Wenn Insekten über Leichen gehen - Marcus Schwarz - E-Book
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Wenn Insekten über Leichen gehen E-Book

Marcus Schwarz

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Beschreibung

Insekten führen ihn zum Täter Aus vielen Krimis und Serien ist das bekannt: Wenn jemand stirbt, feiert die Natur ein Festbankett. Aber können die natürlichen Gegebenheiten tatsächlich wichtige Fakten liefern, die zur Aufklärung beitragen? Wie bestimmt man den Todeszeitpunkt mithilfe von Insekten? Und wie lange lag die Leiche wirklich am See? ZDFInfo urteilt über den deutschlandweit bekannten Entomologen und Forensiker Marcus Schwarz: "Von ihm kam der entscheidende Hinweis." Wenn Insekten über Leichen gehen, wird Marcus Schwarz zum Tatort gerufen. Geboren 1987, ist der studierte Forstwissenschaftler und Entomologe einer der wenigen Forensiker, die in Deutschland ermitteln. Als Insektenforscher hat er wichtige Details im Blick, die anderen entgehen. Zum Beispiel als Kinder beim Spielen im Wald eine Leiche finden. Zuerst weist alles auf Mord hin. Doch der genaue Todeszeitpunkt ist entscheidend, um nachzuweisen, ob dies nicht vielmehr ein Selbstmord war – oder ob da ein Täter Spuren hinterlassen hat, an denen sich nun Insekten laben. Wenn der deutschlandweit bekannte forensische Entomologe Marcus Schwarz gerufen wird, dann um die Frage zu klären: Wie lange lag die Leiche schon dort? Können ihm tatsächlich Fliegen die Antwort geben? Oder muss er nach bestimmten Käferarten Ausschau halten? Leser von Tsokos, Harbort, Benecke und Sue Black können hier neue Erkenntnisse gewinnen, spannende Fälle aus dem deutschen Raum mit verfolgen und der Frage nachgehen, ob Krimi-Autoren auf dem neusten Stand der Forschung ermitteln lassen. Entomologe Marcus Schwarz gelingt es in seiner Funktion als Forensiker und Insektenforscher, spektakuläre Fälle aufzuklären, über die auch im Fernsehen berichtet wird. Er beantwortet die entscheidenden Fragen: War es Selbstmord? Und was verraten die Fliegen wirklich, die immer als erste am Tatort sind? Hier schildert der bekannte Entomologe spannend und aufschlussreich einige seiner spektakulärsten Fälle.

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Seitenzahl: 293

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Marcus Schwarz

Wenn Insekten über Leichen gehen

Als Entomologe auf der Spur des Verbrechens

Knaur e-books

Über dieses Buch

Wenn jemand stirbt, feiert die Natur ein Festbankett Als Kinder beim Spielen im Wald eine Leiche finden, weist alles auf Mord hin. Der genaue Todeszeitpunkt ist entscheidend. Der forensische Entomologe Marcus Schwarz wird gerufen, um die Frage zu klären: Wie lange lag die Leiche schon dort? Immer öfter gelingt es dem Insektenforscher, spektakuläre Fälle aufzuklären: War es Selbstmord? Und was verraten ihm die Fliegen, die immer als erste am Tatort sind? »Marcus Schwarz hat ein Auge für die kleinen Krabbeltiere, die Mörder überführen. Und ein Händchen dafür, den Leser auf die Reise in seinen (Micro)Kosmos mitzunehmen.« Michael Tsokos

Inhaltsübersicht

HinweisWidmungStatt eines Vorworts1 Die Tote im LieblingsbiotopKriminalistisches Interesse2 Niemand kennt den TodKeine Angst vor dem TodWer ist tot?3 Am Ort des TodesOhne Bakterien geht nichtsAlleskönner am WerkIndividuelle ZerfallsprozesseAm Tatort – Realität und FiktionDie Chemie des Verfalls4 Es krabbelt und summtDas erste MalOrdnung muss seinJedem seine ökologische NischeSchwein gehabt5 Die wunderbare Welt der FliegenÜberall und oft übersehenSchmeißfliegen (Calliphoridae)Fleischfliegen (Sarcophagidae)Echte Fliegen (Muscidae)Käsefliegen (Piophilidae)Taufliegen (Drosophilidae)Schmetterlingsmücken (Psychodidae)6 Mein erster FallDas Summen im WaldEine Larve macht den UnterschiedErste ErmittlungsergebnisseDie zweite LeicheAlles geklärt7 Käfer, die krabbelnden ErmittlerTotengräber (Nicrophorus)Totenfreunde (Thanatophilus)Ufer-Aaskäfer (Necrodes littoralis)Rothalsige Silphe (Oiceoptoma thoracica)Schneckenfresser (Phosphuga)Kurzflügelkäfer (Staphylinidae)Kopflose Stutzkäfer (Histeridae)Erdkäfer (Trogidae)Mistkäfer (Geotrupidae)Speckkäfer (Dermestidae)Das Käfertaxi8 Wo ist mein Nachbar abgeblieben?Zu Unrecht verdächtigtUnheimlicher MitbewohnerVergessen und vertrocknetUngeklärt, ungewöhnlich, unbedeutendVöllig absurd9 Die Leipziger StückelmordeSchock beim SpaziergangAlarm am Baggersee10 Zufälle, Zwischenfälle und UnfälleHeißes PflasterTödliche AbsätzeGar nicht so selten11 Das geht unter die HautUnangenehmes MitbringselEin gefundenes FressenGlück im UnglückFehlender Nachweis12 Die Fliege und die BlackboxEntscheidender HinweisAbweichende Ergebnisse13 Wenn das Summen verklungen istDas Geheimnis der JahrringeMysteriöser FundZweifel am Verstand der MitmenschenZeitreise in die Vergangenheit14 Wer schaut sonst noch vorbei?Wespen, Hornissen und AmeisenBrack- und SchlupfwespenHundertfüßer, Asseln und andere »Krabbeltiere«VögelSäugetiereGestörte Ökosysteme15 Festbankett der NaturDer Entomologe, das unbekannte WesenTote haben keine LobbyWas von uns bleibtFür SpurensucherWie fängt man Fliegen?Schritt 1: Fotos machenSchritt 2: Temperatur messenSchritt 3: Insekten sammelnSchritt 4: Checkliste überprüfenLiteratur
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Hinweis

Alle im Buch geschilderten Fälle sind so passiert. Orte, Zeiten und Namen sind dabei zu großen Teilen anonymisiert, aber im wissenschaftlichen Kontext richtig dargestellt. Einige Fälle sind allerdings derart prominent und medial aufgearbeitet, dass sie problemlos zuzuordnen sind. Für diese Fälle wurde bei den zuständigen Staatsanwaltschaften die Zustimmung eingeholt, dass ich sie in dieser Form präsentieren darf. Wenn sich Kapitel auf Fachartikel beziehen, sind diese im Literaturverzeichnis genannt.

