Wenn die Liebe nicht wär - Anny von Panhuys - E-Book

Wenn die Liebe nicht wär E-Book

Anny von Panhuys

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Beschreibung

Die Familie von Prinzessin Christine hat ein Problem: Die Finanzen ihres Vaters sind arg zerrüttet und er schuldet hohe Summen. Da naht die Rettung in Gestalt ihres Onkels, des Ministers Reichsfreiherr Detlev von Sorkum. Er weiß einen Ausweg. Allein – dazu müsste die Prinzessin seine Hoheit den Herzog von Langenbruch heiraten, der über den Onkel um ihre Hand anhält, den sie selbst aber noch nie auch nur gesehen hat. Prinzessin Christine ist empört. „Ich bin keine beliebige Ware, die man einfach erwirbt, weil man sie zu besitzen wünscht." Doch die geisterhafte Erscheinung einer schwarzgekleideten Nonne, die Christine mit der seit alters eng mit dem Geschick der Familie verbundenen Klosterfrau Theresia und ihrer Prophezeiung vom künftigen Glück der Familie in Verbindung bringt, setzt bei Prinzessin Christine einen Prozess der Veränderung in Gang … Anny von Panhuys hat einen herrlich romantischen, geheimnisvollen Liebesroman aus der Welt des Adels geschrieben, der die Herzen der Leser von den ersten Seiten an fesselt!

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Anny von Panhuys

Wenn die Liebe nicht wär

Roman

Saga

Wenn die Liebe nicht wär

© 1920 Anny von Panhuys

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711570128

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Der ganze westliche Himmel schwamm in Gluten. Wie mit Blut überrieselten die Strahlen der scheidenden Sonne die vor kurzem noch weissrosigen Wölkchen und wandelten sie zu schimmernden Purpurdecken. Gleich einem weichen Gespinst aus Altgoldfäden hingen die Strahlen nieder und drängten sich durch die schmalen Kirchenfenster, deren kleine Quadrate mit Heiligen in bunten, wallenden Gewändern gemalt waren. Das ergab ein wirres, schönes Farbenspiel.

Prinzessin Christine huschte durch die breite, eisenbeschlagene Kapellentür und ging auf den Fussspitzen den Mittelgang bis zum Altar hinauf. Die Sonnenfädchen verfingen sich in dem reichen, mattblonden Haargelock und verzauberten es, ein Kopfschmuck aus lichtem Golde zierte jetzt die kleine, schmale Prinzessin.

Es war, als ahne sie, wie wunderschön sie in diesem Augenblicke aussah, denn ein Lächeln hing sich um ihren Mund und blieb dort, wie der Nachklang eines lieben Wortes, liegen.

Prinzessin Christine trat an das Gestühl zur Linken und schob sich in eine hochlehnige Bank, die nur zwei Plätze aufwies. Darin sass die blonde, zierliche Prinzessin wie verloren, und der feine Kopf drückte sich gegen die Rückwand der Bank, deren wuchtige, schwerfällige Schnitzerei sich um ein Wappen wand. Ein Kreuz, eine Reiterpistole und zwei Lilien.

Das war das Wappen der Fürsten Ittenhausen-Sirrenbach. Das Wappen wiederholte sich an der Kanzel und auf den Steinplatten des Fussbodens um den Altar herum.

Unter den Steinplatten befand sich die Familiengruft, und sie lagen alle da unten, die dem Geschlechte Ittenhausen-Sirrenbach angehört hatten, bis auf die Frau, durch die ehedem die Lilien in das Wappen gekommen. — —

Prinzessin Christine war eine Träumernatur und sann gern über Zeiten nach, deren Schritte längst verweht waren, sie grübelte Dingen nach, deren einstige Wirklichkeiten in der raschen Geschäftigkeit unserer Tage wie Sagen anmuteten. Aus der Geschwätzigkeit und dem Klatsch des Ittenhausener Schlosses rettete sich Prinzessin Christine gern — wie auf eine Oase in der Wüste — in Vergangenheiten, die sie nicht kannte, aber deren Odem sie noch zu spüren meinte, sie fand da so vieles, über das sie nachgrübeln konnte. —

