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True Crime Leipzig – Verbrechen nach der Wende // Nach dem Ende der DDR wurde vieles anders, zuvor Undenkbares möglich. Die Ehefrau arbeitete nun in München, während ihr eifersüchtiger Mann arbeitslos in Leipzig schmorte. Hier nahm das Drama seinen Lauf. Der Immobilienhai aus dem Westen kaufte in Connewitz ein schönes altes Haus. Er wollte es sanieren, doch eine Familie zog partout nicht aus. Ex-Polizisten aus dem Osten wussten Rat. Ein Häftling kehrte 1990 vom Hafturlaub nicht zurück und reiste mit einer Leiche im Kofferraum durchs wiedervereinte Land. Ein besonders spektakulärer Fall konnte erst mit Hilfe des FBI gelöst werden. 13 wahre Leipziger Kriminalfälle nach der Wende hat Frank Kreisler für diese Band schriftstellerisch aufgearbeitet. Christiane Eisler hat dazu die Tatorte von damals heute fotografiert.
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Seitenzahl: 188
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Vorwort
Nächtlicher Überfall
Von München zurück in die Hölle
Der Leipziger Fenstersturz
Schweigen für den Freispruch
Wand an Wand mit einer Leiche
Stille Schüsse in der Nacht
Ein Bankräuber sieht Gespenster
Millionenbeute
Sargnägel für den Totengräber
Der Terror am Nachmittag
Das Rätsel der verschlossenen Tür
Im Fokus der Schwarzen Schatten
Ein Mörder steht allein im Wald
Quellen
Das Leipziger Landgericht befindet sich seit 1993 in der Harkortstraße 9
Von den Freiheiten, welche die Wende mit sich brachte, profitierte auch das Verbrechen. Es wurde vielfältiger, schillernder. Ganoven kamen leichter an Waffen heran. Das machte Raubzüge und Überfälle für die Opfer gefährlicher, auch wenn die Beute gering war. Gesuchte Verbrecher konnten auf der ganzen Welt untertauchen, wenn sie das nötige „Kleingeld“ erbeutet hatten. Die Mafia fasste Fuß und rekrutierte auch in Leipzig Komplizen. Bis dahin unbescholtene Bürger versuchten sich als Ganoven und merkten zu spät, dass dieses Geschäft nichts für sie war. Die Neunziger waren eine wilde, auch blutige Zeit des spektakulären Verbrechens in Leipzig.
Nicht von allen beteiligten Personen – Opfern, Tätern, Zeugen – sind die vollständigen bürgerlichen Namen bekannt. Zumeist wurden nur Abkürzungen in den Akten und Berichten vermerkt. Deshalb habe ich mich entschieden, die Namen aller Beteiligten zu ändern. Zum einen wegen der „Gleichbehandlung“, vor allem aber, um den Lesefluss nicht mit Abkürzungen zu stören. Ein gängiges, vor allem leserfreundliches Verfahren.
Die dargestellten Verbrechen sowie die Tatorte sind jedoch authentisch.
Bis auf einen Fall wurden alle im Buch vorgestellten Kriminalfälle vor dem Leipziger Landgericht, Harkortstraße 9, verhandelt. Es wurde am 1. Januar 1993 wieder eingerichtet und ging aus dem Bezirksgericht Leipzig, an derselben Adresse, hervor, das von 1952 bis Ende 1992 Bestand hatte. Nur für das im Buch vorgestellte vermeintliche Tötungsverbrechen „Von München zurück in die Hölle“ aus dem Jahr 1991 war noch das Bezirksgericht zuständig. Diese Tat entpuppte sich überraschenderweise als etwas anderes.
