Wege einer Prokuristin - Hermann Obert - E-Book

Wege einer Prokuristin E-Book

Hermann Obert

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Beschreibung

Im Band drei der Theo Tüchtig Reihe erleben wir die Fortschritte des CM17 Projektes des kunststoffverarbeitenden Betriebs TT. Theo und seine Mannschaft müssen viel Kreativität und Fleiß aufbringen, um den ehrgeizigen Terminplan einzuhalten. Die verlängerte Werkbank nimmt Gestalt an, wenngleich mit unerwarteten Hindernissen. Es zeigt sich wieder, dass mit Engagement und Solidarität große Aufgaben zu meistern sind, auch oder gerade mit Freude bei der Arbeit. Das gilt für die Firma, aber auch für die Belange der Menschen in ihren Wohnorten. Die Existenzgrundlagen eines Zimmermannes und einer Imkerin sind gefährdet. Nachbarschaftsinitiativen gepaart mit Witz und Verstand helfen aus dieser Notsituation heraus. Die Prokuristin Marion Bleibtreu ist nicht nur eine brillante Geschäftsführerin, sie hat auch ein Herz für Elsa, deren Mutter seit sieben Jahren im Koma liegt. Marion Bleibtreu hat Entscheidungen zu treffen, die ihr bisheriges Privatleben komplett verändern werden. Sie ist nah dran, ihren Lebenstraum zu verwirklichen. Es lohnt sich, für das Gute zu stehen und Altes zu bewahren.

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Seitenzahl: 519

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Hermann Obert

Wege einerProkuristin

© 2019 Hermann Obert

Verlag und Druck: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

 

Paperback:

978-3-7482-5399-0

Hardcover:

978-3-7482-5400-3

e-Book:

978-3-7482-5401-0

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Ein Autor muss nichts erfinden, das Leben ist so reich an Erlebnissen. Natürlich ist meine Erzählung eine Fiktion, sind die Handelnden Gestalten meiner Fantasie. Ich habe versucht Erlebtes und Beobachtetes auf Marion Bleibtreu, Theo Tüchtig und den Mitmenschen um sie herum zu transformieren. Vieles hat sich so oder in ähnlicher Weise zugetragen, manches wünsche ich mir, dass es sich vermehrt zutragen würde: Zusammenhalt, Vertrauen, Fleiß, Freude, Liebe und Respekt.

Montag, 22. Juni 2015

Das mittägliche Abschiedszeremoniell an jenem Montag war bewegend gewesen. Die helle Junisonne hatte geschienen und entsprechend war auch die Stimmung gut gewesen. Nun zogen Regenwolken auf und Theos Stimmung trübte sich unwillkürlich ein. Da fuhr er nun weg, der Tieflader mit seiner Alten Klöckner. Julius und seine Mannschaft hatten die alte Kunststoffspritzgießmaschine am Vormittag umsichtig in ihre einzelnen Komponenten zerlegt und pünktlich zur Mittagspause mit dem großen Stapler auf die Ladefläche des LKW-Aufliegers gehievt. Wie lange würde die Fahrt mach Wöckingen dauern, wann wäre der Wiederaufbau bei den Eisenbahnfreunden erfolgt und wann könnte wieder auf der Maschine produziert werden? Würde die vorproduzierte Ware ausreichen, die Bedarfe der Kunden zu befriedigen? Die Nachfolgemaschine, die K4000XL würde am Samstag angeliefert werden. Sie würde noch größer sein. Ob auch alles durch das Rolltor durchpassen würde und die Aufstellungsfläche wie geplant ausreichte? Mit der K4000XL hatten seine Leute noch keine Erfahrung. Wie würden das Aufstellen und die Inbetriebnahme erfolgen? Er musste von der Firma Bergengrün, bei der zuvor die Maschine eingesetzt wurde, ein Formwerkzeug ausleihen, um die Funktionstüchtigkeit der neuen Maschine feststellen zu können. Immerhin könnte die Lohnfertigung die Zeit bis zur Fertigung des CM17, den 17 Liter Eimer für Color-Mix, überbrücken. Noch um zwölf stand der Firmenchef zuversichtlich, fast ein wenig stolz auf dem beladenen Tieflader und verkündete der anwesenden Belegschaft den Aufbruch neuer Zeiten, die Wachstum und Prosperität versprechen sollten. Und nun, da der Lastzug mit bulligem Dröhnen vom Fabrikhof schlich, überkamen Theo auf einmal Zweifel an seiner getroffenen Entscheidung. Sicher, Marion die Prokuristin, Julius sein Fertigungsleiter, Daniel der Entwickler, alle seine Experten hatten mit ihm viele erdenkliche Einzelheiten und Szenarien erörtert und die bestmögliche Lösung ausgearbeitet. „Never change a running system!“, ging es ihm durch den Kopf. Alles war vorher doch so reibungslos gelaufen: Das Zweischichtmodell eingeschwungen, die Maschinen ausgelastet, das Personal beschäftigt, die Auftragslage auskömmlich. Und dennoch traf er als Unternehmer die Entscheidung, den großen Auftrag von Color-Mix anzunehmen, mit all den Konsequenzen: Beschaffung der größeren Kunststoffspritzgießmaschine, Einführung der Nachtschicht, ausgelagerte Fertigung in einer verlängerten Werkbank in Wöckingen und der Einstellung weiterer Mitarbeiter samt Auszubildenden.

Julius, sein Fertigungsleiter und Achim Hammer, der Meister für die einzuführende Nachtschicht und die ausgelagerte Produktion in Wöckingen, traten aus der Halle 2 heraus und näherten sich Theo. Sie schienen die nachdenkliche Stimmung ihres Chefs zu erkennen, denn sie zögerten erst ihn anzusprechen. „Theo, alles ok?“, wurde dieser von Julius angesprochen. Theo wandte sich um und seine trüben Gedanken wichen, als er die zwei Männer erblickte. Sein erfahrener Fertigungsleiter und der hochmotivierte neue Meister schienen vor Tatendrang schier aus den Fugen zu geraten. „Die Alte Klöckner haben wir heute Morgen doch zügig filetiert?“ Julius erwartete keine Antwort, sondern fuhr sogleich fort. „Herr Hammer und ich wollen nun nach Wöckingen, um das Abladen dort zu beaufsichtigen. Vielleicht können wir mit Bernd Schlot und seinen Leuten schon mit der Aufstellung beginnen.“ Theo hatte seine alte Zuversicht wiedergewonnen. „Es ist am Morgen wirklich gut gelaufen. Übernehmt euch aber mit dem Aufstellen am Nachmittag nicht. Wir haben ja noch den ganzen Dienstag, um im Plan zu sein. Die Werker von den Eisenbahnfreunden müssen sich mit der neuen Maschine auch erst vertraut machen.“ Achim Hammer identifizierte sich mit seinem neuen Aufgabengebiet voll und ganz. „Herr Tüchtig, so wie ich den Bernd Schlot kenne, können die es auch kaum erwarten, in ihren Hallen eine Spritzgussmaschine in Betrieb zu nehmen. Und morgen schon soll auch die Drahtbiegemaschine angeliefert werden. Das geht alles Schlag auf Schlag!“ Damit verabschiedeten sich die beiden, um sich mit Julius Auto auf den Weg zu machen.

Theo ging nun zum Hallenschiff und trat durch die Fußgängertür ein. War die Produktion am Vormittag durch die Abbaumaßnahmen der alten 250 Tonnen Maschine stark beeinträchtigt gewesen und stundenweise ganz zum Erliegen gekommen, schnauften und zischten die Maschinen jetzt wieder im gewohnten Rhythmus. Lediglich links hinten konnte man an der großen freien Fläche und den freiliegenden Versorgungsleitungen eine Veränderung feststellen. Theo war äußerst zufrieden und schritt anerkennend an den Maschinenbedienern vorbei, um an dem nun leer gewordenen Areal auf den Vorarbeiter, Klaus Hurtig zu stoßen. Dieser und der vor kurzem erst in die Spätschicht gewechselte Alois Bock waren damit beschäftigt, die Versorgungsleitungen vor Beschädigungen und unbeabsichtigten Berührungen zu sichern. „Guten Tag Herr Tüchtig. Wir werden die Gitterboxen für die Materialbereitstellung neu anordnen müssen. Den Schrank werden wir ganz an die Außenwand rücken. Dann sollte die notwendige Fläche für die K4000XL groß genug sein.“ Herr Bock bückte sich zu Boden und begann damit, die alten gelben Markierungen zu entfernen. „Die neuen Markierungen bringen wir dann morgen an, wenn Herr Stetig den Verlauf nochmal mit dem Hallenplan abgeglichen hat.“ Die Meisterin kam inzwischen von ihrem Rundgang durch die Montage zurück und gesellte sich zu den Dreien. Theo nickte ihr anerkennend zu. „Frau, Wolja, großes Kompliment, das läuft ja wieder wie wenn nichts gewesen wäre.“ Sie freute sich sichtlich über diese Anerkennung. „Danke Herr Tüchtig, aber das Lob kann ich nur weitergeben, alle haben zu dem schnellen Produktionshochlauf beigetragen. Wenn wir gerade so beieinanderstehen, Herr Tüchtig, möchte ich Sie gerne über etwas informieren. Dadurch, dass eine 250iger Maschine nun weg ist und die neue 400er erst am Samstag angeliefert und aufgestellt werden kann, ist Herr Bock diese Woche quasi arbeitslos.“ Frau Wolja musste beim letzten Halbsatz etwas schmunzeln. Theo stimmte ihr zu. „Der Ärmste! Das bringen solche Produktionsumstellungen unwillkürlich mit sich.“ Frau Wolja hatte aber einen guten Vorschlag hierzu. „Mein Gleitzeitkonto ist mehr als voll und ich würde die nächsten drei Tage gerne frei nehmen. Herr Hurtig würde mich als Meister vertreten und Herr Bock würde dann als Vorarbeiter einspringen. Herr Stetig weiß bereits davon und hat zugestimmt. Am Freitag wäre ich natürlich wieder hier um die Vorarbeiten für die K4000XL zu begleiten.“ Theo dachte einen Augenblick nach. Herr Hurtig war wirklich ein erfahrener und umsichtiger Vorarbeiter und Einrichter. Ihm konnte die Meisterei durchaus mal für drei Tage übertragen werden. Und mit Herrn Bock stand ihm ein ebenso versierter Maschinenbediener zur Seite, der auch mit den einzelnen Stationen in der Montage vertraut war. „Frau Wolja, Sie haben völlig recht, jetzt ist eine günstige Zeit, ihr Gleitzeitkonto etwas abzubauen. Das Wetter soll ja wieder beständiger und wärmer werden, dann werden Sie auch ein paar Frühsommertage genießen können.“

