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Das Leben ist kurz und endlich. Wer nicht jeden Tag nutzt, vergeudet wertvolle Zeit! Das Leben kennt schön und hässlich, hell und dunkel. Jahre vergehen, Wege teilen sich! Wer weiß genau, welcher Weg richtig ist?! Lasst uns einen Weg nehmen! Wer nie vom Weg abkommt, bleibt auf der Strecke! Ich erblicke das Licht der Welt kurz nach 4 Uhr morgens. Es ist vorbei mit dem angenehmen und lauwarmen Umherdümpeln in Mutters Fruchtblase. Wegen der frühen Tageszeit ist es noch dunkel. Das Licht der Welt wird durch eine recht grelle OP-Lampe ersetzt. Ich erschreckte heftig und brülle laut. Bernd Schuster verwendete früher das Pseudonym Bernard le Cordonnier, da Schuster auf Französisch möglicherweise eleganter klingt. Unter diesem Namen wurden bei Epubli im Holzbrinck- Verlag Berlin weitere Bücher veröffentlicht. Ebenfalls im Jahr 2019 entstand sein Buch "Lebenskunst – Der Weg zur eigenen Mitte". Bernd Schuster´s Vita umfasst mehrere berufliche Laufbahnen, die in diesem, stark autobiografisch angehauchten Titel präsent sind. Das Buch verbreitet gute Laune und zeigt, dass das Leben auch auf der Zielgeraden durchaus spannend bleiben kann.
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Seitenzahl: 197
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Bernd Schuster
Autobiografisch inspirierte Erzählung
Impressum
Copypright: © 2023 by Bernd Schuster
published by: epubli GmbH, Berlinwww.epubli.de
Das Leben ist kurz und endlich. Wer nicht jeden Tag nutzt, vergeudet wertvolle Zeit! Das Leben kennt schön und hässlich, hell und dunkel.
Jahre vergehen, Wege teilen sich! Wer weiß genau, welcher Weg richtig ist?!
Lasst uns einen Weg nehmen! Wer nie vom Weg abkommt, bleibt auf der Strecke!
Ich erblicke das Licht der Welt kurz nach 4 Uhr morgens. Es ist vorbei mit dem angenehmen und lauwarmen Umherdümpeln in Mutters Fruchtblase. Wegen der frühen Tageszeit ist es noch dunkel. Das Licht der Welt wird durch eine recht grelle OP-Lampe ersetzt. Ich erschrecke heftig und brülle laut.
Aufgrund persönlichen Glücks oder göttlicher Fügung entschlüpfe ich dem behütenden Schoß meiner lieben Mutter Hilde nicht in einem der Slums einer lateinamerikanischen Metropole, sondern im beschaulichen oberbayerischen Rosenheim. Schwein gehabt!
Rosenheim liegt verkehrsgünstig zwischen München und Salzburg. Zahlreiche Gletscherseen der letzten Eiszeit und bis zu 2.340 Metern aufragende Berge ergeben zusammen mit oberbayerischem Kulturgut wie Blasmusik und Schuhplatteln eine einmalige Ferienlandschaft, die man nicht gerne verlässt.
Ich habe noch mehr Glück! Meine Eltern bieten mir ein sehr stabiles Umfeld und Sicherheit, was für das Entstehen des so genannten Urvertrauens immens wichtig ist. Damals denke ich allerdings noch nicht darüber nach. Ich gähne lieber laut und mache mein Nickerchen.
Wir schreiben das Jahr 1952, es ist Mitte März, die ersten Schneeglöckchen treiben aus dem auftauenden Boden.
Im Deutschland der Nachkriegszeit regt sich Aufschwung. Bei den Olympischen Spielen in Helsinki feiert das tschechische Laufwunder Emil Zátopek Triumphe und gewinnt dreimal Gold. Vater August ist ein gescheiter Mann. Er stammt aus einer oberbayrischen, bäuerlichen Familie mit vielen Kindern. Eigentlich ist er durch Familienbeschluss für die Laufbahn eines katholischen Geistlichen vorgesehen.
Kurz nach den so genannten niederen Weihen kriegt er noch die Kurve und lernt mitten im 2. Weltkrieg meine Mutter kennen und lieben.
Hilde kommt aus Stuttgart. Ihr gefällt der Offizier der Luftwaffe recht gut und kann ihr zudem in Einvernehmen mit ihren Eltern die benötigte soziale Sicherheit vermitteln.
