Vier Jahre für Lincoln - Leander Stillwell - E-Book

Vier Jahre für Lincoln E-Book

Leander Stillwell

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Beschreibung

"Keiner von uns Jungs rechnete ernsthaft damit, getötet zu werden oder ein anderes ungünstiges Schicksal zu erleiden. Den anderen mochte es übel ergehen, einige von ihnen würden wohl sterben müssen, aber man selbst würde am Ende eines siegreichen Krieges unversehrt nach Hause zurückkehren und den Rest seines Lebens als bewunderter und respektierter Kriegsheld verbringen. Dies waren zumindest meine Gedanken und ich hege keinerlei Zweifel daran, dass 99 von 100 der anderen Burschen ebenso dachten." Bei Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkrieges lebt der 18jährige Leander Stillwell auf der kleinen Farm seiner Eltern im ländlichen Otter Creek, Illinois. Die ersten Kriegsmonate beobachtet er mit beiläufigem Interesse, doch als im Juli 1861 nach der Unionsniederlage in der Schlacht am Bull Run deutlich wird, dass ein langer, blutiger Krieg bevorsteht und als Präsident Lincoln weitere 500.000 Kriegsfreiwillige zu den Waffen ruft, fasst Leander den Entschluss, sich nicht länger mit der Rolle eines passiven Zuschauers zu begnügen. Wie so viele seiner Altersgenossen treiben den einfachen Jungen vom Lande neben der Vaterlandsliebe auch eine romantische Vorstellung vom "Ruhme des Krieges" und die Furcht, vor den Freunden als Feigling dazustehen, in die Armee. Er schreibt sich am 6. Januar des Jahres 1862 bei der 61st Illinois Infantry ein und exakt drei Monate später zerbricht sein jugendlich-einfaches Weltbild in der Schlacht von Shiloh, wo seinem gänzlich unerfahrenen Regiment die hoffnungslose Aufgabe zufällt, sich den vehementen konföderierten Sturmangriffen entgegenzustellen, um General Ulysses S. Grants überrumpelter Armee kostbare Zeit zum Aufbau einer Verteidigungsstellung zu erkaufen. Hier schießt der junge Stillwell erstmals auf einen Menschen, hier sieht er zum ersten Male einen Menschen eines gewaltsamen Todes sterben und hier weicht seine naive Begeisterung einer grimmen Entschlossenheit.

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Seitenzahl: 525

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Leander Stillwell

Vier Jahre für Lincoln

Die Geschichte eines einfachen Soldaten

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Widmung des Autors

Vorwort des Übersetzers

Vorwort des Autors

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

Kapitel XII

Kapitel XIII

Kapitel XIV

Kapitel XV

Kapitel XVI

Kapitel XVII

Kapitel XVIII

Kapitel XIX

Kapitel XX

Kapitel XXI

Kapitel XXII

Kapitel XXIII

Kapitel XXIV

Kapitel XXV

Anhang

Schlacht von Shiloh

Gefecht beim Salem-Friedhof

Affäre bei Augusta

Gefecht am Overall's Creek

Dritte Schlacht von Murfreesboro

Gefecht bei Christiana

Impressum neobooks

Widmung des Autors

Gewidmet meinem jüngsten Sohn Jeremiah E. Stillwell.

Mein lieber Jerry,

Du hast mich nachdrücklich gebeten, eine ausführliche Schilderung meiner Zeit als Unionssoldat während des Bürgerkrieges zu Papier zu bringen. Dies stellt für einen Herrn meines Alters ein mühsames Unterfangen dar. In drei Monaten werde ich 73 Jahre alt sein und allmählich werde ich, um der Wahrheit die Ehre zu geben, etwas träge und entwickele eine Abneigung sowohl gegen geistige als auch körperliche Anstrengung. Ich habe mich allerdings entschlossen, deinem Wunsch zu entsprechen und diese Arbeit auf mich zu nehmen. Ob ich sie vollenden werde oder nicht, vermag ich noch nicht zu sagen, aber ich werde mein Möglichstes versuchen. Ferner möchte ich dir versichern, ob dir dies etwas bedeuten mag oder nicht, dass DU der einzige lebende Mensch bist, dessen Bitte mich zu der Niederschrift dieses Textes bewegen könnte.

L. Stillwell

Erie, Kansas,

3. Juli 1916.

Vorwort des Übersetzers

"Ich war damals nur ein Junge, aber ich spürte, dass der Krieg lange dauern würde und es die Pflicht eines jeden jungen Burschen von entsprechender körperlicher Verfassung war, 'zu den Soldaten zu gehen' und bei der Rettung der Nation zu helfen. Ich hatte diesbezüglich einige Diskussionen mit meinem Vater. Er war ein treuer Anhänger der Union und er verstand meine Beweggründe, aber ich konnte sehen, dass ihm die Vorstellung, sein Junge könne in den Krieg ziehen und dort möglicherweise getötet oder verstümmelt werden, schier unerträglich war. Ich gab ihm allerdings zu verstehen, falls in unserer Nähe ein Regiment aufgestellt würde und diesem mehrere meiner Bekannten und Jungs aus der Nachbarschaft beiträten, so wolle auch ich mich freiwillig melden. Ich konnte den Gedanken einfach nicht ertragen, zu Hause bei den Mädchen zu bleiben und die Soldaten mit dem Finger auf mich zeigen und mich einen daheimgebliebenen Feigling schelten zu lassen."

Leander Stillwell

Bei Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkrieges lebt der 18jährige Leander Stillwell auf der kleinen Farm seiner Eltern im ländlichen Otter Creek, Illinois. Die ersten Kriegsmonate beobachtet er mit beiläufigem Interesse, doch als im Juli 1861 nach der Unionsniederlage in der Schlacht am Bull Run deutlich wird, dass ein langer, blutiger Krieg bevorsteht und als Präsident Lincoln weitere 500.000 Kriegsfreiwillige zu den Waffen ruft, fasst Leander den Entschluss, sich nicht länger mit der Rolle eines passiven Zuschauers zu begnügen und "Mr. Lincoln" zu Hilfe zu eilen. Wie so viele seiner Altersgenossen treiben den einfachen Jungen vom Lande neben der Vaterlandsliebe auch eine romantische Vorstellung vom "Ruhme des Krieges" und die Furcht, vor den Freunden als Feigling dazustehen, in die Armee.

Stillwell schreibt sich am 6. Januar des Jahres 1862 bei der 61st Illinois Infantry ein und exakt drei Monate später zerbricht sein jugendlich-einfaches Weltbild in der Schlacht von Shiloh am Ufer des Tennessee River. Leanders gänzlich unerfahrenes, kaum in den einfachsten Grundlagen ausgebildetes Regiment ist eine jener unvorbereiteten Einheiten, denen die hoffnungslose Aufgabe zufällt, sich den Sturmangriffen der konföderierten Truppen entgegenzustellen, um General Ulysses S. Grants überrumpelter Army of the Tennessee kostbare Zeit zum Aufbau einer Verteidigungsstellung zu erkaufen. Hier schießt der junge Stillwell erstmals auf einen Menschen, hier sieht er zum ersten Male einen Menschen eines gewaltsamen Todes sterben und hier weicht seine naive Begeisterung einer grimmen Entschlossenheit. Leander Stillwell dient den gesamten Krieg hindurch mit der 61st Illinois Infantry auf dem Westlichen Kriegsschauplatz und erlebt all die wenigen Höhen und zahlreichen Tiefen des Soldatenlebens.

Auf Bitten seines Sohnes hin schreibt der 73jährige Stillwell im Jahre 1916 seine Kriegserinnerungen nieder und erweist sich dabei als talentierter und intelligenter Erzähler, der Tragisches wie Komisches gleichermaßen lebendig zu schildern versteht. Da er sich bei der Abfassung seiner "Geschichte eines einfachen Soldaten" auf die Gesamtheit seiner damaligen Feldpost sowie umfangreiche Tagebuchaufzeichnungen stützen kann, sind Stillwells Aufzeichnungen zudem von einer Exaktheit und Verlässlichkeit, wie sie nur von wenigen Memoiren ehemaliger Bürgerkriegssoldaten erreicht werden. Es ist dieses Buch auch weitaus mehr als ein "Schwelgen in Soldatenerinnerungen". Der gereifte Herr, der nach einem verdienstvollen Leben als geachteter Richter auf seine bescheidenen Jugendjahre zurückblickt, begegnet dem schüchternen und gehemmten Knaben Leander zugleich mit wohlwollendem Verständnis und feiner Selbstironie, weswegen "Vier Jahre für Lincoln" nicht zuletzt auch eine bewegende und lesenswerte Geschichte vom jähen Ende einer idyllischen Kindheit und dem Eintritt ins Mannesalter inmitten einer chaotischen und gefährlichen Zeit darstellt.

Florian Dexheimer

Vorwort des Autors

Als ich mit der Niederschrift dieser Erinnerungen begann, erschien mir ein wie auch immer geartetes Vorwort noch nicht notwendig. Ich hielt die Widmung an meinen Sohn Jerry als Darlegung meiner Beweggründe für vollkommen ausreichend. Nun jedoch, da ich diese Aufzeichnungen vollendet habe und ihren gesamten Inhalt überblicke, halte ich einige kurze Vorbemerkungen für durchaus angebracht. Zunächst möchte ich anmerken, dass ich meine Aufzeichnungen ursprünglich nur zu Papier brachte, um meinem Sohn gefällig zu sein und ich noch keine Gedanken bezüglich einer eventuellen Veröffentlichung unterhielt. Tatsächlich bin ich mir einer solchen noch immer nicht vollkommen sicher, aber ich halte sie nun für durchaus möglich. Der Gedanke daran streifte mich erstmals, als ich bereits einen Teil niedergeschrieben hatte und so ist es möglich, dass von diesem Punkt an ein Wandel des Stils und der Ausdrucksweise bemerkbar wird. So viel hierzu.