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Für Egon Haustein

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Statt eines Vorworts

Leise summt der Tod. Mit dem Geräusch von Fliegen, die sich innerhalb von Minuten bei einer Leiche einfinden. Für mich ist das ein vertrautes Geräusch, denn der Tod ist mein Metier.

Genau darum geht es mir. Ich möchte interessierte Menschen damit vertraut machen, was passiert, wenn Insekten über Leichen gehen. Das Thema kennen ja viele aus Krimiserien. Damit meine ich jedoch nicht Spannung oder Grusel. Mir geht es um meinen Lieblingsberuf, genauer gesagt um meine Passion: Ich bin Forensischer Entomologe. Womit ich mich im Alltag beschäftige, ist Gegenstand dieses Buches.

Zurück zu den Fliegen und zu dem Moment, in dem ich zu einem Mordfall hinzugezogen werde. Meine Aufgabe ist es vor allem, alles über den genauen Zeitpunkt herauszufinden, an dem jemand gestorben ist. Wann genau der Tod eintrat, das verraten mir Fliegen, Maden und Käfer. Und meine Nase.

Lucilia sericata

Papier ist zum Glück geduldig, da stinkt nichts. Und je besser man sich mit einer Sache auskennt, desto mehr verliert sie ihren Schrecken. Unter dem Mikroskop betrachtet, sind auch die Flügel der dicksten Schmeißfliege zarte Wunderwerke der Natur. So nah werden wir herangehen, um einem Rätsel auf die Spur zu kommen, dem Moment des Todes.

 

Jeder Mensch muss sterben! Während Freunde und Verwandte trauern, feiert die Natur ein Festbankett. Dabei ist der Tote das Büfett. Nicht einmal das Einäschern nach dem Ableben beendet den natürlichen Kreislauf. Mit dem Verbrennen beschleunigt man diesen Vorgang nur, indem die sterblichen Überreste auf einen kleinen Haufen Asche reduziert werden. Vergänglichkeit ist eine Frage des Zustands der betroffenen Materie – und Asche wiederum kann unendlich viel verraten. Dazu später mehr.

Der natürlichste Tod allerdings ereilt einen Menschen – naturgemäß – irgendwo draußen, in einem schönen Wald, auf einer Wiese oder in der friedlichen Umgebung eines stillen Sees. Dann wird allerdings die Unerbittlichkeit des von uns geschätzten und manchmal gefürchteten natürlichen Kreislaufs sichtbar, des Kreislaufs vom Werden, Wachsen und Vergehen. Zum Glück haben sich zum Wohle zumindest aller menschlichen Beteiligten in den letzten Jahrtausenden verschiedene Bestattungsformen entwickelt, die den »unschönen« Teil des Ablebens verbergen.

Doch, wie bereits angedeutet, liegt Schönheit im Auge des Betrachters. Für mich sind diese Abläufe sowohl faszinierend als auch Teil meiner täglichen Arbeit.

 

Der Tod. Von Beginn unseres Lebens an schwebt er wie ein böses Omen über unseren Köpfen. Niemand redet gern über ihn. In unserer westlichen Gesellschaft ist er an den Rand verbannt.

Dabei ist nichts in unserem Leben so sicher wie er. Irgendwann ist Schluss. Aus. Finito. Man kann noch so gesund leben, noch so viele medizinische Eingriffe über sich ergehen lassen. Das Ende ist bereits mit dem Beginn absehbar. Zugegeben, in meiner Jugend habe ich mir selten Gedanken darüber gemacht. Wie für so viele war auch für mich der Tod eines Haustiers der erste Berührungspunkt mit dem Sterben.

Mit dem Erwachsenwerden erfährt man, wie es ist, wenn ältere Familienmitglieder altersbedingt und Freunde infolge von Krankheiten oder nach einem Unfall aus dem Leben scheiden. Die meisten Menschen begreifen im Laufe des Älterwerdens, dass für jeden von uns irgendwann dieser Moment kommt.

Natürlich wünscht sich jeder, dass dieser Augenblick so lange wie möglich auf sich warten lässt. Dem kann man unter Umständen ein bisschen nachhelfen. Sport treiben, sich ausgewogen ernähren, keinen Alkohol trinken, nicht rauchen und natürlich auf Drogen verzichten. Man könnte auch riskante Tätigkeiten vermeiden, aber wo bliebe da der Spaß?

Trotzdem siegt oft die Vernunft. So muss ich zugeben, dass ich eigentlich den Führerschein für große Motorräder machen wollte. Seit ich in der Rechtsmedizin arbeite, habe ich diesen Plan aufgegeben. Sehr lange bin ich auch ohne Helm Fahrrad gefahren. Das ist Geschichte, seit ich einen Sturz durch Glück und keinesfalls durch Vorsicht oder infolge von Sachverstand glimpflich überstanden habe. Auch hier lehrte der Sektionssaal mich, die nötige Vorsicht walten zu lassen.

Man sollte sich vom täglichen Umgang mit dem Tod jedoch nicht das Leben diktieren lassen. Nur weil ich hin und wieder die Opfer von Schießereien oder klaffende Schusswunden zu Gesicht bekomme, muss ich nicht gleich mit einer schusssicheren Weste vor die Tür gehen. Doch meine Arbeit hat mir eine gewisse Demut dem Leben gegenüber vermittelt und mir gezeigt, wie wertvoll die körperliche Gesundheit und Unversehrtheit ist.

