Von der eigenen Mutter entführt - Susanne Svanberg - E-Book

Von der eigenen Mutter entführt E-Book

Susanne Svanberg

5,0

Beschreibung

Seit über 40 Jahren ist Mami die erfolgreichste Mutter-Kind-Reihe auf dem deutschen Markt! Buchstäblich ein Qualitätssiegel der besonderen Art, denn diese wirklich einzigartige Romanreihe ist generell der Maßstab und einer der wichtigsten Wegbereiter für den modernen Familienroman geworden. Weit über 2.600 erschienene Mami-Romane zeugen von der Popularität dieser Reihe. Ächzend schleppte Alexander Pohl zwei Koffer die Treppe hinunter. »Sag mal, hast du Ziegelsteine eingepackt?« erkundigte er sich gereizt. »Nein, aber Klamotten für ein ganzes Jahr.« Sanja Steinberg tat, als bemerkte sie die Mißstimmung nicht. Schon seit einiger Zeit kriselte es zwischen Alexander und ihr, und sie war deshalb froh, ihn für längere Zeit nicht zu sehen. Was danach kam, daran wollte sie jetzt noch nicht denken. »Eine blöde Idee ist das von dir, für ein Jahr als Kindermädchen nach Schottland zu gehen«, maulte er und stieß mit dem Fuß die Tür zur Tiefgarage auf. »Ich war ja gleich dagegen, aber von mir läßt du dir ja nichts sagen.« Sanja ignorierte den Vorwurf. Der Blick ihrer sanften blauen Augen blieb gleichgültig. Mit einer großen Reisetasche und einem vollgepackten Rucksack kam sie hinterher. Sie war von dem schottischen Unternehmer Steffen Macomber nicht als Kindermädchen, sondern als Erzieherin für seine kleine Tochter engagiert worden. Doch Sanja verzichtete darauf, den kleinen Unterschied zu korrigieren. Seit die Sache im Gespräch war, opponierte Alexander dagegen. »Ich möchte meine englischen Sprachkenntnisse verbessern, das habe ich dir doch schon so oft erklärt«, seufzte Sanja. Neben ihrem roten Mittelklassewagen stellte sie das Gepäck ab. Alexander tat dasselbe, allerdings so unvorsichtig, daß die beiden Koffer nur so auf den Zementboden der Tiefgarage krachten.

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Leseprobe: Die andere Frau

Als die Sonne sich im Osten über die karstige Spitze des Bacher schob, lag das schmale Seitental noch im dichten Nebel. Leise und weit entfernt drang das kratzige Lied eines Rotschwanzes durch den Dunst wie eine verlorene, vergessene Melodie. So erschien es Alexander von Jost jedenfalls in seiner weltabgeschiedenen Einsamkeit. Der ehemalige Diplomat seufzte. Wie war es nur dazu gekommen, wie hatte er sich in eine solch verflixte Lage bringen können? Noch immer erschien ihm seine Situation wie ein schlechter Traum. Er öffnete den Reißverschluss seiner Wetterjacke, denn mit der steigenden Sonne wurde es allmählich wärmer. Er hatte eine empfindlich kalte Oktobernacht hinter sich und fühlte sich völlig steifgefroren. Doch es empfahl sich nicht unbedingt, dies mittels einiger Freiübungen zu ändern. Sein verstauchter Fuß war nicht zu gebrauchen, stark angeschwollen und schmerzte bei der kleinsten Bewegung höllisch. Der schlanke, große Mann mit den klaren, rehbraunen Augen blickte sich aufmerksam um. Der Nebel löste sich allmählich auf, Konturen wurden sichtbar, das Vogelkonzert intensivierte sich. Die Lärchen am gegenüberliegenden Berghang leuchteten in tiefem Gold, dazwischen das intensive Grün der Bergkiefern. Graues Geröll, das sich im Bachbett am Fuß des Hanges fortsetzte, bildete dazu einen aparten Kontrast. Die Natur in den schmalen und oft abgelegenen Tälern rund um den Wörthersee hatte auch im Herbst ihren besonderen Reiz. Aus diesem Grund war er am Vortag zu einer längeren Wanderung gestartet, einem gut beschilderten Steig gefolgt und allmählich wieder mit sich selbst und der Welt in Einklang gekommen. Doch er hatte sich verschätzt, was die Entfernungen anging. Und er hatte nicht berücksichtigt, wie früh die Sonne im Oktober sank und die Dämmerung kam. An einer unübersichtlichen Stelle war er im abendlichen Zwielicht gestolpert und einen Hang hinabgestürzt. Nachdem Alexander den ersten Schrecken überwunden hatte, war ihm bewusst geworden, dass er seinen rechten Fuß nicht benutzen konnte.