Drüben an der Wand lockte die Sonne ganze Strahlenbündel aus einem mit einem breiten Holzrahmen eingefassten Bilde. Ein Märtyrer, ungeschickt und doch liebevoll auf Elfenbein gemalt, war von einem kunstvoll geflochtenen Kranze von Golddrähten eingeschlossen, an deren hochgebogenen Enden grüne und rote Steine wie Blätter von scharfem Frühlingsgrün und dicke schwere Blutstropfen sassen. Das Kunstwerk hatten einst die geschickten Hände der Klosterfrau Theresia, durch welche die Lilien in das Familienwappen gekommen, in einem Kloster am Rhein, in dem sie die letzten zehn Jahre ihres Lebens zugebracht, angefertigt. Die Klosterfrau Theresia war, ehe sie die Stille der Zelle und den Rosenkranzgürtel erkor, eine Gräfin Ittenhausen-Sirrenbach gewesen — den Fürstentitel erhielten die Ittenhausen erst später — und hatte, da sie sich nach dem Tode ihres Gemahls nicht mit den beiden Söhnen verstand, Namen und Heimat aufgegeben. In dem rheinischen Kloster sollte sie ruhen. Aber da das Kloster schon seit über hundert Jahren seinem eigentlichen Zwecke nicht mehr diente, wusste heute niemand mehr, wo die Klosterfrau Theresia ihre letzte Stätte gefunden. —

Prinzessin Christine hob lauschend den Kopf, die schwere Tür hatte etwas geknarrt. Die Prinzessin wandte sich leicht zur Seite und mit einer kleinen Sorgenfalte zwischen den schmalgestrichenen Brauen sah sie dem sehr mageren, in seiner Haltung leicht vornüber geneigten Herrn entgegen, der langsam den Gang heraufkam. Eine sehr gepflegte Hand hob sich Christine schon von weitem wie grüssend entgegen, und ein paar kostbare Ringe blitzten auf.

Minister Reichsfreiherr von Sorkum lächelte mit zu unnatürlich jungen, zu unnatürlich weissen Zähnen.

Er war inzwischen ganz nahe gekommen.

„Immer findet man Prinzessin in der Kapelle,“ flüsterte der alte Herr dem jungen Mädchen zu, und ihr die Rechte bietend, nahm er neben ihr Platz.

„Guten Tag, Onkel Exzellenz,“ die schönen, blauen Mädchenaugen ruhten wie fragend auf dem feinen, rosigen Altmännergesicht, in dem der winzige, kohlrabenschwarz gefärbte Schnurrbart wie angeklebt sass.

Der alte Herr zuckte die Achseln.

„Hier ist nicht der rechte Ort, Ihnen Näheres zu erklären, Prinzesschen, aber Ihr Papa rief mich noch just zur rechten Zeit, das möge Ihnen vorerst genügen.“

„Just zur rechten Zeit,“ sprachen die Mädchenlippen nach. „Gottlob, dann lässt sich also alles wieder ins rechte Geleise bringen.“

Es klang wie eine Frage.

„Ich hoffe, Prinzesschen,“ flüsterte es zurück, „immerhin handelt es sich um grosse Summen, die der Vater schuldet, doch es muss sich Rat finden. Aber wir wollen in irgendeinem Zimmer darüber reden, Christine,“ ging die Flüsterstimme weiter, „der Ort hier eignet sich, wie gesagt, nicht zu einer so weltlichen Unterhaltung.“

Die schmale Prinzessin erhob sich und die Lackstiefel des alten Hofmannes knarrten leise, da er neben ihr den Kapellenraum des Schlosses verliess.

Im sogenannten grünen Zimmer setzten sich beide nieder, und der Minister erklärte in leicht gedämpftem Tone:

„Ihr Papa hat Sie ja eingeweiht, dass seine Finanzen arg zerrüttet sind, und ich habe mich ordentlich mit ihm über die Lage der Dinge ausgesprochen. Auch ist bereits — und das ist wie ein förmliches Wunder — ein Mittel gefunden, alle Schwierigkeiten zu benehmen —, und zwar ist das in Ihre Hand gegeben.“

Das letzte ward fast am leisesten, aber so stark betont hervorgebracht, dass es sich über die anderen Worte erhob.

„Weiss Papa, dass Sie jetzt mit mir über seine Angelegenheiten reden?“ fragte Prinzessin Christine wie in scheuer Befangenheit.

