Wicked Lover Sammelband - Holly Clarkson - E-Book

Wicked Lover Sammelband E-Book

Holly Clarkson

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Beschreibung

Die beliebte BILD Bestseller-Reihe von Holly Clarkson nun auch als preisgünstige Gesamtausgabe im Handel! Über 1800 Taschenbuchseiten in einem Band!

Sie ist jung und braucht das Geld. Wenn auch nicht für sich, sondern für die Therapie ihres schwerkranken Bruders. Und zwar pronto! Also bewirbt sich die hübsche Vivien als Edelprostituierte in einem Nobelbordell mitten in der Wüste Nevadas - ohne zu ahnen, was sie dort erwartet. Ausgerechnet Aidan, ihr verhasster Exfreund aus Highschoolzeiten, soll sie in einem einmonatigen Trainingsprogramm in sämtliche Geheimnisse der Liebeskunst einweisen. Längst hatte sie den Mistkerl aus ihrem Leben gestrichen. Doch in ihrer Not lässt sie sich auf den Deal ein. Leider ist Aidan auch noch ein Meister der Verführung, der ihr Herz immer öfter aus dem Takt bringt. Wäre da nicht ihre gemeinsame Vergangenheit und dieser verhängnisvolle Abend vor zehn Jahren, an dem er sie einfach im Stich ließ ...

Die Gesamtausgabe enthält alle vier Teile der Reihe. Band 1: Wicked Gentleman Lover Band 2: Wicked Virgin Whisperer Band 3: Wicked Lady Killer Band 4: Wicked Bad Boy

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2022

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WICKED LOVER - SAMMELBAND

HOLLY CLARKSON

Deutsche Erstveröffentlichung 2022

Copyright © 2019, Holly Clarkson

c/o Barbara’s Autorenservice

Tüttendorfer Weg 3

24214 Gettorf

Email: [email protected]

Cover: Booklover Coverdesign

all rights reserved

Sämtliche Charaktere, Handlungen und Gegenstände dieser Geschichte sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

INHALT

Wicked Gentleman Lover

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Epilog

Wicked Virgin Whisperer

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Epilog

Wicked Lady Killer

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Epilog

Wicked Bad Boy

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Epilog

Leseprobe

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WICKED GENTLEMAN LOVER

HOLLY CLARKSON

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AIDAN

Ich erstarrte. Es war lächerlich, aber ich konnte mich tatsächlich keinen Millimeter mehr bewegen. Stattdessen lauschte ich meinem dumpfen Herzschlag, der bis hoch in meine Schläfen pochte. Nur eine Frau auf dieser Welt vermochte es, mir eine derartige Reaktion zu entlocken. Und scheiße, genau diese hatte mich per E-Mail kontaktiert.

Vivien Davis.

Was machte ich denn jetzt mit ihr?

Noch einmal überflog ich die Zeilen, welche eigentlich an meine Assistentin Joanne Farnham gerichtet waren. Offenbar dachte Vivien, der Club wurde von einer Frau geführt, nicht von mir, einem gestandenen Mann von achtundzwanzig Jahren.

Liebe Ms Farnham,

Sie suchen zur Verstärkung Ihres Teams eine kollegiale, zuvorkommende und freundliche Mitarbeiterin? Mein Name ist Vivien Davis, ich bin sechsundzwanzig Jahre alt, habe Wirtschaftswissenschaften studiert und mein Studium an der California State University in Sacramento mit einem Bachelor abgeschlossen. Bislang arbeite ich bei der Smithsonian Corporation am North Speedway in Las Vegas im Bereich der Kundenakquise (ich bitte in Ihrem Fall von telefonischen Empfehlungsnachfragen abzusehen und hoffe auf Ihr Verständnis sowie Ihre Diskretion.) Obwohl Clubs wie der Ihre zum absoluten Neuland für mich zählen, bewerbe ich mich dennoch in Ihrem gehobenen Etablissement für die Stelle einer erotischen Liebesdame. Der Umgang mit Menschen bereitet mir sehr viel Freude, zuvorkommender Service jeglicher Art ist mein erklärtes Ziel. Darüber hinaus bin ich flexibel einsetzbar und kann selbst unter Stress ausdauernd, freundlich und zuverlässig arbeiten. Gerne würde ich weitere Einzelheiten in einem persönlichen Gespräch mit Ihnen klären.

Mit freundlichen Grüßen

Vivien Davis

Wider Willen schmunzelte ich in mich hinein. Zu gern hätte ich gewusst, was Vivien unter ausdauernd verstand. Ob sie tatsächlich kapierte, als was sie sich bei uns beworben hatte?

Ich hingegen hatte ehrlich gesagt keine Ahnung, was ich von dieser Bewerbung halten sollte. Erotische Liebesdame, Clubs wie Ihrer, von Empfehlungsnachfragen absehen. Himmel. Wie es aussah, war Vivien Davis noch genauso weltfremd wie zu Schulzeiten. Ihre Mail las sich, als hätte sie ein paar Satzbausteine aus ehemaligen Bewerbungen zusammengefügt und daraus ein Anschreiben gebastelt. Warum um alles in der Welt bewarb sie sich für eine Stelle als Prostituierte? Ich musste zugeben, unser Riesenstreit nagte noch immer ein wenig an mir. Zehn Jahre war das alles her. Unsere Beziehung, die erste große Liebe und der Moment, als mir klar wurde, dass sie mich nur verarscht hatte. Was war ich in dieses Mädchen verliebt gewesen. Ich winkte ab. Scheiß drauf. Sie war schon damals ein verwöhntes Ding gewesen, wieso sollte sich dieser Umstand geändert haben? Meine Neugierde war nach dieser doch eher ungewöhnlichen Bewerbung auf jeden Fall geweckt. Zumindest anschauen konnte ich sie mir, nicht dass die Gute zwischenzeitlich hundert Pfund zugelegt hatte.

Nach einem Klick auf den Anhang sog ich scharf die Luft ein. Ein Foto von ihr hatte sich geöffnet und ich blickte direkt in ihre fantastischen großen grünen Augen, in denen sich bernsteinfarbene Sprenkel tummelten. Ihre dezent geschminkten Lippen zierte der Hauch eines Lächelns. Sie sah aus wie die Unschuld in Person.

Ihr Anblick traf mich wie ein elektrischer Schlag. Wie von selbst fand mein Blick zum Ausschnitt ihrer – wie konnte es auch anders sein – adrett gebügelten, aber immerhin eng anliegenden schneeweißen Bluse. Ein ansehnlicher Busenansatz wölbte sich mir – dezent natürlich – entgegen und lud fast schon dazu ein, ihr das lästige Stück Stoff von den Schultern zu streifen. Für Viviens Verhältnisse wohl mehr als offenherzig, mir hingegen drängte sich der Eindruck auf, als könnte sie nicht aus ihrer kühlen Businessfrau-Haut.

Ich verlor mich in ihrem Anblick, spürte wie mein Schwanz – ebenso dezent – zuckte. Kleines Biest. Noch immer hatte sie dieselbe Wirkung auf mich, obwohl sie im Vergleich zu den Frauen, die ich die letzten Jahre kennengelernt und gevögelt hatte, nicht mal großartig herausstach. Gut, das war gelogen. Ich konnte es nicht leugnen, ihr Aussehen war schlichtweg fantastisch. Das streng zurückgekämmte hellblonde Haar glänzte im Blitzlicht der Aufnahme wie ein Heiligenschein. Schon immer hatte mich Viviens ungewöhnliche Art fasziniert. Sie war anders gewesen als die restlichen Mädchen an der Schule. Kühl und streberhaft, ganz die perfekte Tochter des Oberrichters von Carson City. Was ihr alter Herr wohl zu der Bewerbung seiner Tochter im Gentleman’s Paradise sagen würde? Meinem Baby, das ich zusammen mit meinem Geschäftspartner erst zu dem gemacht hatte, was es heute war. Das exklusivste Etablissement der Extraklasse weit und breit. Und ich war verdammt stolz darauf. Ich legte die Stirn in die Hand, stützte den Ellenbogen auf der nussbaumfarbenen Schreibtischplatte ab und schüttelte erneut den Kopf. Dieses Anschreiben las sich so abstrus und lächerlich, dass ich eher an einen schlechten Scherz glaubte, denn an eine ernst gemeinte Bewerbung.