Mami Classic – 17 –

Von der eigenen Mutter entführt

Susanne Svanberg

Ächzend schleppte Alexander Pohl zwei Koffer die Treppe hinunter.

»Sag mal, hast du Ziegelsteine eingepackt?« erkundigte er sich gereizt.

»Nein, aber Klamotten für ein ganzes Jahr.« Sanja Steinberg tat, als bemerkte sie die Mißstimmung nicht. Schon seit einiger Zeit kriselte es zwischen Alexander und ihr, und sie war deshalb froh, ihn für längere Zeit nicht zu sehen. Was danach kam, daran wollte sie jetzt noch nicht denken.

»Eine blöde Idee ist das von dir, für ein Jahr als Kindermädchen nach Schottland zu gehen«, maulte er und stieß mit dem Fuß die Tür zur Tiefgarage auf. »Ich war ja gleich dagegen, aber von mir läßt du dir ja nichts sagen.«

Sanja ignorierte den Vorwurf. Der Blick ihrer sanften blauen Augen blieb gleichgültig. Mit einer großen Reisetasche und einem vollgepackten Rucksack kam sie hinterher. Sie war von dem schottischen Unternehmer Steffen Macomber nicht als Kindermädchen, sondern als Erzieherin für seine kleine Tochter engagiert worden. Doch Sanja verzichtete darauf, den kleinen Unterschied zu korrigieren. Seit die Sache im Gespräch war, opponierte Alexander dagegen.

»Ich möchte meine englischen Sprachkenntnisse verbessern, das habe ich dir doch schon so oft erklärt«, seufzte Sanja. Neben ihrem roten Mittelklassewagen stellte sie das Gepäck ab.

Alexander tat dasselbe, allerdings so unvorsichtig, daß die beiden Koffer nur so auf den Zementboden der Tiefgarage krachten.

»Das ist eine fadenscheinige Ausrede«, behauptete er aggressiv. Bis zuletzt hatte er gehofft, daß sich Sanja doch noch anders entscheiden würde. Jetzt mußte er einsehen, daß er sich getäuscht hatte und war deshalb ärgerlich. »Du unterrichtest Englisch, Französisch und Deutsch an einem Gymnasium. Was willst du eigentlich noch? Das ist doch ein Superjob. Mehr kannst du nach deinem Auslandsaufenthalt auch nicht erreichen.«

Sanja lächelte nachsichtig. Sehr jung und sehr hübsch sah sie aus‚ mit ihren glatten blonden Haaren, die ihr weit über den Rücken fielen. Wer sie so sah, hätte nie gedacht, daß sie so ehrgeizig war. »Ich hatte schon während des Studiums den Wunsch, nach England zu gehen, weil man eine Sprache eben nur im täglichen Gebrauch richtig beherrschen lernt.

Aber dann haben meine finanziellen Mittel nur für einen Frankreichaufenthalt gereicht. In Französisch kann ich problemlos die Oberstufe unterrichten, aber in Englisch würde ich mir das nie zutrauen und deshalb…«

Alexander, einen halben Kopf größer als die zierliche Sanja, dunkelhaarig und schlank, fast mager, verzog ärgerlich das schmale Gesicht. »Deine Gewissenhaftigkeit ist einfach lächerlich. Ich behandle im Erdkundeunterricht Amerika, Afrika und Australien, ohne je dort gewesen zu sein, und was ich den Schülern in Bio erzähle, hab’ ich auch nur aus Büchern.«

»Das ist ein großer Unterschied. Ich möchte meiner Klasse nicht nur trockenes Schulenglisch vermitteln, sondern auch die Umgangssprache«, wiederholte Sanja ihren Standpunkt.

»Und da gehst du ausgerechnet nach Schottland? Dort spricht man einen Dialekt, den nicht einmal ein Engländer versteht. Das habe ich dir schon fünfundsiebzigmal gesagt, ohne daß du es zur Kenntnis nimmst.«

Obwohl Alexander wußte, daß es zu spät war, versuchte er auch jetzt, Sanja umzustimmen.