Einem großen Teil dieser wahren Leipziger Kriminalfälle sind Fotografien beigefügt. Diese Fotostrecke ist nach dem Konzept „Die alten Tatorte – heute fotografiert“ gestaltet. So wechseln sich verlassene, unheimlich wirkende Häuser mit frisch sanierten Hausfassaden ab. Keinem Ort ist das geschehene Verbrechen anzusehen. In einige Häusern mit düsterer Vergangenheit ist heute buntes, quirliges Leben eingezogen. Andere Häuser stehen seither leer. Einige Tatort sind mittlerweile abgerissen und so wurde konsequenterweise die dafür gesäte Wiese abgelichtet.
Und auch während der Arbeit an diesem Buch ereignete sich ein wahrer „Kriminalfall“: Die Fotografin hatte bei ihren Fototerminen immer einen Ausdruck meiner Texte bei sich, um am Schauplatz des Geschehens die Motive aus den Texten finden und dann gekonnt in Szene setzen zu können. An einem Freitag waren dann sämtliche Fotos im Kasten. Feierabend. Da das Wochenende bevorstand, ging sie noch in den Supermarkt, um einzukaufen. Die volle Einkaufstasche, in der auch die Mappe mit dem Ausdruck meiner Texte kurz abgelegt war, blieb anschließend nur einen Moment unbeaufsichtigt. In dieser Zeit wurde die Tasche mit allem, was drin war, geklaut. Der Gauner war schnell und gründlich und hinterließ nicht den Hauch einer Spur …
Frank Kreisler
Leipzig im Oktober 2021
In der Nacht vom Samstag, den 22., auf Sonntag, den 23. April 1995, boxten Axel Schulz und Georg Foreman in Las Vegas um den Weltmeistertitel. Gisbert Wissmann, als aktiver Handballer sportbegeistert, wollte sich den Kampf um nichts in der Welt entgehen lassen. Es war allerdings nicht so sein Ding, die Nacht durchzumachen. Er brauchte seinen Schlaf und programmierte den Videorekorder, damit der den Kampf aufzeichnet. Wissmann würde sich die Übertragung dann am Sonntagnachmittag anschauen, bei Kaffee und Kuchen. Im Grunde, wenn schon alles vorbei war. Aber das störte ihn nicht. Sportnachrichten würde er bis dahin nicht hören, um die Spannung zu erhalten.
Gegen 1 Uhr gingen er und seine Frau Ingrid zu Bett und löschten das Licht.
Sie lauschten in die Nacht. Vor dem Haus war es still. Dort, auf der tagsüber stark frequentierten Richard-Lehmann-Straße, fuhr um diese Zeit nur selten ein Auto. Auch im Haus schien es still zu sein. Totenstill, unheimlich still.
Alles andere wäre gespenstisch gewesen. Das etwa einhundert Jahre alte Haus stand quasi leer. Nur Wissmanns lebten noch hier, oben in der vierten Etage.
Alle anderen Mieter hatten dem Druck des neuen Eigentümers aus Aschaffenburg nachgegeben und waren längst ausgezogen. Das Haus sollte saniert werden. Anfangs war der Druck sanft und irgendwie auch verführerisch gewesen, sehr sogar. Der neue Hauseigentümer aus Aschaffenburg hatte jeder Familie 10.000 Mark und die Übernahme der Umzugskosten angeboten. Sie hätten auch die Möglichkeit gehabt, nach der Sanierung zurückzukehren – selbstverständlich zu einem wesentlich höheren Mietpreis. Neun von elf Familien nahmen das Geld, zogen aus und kamen nicht wieder.
In der Bernhardstraße 33 hatte die „Detektei Viper“ bis 1996 ihr Büro
Waren noch zwei im Körbchen, das längst leer sein sollte.
Mit Geld war denen offenbar nicht beizukommen. Der Hauseigentümer legte für seine verbliebenen Mieter jetzt eine andere Platte auf, frei nach dem Motto „Bist du nicht willig, so mache ich dir das Leben zur Hölle.“ Nun wurden die Telefonkabel zerschnitten. Strom und Wasser wurden immer mal wieder abgestellt und standen nicht verlässlich zur Verfügung.
Eine weitere Familie packte ihre Sachen und suchte das Weite.