 

Ich beschäftige mich also von Berufs wegen mit den Schattenseiten der Gesellschaft. Mord und Totschlag sind zum Glück nicht so häufig, wie es uns Boulevardmedien und nicht zuletzt der gute Tatort verkaufen möchten. Dennoch ereignen sie sich, statistisch gesehen, in gewissen zeitlichen Rhythmen, und so gering ist der Abstand zwischen den Einzelfällen nun auch wieder nicht.

Dass ich bei der Aufklärung von Tötungsdelikten helfen kann, ist nicht nur Teil meines Berufs, sondern für mich eine Berufung. Ich liebe meinen Job und möchte ihn gegen keinen anderen eintauschen. Obwohl ich mit den schlimmsten Abgründen des menschlichen Seins zu tun habe, gehe ich jeden Tag gerne zur Arbeit.

Worin diese Arbeit besteht, verrate ich mit Vergnügen. Es wird umso deutlicher, je mehr man sich bewusst macht, dass bei jeder Lebensform die Länge der maximalen Lebensspanne eng umschrieben ist, nicht nur beim Menschen. Während die Lebenszeit von Eintagsfliegen zwischen wenigen Minuten und ein paar Tagen variiert, können Schildkröten problemlos ein Jahrhundert zurückblicken und fühlen sich dabei vermutlich noch nicht einmal alt.

Mich faszinieren vor allem die Insekten, von denen wir erstaunlicherweise nur die Lebensform kennen, die sie am Lebensende erreichen und mit dem wir das jeweilige Insekt in der Regel identifizieren. Wir bemerken die Fliege, wenn sie um uns herumfliegt. Wer hat sich je mit der Made beschäftigt? Die ist nicht weniger spannend als das Insekt, das wir ständig aus unserer Wohnung verscheuchen.

Gängige Bezeichnungen wie Fliege, Käfer oder Schmetterling beziehen sich nur auf das adulte Stadium, also auf das ausgewachsene Tier. Begegnet man zum Beispiel irgendwo im Wald einem prächtigen Hirschkäfer mit seinem glänzenden Panzer, findet es sicher jeder sehr schade, dass er nur ein paar Wochen lebt und dann entweder gefressen wird oder stirbt. Als Käfer hat er allerdings bereits seinen letzten Lebensabschnitt erreicht. Der dient, im Gegensatz zum menschlichen Lebensabend, nur einem Zweck, der Vermehrung.

Ihre Jugend verbringen alle Insekten in ihrem Larven- oder Nymphenstadium. In dieser Lebensphase bildet das Fressen und Wachsen den einzigen Lebensinhalt. Larven wachsen durch Häutungen, weil sie kein inneres Skelett besitzen, das mitwachsen könnte. Deshalb ist klar, dass wir Menschen anderen Regeln unterliegen. Die Evolution hat uns an einen Körper mit einem sehr großen und komplexen Gehirn gebunden. Bis wir Menschen das zehnte Lebensjahr erreicht haben, ist der Hirschkäfer bereits Vater oder gar Großvater geworden. Dabei bringen diese Tiere vergleichsweise lange Zeit im Larvenstadium zu. Diese Phase dauert bei Hirschkäfern zwischen drei und acht Jahren. In diesem Zeitraum können einer Schmeißfliege bereits viele Dutzend Generationen von Nachkommen gefolgt sein. In der Zeit bis zu unserem ersten Schulwechsel sind es Millionen von Fliegen, die kurz gesummt haben und gestorben sind, während ihre Nachkommen uns vor der Nase herumtanzen.

Lebenszeit ist also relativ. Aus unserer Sicht hat die Eintagsfliege ein bemitleidenswert kurzes Leben. Diese kurze Zeitspanne beinhaltet jedoch alles, was sich auch in unserem Leben abspielt. Geburt, Aufwachsen, Erwachsenwerden, Vermehrung und Tod. Keinen Schulwechsel, zugegeben.

Mich fasziniert das. Unsere Lebensformen existieren nebeneinander, ohne viel voneinander zu begreifen. Mir macht es jedoch Freude, es zumindest stets von Neuem zu versuchen.

 

Seit meiner Kindheit habe ich zudem einen speziellen Blick für kleine Dinge und Besonderheiten in der Natur.

So hatte ich einmal während eines Österreich-Urlaubs plötzlich eine lebendige Spitzmaus in der Hand, von der sich keiner erklären konnte, wie ich die erwischt hatte. Ein andermal traten einer Lehrerin in der Schule die Schweißtropfen auf die Stirn, als ich bei einer Schulexkursion plötzlich eine Blindschleiche anbrachte.

Das Fangen und Beobachten von Tieren ist also meine heimliche Stärke. So ist es nicht verwunderlich, dass ich heute als Forensischer Entomologe arbeite.

Ein Insektenforscher und die Untersuchung krimineller Handlungen – wie geht das zusammen? Sehr gut.

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1 Die Tote im Lieblingsbiotop

Im Hochsommer wurde ich von der Polizei in ein Waldstück gerufen, nachdem Kinder beim Spielen an einem Tümpel im Wald eine weibliche Leiche entdeckt hatten. Für die Kinder muss es ein Schock gewesen sein, ausgerechnet in diesem mystischen Paradies mit alten Bäumen und einem See auf einen Kadaver zu stoßen. In einem abgelegenen Winkel, in den sie sich bestimmt öfter zum Verstecken zurückzogen, hatte der Tod Einzug gehalten. Unbemerkt, außer von ihnen, den Kindern. Sie hatten sicher an nichts Böses gedacht, und dann hing da diese Tote an einem Baum.

Selbst für Polizei, Feuerwehr, Rechtsmediziner und Bestatter erwies sich dieser Todesfall als Tortur, was an der sommerlichen Hitze lag. Das Seeufer war feucht und rutschig. Brennnesseln, Schilf und wucherndes Brombeergestrüpp machten ein Durchkommen zum Fundort nahezu unmöglich. Dass es sich bei der Toten um eine Frau handelte, hatte man mir im Vorfeld mitgeteilt. Wie aber war sie überhaupt bis in dieses Gestrüpp vorgedrungen? Oder hatte ihr Mörder sie dorthin geschleppt?

