Villa Verde oder das Hotel in Sanremo - Eva Weissweiler - E-Book

Villa Verde oder das Hotel in Sanremo E-Book

Eva Weissweiler

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Beschreibung

Ein kleines Hotel an der Blumenriviera wird zum Treffpunkt von Exilanten und Literaten - Mit einem Nachwort von Mona Benjamin, der Enkelin von Dora und Walter Benjamin

Die Geschichte der Villa Verde, eines kleinen Hotels in Sanremo, das von 1934 bis 1940 im Besitz von Dora Sophie Kellner war, der geschiedenen Frau Walter Benjamins. Dora, eine aufstrebende Schriftstellerin, Übersetzerin und Journalistin, verließ als Jüdin Berlin, nachdem Hitler an die Macht gekommen war. In Sanremo baute die ebenso praktische wie geschäftstüchtige Dora sich ein neues Leben auf, gemeinsam mit ihrem Sohn Stefan. Das Hotel, auf einer Anhöhe über dem Meer gelegen, war ein großer Erfolg. Schriftsteller, Maler und Journalisten waren dort zu Gast, Aristokraten und Schieber, Spekulanten und Flüchtlinge, Theodor W. Adorno und seine Frau Gretel, der jüdische Nietzsche-Forscher Oscar Levy oder die Star-Journalistin Anita Joachim. Und auch immer wieder Walter Benjamin selbst, für den es »ein stiller Hafen« in den Jahren der Heimatlosigkeit wurde. Doch es spielten sich auch Dramen in diesem Haus ab: Eifersucht, Intrigen, Liebesgeschichten, kleine und große Tragödien des Exils. 1940 musste es schließlich unter dem Druck der italienischen Rassengesetze schließen, Dora selbst hatte sich 1938 nach London retten können.

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Die Geschichte der Villa Verde, eines kleinen Hotels inSanremo, das von 1934 bis 1940 im Besitz von Dora Sophie Kellner war, der geschiedenen Frau Walter Benjamins. Dora, aufstrebende Schriftstellerin, Übersetzerin und Journalistin, verließ als Jüdin Berlin, nachdem Hitler an die Macht gekommen war. In Sanremo baute die ebenso praktische wie geschäftstüchtige Dora sich ein neues Leben auf, gemeinsam mit ihrem Sohn Stefan. Das Hotel, auf einer Anhöhe über dem Meer gelegen, war ein großer Erfolg. Schriftsteller, Maler und Journalisten waren dort zu Gast, Aristokraten und Schieber, Spekulanten und Flüchtlinge, Theodor W. Adorno und seine Frau Gretel, der jüdische Nietzsche-Forscher Oscar Levy oder die Star-Journalistin Anita Joachim. Und auch immer wieder Walter Benjamin selbst, für den es »ein stiller Hafen« in den Jahren der Heimatlosigkeit wurde. Doch es spielten sich auch Dramen in diesem Haus ab: Eifersucht, Intrigen, Liebesgeschichten, kleine und große Tragödien des Exils. 1940 musste es schließlich unter dem Druck der italienischen Rassengesetze schließen, Dora selbst hatte sich 1938 nach London retten können.

Die renommierte Biografin Eva Weissweiler erzählt erstmals die Geschichte dieses Hauses, die in Benjamin-Biografien nur beiläufig erwähnt wird. Sie hat dazu viele unveröffentlichte Briefe, vor allem von Doras Sophie Kellner selbst, aber auch Unterlagen aus italienischen, israelischen, englischen und amerikanischen Archiven ausgewertet und entwirft ein ebenso fundiertes wie facettenreiches Bild vom Leben und Überleben in einer finsteren Zeit.

Zur Autorin

EVAWEISSWEILER, geboren 1951, Studium der Musikwissenschaft, Germanistik und Islamwissenschaft. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. »Clara Schumann«, »Tussy Marx. Das Drama der Vatertochter«, »Die Freuds. Biographie einer Familie«, »Otto Klemperer. Ein deutsch-jüdisches Künstlerleben«, »Friedelind Wagner. Eine Spurensuche«, »Lady Liberty: Das Leben der jüngsten Marx-Tochter Eleanor«, »Das Echo deiner Fragen: Dora und Walter Benjamin«. Eva Weissweiler lebt als freie Schriftstellerin und Rundfunkautorin in Köln.