Sie hatte mir tatsächlich ein Foto im Businessoutfit geschickt. What the fuck …? Vivien war zauberhaft, stellte ich erneut widerwillig fest. Sie besaß diese unschuldige Süße, auf die ein Großteil meiner Gäste total stand (mich leider eingeschlossen), allein ihre riesigen Augen in dem schmalen, aparten Gesicht. Eine Frau wie sie könnte bei mir im Club binnen kürzester Zeit einen Haufen Geld verdienen. Und wir mit ihr. Verlockend.

Ein Geräusch an der Bürotür riss mich aus meinen schwelgerischen Gedanken. Mein Geschäftspartner Kayne schneite herein - natürlich ohne anzuklopfen, wie es seine Art war.

»Verdammt, Kayne. Warum kannst du nie anklopfen? Ich hätte hier mit heruntergelassener Hose sitzen können, während mir eine der Neuen einen bläst.«

Kayne kam unbeeindruckt näher. »Als ob dich Zuschauer jemals gestört hätten.«

Wo er recht hatte … Ich mochte Zuschauer beim Sex, fuhr sogar voll drauf ab. Überhaupt stand ich auf ausgefallene Praktiken, experimentierte gern, bei mir gab es keine Berührungsängste. Ebenso wusste ich einfallsreiche Frauen zu schätzen, vor allem solche, die meine Ideen, egal wie - sagen wir mal - unanständig sie auch waren, mit Hingabe ausprobierten.

Ob sich Vivien wohl über die Missionarsstellung hinauswagte? Ich konnte mir ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen, als ich mir die prüde Blondine auf dem Rücken liegend, mit verkniffenem Gesichtsausdruck, vorstellte. Die Augen fest zugepresst, ließ sie den Akt über sich ergehen, in der Hoffnung, das unkeusche Treiben möge bald vorbei sein.

Obwohl es mich in den Lenden juckte, herauszufinden, wie weit sich Vivien Davis diesbezüglich formen ließ, verschwendete ich besser keinen zweiten Gedanken daran. Ein weiterer Blick auf ihr Foto, von dem sie mich im Business- Outfit geschäftsmäßig anlächelte, ließ meine Fantasien zerplatzen wie schillernde Seifenblasen. Diese Frau war nicht für schamlose Stunden gemacht, sie war ein Küken, ein hübsches Hühnchen auf der Suche nach einem warmen Nest, in dem sie ihre Brut aufziehen konnte. Im Prinzip stand mir nichts ferner als ein Wiedersehen. Lediglich die Neugierde bewog mich zu einem erneuten, wenn auch nur raschen Blick. Sie wollte eine Hure werden? Es konnte sich nur um einen Witz handeln. Keine gewöhnliche Hure, selbstverständlich nicht. Eine Edelhure. Darunter machte sie es nicht. Aber wieso? Ihr Dad war einer der einflussreichsten Männer von Carson City gewesen. Weshalb also tat sie sich das an? War sie in Ungnade gefallen? Oder an ihrem ausufernden Lifestyle gescheitert? Andererseits hatte ich Besseres zu tun, als meine Zeit mit einer verzogenen Tochter aus stinkreichem Hause zu vergeuden, die mir vor Jahren einen schmerzhaften Arschtritt verpasst hatte. Mittlerweile besaß ich selbst mehr Kohle, als ich in einem Leben ausgeben konnte und eröffnete, sofern alles glattlief, bald zusammen mit Kayne unser viertes Bordell in Nevada. Obendrauf nannten wir einen harmlosen Stripclub in Sacramento unser Eigen.

»Suchst du eine neue Assistentin?«, hörte ich Kayne fragen und schrak erneut aus meinen Gedanken. Er deutete auf meinen Laptop, von dem uns Vivien noch immer reserviert und unnahbar entgegenlächelte. »Du hast doch nicht etwa Joanne vergrault?« Mein Geschäftspartner klang entsetzt. »Sie ist die beste Assistentin seit Jahren und hat so ziemlich den schönsten Apfelpo, den ich je betrachten durfte.«

»Du hast Joannes Arsch noch nie blank gesehen. Sie ist verlobt und das ist gut so. Schließlich brauchen wir sie für alles, was im Büro anfällt. Und nein, hierbei« - ich deutete lax auf den Bildschirm - »handelt es sich nicht um eine Bewerbung für einen Assistentenposten.«

Kayne beugte sich vor und studierte interessiert Viviens Gesicht. »Wer ist die Kleine? Hübsches Ding.«

»Egal«, erwiderte ich eine Spur zu unwirsch, mir stand nicht der Sinn nach einer Unterhaltung über Vivien Davis.

Kayne musterte mich eingehend, was mir überhaupt nicht passte. Er war ein Player, und zu meinem Leidwesen war es aussichtslos, Geheimnisse vor ihm zu haben. Er kannte mich viel zu gut, besser gesagt, zu lang.

Seit unserer gemeinsamen Zeit auf dem College in Las Vegas, als ich noch vorhatte, Industrial Engineering zu studieren. Das war lange her, sechs Jahre, um genau zu sein. Schlussendlich war ich ohne Abschluss abgegangen und hatte mich gemeinsam mit Kayne den vergnüglicheren Seiten des Lebens gewidmet: hemmungslosem und versautem Sex nach allen Regeln der Kunst. Wir waren Meister in dieser Disziplin geworden; gäbe es einen Unilehrgang in ausschweifender Erotik, Kayne und ich hätten unseren Master mit Auszeichnung bestanden. Weshalb also nicht die Leidenschaft zum Beruf machen, hatten wir uns gesagt, und das Gentleman’s Paradise gegründet, welches sich rasant zum beliebtesten Bordell in ganz Nevada gemausert hatte.

»Wenn die Kleine dir so egal ist, warum starrst du sie seit einer Ewigkeit an, als würdest du auf einen Blowjob, ausgeführt von diesem, zugegeben ein wenig verkniffenem Mund hoffen?« Er lachte leise. »Passt du bei der einen Moment lang nicht auf, beißt sie dir den Schwanz ab. Glaub mir, mit dieser Sorte Frau hast du keinen Spaß. Die wollen nicht spielen, die wollen ohne Licht im Schlafzimmer auf dem Rücken liegen, und treiben ihren Alten an, damit er schnell zum Ende kommt.«

»Woher willst du das wissen?«, blaffte ich, obwohl ich vorhin dasselbe gedacht hatte. Ohne es zu wollen, verspürte ich den Drang, Vivien zu verteidigen. »Du kennst sie überhaupt nicht«, schob ich zahmer hinterher.

Als er eine Augenbraue hob, fühlte ich mich unangenehm ertappt.

»Du etwa?«

Fuck. Ich hatte keine Lust auf ausufernde Erklärungen. Warum hatte ich vorhin nicht einfach nebenher eine Absage an Vivien getippt? Knapp und schmerzlos. Sollte die Gute sich woanders bewerben, an der Rezeption des Bellagio, da passte sie hin. Fakt war, sie musste weg vom Tisch. Also die Bewerbung.

»Ich kenne sie nicht wirklich«, gab ich schließlich lahm zu. »Ich dachte mal, ich kenne sie, aber das hab ich dann doch nicht.« Mist, diese überflüssige Erläuterung machte mich extrem verdächtig. Sofort, nachdem mein neugieriger Teilhaber mein Büro verlassen hatte, würde die Absage rausflattern, danach würde ich Grace aus der Gentleman’s Bar hier im Haus herzitieren, damit sie mir mit einem gekonnten Blowjob jeglichen Gedanken an Vivien Davis austrieb.