Von einem nahe gelegenen Feld aus wurde für uns Hilfskräfte eigens eine Schneise geschlagen, um besser an den Fundort der Leiche zu gelangen. Als ich mich über diesen Behelfsweg vorsichtig näherte, lag über allem der feuchte Dunst des Tümpels, unter den sich, bei jedem Schritt näher zur Leiche hin, immer dominanter der Verwesungsgeruch mischte. Die Nähe zum Tümpel versprach zudem die Anwesenheit von Mücken und Zecken. Ich war froh, mich trotz der hohen Temperaturen für eine feste Jacke entschieden zu haben, die Mücken und Brombeerdornen trotzen konnte. Während wir darauf warteten, dass die Feuerwehr den Weg freiräumte, wurde es mir darin allerdings reichlich warm. Doch sobald die schlammige Schneise vom Unterholz befreit war, gelangten wir im Gänsemarsch, einer hinter dem anderen, zum Fundort.

Handelte es sich bei der Toten wirklich um die Frau mittleren Alters, die bereits seit zwei Wochen als vermisst galt? Die bisherigen Suchmaßnahmen im ehemaligen Wohnumfeld der Vermissten waren ergebnislos verlaufen. Nun vermutete man, dass der Vermisstenfall abgeschlossen werden konnte. Oder musste man einen neuen Fall öffnen? Einen Mordfall? Wie gelangte die Frau an diesen entlegenen Ort? Wer hatte ihren Tod verschuldet?

Verdächtig war, dass man die Frauenleiche am anderen Ende der Stadt gefunden hatte, vom Wohnort der Vermissten aus gesehen. Nachbarn hatten zudem zu Protokoll gegeben, dass es in letzter Zeit zwischen der betreffenden Frau und ihrem Ehemann häufig zu Streit gekommen war. Da die Umstände Fragen aufwarfen, wurden umfangreiche Sicherungsmaßnahmen angeordnet.

Ich bereitete mich darauf vor, die Leichenliegezeit möglichst gleich vor Ort einzugrenzen. Die Vermisste hatte, wie man mir berichtete, zu Lebzeiten einen ausgefallenen Kleidungs- und Schmuckstil gepflegt. Die endgültige Klärung der Identität würde erst ein DNA-Test erbringen.

Endlich hatte ich mich bis zum Fundort durchgeschlagen. Mir bot sich ein seltsames Bild. An dem dicken Ast einer Weide war ein Seidenschal über eine kräftige Astgabel geworfen worden. Die geringe Höhe der geknoteten Schlinge ließ Zweifel offen, ob sich die Frau erhängt hatte oder durch eine zweite Person erdrosselt worden war. Durch das Gewicht der Leiche war der Hals bereits stark gedehnt, was es erschwerte, die ursprüngliche Position nachzuvollziehen. Wie hatte der Tatort bei Eintreten des Todes tatsächlich ausgesehen?

Jetzt hing die Leiche halb an dem Baum, an dem auch die Schlinge befestigt war, halb lehnte sie mit den Füßen auf dem Boden. Die Rechtsmedizin spricht in so einem Fall von einem sogenannten Atypischen Erhängen.

Vermutlich befand sich die Tote bereits seit einem längeren Zeitraum in dieser Lage, denn durch die verwesenden Weichteile ihres Gesichts war bereits das Skelett zu erkennen. Um die Leiche herum hatte sich außerdem der Boden mit Leichenflüssigkeit vollgesogen. Dort wimmelte es vor Leben.

Ich beobachtete, dass die verschiedensten Käfer, Schnecken, Hundertfüßer sowie kleinere Fliegen und Wespen ihre Eier ablegten, jagten oder sich fortpflanzten. Wieder ein Beispiel für den perfekten Kreislauf des Lebens. Die Natur ließ im Falle des Todes nichts verkommen.

An diesem Fundort kamen auf kleiner Fläche diverse kleine Biotope zusammen. Ein Tümpel, der Wald, eine Wiese, ein Schilfgürtel und dazu dichtes, Schatten spendendes Gestrüpp. Das allein garantierte eine große Vielfalt an Lebewesen. Die sommerlichen Temperaturen waren perfekt für Insekten, und der dunkle Boden zeugte von Fruchtbarkeit.

Hinzu kam dieser neue, für Insekten sehr attraktive Lebensraum. Die Leiche bot einer Vielzahl an Lebewesen ein zusätzliches, kurzzeitig verfügbares Betätigungsfeld oder, mit anderen Worten, eine ausgezeichnete Nährstoffquelle.

Wie immer hatten auch diesmal die Fliegen die erste Welle der Besiedlung übernommen. Durch die sommerlichen Temperaturen begünstigt, war die Nachkommenschaft sehr schnell herangewachsen. Ihre Maden waren offenbar schon bereit, von der Leiche abzuwandern.

Ich machte mir eine Notiz. Die Leiche war mit Sicherheit mehrere Tage nicht bewegt worden.

Doch die Fliegenmaden saßen in der Falle, ihnen kam der Kleidungsstil der Toten in die Quere. Die Frau trug ihre lockere Bluse in die Jeans gesteckt, die wiederum von einem Gürtel gehalten wurde. Infolge der natürlichen Leichenblähung gab es im unteren Bereich der Bluse kein Entkommen für die Maden, die zwischen Blusenstoff und Gürtel feststeckten.

Fliegenmaden

Kurz musste ich an die Kinder denken, die die Frauenleiche entdeckt hatten. Ob sie den Anblick je würden vergessen können? Schnell schob ich den Gedanken beiseite, hier war ein professionelles Urteil gefragt.

Das Gewimmel war ein deutliches Zeichen für mich. Die Tiere saßen in der Bluse fest und bildeten eine unablässig wimmelnde Masse im Bauchbereich der Leiche. Eben diese permanente Bewegung und die Feuchtigkeit verhinderten, dass sich die Maden verpuppten. Über einen Zeitraum von mehreren Tagen hinweg hatten sich offensichtlich immer mehr der Tiere in dieser Falle gesammelt. Wer es schaffte, der engmaschigen Bluse zu entkommen, wurde sofort von den Räubern gefressen, die am Boden auf die Maden lauerten.