Als nächstes möchte ich versichern, dass sich der Leser auf den Wahrheitsgehalt sämtlicher Tatsachenbehauptungen in diesen Aufzeichnungen nach meinem besten Wissen und Gewissen absolut verlassen kann. Meine Mutter bewahrte sämtliche Briefe, die ich ihr und meinem Vater aus dem Felde schrieb, sehr sorgfältig auf. Sie verstarb am 6. Februar 1894, woraufhin mir mein Vater (der sie um lediglich drei Jahre überlebte) meine alten Briefe zurückgab. Sofern die Umstände es gestatteten, hatte ich meinen Eltern jede Woche einen Brief geschrieben und nun, mit diesen Briefen vor mir ausgebreitet, war es mir ein leichtes, meinem Regiment kilometergenau auf seinem Weg von Camp Carrollton im Januar 1862 nach Camp Butler im September 1865 zu folgen. Darüber hinaus erstand ich am 1. Juni 1863 in Memphis, Tennessee, als wir gerade auf dem Weg waren, uns Grants Armee vor Vicksburg, Mississippi anzuschließen, ein kleines Schreibbüchlein von etwa zehn Zentimetern Höhe, sieben Zentimetern Breite und anderthalb Zentimetern Dicke. Von diesem Zeitpunkt bis zu meiner Ausmusterung führte ich in diesem kleinen Buch ein knappes Tagebuch, das ich noch immer besitze. Die alten Briefe und dieses Büchlein waren mir bei der Niederschrift meiner Erinnerungen von unschätzbarem Wert und da sie sehr zeitnah zu den in ihnen geschilderten Ereignissen verfasst wurden, dürfen sie als verlässlich und wahrheitsgetreu gelten.

Obgleich ich im Laufe meiner Militärzeit in den Offiziersrang aufstieg, so geschah dies erst gegen Ende meiner Dienstzeit und nach dem Ende des Krieges. Deswegen möchte ich betonen, dass der Titel dieser Aufzeichnungen, "Die Geschichte eines einfachen Soldaten", durchaus der Wahrheit entspricht.

Sollte dieses Manuskript jemals veröffentlicht werden, so werde ich mich für das Buch weder entschuldigen noch es über Gebühr lobpreisen. Es ist nur recht und billig anzumerken, dass ich nicht vorgebe, ein "literarischer" Mensch zu sein. Dies ist lediglich die Geschichte eines einfachen Soldaten, der während des großen Krieges im Heer diente und dabei versuchte, treu seine Pflicht zu erfüllen.

L. Stillwell

30. Dezember 1916.

Kapitel I

-

Der Ausbruch des Krieges – Das Leben in Camp Carrollton (Januar und Februar 1862).

Ich wurde am 16. September 1843 auf einer Farm im Bezirk "Otter Creek", in Jersey County, Illinois geboren. Als der Bürgerkrieg ausbrach, lebte ich mit meinen Eltern in jenem alten, kleinen Blockhaus, in dem ich geboren worden war. Die Konföderierten beschossen am 12. April 1861 Fort Sumter und lösten so den Krieg aus. Am 15. April 1861 forderte Präsident Lincoln die Einberufung von 75.000 Männern, um bei der Niederschlagung der Rebellion zu helfen. Illinois erfüllte sogleich seine Quote und darüber hinaus mussten tausende von Männern abgewiesen werden, da der Staat die geforderte Anzahl bereits beisammen hatte und kein weiterer Bedarf bestand. Die unter diesem Aufruf eingemusterten Soldaten dienten lediglich für drei Monate, da die Regierung zu diesem Zeitpunkt noch der Ansicht war, der Konflikt sei innerhalb dieses Zeitraums beizulegen. Aber am 3. Mai 1861 verlangte Mr. Lincoln erneut nach Freiwilligen, diesmal etwas über 42.000 an der Zahl und ihre Dienstzeit wurde auf drei Jahre oder eine frühzeitige Entlassung durch das Land festgesetzt. Mit demselben Aufruf wurden auch die reguläre Armee und die Marine beträchtlich verstärkt. Ich selbst verpflichtete mich unter keinem dieser Aufrufe. Wie bereits erwähnt, herrschte im Norden allgemein die Ansicht, der "Krieg" sei lediglich eine sommerliche Tollheit und bis zum 4. Juli sei die ganze Sache erledigt. Wir hegten nicht den geringsten Zweifel, dass Richmond bis dahin eingenommen sein würde und dass sich Jeff Davis und sein Kabinett entweder in Gefangenschaft oder auf der Flucht befänden. Die furchtbare Erkenntnis dieses Irrtums traf die loyale Bevölkerung des Landes nach der Schlacht am Bull Run, die am 21. Juli 1861 ausgefochten wurde. Angesichts des Ergebnisses dieser Schlacht fühlten alle Freunde der Union eine niederschmetternde Enttäuschung und bittere Demütigung. Zu diesem Zeitpunkt begriffen sie, dass ihnen ein langer und blutiger Kampf bevorstand. Im Nachhinein war Bull Run wohl ein Segen. Hätte die Union die Schlacht gewonnen und die Rebellion im Keim erstickt, so hätten wir an der Versklavung der Neger festgehalten und der "ununterdrückbare Konflikt" wäre wohl in der heutigen Zeit ausgefochten worden, wobei zweifellos zehnmal mehr Menschenleben ausgelöscht und ruiniert worden wären als in den 1860er Jahren

Am Tag nach der Schlacht am Bull Run verabschiedete der Kongress ein Gesetz, das Präsident Lincoln autorisierte, 500.000 weitere Freiwillige für drei Jahre zu den Waffen zu rufen. Unter diesem Gesetz und mit Zustimmung des Kriegsministers wurde auch jenes Regiment aufgestellt, in dem ich schließlich diente. Ich war damals nur ein Junge, aber ich spürte, dass der Krieg lange dauern würde und es die Pflicht eines jeden jungen Burschen von entsprechender körperlicher Verfassung war, "zu den Soldaten zu gehen" und bei der Rettung der Nation zu helfen. Ich hatte diesbezüglich einige Diskussionen mit meinem Vater. Er war ein treuer Anhänger der Union und er verstand meine Beweggründe, aber ich konnte sehen, dass ihm die Vorstellung, sein Junge könne in den Krieg ziehen und dort möglicherweise getötet oder verstümmelt werden, schier unerträglich war. Ich gab ihm allerdings zu verstehen, falls in unserer Nähe ein Regiment aufgestellt würde und diesem mehrere meiner Bekannten und Jungs aus der Nachbarschaft beiträten, so wolle auch ich mich freiwillig melden. Ich konnte den Gedanken einfach nicht ertragen, zu Hause bei den Mädchen zu bleiben und die Soldaten mit dem Finger auf mich zeigen und mich einen daheimgebliebenen Feigling schelten zu lassen.

Die Arbeiten zur Aufstellung eines Regiments und der Anwerbung der benötigten Männer in der Nähe meiner Heimat begannen im Herbst des Jahres 1861. Die umliegenden Counties neigten überwiegend stark den Demokraten zu und viele der Einwohner waren überzeugte "Südstaaten-Sympathisanten", wie sie damals genannt wurden und die sich später den radikalen "Copperheads" und "Knights of the Golden Circle" anschlossen. Wohl etwa 90 Prozent der Einwohner der Counties Greene, Jersey, Scott, Morgan und weiterer umliegender Counties waren entweder aus den Südstaaten eingewandert oder doch zumindest direkte Nachkommen eingewanderter Südstaatler. Leute aus den Staaten Kentucky, Tennessee sowie North und South Carolina waren besonders zahlreich. Gerechterweise muss jedoch gesagt werden, dass viele der prominentesten und radikalsten Copperheads aus den entlegenen Ostküsten-Staaten stammten. Was diese Menschen zu ihrem schändlichen Treiben veranlasste, vermag ich nicht zu sagen.

Präsident Lincoln war mit den politischen Verhältnissen in unserer Gegend aus eigener Erfahrung bestens vertraut, da seine alte Heimat, Springfield, die Hauptstadt des Staates, nicht weit entfernt lag und er zweifellos jeden halbwegs prominenten Mann in unserem Wahlbezirk kannte. Was er brauchte, waren Soldaten, ungeachtet deren politischer Ansichten und so war es in dieser Gegend notwendig, den Anhängern der Demokraten einige spezielle Anreize zu bieten. Es war allgemein bekannt, dass dies einer der Gründe war, warum General Jacob Fry aus Greene County, ein gebürtiger Kentuckianer und lebenslanger Demokrat, dazu auserwählt wurde, jenes Regiment zu rekrutieren, organisieren und als Colonel anzuführen, das in den oben genannten Counties und deren Umgebung aufgestellt werden sollte. Doch auch unabhängig von politischen Erwägungen wurde die Auswahl von General Fry als sehr gut und angemessen erachtet. Er war ein Alteingesessener, seit seiner Kindheit ein Einwohner von Greene County, hatte als dessen Sheriff gedient und diverse weitere verantwortungsvolle Ämter bekleidet. Außerdem hatte er, was als noch wesentlich wichtiger galt, tapfer und treu im Black Hawk Krieg in den Jahren 1831-32 gedient, wo er den Rang eines Colonels innegehabt hatte. Bald nach Ende dieses Indianeraufstandes war er zum Brigadier-General und später zum Major-General der Miliz von Illinois ernannt worden. Er war ein stattlicher alter Herr von gemäßigten Umgangsformen, strikter Integrität und unerschütterlicher Tapferkeit. Allerdings war er bereits 62 Jahre alt und dies stellte sich als ein Faktor heraus, der schließlich zu seinem Ausscheiden aus der Armee beitrug, wovon noch die Rede sein wird.