„Natürlich,“ nickte der alte Herr, „auf Sie kommt es doch bei der ganzen Geschichte an.“ Nach einer kleinen Pause stand er auf, verbeugte sich tief und sagte mit weicher, verschleierter Diplomatenstimme:

„Ich habe die Ehre, im Namen meines Herrn, Seiner Hoheit des Herzogs von Langenbruch, um die Hand der Prinzessin Christine zu bitten.“

Die Prinzessin ward rot und blass, während es sich stossweise über ihre Lippen quälte:

„Das ist doch wohl nur ein Scherz, Onkel Exzellenz.“

Der alte Herr legte seine Rechte, an der die Nägel wie Perlmutter glänzten, auf die feingesältelte, gestärkte Hemdbrust.

„Mit solchen Dingen scherzt man nicht, dazu steht mir sowohl die Person meines Herzogs als auch Ihre Person viel zu hoch.“

„Aber der Herzog kennt mich nicht, und ich kenne ihn ebenfalls nicht,“ sprach der Jungmädchenmund erregt.

Reichsfreiherr von Sorkum lächelte sein verschmitztestes Diplomatenlächeln.

„Der Herzog kauft keine Katze im Sack, er hat Sie bereits mehrmals gesehen und sich sogar ganz unrettbar verliebt in die hübscheste Prinzessin weit und breit.“

„Dann müsste ich ihn doch auch kennen — —“ antwortete das junge Mädchen kurz. Plötzlich blitzte es zornig in den Blauaugen auf.

„Ich bin keine xbeliebige Ware, die man einfach erwirbt, weil man sie zu besitzen wünscht, Onkel Exzellenz, und Sie als Vaters alter Jugendfreund müssten das doch wissen. Ihr Herzog hätte, wenn ihm etwas an mir liegt, lieber in eigener Person kommen sollen, anstatt so selbstverständlich anzunshmen, ich würde gleich ‚Ja‘ und ‚Amen‘ sagen, wenn er mir die Ehre antut. Wenn ich auch nur eine arme Prinzessin bin und er ein regierender Fürst ist, so bin ich doch zu stolz, ohne Liebe zu heiraten, und ich liebe ihn nicht. Nein, nein, nein, ich liebe ihn nicht!“

Minister von Sorkum machte grosse Augen.

„Aber, Prinzesschen, wie kann man sich nur so gehen lassen, gut, dass niemand ausser mir hier im Zimmer anwesend ist!“

Sieh mal einer an, er wusste gar nicht, dass die kleine Ittenhausen solch Temperament entwickeln konnte. War doch für gewöhnlich immer so sanft und still, die einzige Tochter vom lebenslustigen Wolfgang Ittenhausen. — Hm — und er kannte sie doch von klein an. Hatte sogar Pate bei ihr gestanden.

Die Prinzessin sank jetzt wie ermüdet auf ihren Stuhl zurück.

„Verzeihen Sie, Onkel Exzellenz, aber dass ich, damit Vaters Verpflichtungen geordnet werden können, einen ungeliebten Mann heiraten soll, das hat mich in Harnisch gebracht.“

Der alte Herr schüttelte den Kopf.

„Mädelchen, Sie reden ohne Überlegung! Dinge, die einem im ersten Augenblick gar nicht einfallen, nach denen greift man, wenn man sich besonnen hat, oft mit Begeisterung. Hören Sie mir, bitte, zunächst einige Minuten lang ruhig zu und dann wollen wir weiter sehen.“

Prinzessin Christine faltete die Hände lose im Schosse zusammen, und leise sagte sie nach einer winzigen Pause:

„Bitte, ich höre, Onkel Exzellenz.“

Der alte Herr fuhr sich mit den sehr schmal verlaufenden Fingerspitzen über den weissen, dünnen Scheitel, liess die Hand dann wieder sinken, und seine Augen gerade auf dem Antlitz des Mädchens ruhen lassend, begann er zu sprechen. Halblaut, mit dem kleinen Bodensatz von Müdigkeit in der Stimme, den Prinzessin Christine schon von je an ihm kannte.

