflichtete ihr Ria bei, dann gab sie den beiden jungen Damen, die Einzelzimmer gebucht hatten, die Schlüssel. Ihre Zimmer lagen nebeneinander. »Einfach hier in den Korridor hinein«, sagte Ria. »Es sind die beiden letzten Zimmer auf der linken Seite.«

»Wir holen nur noch unser Gepäck aus dem Auto«, sagte Astrid. »Und dann werde ich mich zuerst mal unter die Dusche stellen.«

»Brauchen S‘ Hilfe, um das Gepäck hereinzuholen?«, fragte Ria. »Dann sag‘ ich meinem Lebensgefährten Bescheid.«

»Das schaffen wir schon«, versetzte Ulrike.

Die beiden verließen die Pension. Wenig später kehrten sie zurück. Jede zog einen großen Koffer hinter sich her. Sie lächelten Ria zu und verschwanden im Korridor, wo die Fremdenzimmer lagen.

›Wenn die beiden heut‘ Abend beim Tanz erscheinen, werden einige der Burschen, die auf der Suche nach einem Madel sind, im Kreis springen. Das sind ja in der Tat zwei wirklich bildhübsche Geschöpfe, die meine Pension mit ihrer Anwesenheit beehren‹, sinnierte Ria.

Sie konnte nicht ahnen, was sich mit der Ankunft der beiden jungen Frauen anzubahnen begann, dass für einige Menschen im Tal die heile Welt aus den Fugen geraten würde.

*

Astrid und Ulrike duschten ausgiebig, zogen sich frisch an, schminkten sich ein wenig, und machten sich dann auf, den Ort zu erkunden. Sie waren begeistert. Fast alle Gebäude waren im alpenländischen Stil erbaut, an vielen Häuserfronten waren wunderbare, kunstvolle Lüftlmalereien zu sehen, an den Balkonen und auf den Fensterbänken blühten Geranien und Petunien in vielfältiger Farbenpracht. Die Saison hatte erst vor wenigen Wochen begonnen, dennoch waren die Außenservicebereiche der Eisdielen, Cafés und Restaurants fast bis auf die letzten Plätze besetzt. Stimmendurcheinander und Gelächter erhoben sich.

»Das ist ja ein geradezu südländisches Flair«, brachte Astrid zum Ausdruck. »Und das, obwohl kaum was geboten ist. Da kannst du mal sehen, Ulrike, dass es noch immer viele Menschen gibt, die ihren Urlaub ruhig verbringen möchten.«

»Wenn ich mich so umschau‘«, erwiderte Ulrike, »dann sehe ich keine Kinder, sondern nur Leute mittleren und auch gesetzteren Alters, meistens Paare, die die Gastbetriebe bevölkern. Wie hat die Frau Stubler gesagt: Im Wachnertal ist die Welt noch in Ordnung. Zu diesem Schluss bin ich auch schon gekommen, obwohl wir noch net mal zwei Stunden hier sind.«

»Schauen wir uns die Kirche an«, schlug Astrid vor. »Sie wird im Reiseführer und in den Hinweisen im Internet besonders hervorgehoben. Sie soll einige Kunstschätze beherbergen, die man gesehen haben muss.«

Sie schlenderten auf dem Gehsteig entlang, vorbei an Gastbetrieben, Geschäften und auch Wohnhäusern, erreichten den Pfarrplatz mit den alten Kastanienbäumen und Linden, unter deren Kronen einige Bänke aufgestellt waren, und betraten schon gleich darauf die Kirche.

Im Vorraum, der mit Glaswänden vom Kirchenschiff abgetrennt war, stand die Bank mit den Opferkerzen. Einige Kerzen brannten. Die Flammen flackerten im Luftzug, den Ulrike und Astrid beim Öffnen der Tür verursachten. Es roch nach Kerzenwachs. Da stand auch ein Ständer aus grauem Stahlblech, in dem Postkarten mit Motiven vom Wachnertal sowie verschiedene Flyer angeboten wurden. An der Glaswand klebte ein Plakat, das zum Tanzabend im Hotel ›Zum Löwen‹ einlud. Astrid tippte lachend mit dem Zeigefinger ihrer rechten Hand darauf: »Da sind wir natürlich vertreten.«

Auch Ulrike lachte. »Und das wie! Um Tänzer werden wir uns net sorgen müssen, denn die Frau Stubler hat von einem Männerüberschuss im Wachnertal gesprochen. Wir werden es sehen. Schauen wir mal, ob auch ein paar brauchbare Mannsbilder drunter sind.«