Das Jahrmarktgelände etwa 800 Meter östlich von Carrollton, dem Verwaltungssitz von Greene County, beherbergte das Ausbildungslager von Colonel Frys Regiment. Die Rekrutierungsmaßnahmen begannen gegen Ende September, aber sie kamen nur schleppend voran. Einige der Jungs aus meiner Nachbarschaft hatten sich bereits bei anderen Regimentern verpflichtet und allgemein hatte sich der verlockende Glanz des freiwilligen Armeedienstes bereits einigermaßen abgenutzt. Kompanie "F" der 14th Illinois Infantry war fast vollständig in Jersey County rekrutiert worden und mehrere meiner alten Schulfreunde waren in dieser Kompanie. Kleine Grüppchen hatten sich anderen Regimentern angeschlossen. Sowohl in der 22nd und 27th Illinois Infantry als auch in der 9th Missouri Infantry (später in 59th Illinois Infantry umbenannt) dienten einige Männer und Jungs aus unserer Gegend des Countys.

In der nordwestlichen Ecke von Jersey County, an der Grenze zu Greene County, lebte ein alter Farmer namens John H. Reddish. Auch er hatte im Black Hawk Krieg gekämpft und zwar unter dem Kommando von Colonel Fry. Der höchste Rang, den er in dieser Affäre erreichte, war der eines Corporals, aber unabhängig davon lässt sich mit Gewissheit sagen, dass er ein wackerer Kämpfer war. Sobald es sich herumgesprochen hatte, dass Colonel Fry ein Regiment unter seiner Führung aufstellte, machte sich der alte John Reddish sogleich daran, eine Kompanie für das Regiment zu organisieren. Der Umstand, dass er als Soldat im Black Hawk Krieg gedient hatte, verhalf ihm zu einigem Ansehen und seine militärische Qualifikation galt als über jeden Zweifel erhaben. Tatsächlich galt damals beinahe jedermann von gutem Ruf und wachem Geist, der im Black Hawk Krieg oder im Mexikokrieg gekämpft hatte, als tauglich und idealer Kandidat für einen Offiziersposten oder zumindest einen höheren Unteroffiziersposten. Es sollte sich jedoch zeigen, dass diese Annahme irrig war. Selbstverständlich gab es Ausnahmen, aber allgemein lässt sich sagen, dass die Teilnahme an der Black Hawk Affäre einen Mann nicht im Geringsten zur Ausübung der Pflichten eines Offiziers im Bürgerkriege befähigte. Captain Reddish war eine gute Seele und so tapfer wie eine wilde Bulldogge, allerdings verfügte er, abgesehen von seinem persönlichen Mut, über keinerlei militärische Qualitäten und vermochte sich während seiner gesamten Dienstzeit auch keine anzueignen. Er war nicht in der Lage, sich die verschiedenen Drillübungen einzuprägen, mit Ausnahme der einfachsten Kompaniebewegungen; zudem war er ausgesprochen ungebildet und konnte kaum seinen eigenen Namen schreiben. Seine Kommandos beim Drill waren vollkommen lächerlich, so ergänzte er beispielsweise sein einfaches "links schwenkt" oder "rechts schwenkt" Kommando mit den Worten: "Schwenkt herum, Jungs, genauso wie ein Hoftor." Wir schämten uns zutiefst für ihn ob dieser Aussprüche, während die Männer der anderen Kompanien stets in Gelächter ausbrachen und über unseren Captain spotteten. Er hätte einen erstklassigen Sergeant abgegeben und es ist dies auch der höchste Rang, den er kompetent hätte ausfüllen können. Man muss jedoch sagen, dass er ein aufrichtiger alter Herr und von glühendem Patriotismus beseelt war. Er respektierte Mut und verachtete Feigheit und sein gesamter Charakter machte es seinen Männern unmöglich, ihn nicht zu mögen.

Captain Reddish ernannte Enoch W. Wallace aus meiner Nachbarschaft zum First Sergeant (oder Ordonnanzsergeant, wie der Posten allgemein genannt wurde). Enoch, wie wir ihn für gewöhnlich nannten, war ein alter Bekannter und enger Freund meiner Eltern und ich kannte ihn bereits seit meiner frühen Kindheit. Alles in allem war er einer der besten Menschen, die ich jemals kennengelernt habe. Er hatte als Soldat im Mexikokriege gedient, aber aufgrund seiner Jugend (er war bei Ausbruch dieses Krieges erst 16 Jahre alt) glaube ich, dass seine Dienstzeit erst kurz vor Kriegsende begann und entsprechend kurz war. Trotzdem hatte er einiges über den Kompaniedrill gelernt. Als ich hörte, dass Wallace der First Sergeant von Captain Reddishs Kompanie werden sollte, fasste ich sogleich den Entschluss, in eben diese Kompanie einzutreten und erzählte meinem Vater von dieser Absicht. Er hörte mir schweigend zu, wobei sein Blick starr den Fußboden fixierte. Schließlich sagte er: "Nun, Leander, wenn du es für deine Pflicht hältst, dich zu melden, so werde ich es dir nicht untersagen. Du bist aber der einzige Junge hier, der alt genug ist, bei der Arbeit zu helfen, also hoffe ich, dass du noch warten kannst, bis wir den Weizen ausgesät und den Mais eingebracht haben. Wenn du dann noch immer zu den Soldaten willst, so magst du gehen." Ich war mir sicher, dass das Regiment nicht vor dem Ende dieser Arbeit zur Front aufbrechen würde und so erklärte ich mich sogleich einverstanden.

Zu dieser Zeit ereignete sich etwas, das mich in meinem Verlangen, in das Heer einzutreten, noch weiter bestärkte. Harvey Edsall, ein Bursche aus der Nachbarschaft, der vier oder fünf Jahre älter war als ich, hatte sich im Sommer bei der 22nd Illinois Infantry eingeschrieben. Mit seinem Regiment hatte Harvey am 7. November 1861 an der Schlacht von Belmont teilgenommen und dort eine recht ernsthafte Schusswunde an der Wade erlitten. Sobald er wieder reisefähig war, wurde er auf Genesungsurlaub nach Hause geschickt und ich traf ihn kurz nach seiner Ankunft im Hause seines Vaters, wo sich die Gemeinde versammelt hatte, um einer Predigt aus der Heiligen Schrift durch den ehrenwerten Harrison Rowden beizuwohnen. (Wir verfügten damals über kein eigenes Kirchengebäude und so wurde der Gottesdienst in Wohnhäusern abgehalten.) Harveys Genesung schritt rasch voran, aber sein versehrtes Bein war noch immer mit Verbänden umwickelt und er humpelte auf Krücken umher. Ich entsinne mich noch genau, wie wir Jungen in seiner Nähe standen und ihn mit unverhohlener Bewunderung anstarrten. Er musste uns die Geschichte von der Schlacht und den näheren Umständen seiner Beinverwundung wieder und wieder erzählen, bis er es wahrscheinlich gründlich leid war, aber zumindest ich konnte Harveys Geschichte nicht oft genug hören und irgendwie pflanzte sie mir den Gedanken ein, das einzige erstrebenswerte Leben sei das eines Soldaten zu Kriegszeiten. Die Vorstellung, zuhause zu bleiben und sinnlos den Ackerboden unserer Farm zu pflügen, während die Kanonen in einer solchen Nähe donnerten, dass die alten Männer behaupteten, sie könnten manchmal das Schießpulver riechen, wenn der Wind aus südlicher Richtung wehte! Es erschien mir einfach unerträglich.

Während du diese Erinnerungen eines alten Mannes liest, bedenke stets, dass ich lediglich versuche, dir eine Vorstellung von den Gedanken, Gefühlen, Hoffnungen und Ambitionen eines zu der damaligen Zeit gerade einmal 18 Jahre alten Jungen zu vermitteln.

