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2014 erkrankte die Mutter der Autorin an Lungenkrebs. Trotz dieser schrecklichen Diagnose entdeckte sie von diesem Moment an ihre Lebensfreude und den wahren Sinn des Lebens. In diesem Buch beschreibt die Autorin die letzten gemeinsamen Monate - Monate der Angst und der Tränen, aber auch der Freude, der Hoffnung und vieler lustiger Momente. Diese Geschichte endet jedoch nicht mit dem Tod, sondern geht darüber hinaus. Sie nimmt den Leser mit auf eine Reise voller mysteriöser Ereignisse und gibt Antworten auf die Frage, ob das Leben mit dem Tod endet. Lassen Sie sich verzaubern!
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Seitenzahl: 178
Veröffentlichungsjahr: 2019
Antje Grube
Wer jammert, bleibt draußen
Die letzten Monate mit meiner Mama
© 2019 Antje Grube
Verlag und Druck: tredition GmbH, Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-7482-7237-3
Hardcover:
978-3-7482-7238-0
e-Book:
978-3-7482-7239-7
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Vorwort von Denise Schäricke
Carpe diem – seize the day – nutze den Tag…
All diese Sprüche scheinen in unserer heutigen Zeit so abgenutzt zu sein und gleichzeitig sind sie genauso wahr wie zu der Zeit, als sie schon in den 90er Jahren in Mode kamen.
Antje Grubes Buch und die letzten Monate mit ihrer Mama zeigen uns sehr deutlich, wie schnell das Leben sich ändern kann. Wie oft uns Schicksalsschläge ereilen, von denen wir immer nur denken, dass sie den anderen passieren. Und immer wieder hören wir Krankenschwestern davon erzählen, dass Sterbende auf dem Totenbett davon berichten, was sie am meisten bereuen: Dieses oder Jenes nicht getan zu haben, ihren Lieben nicht oft genug gesagt zu haben, wie viel sie ihnen bedeuten, wie sehr sie sich wünschen, mehr Zeit gehabt zu haben…
Und auch Antje Grube schreibt berührend offen darüber, wie selbstverständlich sie damit umgegangen ist, ihr Leben zu leben: Unbewusst, hetzend, von vermeintlich wichtigen Verpflichtungen geleitet… bis dieser eine Tag alles veränderte und sie auf einmal Platz schaffen konnte, Zeit einrichten konnte, um die letzten drei Monate zusammen mit ihrer Mama zu verbringen. Und diese besondere Zeit rückblickend als eine der schönsten ihres Lebens betrachtet.
Wie oft leben wir unser Leben in einer arroganten Großzügigkeit, mit der wir unsere Zeit verschwenden. Hin und her hetzen, in unserem Hamsterrad gefangen sind, um so viel Geld zu verdienen, dass wir uns eines Tages Was-auch-immer leisten können… doch wissen wir, ob dieser Tag je kommen wird?
Hast du dich schon einmal gefragt, was du wirklich vom Leben willst? Wie dein Traumleben aussehen würde, wenn alles möglich wäre? Könntest du dich am Ende deines Lebens an jeden einzelnen Tag erinnern, einfach weil du deine Tage so besonders und intensiv gelebt hast? Oder ist alles nur ein Einheitsbrei?
Wie lange willst du denn warten, um dein EINES Leben zu leben? Wann hast du den Menschen, die dir wichtig sind, das letzte Mal gesagt, wie sehr du sie schätzt, wie dankbar du ihnen bist, dass sie in deinem Leben sind? Wann hast du das letzte Mal bewusst ein Essen genossen, statt es eilig herunter zu schlingen? Wann bist du das letzte Mal mit offenen Augen durch die Natur gegangen und hast ein Mandelbäumchen durch den Wandel der Jahreszeiten begleitet und beobachtet?
Wie oft brauchen wir erst einen schockierenden Weckruf, um über uns und die Qualität unseres Lebens nachzudenken.
So auch im Fall von meiner lieben Freundin Antje Grube, die seit der plötzlichen Erkrankung ihrer Mama nicht nur bewusster durch ihr Leben geht, sondern auch alle Aspekte ihres Lebens noch einmal neu betrachtete, aufräumte, mutig war und neue Wege ging. Von der Bankangestellten im Hamsterrad zur Autorin und Beziehungsheilerin. Was für ein Weg!