»Ihr kennt euch also tatsächlich?« Kaynes rechter Mundwinkel hob sich zu einem halben Grinsen. »Hattet ihr schlechte Erfahrungen im Bett?«

»Wir waren nicht zusammen im Bett. Ich kenne sie aus der Highschool. Vivien war zwei Klassen unter mir. Viel mehr gibt es nicht zu erzählen.«

»Sie hat dich nicht rangelassen, stimmt’s?« Kayne setzte sich auf die Schreibtischkante. »Die süße Vivien hat ihre strammen Schenkel fest zusammengehalten und dich nicht mal einen Blick auf ihre blonden Locken dazwischen werfen lassen.« Er klang spöttisch. Arschloch. Ja, genauso war es abgelaufen. So ähnlich zumindest. Eigentlich war unsere Beziehung eine einzige Katastrophe gewesen. Details würde Kayne ganz bestimmt keine von mir bekommen. Dass Vivien extrem schlecht auf mich zu sprechen war, verschwieg ich wohlweislich - im Prinzip war das auch völlig egal. Ganz sicher hatte Vivien mir unser desaströses Beziehungsende bis heute nicht verziehen. Nachher würde ich ihre Mail löschen, somit tapfer der Versuchung widerstehen, erneut in den Bann ihres Fotos zu geraten. Stattdessen würde ich mich auf Graces volle Lippen um meinen Schwanz konzentrieren. Ich brauchte nur Ablenkung, das war alles.

»Halt die Klappe.« Ich lehnte mich zurück. »Die Sache mit ihr ist schon eine Ewigkeit her.« Warum machte mich der bloße Gedanke an Vivien dermaßen aggressiv?

Tief in mir drin wusste ich, warum. Bei unserem letzten Treffen hatte ich mich wie das mieseste Arschloch der Welt aufgeführt, nur um sie zu verletzen. Meine brodelnde Wut hatte ein Ventil in ihr gefunden. Schließlich hatte sie mich echt verarscht ...

»Und was will sie nach all den Jahren von dir?«, ließ Kayne nicht locker und strich sich mit einer Hand durch sein dunkelblondes Haar.

»Sie will im Gentleman’s Paradise als Nutte anfangen.«

»Im Ernst?«

»Ja, im Ernst.« Ich verspürte den plötzlichen Drang, gegen meinen massiven Schreibtisch zu treten, ließ es dann aber sein. Mittlerweile hatte ich mich im Griff, solche Anfälle hatte es schon Jahre nicht mehr gegeben. Inzwischen beschränkten sich meine Zornausbrüche auf ein normales Maß, und das sollte auch so bleiben.

»Als Prostituierte. Interessant.«

»Was soll daran interessant sein?« Ich setzte mich aufrecht hin. Wie ich es hasste, wenn Kayne auf diese Art mit mir redete, indem er mir einzelne Wörter wie Hundekekse vorwarf.

»Ich meine damit, dass es für jemanden wie sie wohl einen triftigen Grund geben muss, sich hier bei uns zu bewerben. Weiß sie, dass dir der Laden gehört?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich denke nicht. Wie es aussieht, glaubt sie, der Puff wird von Joanne geführt. Warum ist das wichtig? Ich werde ihr auf jeden Fall absagen.«

»Warum willst du ihr absagen? Lad doch Vivien wenigstens zum Vorstellungsgespräch ein.«

»Was soll der Scheiß, Kayne?«

Er kratzte sich am Hals. »Ich könnte dir auf Anhieb mindestens zwanzig Stammkunden aufzählen, die ein Vermögen für ein paar Stunden mit Vivien Davis ausgeben würden. Ich meine, seien wir mal ehrlich. Sie ist heiß. Im Club arbeiten so viele hemmungslose und dauergeile Frauen, allesamt Vollprofis, die jede Stellung im Schlaf beherrschen. Aber von der schüchternen, kühlen Sorte haben wir ganz wenige. Eigentlich so gut wie keine.« Er fuhr mit einem Finger die Linie ihrer Brustansätze auf dem Foto nach. »Stell dir vor, sie steht in genau diesem engen Business-Outfit im Club, darunter trägt sie nur einen winzigen, sündigen Spitzen-BH, diese Art von Hebe, welche die Nippel freilässt, damit sie sich durch den dünnen Stoff der Bluse drücken können. Unter dem Rock trägt sie ganz klassisch Strapse, selbstverständlich ohne Höschen.« Ein feines Grinsen umspielte Kaynes Lippen. »Du schiebst eine Hand unter diesen biederen, braven Rock, immer höher und höher, ihre schlanken schneeweißen Schenkel entlang, bis du mit einem Finger den Schlitz zwischen ihren Schamlippen erreichst und erfreut bemerkst, dass sie nichts drunter trägt, du greifst direkt in ihre nasse Pussy, bevor du ihr zwei Finger bis zum Anschlag reinschiebst.«

Mein Schwanz zuckte bei seinem Gequatsche, richtete sich halb auf. Allein diese recht harmlose und zahme Vorstellung von Vivien ließ mich hart werden.

»Lass den Quatsch«, sagte ich kurzatmiger als gewollt.

Kayne ignorierte mich, stattdessen stützte er sich mit beiden Händen auf der Tischplatte auf. »Ich hingegen würde ihr den Rock bis zu den Hüften hochschieben und sie mir über die Knie legen, während ich ihren süßen Arsch so lange mit meiner Handfläche bearbeite, bis er leuchtet wie das rote Licht einer Ampel. Gleichzeitig würde ich ihr einen dieser elektrischen Mini-Vibratoren in die Pussy schieben. Leise mitzählen wie lange es dauert, bis sie kommt, während ich mit der Fernbedienung die Vibration langsam steigere, bevor ich auf den Zug aufspringe und mit ihr bis zur Endstation fahre.«

»Das ist doch Blödsinn.« Hilflos deutete ich auf ihr Foto. »Sieh sie dir doch an. Das da ist nicht gespielt, die Kleine führt uns keine Fantasie vor. Das auf dem Bild ist Vivien, wie sie leibt und lebt. Die Frau hat einen riesigen Stock im Arsch. Kein Freier im Haus wird bei ihr auf seine Kosten kommen. Vorher wird sie Vergewaltigung und Mord schreien.«

»Das glaube ich weniger«, erwiderte Kayne gelassen. »Zumindest dann nicht mehr, nachdem sie ihren ersten Abendverdienst in den Händen hält. Stellt sie sich geschickt an, kann sie locker zwei- bis dreitausend Dollar pro Abend kassieren. Für diese Summe lässt selbst das schüchternste Mauerblümchen seine Hemmungen fallen.« Er stieß sich vom Schreibtisch ab und stand mit leicht ausgestellten Armen und Beinen vor mir. Kayne war ein Kerl, der nicht mal als Gast im Gentleman’s Paradise für Sex zahlen müsste. Die Mädels gaben ihm bereitwillig alles, was sie zu bieten hatten, und ihre Willigkeit nutzte er reichlich aus.

Ich ließ sein Gequatsche in mir nachklingen, das sich mit zeitlicher Verzögerung noch abstruser anhörte.

»Komm schon«, redete er leise auf mich ein, »die Gäste wollen Abwechslung, dauernd derselbe Typ Frau wird ihnen zu langweilig. Wir sind nicht irgendein Bordell. Vivien wird der Star im Club, glaub mir.«

In seiner Euphorie hatte Kayne eine Kleinigkeit übersehen. Dass Vivien mich ganz bestimmt niemals als ihren Boss akzeptieren würde. Nicht für alles Geld der Welt. Die Kleine hasste mich abgrundtief.

»Sie wird nie im Leben für mich arbeiten.«

»Dann arbeitet sie halt für mich.«

»Du bist ab Freitag geschäftlich für ein paar Tage in Lyon County. Schon vergessen?«

»Dann wird Joanne mich solange vertreten.« Sein Grinsen sah spöttisch aus. Ich wusste, dass Kayne die Sache irre witzig fand. Er liebte es, zu spielen.