Hätte sich diese Verbindung nicht ergeben, so gäbe es mich nicht. Während eines Fronturlaubs entsteht erst einmal 9 Jahre vor mir mein großer Bruder Rudolf.
Das erste in meinem Leben, an das ich mich erinnere ist meine, von Opa Fritz selbst gebastelte Holzeisenbahn. Damals bin ich knapp drei Jahre alt. Ich balge mich gerne mit meiner frühreifen Freundin Barbara im Sandkasten herum, was mir im Alter von fünf Jahren einen Leistenbruch einbringt. Ich lerne den Operationssaal des Loreto-Krankenhauses in Rosenheim näher kennen.
Auf der sehr rustikalen Unteren Foisching-Alm in der Tiroler Windau wird mit Freunden frei nach Karl May Winnetou und Old Shatterhand gespielt. Es gibt ein sehr rudimentäres WC mit Donnerbalken über der Jauchegrube.
Ein vergilbter gelber Vorhang sorgt für die Privatsphäre. Auf dem Dachboden der 300 Jahre alten Holzhütte findet das Schlafvergnügen in stacheligen Strohsäcken statt. Ein kräftig sprudelner Brunnen vor der Hütte dient mit eisigem Quellwasser zum Waschen und zum Kochen. Beim Zahnputz bricht fast der Zahnschmelz. Elektrizität gibt es im ganzen Windautal keine.
Eine matte Öllampe mit Glühstrumpf beleuchtet die Szene mit romantischem Licht. Die Brandgefahr ist groß.
Ich bin meist Winnetou. Ruperts Schwester Marika eine Bleichgesicht-Geisel und damit für den Marterpfahl vorgesehen. Tränenüberströmt und laut brüllend wird sie von Apachen mit Blasrohren beschossen. Anstelle von Spitzen haben die Pfeile Saugnäpfe aus Gummi, die auf der Stirn und auf anderen Körperteilen der armen Marika kleben bleiben. Das bisherige Frauenbild wird sich mit dem Herannahen der Pubertät stark verändern!
Eines Tages erwischt Marikas Vater uns wilde Krieger und Folterer. Es setzt eine ordentliche Tracht Prügel, welche von unseren Erziehungsberechtigten billigend in Kauf genommen wird.
„Ihr Saukrüppel, Ihr grauslichen!“
Diese Almhütte in der Tiroler Windau ist Schauplatz vieler schöner, prägender Erlebnisse. Sie weckt meine Liebe zu den Bergen, zur Natur und zur Ursprünglichkeit.
Am besten schmecken mir ohne Lizenz gefangene, leckere Bachforellen aus dem glasklar sprudelnden Miesenbach. Einen ganz besonderen Leckerbissen stellen die kleinen, aber exzellenten Bachsaiblinge dar, die es auf der Filzenscharte gibt. Das bis heute geschützte Hochmoor auf 1.700 Metern Seehöhe stellt die Landesgrenze zwischen Tirol und dem Land Salzburg dar. Eine frisch geschnittene Haselnussrute mit einer nur 3 Meter langen Angelschur mit Haken und ganz wenig Blei reichen aus, um im nur etwa 1–2 Meter breiten Hochmoorbächlein erfolgreich zu sein.
Fette Regenwürmer aus tieferen Regionen sind bei den Gebirgs-Saiblingen sehr beliebt. Nicht selten wandern 10 Fische und mehr in Mutters Kupferpfanne. Sie werden in reichlich frischer Bergbutter der nahe gelegenen Hochalm-Sennerei mit wenig Mehl bestäubt und gesalzen gebraten.
Diese Köstlichkeit wird zum Inbegriff des kulinarischen Paradieses. Zum Abschluss reicht Hilde noch selbst gepflückte Heidelbeeren in bester, frisch geschlagener Bergsahne. Sahne heißt hier Obers und Tomaten Paradeiser. Ich passe bei allem gut auf und kenne mich mit der Zubereitung bald selbst gut aus.
Der örtliche Fischer wurde ohne das Wissen von Vater vorher von Bruder Rudi mit einem Kasten Bier erfolgreich bestochen. Er kennt sich auch prächtig mit Schmetterlingen aus. Er jagt sie tagsüber mit dem Netz und nachts mit einer starken Lampe. Danach präpariert er sie auf einem Spannbrett und drapiert sie in getrocknetem Zustand in Schaukästen. Seine gleichaltrigen Klassenkameraden sind zeitgleich eher auf Hasenjagd.