Doch die Wissmanns blieben. Sie ließen sich trotz der Schikanen nicht vergraulen. Sie lebten schon lange hier.
Der Hauseigentümer baute nun das Türschloss aus, sodass jeder ins Haus spazieren konnte, wie es ihm beliebte. Wissmanns schienen aber auch damit klarzukommen.
Der Hauseigentümer war mit seinem Latein am Ende und kochte vor Wut. Die Wissmanns wollten ihre Segel einfach nicht streichen und den Kampf nicht aufgeben. Und der neue Eigentümer konnte das Haus nicht sanieren und das kostete ihm Tag für Tag eine Stange Geld. So wurde das nichts mit Modernisieren und dem baldigen Einzug zahlungskräftiger Mieter.
Die Wissmanns waren eine ungewohnt harte Nuss, die man mit ganz anderen Mitteln knacken musste. Dafür gab es Spezialisten, die das entsprechende Werkzeug handhaben konnten und vor allem keine Hemmungen hatten, es anzuwenden. Er telefonierte einige Male in Leipzig umher. Schließlich fand er jemanden, der wiederum über geeignete Kontakte verfügte, um das Problem des Bayern gründlich und nachhaltig zu lösen. Der Mann gab seine Instruktionen und wartete ab.
Gisbert Wissmann hatte nun also den Videorekorder programmiert, damit er sich am Nachmittag den Boxkampf zwischen Schulz und Foreman ansehen konnte. Das Ehepaar lag im Bett und war kurz vorm Einschlafen. Plötzlich schreckte ein Höllenlärm an der Wohnungstür die beiden aus dem Halbschlaf.
Der hochgewachsene, athletische Wissmann sprang aus dem Bett und riss die Schlafzimmertür auf. Drei maskierte Kerle standen mit Äxten bewaffnet auf dem Flur. Die Wohnungstür hatte unter ihren Tritten und Schlägen schnell nachgegeben. Sie hing zersplittert in der Angel. Die Einbrecher waren keine Freunde großer Worte. Sie legten augenblicklich los. Einer von ihnen schlug Wissmann mit der stumpfen Seite der Axt auf den Kopf. Der Mann ging bewusstlos zu Boden. Einer anderer fesselte ihn. Dann war die Frau an der Reihe. Sie wurde ebenfalls gefesselt und zusätzlich geknebelt, damit sie nicht schreien konnte. Auch ein Elektroschocker kam zum Einsatz.
Dann packten die Gangster ihre Spitzhacken aus und schlugen wie besessen auf die Wände ein. Was dran hing, wurde mit zerschlagen. Das Mauerwerk erzitterte unter den wuchtigen Schlägen. Ziel war es offenbar, die Wohnung zu demolieren, unbewohnbar zu machen und die Mieter nachhaltig zu vergraulen. Und nicht nur das. Schrankwände wurden brutal leer geräumt und dann auf den Boden geworfen, wo sie zerbrachen. Anschließend malträtierten die Kerle die Wände dahinter ebenfalls mit der Spitzhacke.
Als Wissmann nach etwa einer halben Stunde das Bewusstsein wiedererlange, wurde er mit einem Messer attackiert. Der Stich traf ihn im Oberschenkel, wodurch er in der Folge sehr viel Blut verlor. Auch er bekam jetzt einen Knebel in den Mund, damit er nicht um Hilfe rufen konnte.
„Wir hatten Todesangst und dachten, die wollten uns umbringen“, sagte das Ehepaar später aus, das die ganz Zeit nebeneinander im Korridor lag.
Nachdem das Trio die Wohnung verwüstet hatte, räumten es sie aus: Die teuren technischen Geräte wie Funktelefon, Computer, Kopierer, Faxgerät, Fernseher und den Videorekorder hatten die Kerle bei ihrer Gewaltorgie verschont und nahmen nun alles mit. Auch Bargeld und Schmuck ließen sie mitgehen.