»Kayne.« Ich schüttelte frustriert den Kopf. »Mich würde es nicht mal wundern, wenn sie noch Jungfrau wäre. Du kannst sie nicht in einem Business-Outfit in den Club stellen und die Gäste auf sie loslassen. Das wird niemals funktionieren. Sie hat keine Ahnung, was in unserem Haus vor sich geht. Lies ihre Bewerbung. Dass die Gäste eben nicht auf den klassischen Vanilla-Sex abfahren. Unsere Kunden erwarten Abwechslung auf hohem Niveau, haben Kinks, und sind nicht nur an der Beseitigung ihres Triebstaus interessiert. Eine schnelle Nummer können sie bei jeder illegalen Nutte in Las Vegas um die Ecke kriegen. Was glaubst du, würde passieren, wenn Homer Landon sie buchen würde und sie im Club nackt vor ihm knien müsste, während sie ihm vor allen Leuten den Schwanz lutscht?«

Ein leises Lachen stahl sich aus Kaynes Kehle. Ich wusste, dass der Blödmann sich die Szenerie gerade in allen Einzelheiten vorstellte. Wie unser sechzigjähriger Stammgast die blutjunge Vivien vor allen Leuten entkleidete und eingehend nachprüfte, ob sie auch tatsächlich feucht wurde oder ihm nur was vorspielte. Mir wurde kotzübel, allein bei dem Gedanken.

»Kayne, sie wird keine Lust spielen können, für diesen Job hat sie zu wenig Erfahrung. Das ist, als ob man einen Goldfisch in ein Haifischbecken kippt und ihm dann viel Glück wünscht.«

»Dann braucht sie vorher halt ein anständiges Training.«

»Was?« Ich riss die Augen auf.

»Einen Einreiter, einen Kerl mit der nötigen Erfahrung, der ihr alles beibringt, was sie wissen muss.«

»Und wen stellst du dir dafür vor?«

Kayne hatte sich in Vivien verbissen wie ein Mungo in eine Kobra.

»Dich.« Kayne legte mir eine Hand auf die Schulter. »Wen sonst. Du bist brillant im Bett und besitzt anders als ich auch das nötige Feingefühl, das eine kleine, ungerittene Stute braucht, um mal so richtig in Fahrt zu kommen.«

»Sie wird sich nicht auf mich einlassen.«

»Aidan. Diese Frau braucht entweder ganz dringend einen Haufen Kohle oder sie will ihr langweiliges Leben aufpeppen. Ich denke ja eher, sie hat einen gewichtigen Grund, weshalb sie sich bei uns als Nutte bewirbt. Euer Drama ist Jahre her, sprecht miteinander und schafft es aus der Welt. Und danach …« - er machte eine wirkungsvolle Pause - »reitest du sie ein. Denk dran, was allein die Versteigerung einbringen würde.«

Die Versteigerung war in der Tat ein schlagkräftiges Argument. Kayne hatte leicht reden, er hatte null Ahnung, aus welchem Grund Vivien mich hasste. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie mir bei einem erneuten Zusammentreffen die Hand reichen würde, während wir gemeinsam über unsere Jugendstreitereien lachten.

»Dein Vorschlag ist doch Wahnsinn.« Alles in mir sträubte sich.

»Du hast Schiss, das ist alles«, warf Kayne mir vor die Füße.

»Schiss vor einer Frau? Come on.« Ich griff nach der Whiskykaraffe, die auf meinem Schreibtisch stand, und goss mir ein Glas randvoll.

»Nicht vor irgendeiner Frau. Vor Vivien Davis.«

»Ich glaube einfach nicht, dass aus dieser Frau eine Edelhure werden kann, das ist alles. Dein bescheuerter Plan wird niemals funktionieren.«

»Wenn es einer schafft, dann du.« Sein Grinsen wurde schon wieder gemein, was mich das Schlimmste ahnen ließ. »Schließen wir eine Wette ab.«

»Eine Wette?« Heute brachte ich wohl nichts weiter als dümmliche Wiederholungen über die Lippen. Obwohl Kayne und ich uns schon so lange kannten, überraschte er mich immer wieder aufs Neue.

»Du hast einen Monat Zeit, um Vivien Davis nach allen Regeln der Kunst für den Job fitzumachen. Knackt sie bei der Versteigerung die 45.000 Dollar, gehört unser Anteil komplett dir. Obendrauf darfst du in der Zeit, in der ich in Lyon County bin, meine Corvette fahren.«

Der Einsatz klang mehr als verlockend. Bisher hatte noch keine Frau bei der Versteigerung diese Summe getoppt. Allerdings würde es schwer werden, Vivien bei den Gästen so interessant zu machen, dass sie ihre Geldbörsen weit öffneten. Mein Ehrgeiz packte mich am Kragen, meldete sich pochend in meinem Brustkorb, dazu gesellte sich nun auch noch mein verfluchter Spieltrieb. Die Aussicht war verführerisch. Zu gern würde ich Vivien einen Monat lang einem harten Sex-Training unterziehen, sie nach allen Regeln der Kunst einweisen und ihre Grenzen ausloten. An welchem Punkt würde sie wohl die Reißleine ziehen? Wo lag ihre Schmerzgrenze? Für wie viel Geld ließ sich sogar eine Vivien Davis kaufen?

Ich war gespannt, wo sie in einem Monat stehen würde, wenn wir sie den Gästen präsentierten und den Kunden ihren Körper zum Kauf anboten. In diesem Zeitrahmen könnte ich locker eine Edelhure der Extraklasse aus ihr formen, die in allen Bereichen souverän und lustvoll handelte. Sie würde es genauso lieben, vor einem Meister zu knien, wie sie es genießen würde, einem Mann ihre kleine Pussy ins Gesicht zu strecken, damit der sie genussvoll lecken konnte. Sie würde die Gebende werden, genauso wie die Dienende, gefesselt und mit einem Flogger bearbeitet, würde sie ihre Lust herausschreien und sich hinterher auf Knien bedanken. Was auch immer der Gast wünschte, Vivien würde es ihm mit dem richtigen Training erfüllen können. Dazu ihre kühle Unschuld bewahren. Was für eine betörende Mischung. Meine Hoden zogen sich schmerzhaft zusammen und bettelten allein bei meinen Fantastereien um Erlösung. Ich wollte ihren Körper in beiden Händen halten und ihn gründlich erforschen. Die schmutzigsten und lustvollsten Dinge mit ihr anstellen und sie zum Schreien bringen, getrieben von einem Orgasmus zum nächsten. Fuck, diese Vorstellung klang in der Tat verheißungsvoll.

»Ich sehe, du freundest dich langsam mit dem Gedanken an.« Kayne deutete auf die Ausbeulung in meiner Anzughose. Grace würde nachher viel zu tun haben, um mir Erleichterung zu verschaffen.

»Was ist? Traust du dich?«, stichelte er weiter. »Falls du möchtest, werde ich sie zum Schluss prüfen, als Generalprobe sozusagen, bevor der Ernst im Club beginnt.«

Obwohl Kayne und ich uns schon oft Frauen geteilt, manche sogar gemeinsam gefickt hatten, fuhr mir ein unangenehmer Stich ins Herz, bei dem Gedanken, Vivien jemand anderem zu überlassen. Hastig schob ich dieses mir so fremde Gefühl beiseite. Kayne war erstens mein bester Freund und zweitens hatte sich Vivien um die Stelle einer Prostituierten beworben, was regen Männerwechsel quasi zur Grundvoraussetzung machte.

»Einverstanden, ich lade sie zum Vorstellungsgespräch ein, und dann sehen wir weiter. Spielt sie mit, bekommt sie von mir ein einmonatiges Spezialtraining der Sonderklasse.«

Mittlerweile ging es um die Ehre. Nirgendwo konnte ein Mann nachdrücklicher gepackt werden als bei seinem Stolz. Ich wollte Kayne beweisen, dass ich Vivien nach meinen Vorstellungen biegen und formen konnte. Bisher war mir noch jede Frau verfallen, sofern ich es darauf angelegt hatte. Meine leichteste Übung. Ich betrachtete Kaynes ausgestreckte Hand, bevor ich einschlug. Wir bekräftigten die Wette mit einem großen Schluck Whisky, der mir mit einer angenehmen Karamellnote die Speiseröhre hinunterbrannte.