Dafür kommen sowohl Käfer, Ameisen, Wespen oder Hornissen als auch Eidechsen und Vögel infrage. Bei den Vögeln wiederum reicht das Spektrum vom Hausspatz, den man in der Stadt beim Madenfangen an Biotonnen beobachten kann, bis zu Krähen oder Spechten. Und letztendlich sind auch die größeren Säugetiere wie Dachse und Wildschweine an dieser Eiweißquelle interessiert.

Wie lange genau hatte die Leiche hier gelegen? Ich suchte, fand aber keine verpuppten Tiere. Somit durfte ich mit Gewissheit einen Todeszeitpunkt annehmen, der zehn Tage zurücklag.

Der Gerichtsmediziner bestätigte meine Einschätzung bei der Obduktion, bei der er zudem keinerlei Hinweise für eine Straftat fand. Nahm man alle Indizien zusammen, konnte es nur eine Interpretation der Fakten geben: Die Frau hatte sich am Tümpel erhängt.

Kriminalistisches Interesse

Warum ich mich freiwillig derartigen Situationen aussetze? Mein Werdegang ist sicher typisch, weil er so untypisch ist. Tatsächlich gibt es keine einheitliche Ausbildung, die auf geradem Weg zu meinem Beruf führt.

Die Liebe zu Tieren und zur Natur im Allgemeinen ist eine eindeutige Voraussetzung. Ebenso, dass ich keine Scheu habe, zuzupacken, egal, ob ich Schlangenhaut berühre oder in ein Wespennest greife. Dass ich das kann, habe ich ja als Kind bewiesen. Deshalb war es für mich naheliegend, mich zunächst näher mit der Natur zu beschäftigen. Ich begann ein Studium der Forstwissenschaft an der TU Dresden. So gesehen lag die Frauenleiche in meinem Lieblingsbiotop.

Natürlich gingen alle davon aus, dass ich später Förster werden würde. Doch dann wurde im Masterstudium das Vertiefungsprofil »Biodiversität und Organismen« angeboten. Das war Liebe auf den ersten Blick. Dort trafen sich mein vorhandenes Interesse an medizinischen Zusammenhängen und mein geradezu kriminalistisches Wissenschaftsinteresse.

Als Nächstes kam mir, mehr oder weniger über Nacht und nach der Lektüre eines Kriminalromans, die Idee für meine Masterarbeit. Ich legte ein Schwein als Vergleichsobjekt in der Natur aus, um zu schauen, was damit passiert. Wie würden sich die Fliegen verhalten? Was tun die Maden? Wer schaut noch vorbei?

Es gibt in der Kriminalliteratur und zunehmend auch in Fernsehserien heute ja sehr detailreiche Beschreibungen des Leichenzerfalls, gerade und im Besonderen unter dem Einfluss von Insekten. Damals war das für mich absolut neu. Als ich in dem Krimi auf diese Beschreibung stieß, verspürte ich den unbedingten Drang, der Sache eine wissenschaftliche Grundlage zu geben. Leider fand sich keiner meiner Kommilitonen dazu bereit, sich im Dienst der Sache ermorden zu lassen. Deswegen musste ein Schwein dafür herhalten.

Hatte der Krimiautor recht? Ich konnte einige wissenschaftliche Ungenauigkeiten nachweisen, was natürlich der Spannung des Buches keinen Abbruch tat, mir aber eine gewisse Genugtuung verschaffte. Ich betrat Neuland und freute mich von Herzen darüber, dass ich Sachverhalte nach- und sogar im kriminalistischen Sinne beweisen konnte, die man zuvor nur vermutet hatte.

Durch die verschiedenen interessanten Tätigkeiten während meiner Freilandexperimente geriet ich immer tiefer in den Sog der Forensik. Ich las die wenige vorhandene Fachliteratur und fragte bei verschiedenen rechtsmedizinischen Instituten nach Details. Da es damals nur wenige Entomologen in Deutschland gab (und bis heute gibt), ergab sich mit der Zeit aus diesen Kontakten eine fruchtbare Zusammenarbeit.

Ist es tatsächlich so einfach, an Kriminalfällen beteiligt zu werden? Nein, natürlich nicht, schon gar nicht in Deutschland. Nur weil man eine Bachelor- oder Masterarbeit zur Kadaverökologie verfasst hat, darf man noch lange nicht an einen Tatort. So weit dachte ich zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht. Irgendwann kam man dann von selbst auf mich zu.

Für mich war es ein Glück, dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtigen Fragen gestellt hatte. Die Betreuer meiner Masterarbeit haben mir den ersten Hinweis gegeben, auf welchem Fachgebiet ich mich mit diesem Wissen später betätigen könnte.

Ich wandte mich daraufhin an das Rechtsmedizinische Institut der Universität Leipzig, und dort konnte man sich tatsächlich eine Zusammenarbeit vorstellen. Ein Ja war auch die Antwort auf die Frage, ob ich eine Doktorarbeit zu diesem Thema schreiben könne. Das meiner Meinung nach beste Ja bekam ich jedoch zu hören, als es um eine Festanstellung an ebendiesem Institut ging.

Das ist natürlich eine Zusammenfassung im Zeitraffer. Um zu ersten Erfolgen zu kommen, musste ich viel Überzeugungsarbeit bei Kriminalpolizei, Spurensicherung und Staatsanwaltschaft leisten.

Zugute kam mir außerdem ein weiterer Zug, den ich in dieser Phase meiner Ausbildung an mir entdeckte. Ich bin nicht öffentlichkeitsscheu, wenn es um die Vermittlung meines Tätigkeitsbereiches geht. Und außerdem macht es mir sogar erstaunlich viel Freude, mein Wissen und die daraus gezogenen Schlüsse vor großen Menschenmengen auf Tagungen oder Lehrgängen vorzustellen. Außerdem lese ich gerne wissenschaftliche Studien zum Thema, die fast alle im englischen Sprachraum erscheinen.