In der Zwischenzeit half ich meinem Vater bei der Bewältigung der herbstlichen Farmarbeiten. Bald waren der Weizen ausgesät, der Mais eingebracht und ein immenser Vorrat an Feuerholz für den Winter geschlagen, zur Farm geschleppt und beim Wohnhaus aufgestapelt. Die Feiertage standen bevor und diese wollte ich noch zuhause verbringen, da ich dachte, dass es ja wohl meine letzten sein mochten. Zudem war das Regiment noch immer damit zugange, neue Rekruten aufzunehmen und Drillübungen in Camp Carrollton abzuhalten und so sah ich keinen Anlass zu übertriebener Eile. Die Weihnachtsfeiertage gingen vorüber und das neue Jahr brach an und eines Abends sagte ich zu meinen Eltern, ich wolle am nächsten Tag nach Carrollton gehen und würde "vielleicht" als Soldat zurückkehren. Am folgenden Tage, Montag, dem 6. Januar 1862, sattelte und zäumte ich in der Frühe Bill, das kleine, schwarze Maultier und machte mich auf den Weg. Carrollton lag etwa 30 Kilometer nördlich unseres Heims und die Straße verlief größtenteils durch dichte Wälder mit gelegentlichen Farmen zur Linken und Rechten. Wahrscheinlich sind diese Wälder inzwischen gänzlich verschwunden. Ich erreichte das Lager am Nachmittag und begab mich zu den Quartieren von Reddishs Kompanie. Dort traf ich auf Enoch Wallace, dem ich mitteilte, dass ich gekommen sei, um mich einzuschreiben. Er brachte mich zu Captain Reddish, machte uns mit einigen knappen Worten miteinander bekannt und nannte ihm mein Ansinnen. Der alte Captain begrüßte mich herzlich und in Sprache und Gebaren war er so bodenständig, liebenswert und aufrichtig, dass ich ihn vom ersten Augenblick an mochte. Er erklärte mir, der erste notwendige Schritt sei eine Untersuchung durch den Regimentsarzt, um meine körperliche Tauglichkeit festzustellen, also begaben wir uns sogleich zum Sanitätszelt. Ich hatte zuvor bereits alle möglichen Geschichten über die Gründlichkeit dieser Untersuchung gehört, in der sich die angehenden Rekruten angeblich manchmal splitterfasernackt ausziehen und herumhüpfen mussten, um den tadellosen Zustand ihrer Gliedmaßen zu zeigen. In dieser Hinsicht wurde ich jedoch angenehm enttäuscht. Der damalige Arzt war ein fettleibiger, vergnügter alter Doktor namens Leonidas Clemmons. Als der Captain mich ihm vorstellte und meine Untersuchung anordnete, war ich schier panisch vor Angst. Der gute alte Doktor muss mir meine Furcht wohl angesehen haben und er begann herzlich zu lachen und machte einige wohlwollende Bemerkungen über meine äußere Erscheinung. Er bat mich, mich gerade hinzustellen, gab meinem Brustkorb einige leichte Stupser, drehte mich um und betastete meine Schultern, meinen Rücken und meine Gliedmaßen, wobei er die ganze Zeit über lachte und auf mich einredete. Schließlich drehte er mich wieder mit dem Gesicht nach vorne und gab folgendes Urteil ab: "Ah, Captain Reddish! Ich wünschte, Sie hätten hundert so prächtige Burschen wie den da! Er ist vollkommen in Ordnung und diensttauglich." Ich war sehr erleichtert und atmete tief durch. Nun suchten wir das Zelt des Adjutanten auf, wo ich irgendetwas unterschrieb und förmlich vereidigt wurde. Als nächstes war das Zelt des Quartiermeisters an der Reihe. Hier erhielt ich meine Uniform. Ich begab mich hinter einen Haufen aufgestapelter Ausrüstungsgegenstände, entledigte mich meiner Zivilkleidung und schlüpfte in meinen Soldatenrock … ich fühlte mich wie der König der Welt! Die Uniform bestand aus einem Paar hellblauer Hosen, einem ähnlich gefärbten Mantel, an dem ein Umhang befestigt war, einer dunkelblauen Jacke, groben Schuhen, wollenen Socken, einer abgrundtief hässlichen, übertrieben kecken, kleinen Kappe im Stile des französischen Heeres, einem grauen Wollhemd sowie herkömmlicher Unterwäsche. Zudem erhielt ich einen Tornister, aber ich glaube, meinen Brotbeutel und meine Feldflasche gab man mir erst später. An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass das Datum meiner Einschreibung in den Regimentspapieren als der 7. Januar angegeben ist, was nicht den Tatsachen entspricht. Es war der 6. Januar. Es war dies ein Tag, an den ich mich noch genauestens erinnere und den ich zeit meines Lebens nicht vergessen werde. Warum die entsprechenden Stellen das falsche Datum eintrugen, vermag ich mir nicht zu erklären, aber es handelt sich ja nur um einen Tag und der Fehler hatte niemals irgendwelche Auswirkungen.

Es war damals in meinem neuen Regiment Brauch, jedem neuen Rekruten nach seiner Einschreibung einen zweitägigen Urlaub zu gewähren, aber ich zögerte dessen Beantragung bis zum nächsten Morgen hinaus. Ich verbrachte den Nachmittag im Lager und die Nacht in den Quartieren meiner Kompanie. Wie bereits erwähnt befand sich das Lager auf dem Jahrmarktgelände. Dieses umfasste rund 15 Hektar und war an einzelnen Stellen dicht mit großen, einheimischen Bäumen, vorwiegend Weiß-Eichen, Schwarz-Eichen und Schuppenrinden-Hickory, bewachsen. Das Areal war von einer zwei bis zweieinhalb Meter hohen Einfriedung umgeben, welche aus dicken Holzplanken bestand, deren untere Enden man in den Boden gerammt und deren obere Enden man an über Kreuz verlaufenden Stützbalken festgenagelt hatte. Es gab nur eine Öffnung und diese befand sich am Haupttor, ziemlich exakt in der Mitte der Nordseite. Am Tor und entlang der gesamten Innenseite der Umfriedung waren Wachtposten aufgestellt, die dicht am Zaun patrouillierten, um die Männer am Verlassen des Lagers zu hindern. Den einfachen Soldaten war der Ausgang nur gestattet, wenn sie einen von ihrem Captain ausgestellten und von ihrem Colonel unterzeichneten Passierschein vorweisen konnten. Die Drillübungen der Männer wurden hauptsächlich innerhalb des Geländes abgehalten, aber für den Drill in loser Gefechtsordnung verließen wir das Lager, um ausreichend Platz zu haben. Die Quartiere oder Baracken der Soldaten bestanden für jede Kompanie aus einem langen, niedrigen Bau, der aus Holzbrettern grob zusammengezimmert und mit Schindeln und einer Lage Stroh gedeckt war. Darin standen zwei Reihen von Stockbetten. Diese Hütten glichen einem Kansas-Stall vergangener Tage, aber verglichen mit den Bedingungen, unter denen wir später häufig lagern sollten, waren diese Bauten der Inbegriff von Luxus und Komfort. [Anm. d. Übers.: Kansas-Ställe waren einfache, aus gegabelten Pfosten errichtete und mit Laub und Gehölz abgedeckte Unterstände für Vieh.]

Am nächsten Morgen machte ich mich nach einem zeitigen Frühstück mit meinem zweitägigen Urlaubsschein in der Tasche auf den Weg nach Hause. Dabei begleitete mich John Jobson aus Reddishs Kompanie, der sich im vorigen Monat eingeschrieben hatte. Aus irgendeinem Grunde war ihm ein kurzer Urlaub gewährt worden und er hatte sich für seinen Weg ein Pferd gemietet. Bevor er sich zu den Waffen meldete, hatte er als Knecht bei Sam Dougherty, einem unserer nächsten Nachbarn, gearbeitet, weswegen ich ihn bereits gut kannte. Er war etwa 25 Jahre alt, von englischer Herkunft und ein prächtiger, bodenständiger junger Bursche, der einen guten Soldaten abgab. Ich erinnere mich noch gut an unsere gehobene Stimmung während dieser Heimreise. Wir waren jung, strotzten vor Gesundheit und steckten voller Energie und Tatendrang. Auf der Erde lag tiefer Schnee, aber der Himmel war klar und die Luft war kühl und belebend. Sobald wir eine gerade Wegstrecke erreichten, knöpften wir unsere Mäntel bis auf den obersten Knopf auf und gaben unseren Tieren die Gerte. Während unsere Mantelschöße im Wind flatterten und wir unsere Mützen über den Köpfen umherwirbelten, heulten wir wie die Komantschen und "spielten Kavallerieangriff". Wir müssen damals wohl gedacht haben, wir böten einen furchteinflößenden Anblick.

Es ist des Menschen Glück, dass ihm der Blick in die Zukunft verwehrt ist. Im Sommer des Jahres 1863, während wir nahe Vicksburg stationiert waren, wurde Jobson ernstlich krank und man brachte ihn auf ein Transportschiff, das ihn zum Hospital in Mound City, Illinois befördern sollte. Er verstarb unterwegs an Bord des Schiffes und wurde hastig in einer Sandbank an der Mündung des White River begraben. Die sich wandelnden Strömungen des mächtigen Mississippi haben diese Sandbank nun schon vor langer Zeit verschluckt und mit ihr die sterblichen Überreste des armen Jobson.

Ich erreichte mein Zuhause irgendwann am Nachmittag, befreite Bill von seinem Zaumzeug, brachte ihn in den Stall und fütterte ihn. Draußen rührte sich niemand und so betrat ich unangekündigt das Haus. Meine Mutter saß nähend in einem alten Schaukelstuhl. Sie schaute auf, sah mich in meiner Soldatenuniform und wusste sofort, was dies bedeutete. Die Näharbeit fiel ihr in den Schoß, sie schlug ihre Hände vors Gesicht und die Tränen rannen durch ihre Finger, während ihre Emotionen sie erzittern ließen. Sie schluchzte nicht und gab auch sonst keinen Laut der Trauer von sich, aber durch ihr Schweigen wirkte ihre Verzweiflung umso eindringlicher. Ich fühlte mich elend und wusste nicht, was ich sagen sollte, also sagte ich nichts, ging in die Küche und von dort aus zurück in die Scheune. Hier traf ich auf Vater, der gerade von irgendeiner Arbeit im Freien zurückgekehrt war. Er schaute mich ernst an, verriet jedoch keinerlei Gefühlsregung und bemerkte lediglich: "Nun, ich schätze, du hast die richtige Entscheidung getroffen."

Am nächsten Morgen schienen alle etwas fröhlicher zu sein und am Frühstückstisch erzählte ich viel über Camp Carrollton.