»Setz den Termin bald an, damit ich sie noch kennenlernen kann, bevor ich abreise. Ich möchte mir den Vorher- Nachher-Effekt nicht entgehen lassen.«

Ich seufzte tief und gequält, bereute meine Voreiligkeit in derselben Sekunde. Mir wurde klar, dass Kayne mich genau an den Punkt gebracht hatte, an dem er mich haben wollte. »Also gut, ich lade sie für übermorgen ein, und du stellst dich dann gemeinsam mit Joanne als die Chefs vor.« Ich leerte mein Whiskyglas in einem großen Zug, während sich mein Partner nachschenkte. »Brauchst du noch irgendwelche Referenzen von ihr?«, fragte ich im Spaß.

»Sie hat alles Wichtige dabei«, erwiderte Kayne lachend. »Ich werde der Crew und den Stammgästen erzählen, dass du dich die nächsten Wochen in geheimer Mission befindest und nicht als Boss geoutet werden willst. Sicher ist sicher. Nicht, dass die Kleine noch Wind von unserem Spielchen bekommt und mit wehenden Fahnen abhaut.«

»Wegrennen wird sie wahrscheinlich schon beim Gespräch, spätestens, wenn sie mich das erste Mal zu Gesicht bekommt.« Es war idiotisch von mir, mich auf diesen Schwachsinn einzulassen, aber jetzt gab es kein Zurück mehr.

Kayne winkte ab. »Lass das mal meine Sorge sein. Ich werde ihr eine Summe nennen, bei der sie sogar dich in Kauf nimmt. Wart es ab.«

»Die besten Voraussetzungen für eine optimale Zusammenarbeit.« Ich schenkte mir nochmal von der braunen Flüssigkeit nach, bevor ich zu meinem Handy griff und die Kurzwahl für den Club wählte. Gleich darauf meldete sich eine rauchige Stimme, die lasziv ein »Hallo« in den Hörer hauchte.

»Grace«, sagte ich barsch. »Ich erwarte dich in fünf Minuten für einen Blowjob in meinem Büro.« Ohne eine Antwort abzuwarten, legte ich auf und sah direkt in Kaynes amüsiertes Gesicht.

»Wenn du wüsstest, wie sehr ich mich auf übermorgen freue«, sagte er.

»Halt endlich die Klappe«, bellte ich ihn an, wie ein wütender Rottweiler.

Das Vorstellungsgespräch würde zum Desaster mutieren. Falls Vivien sich tatsächlich wider Erwarten auf mich einließ, konnte ich mich mit ziemlicher Sicherheit auf einen harten Ritt einstellen. Mein Hals wurde warm bei der Vorstellung, aus dieser prüden, behüteten Frau eine Göttin der Lust zu erschaffen. Das war genau mein Ding. Ich liebte es, die dunkle Seite aus unerfahrenen Frauen herauszukitzeln, zu beobachten, wie sie langsam sämtliche Skrupel über Bord warfen, und ihr neu entdecktes Verlangen genossen. Von Viviens Sorte gab es nicht viele, die meisten Frauen spielten einem die Prüderie nur vor, um sich selbst interessanter zu machen. In Vivien hingegen schlummerten Klasse und Stolz. Eine aufreizende Mischung im Bett, die einem Mann dennoch alles abverlangen konnte. Bisher hatte ich noch jede Frau zum Orgasmus gebracht, diese Fertigkeit zählte zu meinen absoluten Stärken, ohne eingebildet klingen zu wollen. Ich wusste einfach, wie man eine Frau anfassen musste, um ihre Saiten zum Klingen zu bringen, in welcher Intensität und mit der richtigen Portion an Hingabe. Wenn ich eines bravourös beherrschte, dann eine Frau zu befriedigen. Eigentlich konnte sich Vivien überaus glücklich schätzen.

Ohne Kayne noch weiter Beachtung zu schenken, tippte ich eine kurze Antwort mit Terminangabe für das Vorstellungsgespräch an Vivien und unterschrieb mit »Joanne Farnham« sowie »Kayne Crest«, bevor ich kurzerhand auf senden klickte.

2

VIVIEN

»Einen großen Soja Mocca Latte mit extra Sahne, bitte.« Ich warf rasch einen Blick auf meine Armbanduhr. Mist, ich war spät dran. Spätestens in fünf Minuten musste ich an meinem Schreibtisch sitzen. Zum Glück war Smithsonian nur einen Block weit entfernt.

Die junge Bedienung sah mich mit großen Augen an. »Sojamilch und Sahne?«

Sie musste neu sein, zumindest hatte ich sie bisher in Stewies Coffeshop, meinem Lieblings-Koffein-Dealer, noch nie zuvor gesehen. Ansonsten hätte sie gewusst, dass ich schon seit zwei Jahren pünktlich auf die Minute (außer heute) hier im Laden erschien und immer dasselbe bestellte. Ich mochte nun mal Sojamilch viel lieber und nichts ging über einen ordentlichen Klecks Sahne obendrauf. Himmlisch. Zudem ersparte die wilde Mischung einem ein ausgedehntes Frühstück.

»Ja, bitte.« Ich lächelte sie freundlich an. »Beides zusammen.«

»Morgen, Vivien«, grüßte Jackson hinter der Theke, »spät dran heute. Wie konnte denn das passieren? Steckt da etwa ein Mann dahinter, der dein strenges Timing durcheinander bringt? Ich dachte, du hättest diesen armen Kerl endgültig zum Teufel gejagt.« Jacksons Haut war dunkel wie Zartbitterschokolade und ließ seine schneeweißen Zähne leuchten, wenn er wie jetzt verschmitzt grinste.

Ich seufzte in mich hinein, denn mir wurde bewusst, dass es doch keine so glorreiche Idee war, jeden Morgen denselben Shop aufzusuchen.

»Ich hab nur verschlafen.« Wo ich heute in aller Früh gewesen war, ging ihn überhaupt nichts an. Ein einziges Mal, vor ein paar Wochen, hatte Jackson mich an einem Tiefpunkt meines Lebens erwischt. Ich hatte ihm alles über meine taufrische Trennung von Greg erzählt.

»Männer sind triebgesteuerte Wesen«, hatte er mir gnadenlos eröffnet und mich kopfschüttelnd angesehen. »Wie oft in der Woche habt ihr es denn miteinander getrieben?«, hatte er als nächstes ungeniert gefragt und mir damit einen Satz heiße Ohren beschert.

Moment mal! In der Woche?!