Es gibt auf der Filzenscharte und in größeren Höhen noch Exemplare des fast schon ausgestorbenen Apollo-Falters. Seltene tropische Exemplare züchtet Rudi zu Hause aus im Katalog teuer bestellten Puppen und tötet die frisch geschlüpften Urwaldriesen mit einer Zyankali-Spritze, bevor er sie sadomaso mäßig auf einem Balsaholz-Brett aufspannt.
Eine kleine Injektion davon hätte sicherlich dazu ausgereicht, nicht nur tropische Nachtschwärmer ins Jenseits zu befördern.
Im August und September schießen in den gegenüber liegenden Bergwäldern vorzügliche Pfifferlinge, Rotkappen und Steinpilze aus dem feuchten Boden. In der Pfanne in Butter geröstet oder als Schwammerlgulasch zubereitet, kann dem Gourmet dabei das Wasser im Munde zusammen laufen.
Nach plötzlich aufgezogenen Unwettern ist die hintere Windau, die sich vom Tiroler Hopfgarten 25 Kilometer gegen Süden windet, gelegentlich von der Außenwelt abgeschnitten. Geröll und Schlamm machen den schottrigen Forstweg dann unpassierbar. Telefon gibt es dort nicht. Somit sind wir nicht nur einmal tagelang von der Außenwelt abgeschnitten. Vater August, genannt Kugelblitz, versäumt zur Freude seiner Schüler eine wichtige Latein-Klassenarbeit. Da aufgrund diverser Unwetter und Murenabgängen solches nicht nur einmal geschieht, ist man im Kultusministerium nicht begeistert. Der Aufstieg zum Oberstudienrat wird etwas mühsam.
Großvater Friedrich und Großmutter Ottilie, die Eltern mütterlicherseits wohnen im Allgäuer Memmingen direkt im Bahnhof. Im Krieg werden sie dort von den Aliierten zu 100 % ausgebombt. Friedrich ist Chef des elektrischen Stellwerks und zudem ehemaliger Ski-Abfahrtsmeister der Deutschen Bundesbahn. In den Dolomiten klettert er zudem Schwierigkeitsgrade bis zur Stufe 6.
„Fritz, rauch nicht schon wieder!“
Opa Fritz hat gar nicht geraucht. Doch im brandneuen Schwarzweiss-Fernsehgerät hat sich gerade Ludwig Erhard, der Chef des neuen Wirtschaftswunders eine dicke Zigarre angesteckt.
Oma Ottilie verfügt offensichtlich über die seltene Gabe der übersinnlichen Wahrnehmung. Ich genieße die Urlaube in Memmingen. Es wird Schafkopf gegen Bares gespielt und Oma hat eine ganze Menge Münzen für ihren Enkel gesammelt. Nur Bares ist Wahres! Der Bahnhof ist mein Abenteuer-Spielplatz. Gerne lasse ich mich auf dem Metallgerüst-Steg des Bahnübergangs von den fauchenden 01er-Schnellzug-Dampflokomotiven beim Beschleunigen ordentlich räuchern. Nicht gerade zur großen Freude meiner Mutter. In der Wohnung riecht es anschließend wie in einer Räucherkammer. Dank Opas Beziehungen geht’s im Führerhaus einer 01er-Lok einmal sogar bis nach Oberstdorf.
1961 bringt die Sowjetunion ihren ersten Kosmonauten ins All und damit die USA unter Erfolgsdruck.
Am 24. Oktober 1962 gerät der Weltfriede massiv in Gefahr. Die Welt steht unmittelbar vor einem Nuklearkrieg.
US-Militärexperten haben mit Hilfe von Luftaufnahmen auf Kuba sowjetische, atomar bestückte Raketenstellungen entdeckt. Der Konflikt zwischen den USA und der Sowjetunion droht zu eskalieren. Einen Atomkrieg hätte in Europa an der Nahtstelle der Weltmächte kaum jemand überlebt!