»Steffen Macomber ist Engländer, das habe ich dir ebensooft erzählt. Er hat die Whiskybrennerei von einem entfernten Verwandten übernommen, ziemlich heruntergewirtschaftet allerdings. Macomber scheint ein sehr tüchtiger Mann zu sein, denn die Brennereien florieren wieder, er gilt als sehr vermögend, das hat mir die Vermittlung vertraulich mitgeteilt.« Sanja öffnete den Kofferraum, um das Gepäck zu verstauen.

»Scheint dir zu imponieren. Ist ja auch was anderes als ein kleiner Gymnasiallehrer«, stichelte Alexander eifersüchtig. Sanja war die hübscheste Kollegin an der Schule, überhaupt die hübscheste Frau, die er kannte. Er wollte sie nicht verlieren.

»Macomber hat ein vierjähriges Töchterchen, ist also verheiratet«, erinnerte Sanja nachsichtig. Sie hob einen Koffer an und versuchte, ihn in den Gepäckraum zu hieven.

Alexander sah schadenfroh zu, war er doch überzeugt davon, daß seine Freundin das nie schaffen würde. Sie brauchte ihn. »Du glaubst auch alles«, machte er seinem Ärger Luft. »Jeden Tag kannst du in der Zeitung lesen, welch miese Moral da drüben auf der Insel herrscht.«

»Ich will die Sprache lernen, nichts weiter«, verteidigte sich Sanja keuchend. Das Gepäckstück war so schwer, daß sie fast das Gleichgewicht verlor, als es sich drehte, um in den Kofferraum zu plumpsen. Sanja zerrte es zur Seite, um Platz für den zweiten Koffer zu schaffen.

Mißbilligend preßte Alexander die Lippen aufeinander, rührte sich aber nicht, um seiner Freundin behilflich zu sein. Daß sie es auch ohne ihn geschafft hatte, stimmte ihn nicht gerade friedlicher.

Schon wiederholt hatte er feststellen müssen, daß Sanja alles erreichte, was sie sich vornahm. Dabei traute man ihr das gar nicht zu. Sanja war eine echte Schönheit mit einer Figur, die jedem Mann sofort auffiel und einem Gesicht, wie man es sonst nur bei gestylten Schauspielerinnen sah. Dabei verwendete Sanja nicht einmal einen Lippenstift. Doch gerade das erhöhte ihren Reiz.

»Sanja, überlege dir das noch mal«, bat Alexander und schob die Hände in die Taschen seiner Jeans.

Die junge Frau wuchtete gerade das nächste Gepäckstück hoch. Ihr apartes Gesicht rötete sich vor Anstrengung. Sanja war sechsundzwanzig, wirkte aber viel jünger und kam deshalb bei ihren Schülern sehr gut an.

Bei Alexander war das Gegenteil der Fall. Er war nur zwei Jahre älter als seine Freundin, wurde aber oft auf vierzig geschätzt. Sein autoritäres Gehabe mochten die Schüler nicht. Folglich hatte Alexander unter ihren Streichen zu leiden.

Der zweite Koffer war untergebracht, Sanja richtete sich auf.

»Ich habe für ein Jahr unbezahlten Urlaub, meine Wohnung ist für den gleichen Zeitraum vermietet, ich habe einen Vertrag unterschrieben und mich verpflichtet, Shirley Macomber zu unterrichten. Was gibt es da noch zu überlegen? Ich kann nicht zurück.«

Sanja war froh darüber, denn es gab nichts, was sie hier hielt. Ihre Eltern lebten nicht mehr, Geschwister hatte sie keine. Von Alexander etwas Abstand zu gewinnen, war sicher nicht schlecht.

Pohl knirschte mit den Zähnen. »An mich denkst du gar nicht? Ich scheine für dich nicht mehr zu existieren.«

»Du könntest ja mitkommen, wenigstens für die Zeit der Sommerferien. Das habe ich dir mehrmals vorgeschlagen.«

Eigentlich war Sanja froh, daß ihr Freund nicht darauf eingegangen war, denn er würde ihr den Aufenthalt nur vermiesen.