Sie betraten das Kirchenschiff. Es war Nachmittag und lediglich zwei ältere Frauen knieten in den Bänken und waren ins Gebet versunken. Die beiden Fränkinnen blieben gleich hinter der Tür zum Vorraum stehen, ihre Blicke glitten über die Fresken an den Wänden und der Decke, und Astrid murmelte geradezu ergriffen: »Wunderschön, geradezu einzigartig.«

»Ja, überwältigend«, stimmte Ulrike zu. »Die Ausführungen im Reiseführer sind nicht übertrieben.«

Die Fresken zeigten, ebenso wie die farbigen Fensterbilder, Szenen aus dem Alten und Neuen Testament, beginnend bei der Erschaffung der Welt bis hin zur Kreuzigung und Auferstehung des Gottessohnes. Die Namen derjenigen, die die Fenster gestiftet hatten, waren unter den Fenstern auf kleinen Holztafeln verewigt.

Langsam schlenderten Astrid und Ulrike den Mittelgang entlang in Richtung Altar, einer Meisterleistung spätbarocker Kunst. Die beiden jungen Frauen waren beeindruckt. Sie bogen vor dem Altar ab und gingen an der Seitenwand, sich die Bilder des Kreuzweges zu Gemüte führend, zurück in Richtung Ausgang. Bei einem Seitenaltar angekommen erspähte Astrid die Madonnenfigur, auf die im Reiseführer besonders hingewiesen wurde.

Die Madonna war der kostbarste Besitz der Kirche. Es war vor allem die Einfachheit der Skulptur, die bestach. Andächtig betrachteten die beiden jungen Frauen die Schnitzerei; das filigrane Gesicht, dem der unbekannte Künstler ein hohes Maß an Lebendigkeit verliehen hatte, verstrahlte etwas, das den Betrachter in seinen Bann zog und mit Worten kaum zu beschreiben war. Der Faltenwurf des Kleides, das Kopftuch, das darunter hervorquellende Haar, der goldene Strahlenkranz ... Kaum jemand konnte sich der Faszination dieser meisterlich gefertigten Heiligenfigur entziehen.

Lange schauten sie sich die beiden jungen Frauen die Skulptur an und verinnerlichten, was sie sahen.

In dem Moment, als sie sich abwenden wollten, wurden sie angesprochen. »Habe die Ehre, die beiden Damen. Ich hoff‘, unsere wunderbare Madonna begeistert Sie.«

Ulrike und Astrid wandten sich dem Sprecher zu und identifizierten ihn anhand seines Priesterkragens und des kleinen, goldenen Kruzifixes am Revers seiner schwarzen Jacke sofort als Geistlichen. »Grüß Gott«, antwortete Astrid, und auch Kerstin brachte einen freundlichen Gruß zum Ausdruck. »Ja«, sagte Astrid, »wenn es eine Steigerung für Begeisterung gibt, dann müsste man sie anwenden für das, was ich für diese Schnitzerei empfinde. Ich glaub‘, es gibt keinen Ausdruck dafür.«

»Ich darf mich Ihnen vielleicht vorstellen. Ich bin Pfarrer Trenker, der Gemeindepfarrer von St. Johann. Sie beide, schätz‘ ich, machen bei uns Urlaub.«

»Richtig«, antwortete nun Ulrike. »Wir bleiben zwei Wochen, genau gesagt bis übernächsten Samstag. Wir sind heut‘ Mittag angekommen und wohnen in der Pension Stubler.«

»Ah, bei der Ria«, sagte Sebastian. »Na prima. Bei der Ria sind S‘ gut aufgehoben. Die hat das Herz auf dem rechten Fleck. Wo kommen S‘ dann her. Ihrem Dialekt nach zu schließen aus Mittelfranken.«

»Richtig. Wir kommen aus Zirndorf«, erwiderte Ulrike. »Ihre Kirche ist wirklich beeindruckend, Herr Pfarrer. Überhaupt gefällt uns alles in und an St. Johann. Wenn man Ruhe sucht, ist man hier richtig.« Sie lächelte hintergründig. »Allzu viel Ruhe ist natürlich auch nicht zuträglich. Daher gehen Astrid und ich heut‘ Abend gleich zum Tanz ins Hotel. Die Frau Stubler hat uns drauf aufmerksam gemacht, und im Vorraum hängt ja auch das Plakat ...«

»So, so. Fein. Dann sehen wir uns dort. Ich werd‘ nämlich auch bei dem Tanzabend vertreten sein.«