Mutter Hilde lagert trotzdem im tiefen Keller Konserven ein. Papa hält Ausschau nach einem, vor atomarer Strahlung möglichst sicheren Ort, um der Apokalypse vielleicht doch noch zu entgehen. München ist von Rosenheim nur ca. 50 km Luftlinie entfernt. Es steht auf Messers Schneide. Der 3. Weltkrieg steht unmittelbar bevor. Nikita Sergejewitsch Chruschtschow prügelt mit einem ausgezogenen Schuh das Rednerpult, zieht dann aber doch vor Kennedy den Schwanz ein und seine Atomraketen in letzter Minute aus Kuba zurück.
Es hätte auch anders kommen können! Dann wäre mein Leben sehr übersichtlich verlaufen und dieses Büchlein wäre damit schon zu Ende!
Nachdem es aber weitergeht unterrichtet Vater am Finsterwalder Gymnasium im Stil der Feuerzangenbowle Latein, Altgriechisch und Germanistik. Zudem hat er noch eine Lizenz für Geschichte und Französisch. Er spricht auch fließend Italienisch und Neugriechisch. Er liebt es, seiner Hilde beim Abwasch zuzusehen und rezitiert dabei griechische und lateinische Verse. Sie versteht diese zwar nicht, doch sie tut so als ob, was auch schon reicht. Wahrscheinlich wäre es ihr lieber gewesen, wenn August das Geschirr abgetrocknet hätte.
Papa ist der Chef im Ring, Mutter die Geisha. Dafür ernährt er die Familie als Beamter mit unkündbarer Pensionsberechtigung. Hilde bewacht den häuslichen Frieden. Absolute Unbestechlichkeit und Integrität sind elementare Wesenszüge von Papa. Versuche von Schülereltern, ihm zu Weihnachten eine Flasche Wein zu schenken, wertet er als Beamtenbestechungsversuch und schickt sie postwendend zurück. Zur Vorspeise werden täglich lateinische, unregelmäßige Verben abgefragt, bevor der Schweinebraten auf den Tisch kommt. Dies verschafft mir den ordentlichen Grundstock, der mich später Abitur-technisch in den Zustand der Reife versetzen wird.
Das mangelnde Gespür meines leider oft erkrankten großen Bruders für Mathematik und seine negativen Schwingungen gegenüber Vater geben oft Anlass für heftige Debatten.
Beim gemeinsamen Mittagsmahl besteht die Möglichkeit, eine Stecknadel fallen zu hören. Jedes Kratzen des Suppenlöffels schmerzt das Ohr und passt zum gegenseitigen Minenspiel. Ich freue mich schon jetzt darauf, das Elternhaus bei der ersten finanziell tragfähigen Konstellation rasch verlassen zu können.
Familiäre Höhepunkte sind zahlreiche Campingurlaube, die mit einem silbergrauen VW Standard mit 24 PS und ovalem Heckfenster durchgeführt werden. Sie führen stets an Orte, die nicht weit von archäologischen Ausgrabungen entfernt sind. Bereits im Kindesalter weiß ich bald über die Unterschiede dorischer, korinthischer und ionischer Säulen Bescheid. Es finden auch zahlreiche Museumsbesichtigungen statt, die ich nur wenig spannend finde. Zwischendurch gibt es allerdings auch viel Campinggefühl und Strandvergnügen.
Früh lerne ich Orte wie Jesolo, Rimini, Rom und Castiglione della Pescaia kennen. Es gibt in der Nähe meist Etruskergräber und byzantinische Fresken in alten Kirchen zu besichtigen.
1964 fährt die Familie sogar bis nach Griechenland, allerdings schon mit einem pastellgrünen Käfer mit rechteckigem, großen Fenster und 40 PS. Mit 12 Jahren stehe ich auf der Akropolis von Athen. Zelt und Campingutensilien sind auf dem Aufbau des VW-Käfers verstaut. Damals ein echtes Abenteuer und eine logistische Meisterleistung von Mutter. Sie ist ausser dem Fahren für alles verantwortlich und trägt gererell an allem die Schuld. Dies führt bei ihr im Laufe der Jahre zu psychischem Asthma.
An erholsamen Schlaf auf den Luftmatratzen ist nicht zu denken. Vater beherrscht sämtliche Varianten nächtlicher Lautverschiebungen, welche bis zur Apnoe reichen.
Bei Aufenthalten an Campingplätzen, die länger als eine Nacht dauern, brechen nahe stehende Zeltnachbarn nach dieser Nacht generell mit bösen Gesichtern ihre Zelte ab.