Theo verabschiedete sich von den Umstehenden und ging ins Hauptgebäude. Er musste unbedingt noch bei seinem Konstrukteur und Entwickler vorbeischauen. Im ersten Stock angekommen trat er durch die angelehnte Tür ein. Daniel Klug war gerade am Telefonieren, er schien seinen Entwicklungskollegen von Color-Mix in der Leitung zu haben. Theo musste nicht lange warten und das Telefonat wurde beendet. „Hallo Theo, ich habe eben mit Carlo Callini die letzten Fragen zu unserer gemeinsamen Geschäftsreise zum Werkzeugmacher bei Malnate geklärt. Die Tagesordnung ist mit Luca Solivetti vereinbart, die Hotelzimmer in Varese sind uns durch das Hotel Mevio bestätigt worden und über den Abfahrtstermin habe ich mich mit Herrn Callini auch verständigt. Nichts steht mehr einer erfolgreichen Geschäftsreise und Werkzeugbesichtigung im Wege.“ Daniel strahlte Theo an. Theo beneidete ihn ein wenig. Bei lauem Juniwetter nach Norditalien durch das schöne Tessin fahren zu können, würde ihm auch gefallen. „Ja ich freue mich sehr, mit Carlo Callini nach Malnate zu fahren“, gab Daniel gerne zu, „so kommen wir beide uns einmal näher, was für unser gemeinsames Projekt nur hilfreich sein kann. Dann bin ich auch mächtig gespannt, den Maschinenpark von Solivetti und dessen Chef, diesen Luca mal persönlich kennen zu lernen. Nach den Mails und Telefonaten zu schließen, muss Luca Solivetti ein guter und auch umgänglicher Werkzeugmacher sein. Wenn sein Betrieb das hält, was ich mir vorstelle, haben wir unser Werkzeug dort in guten Händen. Aber wir werden sehen!“ Theo hatte noch eine Anmerkung. „Wir hatten vor kurzem darüber gesprochen, dass du Achim Hammer mitnimmst, damit er auch einmal eine Werkzeugmacherei sehen kann. Aber morgen soll die Alte Klöckner in Wöckingen aufgestellt werden und da ist seine Anwesenheit dringend erforderlich.“ Daniel nickte verständnisvoll. „Theo, das ist doch klar. Achim kann ja beim nächsten Termin, dann vielleicht mit dir dahin fahren. Ja, zurzeit ist viel los. Übrigens, ich werde mein Notebook mitnehmen. Dann bin ich neben dem Telefon auch mit dem Datenstick erreichbar, falls etwas Dringendes sein sollte. Meine Mails werde ich auf jeden Fall bearbeiten. Du wirst kaum merken, dass ich nicht im Hause bin.“ Theo klopfte Daniel auf die Schulter. „Übertreibe es aber nicht mit der Arbeit, Daniel. Am Abend mit den Geschäftspartnern köstliche Pizza essen und einen funkelnden Chianti trinken gehört zum perfekten Werkzeug auch dazu.“ Theo wünschte Daniel für die kommenden zwei Tage, die er auf Geschäftsreise verbringen sollte, gute Fahrt, geschäftlichen Erfolg und partnerschaftliche Gespräche.

Er ging über den Flur in das Büro von Marion und Tamara, der Assistentin. „Hallo ihr beiden! Habt ihr mitbekommen, dass Julius und Herr Hammer auf dem Wege nach Wöckingen sind? Herr Hammer wird morgen nochmals dort sein müssen, um die Aufstellung der Alten Klöckner zu beaufsichtigen.“ Die Frauen hatten kurzen Blickkontakt und Tamara ergänzte Theos Ausführungen. „Ja Theo, wir haben unser Abwesenheitsboard diesbezüglich ergänzt. Mit Achim Hammer werden morgen früh auch Clara Schick und ein weiterer Werker der Frühschicht nach Wöckingen fahren.“ Theo fiel es wie Schuppen von den Augen. „Na klar, Herr Hammer kann ja unmöglich alleine die Maschine aufstellen und Bernd Schlot und seine Arbeiter verfügen noch nicht über die Erfahrung, dies eigenständig zu erledigen. Wie gut, dass ich euch habe!“ Marion ergänzte mit einem Lächeln. „Ach Theo, wir wollen uns nicht mit fremden Federn schmücken. Dein Fertigungsleiter hat uns ausführlich instruiert, bevor er abgefahren ist.“ Theo war sehr zufrieden. „Ich stelle immer wieder fest, dass meine Mannschaft gut zusammenarbeitet. Dann wisst ihr sicher auch, dass Daniel Dienstag und Mittwoch mit dem Entwickler von Color-Mix nach Norditalien unterwegs ist?“ Tamara freute sich sichtlich. „Ja klar! Meine Hotelreservierung in Deutsch-Englisch-Italienischer Sprache hat perfekt geklappt, obwohl meine Geschäftsführer starke Zweifel an der Verständigung mit dem Hotel in Varese hatten.“ Marion gab sich alle Mühe ernst zu bleiben: „Werteste Assistentin, bei jenem interkulturellen und mehrsprachigen Telefonat sind Sie wirklich über sich hinausgewachsen.“ Theo ergänzte mit gleich ernster Miene: „Ich als Firmeninhaber bin auch sehr froh, dass mein Entwicklungschef nun doch nicht im Zelt übernachten muss.“ Tamara ließ diesen ironischen Seitenhieb nicht auf sich sitzen. „Um Kosten zu sparen werde ich die nächsten Übernachtungen in einer Jugendherberge buchen.“ Marion schaute in den Kalender. „Wenn ich das richtig überblicke, ist unser Chef als nächstes unterwegs.“

Theo begab sich wieder in sein kleines Büro. Er wählte die Mobil-Nummer von Achim Hammer. Es dauerte nicht lange bis die Verbindung stand. „Achim Hammer am Apparat, hallo Herr Tüchtig. Herr Stetig und ich sind noch unterwegs, wir werden aber in einer Viertelstunde in Wöckingen sein. Den Tieflader mit unserer Alten Klöckner haben wir bereits überholt.“ Theo wollte keinen Kontrollanruf tätigen, freute sich aber über den kleinen Status-Bericht. „Oh, das hört sich ja gut an, danke! Herr Hammer, ich konnte noch gar nicht mit Ihnen darüber reden: Morgen fahren Daniel Klug und sein Partner von Color-Mix, Carlo Callini doch zum Werkzeugmacher nach Norditalien. Wir hatten ja mal besprochen, dass Sie da mitfahren sollten, um auch einmal einen solchen Betrieb kennen zu lernen. Wir haben bei dieser Terminplanung nicht berücksichtigt, dass Sie ja am morgigen Tag beim Aufstellen der Kunststoffspritzgießmaschine in Wöckingen dabei sein müssen. Nun, aufgeschoben ist nicht aufgehoben, ich schlage daher vor, dass Sie dann beim zweiten Termin in Malnate dabei sind. In diesem Fall dürften Sie dann mich begleiten.“ Die Telefonverbindung war nicht besonders gut. Immer wieder knackte es beunruhigend im Hörer. Herr Hammer schien aber dennoch alles verstanden zu haben. „Herr Tüchtig, mir ist es wichtig, morgen auch in Wöckingen zu sein. Ihren Vorschlag, beim zweiten Termin zu Solivetti nach Malnate zu fahren finde ich gut. Das wird wohl im August sein. Wenn Sie mir den Termin weiterleiten, werde ich meine Urlaubsplanung danach ausrichten.“ Theo scrollte in seinem elektronischen Kalender. „Das wird Dienstag, der 11. August sein, Rückfahrt dann am Tag darauf. Die zwei Tage werden fast wie Urlaub sein, vor allem, wenn die Werkzeugerstellung bei Solivetti nach Plan und im Kostenrahmen erfolgen wird. Aber natürlich müssen wir darauf achten, dass Sie mit ihrer Familie noch einen Sommerurlaub hinbekommen.“ Am anderen Ende war die ferne Stimme von Julius zu hören, bis sich Achim Hammer erneut meldete. „Natürlich freue ich mich darauf, mit Ihnen und Daniel Klug auf diese Geschäftsreise zu gehen. Aber wie mir Herr Stetig eben zuflüsterte, wird da zuweilen hart um Termine und Kosten gerungen und das ginge bis spät in die Nacht hinein. Wegen meinem Sommerurlaub brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Meine neue Aufgabe als Meister der dritten Schicht und für Wöckingen und vor allem das Projekt CM17 haben für mich absoluten Vorrang. Meine Frau wird mit den Kindern bei den Eltern an der Ostsee sein. Wenn ich Ende August noch für zwei Wochen dazu stoßen kann, wären wir glücklich.“ Theo hörte das gerne. „Herr Hammer, das mit der Urlaubsreise war natürlich nicht ganz ernst gemeint. Dennoch freue mich darauf, durch die schöne Bergwelt nach Norditalien zu fahren. Und dann noch in Begleitung meiner treuen Mitarbeiter. Bei Solivetti hatten wir schon mal ein Werkzeug platziert und das wurde in super Qualität termingerecht erstellt. Ja, ich gebe zu, den ursprünglichen Kostenrahmen konnten wir leider nicht ganz einhalten. Ich hatte mir nach meiner Rückkehr in die Firma, eine mächtige Rüge meiner Finanzministerin eingeholt.“ Bei dieser Bemerkung musste Theo unwillkürlich lachen. „Was CM17 und all die damit zusammenhängenden Aktivitäten anbelangt, werden wir dieses Jahr alle miteinander viel zu tun haben. Aber ich gehe davon aus, dass wir im nächsten Jahr in einen eingeschwungenen Zustand kommen und auch die neuen Mitarbeiter an Bord und eingearbeitet sein werden. Dann sollten Sie und all die anderen Kollegen einen längeren Sommerurlaub machen können. Ich bedanke mich aber für ihr entgegen gebrachtes Verständnis in der gegenwärtigen Situation im Betrieb und ihr Engagement. Ich wünsche Ihnen noch eine gute Fahrt und viel Erfolg in Wöckingen.“ Die Fakten waren besprochen und die kleine Delegation war auch nicht mehr weit vom Ziel entfernt. Das Telefonat konnte beendet werden. „Vielen Dank Herr Tüchtig!“