Wichtig war außerdem die Erkenntnis, dass ich keine Scheu vor den Gerüchen der Fäulnis und der Verwesung habe. Die Arbeit im Sektionssaal finde ich durch das lange Stehen in erster Linie ermüdend, aber das wird mir wohl kaum jemand glauben. Doch diese Anstrengung führt tatsächlich oft zu einem kurzen Moment des Nachdenkens: »Wie bin ich ausgerechnet an diesem Ort gelandet?«, denn bei schwierigen Fällen kann die Obduktion durchaus ein paar Stunden dauern. Auch an Fundorten stehe ich manchmal neben einem Beamten der Kriminalpolizei, jeder mit einem Becher Kaffee in der Hand, und diese Frage stellt sich uns beiden.

Eigentlich ist es eine Selbstverständlichkeit, doch man sollte nie vergessen, dass man es in meinem Beruf zumeist mit toten Menschen zu tun hat. Morde, Unfälle, verwahrloste Körper, nicht zu vergessen die damit verknüpften, zahlreichen menschlichen Schicksale. Und natürlich die Käfer, Fliegen und Maden, die mein Spezialgebiet sind. Besiedeln sie einen Körper – nun, für viele ist an dieser Stelle Schluss.

Für mich fängt da die interessante Arbeit erst an.

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2 Niemand kennt den Tod

Niemand kennt den Tod, das wusste schon der alte Sokrates. Aber wir alle tragen Bilder in uns, haben eine Vorstellung davon. So gibt es ganz unterschiedliche Richtungen, aus denen man sich Tod und Sterben nähern kann. Über die persönliche Einstellung beispielsweise oder die rechtliche Definition.

Keine Angst vor dem Tod

»Wie hältst du das aus?« – »Kannst du nachts ruhig schlafen?« – »Ekelst du dich nicht?« Das sind Fragen, die mir oft gestellt werden.

Ich kann das natürlich nachvollziehen. Viele Menschen haben mit ihrem vorherbestimmten Ableben ein Problem.

Meine Mutter äußert dagegen manchmal ihre Sorge um meine Gesundheit, da ich häufig tief in meine Arbeit versinke, außerhalb der Dienstzeit viel über das Erlebte nachdenke und Fallrekonstruktionen durchspiele.

Doch ich habe keine Angst vor dem Tod, empfinde keinen Ekel vor Leichen. Ich liebe meinen Beruf in all seinen Facetten! Irgendwann kommt er immer, der Tod. Er gehört ganz einfach dazu. Ohne Tod kein Leben und ohne Leben kein Tod.

Nirgendwo wird einem dieser natürliche Ablauf der Dinge besser verdeutlicht als bei der Forensischen Entomologie. Es liegt in der Natur begründet, dass Lebewesen sterben und daraus, direkt oder indirekt, neue Lebewesen hervorgehen.

Die Frage, wie einen der Tod ereilt, ist jedoch eine ganz andere. Die meisten Menschen möchten vermutlich am liebsten weit jenseits des achtzigsten Lebensjahres mit fittem Kopf und einigermaßen beweglichen Gliedern einfach nicht mehr aus einem ruhigen Schlaf erwachen. Dieser Tod ist auch vielen vergönnt. Unfälle und schwere Krankheiten, schlimmstenfalls ein Gewaltdelikt, reißen einige wenige Menschen allerdings viel früher aus dem Leben.

Diese Gedanken berühren meine tägliche Arbeit nicht, weil ich zum einen die Toten, die vor mir liegen, nicht kenne und zum anderen genau weiß, dass ich sie nicht wieder lebendig machen kann. Fremde Schicksale dürfen mein Leben außerhalb von Sektionssaal, Tatort und Gerichtssaal nicht berühren. Was ich tun kann, ist helfen. Helfen, bei einem Tötungsdelikt einen Schuldigen zu überführen. Helfen, Gewissheit für Angehörige zu schaffen. Helfen, die Rechtsfindung zu unterstützen.

Ekel verspüre ich bei meiner Arbeit nicht. Man gewöhnt sich an die verschiedensten Leichenzustände. Die Gerüche, die man manchmal in Haaren und Kleidung mit nach Hause nimmt, werden bald Arbeitsalltag. Dafür gibt es Waschmaschinen und warme Duschen. Mittlerweile erkenne ich am Geruch, wie die Leiche ungefähr aussieht beziehungsweise in welchem Zustand sie sich befindet.

Jedenfalls sollte man sich nie mit Mentholpaste unter der Nase oder Kaugummi im Mund in den Sektionssaal wagen. Zum einen durchdringt der Leichengeruch auch diese Geruchsbarriere. Das macht alles nur schlimmer. Zum anderen merkt sich das Gehirn diese beiden Gerüche in einer Kombination. Dann kann es noch nach Wochen dazu kommen, dass beim Kaugummikauen der Leichengeruch vom Gehirn in die Nase hineingeschummelt wird.

Es ist ein verbreiteter Irrglaube, dass die in der Forensik arbeitenden Kollegen zu solchen Mitteln greifen, wie sie uns die Krimilandschaft vorgaukelt. So sieht man im Film Das Schweigen der Lämmer, wie drei Polizisten vor ihren Ermittlungen mit viel Pathos Mentholpaste unter ihre Nasen reiben, um dann doch vom Geruch überrascht zu werden.

Mich hält meine Liebe zu diesem Beruf tagtäglich bei der Stange. Die Kollegen, die Arbeit und mein gesamtes Arbeitsumfeld möchte ich um nichts in der Welt missen.

Wer ist tot?

In Deutschland gibt es – rein rechtlich gesehen – keine Definition für den Tod. Im Transplantationsgesetz (TPG) der Bundesrepublik Deutschland sind jedoch einige Anhaltspunkte zu finden.

So steht in § 3 Abs. 1 Nr. 2: »[…] der Tod des Organ- oder Gewebespenders nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist […]«. Näher geht man in § 3 Abs. 2 Nr. 2 auf den Aspekt ein: »Die Entnahme von Organen oder Geweben ist unzulässig, wenn […] nicht vor der Entnahme bei dem Organ- oder Gewebespender der endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach Verfahrensregeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist.«

In der allgemeinen Rechtsprechung greift man, mit Verweis auf das TPG, auf den Gesamthirntod zurück. Der Tod muss von einem beziehungsweise zwei Ärzten festgestellt werden, wenn es um Transplantationen geht, sowie mit Todeszeitpunkt und Sterbeort in den Totenschein eingetragen werden. Zudem muss bereits von dem Arzt, der die Leichenschau macht, die Todesart als »natürlich« und »nicht natürlich« kategorisiert werden.