Eva Weissweiler

VILLAVERDEODERDASHOTELINSANREMO

Das italienische Exil der Familie Benjamin

Mit einem Nachwortvon Mona Benjamin

Für Stefan Benjamin(1918 – 1972)

Inhalt

Prolog Berlin 1933

Kapitel I »Die günstigste Winterstation der Riviera«

Kapitel II Palmen und Giftgas 1935–1937

Kapitel III Gruppenbild mit Gästen 1937–1939

Kapitel IV Das Ende der Villa Verde 1939–1940

Kapitel V Walters Stimme 1940–1972

Nachwort von Mona Benjamin

Danksagung

Literaturverzeichnis

Mitglieder der Familien Benjamin und Kellner in Kurzbiografien

Zeittafel

Benutzte Archive

Endnoten

Bildteil

Register

KAPITEL I»Die günstigste Winterstation der Riviera«

Palmen, Grandhotels und die Palästina-Frage

Der Name »Sanremo« hatte in der jüdischen Welt einen guten Klang, weil die Siegermächte des Ersten Weltkrieges hier im April 1920 die Aufteilung des Nahen Ostens beschlossen hatten: England erhielt das Mandat über Palästina, Transjordanien und den Irak, Frankreich das über Syrien und den Libanon. In Palästina sollte eine »Heimstätte für das jüdische Volk« errichtet werden, »unbeschadet der Rechte der arabischen Bevölkerung«.1 Die Beschlüsse der Konferenz wurden von Juden in aller Welt jubelnd begrüßt, vor allem von den Zionisten. Es gab aber auch kritische Stimmen, die davon sprachen, hier sei der Grundstein für ein Pulverfass im Nahen Osten gelegt worden, das die Welt noch lange in Atem halten würde. Besonders in Italien stand man den Ergebnissen skeptisch gegenüber. So schrieb z. B. die Zeitung »Tempo«:

Das errichtete Haus ist auf Sand gebaut. […] Der Vendettafriede von Sanremo ist schon jetzt rot von Blut.2

Luxus, Grandhotels, teure Kokotten, Nächte im Spielcasino, Foxtrott, Galamenüs für die Großen und Wichtigen dieser Welt, während in Deutschland immer noch die Spanische Grippe wütete, die Inflationsrate in die Höhe schoss, Brot, Butter und Fleisch streng rationiert waren und die Bergarbeiter in Generalstreik gingen: Nicht jedem gefiel dieser radikale Kontrast. Aber Sanremo war nun endgültig weltbekannt geworden, wenn es seinen Ruf als Winterkurort auch schon Jahrzehnte vorher begründet hatte.

Im Januar 1933 stand in der Wiener »Neuen Freien Presse«, einem Blatt, das Dora regelmäßig las:

Eine alte Stadt mit vornehmen Anlagen und großen Hotels, Hafenleben, Militär, Spielbank, Betrieb. Der ganze Rivierakorso in seiner Bewegtheit, Buntheit, seinem Charme […]. Und zugleich beginnt hier Italien […]: enge Gassen, Wäschestücke an allen Fenstern, schlanke Kampanile über buntem Gewink, […] rundum Palmen, kosende Winde und das blaue Meer.3

Nicht zu vergessen das Klima, das allgemein hoch gelobt wurde. Nur ganz selten, im Februar/März, traten in der durch Berge geschützten Bucht leichte Winde auf. Gewöhnlich gab es nur fünfzig Regentage im Jahr. Trotzdem war die Gegend sehr fruchtbar. Als geradezu legendär galt der Reichtum an Bäumen in den großen Parks, in denen schon »Sisi« oder Elisabeth, Kaiserin von Österreich, und Alfred Nobel herumspaziert waren: Cycadeen aus Australien, China und Sansibar, Koniferen aus Persien und dem Himalaja, Palmenarten aus allen Tropenregionen der Welt, Aloe aus Südafrika und Indien.

Für die Gäste, die meistens aus Deutschland, Österreich, England und Russland kamen, gab es Hotels »ersten« und »allerersten« Ranges, Gasthöfe mit deutscher Bedienung und in deutschem Besitz, koscher geführte Pensionen, etwa sechshundert Privatquartiere, ein Kurhaus, eine Seebadeanstalt, eine von deutschen Diakonissen geführte Klinik, eine deutsche Buchhandlung, englische Tea Rooms, einen Golfplatz, Theater, Konzerte und prächtige Strandpromenaden. Nein, man musste sich hier wirklich nicht langweilen, auch wenn man weder der Politik noch der Gesundheit wegen, sondern nur zum Vergnügen hierherkam.

Die Villa des Sonderlings

Der Tourismusboom steckte noch in den Anfängen, als sich Edward Lear 1871 hier niederließ, der große englische Limerick-Dichter und Karikaturist, der gerade sein legendäres Nonsens-Gedicht »The Owl and the Pussy-cat« herausgebracht hatte, das von der Liebe einer Eule zu einer Katze handelte.