Als mein Urlaub auslief, meldete ich mich unverzüglich wieder im Lager und trat meinen Dienst als Soldat an. All die Drillübungen, die ständig stattfanden und den Großteil meiner Zeit in Anspruch nahmen, erforderten meine volle Aufmerksamkeit. Als ich mich einschrieb, wusste ich nicht das Geringste über Drill und außer am Montagnachmittag hatte ich noch niemals bei den Übungen zugesehen. Das damals angewandte System war "Hardees Infanterietaktik". Es war einfach aufgebaut und leicht zu erlernen. Wichtig bei seiner Umsetzung waren Schnelligkeit, Sorgfalt und Konzentration. Den ganzen Tag lang konnte man im Lager die Stimme irgendeines Offiziers hören, der seiner Gruppe oder Kompanie "Links! Links! Links, rechts, links!" zurief, um den Männern den Marschrhythmus einzuimpfen. Wir wurden in Camp Carrollton in der "Schule des Soldaten", der "Schule der Kompanie" und dem Einsatz in loser Gefechtsordnung unterwiesen. Bei Sonnenuntergang wurde stets eine Parade abgehalten. Wir hatten keine Musketen und erhielten erst welche, als wir in die Benton-Kaserne in St. Louis einrückten. Ich glaube nicht, dass wir in Camp Carrollton auch Bataillonsdrill abhielten. Die zahlreichen großen Bäume auf dem Jahrmarktgelände hätten es wohl auch nicht erlaubt. Unsere Verpflegung bestand aus Weizenbrot, Kaffee, je nach Mahlzeit frischem oder gesalzenem Fleisch, Bohnen, Reis, Zwiebeln, Kartoffeln, Süßkartoffeln und gelegentlich Kompott aus getrockneten Äpfeln zum Abendessen. Das Salzfleisch war in der Regel gepökeltes Schweinefleisch und fettes Bauchfleisch. Letzteren "Gaumenschmeichler" nannten die Jungs "Schweinebauch". Hiervon bekamen wir bis zum Ende des Krieges mehr als genug. Soweit es das Futter betrifft, möchte ich behaupten, dass sich die Unionssoldaten (zumindest in den westlichen Armeen) beinahe ausschließlich von Kaffee, Schweinebauch, Bohnen und Hartkeksen ernährten. Selbstverständlich brauchten wir einige Zeit, um zu lernen, wie man diese Dinge zubereiten muss (besonders die Bohnen), aber nachdem wir diese Kunst gemeistert hatten, konnten wir stets auf unser nahrhaftes Essen zählen. Man muss allerdings den Tod so manches armen Jungen (besonders während unserer ersten zwei bis drei Monate im Felde) darauf zurückführen, dass er sein Essen nicht richtig kochte.

Die fröhlichste Zeit des Tages in Carrollton waren jene Stunden nach der Parade und vor dem Trompetensignal, das den Zapfenstreich verkündete. In dieser Zeit fand ein lebhaftes "Kojotengeheul" statt: Die Jungs rannten umher und besuchten die Quartiere der anderen Kompanien, um dort gemeinsam aus vollem Halse zu singen. Alle möglichen patriotischen Lieder waren damals sehr beliebt und was uns an Musikalität fehlte, machten wir durch Lautstärke wett. Am 19. Januar 1862 hatte die Union in der Schlacht von Mill Springs, Kentucky den Sieg davongetragen und dabei den konföderierten General Felix K. Zollicoffer getötet. Dieser war ein Kongressabgeordneter aus Tennessee gewesen und galt im Süden als ein bedeutender Mann. Es dauerte nicht lange, bis ein Lied zur Feier dieses Sieges auftauchte. Es trug den Titel "Das frohe Land Kanaan" und ich kann mich nur noch an eine Strophe erinnern, die wie folgt lautete:

"Old Zolly ist hin

Und der Süden weint um ihn

Denn als General war er ein wichtiger Mann

Er leistete Widerstand

Bei dem Flusse Cumberland

Und ging ein in das frohe Land Kanaan."

[Anm. d. Übers.: Stillwell vermischt hier die ersten drei Zeilen der zweiten Strophe mit den letzten drei Zeilen der ersten Strophe.] Natürlich folgte jeder Strophe ein lebhafter Refrain, der nicht Bestandteil des ursprünglichen Liedes war und zudem, wie es manchmal in den Zeitungen heißt, "nicht zur Veröffentlichung geeignet" war, also werde ich ihn an dieser Stelle verschweigen. Ich kann noch heute meine Augen schließen, mich in meinem Stuhl zurücklehnen und meine Gedanken in jene ferne Zeit zurückstreifen lassen. Dann ist mir, als könne ich Nelse Hegans aus Kompanie C vor mir sehen und hören, wie er nachts in unserem Quartier in Camp Carrollton dieses Lied singt. Er war ein über 1,80 Meter großer, kräftiger Bursche von etwa 21 Jahren mit einer tiefen Bassstimme, deren Gesang wie entfernter Donner dröhnte. Er war rundum ein prächtiger Kerl. Der arme Nelse! Er wurde am Morgen des ersten Tages bei Shiloh von einer Musketenkugel tödlich am Hals verwundet und starb wenige Tage später.

Die Jungs erfreuten sich während ihrer Zeit in Camp Carrollton bester Gesundheit. Es gab vereinzelte Fälle von Masern, aber soweit ich mich entsinne, endeten diese nicht tödlich. Einmal fing ich mir eine arge Erkältung ein, aber ich kurierte mich selbst mit einem Hausmittelchen und dachte nicht daran, deswegen den Arzt aufzusuchen. Ich schälte etwas Rinde von einem Hickorybaum, der in der Nähe unsers Quartiers stand und brühte mir einen Liter starken Hickoryrindentee auf. Diesen trank ich heiß und in einem Zug unmittelbar vor dem Zubettegehen. Der Tee war von grüner Färbung und ausgesprochen bitter, aber er kurierte meine Erkältung.

Wenige Wochen nach meiner Einschreibung wurde ich zum Corporal befördert. Eine Infanteriekompanie verfügt (oder verfügte zumindest zu meiner Zeit) über acht Corporals und diese werden durchnummeriert. Ich war der Fünfte. Diese Beförderung verdankte ich der Freundschaft und dem Einfluss von Enoch Wallace und es war dies lediglich eine der zahlreichen Nettigkeiten, die er mir während meiner Dienstzeit erwies. Ich kann kaum beschreiben, wie stolz ich auf meinen bescheidenen militärischen Rang war. Ich spreche die reine Wahrheit, wenn ich gestehe, dass mir der Rang eines "Corporals in Kompanie D" mehr Stolz und Freude bescherte als jedes andere Amt, das ich in meinem Leben innehatte, sei es nun militärisch oder zivil. Die Jungs brachten ein Gerücht über mich in Umlauf, das besagte, man habe mich kurz nach meiner Beförderung hinter den Quartieren der Kompanie überrascht, wie ich meinen Kopf so tief wie möglich in ein leeres Fass steckte und mit tiefer, kehliger Stimme ausrief: "CORPORAL STILLWELL! CORPORAL STILLWELL!" Die Jungs erklärten, ich hätte dies getan, da ich den Klang dieser Worte so sehr liebte. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass meine Beförderung zwar noch während unserer Zeit in Carrollton ausgesprochen wurde, die offizielle Ernennung jedoch auf einen Zeitpunkt nach unserem Einrücken in die Benton-Kaserne datierte.

Die einzige Unannehmlichkeit, an die ich mich bezüglich Camp Carrollton erinnern kann, war der völlige Mangel an Privatsphäre. Selbst außerhalb seiner Dienstzeiten war es einem nicht möglich, sich zurückzuziehen und irgendwo etwas Ruhe und Frieden zu finden. Schon der Gedanke daran, ein stilles Fleckchen zu finden, um alleine ein Buch oder eine Zeitung zu lesen, schien absurd. Um mich eines dieser modernen Ausdrücke zu befleißigen: "Irgendwas ging immer ab." Nach dem Abendessen an frostigen Abenden, wenn die Jungs alle in den Baracken saßen und sangen oder herumalberten, schlich ich mich oft hinaus, schlenderte unter den großen Bäumen umher und lauschte dem Knirschen des Schnees unter meinen Füßen, nur um einmal eine Zeit lang alleine zu sein. In dieser Hinsicht besserten sich die Zustände jedoch, als es nach Süden ging und wir nicht mehr auf 15 Hektar zusammengepfercht waren.

Am 16. Februar 1862 errang General Grant seinen großen Sieg bei Fort Donelson und die Nachricht darüber erreichte uns wenige Tage später. Die Jungs sprachen darüber mit einer Mischung aus Überschwang … und Schrecken. Überschwang natürlich ob des "glorreichen Sieges", aber Schrecken ob dessen Auswirkungen auf unsere künftige Soldatenlaufbahn. Von den Offizieren bis hinunter zu den einfachen Soldaten dachten wir alle, dass der Krieg nun enden würde, man uns an der Front nicht mehr benötigte und wir nicht einen einzigen Schuss abfeuern könnten. Man würde uns entlassen und wir würden als lächerliche "Wochenendsoldaten" nach Hause zurückkehren, die künftig still dasitzen und den echten Kriegern bei ihren Geschichten über den Krieg und die Schlachten zuhören mussten. Wir wussten ja nicht, dass wir uns unnötige Sorgen machten … aber das sollten wir noch früh genug herausfinden.

Kapitel II

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Die Benton-Kaserne – St. Louis (März 1862).

Irgendwann gegen Ende des Monats Februar erreichte uns vom Regimentshauptquartier die willkommene Nachricht, dass wir Camp Carrollton in Bälde verlassen sollten. Unser vorläufiges Ziel lautete St. Louis, Missouri, aber wie es von dort aus weitergehen sollte, vermochte noch niemand zu sagen. Später erging dann der offizielle Marschbefehl und da wurde uns bewusst, dass unsere Befürchtungen bezüglich unserer Teilnahme an den Kampfhandlungen wohl ein wenig verfrüht gewesen waren.

Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass als Datum unseres Aufbruchs von Carrollton in der kurzen Regimentshistorie, welche in den Berichten des Generaladjutanten des Staates Illinois veröffentlicht wurde, der 21. Februar genannt wird, was nicht der Wahrheit entspricht. Es ist dies entweder ein Irrtum jener Person, die diesen Teil der Historie niederschrieb oder ein Schreibfehler. In meinem Besitz befindet sich ein Brief (er liegt gerade vor mir), den ich am 2. März 1862 in der Benton-Kaserne an meinen Vater schrieb. Hierin nenne ich den 28. Februar als den Tag unserer Ankunft in St. Louis und ich weiß genau, dass unsere Verlegung nur zwei Tage in Anspruch nahm. Abgesehen von dem genannten Datum in meinem Brief erinnere ich mich genau an einige weitere ungeschriebene Tatsachen und Begebenheiten, welche mich zu der über jeden Zweifel erhabenen Gewissheit gelangen lassen, dass wir Carrollton am 27. Februar 1862 verließen. Früh am Morgen dieses Tages marschierte das Regiment durch das große Tor und auf einem Feldweg in Richtung Süden. Lebewohl, gutes altes Camp Carrollton! Etliche der Jungs sollten es nie mehr wiedersehen und auch ich bin nur einmal dorthin zurückgekehrt, im Sommer des Jahres 1894. Damals befand ich mich auf Besuch in Jersey County und es überkam mich das Bedürfnis, nach Carrollton zu gehen und mir das alte Lager anzusehen. Zwischenzeitlich war in dieser Gegend (in den letzten Kriegsjahren oder zumindest irgendwann um diesen Zeitraum) eine Bahnstrecke verlegt worden, die von dem Städtchen aus nach Süden verlief und weniger als eine Stunde von Jerseyville, wo ich mich aufhielt, entfernt war. Ich bestieg also den Frühzug und gleich Jona auf seinem Wege nach Tarschisch "bezahlte ich das Fahrgeld und ging an Bord". Ich erfuhr, dass das Areal des alten Lagers noch immer als Jahrmarktgelände diente und dass die alten, großen Bäume, oder zumindest die meisten von ihnen, noch standen und genauso aussahen wie 32 Jahre zuvor. Unsere alten Baracken waren inzwischen natürlich restlos verschwunden. Ich stand dort eine Weile herum und ließ, in Gedanken versunken, meinen Blick schweifen. Dann ging ich wieder und seitdem bin ich nicht mehr dort gewesen.

Bei Sonnenuntergang erreichte das Regiment Jerseyville. Im ganzen Umland hatte sich die Kunde verbreitet, dass Frys Regiment auf dem Wege an die Front war und aus einem Umkreis von mehreren Kilometern war die Landbevölkerung auf ihren Heuwagen in dem Städtchen zusammengeströmt, um einen letzten Blick auf uns zu werfen und uns herzlich zu verabschieden. Das Regiment marschierte in Kompaniekolonne, mit einem Abstand von jeweils einer Kompanie, die nach Süden verlaufende Hauptstraße hinauf. Als wir das Zentrum des kleinen Ortes erreichten, schwenkten wir in Linienformation, richteten uns an der Regimentsfahne aus und standen in Habachtstellung. Auf den Bürgersteigen drängten sich die Leute aus dem Umland und musterten mit angespannten Mienen unsere Reihen, wobei jede Familie aufmerksam nach ihrem Jungen, Bruder, Gatten oder Vater suchte. (An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass die Mehrheit der Soldaten des Regiments, ebenso wie die meisten seiner Offiziere, Junggesellen waren.) Ich war mir gewiss, dass sich meine Eltern irgendwo in dieser Menge befanden, da ich ihnen eigens geschrieben hatte, wann genau wir durch Jerseyville marschieren würden. Ich stand in der vordersten Reihe und hielt meinen Kopf starr nach vorne gerichtet, aber meine Augen schweiften suchend so weit den Bürgersteig entlang, wie es mir in dieser Haltung möglich war. Plötzlich entdeckte ich sie, wie sie sich etwa drei Meter von mir entfernt mühsam ihren Weg zum Straßenrand bahnten. Ich fürchtete mich ein wenig vor unserem Treffen und dem bevorstehenden Abschied. Ich erinnerte mich noch an den Gefühlsausbruch meiner Mutter, als sie mich erstmals in meiner Uniform gesehen hatte und nun befürchtete ich, sie könne vollends zusammenbrechen. Doch da stand sie, ihren Blick unablässig auf mich geheftet und ein stolzes Lächeln zeigend! Wir waren ein prächtig aussehender Haufen von 800 bis 900 Burschen. Unsere Uniformen waren sauber und noch recht neu und unsere Gesichter waren rotbackig und strahlten förmlich vor Energie. Neben der Regimentsfahne trug jede Kompanie damals noch eine eigene, kleine Flagge und all diese flatterten nun im Wind, während unsere Regimentskapelle nach Kräften patriotische Melodien schmetterte. Ich schätze, für all diese Leute muss es ein beeindruckender Anblick gewesen sein, da sie, von wenigen Ausnahmen abgesehen, derartiges wohl noch niemals zuvor gesehen hatten. Wie dem auch sei, meine Mutter war offensichtlich froh, mich im Schatten der wehenden Fahne stehen zu sehen, bereit, für unsere alte Union zu kämpfen, anstatt mich zuhause herumzudrücken wie einige der kräftigen Jungs aus unserer Nachbarschaft, die Familien von Copperheads angehörten und entsprechende Sympathien hegten.

Man hatte Vorkehrungen getroffen, das Regiment für diese Nacht in mehreren öffentlichen Gebäuden des Städtchens einzuquartieren und so wurden die einzelnen Kompanien zu ihren jeweiligen Unterkünften gebracht. Kompanie D hatte man die Baptistenkirche zugewiesen und dort traf ich mich mit meinen Eltern zu einer letzten Unterhaltung. Sie waren auf dem alten Heuwagen 15 Kilometer von Zuhause bis hierher gefahren. Die Straßen verliefen zumeist durch dichte Wälder, über Anhöhen und durch Senken und zudem näherte sich der kurze Wintertag seinem Ende und die Nacht würde bald anbrechen, weswegen sich unser Gespräch notwendigerweise kurz gestaltete. Der Abschied war einfach und ungekünstelt, ohne Zurschaustellung unserer Emotionen, aber Mutters Augen hatten einen ungewöhnlichen Glanz und nachdem sie "Lebewohl, Leander" gesagt hatte, wandte sie sich sogleich ab. Was meinen Vater betrifft, so war er ein alter Sohn North Carolinas, geboren und aufgewachsen in einer von Cherokee-Indianern besiedelten Gegend am Fuße der Great Smoky Mountains. Folglich galt ihm, wie allen Männern seines Schlages, das Zeigen "weibischer" Gefühle als beinahe schändlich. Seine Abschiedsworte waren knapp und wohlbedacht. Er sprach sie in seiner gewöhnlichen Art und Weise, machte auf dem Absatze kehrt und schritt davon.

Mutter hatte mir ein Brathühnchen mitgebracht, eine große, fette Henne mit reichlicher Füllung und viel Salbei und Zwiebeln, zudem eine Früchtepastete, einige Krapfen nach altem Rezept und eingelegte Essiggurken. Ich teilte all dies mit Bill Banfield (meinem guten Freund) und es reichte für ein reichhaltiges Abendessen und ein üppiges Frühstück am nächsten Morgen, wonach noch immer die Hähnchenschlegel und einige weitere Fetzen Fleisch zum Mittagessen übrigblieben.

Am nächsten Morgen brachen wir in aller Frühe in Richtung Alton am Mississippi River auf, allerdings mussten wir an diesem Tage kaum marschieren. Ein Großteil der Bevölkerung aus der Gegend um Jerseyville hatte sich mit seinen Wagen eingefunden und die Leute bestanden darauf, uns nach Alton zu fahren, was wir gerne akzeptierten. Einige Kilometer nördlich von Alton passierten wir eine damals (und womöglich noch heute) dort gelegene, bekannte und vielgerühmte Mädchenschule, das sogenannte "Monticello Seminar für Damen". Die Mädchen hatten bereits von unserer Ankunft gehört und standen alle am Wegesrand. Es waren wohl hundert oder mehr und sie trugen rote, weiße und blaue Schleifen in ihren Haaren oder an ihrer Kleidung. Sie winkten uns mit weißen Taschentüchern und kleinen Fahnen zu und sahen einfach hinreißend aus. Wir ließen uns nicht lange bitten, ihnen herzlich zuzujubeln, das kann ich dir versichern! Wir standen in den Wagen auf, schwenkten unsere Mützen und stießen ein Jubelgeheul aus, bis das letzte der Mädchen außer Sichtweite war. Dieses Ereignis bewahrten wir alle stets in liebevoller Erinnerung, denn es waren dies die letzten Bekundungen von Unterstützung und Patriotismus durch das weibliche Geschlecht, die dem Regiment zuteilwurden, bis wir schließlich einige Monate nach Kriegsende auf unserem Wege heimwärts den Boden des Staates Indiana betraten.

Gegen Sonnenuntergang erreichten wir Alton, wo wir uns unverzüglich an Bord des Seitenraddampfers "City of Alton" begaben, der am Kai auf uns wartete. Sogleich wurden Wachen aufgestellt, um die Männer am Verlassen des Schiffes zu hindern. Doch "'s ward irgendwo geblundert" und man hatte uns keine Verpflegung für unser Abendessen zugeteilt. [Anm. d. Übers.: Stillwell spielt hier auf eine Zeile aus Alfred Tennysons Gedicht "The Charge of the Light Brigade" an. Um den Zitatcharakter zu wahren, wurde an dieser Stelle die bekannteste (wenn auch aus Gründen des Reims sehr unbeholfene) Übersetzung von Theodor Fontane gewählt.] Wir waren ausgehungert, denn unser Mittagessen (zumindest das von Kompanie D) hatte nur aus den Überbleibseln unseres Frühstücks bestanden. Die Offiziere nahmen sich der Sache an, suchten das Städtchen auf und kauften mit ihrem eigenen Geld Nahrungsmittel für uns. Meine Kompanie erhielt ein Fass Austernkekse, die damals "Butterkekse" genannt wurden, und dazu tranken wir Flusswasser.