Willst auch du warten, bis etwas Schlimmes in deinem Leben geschieht, um aufzuwachen oder traust du dich hinzuschauen und dein eines Leben hier auf dieser Erde zu nutzen, erfüllt zu leben, liebevoll und mit offenen Augen durch diese Welt zu wandeln, um dann glücklich und lächelnd deinen letzten Atemzug zu tun?
Denise Schäricke
Die Lifestyle Architektin
Vorwort von Sarah Ollrog
Wenn ich vom Tod spreche, dann vermeide ich das Wort „Tod“.
Ich finde „nach Hause gehen“ viel schöner, viel passender.
Ja, wenn unsere Seele ihre Aufgabe hier auf der Erde im menschlichen Körper erfüllt hat oder das gelernt hat, was sie lernen wollte, dann geht sie zurück an den wunderschönen Ort voller Licht, Wärme und Liebe, aus dem sie einst kam.
Der menschliche Körper, unsere Hülle, stirbt.
Doch die Seele ist unendlich.
Wir sind unendlich.
Unsere Seele kann nicht sterben oder einfach spurlos verschwinden. Wir sind alle, da bin ich mir sicher, auch über den körperlichen Tod hinaus immer miteinander verbunden. Und das dürfen wir spüren, wenn wir unsere Herzen für diese andere Dimension öffnen.
Der menschliche, körperliche Tod ist in meinen Augen nur ein Übergang in eben diese Dimension hinein, in der wir als Seele zu Hause sind.
Hier auf der Erde sind wir ja nur zu Besuch. Für die Seele ist es wunderschön nach Hause zu kommen.
Die Verbliebenen allerdings leiden unter dem Verlust.
Jedenfalls nennen wir es „Verlust“.
Obwohl wir ja niemanden verlieren können, da wir miteinander verbunden sind. Auch über die Grenzen der Dimensionen hinaus. Wenn es da überhaupt Grenzen gibt.
Warum bin ich so fest davon überzeugt, dass wir nach Hause gehen, wenn wir unseren Körper am Ende unseres Lebens verlassen?
Woher weiß ich, dass es da diese andere Dimension gibt, die wir mit bloßen Augen nicht sehen können?
Weil ich jeden Tag mit dieser Dimension in Kontakt bin. Weil ich die unendliche Liebe spüre, die um uns herum ist und täglich in uns und unser Leben strömt, wenn wir es zulassen.
Weil Engel meine besten Freunde sind. Freunde, die mir Licht schicken, wenn ich mal wieder im Dunkeln stehe.
Ich komme ständig mit dieser anderen Welt in Berührung, fühle sie – so dass ich keinen Zweifel daran habe, dass sie existiert.
Und wenn ich mir vorstelle, dass wir nach dem Tod in diese Welt zurückkehren, tröstet mich das ungemein.
Ich wünsche mir von Herzen, dass unsere Gesellschaft den körperlichen Tod eines Tages nicht mehr als etwas Schreckliches, Angsteinflößendes betrachtet - über das kaum jemand zu sprechen wagt - sondern als einen ganz natürlichen Prozess, der eben dazu gehört und unser Leben erst lebenswert macht.
Könnten wir ohne den sogenannten Tod wirkliche, echte, tiefe Dankbarkeit fühlen für die Momente, die wir mit geliebten Menschen, unseren Tieren und auch mit uns selbst verbringen dürfen und durften?
Und ist das Gefühl der Dankbarkeit, wenn sie uns von Kopf bis Fuß durchströmt, nicht unfassbar schön?
Der Tod sollte uns doch nun wirklich nicht die Freude am Leben verhageln!
Wir dürfen ihm vielmehr erlauben, uns die Augen zu öffnen - für diese unfassbare Schönheit des Lebens, das ein so wertvolles Geschenk ist!
Deswegen bin ich unendlich dankbar dafür, dass Antje das Buch, welches Sie gerade in den Händen halten, geschrieben hat. Denn sie erzählt auf so wunderbar berührende Weise, mit einer herrlichen Leichtigkeit und einer guten Portion Humor, wie sehr sie die letzten Monate mit ihrer Mama geprägt haben.
Wie sie durch ihre bezaubernde Mutti, deren Seele sich für den Heimweg bereit gemacht hat, die Schönheit und Magie des Lebens erst angesichts des Todes richtig erkennen, fühlen und genießen konnte und kann.