„Ihr Vater, Prinzesschen, ist mein bester Jugendfreund oder, um mich richtiger auszudrücken, da sein Titel hoch über dem meinen steht, ich bin der beste Freund Seiner Durchlaucht des Fürsten Wolfgang Ittenhausen. Schloss Ittenhausen und das Stammhaus meiner Familie, Gut Gerstingen, waren sich zu nahe, als dass sich nicht ein Verkehr ergeben hätte. Als kleine Jungen spielten und rauften wir miteinander, der Wolfgang und ich, wir besuchten gemeinsam das maturum und bezogen gleichzeitig die Bonner Universität.“ In den tiefliegenden Augen des Sprechenden leuchtete ein warmer Glanz auf. „Das verbindet, kittet Freundschaften. Aber das alles wissen Sie ja, Kind, und ich will deshalb weitergreifen. Später brachte uns dann das Leben auseinander. Nachdem ich Jura studiert und nach verschiedenen Übergangsphasen Regierungsrat geworden, wurde ich nach Langenbruch berufen. Dort besuchte er mich mehrmals, lernte dadurch die Hofgesellschaft kennen und in ihr auch die junge Dame, die er als Gattin heimführte. Es war zufällig dieselbe, für die sich auch mein Herz entschieden hatte. Das gab unserer alten Freundschaft einen Riss, der erst nach Jahren wieder geschlossen ward.“

Er wollte fortfahren, doch die Prinzessin unterbrach ihn.

„Aber, Onkel Exzellenz, davon ahnte ich nicht das geringste, Sie hätten meine Mutter geliebt?“

„Ja, Prinzesschen,“ der alte Herr neigte den Kopf, „ich habe Komtesse Agnes Ellrode unendlich geliebt.“ — Er hob die weissen, tadellos gleichmässig gebürsteten Brauen hoch und seufzte leise. „Die Komtesse liebte mich nicht, und der Freund zog den Glückstreffer in der Lebenslotterie. Aber von da an standen wir uns feindlich gegenüber, der Fürst Ittenhausen und ich. Sein Sohn ward geboren, ich hörte es von Fremden, und dann fünfzehn Jahre später ein kleines Mädel. Da rief er mich, es war kurz nachdem ich Minister geworden. Ich folgte dem Rufe und war dabei, als das Mädelchen in der Taufe den Namen Christine erhielt.“

Die Prinzessin lächelte versonnen und streckte dem vor ihr Sitzenden beide Hände entgegen.

„Lieber Onkel Exzellenz!“

Zärtlich und weich klang es.

Der alte Herr nickte vor sich hin.

„Bald nach der Taufe des kleinen Mädels starb die Fürstin, und ich stand neben ihrem Manne drüben in der Kapelle, da man ihre irdische Hülle einsegnete. Die alte Freundschaft war wieder stark wie einst in den Jugendtagen. Von da an kam ich zuweilen nach Ittenhausen, meist ward ich gerufen.“

Christine sagte schleppend:

„Ich weiss, ich weiss, das war immer der Fall, wenn sich Vater nicht mehr zu helfen wusste, wie jetzt auch wieder.“

Der Minister spielte mit seinen blitzenden Ringen.

„Ich half ja gern mit Rat und Tat,“ und die Stimme noch mehr senkend, fuhr er fort. „Besonders Ihretwegen, Kind, weil mein altes Herz an Ihnen hängt.“ Und dann, als vertraue er ihr ein Geheimnis an: „Sie sehen Ihrer toten Mutter sprechend ähnlich.“

Da wiederholte die Prinzessin noch einmal: „Lieber Onkel Exzellenz!“ und nach einer Weile meinte sie fragend: „Aber das hat doch gar nichts mit dem Herzog Georg zu tun?“

Der alte Herr erhob sich.

„Doch, Prinzesschen, doch, Herzog Georg ist ein guter, edler Mensch, an seiner Brust wären Sie für Lebenszeit gut geborgen, zugleich würde er immer Ihres Vaters Verhältnisse ordnen, was seinem Reichtum kaum bemerkbar sein dürfte.“

„Und mein Vater ist mit allem einverstanden, Onkel Exzellenz?“

„Aber gewiss, das erklärte ich Ihnen ja bereits. Ihr Vater ist vollkommen unterrichtet, Prinzessin, und wäre sehr glücklich über Ihr ‚Ja‘, woran er keinen Augenblick zweifelt.“ Über das mattweisse Mädchengesicht huschte eine glühende Röte.