Ich schmiede mit Rudi gelegentlich Mordpläne. Mutter nimmt die Tatsache demütig und devot hin. Professor Schuster erwartet in seinem Hauszelt gleich einem orientalischen Scheich denselben Service und Komfort wie zu hause, inklusive aller Mahlzeiten. Das mitgeführte Dosenarsenal ist beträchtlich, dazu kommen noch eine große Propangasflasche nebst 2-Flammen-Klappkocher.
Pater Familiae thront mächtig in großvolumigen Badeshorts, Netz-Unterhemd und weißen Ringelsocken in Sandalen im großen Campingsessel. Mutter steht die wesentlich kleinere Variante zu. Wir Brüder teilen uns die kleinen Hocker ohne Rückenlehnen. Es ist unglaublich, was in einen solchen VW-Käfer mit Aufbau alles hineinpasst!
Vorausgesetzt, die Pack-Logistik stimmt! Nach den Urlauben werden andere bekannte Gymnasiallehrer mit deren Familien eingeladen und es gibt stundenlange Lichtbildvorträge. Überwiegend handelt es sich bei den Motiven um 2.000 Jahre alte Skulpturen oder Säulenreste, die Vater aus allen Richtungen fotografiert hat. Bei dem mega-spannenden Thema überfällt mich bleierne Müdigkeit.
Am 22. November 1963 wird John F. Kennedy in Dallas erschossen. Ich heule die Kopfkissen voll Rotz und Wasser. Der jugendlich wirkende, smarte John F. Kennedy, besonders aber seine fesche Jacky haben mir gut gefallen.
Wenn nicht verreist oder auf die Alm gefahren wird, geht es in einer 3-stündigen Fahrt zu Mutters Eltern nach Memmingen. Opa arbeitet dort bei der Deutschen Bahn und leitet dort das elektrische Stellwerk. Der sehr gute Skiläufer, Bergsteiger und Kletterer bastelt für seine Enkel die ersten Alpin-Skier mit Stahlkanten und bringt uns schon früh das Skifahren bei. Diese Skier der Marke Esche brutal verfügen über einen aufgepinselten roten Belag und derb eingeschraubte Stahlkanten. Der Fahrspaß hält sich in engen Grenzen!
Vater gibt zur Gehalts-Aufbesserung Nachhilfestunden in Latein. Es entsteht dabei der Eindruck, dass lateinische Verben die absolute Quintessenz des Lebens sind. Ohne diese scheint das Leben absolut sinn- und aussichtslos zu sein. Die verheulten Augen der Nachhilfeschülerinnen und der rachitisch nach vorne gebeugte Gang der Schüler nach dem Nachhilfeunterricht sprechen eine beredte Sprache.
Nur der freundlichen und mütterlichen Art von Hilde und den, nach dem Unterricht gereichten Honigbroten mit schwarzem Tee ist es zu verdanken, dass sich etliche Schüler nicht gleich vor einen, hinter unserem Haus vorbeifahrenden Schnellzug werfen. Sie haben bereits erkannt, dass ein Leben ohne Latein ohne jeglichen Sinn ist.
Im Gymnasium doziert Professor Himsel, ein Mathematiklehrer, der intern Leuchtturm genannt wird. Er misst stolze 2.02 Meter, ist klapperdürr und stark nach vorne gebeugt. Seine Brille scheint aus dickem Panzerglas zu bestehen. Böse Zungen behaupten, dass er für den deutschen Wetterdienst arbeitet. Er durchstößt möglicherweise den herbstlichen Hochnebel. Es gibt für ihn zwei Arten von Schülern: Den intelligenten und den dummen Schüler.
Es sind somit in einer durchschnittlichen Klasse 28 dumme und 2–3 intelligente Schüler. Leuchtturm orientiert sich an den intelligenten Schülern, da ein dummer Mathematikschüler untauglich für das weitere Leben ist.
Bruder Rudolf gehört in Sachen Mathematik zum Volk und nicht zur Elite. Er hat mit einer 6 den Vogel abgeschossen und ist damit der Klassenprimus von hinten. Vater läuft zuhause Amok.
Das gemeinsame Mittagessen gerät zum absoluten Albtraum.