Dienstag, 23. Juni 2015

Nach seinem morgendlichen Rundgang durch die Fertigung saß Julius erwartungsvoll in seinem Büro. Der Tieflader mit der Alten Klöckner erreichte am gestrigen Nachmittag Wöckingen später als geplant. Dann stellte sich noch heraus, dass die vorhandenen Hebebänder der Krananlage nicht geeignet waren, die massigen Komponenten der Kunststoffspritzgießmaschine zu halten. So kamen sich alle Beteiligten überein, mit dem Aufstellen der Maschine erst heute Vormittag zu beginnen. Diese Verzögerung konnte leicht wieder hereingeholt werden. Auf dem Rückweg war er dann mit Herrn Hammer noch zu einem Ausrüster gefahren, um die erforderlichen Traggurte zu besorgen. Heute, um acht Uhr sollte es mit Achim Hammer, der Vorarbeiterin Clara Schick und der Maschinenbedienerin Erika Prima losgehen. Gemeinsam würden sie sich dann erneut auf den Weg nach Wöckingen machen.

Aufgrund der Verlagerung der alten Klöckner nach Wöckingen, war für die laufende Woche das Produktionsprogramm abgesenkt worden. Durch Sonderschichten an mehreren Samstagen konnten die Kundenaufträge derart vorproduziert werden, dass kein Abriss der Lieferkette erfolgen sollte. Hier zahlte es sich aus, dass die Geschäftsleitung ein gutes Verhältnis zur Belegschaft pflegte. Die Betriebsrätin, Irene Friedmann, wurde rechtzeitig durch Theo Tüchtig in die Erweiterungs- und Verlagerungspläne eingeweiht und leistete ihren überzeugenden Beitrag in der Kommunikation. Die Zuschläge für die Samstagsarbeit waren ein willkommenes Zubrot für die Werker. Diese Mehrkosten waren der Tribut, den die Firma für die Umstellungsmaßnahmen erbringen musste. Sicher gut angelegtes Geld, um zukünftig den großen Auftrag fertigen zu können. Martin Kran, der Meister der Frühschicht, würde mit dem Rest der Mannschaft keine Schwierigkeiten haben, die Fertigung nach reduziertem Plansoll aufrecht zu halten. Und dann war da auch noch sein Chef da. Theo kannte sich mit Menschen und Maschinen seines Betriebes wirklich gut aus.

Inzwischen wurde es lauter auf dem Korridor und die Wöckinger Abordnung versammelte sich vor seinem Büro. Julius klappte sein Notebook zu, griff nach Notizbuch und Telefon und trat zu den Wartenden hinaus. Ein fiebriger Eifer lag auf den Mienen der Gesichter. Es war eine Premiere, mit dem Fertigungsleiter zur neu einzurichtenden Zweigstelle zu fahren. Und sie hatten heute Großes vor: Es galt eine 250 Tonnen Kunststoffspritzgussmaschine aufzubauen und betriebsfertig zu machen. Dann sollte am heutigen Tag auch die gebrauchte Drahtbiegemaschine angeliefert werden. Achim Hammer hatte mit diesem Maschinentyp bereits Erfahrungen gesammelt, aber auch Erika Prima hatte in ihrem vorigen Betrieb an einer ähnlichen Maschine gearbeitet. So könnte sie bei der Einrichtung zur Hand gehen und die vorgesehenen Bediener in der Handhabung einweisen.

Gut gelaunt und voller Tatendrang machte sich das Quartett auf die Fahrt nach Wöckingen. Julius kannte die Strecke inzwischen gut und nach vierzig Minuten erreichten sie das Areal der Eisenbahnfreunde Wöckingen. Nicht ohne Stolz stellte Julius seinen Wagen auf den für die Geschäftsleitung TT ausgewiesenen Parkplatz. Achim Hammer stellte zufrieden fest, dass im Außenbereich seit seinem letzten Besuch mächtig aufgeräumt wurde. Auch dieses Mal ließ es sich Karl Dampf nicht nehmen, seine Besucher und Geschäftspartner persönlich am Eingang in Empfang zu nehmen. Clara Schick und Erika Prima waren zum ersten Mal auf dem Betriebsgelände der Eisenbahnfreunde Wöckingen. Da der Tieflader mit der 250 Tonnen Maschine noch auf der Anfahrt von einem Betriebshof war, erhielten die Neuankömmlinge im Besprechungszimmer im ersten Stock einige Informationen über den zukünftigen Produktionsstandort von TT. Bernd Schlot, der Meister der Eisenbahnfreunde, kam schließlich dazu und zu sechst ging es dann in den für TT vorgesehenen Hallenbereich. Gleich neben dem Zugang zur Rampe waren die Flächen für die aufzustellende Kunststoffspritzgießmaschine und die neu erworbene Drahtbiegemaschine freigemacht worden und entsprechend mit Farbmarkierungen am Boden kenntlich gemacht. Räumlichkeiten für das zu verarbeitende Material und vor allem für die Fertigprodukte waren auch bereits ausgewiesen. Die notwendigen Versorgungsleitungen waren installiert und Fluchtwege vorbildlich ausgeschildert. Julius nickte dem Vorsitzenden der Eisenbahnfreunde Wöckingen anerkennend zu. „Ihr habt ja mächtig vorgearbeitet! Und das geeignete Hebezeug für die Spritzgießmaschine habe ich nun im Kofferraum liegen.“ Karl Dampf freute sich über diese Anerkennung. „Für unseren Kunden und Partner aus Lästre geben wir alles!“ Bernd Schlot machte mit Clara Schick und Erika Prima noch einen kleinen Abstecher zur Lokomotiven-Werkstatt. Julius Stetig und Karl Dampf öffneten das große Tor zur Rampe und traten hinaus. Wie zwei Feldherren blickten sie mal links, mal rechts der Straße entlang. Ein älteres Paar grüßte im Vorübergehen fröhlich herauf. „So, geht´s wieder aufs Stückle?“, rief ihnen Karl Dampf hinunter. Mit Schürze und Schaff-Kittel ausstaffiert, Gießkanne und Leiterwagendeichsel in der Hand, schritten die alten Leute vorbei. „Ja, so isch es, mir miaßet heit Kraut hacka!“ Julius blickte den beiden versonnen nach. Er konnte sich dem Idyll jedoch nicht lange hingeben.

Sonores Brummen und endlich lautes Dröhnen machte der beschaulichen Ruhe ein Ende. Der Tieflader mit der Alten Klöckner näherte sich unüberhörbar. Der Fahrer musste Bernd Schlot angerufen haben, denn dieser war bereits unten auf der Straße und stellte mit entsprechenden Handzeichen sicher, dass der Auflieger mit der Maschine optimal zum Entladen rangiert wurde. Zwei Arbeiter aus der Werkstatt waren zur Stelle. Einer zog das Geländer der Rampe aus der Aufnahme und legte dieses an die Seite, damit es nicht hindern konnte. Der andere nahm derweil die Krananlage in Betrieb und verfuhr den massiven Haken mit den inzwischen passenden Gurten zur Außenposition. Nun waren Clara Schick und Erika Prima gefordert. Sie mussten sicherstellen, dass die schweren Einzelkomponenten der Kunststoffspritzgießmaschine in der richtigen Reihenfolge abgeladen und auch jeweils am richtigen Platz abgestellt wurden. Das Maschinenbett musste als erstes in seine Position gehievt werden. Es sollte über vier Stunden dauern, bis alle Komponenten entladen und an Ort und Stelle fixiert waren. Vor allem die Schließ- und Plastifiziereinheit wollten trotz ihres Tonnengewichtes auf Millimeter genau bugsiert werden. Um vierzehn Uhr war der LKW entladen und rollte energisch davon.