Dass die Gangster mit dem Diebesgut das Fahrzeug der Familie, einen geländegängigen Nissan Patrol, ein Kombi mit einer Länge von fast fünf Metern, beladen haben und davonfuhren, war einer der Punkte, welche die Ermittler im Laufe ihrer Recherchen stutzig machen sollte. Die Gangster hatten das Ehepaar nicht nach ihrem Fahrzeug gefragt, aber trotzdem gewusst, welches ihres war!
Sie hatten sich einfach die Schlüssel genommen und die Wohnung verlassen.
Der materielle Schaden belief sich auf mehr als 50.000 Mark.
Das Ehepaar Wissmann musste anschließend im Krankenhaus behandelt werden. Gisbert Wissmann hatte eine Gehirnerschütterung und die Stichwunde am Bein. Seine Frau Ingrid litt noch Monate nach dem Überfall an Herz-Kreislauf-Problemen und Angstzuständen.
Einziger Nutznießer dieser Attacke war der Hausbesitzer aus Aschaffenburg, Richard Deublinger: Das Haus stand endlich leer und die Sanierung konnte starten.
An dieser Stelle begannen auch die polizeilichen Ermittlungen.
Die Ermittler glaubten natürlich nicht, dass der gut betuchte Mann selbst mit Axt und Spitzhacke losgezogen war, obwohl er wahrscheinlich eine Mordswut auf das rebellische Ehepaar hatte. Sie gingen vielmehr davon aus, dass er den brutalen Überfall für viel Geld in Auftrag gegeben hatte.
Es gab Leute, die man für so etwas buchen konnte und die dann keinen Stein auf dem anderen ließen: gewaltsames Entmieten, mit der Eisenstange Schulden eintreiben, Leute gehörig unter Druck setzen, erpressen und so weiter.
Und es gab eine Szene, in der man solche Leute fürs Grobe finden konnte. Und die inserierte sogar. Prompte Erledigung wurde zugesichert, dass die Mittel meistens illegal waren, in der Anzeige logischerweise verschwiegen. Aber das war ja klar!
Kurz nach dem Überfall wurden drei Rumänen festgenommen.
Von Deublinger hatten die allerdings noch nie etwas gehört.
Es kam nicht alle Tage vor, dass Polizisten einen Kollegen einbuchteten. Doch Ende Februar 1996 blieb ihnen nichts anderes übrig. Direkt von seinem Arbeitsplatz in der Polizeidirektion Leipzig kam Kriminalhauptkommissar Roland Prätorius in Untersuchungshaft. Auch sein Bekannter, der Ex-Polizist Winfried-Wolf Apelholer, bekam zu nachtschlafender Zeit Besuch von seinen früheren Kollegen. Ein mobiles Einsatzkommando der Polizei holte ihn aus dem Bett und steckte auch ihn in eine Zelle.
Apelholer war zu DDR-Zeiten Polizist gewesen, bis er Anfang der Achtzigerjahre den Dienst aufgrund von Verfehlungen quittieren musste. Die genauen Gründe für diesen rigorosen Schnitt sind ebenso wenig bekannt wie die Tätigkeit, mit der er bis 1990 seinen Lebensunterhalt bestritt. Nach der Wende stieg er ins Dienstleistungsgewerbe ein und hob die „Detektei Viper“ aus der Taufe. Das Einmannunternehmen beschäftigte einige freie Mitarbeiter, darunter auch entlassene Polizisten. Mit Detektivarbeit waren die ja bestens vertraut. Wobei die „Detektei Viper“ über Ressourcen verfügte wie kaum eine andere Detektei. Doch das offenbarte Apelholer erst auf entsprechende Nachfrage.