Manche Lehrkräfte, die nicht besonders nervenstark sind, haben es in meiner Klasse nicht gerade leicht. Eine junge Biologie-Studienrätin wirft das Handtuch und übersiedelt vorübergehend nach Stimmverlust im Klassenzimmer und folgendem Nervenzusammenbruch in das Bezirkskrankenhaus nach Gabersee. Es handelt sich um ein bekanntes Kompetenz-Zentrum für Psychiatrie und Ähnliches. Trotzdem wird sie Jahre später als Schuldirektorin in Pension gehen!
Mobbing und Burnout im Stil von Fukk You Goethe gibt es in den 60-erJahren auch schon, es heißt damals nur noch nicht so. Ich sinke im Fach Deutsch bei einem neuen Junglehrer auf die Note 4 ab. Der familiäre Hausfriede ist dadurch empfindlich gestört. Ich bitte meinen Erzeuger, den nächsten Hausaufsatz ausnahmsweise einmal an meiner Stelle zu schreiben. Paps erhält von seinem jungen Kollegen, der laut Originalton Schuster noch feucht hinter den Ohren ist, ebenfalls eine Note 4.
Nicht einmal eine gerade, sondern eine 4 minus. Ein kleines Fest für die Seele des geplagten Schülers! Selten habe ich über eine 4, die 2 des kleinen Mannes so gelacht und mich darüber gefreut.
Kugelblitz, wie er von vielen völlig verängstigten Schülern genannt wird, eilt wutschnaubend ins benachbarte Gymnasium. Es gibt damals in Rosenheim immerhin schon die höheren Lehranstalten. Schon damals wird klar, dass zwar grundsätzlich alle Menschen gleich sind, aber dennoch manche etwas gleicher.
Nach Vaters Rodeotauglichem Auftritt ist meine für alle Zeiten festgeschriebene Deutschnote mindestens eine 2. Es ist dabei ziemlich egal, was ich künftig schreibe! Vitamin B hat noch nie geschadet, was sich im späteren Leben noch öfter herausstellen wird.
Als sehr guter Sportler und Leichtathlet erreiche ich bei den so genannten Bundesjugendspielen unter den Teilnehmern aller Gymnasien Bayerns die höchste Punktzahl.
Diese Spiele gibt es heute noch, obwohl diverse Eltern wegen des darin enthaltenen Leistungsgedankens dagegen juristisch geklagt haben!
11,8 Sekunden für 100 Meter und 6,30 Meter im Weitsprung sind noch heute für einen 16-Jährigen stolze Leistungen. Diese Ergebnisse bringen mich vorübergehend in die Talentförderung des DLV für Olympia 1972.
Daraus ergibt sich eine weitere Tatsache. Erfolg zieht ähnlich wie Geld Frauen an. Sie sehen in einem guten Sportler, der zudem eine relativ angenehme Erscheinung ist, eine spannende Angelegenheit in Sachen potenzieller Vervielfältigung. Auch in der Tierwelt hat der stärkste Bock die meisten Gämsen. Ich werde im Schulhof von vielen verschiedenartigen Gämsen umstellt und fühle mich gerne als Bock. Ich werde dreimal in Folge hintereinander zum Klassensprecher gewählt. Damit ist es allerdings vorbei, als sich die Lobby der Abgestürzten und mehrmals Durchgefallenen gegen mich formiert und in mir einen lehrertreuen Musterschüler sieht.
Am 21. Juli 1969 landet Apollo 11 auf dem Mond. Astronaut Neil Armstrong spricht dabei den unvergänglichen Satz:
„Es ist ein kleiner Schritt für einen Menschen,aber ein großer Sprung für die Menschheit.“
1970 wird ein Vertrag zwischen der BRD und Moskau unterschrieben, was etwas Entspannung des kalten Krieges bedeutet.
Ein Gehalt für begabte Schüler, das je nach Einkommen der Eltern zwischen 150 und 300 DM liegen soll, wird eingeführt. Es soll gleiche Bildungschancen für ärmere Familien bieten.
Ich bekomme kein Schülergehalt, obwohl ich gerade einen Notendurchschnitt von 1,6 geschafft habe. Vater verdient angeblich zu viel. Man merkt allerdings wenig davon, da Hilde aus Gründen des standesgemäßen Ansehens kein Zubrot als Raumkosmetikerin verdienen darf.