Das war ein anstrengender Morgen geworden und die Mägen knurrten heftig. Karl Dampf machte mal wieder von seinen lokalen Beziehungen Gebrauch und arrangierte in der Lustigen Gans ein stärkendes Mahl auch außerhalb der typischen Mittagszeiten. Der kleine Spaziergang dorthin, vorbei an kleinen Ein- und Zweifamilienhäusern mit ihren Vorgärten, Hunden, Katzen und Gartenzwerge, tat gut und machte die rauchenden Köpfe wieder frei. Karl Dampf führte die Gruppe über einen gepflegten Dorfplatz zur ersehnten Gaststätte. In der Gaststube saßen zwei ältere Männer am Stammtisch und blickten konzentriert in ihre Gläser, als würden sie die Kohlendioxidbläschen zählen. Karl wurde sogleich von Klara, der Wirtstochter in den Nebenraum gelotst. Seine Begleiter folgten ihm breitwillig. Auf dem langen Tisch war bereits eingedeckt. „Klara, vielen Dank, dass du uns hungrige Leute außerhalb deiner Kochzeiten bewirten willst.“ Die Angesprochene gab den Umstehenden durch Handzeichen zu verstehen, Platz zu nehmen. „Unser Koch ist bereits gegangen, daher können wir euch nur noch ein Einheitsessen anbieten.“ In dem Augenblick wurde die Tür aus der Küche geöffnet und der Wirt schob eigenhändig einen Servierwagen mit drei Schüsseln herein. „Leute, heute müsst ihr mit Gulasch und Spätzle Vorlieb nehmen.“ Die Gäste hielten Klara bereitwillig die Teller zum Schöpfen hin. Das Gulasch duftete köstlich und sollte mit den Spätzle noch besser schmecken. „Heute Nachmittag müssen wir noch konzentriert arbeiten, daher bitte nur Wasser und Saft zu trinken servieren“, bat Karl Dampf seinen Wirt. „Vor zehn, Tagen, als die Chefs von TT dabei waren, ging es aber lustiger zu“, musste der Wirt anmerken. „Ja, das stimmt, da mussten wir aber auch nicht mehr an den Maschinen arbeiten. Wir haben heute Nachmittag noch viel vor.“ Ein verständnisvolles Nicken war die Antwort und an alle Gäste gerichtet wünschte er einen guten Appetit.

Kurz vor drei Uhr standen sie wieder in der Halle. Nun galt es mit geschickten Händen die Montage der Einzelkomponenten zu vollenden und die Versorgungsleitungen anzuschließen. Ein Eimer-Werkzeug wurde aufgespannt und die Einrichtung der Alten Klöckner konnte erfolgen. Das notwendige Granulat war bereits als Sackware bereitgestellt worden und endlich konnte die Ausprobe beginnen. Clara Schick startete am Schaltschrank das Initialisierungsprogramm und Julius Stetig stand mit Anspannung dabei. Er kannte sich ebenfalls gut mit diesem Maschinentyp aus, bislang war seine Hilfe noch nicht erforderlich gewesen, so sicher saßen die Handgriffe seiner Vorabreiterin.

Zwischenzeitlich wurde die Drahtbiegemaschine angeliefert und Achim Hammer und Erika Prima waren ihrerseits damit beschäftigt, diese Anlage in Betrieb zu nehmen und zu prüfen, ob alles funktionsfähig wäre. Der hierfür vorgesehene Draht war auf einer großen Haspel aufgewickelt und wartete darauf, verarbeitet zu werden. Der Antrieb war bereits kontrolliert und nun galt es, den Rollensatz einzustellen. Aus dem langen Draht sollte schließlich ein Eimerhenkel in exakter Bemaßung gebogen werden. Das war eine knifflige Arbeit und unzählige Drahtstücke landeten in der Schrottkiste. Mustereinstellungen für einen ähnlichen Henkel waren dokumentiert, aber die Feinjustierung der acht Rollenpaare ergab schier unendliche Einstellmöglichkeiten.

Bernd Schlot fieberte vor Tatendrang, stand mal an der Kunststoffspritzgießmaschine mal an der Drahtbiegemaschine, wollte helfen und musste doch erst noch viel lernen. Er notierte sich zuweilen etwas und hatte sichtlich Mühe, seine Ungeduld zu bändigen. Als Clara Schick, die Hauptschalter in die An-Position kippte, begann die Kunststoffspritzgießmaschine zu atmen. Das Steuerungsprogramm für den Standard-Baustellen-Eimer wurde aufgerufen und eine Test-Routine durchlaufen. Die Plastifizierungseinheit musste erst noch auf Betriebstemperatur gebracht werden. Endlich konnte der nächste Prozessschritt erfolgen und der Spritzzyklus konnte gestartet werden. Die ersten Eimer waren noch nicht zu gebrauchen, aber bereits der zwanzigste war ordentlich. Die Maße stimmten, lediglich Schlierenbildung und gleichmäßige Wandstärke waren noch zu verbessern. „Frau Schick, ich finde an der Stelle sollten wir für heute Schluss machen. Sie haben hervorragende Arbeit geleistet.“ Clara wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und blickte zufrieden zu ihrem Fertigungsleiter. Dann schaute sie nach draußen, leichter Regen hatte eingesetzt und die helle Junisonne war verschwunden. Ein Blick auf die Uhr schien sie zu überraschen. „Was, es ist ja schon sieben Uhr abends!“ Julius lächelte ihr zu, „Ja, das waren anstrengende aber kurzweilige Stunden. Wir sollten für heute abbrechen. Wir werden morgen wieder zwanzig Ausschussteile haben, aber dann sollte der Prozess eingeschwungen sein und die Serienproduktion in Wöckingen kann beginnen. Ich gratuliere Ihnen zur Aufstellung und Inbetriebnahme dieser Maschine!“ Bernd Schlot applaudierte mit sichtbarer Freude. Die Alte Klöckner wurde heruntergefahren und die drei wandten sich nun zu den Kollegen an der Drahtbiegemaschine. „Na wie läuft es?“ richtete Julius Stetig das Wort an die bislang Unzufriedenen. „Wir haben mehr als fünfzig Drahtstücke gebogen, aber wir sind noch weit vom Soll-Maß für unseren Henkel entfernt.“ Julius nahm das aktuelle Teil in die Hand und verglich es mit dem Muster-Teil. Die Ösen waren noch zu stark eingezogen und ließen sich so nicht am Eimer einrasten. Der große Radius war zu klein und der Werker würde viel Kraft benötigen, um den Henkel zur Montage auseinander zu drücken. „Herr Hammer, Frau Prima, es ist das erste Mal, dass TT eine Drahtbiegemaschine in Betrieb nimmt. Sie haben in den wenigen Stunden heute Nachmittag bereits Großartiges geleistet. Sie haben die Maschine aufgestellt, überprüft, in Betrieb genommen, die Haspel samt Draht angebunden und die Einstellungen soweit vorgenommen, dass zuverlässig produziert werden kann.“ Achim Hammer und Erika Prima streckten und reckten sich ein wenig. Das stundenlange Schrauben und Drücken in gebückter Haltung hatte seine Spuren hinterlassen. „Übermorgen ist Daniel Klug von seiner Geschäftsreise zurück. Ihm geben wir die Konstruktionszeichnung des Rollensatzes, dessen gegenwärtige Einstellungen und das aktuell gebogene Drahtstück. Ich bin sicher, dass er mit einem Simulationsprogramm ermitteln kann, welche Einstellungen noch zu korrigieren sind. Und wenn sie das tröstet: Wenn die Einstellungen für unseren Drahthenkel einmal gefunden sind, müssen wir nie mehr etwas ändern.“ Die Mienen der zwei Angesprochenen hellten sich sichtbar auf. „Lasst uns nun Feierabend machen und nach Hause fahren. Herr Schlot, auch Ihnen herzlichen Dank für die Unterstützung durch Sie und Ihre Leute.“ Nicht alles, aber vieles wurde an diesem Tag erreicht.

Mittwoch, 24. Juni 2015

Theo brannte darauf, zu erfahren, wie das Aufstellen der Maschinen in Wöckingen am Vortag ablief. Julius hatte Theo während der Rückfahrt gestern Abend noch angerufen, aber aufgrund des dichten Verkehrs hatte Julius darum gebeten, das Telefonat kurz zu halten. Nun saßen Theo und Julius im Büro des Fertigungsleiters und tauschten sich aus. Julius wollte ja auch erfahren, wie die Produktion am Tag zuvor gelaufen war. Theo war mit seinem Bericht schnell fertig. „Julius, kaum waren die Aufräumarbeiten in der Halle 2 beendet, lief auch dort die Produktion an den verbleibenden Maschinen zügig und störungsfrei an. Die Montage war vom Abbau der Kunststoffspritzgießmaschine sowieso nicht betroffen. Und wie seid ihr in Wöckingen zurechtgekommen?“ Julius nahm den Ball auf und berichtete vom anstrengenden, aber doch reibungslosen Aufstellen der alten Klöckner. „Das Abspritzen der ersten Teile war erwartungsgemäß noch nicht perfekt. Ich werde heute Vormittag nochmals mit Clara Schick hinfahren, um die Maschine so einzurichten, dass wir kundenfähige Eimer abspritzen können.“ Theo schien über etwas nachzudenken. „Gut, dass der Tieflader mit der Maschine auch gleich genügend Granulat mitgenommen hat. Für die Fertigteile hat es in Wöckingen ausreichend Platz. Aber nächste Woche sollten sich Tamara und Ludmilla Wolja, wenn diese wieder im Hause ist, unbedingt um das Logistikkonzept kümmern.“ Julius nickte zustimmend. „Du hast recht, Theo! Dieses Improvisieren darf kein Dauerzustand werden. Immerhin sind wir schon so weit, dass wir ab heute Nachmittag auf der alten Klöckner wieder produzieren können. Die Drahtbiegemaschine macht mir noch Sorgen. Das Aufstellen klappte auch bei ihr problemlos, das Einstellen des Rollensatzes geriet jedoch zu einer wahren Sisyphus-Arbeit. Mal war der Henkel-Bogen zu weit, dann zu eng, dann passten die Ösen nicht. Also so können wir die Teile noch nicht zur Montage frei geben. Wenn Daniel von seiner Geschäftsreise zurück ist, möchte ich ihn bitten, dass er sich ein Simulationsprogramm besorgt und uns die optimalen Einstellparameter ermittelt.“ Wieder nickte Theo zufrieden. „Das ist doch ein echter Fortschritt. Wir haben eine funktionstüchtige Drahtbiegemaschine und nur noch die Feinjustierung gilt es zu finden. Die Idee, Daniel die Rolleneinstellungen ermitteln zu lassen finde ich gut. Ob wir die Henkel ein paar Tage früher oder später produzieren können ist nicht so erheblich. Ich muss nur Marion sagen, wann wir den bisherigen Lieferanten für die Henkel kündigen. Der wird nicht begeistert sein. Aber doppelt brauchen wir die Henkel auch nicht.“ Soweit schien alles geklärt zu sein. „Also, dann mache ich mich mit Frau Schick nochmal auf den Weg nach Wöckingen. Wenn alles so läuft, wie ich es mir vorstelle, sind wir am Nachmittag wieder zurück und Bernd Schlot kann schon mal 200 Eimer in Eigenregie abspritzen. Übrigens, morgen werden Marion und erneut Frau Schick nach Wöckingen fahren. Dann wird die offizielle Schulung und Unterweisung der dortigen Arbeiter erfolgen und dokumentiert werden.“