Für die beiden Männer kam die Verhaftung absolut überraschend. Doch bereits seit fast einem Jahr standen die beiden im Visier einer neunköpfigen Sondereinheit der Leipziger Polizei. Aber das war den beiden wohl entgangen. Sie hatten sich ziemlich sicher gefühlt. Doch im Zuge der Ermittlungen zum Raubüberfall auf die Wissmanns entdeckten die Beamten Hinweise auf eine Beteiligung der beiden. Die Sondereinheit sammelte nun fast ein Jahr lang Beweise. Und da offenbarten sich ungeahnte Zusammenhänge. Ende 1995 war es dann so weit. Sie hatten genug ermittelt und teilten der Staatsanwaltschaft den Stand der Dinge mit. Diese erließ gegen beide Männer Haftbefehl, der im Februar 1996 vollstreckt wurde.
Auch gegen einen dritten Beteiligten, ebenfalls Ex-Polizist, gab es einen Haftbefehl. Dieser Mann wollte sich nach der Verhaftung von Apelholer offenbar absetzen und kam immerhin bis München. Auf dem Flughafen der bayerischen Landeshauptstadt wurde er dann ebenfalls festgenommen.
Der Vorwurf gegen alle drei Männer lautete auf Anstiftung zum schweren Raub, Bestechung, Bestechlichkeit und Verletzung von Dienstgeheimnissen.
Wie gerieten die drei Männer in den Strudel krimineller Ereignisse?
Nein, sie waren da nicht einfach so hineingeraten.
Die „Detektei Viper“ hatte diese Vorgänge selbst ausgelöst!
Auch der Staatsanwalt konnte das anfangs kaum glauben.
Der bayerische Hausbesitzer Richard Deublinger durchblätterte vermutlich im März 1995 das Leipziger Telefonbuch. Die Offerte der „Detektei Viper“, die in einer ruhigen Seitenstraße im Leipziger Osten ihren Sitz hatte, fand er vielversprechend für die Lösung seines Problems. Selbst „knifflige Fälle“ versprach die Detektei zu lösen. Und sein Fall war knifflig, aber so was von! Deublinger kontaktierte Apelholer. Die beiden Männer trafen sich. Der Bayer schilderte dem Detektiv das nervigste seiner derzeitigen Probleme. Es ging um die widerspenstigsten Mieter, die er je hatte. Wissmanns, vierter Stock, Richard-Lehmann-Straße.
„Die wollen einfach nicht ausziehen und ich kann nicht sanieren. So kann das nicht weitergehen!“, jammerte er. Ob Apelholer die Wohnung nicht irgendwie „freilenken“, von ihm aus auch „zwangsräumen“ könne? Egal, wie. Hauptsache, die letzte der elf Wohnungen in diesem Haus stehe bald leer und er könne anfangen, aus dem Haus was zu machen.
„Ja, das sollte möglich sein“, versprach der ehemalige Polizist.
„So, und wie?“, wollte Deublinger wissen.
„Die Bude unbewohnbar machen. Na ja, nicht zu sehr. Vielleicht die Decke ein bisschen beschädigen, ein kleines Loch vom Dachboden aus reinhacken oder was Ähnliches“, schlug er vor. „Ich meine, die Leute würden dann sicher verduften. Und der Schaden wäre nur gering und lässt sich bei der Sanierung leicht beheben.“ Wie er in die bewohnte Wohnung kommen und den Schaden anrichten wollte, sagte er nicht. Und der Hausbesitzer fragte nicht. Vielleicht besser so, vielleicht aber auch nicht.
„Hört sich gut an“, meinte Deublinger zufrieden und ermahnte sie noch einmal: „Aber nicht übertreiben.“
Apelholer nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte und Deublinger sich auf ihn verlassen konnte.
„Was wollen Sie dafür haben?“, fragte Immobilienbesitzer.
Apelholer forderte: „Zehntausend Mark, für mich und meine Mitarbeiter.“
„Zehntausend? Habe ich für die Wohnung sowieso eingeplant. Aber wenn Wissmanns das Geld nicht haben wollen, bekommen Sie das eben“, war der Bayer einverstanden und grinste.
Um wen es ging, wusste Apelholer nun und die betreffende Adresse bekam er auch.