Bruder Rudi studiert in München Jura, was viel Geld kostet. Der Beamtensold des allein verdienenden Familienoberhauptes ist nicht allzu üppig, wenngleich sicher. Zum Ausgleich für die, mir entgangene Kohle lerne ich eine biegsame und bildhübsche Blondine aus dem benachbarten Mädchenrealgymnasium hautnah kennen. Sie ist schon über 21 Jahre alt und hat das Abitur immer noch nicht geschafft. Zweimal ist sie schon sitzen geblieben, besitzt jedoch dank ihrer betuchten Eltern ein weißes VW-Cabriolet mit roten Ledersitzen.
Dadurch werden ausgedehnte Spritztouren aller Art besonders im Sommer stark erleichtert. Das schmucke Cabriolet bietet dafür besonders im geöffneten Zustand allerbeste und variantenreiche Voraussetzungen. Ich bin dadurch zum Gegenstand des allgegenwärtigen Neides meiner Mitschüler geworden. Zwangsläufig wird der Notendurchschnitt durch die Wechseltherapie aus Sport und anderen Leibesübungen nicht gerade besser. Uschi´s Vater ist Textil-Unternehmer und Sportpilot.
Er besitzt eine Cessna 152, die in Vogthareut bei Rosenheim im Hangar steht. Nun bin ich sein begabter Flugschüler. Uschis Vater Ernst zeigt mir bei gemeinsamen Flügen, wie man die Maschine fliegt, startet und landet. Ich mache zwar keinen Flugschein, käme notfalls aber möglicherweise mit der Cessna einigermaßen heil runter.
Kugelblitz ist über diese Hobbies seines Sprösslings und die damit verbundenen schlechteren Noten nur wenig erfreut. Doch der Vaterstolz siegt, wenn nach einem gewonnenen Skirennen oder einer Bestzeit im 100-Meter Lauf in der Lokalpresse gelegentlich auch mit Bild über seinen schnellen Sohnemann berichtet wird. Eines Morgens trifft Kugelblitz im längs gestreiften, schlank machenden Schlafanzug gegen 4 Uhr morgens im heimischen Badezimmer auf die sehr erotische Uschi. Sie ist splitternackt und wunderschön! „Guten Morgen, Herr Professor!“
Papa zeigt sich beim Frühstück beeindruckt: „Das musst Du von mir haben! Du hast einen guten Geschmack, das Mädchen gefällt mir!“
Wunder gibt es immer wieder und man lernt nie aus. Uschi ist aber auch Spitzenklasse. Sie sieht mit ihren schlanken 173 Zentimetern und ihrem Schmollmund süß und verrucht zugleich aus. Stark fühlbare Sinnlichkeit in Parität mit Uschi Obermeier, dem legendären Kommunardengroupie der 68er Bewegung und auch Ähnlichkeit mit Brigitte Bardot in deren jungen Jahren, als sie mit Gunter Sachs Saint Tropez zur Jetset-Metropole machte. Leider kann Uschi auch bei anderen manchmal nicht Nein sagen. Diese Tatsache fügt mir heftigen Seelenschmerz zu, welcher auch körperlich fühlbar ist. Meine sonst meist gute Laune ist dann zum Teufel, dauernd muss ich an die schöne Versuchung denken.
Wenn man das unter Liebe versteht, kann ich darauf gern verzichten. Nichts interessiert mich mehr, ich fühle mich krank und ohne Antrieb. Kurz danach bin ich wieder im 7. Himmel!
Jeden, der das Objekt seiner Begierde und Sehnsucht anspricht, könnte ich glatt erwürgen. Theoretisch liegen bereits viele ermordet auf dem Friedhof! Meist uralte Veteranen und Opas über 30 mit schnellen Sportwägen und dicker Brieftasche.
Ich darf nun gleich mit 18 mit Mutters Geld den Führerschein machen. Sie hat Glück in der Fernsehlotterie gehabt und eine Flugreise für zwei Personen nach Jamaika gewonnen. Das bringt ihren Platz an der Sonne und ihren Durchbruch zur persönlichen Freiheit. Die Zeit der Knechtschaft unter Kugelblitz geht zu Ende. Das Asthma hört damit schlagartig auf, zudem schaltet Paps einen Gang zurück und nimmt den Macho-Druck raus!