„Der Tod“ hängt wie ein Damoklesschwert über uns. So viele Menschen haben Angst vor ihm, Angst vor Verlust, Angst vor dem Schmerz.
Warum?
Weil wir uns gegen diese Gefühle sträuben, weil wir im Widerstand gegen sie sind und sie nicht als ganz natürliche, zum Leben zugehörige Emotionen akzeptieren können und wollen.
Ich finde, wir sollten öfter über den Tod sprechen und schreiben.
Ein Glück, dass Antje dies auf ihre einzigartige Weise in diesem Buch tut!
Denn indem wir dem Tod Raum in unserem Leben geben, erlauben wir ihm seine hässliche, furchteinflößende Maske, welche wir ihm einst aufgesetzt haben, abzunehmen und ihn in einem neuen, in gewisser Weise auch wertschätzenden Licht, zu sehen.
Der Tod, so glaube ich, hat ein liebevolles und sanftmütiges Gesicht. Mit warmen Augen, die uns am Ende unseres Lebens voller Liebe ansehen und uns wissen lassen: „Das hast Du gut gemacht. Jetzt ist es an der Zeit nach Hause zu gehen. An den Ort, wo Du keine Schmerzen hast, keine Angst. Wo nur Leichtigkeit, Frieden, Geborgenheit und pure Glückseligkeit herrschen. An den Ort, der Licht ist, wo Dich unendliche und bedingungslose Liebe einhüllt und Du erkennst, dass Du zum Licht gehörst und dass dieses Licht, das auch Du bist, Dein wahres Zuhause ist.“
Antje befreit den Tod von seiner hässlichen Fratze. Denn sie beschreibt die letzten Monate mit ihrer Mama (im menschlichen Körper) mit so viel Liebe und in absoluter Annahme dessen, was ist, dass der Tod an Schwere verliert.
Natürlich mischen sich auch Traurigkeit und Schmerz in ihre Erzählung, doch diese reißen sie nicht in tiefste Abgründe hinein. Weil sie und ihre Mama das annehmen, was unvermeidbar ist und sich dafür entscheiden, das Leben zu lieben und zu genießen, anstatt sich zu grämen.
Denn Widerstand vervielfacht den Schmerz und macht ihn unerträglich.
Antjes Geschichte zeigt, dass der körperliche Tod uns nicht voneinander trennt, sondern, ganz im Gegenteil, uns in unendlicher und tiefer Liebe noch mehr miteinander verbindet und vereint.
Dieses Buch ist ein Schatz für mich.
Schon beim Lesen der ersten Seite habe ich die Geschichte von Antje und ihrer Mutti in mein Herz geschlossen. Ich habe mit ihnen gelacht und geweint. Und noch immer bin ich tief berührt.
Ich danke den beiden von ganzem Herzen, dass sie der Welt erzählen, dass der Tod nicht das Ende ist.
Er ist nur der Anfang eines neuen Kapitels.
Sarah Ollrog
Engelbotschafterin
Diesen Brief schrieb meine Mama an unsere Familie:
Dieses Buch erzählt die Geschichte meiner Mama.
Es beginnt circa einen Monat vor Entstehung dieses Briefes und es endet – nein, nicht mit ihrem Tod, sondern viel, viel später. Denn meine Erlebnisse mit ihr reichen weit über ihren Tod hinaus…
Wer an dieser Stelle schon denkt, dass das totaler Quatsch ist, sollte dieses Buch sofort wieder aus der Hand legen!
Ebenso ist dieses Buch NICHT für dich geeignet, wenn du Krankheiten und den Tod als etwas Tragisches betrachtest, als etwas unaussprechlich Furchtbares, worüber man nicht reden und erst recht nicht lachen darf und als einen Grund zu klagen und zu jammern. Denn wie es der Titel schon sagt: Genau DAS war für meine Mama absolut tabu!
Allen anderen soll dieses Buch helfen zu verstehen…
Es soll Trost spenden.
Es soll Mut machen.
Und es soll Antworten geben:
Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens, auf die Frage nach dem Sinn von „Schicksalsschlägen“ und darauf, ob es nach dem Tod noch irgendwie weitergeht.
In erster Linie möchte ich mit diesem Buch jedoch weitergeben, was ich in den letzten drei gemeinsamen Monaten mit meiner Mama über das Leben gelernt habe.
Ich hoffe, dass ihre Botschaft hiermit all jene erreicht, die es brauchen.