Bei einem nicht natürlichen Tod wird der Leichnam in der Regel in ein rechtsmedizinisches Institut gebracht und dort auf eine staatsanwaltschaftliche Anordnung hin obduziert.

 

Für die Feststellung des Todes stehen den Medizinern mehrere natürliche Merkmale zur Verfügung, die unter anderem Rückschlüsse auf den Todeszeitpunkt zulassen. Diese Erscheinungen werden auch »sichere Todeszeichen« genannt.

Totenflecke treten zumeist als Erstes auf. Durch den Herzstillstand kommt der Blutkreislauf zum Erliegen. Mit dem damit einhergehenden Blutdruckabfall sinkt das Blut durch die Schwerkraft in die tiefsten Punkte und sammelt sich dort. Das Gefäßsystem erschlafft und weitet sich. Es entstehen auf der Haut deutlich erkennbare, blaurote bis grauviolette Flecke, die bereits 20 bis 30 Minuten nach Eintritt des Todes sichtbar werden. Die vollständige Ausbildung zeigt sich allerdings erst nach ein paar Stunden.

Anfänglich lassen sich die Flecke verlagern, solange das Blut noch flüssig ist, wenn man den Leichnam beispielsweise auf die Seite dreht. Wendet man eine Leiche also vom Bauch auf den Rücken, verschwinden die Leichenflecke am Bauch und erscheinen kurze Zeit später am Rücken.

Liegt die Leiche länger, ist das Blut im Gefäßsystem teilweise geronnen und lagert sich nicht mehr um. Eine Umlagerung der Totenflecke ist bis zu 24 Stunden nach Todeseintritt möglich. Der leichenschauende Arzt bekommt also Hinweise auf den Todeszeitpunkt, je nachdem, ob sich die Totenflecke mit starkem Druck verlagern lassen oder dauerhaft verbleiben, wo sie sind.

Die Totenstarre (Rigor Mortis) ist ein anderes Zeichen. Die Skelettmuskulatur zeigt bei einem normalgewichtigen Menschen bereits nach zwei Stunden erste Anzeichen. Nach fünf bis zehn Stunden sind alle Gelenke starr und fest. Zuerst tritt die Totenstarre in der Regel im Unterkiefer auf. Dann setzt sie sich weiter nach unten fort. Dies muss jedoch nicht zwingend so sein.

Der Mediziner kann also erkennen, welche Gelenke schon fest sind beziehungsweise ob sich die Totenstarre bereits wieder gelöst hat, und danach den Sterbezeitpunkt eingrenzen.

Dadurch, dass keine Körperwärme mehr produziert wird, kühlt der Körper aus. Temperaturmessungen an Leichen werden normalerweise im Mastdarm durchgeführt. Als grobe Faustregel kann man sagen, dass ein normalgewichtiger Körper ungefähr 1°C Temperatur pro Stunde verliert, bis die Umgebungstemperatur erreicht ist. An einem warmen Sommertag tritt also unter Umständen gar keine Abkühlung ein. Zudem ist eine niedrige Körpertemperatur kein sicheres Todeszeichen. So sollte nur eine mehrfache Messung der Körpertemperatur und der Umgebungstemperatur zur Bestimmung des Todeszeitpunkts genutzt werden.

Für eine exakte Anwendung dieser Methode stehen übrigens mittlerweile Softwareprogramme und Apps zur Verfügung, die auf einem sogenannten Nomogramm basieren, einem Diagramm auf Grundlage mathematischer Funktionen.

Nach einer gewissen Zeit gibt es für den Mediziner nur noch ein grobes Zeitraster für die Bestimmung des Todeszeitpunktes, das durch Erfahrung eingegrenzt werden kann. Ab diesem Zeitpunkt ist die Forensische Entomologie das verlässlichste Mittel der Wahl. Vorausgesetzt, es sind Insekten vorhanden. Aber das sind sie meistens.

Austrocknung des Gewebes mit anschließender Mumifizierung, die Gasbildung, das Eintreten von Fäulnis und Verwesung können als weitere sichere Todeszeichen genannt werden. Klarer dürfte sich kaum zeigen, dass die betreffende Person nicht mehr lebt.

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3 Am Ort des Todes

Leben bedeutet permanenten Wandel, der Tod ebenso. Alles entsteht, alles vergeht. Wir sind nur ein winziger Teil eines riesigen Kreislaufs.

Aus den verschiedenen Stadien des Zerfalls nach dem Tod erhält der Forensische Entomologe die entscheidenden Fingerzeige für den Erfolg seiner Arbeit – im Sektionssaal und am Tatort.

Insekten helfen uns auf vielfältige Weise beim Abklären von Todesursachen. Fliegen, Käfer, Ameisen und andere Kerbtiere geben mir die unterschiedlichsten Hinweise.

Die Polizei findet eine treibende Leiche auf einem See, der Tote ist jedoch nicht ertrunken. Wie kann das sein? In den Taschen der Leiche finde ich tote Kellerasseln. Das zeigt, dass die Leiche nicht von Anfang an im Wasser gelegen hat, sondern erst später dorthin gebracht wurde. Möglicherweise, um eine Tat zu vertuschen. Kollege Assel hat einen entscheidenden Hinweis geliefert.

Nicht nur die anwesenden Insekten, sondern der permanente Wandel durch die Zersetzung des Körpers liefern mir die notwendigen Anhaltspunkte dafür, wann und unter welchen Umständen der Tod eingetreten ist.

Für uns Menschen ist es ein Glück, dass es diese Zerfallsprozesse gibt, die in der Regel schnell ablaufen und reibungslos funktionieren. Man denke sich nur eine Welt, in der sämtliches totes Material liegen bliebe. Nach kurzer Zeit würde man durch Berge aus Laub, Totholz und Leichen aller Art waten.

Doch wer erledigt diese Arbeit?