Auch wenn es im Betrieb noch viel zu tun gab, wollte sich Marion diesen Mittwochabend nicht nehmen lassen. Aus der Vergangenheit ahnte sie, dass es eine lange Nacht mit wenig Schlaf geben wird und ein wenig bange wurde es ihr schon, wie sie den folgenden Tag mit den vielen Terminen und Aktivitäten überstehen sollte. Aber heute war heute und sie hatte die Arbeit extra früher beendet, um sich noch ein wenig Schlaf im Voraus zu gönnen. Dann wollte sie sich freizeitlich adrett kleiden und bereits beim Aufbau der Kapelle dabei sein. Die Crazy-Ladies-Band begann im Jazz-Keller stets um 21 Uhr mit ihrem Spiel. Um acht Uhr machte sich Marion auf den Weg. Der Jazz-Keller von Mauerstein war am westlichen Rand der Stadt, noch hinter dem Anne-Frank-Gymnasium gelegen. Die örtliche Brauerei hatte nach einem Neubau das alte Sudhaus zum Jazz-Lokal umgebaut. Das über hundert Jahre alte Backsteingebäude bildete einen stimmungsvollen Rahmen für solcherlei Musik-Events. Ein riesiges Eichentor schloss den Haupteingang. In der warmen Jahreszeit wurde ein Flügel geöffnet und so konnten die Gäste auch draußen bei einer Zigarette dem Jazz-Sound folgen. Im Inneren wurden durch eingezogene Wände und Decken Räumlichkeiten für Garderobe, Ausschank, Küche und Toiletten geschaffen. Die lange Fensterseite blieb nahezu unverändert. Auf einer Fläche von circa zwanzig auf vierzig Metern waren mal rechteckige, mal runde Tische mit jeweiliger Bestuhlung angeordnet. So bot der Raum mehr als zweihundert Sitzplätze. Die Brauerei hatte sich sichtlich Mühe gegeben, stilvolles Mobiliar aus aufgegebenen Gaststätten zu sammeln. Den stabilen Möbeln sah man ihre Jahre und Kerben an, passten aber bestens in dieses Ensemble. Die alten Steinfliesen aus Sudhaustagen waren erhalten geblieben. Neu war natürlich die Schankzeile auf der rechten Seite zum Rauminneren mit der anschließenden, abgetrennten Küche. Am Ende des länglichen Saales war schließlich eine Empore für die auftretenden Künstler errichtet worden. Sie war groß genug, um auch einer Formation mit zehn Akteuren samt Instrumenten und elektronischem Equipment Raum zu bieten. Selbst so etwas wie eine Künstlergarderobe war seitlich angeordnet. Mauersteiner Landbräu war ein beträchtliches unternehmerisches Risiko eingegangen, erstmal den Neubau der Brauerei anzugehen, gleichzeitig das alte Areal zu behalten und dann noch in einen Saal für musikalische Veranstaltungen umzugestalten. Ein Keller war dieser Saal im eigentlichen Sinne nicht, der Name ergab sich eher durch die sich einstellenden treuen Fans, die immer gerne von ihrem „Jazz-Keller“ sprachen.

Und in diesem Jazz-Keller trat neben wenigen anderen Gruppen meist die Crazy-Ladies-Band unter der Leitung von Ludmilla Wolja auf. Marion war eine der ersten Fans dieser Formation und versäumte so gut wie keinen der Auftritte. So auch diesen Mittwoch. Sie war so früh da, dass sie die Künstler noch beim Aufbau der Musikanlage beobachten konnte. Sie war in die Formation derart integriert, dass sie auch an deren Tisch, der für Pausenaufenthalte der Musiker reserviert wurde, Platz nehmen konnte. Ludmilla Wolja spielte hier bereits auf, als sie noch nicht Meisterin bei TT war. Was Marion und Ludmilla verband, war die Liebe zur Musik. Über geschäftliche Themen wurde in diesem Raum selten gesprochen. Bei der Arbeit hatte sich auch nie ein Interessenkonflikt ergeben, es sei denn der gelegentliche Schlafmangel am Tage danach. Marion spielte gerne auf ihrem Klavier zu Hause, eher gediegene Titel, schätze aber den Musik-Stil der Crazy-Ladies-Band ungemein. Ludmilla spielte virtuose Soli auf ihrem Saxophon und wenn alle anderen Instrumente einsetzten, ergab sich ein kraftvoller Klangkörper. Marion diskutierte oft und gerne mit Ludmilla über die neu auszuwählende Musikliteratur und hatte manchen kreativen Impuls für das nächste Konzert gegeben. Da es ihr wenig ausmachte, auch den schwungvollsten Abend alkoholfrei zu absolvieren, hatte sie manchen Künstler nach seinem dritten Absackerbier heimchauffiert. So ergab es sich, dass sie von allen der Band gerne gesehen wurde, auch an diesem Abend.

„Hi Marion! Auch wieder da“, wurde sie von Axel Bär begrüßt. Er war gerade dabei, sein riesiges Saiteninstrument sicher in den Ständer zu stellen. Der Bassist war der Riese der Gruppe, sein Kontrabass passte ideal zu seiner Statur. Marion erklomm die Empore und begrüßte die Musiker nach und nach. Über einen Seiteneingang wurden Instrumente und sonstige Ausrüstung aus den Kofferräumen der jeweiligen Pkws entladen. Tim Soltau war der Drummer und hatte mit seinem Schlagzeug am meisten hereinzutragen. Marion war inzwischen recht versiert und half ihm beim Aufbau seiner Becken, Trommeln und sonstigen akustischen Geräten. Die zierliche Helen Herder war mit ihren neunzehn Jahren die Jüngste auf der Bühne. Es war unglaublich, was sie ihrem Key-Board samt Verstärker entlocken konnte und mit ihren Gesangseinlagen erntete sie manchen Sonderapplaus. Der bärtige Dimitri Kalin, mit fünfundfünfzig Jahren der Senior der Gruppe, half ihr, das Key-Board hereinzutragen und auf den Ständer zu stellen. Wer Dimitri in der Fußgängerzone begegnete, würde ihn eher als Sänger in einem Kosaken-Chor einordnen denn als jazzigen Spieler auf einer E-Gitarre. Für Marion war die Crazy-Ladies-Band ein lebendiges Beispiel für multikulturelles, vorurteilsfreies Leben. Das begann erstmal mit dem Namen. Eine Band mit drei Frauen und drei Männern so zu nennen ist nicht selbstverständlich. Ludmilla berichtete ihr einmal, dass die Band früher aus drei Musikerinnen bestand und im Laufe der Jahre größer wurde, damit auch das zu spielende Repertoire und somit auch männliche Interpreten dazukamen. Der Band-Name hatte sich bei den Fans in den Jahren fest verankert und wenn Ludmilla mit ihrem Saxophon, dann Helen mit ihrem Gesang und Julia mit ihrer Trompete zuweilen in ein Terzett einstimmten, konnten Insider die Herkunft des Band-Namens erkennen. Die in den Jahren dazu gekommenen Männer störten sich am Namen der Gruppe nicht. Ihre Ludmilla war auf der Bühne einfach „crazy“ und das genügte. Einen besonderen Kontrast erlebten die Zuhörer, wenn die junge Helen mit ihrem Tasteninstrument in den spielerischen Wettstreit mit der E-Gitarre des alten Dimitri trat. Ähnliche Aufmerksamkeit erweckten die dreiundzwanzigjährige Julia Raab mit ihrer Trompete und dem stattliche Axel Bär mit seinem Kontrabass. Marion beobachtete immer wieder mit Interesse die Trinkgewohnheiten während den Pausen. Der starke Axel konnte eine Jazz-Nacht mit Apfelsaftschorle verbringen, die Julia trank gerne mal eine Halbe, Dimitri gönnte sich einen Wodka am Ende des Konzertes, blieb aber zuvor immer beim Mineralwasser. Der Schlagzeuger, der körperlich sicher am meisten gefordert war und schon nach dem zweiten Auftritt trotz dünnem T-Shirt mächtig schwitzte, hielt meist bis Mitternacht alkoholische Abstinenz, aber irgendwann hielt er es bei Wasser nicht mehr aus und wandte sich genüsslich und ausgiebig dem Mauersteiner Landbräu zu. Dieser Tim Soltau war auch Marions häufigster Taxi-Gast. Helen, die vor allem auf ihre Stimme achtgeben wollte, hatte stets einen Kräutertee vor sich stehen. Die Band-Leaderin selbst hielt sich auch lange ganz tapfer bei Mineralwasser, bis irgendwann ein Glas kühlen Chardonnays vor ihr stand.

Die Band hatte alle Hände voll zu tun, rechtzeitig mit ihrem Aufbau fertig zu werden. Es war kurz vor neun Uhr, draußen dämmerte es merklich und der Saal war bereits gut gefüllt. Außer dem Künstlertisch waren nahezu alle besetzt. Für den Wirt schien das wieder ein lukrativer Abend zu werden. Die Kellnerinnen und Kellner waren fleißig dabei, Getränke zu servieren und in der Küche war auch geschäftiges Treiben vernehmbar. Viele Gäste ließen es sich nicht nehmen, den selbstgebackenen Leberkäse oder den saftigen Schweinebraten zu kosten. Die dazu gereichten Bratkartoffeln mit Speckstreifen machten jeden Hungrigen satt. Die Jazz-Formation spielte laut genug, dass Geschirrklappern und sonstige Essgeräusche niemanden störten.