Im Flüsterton hatte ich ihm gebeichtet, dass Greg und ich feste Tage vereinbart hatten. Jeder Sonntag, der auf ein ungerades Datum fiel, war unser Lusttag. Ich mochte diese Bezeichnung, irgendwie klang sie verrucht und nach Leidenschaft. An diesen Tagen hatten wir uns dann so richtig schön ausgetobt. Also gleich nach dem Frühstück, oftmals sogar noch ein zweites Mal am Nachmittag. Mir persönlich hatte unsere Gymnastikeinlage an körperlicher Liebe vollkommen ausgereicht, sowieso mochte ich interessante Gespräche bei einem Glas Wein oder lange Spaziergänge mit Händchenhalten viel lieber. In diesen Aktionen steckte Romantik, clean und süß wie Honigkuchen. Jackson hingegen hatte Null Verständnis für meine romantische Ader gezeigt, im Gegenteil, seit jenem Tag bemitleidete er Greg (den Betrüger!) für die zwei Jahre Beziehung mit mir, während ich am Boden zerstört war. Wochenlang hatte ich mich in täglichen Heulorgien gesuhlt, meine schöne Beziehung war zu Ende. Aus und vorbei, mein Leben ein Trümmerfeld. Um vollkommen ehrlich zu sein, bei uns hatte es vorher schon immer wieder mal gekriselt, ich hatte Gregs Unzufriedenheit gespürt, mir aber vorgemacht, dass wir unsere Partnerschaft schon wieder auf die Reihe kriegen würden. Wir verfolgten dieselben Ziele, träumten ganz klassisch von einem Haus mit Garten, drei wohlerzogenen Kindern, die auf der Veranda Murmeln spielten, während wir auf der Holzbank daneben ein Gläschen Weißwein genossen. Ich hatte unsere Zukunft bis ins kleinste Detail durchgeplant gehabt, wir wären ein absolutes Traumpaar gewesen, von allen in der Nachbarschaft beneidet. Ganz wie in meiner Kindheit. Ich mochte es spießig, was war daran verkehrt? Spießigkeit bescherte einem Menschen den nötigen Grad an Sicherheit. Bei Spießern wartete man vergeblich auf Überraschungen, nichts Unvorhergesehenes passierte in deren Leben. Für mich klang das wie das Paradies. Ich hatte während der Highschool genug mit meinem Dad mitgemacht, um zu wissen, dass ich diese Art von Aufregung ganz bestimmt nicht mehr in meinem Leben benötigte. Genauso wenig wie einen Aidan O’Conners, der Gott sei Dank schon vor Jahren aus meinem Sichtfeld verschwunden war. Von Kerlen seines Kalibers war ich geheilt. Aber sowas von gründlich. Nach ihm hatte ich Jahre gebraucht, bevor ich mich auf Greg einlassen konnte. Greg war so unglaublich höflich gewesen, hatte Manieren bewiesen, sich wochenlang um mich bemüht. Wir unterhielten uns viel über Literatur, flanierten durch die ruhigeren Seitenstraßen von Las Vegas oder schauten uns französische Liebesfilme in einem kleinen Avantgarde-Kino um die Ecke an. Mit jedem neuen Date merkte ich, dass er das genaue Gegenteil von Aidan war und er somit mein Hauptkriterium bestens erfüllte. Nur dass sich der Mann meiner Träume bedauerlicherweise als größter Fiesling des Jahrhunderts herausstellte, der nebenher auch noch mit der Kassiererin des Kinos schlief.

Ich nahm meinen Pappbecher, zählte das Geld passend ab, bevor ich locker zum Abschied winkte und in Richtung Ausgang eilte. Nach einem weiteren Blick auf die Uhr, verfiel ich in Galopp. In einer Minute musste ich im Büro aufkreuzen. Das wurde knapp.

In letzter Sekunde warf ich mich in dem Großraumbüro, das durch Raumteiler in kleine Arbeitsbereiche untergliedert war, auf meinen Schreibtischstuhl und trank den letzten Rest Soja Mocca Latte, bevor ich den leeren Becher im Papierkorb versenkte. Hastig fuhr ich den Computer hoch und tat schwer beschäftigt. Ich war über eine Zeitarbeitsfirma eingestellt, somit war mein Arbeitsplatz in Krisenzeiten am wackligsten. Selbst mein Loch von einem Ein-Zimmer-Apartment, welches für normale Leute als besserer Kleiderschrank hergehalten hätte, war in Las Vegas kaum bezahlbar. Ich konnte von Glück sagen, nach der Trennung von Greg überhaupt so schnell irgendwas gefunden zu haben.

Ein wuscheliger, roter Lockenkopf tauchte über der Trennwand auf, und ein paar froschgrüne Augen blitzten mich übermütig an.

»Guten Morgen«, trällerte meine Kollegin wie ein Kanarienvogel.

»Morgen.« Ich musterte Linda eingehend. »Weshalb so gute Laune?«

»Hiob Silverstein hat mich heute Früh tatsächlich zurückgerufen und um ein zweites Date gebeten.«

Gebeten – nicht einfach nur gefragt. Ein Mann mit Manieren, sowas gefiel mir.

»Na Gott sei Dank.« Ich tat so, als pustete ich erleichtert Luft durch die Lippen. Linda hatte Hiob über Freunde kennengelernt. Irgendein Künstler. Nach unzähligen Telefonaten und Chats hatte er sie schließlich zum Essen ausgeführt und Lindas Ausführungen zufolge musste der Abend traumhaft verlaufen sein. Umso mehr hatte es sie getroffen, als er danach nichts mehr von sich hören ließ, nicht einmal auf ihren harmlosen Gruß per Handynachricht am nächsten Morgen hatte der Schuft geantwortet und damit meine Kollegin in heftige Selbstzweifel gestürzt. Sie hatte sich schwere Vorwürfe gemacht, weil sie ihn beim Abschiedskuss ihren Busen hatte streicheln lassen. Es hatte mich zwei Tage gekostet, sie wieder einigermaßen aufzurichten.

»Wie es aussieht, hat er bloß die obligatorischen drei Tage bis zum nächsten Date verstreichen lassen«, sagte sie verträumt und wickelte sich eine ihrer störrischen Locken um den Zeigefinger.

»Hoffentlich behält er den Rhythmus nicht bei, sonst ziehen sich eure Dates mit der Zeit ganz schön in die Länge.«

»Von jetzt an werde ich dafür sorgen, dass er mich nicht so schnell vergisst.«

»Du solltest es ihm nicht zu leicht machen«, belehrte ich sie mit erhobenem Zeigefinger. »Wie sagte meine Mutter früher immer so schön: Willst du was gelten, dann mach dich selten.«

»Na, wenn deine Mutter das sagt.« Sie klang mir eine Spur zu spöttisch

Während Linda weiter auf mich einredete, klickte ich meine E-Mails durch, und freute mich über ein paar Erfolgsnachrichten. Meine eigene mir selbst auferlegte Mindestanzahl an akquirierten Kundenzusagen hatte ich bereits Mitte des Monats weit übertroffen. Gäbe es einen Arbeiter des Monats in dieser Firma, ich bekäme die Auszeichnung garantiert so gut wie jedes Mal. Obwohl der Job alles andere als mein Traumberuf war, war ich perfekt in allem, was ich tat. Sobald ich Herausforderungen anpackte, machte ich das zu hundert Prozent, bei mir gab es keine halben Sachen.

»Scott möchte dich in einer halben Stunde bei sich im Büro sehen«, eröffnete Linda mir und ich sah erstaunt hoch.

»Was will er denn von mir?« Wieso wollte mein Boss mich sprechen?

»Keine Ahnung.« Sie zuckte mit den Achseln. »Bestimmt wirst du befördert, Streberin.«

Tja, wo sie recht hatte, hatte sie recht. Ich suhlte mich ein wenig in ihrem gar nicht als Kompliment gemeinten Kompliment. Ich war gern die Beste, schon in der Schule immer gewesen. Ein Geistesblitz durchzuckte mich. Sicher bekam ich endlich die ersehnte Festanstellung, für die ich mir seit Monaten im Büro den Hintern aufriss. Ich würde so gut wie alles für einen festen Vertrag geben, Überstunden bis zum Umfallen machen, Wochenendschichten übernehmen oder für die nächsten zehn Jahre auf Urlaub verzichten. Ganz egal. Ich brauchte diesen Job.

»Ach, ich glaub nicht, dass es eine Beförderung gibt«, winkte ich halbherzig ab, obwohl auch ich mir keinen anderen Grund für das anstehende Gespräch vorstellen konnte. Immerhin lieferte ich Topleistungen ab.

Darüber hinaus mochte ich meinen Chef sehr gern. Scott war rein optisch nicht zu verachten. Er war vielleicht zehn Jahre älter als ich, für meine Begriffe somit im besten Mannesalter. Da konnte eine Frau davon ausgehen, dass der Kerl sich bereits die Hörner abgestoßen hatte. Scott trug keinen Ring am Finger, was mir schon beim Vorstellungsgespräch rein zufällig ins Auge gestochen war. Mit all seinen positiven Grundvoraussetzungen passte er noch besser in mein Raster als Greg. Mein Herz schlug unruhig bei dem Gedanken, dass mein neuer Traummann ein paar Schritte weiter in seinem geräumigen Einzelbüro sitzen könnte. Rasch frischte ich noch meinen naturfarbenen Lippenstift auf und fand, ich sah ganz passabel aus, dafür, dass es heute nicht für eine Haarwäsche gereicht hatte.