Die Neuartigkeit und Aufregung der vorigen beiden Tage hatten mich emotional wie körperlich erschöpft und, um die Wahrheit zu sagen, ich fühlte bereits einen ersten Anflug von Heimweh. Nach dem Abendessen begab ich mich auf das Oberdeck, breitete dort meine Decke aus, legte mich nieder, wobei mir mein Tornister als Kopfkissen diente und war bald eingeschlafen. Der Dampfer verließ Alton erst nach Einbruch der Dunkelheit und als er ablegte, rissen mich das Schrillen der Dampfpfeife, das Rauschen der Schaufelräder und das Stampfen und Hämmern der Dampfmaschinen aus dem Schlaf. Ich setzte mich auf, schaute mich um und beobachtete die Lichter von Alton, wie sie in der Schwärze der Nacht schimmerten und funkelten, bis ich sie in einer Flussbiegung aus den Augen verlor. Ich legte mich wieder nieder, schlief ein und erwachte erst am nächsten Morgen nach Tagesanbruch, als unser Schiff bereits am Anlegeplatz von St. Louis ankerte. Bald darauf gingen wir von Bord und marschierten zur Benton-Kaserne, welche außerhalb der Stadt und der Vororte lag. Soweit ich mich erinnere, entsprach die Form des Kasernengeländes einem großen, länglichen Viereck. Die Baracken selbst bestanden aus einer langen Reihe miteinander verbundener Holzrahmenbauten, in denen die Quartiere einer jeden Kompanie durch Bretterwände getrennt und entlang der Wände mit zwei Reihen von Stockbetten eingerichtet waren. Am Ende jeder Kompanieunterkunft befand sich die Kompanieküche. Diese war jeweils ein abgetrennter, separater Rahmenbau, der über allerlei Vorrichtungen zur Nahrungszubereitung verfügte, darunter einen Backsteinofen mit Öffnungen für Pfannen, Töpfe, Kessel und dergleichen. Sowohl die Baracken als auch die Küchen waren bequem und angenehm eingerichtet und unseren zusammengezimmerten Hütten in Carrollton in jeder Hinsicht vorzuziehen. Das Kasernengelände umfasste ein beträchtliches Areal, jedoch kann ich mich nicht an die genaue Größe erinnern. Das Gelände war nahezu völlig frei von Bäumen und wurde für Drillübungen und Paraden genutzt. Der Kommandeur vor Ort war zu dieser Zeit Colonel Benjamin L. E. Bonneville, ein alter Offizier der regulären Armee, der in seinen jüngeren Jahren ein bekannter Entdeckungsreisender in den ungezähmten westlichen Gebieten gewesen war. Ich sah ihn häufig auf dem Gelände umherreiten. Er war ein kleiner, runzeliger, alter Franzose und eine vollkommen unmilitärische Erscheinung. Trotzdem hatte dieser Mann seiner Wahlheimat lange und treu als Soldat gedient. Solltest du jemals mehr über diesen Mann erfahren wollen, so lies (falls du dies nicht schon getan hast) die "Abentheuer des Capitäns Bonneville oder Scenen jenseits der Felsgebirge des fernen Westens" von Washington Irving. Es wird dir eine ausgesprochen interessante Lektüre sein.

Wir verbrachten etwa vier Wochen in der Benton-Kaserne. Das Leben dort war eintönig und bar jeglicher Ablenkung. Ich erinnere mich, dass wir nur selten Drillübungen abhielten, da es die meiste Zeit über regnete und der Boden des Exerzierplatzes ein einziger See aus Matsch war. Die Drainage war eine Katastrophe und so blieb der Regen an der Oberfläche, bis die Erde ihn aufsog. Und eines kann ich dir sagen: Im März des Jahres 1862 regnete es über der Benton-Kaserne wie aus Eimern! Während wir dort untergebracht waren, fand ich in einer kürzlich geräumten Baracke eine alte, zerfledderte Taschenbuchausgabe von Dickens' "Bleakhaus" und an jenen regnerischen Tagen kroch ich in mein Bett (ich belegte eines der oberen Stockbetten), machte es mir bequem und las dieses Buch. Einige der darin vorkommenden aristokratischen Charaktere besaßen einen Landsitz namens "Chesney Wold", wo es unablässig zu regnen schien. Um (sinngemäß) aus dem Buch zu zitieren: "Der Regen fiel ohne Unterlass, tropf, tropf, am Tage wie in der Nacht in jenem Orte in Lincolnshire." Ebenso verhielt es sich in der Benton-Kaserne. Wenn ich des Lesens überdrüssig war, wandte ich meinen Kopf zur Seite und schaute eine Weile aus dem kleinen Fenster an der Seite meines Bettes, das mir einen Ausblick über den Großteil des Platzes gewährte, um den herum die Baracken standen. Der Boden war ein regelrechter Sumpf aus Schlamm und Wasser und keine Seele rührte sich dort draußen, mit Ausnahme einer berittenen Ordonnanz, die gelegentlich im Galopp über das Kasernengelände jagte. Seit damals habe ich "Bleakhaus" mehrere Male gelesen und sobald ich das Kapitel erreiche, in dem vom regnerischen Wetter auf dem Landsitz der Dedlock-Familie die Rede ist, kann ich jene düsteren und trostlosen Verhältnisse, unter denen ich vor mehr als einem halben Jahrhundert meine Zeit in der Benton-Kaserne verbrachte, stets deutlich und mit allen Sinnen nachempfinden. Irgendwo in General Shermans Memoiren habe ich eine Stelle gelesen, in der er sich dahingehend äußert, dass sich Regen im Feldlager negativ auf das Gemüt der Soldaten auswirke, auf dem Marsch jedoch durchaus anregend sei. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass diese Beobachtung der Wahrheit entspricht. Auf dem Marsch wurden wir häufig von schwerem Regen überrascht, welcher die Straßen rasch in einen Sumpf aus klebrigem, gelbem Schlamm verwandelte. In diesen Fällen zogen wir unsere Schuhe und Strümpfe aus, banden sie etwas unterhalb der Mündung und knapp oberhalb des Schaftendes an unserem Musketenlauf fest, balancierten die Muskete auf ihrem Hahn über der Schulter, sodass der Schaft nach oben zeigte und rollten unsere Hosenbeine bis zu den Knien hoch. Dann taten wir es wie Tam O'Shanter und ließen "Lehm und Moder um uns spritzen, die Winde heulen, Blitze blitzen", wobei wir "John Brown's Body" sangen oder irgendein anderes Lied, nach dem uns gerade zumute war. [Anm. d. Übers.: Stillwell zitiert hier aus "Tam O'Shanter", einem Gedicht des schottischen Nationaldichters Robert Burns aus dem Jahre 1790.] Regnerische Tage im Lager hingegen, besonders derart heftige wie jene während unserer Zeit in der Benton-Kaserne, beschwören Gefühle von Trostlosigkeit und Niedergeschlagenheit herauf, die man nur nachvollziehen kann, wenn man sie selbst erlebt hat. Das Elend, das sie verursachen, lässt sich nicht beschreiben.

Während ich eines Tages müßig über das Kasernengelände schlenderte, traf ich einen Soldaten, der mir erzählte, er gehöre zur 14th Wisconsin Infantry. Er war einige Jahre älter als ich, recht mitteilsam und schien mir ein vernünftiger, aufgeweckter Bursche zu sein. Er redete ohne Unterlass über sein Regiment, es bestünde fast ausschließlich aus jungen Männern, großgewachsenen, kräftigen Holzfällern aus den Kiefernwäldern Wisconsins. Ich wurde nachdrücklich eingeladen, das Regiment bei Gelegenheit am Abend zu besuchen und ihm bei der Parade zuzusehen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt bereits die Erfahrung gemacht, dass Soldaten dazu neigten, mit ihrem Regiment zu prahlen, weswegen ich seinen Schilderungen mit einiger Vorsicht begegnete, allerdings hatte er trotzdem meine Neugierde auf diese Kerle aus Wisconsin geweckt. Als ich eines Abends keine Verpflichtungen hatte, ging ich mir also ihre Parade ansehen und es stellte sich heraus, dass der Soldat tatsächlich nicht übertrieben hatte. Es waren allesamt prächtige, große Burschen mit breiten Schultern, enormen Brustkörben und kräftigen Gliedmaßen. Was die körperliche Verfassung betrifft, so waren dies zweifelsohne die prächtigsten Soldaten, die ich während meiner gesamten Militärzeit sah. Ich erwähne dieses Ereignis und diese Burschen an dieser Stelle, da ich später möglicherweise noch mehr über das 14th Wisconsin zu sagen haben werde.

In der Benton-Kaserne erhielten wir unsere Regimentsnummer – die 61 – und fortan waren wir die 61st Illinois Infantry. Auch unsere Waffen wurden uns zugeteilt. Wir wurden mit österreichischen Musketen mit gezogenem Lauf ausgerüstet. Sie waren von mittlerer Länge, hatten einen Schaft aus hellbraunem Walnussholz und gaben alles in allem tadellose Schießeisen ab. Zu jener Zeit waren die meisten Truppen des westlichen Kriegsschauplatzes mit aus Europa importierten Musketen ausgerüstet. Viele Regimenter hatten alte, belgische Musketen, schwere und unhandliche Ungetüme, die in jeder Hinsicht ungenügend und minderwertig waren. Wir waren froh, unsere "Österreicher" erhalten zu haben und waren stolz auf sie. Wir benutzten sie, bis wir sie im Juni 1863 gegen die Springfield-Muskete Modell 1863 mit gezogenem Lauf eintauschten. Diese war nicht so schwer wie das österreichische Modell, bot einen gefälligeren Anblick und war eine sehr effektive Waffe. Es war dies die letzte Änderung in dieser Hinsicht und wir trugen die Springfield-Muskete bis zu unserer Ausmusterung. [Anm. d. Übers.: In den frühen Kriegsjahren kaufte die Unionsregierung ungeachtet der Qualität möglichst viele der zum Export bestimmten Waffenbestände der europäischen Staaten auf, teils um den enormen Bedarf zu decken, teils um sie den ebenfalls sehr aktiven Einkäufern der Südstaaten vorzuenthalten. Das österreichische Lorenz-Gewehr war eines der besseren und begehrteren europäischen Modelle.]