Marion half beim Verteilen der Noten. Bei Helen angekommen zuckte es ihr in den Fingern, am einsatzbereiten Key-Board einige Takte zu spielen. Ihr Repertoire würde hier sicher nicht so recht ankommen und Pfiffe wollte sie dann doch keine ernten. „Helen, mach´s gut! Ich freue mich schon auf deine starke Stimme!“ Axel und Dimitri waren dabei, ihre Saiteninstrumente zu stimmen. Helen gab ein „A“ vor. Saxophon und Trompete stimmten unüberhörbar in das Stimmen ein. Der erste Applaus setzte ein. Marion huschte noch schnell zu Ludmilla hin. „Ich bin schon so gespannt, wie du Hit The Road Jack heute interpretierst.“ Unwillkürlich hatte sie sie umarmt um endlich die Bühne zu verlassen. Stammgäste kannten dieses Prozedere bereits. Es war wohl kaum jemand da, der in Marion die Prokuristin von TT ahnte. Es wurde darüber gemunkelt, dass die Dame, die kurz vor Beginn des Auftrittes die Bühne verließ der Notenwart der Band sei. Manche Gäste glaubten auch ein besonderes Verhältnis zwischen ihr und Ludmilla Wolja zu erkennen und andere würden das für sich auch wünschen.

Sie setzte sich an den leeren Künstler-Tisch. Dass sie da alleine sitzen musste, wo doch an allen anderen Tischen Leute saßen, störte sie inzwischen nicht mehr. Bei Clemens, der heute als Kellner für den hinteren Bereich zuständig war, bestellte sie sich eine Flasche Mineralwasser und ein Glas. Die würde im Laufe des Abends sicher noch leer werden. Als Autofahrerin nahm sie sich vor, das einzig erlaubte Glas Wein am Schluss gemeinsam mit Ludmilla zu trinken. „Das Essen bestelle ich dann mit der Band während der Spielpause.“ So nahe an der Bühne zu sitzen hatte auch seine Nachteile. Gegen die Lautstärke setzte sie routiniert ihre Ohrenstöpsel ein. Wenn das Theo wüsste, Firmenmaterial während der Freizeit nutzen! Sie musste innerlich über diesen Gedanken lachen. Wenn sie Theo davon berichtete, würde er sicher Herrn Stock beauftragen, ihr ein Hunderterpack herauf zu bringen. „Damit du mir nicht schwerhörig wirst“, könnte sein Kommentar hierzu lauten. Meistens saß sie auf der Bank an der Fensterseite, um wenigstens den freien Blick auf die Bühne zu genießen.

Bei manchen Liedern, sie kannte ja das Programm, stand sie auf, um einen Stehplatz am anderen Ende des Saales einzunehmen. Dort waren die einzelnen Instrumente akustisch besser auszumachen. Einige professionelle Jazzanbeter taten es gleichermaßen, so dass auf der Freifläche zuweilen ein kleines Gedränge entstand. Manche Gesichter erkannte sie wieder, der Rezzo konnte zum Glück nicht mehr auftauchen. Die meisten kamen wegen der wirklich guten Musik, viele schätzten das Essen und natürlich das Bier. Einige wenige kamen auch, um Kontakte zu knüpfen. „Magst du dich nachher zu mir an den Tisch setzen?“, bekam Marion häufiger zugeraunt. Manche waren wirklich nette Typen gewesen, aber es war nie einer dabei, der sie davon abhalten konnte, wieder an ihren Künstler-Tisch hinten links zurückzukehren. Das erste Lied war der Band gelungen. Das Publikum spendete treuen Applaus. Der Anfang war also geschafft. Die Aussteuerung der Verstärker war in Ordnung. Marion hatte also keine Veranlassung, nach vorne zu gehen um Axel, der auch für das Mischpult zuständig war, einen Hinweis zum Nachjustieren zu geben.

Die nächsten zwei Stücke, bis zur ersten Pause, wollte sie in dieser Stehposition am Eingangsbereich verbleiben. Als drittes Stück präsentierte die Band Sing Sing Sing von Louis Prima, für die sechsköpfige Formation eine echte Herausforderung. Hier konnte Ludmilla mit ihrem Saxophon richtig brillieren, Tim am Schlagzeug gab alles und auch die anderen standen nicht zurück. Das Publikum war derart begeistert, dass es nach diesem Stück bereits stehenden Applaus spendete. Marion erntete neidvolle Blicke, als sie in Gassenjungenart ihre Zeigefinger in den Mund nahm und mit schrillen Pfiffen ihre Begeisterung kundtat. Da wurde sie an ihrem rechten Arm ergriffen. Marion wähnte einen besonders plumpen Annäherungsversuch eines Biersüchtigen und wollte schon zum Gegenschlag ausholen. Vorsichtshalber schaute sie sich den Grapscher zuvor noch an. „Hallo Marion, tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe. Ich habe mich halt so gefreut, dich hier anzutreffen.“ Marion ließ die Hand wieder sinken. „Ach Tamara, du bist es ja! Entschuldige bitte, ich dachte schon so ein Aufdringling würde sich an mich heranmachen.“ Tamara ging trotz des Gedränges zwei Schritte zurück, um Marion von oben nach unten zu mustern. „Du hast dich aber auch heiß angezogen. Engere Jeans hast du wohl nicht mehr gefunden und dann noch dieses anliegende Top! Da sollen die Männer nicht verrückt werden? Du siehst wirklich super aus!“ Marion freute sich über das Kompliment ihrer fünfundzwanzig Jahre jüngeren Kollegin. „Jetzt übertreibst du aber! Und was ist mir dir? Rote High Heels, die dich größer machen als mich, dann das kecke Röckchen. An deiner Bluse könntest du auch noch drei Knöpfe schließen. Pass nur auf, dass dir nichts hinunterfällt, denn bücken darfst du dich so nicht.“ Tamara ging wieder auf Marion zu und ergriff sie erneut am Arm. „Ich bin heute zum ersten Mal hier, die Musik, die ich beim Hereinkommen hören konnte war atemberaubend und die Stimmung hier drin, echt super und das schon zu Beginn des Konzertes! Aber weißt du, was das Beste ist?“ Marion hatte keine Ahnung, was Tamara meinen könnte. Bis plötzlich ein sportlicher Mann, kaum älter als Tamara, herantrat. „Guten Abend Frau Bleibtreu.“ Tamara freute sich über den staunenden, fragenden Blick Marions. „Erkennst du meinen Begleiter denn nicht?“ Marion stellte sich dem Quiz. „Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor, ich kann es aber nicht einordnen.“ Tamara hinderte ihren Begleiter, das Rätsel zu früh zu lösen. „Sag noch nichts! Das ist Sven, er wird uns heute Abend beschützen.“ Marion schaute in das freundliche Gesicht mit seinem gepflegten Bart. Dann erinnerte sie sich. „Kann das sein, dass ich deinen Beschützer, dass ich Sie einmal, in einer Lederkombi gesehen habe? Und ihr Motorrad hatte zwei so schmückende blaue Lampen?“ Der Angesprochene nickte zustimmend. „Also sind Sie Herr Hartmann, schönen guten Abend auch Ihnen.“ An Tamara gewandt, „Das habe ich mir schon an jenem Tag gedacht, als du so schmachtvoll das Davondonnern dieses Polizeimotorrades von unserem Fabrikhof verfolgtest. Wie ich heute bestätigt sehe hatte dich mehr der aufregende Mann in der Kombi beindruckt.“ Die drei hätten sich sicher noch eine Weile derart geneckt. Aber die nächste Musikstaffel wurde angekündigt. „Nachdem die Tische nahezu alle belegt sind, lass uns einstweilen an den Tisch hinten in der Ecke gehen. Der ist eigentlich für die Musiker reserviert, ich darf da aber als Anhängerin mit Sonderstatus dort auch sitzen und für euch werde ich ein Wort einlegen.

Marion, Tamara und Sven Hartmann lösten sich aus dem Gedränge der Stehzone und schlängelten sich zügig an den besagten Tisch neben der Bühne. Helen hatte bereits den nächsten Titel angekündigt. Dem aufmerksamen Tim war die nahende Dreiergruppe jedoch nicht entgangen und wartete noch einige Sekunden mit seinem Startbeat, bis Marion und ihre Gäste sich auf die Eckbank gesetzt hatten. Für eine Unterhaltung war es beinahe zu laut, es gab aber auch genug zu hören und zu sehen. Tamara war das erste Mal bei einem Konzert der Crazy-Ladies-Band. Sie musste unbedingt einen Kommentar loswerden und formte ihre Hände zu einem Trichter vor ihrem Mund und rief Marion mit einer Kopfwendung ins Ohr: „Ludmilla Wolja, unsere Meisterin der Spätschicht, auf der Bühne mit einem Saxophon. Was für ein Bild! Die sechs spielen echt super!“ Sven Hartmann, der rechts von Tamara saß, musterte das Publikum mit besonderer Aufmerksamkeit. Tamara lehnte sich an seine Schulter und so konnte Marion ihn ihrerseits beobachten. Sie hätte den Polizeihauptmeister gerne gefragt, ob er jemanden bestimmten suchte, verkniff es sich jedoch, über Tamara hinüber zu rufen. Einstweilen begnügte sie sich damit, festzustellen, dass Tamara und dieser Sven zumindest optisch gut zusammenpassten. Auch wenn sie sich in das Privatleben ihrer Assistentin nicht einmischen wollte, war sie doch sehr zufrieden, diesen smarten Beschützer an ihrer Seite zu wissen.