Ihm wird beim Fliegen mit seinem Augenhochdruck vom Typ Glaukom schwindlig. Mutter düst somit nicht in die Sonne zu den Palmen, sondern lässt sich anstelle der Reise lieber 20.000 steuerfreie Deutsche Mark auszahlen.
Mutters reicher Onkel aus Detroit, der die Geschichte vom Schuhputzer zum Millionär nachvollzogen hat, überweist dazu den Rest für ein kleines Fertighaus im Grünen. Er selbst wird zwar fast 100 Jahre alt, hat aber sein ganzes Leben nur geschuftet und sich nichts gegönnt. Er wird somit zu einem der reichsten Männer auf dem Friedhof von Detroit.
Die Familie gedenkt des edlen Gönners, den sie nie kennen gelernt hat und freut sich, dass dieser nicht sich, sondern anderen etwas gegönnt hat! Das Paradies soll es ihm mit 100 schönen Jungfrauen danken! Ich selbst werde es aber sicher anders machen.
Ich werde meine Jungfrauen lieber auf diesem Planeten und nicht erst im islamischen Paradies der IS kennenlernen! Ich bin nun knapp 19 Jahre jung und befinde mich in der Abiturklasse. Was soll aus mir werden? Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung. Mutter meint, eine Beamtenlaufbahn sei das Goldrichtige, mit Sicherheit und Pension im Alter, so wie bei Papa. Vielleicht auch ein Medizinstudium, damit aus mir ein neuer Albert Schweizer, ein Helfer der Menschheit wird. Wenn ich mir die Junglehrer mit ihren klapprigen VW-Käfern und den verbeulten Anzügen und Schultaschen so anschaue, sieht das nicht nach dicker Kohle aus. Von der Pension in 45 Jahren kann ich mir heute nichts kaufen. Wer weiß, ob ich überhaupt so alt werde!
Man hört, dass Lufthansa Nachwuchs-Flugzeugführer sucht. Das ist sicher das Richtige für mich!
Eine schicke Uniform, fremde Länder, Geld ohne Ende und immer hübsche Stewardessen im Cockpit. Wofür gibt es den Autopiloten? Ich melde mich zur Prüfung in Hamburg-Fuhlsbüttel an und überstehe die Gesundheitsprüfung.
Im März 1971 ist es soweit! Ich werde zum Eignungstest nach Hamburg eingeladen. Ein Flugticket – das erste meines Lebens – liegt bei. Meinen Freunden und Bekannten erzähle ich, dass ich demnächst als Captain eine Boeing fliegen werde.
In Hamburg mit einer Boeing 737 gelandet, geht es mit dem Bus in den Stadtteil Fuhlsbüttel. Lufthansa hat mir einen Laufzettel zugesandt und als Quartier die Frühstückspension Erika angegeben. Ulrich aus Baden-Baden ist schon da. Er wird das Doppelzimmer mit mir teilen. Es ist noch früh am Abend. Meine Erwartungen sind hoch und Adrenalin pocht in den Adern. An Schlaf ist nicht zu denken! Ullrich ist 26 Jahre alt. Er fliegt bei der Bundeswehr schon als Pilot eine Herkules-Transportmaschine.
In Sankt Pauli, im so genannten Kiez soll der wilde Bär steppen! Mit der Hochbahn gondeln wir erwartungsvoll dorthin.
Der Welthafen und die riesigen Werftanlagen von Bloom & Voss beeindrucken mich gewaltig. Wir essen an den Landungsbrücken Matjesheringe mit Salzkartoffeln und trinken ein Glas helles Bier dazu. St. Pauli macht teilweise einen recht heruntergekommenen Eindruck.
Überall gibt es Kneipen mit viel rotem Licht und abgerissene Gestalten, die versuchen, uns junge Piloten-Anwärter in eine der vielen Bars zu zerren. Die Herbertstraße ist verbarrikadiert und nur für männliche Wesen passierbar.
Hinter den rot erleuchteten Fensterscheiben sitzen viele gut aussehende junge Damen mit sehr wenig Stoff am Leib. Man kann sie gegen eine milde Gebühr mieten. Die Neugier siegt! An der Bar werde ich sofort von einer Blondine, die mich im schummrigen Rotlicht in rauchiger Luft stark an meine Uschi erinnert, in Beschlag genommen.
„Hallo Süßer, ich bin Chantal,lädst Du mich auf einen Piccolo ein?“