Das Geld wollte Deublinger nach erfolgreicher „Freilenkung“ der Wohnung zahlen.
Er verabschiedete sich und ging in seine Schmollecke zurück. Apelholer unternahm nun zwei Dinge.
Erstens kontaktierte er seinen guten alten Freund bei der Polizei, Roland Prätorius. Sie kannten sich noch aus Vorwendezeiten. Der Mann hatte Zugang zum Polizeicomputer und konnte bundesweit Daten zu jeder beliebigen Person abfragen. Mal sehen, was er zu diesen Wissmanns herausfinden würde. Je mehr sie über die rebellischen Mieter wussten, desto besser. Namen und Adresse hatten sie ja schon. Aber was für ein Auto fuhren sie? Wie lautete das Kennzeichen, gab es irgendwelche Vorstrafen?
Prätorius lieferte nach einer kurzen Recherche die gewünschten Informationen. Die Automarke, jener Nissan Patrol, und auch das Kennzeichen gab er heraus. Keine Vorstrafen, also friedliche Bürger, nur manchmal eben stur und widerspenstig.
Später konnten die Ermittler zwar nicht sagen, seit wann Prätorius seinen alten Freund mit polizeiinternen Daten versorgte und dafür 300 Mark im Monat kassierte. Sie wussten ja erst seit den Ermittlungen zum Raubüberfall davon. Seitdem konnten ihm allerdings 19 Fälle von Bestechlichkeit nachgewiesen werden. Die Sonderkommission hatte fleißig observiert und mitgezählt.
Zweitens gab er den Auftrag an seinen freien Mitarbeiter Klaus Rummel weiter, ebenfalls ein Ex-Polizist. Dieser sollte sich darum kümmern, dass der Auftrag zur vollen Zufriedenheit des „ Kunden“ ausgeführt wird und Wissmanns ihre Wohnung aufgaben.
Vorher bekam Apelholer seine 10.000 Mark nicht. Die Sache durfte also nicht schiefgehen. Er brauchte dringend Geld.
Die Absprache erfolgte telefonisch. Rummel soll lange zuvor Kontakte zu osteuropäischen Banden geknüpft haben. Er soll vorgeschlagen haben, „es mit seinen Leuten zu machen“. Im Klartext könnte das bedeuten, dass er sich für eine „gewaltsame Entmietung“ aussprach. Das behauptete jedenfalls Apelholer später vor Gericht, wo jeder nur noch versuchte, irgendwie seine Haut zu retten.
Rummel hielt energisch dagegen. Das habe er niemals gesagt, verteidigte er sich. Er würde schon eine Lösung für das Problem finden, habe er seinen Chef beruhigen wollen. Ihm würde sicher etwas einfallen. Apelholer solle sich keine Sorgen machen. Das würde schon werden. Von einem brutalen Raubüberfall war jedenfalls nicht die Rede.
So weit, so gut.
Aber dann muss so etwas wie ein Wunder geschehen sein!
Einer von „seinen Leuten“, ein Rumäne, soll nach dem Raubüberfall bei Rummel angerufen und ihm mitgeteilt haben: „Das Problem ist gelöst.“ Ihm war klar, dass die Wissmanns ihre Wohnung nun verlassen haben.
Rummel behauptete, dass er keine Ahnung davon gehabt habe, wie der Rumäne, den er von früher her kannte und lange nicht gesehen haben wollte, zu diesem Auftrag gekommen und ihm in brutaler Art zuvorgekommen war. Er habe ihn jedenfalls nicht beauftragt, sondern selbst über eine andere Lösung nachgedacht. Es sei „völlig überrascht“ gewesen, wie sich die Dinge entwickelt hätten. Nun ja, er musste sich jetzt nicht mehr darum kümmern. Die Angelegenheit wäre für ihn erledigt gewesen. Er hatte damit also überhaupt nichts zu tun. Vielleicht hatte der Chef den Auftrag ja doppelt vergeben?