Im Namen meiner Mama
Gerlinde & Antje Grube
Tag 1, irgendwann Anfang März 2014
Mein Handy klingelt.
Mutti.
„Hallo Spatzl, ich bin im Krankenhaus. Aber keine Sorge, die wollen nur was abklären. Kannst du mir ein paar Sachen bringen?“
Ähm, ja. Klar.
Und nein – natürlich mach ich mir keine Sorgen. Warum auch.
Schließlich hatte ich vor exakt einem Monat einen fast identischen Anruf von ihr bekommen mit den Worten: „Hallo Spatzi, mach dir keine Sorgen – ich bin im Krankenhaus mit Verdacht auf Schlaganfall. Aber mir gehts gut. Kannst du kommen?“
Also vielleicht gewöhnt man sich ja irgendwann an diese Art von Mach-dir-keine-Sorgen-Botschaften…
Und vor einem Monat war es auch schon ein Fehlalarm gewesen. Zumindest hatte man keine Erklärung dafür finden können, weshalb meine Mama kurz zuvor beim Arzt gesessen und plötzlich nicht mehr gewusst hatte, wer sie ist und wie sie dorthin gekommen war.
Ein Schlaganfall war es jedenfalls angeblich nicht gewesen.
Dieses Mal nun soll da „irgendwas in der Lunge“ sein, wie sie gut gelaunt berichtet. Das hatte ihre Orthopädin zufällig beim MRT der Halswirbelsäule entdeckt und meine Mama eindringlich gebeten, SOFORT ins Krankenhaus zu fahren.
Was sie dann natürlich auch getan hatte. Auf direktem Wege. Mit den MRT-Aufnahmen, ihrer Handtasche und sonst nichts.
Da sitzt sie nun also im Krankenhaus, wundert sich, dass sie dableiben muss und braucht Zahnbürste, Schlafanzug & Co.
Nun denn.
Ich gebe meinem 13jährigen Sohn Bescheid (was haben wir bloß früher ohne Handy gemacht?) und fahre nach der Arbeit nicht nach Hause, sondern direkt ins Krankenhaus zu meiner Mutti, die mir bereits eine Liste geschrieben hatte, was ich ihr alles einpacken soll und wo ich es finden würde.
Neben dem Aufenthaltsort ihrer Socken (im Nachtschrank – warum auch immer), interessiert mich natürlich brennend, was denn nun eigentlich los ist.
Sie erzählt mir, dass sie ja vor Kurzem zur Orthopädin gegangen war, weil sie Schmerzen in der Schulter hatte. Und diese hatte ein MRT angeordnet, was dann auch relativ zeitnah gemacht worden war.
Heute war der Termin für die Auswertung gewesen und die Ärztin hatte ihr nur gesagt, dass da ein Teil der Lunge mit auf den Aufnahmen war und da wäre ein Schatten, der da nicht hingehört. Und sie solle deswegen ins Krankenhaus fahren und das abklären lassen.
Während in meinem Kopf bei diesem Bericht alle Alarmglocken schrillen und ich bereits die schrecklichsten Mutmaßungen vergeblich zu unterdrücken versuche, klingt meine Mama, als wäre sie zu einer Gartenparty eingeladen worden.
So nach dem Motto: „Geh da mal hin und schau, was da so los ist.“
Andererseits ist es auch irgendwie beruhigend, dass sie sich selbst scheinbar überhaupt keine Sorgen macht. Wahrscheinlich denkt sie, wenn es nicht weh tut, kann es ja nicht so schlimm sein…
Sie hat ja auch nichts mit der Lunge, weder Husten noch Atemprobleme.
Das Einzige, womit sie sich nun schon seit über zwei Jahren herumquält, ist ihr Blutdruck und – meistens in der Nacht auftretende – Anfälle von Herzrasen, Schwindel und Panik.
Aber damit geht sie gefühlt wöchentlich zu ihrer Hausärztin, die ihr jedes Mal erklärt, dass alles in Ordnung sei und sie lediglich ein bisschen überempfindlich auf die Nebenwirkungen der Blutdruck-Medikamente reagiere.
„Man hat mich wohl schon als Hypochonder abgestempelt“, hatte sie einmal verzweifelt zu mir gesagt. Und dass die Schwestern schon die Augen verdrehen würden, wenn sie zur Tür rein käme.
Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass sie FROH ist, nun endlich mal was „Richtiges“ zu haben. Etwas, dass man SEHEN kann – zumindest beim MRT.
Ich versuche also, meine schlimmsten Befürchtungen zu ignorieren, während ich zur Wohnung fahre, die gewünschten Sachen zusammenpacke, anschließend wieder ins Krankenhaus zurückkehre und meiner Mama verspreche, sie am Wochenende wieder zu besuchen, sofern sie denn überhaupt so lange dableiben müsse.
Woche 1, März 2014
Die erste Krankenhauswoche könnte man unter die Überschrift „Pleiten, Pech und Pannen“ setzen. Gleichzeitig wäre aber auch der Titel „Mutti blüht auf“ zutreffend.
Denn während ich meinem Alltag nachgehe und mich nebenbei bemühe, mir einzureden, dass dieser Schatten auf der Lunge ja auch etwas Harmloses sein könnte, fühlt sich meine Mama im Krankenhaus pudelwohl.
Sie liebt das Essen dort (ich weiß, für Krankenhäuser eher untypisch, aber dort wird selbst gekocht und wie ich später noch feststellen durfte, wirklich sehr gut), sie fühlt sich gut aufgehoben und vor allem endlich mal ernst genommen.
Die Oberärztin, für die meine Mama schwärmt als wäre sie Mutter Theresa höchstpersönlich, hat ihr sofort neue Blutdruckmittel verordnet und zum ersten Mal seit zwei Jahren geht es meiner Mama blendend.
Auch die nächtlichen Panikattacken treten nicht mehr auf. Ich denke, allein die Tatsache, dass sie dort nicht allein ist und jederzeit um Hilfe rufen könnte, sorgt für diese „Heilung“.
Tagsüber werden nun reihenweise Untersuchungen durchgeführt, die auch reihenweise schief laufen oder kein Resultat hervorbringen.
Mutti zeigt sich unendlich geduldig.
Selbst als sie beim MRT versehentlich mit dem Kontrastmittel regelrecht „aufgepumpt“ wird, weil der verantwortliche junge Mann die Ader nicht getroffen hatte, nimmt sie das vollkommen gelassen hin.
„Kann ja mal passieren“, meint sie am Wochenende, als sie mir ihren Arm zeigt. Der schillert bis zur Schulter hinauf in allen Variationen von grün, blau und lila.
„Mir tut bloß der junge Mann so leid. Der hat bestimmt Ärger bekommen“, fügt sie noch hinzu.
Typisch meine Mama…
„Hat das denn nicht weh getan?“ frage ich.
„Doch schon“, meint sie schulterzuckend. „Aber er hat ja vorher gesagt, dass es ein wenig drücken würde. Also dachte ich mir erst mal nichts dabei. Als es dann schlimmer wurde, war ich ja schon in der Röhre und irgendwie vertraut man doch darauf, dass die alles richtig machen.“
Sie erzählt das in einem Tonfall, als würde sie vom letzten Einkaufsbummel berichten. Keine Vorwürfe, kein Verärgerung.
So habe ich meine Mama in letzter Zeit eher selten erlebt.
In den vergangenen Monaten war sie zunehmend griesgrämiger geworden. Dieses ständige Gefühl, krank zu sein, ohne dass jemand etwas feststellen konnte, hatte sie nach und nach zermürbt, frustriert und verändert.
Immer öfter hatte sie sich über Gott und die Welt aufgeregt, sich sogar mit ihren Nachbarn angelegt, was eigentlich so gar nicht ihre Art war:
Die eine Nachbarin ging ihr auf die Nerven, weil sie sich dauernd nach ihrem Befinden erkundigte und ihr kleine Geschenke vor die Tür legte. Die anderen Nachbarn parkten zu nah an ihrem Auto und hielten beim Aussteigen die Autotür nicht fest, so dass ihr geliebtes Wägelchen rundherum (angeblich) voller kleiner Dellen war. Der Vermieter hatte die Heizungen so eingestellt, dass der Zähler lief, obwohl die Heizungen zugedreht waren. Und in ihrem Kleingartenverein klaute die Nachbargärtnerin ihr Gemüse.
Dieses und ähnliches Gemecker hatte ich in den vergangenen Wochen und Monaten mit anhören müssen.
Und plötzlich kommt kein einziges schlechtes Wort mehr über ihre Lippen. Sie schwärmt von allem – vom Essen, von der Ärztin, von den netten Pflegern, von dem tollen Krankenhaus und ganz besonders von dem Cappuccino in der Cafeteria.