»Wie sehe ich aus?«, fragte ich Linda dennoch, die mich still beobachtete.

»Gut, wie immer. Aber das wird kein Date, also entspann dich.«

Woher wollte sie das wissen? Zumindest könnte eines dabei rausspringen. Energisch stand ich auf und strich mir den anthrazitfarbenen Bleistiftrock glatt.

»Gleich werde ich es wissen. Wünsch mir Glück«, sagte ich halb im Scherz und lächelte in mich hinein. »Viel Glück!« Übertrieben euphorisch kreuzte Linda die Finger für mich, als ich mich in Richtung Scotts Büro begab. Vor der Tür hielt ich kurz inne und atmete tief durch, bevor ich zaghaft anklopfte. Ich war eine zurückhaltende Frau, auf sowas standen Männer. Zurückhaltend und tierlieb. Glücklicherweise war ich tatsächlich beides, selbst bei dem fiesen Pinscher meiner Nachbarin verzog ich keine Miene, wenn er mich auf der Treppe ankläffte.

»Herein«, erklang sogleich Scotts tiefe und immer ein wenig barsche Stimme, die durch mich hindurchfloss wie Hersheys Karamellsirup. Jawohl, ich mochte einen leichten Befehlston bei Männern. Bestimmt war Scott ein energischer Charakter, der immer genau wusste, was er wollte und alles Nötige für seine Angebetete regelte. Bei ihm konnte eine Frau sich geborgen und sicher aufgehoben fühlen.

Mit leicht schwingenden Hüften trat ich ein und legte mein strahlendstes Lächeln auf. Wenn es darauf ankam, konnte ich durchaus sexy sein.

»Guten Morgen, Scott. Wie geht es Ihnen? Was für ein wunderschöner Tag heute.«

Sein Blick schweifte kurz zum Fenster hinaus, hinüber zur schattigen Straßenseite, ehe er sich wieder mir zuwandte. »Ja, sehr schön.« Er räusperte sich. »Vivien, bitte nehmen Sie Platz.«

Mir wurde bewusst, dass Scott keine Miene verzog, als er auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch deutete. Nicht mal den Ansatz eines Lächelns – nichts. Vermutlich wollte er es nur etwas spannender machen und würde gleich mit einem lauten «Überraschung« in die Höhe springen.

Ich setzte mich und behielt mein freundliches Lächeln bei.

»Sie wollten mich sprechen«, fing ich nach Minuten des Schweigens an, in denen er mich lediglich gemustert hatte. Mit dem Mittelfinger schob er die verrutschte, schwarz umrandete Brille auf seiner Nase nach oben. Reflexartig scannte ich seine linke Hand nach einem Ehering ab, aber dort steckte zu meiner Erleichterung immer noch nichts Goldenes. Zum allerersten Mal fiel mir der lichte Haaransatz auf, der sich in den vergangenen Monaten in die Seiten seiner Stirn gegraben hatte. In seinen braunen Augen schwamm eine Spur Wehmut. War irgendwas passiert? Benötigte er Trost oder Zuspruch? Eine helfende Hand? Eine Vertrauensperson? War ich deswegen hier? Ich würde ihm jeglichen Trost spenden, keine Frage, und wäre immer für ihn da.

Er verschränkte die unberingten Finger auf dem Schreibtisch ineinander. »Leider habe ich Ihnen keine erfreuliche Mitteilung zu machen.«

»Mir?«, fragte ich dümmlich, weil ich mit dieser Aussage so ziemlich gar nichts anfangen konnte. Wieso mir? Immerhin hatte Scott mir erst letzte Woche erklärt, wie zufrieden er mit meiner Arbeit war.

»Ist irgendwas passiert?«, wagte ich leise zu fragen. »Gab es irgendwelche Kundenbeschwerden? Falls ja, geben Sie mir bitte die Möglichkeit, das wieder in Ordnung zu bringen, ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um …«

»Nein, es gab keine Beschwerden«, unterbrach er mich und strich sich nervös über sein aschblondes, gescheiteltes Haar. »Ganz und gar nicht. Es ist eher so, dass die Wirtschaftskrise leider auch unser Unternehmen erreicht hat. Zwei wichtige und langjährige Großkunden sind ohne Vorwarnung abgesprungen, was uns einen Millionenverlust beschert hat.« Als Scott so schwer und gequält seufzte, tat er mir leid. Wie es aussah, brauchte er tatsächlich jemanden zum Reden, und ich lieh ihm nur zu gern mein Ohr.

»Das tut mir sehr leid.« Ich widerstand der Versuchung, über den Schreibtisch zu fassen und meine Hand auf seine zu legen. »Kann ich irgendwas tun, um zu helfen?« Ich zuckte mit den Achseln. »Soll ich Sonderschichten einlegen, um neue Kunden zu akquirieren oder …«

»Nein, darum geht es nicht.«

»Ich würde auch unbezahlte Überstunden machen, sollte das helfen.«

Schon wieder seufzte er, sein Blick durchleuchtete mich richtiggehend. Sein Anzug saß leicht verknittert am Oberkörper auf, stach es mir absurderweise ins Auge, als hätte er die Nacht darin verbracht.

»Bitte, Vivien, machen Sie es nicht noch schwerer für mich. Was ich zu sagen habe, bricht mir fast das Herz.«

»Worum geht es?«, fragte ich angespannt. Herzschmerz? Hatte er ebenfalls eine fiese Trennung hinter sich?

»Zu meinem großen Bedauern hat die Geschäftsleitung beschlossen, aufgrund der wegbrechenden Umsätze diverse Einsparungen vorzunehmen.«

»Und das bedeutet?« Was wollte er mir mitteilen? »Kein Gratiskaffee für die Mitarbeiter mehr?«, wagte ich einen sanften Scherz, um die angespannte Stimmung aufzulockern.

»Das ist eine davon.« Er nickte.

»Der schmeckt sowieso scheußlich, den können Sie gern streichen. Von dem Gebräu holt man sich ein Magengeschwür.«

Ein winziges Lächeln umspielte seine dünnen Lippen. »Gott, Sie werden mir fehlen.«

»Ich werde Ihnen fehlen?« Um ehrlich zu sein, verstand ich kein Wort. Wurde ich versetzt? Seit wann sprach Scott derart in Rätseln?

»Vivien« - schon wieder eine Pause -, »die Geschäftsleitung hat wegen der schlechten Auftragslage beschlossen, bis auf Weiteres alle Zeitarbeiter zu entlassen.«

In meinem Kopf pochte es dumpf, als seine Worte mein Gehirn erreichten. »Entlassen?«, japste ich schließlich, noch immer an einen schlechten Scherz glaubend. Das konnte nicht wahr sein. Smithsonian würde mich nicht dermaßen undankbar behandeln, diesen Monat hatte ich bereits fünfzehn Neukunden geworben. Diese Zahl sollte mir erst einmal jemand nachmachen.

»Ihre bereits geleisteten Überstunden werden Ihnen selbstverständlich vergütet.«

»Das kann nicht Ihr Ernst sein.« Ich hatte das Gefühl, mich übergeben zu müssen. »Scott, bitte, ich brauche diesen Job! Bitte werfen Sie mich nicht raus, kürzen Sie mir das Gehalt, irgendwie komme ich schon über die Runden, oder lassen Sie mich auch am Wochenende arbeiten, aber feuern Sie mich bitte nicht.« Ich kämpfte gegen die Tränen an, verlor jedoch radikal, die erste perlte bereits über meine Wange. Hastig wischte ich sie weg.