So fadenscheinig sich die Aussage von Rummel auch anhörte, sie wurde allerdings von einem anderen Zeugen, auch Ex-Polizist, gestützt. Dieser Mann hatte die Zusammenarbeit mit der „Detektei Viper“ nach dem Überfall beendet. „Weil ich nicht im Knast landen wollte“, begründete er seine Entscheidung. Jedem muss klar gewesen sein, welche Rolle die Detektei und ihr Chef Apelholer in diesem aus dem Ruder gelaufenen Fall gespielt haben. Da weiterhin mitzumachen, war ihm zu heiß geworden. Er wusste, dass das alles strafbar war, was da gelaufen ist.
Apelholer war vom Vorgehen der Rumänen alles andere als überrascht, er schien sogar richtig begeistert gewesen zu sein!
„Der Fall wurde generalsstabmäßig gelöst“, soll er erleichtert gerufen haben. Und er wusste, was vorgefallen war! War er doch derjenige gewesen, der die Rumänen zu dem brutalen Vorgehen angestiftet hatte?
Wie dem auch sei, beweisen ließ sich das nicht. Vielleicht kam ihm das außergewöhnlich brutale Vorgehen der Rumänen entgegen. Und er war einfach nur froh, dass die Angelegenheit so schnell erledigt war, egal zu welchem Preis.
Da taten sich Abgründe auf!
Deublinger bezahlte nun die vereinbarten 10.000 Mark. Der chronisch klamme Apelholer konnte das Geld gut gebrauchen. Seine eigenen Leute machten ihm bereits Druck. Es war wie in einem Becken voller Haifische.
„Wenn Apelholer nicht bald zahlt, schicke ich ihm die Rumänen vorbei …“, soll Rummel zuvor mal gedroht haben, als er einmal lange auf sein Geld warten musste. Zimperlich waren sie alle nicht. Er kannte die Rumänen wohl doch viel besser, als er behauptete.
Das wurde auch von anderer Seite bestätigt. Die Freundin eines ausgestiegenen Mitarbeiters der Detektei hatte in einem Leipziger Tanzclub Rummel und jene Rumänen zusammen gesehen. Sie kannten sich also gut.
So oder so muss jedem klar gewesen ein, dass der „Auftrag Wissmann“ in besonderem Maße eine illegale Angelegenheit war.
Doch das interessierte kaum jemanden.
Wer was mit wem genau vereinbart hatte, konnte im Prozess nicht vollständig geklärt werden. Jeder schob die Schuld dem anderen in die Schuhe. Klar war jedenfalls, dass ein Mitarbeiter der „Detektei Viper“ die rumänischen Schläger mit ins Boot geholt hatte. Doch welche Instruktionen bekamen sie genau? Oder taten sie einfach, wonach ihnen der Sinn stand und was sie am besten konnten – Leute krankenhausreif schlagen und alles kurz und klein hauen? Vielleicht brauchten sie dafür keine besonderen Instruktionen. Wer sie beauftragte, wusste, was er in Auftrag gab! Das Ergebnis sprach für sich. Wissmanns hatten die Wohnung schwer verletzt geräumt. In dieser Wohnung wollten sie nicht mehr bleiben. Sie waren traumatisiert. Alles hier erinnerte sie an die schreckliche Nacht.
Und die Einrichtung war nicht mehr zu gebrauchen.
Darüber hinaus haben die Schläger die Gelegenheit genutzt, um sich zu bereichern.
Allerdings hatten die Täter in der Vernehmung zunächst bestritten, bei dem Raubüberfall überhaupt dabei gewesen zu sein. Doch Fingerabdrücke in dem geraubten Nissan Patrol brachten sie mit diesem unsäglichen Überfall eindeutig in Verbindung. Sie wurden später zu langen Haftstrafen verurteilt.