»Ph. Auf Nebel und Regen habe ich wirklich keine Lust. Dafür sind mir die freien Wochen viel zu schade.«

Sanja zuckte bedauernd die Achseln. »Als Erdkundelehrer müßtest du wissen, daß Schottland ein sehr unterschiedliches Klima hat. Der Sommer in den Highlands ist warm und niederschlagsarm.« Sanja blinzelte vergnügt.

Doch Alexander ging nicht darauf ein. »Ich habe eher den Eindruck, daß das Klima zwischen uns unterkühlt ist. Merkst du das nicht?« Pohl stellte sich so, daß Sanja nicht nach dem nächsten Gepäckstück greifen konnte.

»Gerade deshalb ist es gut, wenn wir uns für einige Zeit trennen«, beharrte sie, und es war herauszuhören, daß ihr der Abschied leichtfiel.

»Bleib hier, und alles kommt wieder in Ordnung. Das verspreche ich dir. Wir werden herrliche Ferien verleben und irgendwann im Herbst heiraten. So war das doch geplant. Hast du das vergessen?« Alexander sah Sanja so streng an wie einen Schüler, der eine gestellte Frage nicht beantworten konnte.

»Natürlich nicht. Wir verschieben das alles um ein Jahr. Darüber haben wir doch lang und breit geredet.« Sanja war froh, daß zu dieser frühen Stunde niemand in die Tiefgarage kam, denn es wäre ihr peinlich gewesen, hier zu diskutieren.

»Ja, aber ich war zu keinem Zeitpunkt einverstanden, und ich bin es auch jetzt nicht. Es ist nicht sicher, ob ich in einem Jahr noch bereit bin, dich zu heiraten«, bluffte Alexander in der Hoffnung, seine Freundin umstimmen zu können.

Sie zog die schmalen dunklen Augenbrauen, die in reizvollem Kontrast zu den blonden Haaren standen, fragend hoch. »Wenn das so wäre, hättest du mich nicht wirklich gern.« Sanja war selbst erstaunt darüber, daß ihr dieser Gedanke gar nichts ausmachte. Sie empfand keinen Schmerz, keine Angst.

»Umgekehrt ist es«, brauste Alexander auf. »Wenn du mich wirklich lieben würdest, gingst du nicht weg, würdest mich nicht ein ganzes Jahr lang allein lassen. Es könnte ja auch sein, daß ich in der Zwischenzeit eine andere…«

»Streiten wir uns nicht«, lenkte Sanja nachsichtig ein. »Es ist bestimmt kein Fehler, wenn jeder von uns Zeit zum Nachdenken hat.«

Endlich gelang es Sanja, auch die restlichen Gepäckstücke einzuladen. Sie klappte den Deckel des Kofferraums zu.

Alexander mußte einsehen, daß er verloren hatte. Hier halfen keine Drohungen. Also verlegte er sich aufs Schmeicheln.

»Sanja, ich werde es nicht ertragen, so lange von dir getrennt zu sein. Die Vorstellung, daß du mit einem rothaarigen Schotten anbandelst, wird mich Tag und Nacht verfolgen. Ich werde dich jeden Tag anrufen. Vielleicht komme ich auch, überrasche dich. Die Anschrift habe ich ja…« Alexanders dunkle Augen glitzerten gierig. Ihm ging es darum, die hübsche Kollegin zu besitzen. Daß seine Gefühle mit Liebe überhaupt nichts zu tun hatten, war ihm nicht bewußt.

»Ich freue mich darüber, wenn du kommst, aber du weißt ja, ich habe einen Job, den ich nicht vernachlässigen darf.«

Alexander legte überraschend beide Arme um Sanjas schmale Taille, zog die junge Frau eng an sich. »Ein paar freie Tage werden doch drin sein. Das mußt du deinem Whiskyfritzen eben beibringen.«

Zwingend sah Alexander seiner Freundin in die Augen. Er neigte den Kopf und küßte ihre weichen roten Lippen. Hart und fordernd war dieser Kuß.

Sanja war froh, als er endete. Sie hielt still, hatte aber nur einen Wunsch, Alexanders Nähe zu entkommen. Während der Zeit der Trennung würde sie sich über ihre Gefühle klar werden. Daß es nicht die große Liebe war, die sie verband, wußte sie schon jetzt, aber sie scheute sich davor, das auszusprechen.