»Was!«, entfuhr es Astrid und sie lächelte hintergründig: »Dürfen Sie sich als katholischer Priester denn derartigen weltlichen Freuden hingeben?«

»Die Stelle in der Bibel, die es einem Priester verbietet, ein bissel Lebensfreude beim Tanz zu genießen, hab‘ ich noch nicht gefunden«, schmunzelte Sebastian. »Vielleicht hab‘ ich sie auch überblättert. Ich seh‘ jedenfalls kein Sünd‘ darin, wenn ich ein bissel das Tanzbein schwing‘.«

»Ich glaube, in diesem Ort hat nicht nur die Frau Stubler das Herz auf dem rechten Fleck«, rief Ulrike lachend. »Dann sehen wir uns ja heut‘ Abend, Herr Pfarrer. Rechnen Sie damit, dass, wenn Damenwahl angesagt ist, eine von uns beiden an Sie herantreten wird.«

»Was ich doch sehr hoffe«, ging Sebastian auf den Scherz ein. »Wir sehen uns also«, fügte er hinzu. »Im Übrigen darf ich Ihnen einen angenehmen Aufenthalt im Wachnertal, namentlich in der Gemeinde St. Johann, wünschen. Erkunden S‘ ruhig die Berge in der Umgebung ein bissel. Es gibt wunderbare Wanderwege, an dessen Ende Sie sich mit einer erstklassigen Brotzeit und einem kühlen Getränk für die kleinen Strapazen des Aufstiegs entschädigen können.«

»Im Reiseführer ist von dem Bild ›Gethsemane‹ die Rede«, wechselte Astrid das Thema. »Es soll sich auch um ein Kunstwerk von einmaliger Schönheit handeln. Wo finden wir dieses Bild, Herr Pfarrer.«

»Beim Altar, neben dem Eingang zur Sakristei. Sie können es gar net verfehlen. Ich darf mich von Ihnen verabschieden. Wir sehen uns dann heut‘ Abend, im Saal des Hotels. Hat mich gefreut, Sie kennengelernt zu haben.«

»Auf Wiedersehen, Herr Pfarrer«, erwiderte Astrid. »Die Freude ist ganz auf unserer Seite. Ich denk‘, ich sag‘ das auch im Sinne meiner Freundin.«

Ulrike nickte wiederholt, um den letzten Worten Astrids Nachdruck zu verleihen.

Die Wege der beiden jungen Frauen und des Pfarrers trennten sich.

*

Zurück in der Pension trafen die beiden Freundinnen Ria an. Astrid sagte: »Wir haben uns den Ort angeschaut. Herrlich! Da möcht‘ man ja gar nimmer weg. In der Kirche waren wir auch und sind dort dem Pfarrer begegnet. Der schaut ja aus wie ein amerikanischer Filmstar.«

Ria lachte auf. »Hoffentlich haben S‘ ihm das net gesagt, net, dass der noch eingebildet wird«, stieß sie hervor.

»Iwo, Frau Stubler, wo denken Sie denn hin?« Astrid lächelte. »Aber ich muss das Bild, das ich von der katholischen Geistlichkeit immer im Kopf gehabt hab‘, von Grund auf revidieren.«

»Ich war auch sehr von ihm beeindruckt«, gestand Ulrike. »Wie es scheint, ist er weltlichen Freuden net abgeneigt. Heut‘ Abend wird er beim Tanz vertreten sein. Und ich war immer der Meinung, dass ein Priester im Rahmen seiner Enthaltsamkeit solchen Events fernzubleiben hat.«

»Das war eine irrtümliche Annahme«, entgegnete Ria. »Was sollt‘ denn am Tanzen Schlimmes sein? Und warum sollt‘ sich ein Priester net auch ein bissel vergnügen dürfen? Unser Pfarrer tut nix Unrechtes.«

»Wo können wir denn gut zu Abend essen, Frau Stubler, ohne dass wir ein Vermögen hinblättern müssen?«, fragte Astrid.

»Gehen S‘ in den Biergarten des Hotels. Da bekommen S‘ gutbürgerliche Küche zu zivilen Preisen.«

»In demselben Hotel, in dem auch der Tanzabend stattfindet«, versicherte sich Astrid.