Und ihr mit Kontrastmittel zu doppelter Größe aufgepumpter Arm schadet ihrer guten Laune genauso wenig wie vertauschte Rezepte und die Tatsache, dass man nun schon eine Woche lang ergebnislos an ihr herumdoktert…
Woche 2, März 2014
Die zweite Woche bringt viele neue Untersuchungen (dieses Mal ohne Pannen), aber noch immer keine Diagnose.
Den Verdacht, der die ganze Zeit wie ein Damoklesschwert über uns schwebt, spricht niemand aus. Ich bin nicht einmal sicher, ob Mutti überhaupt daran denkt, dass es Lungenkrebs sein könnte. Ich wage es nicht, sie zu fragen…
Falls sie die Möglichkeit in Betracht zieht, so merkt man es ihr nicht an. Als ich am Wochenende wieder zu Besuch komme, wartet sie bereits im Gang auf mich und winkt mir freudig entgegen.
Ich habe eher das Gefühl, sie im Urlaub zu besuchen anstatt im Krankenhaus. Wir gehen auf ihr Zimmer und sie stellt mir ihre „Mitbewohnerin“ vor. Diese kommt zufällig aus dem Nachbardorf von Muttis Oma und so haben sich die beiden jede Menge alte Geschichten zu erzählen.
Auch sonst verstehen sich die beiden super und haben sich gegen die dritte Frau im Zimmer verbündet, die sie nicht leiden können, weil sie die ganze Zeit nur jammert.
Jammern ist auch das Einzige, was meine Mama zu diesem Zeitpunkt NICHT akzeptieren kann. So weigert sie sich beharrlich, eine ihrer Freundinnen über den Stand der Dinge zu informieren, weil sie nicht will, dass diese zu Besuch kommt.
„Die heult mir doch bloß die Ohren voll, darauf hab ich keinen Bock!“ sagt sie und bleibt stur bei ihrem Entschluss: Wer jammert, bleibt draußen!
Stattdessen gehen wir gut gelaunt im Krankenhauspark spazieren. Muttis Fröhlichkeit wirkt nicht aufgesetzt, sondern absolut echt. Und trotzdem ist sie anders – sie nimmt das Leben plötzlich mit einer Intensität und einem Maß an Bewunderung wahr, wie man es sonst nur von kleinen Kindern kennt, die gerade erst anfangen, die Welt zu erkunden.
Ihre Begeisterung ist ansteckend.
Ich gestehe, dass ich mich bis dato nicht sonderlich für Pflanzen und dergleichen interessiert habe, während Mutti schon ihr ganzes Leben lang der absolute Gartenfan war. Irgendwie ist dieser Teil der Erbmasse nicht bei mir angekommen.
Doch als wir nun Hand in Hand durch den Park schlendern und sie jedes hervorsprießende Blümchen bewundert, fange auch ich an, die gerade erwachende Natur mit ganz anderen Augen zu sehen.
Händchenhalten fühlt sich allerdings komisch für mich an.
Mutti hatte sich immer dafür entschuldigt, dass sie mir – ihrer Meinung nach – zu wenig Körperkontakt gegeben hat. Ich selbst habe das nie so empfunden und auch nicht vermisst. Ich glaube, dass es vielmehr ihr selbst irgendwie fehlt, da sie als Kind wenig körperliche Nähe erfahren hat. Als Vollwaise ist sie bei ihrer Oma und ihrer Tante aufgewachsen ist, die sie zwar liebevoll versorgt und aufgezogen, aber nicht mit Küssen und Umarmungen überschüttet haben.
So versuche ich mich nun also an ihre Hand zu gewöhnen, die meine beharrlich festhält, während wir das Krankenhausgelände erkunden.
Ich glaube nicht, dass sie dabei den Gedanken hat, dass dies ihr letzter Frühling sein könnte. Und auch ich erlaube mir nicht, so etwas zu denken. Das würde uns die Freude an diesem Spaziergang nehmen. Es würde den Zauber zerstören, den wir erleben und das Glück, das wir empfinden – einfach nur, weil die Vögel zwitschern, die Sonne scheint und uns Narzissen mit ihrem leuchtenden Gelb anstrahlen. Man braucht doch letztendlich so wenig um glücklich zu sein…