Vor knapp einem Jahr hatte sie ihre Tätigkeit an dem Gymnasium begonnen, an dem auch Alexander beschäftigt war. An freien Tagen waren sie miteinander gewandert, zum Skilaufen gefahren oder zu einem Konzert gegangen. Alexander war aufmerksam, höflich und zuvorkommend. Als er von Liebe sprach, glaubte Sanja den Partner fürs Leben gefunden zu haben. Doch dann begann Alexander sie als sein Eigentum zu betrachten und ihr Vorschriften zu machen. Seither gab es Differenzen zwischen ihnen, die sich nicht beilegen ließen. Für Sanja war es der Anlaß gewesen, sich um diese Stelle im Ausland zu bewerben.

»Ich möchte dich gar nicht gehen lassen, sondern einfach festhalten«, flüsterte Alexander und strich zärtlich über Sanjas seidiges blondes Haar.

»Es muß sein.« Sanja befreite sich durch eine geschickte Drehung. »Wir hören voneinander.« So schnell wie möglich stieg Sanja ein und schloß die Tür. Es war, als befürchte sie, Alexander könne sie nochmals aufhalten.

Doch er machte keinerlei Anstalten. Mit hängenden Armen und finsterem Gesicht stand er da. »Du wirst schon sehen, was dich erwartet«, brummte er. »Mädchen, die nicht hören wollen, müssen fühlen.« Es waren die Prophezeiungen, die Alexander häufig auch seinen Schülern gegenüber äußerte.

Sanja fuhr an und winkte zurück. Sie fühlte sich froh und erleichtert.

*

Steffen Macomber war zwar in England aufgewachsen, aber in seinen Adern floß schottisches Blut. Er hatte in Oxford studiert, sprach ein vorzügliches Englisch, war aber nicht kühl und steif wie seine Kommilitonen. Er hatte Gemütlichkeit, Humor und Bodenständigkeit seiner schottischen Vorfahren geerbt, auch ihre Liebe zur Heimat und den Hang zur Natürlichkeit.

Ein typischer Schotte war Steffen auch äußerlich. Groß und kräftig vom Körperbau her, oft etwas tollpatschig, aber liebenswürdig wirkend wie ein Bär. Wie viele Schotten hatte er rotblondes Haar, helle Augen und einen Mund, der gern lachte.

Heute allerdings war Steffen ungewohnt ernst, und die Gelassenheit, die ihm sonst eigen war, hatte einer flattrigen Nervosität Platz gemacht.

Das unerwartete Auftauchen seiner Jugendfreundin Nancy Eddington verstärkte seine Unruhe noch. Im Blick ihrer blaßblauen Augen spiegelten sich Hochmut und Kritik, was Steffen schon früher nicht hatte ertragen können.

Nancy war die Tochter der besten Freundin seiner Mutter, und schon als kleiner Knirps hatte Steffen mit ihr spielen müssen, obwohl er sie nie hatte leiden können. Nancy war dreiunddreißig und damit vier Jahre älter als er, was ihr während der Kinderzeit immer Vorteile eingebracht hatte. Jetzt versuchte sie diese Tatsache allerdings eher zu vertuschen, indem sie sich sehr jugendlich kleidete und sich sehr lebhaft gab.

Nancy, die wie früher in London wohnte, trug ein helles Seidenkostüm mit einem engen Röckchen, das weit über den Knien endete. Von der Figur her konnte sie sich diese Freizügigkeit erlauben, denn sie war superschlank, eigentlich knochig mager. Auffällig waren ihre spitzen Knie und die dünnen Beine, die Ähnlichkeit mit Bohnenstecken hatten. Ein farblich passender Hut mit breitem Rand vervollständigte ihre Garderobe. Steffen wußte, daß sie darunter das dünne braune Haar verbarg, das sie gewöhnlich in viele kleine Löckchen legen ließ.

»Schön, daß du mich besuchst«, murmelte Steffen und gab sich keine Mühe, zu verbergen, daß er nicht besonders begeistert war. Um seiner Mutter einen Gefallen zu tun, war er als junger Mann mit Nancy ausgegangen, hatte sie zu Schulbällen und Veranstaltungen der Studenten mitgenommen. Sie war seine Tanzstundenpartnerin gewesen, das Mädchen, mit dem er den ersten Kuß getauscht hatte. Spaß hatte ihm das Zusammensein mit Nancy nie gemacht. Sie wußte immer alles besser, alles mußte so laufen, wie sie es wollte.