„Sie raten mir ebenfalls zu, Onkel Exzellenz?“

„Ja, unbedingt,“ erfolgte die kurze Antwort.

Da neigte Prinzessin Christine das blonde Haupt, als drücke es eine Last nieder.

„Lassen Sie mir Bedenkzeit, ich will mit mir zu Rate gehen.“

Der Minister stand in leicht vorgebeugter Haltung.

„Klug sein, Prinzesschen, klug sein, solch ein Glück ist selten, mit beiden Händen zugreifen, wenn es sich bietet.“ Er nahm eine der zarten Mädchenhände.

„Vergessen Sie, wenn Sie mit sich zu Rate gehen, besonders das eine nicht, ich meine es gut mit Ihnen, Prinzesschen, und rate nur zu, weil ich völlig sicher bin, es ist das Rechte für Sie, glauben Sie es mir.“ Sorkum sprach wärmer, und der Bodensatz von Müdigkeit in seiner Stimme war vollständig geschwunden. „Herzog Georg ist ein Mann von Gemütstiefe und umfassender Bildung. Schon sein Vater, unter dem ich Minister wurde, war mehr Gelehrter als Regent, ohne allerdings seine Regierungspflichten auch nur im geringsten zu vernachlässigen. Und dann vergessen Sie auch das andere nicht bei Ihren Erwägungen, Kind, das Wichtigste, dass Herzog Georg Sie liebt.“

Prinzessin Christine senkte die Wimpern.

„Ich will alles bedenken und mich dann entscheiden, Onkel Exzellenz. Sie gehen wohl nun zu meinem Vater — ich bringe vielleicht schon in einem halben Stündchen Bescheid.“

Der alte Herr nickte, und während er den weiten hallenartigen Schlossgang rechts hinaufschritt, wandte er sich einmal. Da sah er noch gerade das lichte, blumengemusterte Kleid der Prinzessin hinter der schweren, eisenbeschlagenen Kapellentür verschwinden, durch die man vom Schlosse gleich in die angebaute Kapelle eintreten konnte.

Minister von Sorkum dachte, dass es für die zwanzigjährige Prinzessin ein Segen wäre, wenn sie dem Herzog ihr Jawort gab, denn hier in der Stille von Ittenhausen musste so ein junges, nachdenkliches Gemüt zu ernst werden. Als Landesmutter traten viele Pflichten an sie heran, die ihr nicht Zeit liessen, sich so sehr ins Spintisieren zu verlieren. Das war nichts für ein so junges, hübsches Blut. Und man tat nur ein gutes Werk, wenn man ihr hier heraushalf.

Der Fürst war wenig daheim, benützte jeden Grund, nach Berlin zu reisen, um dort vergnügt herumzubummeln, während sein Mädel in dem grossen, weiten Schlosse sass und sich von dem etwas verbitterten Fräulein von Lanz, ihrer Gesellschafterin, erzählen liess, wie schlecht die Welt und die Menschen waren.

Nun, Prinzesschen würde hoffentlich vernünftig sein und seinem Rate folgen.

Der Diener kam den Gang herauf.

„Wissen Sie, wo Seine Durchlaucht ist?“ fragte Exzellenz den Mann, dessen blauer Rock silberne Knöpfe und eine auffallend grosse Krone zeigte.

„Der Kammerdiener Seiner Durchlaucht sagte mir eben, Seine Durchlaucht erwartet Eure Exzellenz in seinem Arbeitszimmer,“ erwiderte der Mann mit respektvoller Verneigung.

„Es ist gut.“

Der Minister wandte sich einer Tür zu und klopfte an.

Fürst Ittenhausen stampfte mit einer gewissen Ungeduld auf dem Teppich umher, und auch sein „Herein“ klang ungeduldig.

Der Fürst war trotz seiner Zweiundsechzig immer noch ein vorzüglich aussehender Mann, und es gab viele Frauen, die auch heute noch gerne den Platz der längst verstorbenen Schlossherrin eingenommen hätten. Das ziemlich kurz verschnittene Braunhaar war nur wenig ergraut und die dunklen Augen hätten einem Dreissigjährigen gehören können. Das fast klassisch zu nennende Gesicht war vollkommen rasiert, und um den Mund lag ein Zug, der von Leichtsinn und Lebensgenuss erzählte.