»Ja. Es liegt an der Hauptstraße. Sie können’s eigentlich gar net verfehlen.«

»Wir haben vor, einige Bergwanderungen zu machen«, meldete sich Astrid noch einmal zu Wort. »Wir haben dem Reiseführer auch einige Ziele entnommen, beispielsweise die Kandereralm und die Streusachhütte oder die Kachlachklamm. Was meinen Sie, Frau Stubler, können wir die Wanderungen ohne Bergführer machen?«

»Jederzeit. Sie müssen halt auf den markierten Wanderwegen bleiben, dann kann nix schiefgehen. Wenn S‘ natürlich net die ausgeschilderten, offiziellen Wanderwege benutzen wollen, dann wär’s schon ratsam, sich einen Bergführer zu mieten. Die Routen sind oft net einfach, und passiert ist schnell was.«

»Danke, Frau Stubler.« Astrid lachte. »Wir werden so eine Bergwandung schon unbeschadet überstehen. Ganz unsportlich sind wir ja beide nicht.«

»Sie schauen auch gar net unsportlich aus«, bestätigte Ria. »Ein Gebiet sollten Sie allerdings meiden. Es ist der Hirschkopf. Es handelt sich um ein Naturschutzgebiet, das seit Jahrzehnten sich selbst überlassen ist. Da kommt man sehr schnell vom Weg ab, und die Bergwacht hat schon so manchen, der sich hoffnungslos verlaufen hatt‘, retten müssen.«

»Allmächt!«, entfuhr es Astrid, gab aber sogleich Entwarnung, indem sie hinzufügte: »Auf solche Abenteuer lassen wir uns schon nicht ein.«

Die Freundinnen begaben sich auf ihr Zimmer, ruhten sich ein bisschen aus und trafen sich um sechs Uhr wieder, um gemeinsam in den Biergarten zu gehen, wo sie zu Abend essen wollten.

Der Biergarten war gut besucht. Ein Gewirr von Stimmen empfing Astrid und Ulrike. Eine Bedienung kam auf sie zu. Es handelte sich um Heidi, die zweitälteste Tochter des Hotelbesitzers. »Wie viele Plätze brauchen S‘ denn?«, erkundigte sie sich.

»Zwei«, antwortete Ulrike. »Wir sind nur zu zweit.«

Heidi führte sie zu einem kleinen Tisch am Rand des Biergartens. »Ist Ihnen dieser Platz genehm?«, fragte sie.

»Natürlich«, erwiderte Astrid. »Vielen Dank.« Sie und Ulrike ließen sich nieder. »Eintrittskarten für den Tanzabend bekommt man gewiss beim Saaleingang«, wandte sich Astrid noch einmal an Heidi. »Oder hätten wir die uns anderswo besorgen müssen?«

»Nein, nein, beim Eingang, an der Abendkasse, können S‘ die Karten erwerben«, versetzte Heidi. »Was darf ich Ihnen denn zum Trinken bringen? Möchten S‘ auch was essen?«

Sie bestellten jeweils ein großes Glas Mineralwasser und baten um die Speisekarte.

»Sind S‘ erst angekommen, wie?«, fragte Heidi, als sie die Getränke und die Speisekarten brachte. »Bleiben S‘ länger?«

»Wir bleiben zwei Wochen, bis übernächsten Samstag«, antwortete Ulrike.

»Dann wünsch‘ ich Ihnen einen angenehmen Aufenthalt«, sagte Heidi lächelnd und entfernte sich wieder.

Ulrike entschied sich für eine Käseplatte mit Brot, Astrid für zwei Paar Bratwürste mit Sauerkraut und ebenfalls Brot. Heidi gab die Bestellungen per Handcomputer weiter an die Küche, und schon zehn Minuten später brachte sie die beiden Essen und wünschte guten Appetit. Die Freundinnen bedankten sich und griffen nach Messer und Gabel.

»Ich freu‘ mich schon auf den Abend«, sagte Astrid einmal. »So ein zünftiger Tanz- oder Heimatabend hier in den Bergen hat was für sich. Ich glaub‘, das wird eine Mordsgaudi.«

»Davon bin ich überzeugt«, pflichtete ihr Ulrike bei. »Du bist schon auf die Burschen gespannt, gell, von der die Frau Stubler gesprochen hat«, fügte sie hinzu. »Fang‘ nur nix an hier. Wir fahren in zwei Wochen wieder heim. So eine Urlaubsbekanntschaft zahlt sich net aus.«

»Ein kleines bissel flirten wird man doch wohl noch dürfen«, versetzte Astrid mit blitzenden Augen. »Es sollen ja oft recht stramme Burschen sein, diese Gebirgler - richtige Mannsbilder.«

Ulrike winkte ab. »Die kochen auch nur mit Wasser. Aber wissen musst du’s selber. Du bist schließlich alt genug.«