Igor Strawinsky hat dieses Gedicht vertont, Hans Magnus Enzensberger hat es nachgedichtet, Laurie Anderson eine Performance daraus gemacht. Doch der Autor, 1812 als zwanzigstes Kind eines englischen Börsenmaklers geboren, war ein einsamer Sonderling, der unter Depressionen, Epilepsie und Bronchialasthma litt, verzweifelt gegen seine Homosexualität ankämpfte und rastlos von Ort zu Ort reiste, weil ihm das englische Klima und der puritanische Geist nicht bekamen.4

Seine Gedichte illustrierte er mit Klavier spielenden Mäusen, Männern, in deren Bärten Vögel nisten, Säufern, die sich mit Abführmitteln betrinken, Franzosen, die rohe Hasen essen. Er malte aber auch Landschaftsbilder, die ihn von einer ganz anderen, sehr romantischen Seite zeigen. Viele Motive von der ligurischen Riviera finden sich darunter.

Dieser widersprüchliche Geist, ein großer, bärtiger Mann mit Nickelbrille, der sich selbst gern als Strichmännchen mit Storchenbeinen karikierte, war eigentlich nur nach Sanremo gekommen, weil er englische Freunde besuchen wollte, die in Prachtvillen mit riesigen Parks lebten. Einer von ihnen zeigte ihm ein Stück Land an der Via Hope, einer schmalen Straße, die sich vom Corso degli Inglesi zur Küste hinunterzog. Es war ein großes, mit Olivenbäumen bepflanztes Hanggrundstück. Ganz unten, jenseits der Eisenbahnlinie, sah man das Meer.

Edward Lear spürte sofort: Das war sein Ort. Hier wollte er bleiben. Er dachte nur einen Tag nach. Dann griff er zu. Er entwarf Pläne für das Gebäude, wobei er jeden viktorianischen Prunk zugunsten klarer und schlichter Formen vermied: glatte Mauern, kein Stuck, keine Türme, ein Flachdach, rundum laufende Balkone mit strengen Gittern, nur hie und da ein Rundbogen oder eine Außentreppe. Es war kein »schütteres Etablissement«, wie Ursula Krechel in ihrem Roman »Shanghai fern von wo« schreibt,5 sondern ein gewaltiges, fast etwas abweisend wirkendes Anwesen, das eher einem Krankenhaus als einer Villa glich. Doch Edward Lear hatte es sich genau überlegt. Die Architektur sollte nicht im Mittelpunkt stehen. Er wollte die Landschaft für sich sprechen lassen. Darum durchstreifte er die vielen Gärtnereien der Gegend, um nach Pflanzen für seinen Park zu suchen: Orangenbäume, Rosen, Jasmin, Mimosen, Lavendel und Myrte, Geranien, die er an Spalieren und Balkonen hochranken ließ oder zwischen die mit Granitplatten gepflasterten Wege pflanzte. Er ließ das Grundstück terrassieren und durch Stützmauern in Abschnitte aufteilen. So entstand ein einzigartiger Landschaftspark, ein botanischer Garten, in dem man stundenlang auf Bänken verweilen und aufs Meer schauen konnte. Es war eine Welt für sich und doch nah am Zentrum. Der Corso Matteotti mit seinen eleganten Geschäften war nicht weit. Von dort war man in wenigen Minuten am Hafen.

Schon nach einem Jahr konnte Edward Lear seine ersten eigenen Orangen ernten. Er war glücklich und empfing viele Freunde. Einem von ihnen schrieb er sogar, dass es im Paradies kaum schöner sein könne als hier, in der Villa Emily, wie er das Haus aus Verehrung für eine alte Freundin genannt hatte.6

Zehn Jahre währte diese Idylle, vielleicht die schönste Zeit im Leben von Edward Lear, bis weiter unten ein Hotel, das »Hotel de Londres«, gebaut wurde, das ihm die Aussicht aufs Meer fast ganz versperrte. Er wurde wütend, verkaufte das Haus und baute sich ein neues. Dort starb er, sechsundsiebzig Jahre alt, am 29. Januar 1888.

Hatte Dora dieses Haus schon im Sinn, als sie sich Ende März nach Italien aufmachte, um Mencken und seine Frau Sara zu treffen? War es in internationalen Zeitungen inseriert worden, von »Benecke and Heywood«, einer englischen Immobilienagentur, die in Sanremo eine größere Niederlassung hatte? Wahrscheinlich ja, denn es ging alles erstaunlich schnell. Sie scheint sich sofort entschieden zu haben. Wobei für