Um zehn war die erste größere Pause und die Jazz-Musiker verließen, begleitet von tosendem Applaus, die Bühne. Ein allgemeines Treiben und Gewusel setzte ein, Getränke und Speisen wurden gereicht, die Toiletten wurden aufgesucht und die Bar belagert. Der Künstlertisch konnte bequem acht Personen aufnehmen, heute würden es aber mit Marions Gästen neun werden. Die drei Musikerinnen zogen sich erst in die Künstlergarderobe zurück. Dimitri, Axel und Tim näherten sich schon mal ihrem Tisch und Marion machte die Gruppe untereinander bekannt. „Marion, hast du uns weitere Anhänger mitgebracht?“, lautete die unkomplizierte Begrüßung durch Axel Bär. Die Gruppe setzte sich hin und besprach, was sie heute essen sollte. Die Speisekarte benötigte sie schon lange nicht mehr zu ihrer Entscheidungsfindung. Inzwischen waren auch die musizierenden Damen gekommen. Erneut standen Marion, Tamara und Sven Hartmann auf, um sich nun Ludmilla, Helen und Julia vorzustellen. Helen und Julia setzten sich auf die noch verbleibenden freien Stühle zwischen Tim und Sven. Marion und Ludmilla unterhielten sich einige Zeit im Stehen. Axel, der an der Kopfseite des Tisches saß bat die zwei sich endlich auch herzusetzen. „Wenn es euch auf der Bank zu viert zu eng wird, darf eine gerne auf meinem Schoß Platz nehmen!“ Ludmilla drückte Axels Schultern, „Das hättest du wohl gerne, aber dann könntest du doch deinen Leberkäs nicht ungestört essen.“ Sven Hartmann machte bereits Anstalten aufzustehen, wurde von Ludmilla aber zum Bleiben aufgefordert. „Herr Hartmann, bleiben sie nur hier. Wenn ich Sie beide richtig einschätze, kann ihre Angebetete noch ein wenig zu Ihnen aufrücken. Komm Marion, wir beide schnuckeln uns auf die Bank dazu.“ Tamara nahm die Aufforderung an und drückte sich fest an ihren Kavalier. Marion rückte etwas nach und Ludmilla drückte sich mit einem herzlichen Lachen an ihre linke Seite. „Dass ich nicht beiße, weißt du ja!“ Marion durfte sich nicht beklagen, hatte sie doch zwei Gäste mit an den Tisch gebracht. Sie musste sich eingestehen, sich recht geborgen zwischen Tamara und Ludmilla zu fühlen. Die Sitzordnung war nun geklärt und dem inzwischen wartenden Clemens konnten die Essens- und Getränkewünsche übermittelt werden.

Bei der Vorstellungsrunde antwortete Sven Hartmann auf die Frage „Was er denn so mache?“ ausweichend er sei sportlich aktiv. Ludmilla ließ diese Antwort nicht in Ruhe, sie rätselte wie Marion anfangs auch. „Sag mal Marion, Tamaras Freund haben wir doch schon mal gesehen?“ Marion konnte auch nur ahnen, weshalb Herr Hartmann inkognito bleiben wollte. Sie flüsterte ihr ins Ohr, „Ja, das ist der Polizist, der die Kommissarin seinerzeit begleitete. Lass ihn heute Abend als Sportlehrer durchgehen. Er wird schon seine Gründe haben.“ Ludmilla näherte sich Marion nun ihrerseits, „Tamara können wir nur zu diesem Begleiter beglückwünschen!“ Axel war mit seinem Leberkäse samt Bratkartoffeln beschäftigt, aber der spartanische Dimitri, blickte von seinem gemischten Salat mit gebratenen Pilzen immer wieder auf. „Sagt mal ihr zwei, was habt ihr denn für Geheimnisse? Ihr habt da ein Getuschel wie so sechzehnjährige Schulmädchen!“ Auf einmal schauten alle am Tisch zu den Ertappten. Marion war die Situation beinahe unangenehm. Ludmilla war jedoch schlagfertig. „Wir zwei haben uns gerade darüber unterhalten, wer von euch Männern der schönste sei. Und das ist ja nicht für die Öffentlichkeit gedacht.“ Axel ging sofort darauf ein, „Ist euch das immer noch nicht klar? Das bin doch wohl ich!“ Damit war diese Situation ausgestanden.

So plätscherte der Abend dahin, mal fetzige Rhythmen, mal unterhaltsame Pausen und ausgelassene Gespräche. Einmal standen Helen und Axel zu zweit auf der Bühne. Ihre sanfte Stimme und sein sonoreres Bassinstrument gaben ein elegisches Klangbild ab und selbst hartgesottene Jazzer verharrten in absoluter Stille. Ludmilla saß gerne an Marions Seite. Sie, die sonst immer die Leitwölfin auf der Bühne war, konnte sich endlich einmal der Stimmung hingeben. Melancholie erfasste sie. Ihr Mund näherte sich Marions linkem Ohr und sie begann leise zu reden: „Marion, das war sehr lieb von dir, dass du mir bei dieser Rezzo-Affäre so zur Seite standst. Immerhin kam ich an diesem Abend dann in den Genuss, einmal in deiner Wohnung Klavier spielen zu dürfen.“ Marion blickte sich um. Tamara und Sven Hartmann standen mit Julia an der Bar, Dimitri und Tim hatten ihre Stühle gewendet, um besser auf die Bühne blicken zu können. Marion wandte ihr Gesicht nach links. Ludmilla war ihr noch nie so nah gewesen, ein betörender Duft umgab sie. Sie blickten sich in die Augen. „Ich habe es auch sehr genossen, mal nicht alleine zu Abend zu essen. Und die Melodien, die du meinem Klavier entlockt hattest, waren zauberhaft.“ Noch einmal flüstert Ludmilla ihr etwas zu.

Um ein Uhr morgens stand die Band zum großen Finale auf der Bühne. Bei Rusk Og Rask hatte Dimitri seinen größten Auftritt. Die Saiten seiner E-Gitarre waren dem Reißen nahe. Von Quincy Jones führte die Band im Anschluss Quintessence auf und Ludmilla konnte mit ihrem Saxophon noch einmal demonstrieren, wer der Star der Band war. Und den fulminanten Abschluss bildeten die sechs Edelmusiker mit Hit The Road Jack von Percy Mayfield. Helens Stimme hielt bis zum letzten Ton. Sie stand ganz vorne am Rande der Bühne, das Mikrofon in nun zittrigen Händen. Für beklemmende Sekunden wurde es mucksmäuschenstill. Helen verbeugte sich und auf einmal setzte ein frenetischer Applaus ein. Mit neunzehn Jahren hatte diese Sängerin die Herzen dreimal so alter Jazzer erobert. Als sie sich wieder aufrichtete rannten dicke Freudentränen über ihre Wangen. Ludmilla kam nach vorne und umarmte ihre junge Kollegin. Julia, mit der hellen Trompete, trat als dritte Frau dazu, gefolgt von ihren männlichen Kollegen. Der Beifall nahm kein Ende. Siegmar Held, der Geschäftsführer der Brauerei ließ es sich nicht nehmen, den Damen dicke Blumensträuße zu überreichen. Die Männer bedachte er jeweils mit einer Flasche edlen Rotweins. Endlich wurde es leiser.

Die Stammgäste wussten, was nun kommen würde. Die dreiundzwanzigjährige Julia Raab löste sich von der Reihe auf der Bühne und stellte sich links vorne hin. „Liebe Gäste! Die Crazy-Ladies-Band hat uns wieder einmal einen unvergesslichen Abend beschert. Ich hoffe sie waren auch mit dem Essen und unserem Service zufrieden. Mein Team und ich würden uns sehr freuen, sie beim nächsten Konzert hier wieder begrüßen zu dürfen.“ Sigmar Held wartete einen Augenblick, bis er fortfuhr. „Bevor ich Sie auf einen guten Nachhauseweg in die Nacht entlasse, möchte ich Sie bitten aufzustehen und den besonderen Trompetentönen unserer Julia in Stille zu lauschen.“ Diejenigen, die an diesem Tag das erste Mal dabei waren taten es den anderen gleich und standen voller Erwartung auf. Das Stühlerücken verklang, die Kellner stellten die letzten Gläser und Tabletts ab. Das große Tor fiel in das Schloss. Liebende lösten sich aus ihrer Umarmung, um sich wie die anderen zur Bühne zu wenden. Coole Jungs, die den ganzen Abend mit einer Kopfbedeckung dasaßen, entblößten ihr Haupt. Das Licht wurde bis auf das Notlicht ausgeschaltet, die Bühnenscheinwerfer erloschen. Lediglich ein warmer Lichtkegel beleuchtete Julia Raab. Eine feierliche Ruhe lag über dem Saal. Julia setzte ihr Instrument an, es funkelte im verbleibenden Scheinwerferlicht. Ihre Lippen formten sich und Luft durchströmte das Mundstück. Was für Klänge hallten durch den erst ausgelassenen Saal. Ernst dreinblickende Männer hoben den angewinkelten Unterarm an die rechte Schläfe, andere legten die rechte Hand an ihr Herz, sichtlich ergriffene Frauen bekreuzigten sich, als das Gebet aus dem Großen Zapfenstreich derart hingebungsvoll gespielt wurde. Sven Hartmann lief es eiskalt den Rücken hinunter. Er musste an seinen Vater denken, der vor neun Jahren in Afghanistan gefallen war. Er kämpfte mit den Tränen, er war nicht der einzige.