„Nun, lieber Sorkum, hast du Christine gesprochen?“

Detlev von Sorkum lächelte und nahm ohne Aufforderung auf dem Sessel Platz.

„Ich habe mich bei Christine melden lassen, doch war sie nicht in ihren Gemächern, aber Fräulein von Lanz meinte, ich würde die Prinzessin wohl in der Kapelle finden. Nun, da holte ich sie denn auch heraus. Daran reihte sich eine Unterredung im grünen Zimmer, die damit schloss, dass mir Christine versprach, sich die Sache zu überlegen,“ erklärte der Minister kurz. „Nun müssen wir abwarten, in einer halben Stunde schon sollen wir das Ergebnis ihres Nachdenkens erfahren.“

Fürst Ittenhausen atmete mehrmals rasch und laut.

„Was es da zu bedenken gibt! Du lieber Himmel, solch ein Glück für das Mädel, dass einer Lust verspürt, ihre zwanzig Jahre auf einen richtigen Thron zu setzen. Mein Fürstentitel ist ja kein Zwetschenkern, aber ‚regierender Herzog, Hoheit‘, davon wird unsereins an die Wand gedrückt, wird platt wie ein Schatten.“ Er trat zu Detlev von Sorkum und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Dunnerlittchen, was hätte der Herzog für eine Auswahl unter den Töchtern der regierenden Häuser gehabt, und er läuft an allen vorbei und will mein stilles, bescheidenes Blondchen. Wenn das nicht ein Volltreffer für uns Ittenhausen ist! Mein Junge, der sich mit einer grossen Familie in Potsdam als Gardehauptmann auch nicht so rühren kann, wie er möchte, wird Hurra schreien, wenn er hört, welches Heil den Ittenhausen widerfahren ist!“

Detlev von Sorkum wehrte leicht ab, und ernst sprach er:

„Noch wissen wir nicht, wie sich deine Tochter entscheidet, bester Freund.“

Der Fürst warf den Kopf zurück.

„Nun, so töricht wird doch das Mädel nicht handeln und ‚Nein‘ sagen, das wäre ja, wäre ja —“

Er fand gar nicht die richtige Bezeichnung.

„Gewiss wäre ein ‚Nein‘ vom Klugheitsstandpunkt durchaus zu verwerfen,“ fiel ihm der Minister in die Rede, „und nicht allein von dem Standpunkt. Denn Herzog Georg liebt das Mädel, ist tatsächlich verliebt in sie, wie es nur irgendein Mann sein kann, der nicht nach Rang und Stand zu fragen hat.“

„Ich weiss.“ Der Fürst hatte seine Wanderung durch das Zimmer wieder aufgenommen. „Der einfache Herr von Langen, der uns einige Wochen in Kissingen gegenüber wohnte und mit dem Christine und ich zuweilen ein paar Reden austauschten, war Seine Hoheit. Aber wenn wir Christine das erklären, dann sagt sie schon bestimmt ‚Nein‘ und behauptet, er hätte sich schon damals entschliessen müssen, dass er erst heute anfrage, käme einer Beleidigung gleich. Christine ist zuweilen sehr schwierig. Und dass die Langenbrucher lieber eine aus regierendem Hause auf ihrem Thrönchen hätten, darf sie schon gar nicht erfahren, sie ist trotz ihrer Bescheidenheit in manchen Dingen masslos stolz.“ Er seufzte: „Mein Mädel ist nicht so bequem wie es aussieht!“

Detlev von Sorkum bewegte seinen Kopf mit dem peinlich gescheitelten Haar sacht hin und her.

„Es waren viele Schwierigkeiten zu beheben, ehe ich mit der bedeutungsschweren Frage hierher reisen konnte, und es passte gerade, da du mich wieder einmal riefst, Wolfgang, weil du wieder feststecktest.“

Der Fürst lachte sorglos auf.

„Ach, nun habe ich bald ausgesorgt und sehe lebenslänglich freie Bahn vor mir.“ Er trat vor einen hohen Spiegel und grüsste sein Bild darin. „Fürst Ittenhausen, Schwiegervater Seiner Hoheit des Herzogs von Langenbruch.“

Der Minister musste wider Willen lächeln.

„Du bist unverbesserlich, alter Freund!“