In der Benton-Kaserne war es auch, wo die Indienststellung des Regiments in die Streitkräfte der Vereinigten Staaten vollzogen wurde. Zu jener Zeit bestand ein Infanterieregiment aus zehn Kompanien, aber unseres verfügte nur über neun. Wir hatten keine Kompanie K und sollten eine solche erst im März 1864 erhalten. Da wir kein vollständiges Regiment darstellten, diente Colonel Fry (wie wir ihn nannten) lediglich als Lieutenant-Colonel und diesen Rang bekleidete er während seiner gesamten Zeit beim Regiment. Captain Simon P. Ohr aus Kompanie A wurde zum Major befördert. Aufgrund unseres Mangels an einer zehnten Kompanie und der Tatsache, dass wir diese erst erhielten, als die übrigen Kompanien bereits beträchtlich geschwächt waren, verfügte das Regiment bis zum Sommer des Jahres 1865 über keinen Offizier im Range eines Colonels. Von den Umständen, unter denen wir endlich einen Colonel bekamen, wird noch die Rede sein.

Kapitel III

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Aufbruch an die Front – Die Schlacht von Shiloh (März und April 1862).

Am 25. März verließen wir die Benton-Kaserne und machten uns auf den Weg an die Front. An jenem Tag marschierten wir durch St. Louis und gingen an Bord eines Dampfers, aber aus irgendeinem mir unbekannten Grunde legte das Schiff erst spät am Abend des folgenden Tages ab. Meine Kompanie war auf dem Oberdeck untergebracht. Der Dampfer war noch nicht lange auf dem Fluss unterwegs, als sich ein Vorfall ereignete, der heute einigermaßen belustigend erscheinen mag, damals jedoch ein durchaus ernstzunehmendes Unglück für mich darstellte und zudem mein Gewissen beträchtlich belastete. Ich hatte meinen Tornister, an dem ich meine Decke festgeschnallt hatte, zusammen mit meiner sonstigen Ausrüstung bei einigen pyramidenförmig zusammengestellten Musketen (darunter auch die meine) abgelegt. Plötzlich bemerkte ich zu meinem Entsetzen, dass meine Decke verschwunden war! In der Tat, meine verehrte Leserschaft, hatte sich irgendein Tunichtgut vorsätzlich und arglistig diesen für eine erholsame Nachtruhe unverzichtbaren Gegenstand angeeignet. Eine lange, raue Märznacht stand bevor und aus dem kalten Fluss stieg nebelgleich eine feuchte und frostige Luft empor. Alle Anzeichen deuteten zudem auf nächtlichen Regen hin. Donner grollte dumpf vom Südwesten her, gelegentliche Blitze erhellten den Himmel und vereinzelte Regentropfen prasselten bereits auf das Oberdeck und kräuselten die Wasseroberfläche des Flusses. Was sollte ich nur tun? Ich musste eine Decke haben, das stand fest. Mein ganzes Leben lang hatte man mich gelehrt, dass Diebstahl so ziemlich das schändlichste aller Verbrechen und Diebe erbärmliche und verachtenswerte Schurken seien. Zudem sagt eines der Zehn Gebote unmissverständlich: "Du sollst nicht stehlen." Und doch musste ich es tun und zwar unverzüglich. Ich überdachte die Angelegenheit und gelangte zu der Erkenntnis, dass ich ja ein Soldat und somit vorübergehend ein Werkzeug von Onkel Sam war. Folglich war ich Regierungseigentum und es war meine Pflicht, dieses Eigentum unbedingt zu schützen. Somit war die Sache entschieden und ich verscheuchte mein schlechtes Gewissen (und meine Integrität). Ich möchte an dieser Stelle nicht in die schändlichen Details gehen und so soll es genügen, wenn ich gestehe, dass ich irgendeinem armen Kerl aus einer anderen Kompanie die Decke stahl und somit die Gesundheit und militärische Verwendbarkeit eines willigen Dieners der Nation bewahrte. Wie der andere Bursche durch die Nacht kam, vermag ich nicht zu sagen. Ich stellte diesbezüglich keine Nachforschungen an und war in der Folgezeit sorgsam darauf bedacht, diese Decke am Tage im Inneren meines Tornisters vor eventuellen neugierigen Blicken zu verbergen. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass dies der einzige Akt von unverhohlenem Diebstahl war, den ich während meiner gesamten Dienstzeit beging (mit Ausnahme einiger Zwiebeln, von denen möglicherweise an späterer Stelle noch die Rede sein wird). Selbstverständlich versorgte ich mich auf dem Marsch oder Postendienst unzählige Male mit Maiskolben, Süßkartoffeln, Äpfeln und dergleichen, aber es waren dies legitime Fälle von Requirierung, die von der militärischen Führung ausdrücklich gestattet waren.

In jener Nacht, als wir St. Louis verließen, erhielt ich meine erste anschauliche Lektion über die unterschiedlichen Lebensbedingungen der Offiziere und der einfachen Soldaten. Ich hatte meine Decke entlang der Wand des sogenannten "Texas" ausgebreitet, einer kleinen Konstruktion, die an die Kabine des Steuermanns anschließt. Am Boden des "Texas" war eine Reihe kleiner Fenster eingelassen, durch die man in das Kabineninnere hinabsehen konnte. Ich musste nur meinen Kopf zur Seite drehen, um zu beobachten, was sich dort drinnen ereignete. Die Offiziere saßen in gepolsterten Sesseln oder schlenderten auf Teppichen in dem hell erleuchteten Raum umher, während ihr Abendessen zubereitet wurde. Farbige Diener in weißen Uniformen trugen das Essen herein und als die Tafel gedeckt war, ertönte ein Gong und die Offiziere begaben sich zu Tische. Was dort alles auf sie wartete! Gebratener Schinken und Beefsteak, frischgebackene Brötchen, Butter, Melasse, dampfend heiße große Pellkartoffeln, duftender Kaffee mit Sahne in feinen Tassen und Untertassen sowie weitere kleine Leckereien in Form von eingemachtem Obst und dergleichen. Wie köstlich diese Dinge dufteten! An meiner Position konnte mir der Geruch nicht entgehen. Dort saßen die Offiziere in der warmen, lichtdurchfluteten Kabine zu Tische, ließen sich von Niggerkellnern bedienen und labten sich an all diesen erlesenen Speisen! Es war dies ein Anblick vollkommenen Komforts und Wohlbehagens! Wenn die Offiziere sich schließlich für die Nacht zurückzogen, warteten warme, gemütliche Kojen auf sie, wo sie auf Matratzen und Daunendecken ihre müden Glieder ausstrecken konnten, ohne auch nur einen Gedanken an die Kälte und Nässe dort draußen zu verschwenden. Ich wandte meinen Kopf zurück und besah mir meinen eigenen Schlafplatz. In der kalten, pechschwarzen Nacht rieselten Asche und Ruß von den Schloten auf uns hernieder und der Nieselregen trommelte auf das Deck. Mein Abendessen hatte aus Hartkeksen und rohem Schweinebauch bestanden, dazu wurde als Getränk Flusswasser von dem exzellenten Jahrgang 1541 gereicht. [Anm. d. Übers.: Der Mississippi River wurde 1541 von Hernando de Soto entdeckt.] Um mein Elend zu vervollständigen, lag ich zudem noch unter einer Decke, die ich aus einer militärischen Notlage heraus hatte stehlen müssen. Ich besann mich jedoch, dass wir nicht alle Offiziere sein konnten; irgendjemand musste schließlich die Musketen abfeuern. Ich tröstete mich weiter mit dem Gedanken, dass die Offiziere zwar etliche Privilegien gegenüber den einfachen Soldaten hatten, im Gegenzug aber auch eine größere Verantwortung schultern mussten und sich über viele Dinge den Kopf zerbrachen, die uns nicht im Geringsten zu kümmern brauchten. So unterdrückte ich nach Kräften meinen Neid, wickelte mich in meine Decke, schloss die Augen und schlief die ganze Nacht hindurch den tiefen, traumlosen Schlaf der kerngesunden Jugend.

In der Nacht klarte das Wetter auf und der folgende Tag war angenehm, was unsere Laune beträchtlich verbesserte. Unsere Umgebung war neu und ungewohnt und wir blickten voller Aufregung und Hoffnung in die Zukunft. Wir waren beinahe alle einfache Jungs vom Lande, die ihr bisheriges Leben in der entlegenen Provinz zugebracht hatten. Ich selbst war vor meiner Soldatenzeit noch nie weiter als 80 Kilometer von meinem Zuhause entfernt gewesen, war niemals auf einem Dampfschiff gefahren und hatte auf meinen gelegentlichen Eisenbahnfahrten kaum mehr als 120 Kilometer zurückgelegt (Hin- und Rückfahrten zusammengezählt). Doch nun hatte sich der beengte Horizont meiner Heimat plötzlich geöffnet und vor meinen Augen entfaltete sich eine große, weite Welt. Hierzu gesellten sich die Gedanken an das kühne, heroische Leben, das uns nun bevorstand. Keiner von uns Jungs rechnete ernsthaft damit, getötet zu werden oder ein anderes ungünstiges Schicksal zu erleiden. Den anderen mochte es übel ergehen, einige von ihnen würden wohl sterben müssen, aber man selbst würde am Ende eines siegreichen Krieges unversehrt nach Hause zurückkehren und den Rest seines Lebens als bewunderter und respektierter Kriegsheld verbringen. Dies waren zumindest meine Gedanken und ich hege keinerlei Zweifel daran, dass 99 von 100 der anderen Burschen ebenso dachten.