Donnerstag, 25. Juni 2015

Marion war noch etwas mitgenommen von der langen Nacht. Die Musik im Jazz-Keller hatte sie derart in Schwung gebracht, dass sie, als sie endlich im Bett lag, Mühe hatte, einzuschlafen. Auch hing sie in Gedanken noch an manchem Gespräch, das sie führte. Aber in all den Jahren war sie am Tag darauf, wenn sie nicht gerade Urlaub hatte, stets diszipliniert aufgestanden und in die Firma gegangen. Immerhin, das Treppensteigen regte ihren müden Kreislauf an und als sie den Gang oben entlang ging, winkte ihr Theo freudig zu. „Daniel wartet schon im Besprechungszimmer auf uns, um von seiner Reise zum Werkzeugmacher zu berichten. Und Julius hat dir bereits einen Morgenkaffee gebrüht!“ Marion konnte nicht einmal ihre Tasche im Büro abstellen, so wichtig hatten es die Herren mit ihrer ersten Unterredung. Daniel waren die zwei Reisetage mit Carlo Callini nach Norditalien anzusehen. Auch er schien wenig Schlaf gehabt zu haben. Aber er fieberte danach, seine Erlebnisse und Erkenntnisse der Geschäftsleitung mitzuteilen. Und er wollte natürlich auch erfahren, wie die Verlagerung der Maschinen abgelaufen war. Wie meist um diese Zeit, hatte Theo seine Tee Tasse mit jenem Darjeeling vor sich stehen. Julius hatte es sich nicht nehmen lassen, für Marion und Daniel einen Mildgerösteten einzuschenken und reichte die dampfenden Tassen gönnerhaft weiter. Theo ergriff nun das Wort. „Daniel, danke, dass du trotz der anstrengenden zwei Tage schon zu solch früher Stunde hier bist, um uns zu berichten.“ Mit Blick zu Marion sagte er, „Tamara hatte vor zehn Minuten angerufen und gebeten, sie heute Vormittag zu entschuldigen. Sie sei gestern Abend bei einem Jazz-Konzert gewesen und daher erst spät ins Bett gekommen. Wir gönnen ihr den morgendlichen Schlaf doch gerne?“ Marion hatte die Tasse in der Hand und schlürfte vorsichtig von dem heißen Getränk. Ob ihr Schlafmangel von den anderen erkannt wurde und Theo wusste, dass sie auch bei jener ausgelassenen Veranstaltung gewesen war? Marion wollte davon nicht berichten, jedenfalls nicht hier und überlegte, ob in dieser Minute Tamara mit ihrem smarten PHM frühstücken würde. „Ja, dafür ist die Gleitzeit ja da. Es wird deswegen nichts Dringendes liegen bleiben.“ Sie blickte dankbar zu Julius hinüber. „Dein Kaffee ist wirklich gut, vielen Dank!“ Dann wandte sie sich an Daniel. „Also, ich bin ja auch gespannt, wie es dir die letzten zwei Tage erging.“

Daniel begann nun mit seinem Bericht. Die Reise mit dem Entwickler von Color-Mix, Carlo Callini, zum Werkzeugmacher Luca Solivetti in Malnate verlief reibungslos. Die gute Vorbereitung der Reise hatte sich bewährt. Die Erstellung des Werkzeuges für den CM17 war voll im Plan und bei Solivetti und seiner Firma in den besten Händen. Die Erstellungskosten jedoch waren strittig geblieben. „Theo, ich glaube es wird gut sein, wenn du das nächste Mal mit dabei bist. Ich hatte den Eindruck gewonnen, dass ein Luca Solivetti mit Carlo Callini von Color-Mix und mir zwar kompetent und verlässlich über technische Aspekte redete, über die kommerzielle Seite mit ihm jedoch überhaupt nicht diskutiert werden konnte.“ Marion war inzwischen munter geworden. Daniels Bericht hatte sie interessiert und Julius Kaffee hatte ein Übriges getan. „Theo, das wird für dich eine große Aufgabe werden, deinen italienischen Werkzeugmacher auf die Einhaltung des Kostenzieles zu drängen.“ Theo, der eigentlich der Angesprochene war, ahnte was seine Prokuristin andeuten wollte. „Marion, was willst du damit sagen? Soll ich beim nächsten Termin im August eine abendliche Flasche Wein mit Luca trinken und von Unternehmer zu Unternehmer auf weitere gemeinsame Projekte und Erfolge anstoßen?“ Marion nickte mit einem Lächeln auf den Lippen. Julius blies in dasselbe Horn. „Für die wirklich schwierigen Sachen braucht man einfach den Chef.“ Marion brachte es schließlich auf den Punkt. „Und am nächsten Morgen kannst du dann das Kostenthema ansprechen. Du solltest nur darauf achten, dass die Reisespesen nicht höher als die verhandelte Ersparnis werden.“ Theo war über das Ergebnis von Daniels Geschäftsreise zufrieden. Und dass er als Firmeninhaber auch einmal Präsenz beim Werkzeugmacher zeigen sollte, war für ihn völlig in Ordnung. „Daniel, das haben wir deiner erfolgreichen Arbeit in Malnate zu verdanken, dass wir nun recht ausgelassen über meinen Beitrag hierzu reden können. Die Konstruktion des Werkzeuges steht, die Erstellung ist im Zeitplan und Herr Callini von Color-Mix scheint auch zufrieden. Vielen Dank! Im August ist sowieso vorgesehen, dass ich den zweiten Vororttermin wahrnehme und hierbei werde ich auch versuchen, die Kostensituation zu klären.“

Nun war es an Julius, von den Ereignissen in Wöckingen zu berichten. Daniel hörte aufmerksam zu und erkannte sofort, wo er unterstützen konnte. „Bei der Einrichtung der Drahtbiegemaschine kann ich euch sicher helfen. Die Beschaffung der notwendigen Rechenmodelle sollte keine Schwierigkeiten bereiten. Ich werde gleich im Anschluss an diese Besprechung den Maschinenhersteller anrufen.“ Julius freute sich sichtlich, er hatte sich über die Möglichkeiten des Konstrukteurs nicht getäuscht. Marion hatte auch noch eine Information für alle. „Damit ihr es wisst, ich werde heute so gegen neun Uhr mit Clara Schick nach Wöckingen aufbrechen. Sie wird mit der Schulung der dortigen Mitarbeiter an der Klöckner beginnen. Ich werde mir mit Bernd Schlot erneut die Produktionsflächen für TT anschauen. Ich benötige noch einige Informationen, um die Kennzahlen für unsere Kalkulationen zu aktualisieren.“ Marion schaute fragend in die Runde. „Du und deine Assistentin habt da auch noch eine offene Baustelle. Das ist gut, dass ihr keine Zeit versäumt, die Auswirkungen der verlängerten Werkbank auf unsere Kostenstruktur zu ermitteln. Frau Schick zur ersten Schulung mitzunehmen unterstütze ich voll und ganz. Ich wünsche euch viel Erfolg dort.“ Marion hatte noch ein weiteres Thema, das sie ansprechen wollte. „Und am späten Nachmittag wird ein Student der Hochschule Donauringen bei mir aufschlagen. Er möchte ein praktisches Semester bei TT absolvieren. Die Bewerbungsunterlagen und ein erstes Telefongespräch klangen recht vielversprechend. Vielleicht kann er nach einer gewissen Einarbeitungszeit Tamara während den turbulenten Sommermonaten etwas zur Hand gehen.“ Theo blickte in seinen Kalender. „Marion, ist das für dich ok, wenn ich bei diesem Personalgespräch nicht dabei sein werde?“ Marion nickte zustimmend, „Tamara hat Herrn Dinero eigentlich ausfindig gemacht. Sie wird mächtig stolz sein, wenn sie bei diesem Gespräch dabei sein kann. Wir binden uns ja nur für drei Monate, da können wir diese Verantwortung durchaus übernehmen.“ Die Führungsmannschaft hatte alles Notwendige besprochen, „Also dann lasst uns loslegen!“, beendete Theo die morgendliche Runde.

Tamara war noch nicht eingetroffen und Marion genoss für einige Minuten die Ruhe im Büro. Sie musste sich eingestehen, dass sie sich riesig freute, Bernd Schlot wieder zu sehen. Plötzlich schwirrte ihr der gestrige Abend durch den Kopf, die Musik, die Band-Mitglieder, Tamara mit ihrem Sven Hartmann und schließlich Ludmilla. Die Büropflanzen waren gegossen und Marion musste sich nun doch auf das Geschäftliche konzentrieren. Sie begann die Post und die E-Mails zu sichten und stellte befriedigt fest, dass der Betrieb die nächsten Stunden ohne sie gut laufen würde. Tamara würde irgendwann ja auch noch aufkreuzen. Es dauerte nicht lange und Clara Schick stand in der Türe. „Guten Morgen Frau Schick! Das ist schön, dass Sie mich nach Wöckingen begleiten wollen. Inzwischen müssen Sie sich da ja fast wie zu Hause fühlen.“ Mit einem Lächeln reichten sie sich die Hände. „Guten Morgen Frau Bleibtreu, ja, unsere Produktion in Wöckingen ist mir recht vertraut. Die Spritzgießmaschine läuft dank der Unterstützung durch Herrn Stetig inzwischen spitzenmäßig. Die Henkel aus der Drahtbiegemaschine sind leider noch nicht so toll, ich habe aber gehört, dass unser Daniel die Einstellparameter für die Rollensätze heute noch ermitteln möchte. Das wäre prima, wenn wir das diese Woche hinbekämen.“ Frau Schick blickte kurz zum Fenster hinaus. Auch wenn es noch früh am Tage war, ließen die Sonnenstrahlen und die wenigen Wolken einen lieblichen Frühlingstag erahnen. „Und wenn ich ehrlich sein darf, Frau Bleibtreu, freue ich mich riesig darauf, in ihrem schönen Wagen nachher mit offenem Verdeck zu fahren.“ Marion nahm ihre Tasche und die beiden gingen den Gang entlang und die Treppe hinunter. „Ja, ja, Frau Schick, jetzt erfahre ich endlich, was Sie so sehr an mir schätzen! Aber, um ehrlich zu sein, ich freue mich auch, mit Ihnen und offenem Verdeck in den Junimorgen hineinzufahren. Die Pflicht wird uns bald genug wieder rufen.“

Nach der kurzen Nacht und der ersten Besprechung war Marion dankbar einige Zeit an der frischen Luft zu verbringen. Noch auf dem Fabrikhof öffnete sie das automatische Verdeck. Clara Schick war gut vorbereitet auf diese Dienstreise. Denn auch sie hatte kaum als die Fahrt begann, eine Mütze aus ihrer Tasche gekramt und aufgesetzt. Als die zwei auf der Bundesstraße waren und die Fahrt zügiger