Ohne Bakterien geht nichts

Sobald der Mensch tot ist, beginnen durch die Arbeit der Bakterien Verwesung und Fäulnis. Sehen wir uns diese Prozesse etwas genauer an.

Je höher der Fettanteil eines Körpers ist, desto weniger Wasser besitzt er prozentual. Fett ist der wasserärmste Körperbestandteil. Bei untergewichtigen Menschen kann Wasser 70 Prozent des Körpergewichtes ausmachen, bei übergewichtigen nur 40 Prozent. Dieses Wasser beginnt sofort nach Eintritt des Todes zu verdunsten, da mit den Körperfunktionen auch die sogenannte Osmoregulation, der körpereigene Wasserhaushalt, aussetzt und die Verdunstungsbarriere wegfällt.

Was also passiert, wenn wir zerfallen? Nach dem Tod werden durch das Unterbrechen des Blutkreislaufes die inneren Organe nicht mehr mit Sauerstoff versorgt. Das ist für Organe wie Gehirn und Leber fatal. Ihre Zellen beginnen nach kürzester Zeit abzusterben. Es beginnt die Autolyse, die Selbstauflösung.

Der Stoffwechsel kommt zum Stillstand. Sogenannte lysomale Enzyme, die in jedem Körper vorhanden sind, zersetzen die Zellen. Dieser Prozess beginnt im Gehirn, dann folgen nacheinander die inneren Organe, die Muskeln und schließlich die Haut. Die Körperzellen, die am längsten überleben, sind die Samenzellen des Mannes.

Die Bakterienstämme, die wir zu Lebzeiten für die Verdauung genutzt haben, arbeiten noch eine Weile weiter. Sie vermehren sich und bilden Gase.

Wichtig für den Forensiker ist der Unterschied zwischen Verwesung und Fäulnis. Verwesung findet mithilfe sogenannter aerober Bakterien statt, die auf das Vorhandensein von Sauerstoff angewiesen sind. So sind beispielsweise alle Bakterien auf unserer Haut Aerobier.

Fäulnis findet unter Sauerstoffmangel statt. Hier spielen die anaeroben Bakterien eine Rolle, für die Sauerstoff teilweise wie Gift wirkt. Sie leben vor allem im Darm des Menschen.

Sowohl innerliche Fäulnis als auch äußerliche Verwesung gehen gleichzeitig vor sich, solange die Leiche frisch beziehungsweise in der Blähungsphase ist. Geht die Leiche in die aktive Zersetzung über, ist die Verwesung meist das stärkere Element.

Die beiden Abläufe sind primär von Temperatur und Umgebungsfeuchtigkeit abhängig. Dazu kommen weitere Einflüsse. Im Freien sind das unter anderem Bodenbeschaffenheit, Geländeneigung (wegen des Flüssigkeitsabflusses), Vegetation, Exposition im Sonnenlicht. Bei Wohnungsleichen achtet man auf Wärmequellen, Schließzustand der Fenster und Sterbeort.

Während also die Bakterien arbeiten, entsteht viel Gas im Inneren der Leiche. So wird aus der frischen Leiche eine geblähte Leiche. Diese kann durchaus beachtliche Ausmaße annehmen, nicht nur am Bauch. Ein häufig beobachtetes Phänomen bei männlichen Leichen ist zum Beispiel, dass sich durch die Gasbildung der Penis und der Hodensack aufblähen. Was die Menschen häufig erschreckt, die erstmals mit diesem Phänomen konfrontiert sind.

Zur Zeit der Gasbildung hat sich meist durch die austretende Zellflüssigkeit bereits die Haut abgelöst. Ab sofort sieht der Körper hell aus, unabhängig von regionaler und ethnischer Herkunft, da die für die Hautfarbe verantwortlichen Melanozyten nur in der obersten Hautschicht sitzen. Gase, aber auch Flüssiges wie der Mageninhalt können nun aus den natürlichen Körperöffnungen entweichen und dabei Töne erzeugen.

Zu diesem Zeitpunkt tauchen Wasserleichen oder unter Wasser versteckte Leichen gern wieder an der Oberfläche auf, so sie nicht wie das klassische Mafiaopfer aus dem Film mit einem Betonklotz beschwert wurden. Bei denen dauert es etwas länger, die Fußgelenke müssen sich erst von den Unterschenkeln lösen …

Im Sommer steigen die Leichen meist nach Gewittern nach oben. Warum das so ist, konnte bisher nicht abschließend wissenschaftlich geklärt werden. Es könnte mit plötzlichen Temperatur- oder Luftdruckschwankungen zu tun haben.

Eine weitere Rolle spielt die Wassertiefe. Ein Körper, der zum Beispiel nach einem Tauchunfall in einem Neoprenanzug bei 4°C unter Wasser lagert, kann dort sehr lange verweilen und zersetzt sich aufgrund der geringen Temperatur und der dadurch gehemmten Bakterienvermehrung äußerst langsam.

Manchmal gibt ein Körper in diesem Stadium auch am Bauch nach, und es entweicht Gas über einen Riss im Bereich des Nabels. Der geblähte Körper fällt wieder in sich zusammen, und die Verwesung nimmt weiter Fahrt auf. Sie tritt in das Stadium der aktiven Zersetzung ein. Nur noch sehr wenig erinnert nun an den Verstorbenen.

Bei jeder Form der Zersetzung spielen Umgebungstemperatur und Luftfeuchtigkeit eine Rolle. Bei kühlem und feuchtem Zustand tritt eher Fäulnis ein, in feuchten Kellern auch ein Befall mit Schimmelpilzen. Kommt eine sauerstoffarme Umgebung dazu, setzt die sogenannte Fettwachsbildung ein. Die Körperfette verseifen (Saponifikation) durch einen chemischen Prozess, und es entsteht ein festes, hartes Material, das Adipocire genannt wird. Diese Erscheinung ist sowohl bei Wasserleichen als auch bei Sargleichen aus feuchten Böden anzutreffen. Staunässe durch Lehmböden stellt ein großes Problem auf Friedhöfen dar, weil die Leichen sogar nach einer langen Liegezeit nicht komplett zersetzt sind.