Übrigens standen Apelholer und Rummel nicht nur wegen des Überfalls auf die Wissmanns vor Gericht. Sie sollen auch gewaltsam Schulden eingetrieben haben. Prätorius hat sich mit Infos aus dem Polizeicomputer daran beteiligt. Angeklagt wurde er wegen Bestechlichkeit und des Verrats von Dienstgeheimnissen. Er kam als Einziger mit einer Bewährungsstrafe davon. Da sie mehr als ein Jahr betrug, verlor er seine Beamtenrechte und wurde unehrenhaft entlassen. Der nächste Ex-Polizist in diesem Fall.
Am härtesten traf es Rummel. Ihn verurteilte das Leipziger Landgericht wegen Anstiftung zum Raub, Nötigung und Verstoßes gegen das Waffengesetz. Für das Gericht war er jener „Viper“- Mitarbeiter, der den Auftrag an die ausführenden Hintermänner weitergereicht hatte. Er musste für vier Jahre und vier Monate ins Gefängnis.
Apelholer bekam dreieinhalb Jahre Gefängnis aufgebrummt. Darüber hinaus erhielt er für die Zeit nach der Haft ein vierjähriges Berufsverbot. Ihm wurden Anstiftung zur Nötigung in einem besonders schweren Fall und außerdem Bestechung in 19 Fällen, Amtsanmaßung und Verstoß gegen das Waffengesetz bescheinigt.
Deublinger bestellte die „Zwangsräumung“ der Wohnung mündlich. Schriftlich wurde natürlich nichts festgehalten und einen Vertrag, auf den man pochen konnte, gab es schon gar nicht. Solange kein Geld geflossen war, hätte sich Deublinger zumindest theoretisch aus der Affäre ziehen können. Natürlich wäre dann ein Besuch der Männer fürs Grobe bei ihm vorprogrammiert gewesen. Und wie ein solcher Besuch ausging, das wusste er jetzt. Die Gangster waren eine Bedrohung und die Garantie dafür, dass er zahlen würde. In dem Moment, in dem er Apelholer die 10.000 Mark aushändigte, outete er sich als Auftraggeber, Anstifter und Täter und saß beweiskräftig mit im Boot.
Allerdings wurde der Auftrag nicht wie vereinbart ausgeführt. Davon, dass die Wissmanns verletzt werden oder irgendwie anders zu Schaden kommen sollten, war angeblich nicht die Rede gewesen. Und der Schaden in der Wohnung war wohl auch größer als geplant. Aber die Wohnung war nun frei, und vielleicht hatte er ja doch Angst, dass es ihm – im Falle der Weigerung, die 10.000 Mark zu zahlen oder den Preis zu drücken – ergehen könnte wie seinen Ex-Mietern. Also zahlte er und damit sollte die Angelegenheit für ihn eigentlich erledigt sein.
Doch das war sie nicht!
Wegen Nötigung bekam er ein Strafverfahren angehängt. Die Strafe für das, was er getan hat, blieb jedoch vergleichsweise mild: Er kam wohl mit einer Geld- oder Bewährungsstrafe davon. Doch die Wissmanns hatten nun einen Hebel, mit dem sie ansetzen konnten, um Schadenersatz und vor allem Schmerzensgeld einzuklagen, gegen alle Beteiligten, vom Auftraggeber bis zu den Hintermännern.
Als in vielen ostdeutschen Betrieben nach der Wiedervereinigung 1990 die Lichter ausgingen, standen gut ausgebildete Fachkräfte auf der Straße, arbeitslos und erst mal ohne Perspektive. Im Osten gab es kaum neue Arbeitgeber, die saßen fast alle im Westen und suchten Fachkräfte, händeringend. Viele Ostdeutsche nutzen die Chance, in einem ähnlichen Job wie bisher im Westen weiterzumachen.
Andere erfanden sich neu.
Brauchte beispielsweise noch jemand eine entlassene Schreibkraft? Wohl kaum, der Job war out. Es gab nichts zu schreiben: keine Angebote, keine Rechnungen, keine Korrespondenzen, nichts.
Die Abwicklung der ehemals volkseigenen Betriebe dokumentierten andere.