»Wenn Sie wüssten, wie leid mir Ihre Entlassung tut. Aber ich fürchte, da lässt sich nichts mehr machen. Die Geschäftsleitung hat schon Ihre Kündigungen unterzeichnet.«

Er schob einen weißen Umschlag über den Schreibtisch. Ich hatte tatsächlich meinen Job verloren. In diesem Kuvert stand mein berufliches Ende in dieser Firma, schwarz auf weiß. Mit Sicherheit würde ich in den nächsten Wochen auf der Straße landen. Nach dem Besuch im Krankenhaus heute Früh hatte ich gedacht, der Tag könnte nicht mehr schlimmer werden. Tja, trat einen das Schicksal mal in den Allerwertesten, dann wohl gleich so richtig.

»Ich werde nicht gehen.« Trotzig schüttelte ich den Kopf. »Wenn ich keinen Job mehr habe, weiß ich nicht, was ich tun soll.« Ich vergrub das Gesicht in beide Hände, wollte nichts mehr hören oder sehen, sondern endlich aus diesem Albtraum erwachen.

»Vivien«, hörte ich Scott leise. »Die Auftragslage wird sich erholen. Einer der Juniorchefs ist bereits an einem neuen Projekt dran, und kriegen wir den Deal, bin ich mir sicher, dass wir Sie wieder anheuern können. Dann sogar fest. Ich werde mich persönlich für Ihre Wiedereinstellung einsetzen, das verspreche ich Ihnen. Bitte, glauben Sie mir, dass ich Sie nur ungern gehen lasse.«

Wie in Zeitlupe ließ ich die Hände sinken. »Was meinen Sie damit?«

»Ich meine damit, ob Sie sich nicht vielleicht die nächste Zeit mit irgendwelchen Gelegenheitsjobs über Wasser halten könnten, nur solange, bis sich die wirtschaftliche Lage gebessert hat.«

»Von welchem Zeitraum reden wir hier?« Mir klopfte das Herz bis zum Hals. Ich war ein Sicherheitsfanatiker, hatte immer ein kleines Polster für alle Fälle auf dem Konto und achtete beinahe panisch darauf, pünktlich sämtliche Rechnungen zu begleichen. Trotz allem reichte mein Bankguthaben gerade mal für kleinere Anschaffungen aus, wie einen neuen Kühlschrank oder ähnliches. Wie aber sollte ich meinen Lebensunterhalt bestreiten, bei einer Monatsmiete von sechshundert Dollar? Und da hatte ich noch nichts gegessen. Zudem kostete mich die Krankenversicherung meines Bruders ein halbes Vermögen. Ich selbst besaß nicht mal eine.

»Vielleicht ein halbes Jahr bei positivem Verlauf.«

Ich schnappte nach Luft. »Ein halbes Jahr? Bis dahin bin ich verhungert.«

»Sie kriegen das schon irgendwie hin.« Seine Stimme klang weich, mitleidig. »Wenn es jemand schafft, dann Sie.«

Der hatte gut reden, immerhin hockte er noch auf seinem glänzend bezahlten Posten. Warum musste es immer die Kleinen treffen?

Schließlich schnappte ich mir das Kuvert vom Tisch und stand auf. »Nützt ja nichts, draußen wartet noch ein Haufen Arbeit auf mich. Ab wann ist die Kündigung wirksam?«

Schon wieder druckste er herum. »Ab sofort.«

Ich riss die Augen auf. »Wie bitte?«

»Ihr letztes Gehalt, plus der bereits geleisteten Überstunden, wurde heute überwiesen. Es macht keinen Sinn, hier noch irgendwas zu arbeiten, so leid es mir tut.«

Er stand auf und kam auf mich zu. Zum ersten Mal bemerkte ich, wie klein Scott war. Wir befanden uns fast auf Augenhöhe, aber ich war mit 1,76 m ebenfalls nicht die Kleinste. Mit einem mitleidigen Lächeln reichte er mir die Hand. Nur zögerlich schlug ich ein, die Lust auf Berührungen von ihm war mir vergangen.

»Danke für alles«, sagte ich dennoch der Höflichkeit halber.

»Ich habe zu danken, für Ihren unermüdlichen Einsatz in dieser Firma. Lassen Sie den Kopf nicht hängen, es kommen auch wieder bessere Zeiten. Sie hören von mir, versprochen.«

Zum ersten Mal kam Scott mir wie ein Phrasendrescher vor. Er konnte mir nicht erzählen, dass er von meiner geplanten Entlassung erst heute Morgen erfahren hatte.

Ich strich mir eine störrische blonde Strähne aus dem Gesicht. »Dann pack ich mal mein Zeug zusammen«, sagte ich tapfer und war froh, dass meine Stimme nicht zitterte, obwohl mir noch immer zum Heulen zumute war.

»Vielleicht dürfte ich Sie ja mal zu einem Kaffee einladen?« Sein Tonfall klang schüchtern, oder irrte ich mich? Beinahe, als fürchte er sich vor einer Abfuhr. Noch vor einer halben Stunde wäre ich ihm für diese Offerte um den Hals gefallen, mittlerweile wollte ich nichts wie raus aus seinem Büro.

»Das können wir gern einmal tun.« Ohne seine Reaktion abzuwarten, drehte ich mich um und eilte nach draußen.

Wie getrieben drehte ich meine Runden durch den Park, joggte mir allen Frust und die Verzweiflung, die mich fest im Klammergriff hielt, aus den Knochen. Ich verfügte über eine gute Kondition, trainierte schon seit Jahren für den New York Marathon, den ich dieses Jahr in Angriff hatte nehmen wollen. Daraus wurde wohl nichts, ich konnte mir nicht einmal den Flug leisten. Ich schnaufte bei jedem Schritt, mein Haar klebte feucht an meiner Kopfhaut, und mein durchgeschwitztes Laufshirt hing an mir herunter wie ein nasser Putzlappen. Eine kühle Dusche war jetzt eine verlockende Vorstellung.

Der Jobverlust hatte mich schwer getroffen, noch desaströser hingegen war die Nachricht gewesen, die ich vor einer Woche im Krankenhaus erhalten hatte: Mein an Muskeldystrophie leidender jüngerer Bruder hatte keinen der begehrten Plätze für die klinische Studie ergattert, in der ein neues Medikament aus der Schweiz an einer Gruppe Betroffener getestet werden sollte. Brians Werte waren allesamt einen Ticken zu zufriedenstellend gewesen. Obwohl er seit seinem siebten Lebensjahr im Rollstuhl saß, also seit nunmehr vierzehn Jahren, und der Fortschritt seiner Krankheit schon beinahe das Endstadium erreicht hatte. Zu gesund, um als Proband zu taugen – ich hätte schreien können.

In meiner Verzweiflung hatte ich tagelang im Internet recherchiert, jede noch so winzige Information im Detail überprüft. Mir sogar mit Hilfe von Google Translator ein paar ausländische Websites durchgelesen. Schließlich war ich auf besagtes Schweizer Medikament gestoßen, das dort bereits erfolgreich angewendet wurde. Nur die benötigte Zulassung für den US Markt hielt meinen Bruder davon ab, von der vielversprechenden Wirkung zu profitieren. Deswegen hatte ich auf eigene Faust diese Klinik in Zürich kontaktiert, die mit dem Medikament arbeitete. Allerdings hatte der genannte Kostenumfang mich regelrecht schockiert. Die Therapie dauerte drei Monate, mit Tabletten sowie Infusionen. Während dieser Zeit würde sich Brian in der Schweizer Klinik aufhalten und gepflegt werden. Ich musste mit mindestens 100.000 Dollar Kosten rechnen, bei meinem Pech mit noch mehr. Nur woher sollte ich die nehmen? Vor allem jetzt, da ich auch noch meinen Job verloren hatte und mir nicht mal mehr genug für die Miete blieb. Als letzten Ausweg hatte ich heute Morgen die behandelnden Ärzte und danach sogar Brians Krankenversicherung bekniet, sie mögen mir helfen, meinen Bruder irgendwie in die Schweiz zu schaffen, aber vergeblich. Mein letzter Hoffnungsschimmer war somit erloschen. Ich liebte meinen Bruder von ganzem Herzen, die Vorstellung, ihn zu verlieren, brachte mich fast um. In meiner Verzweiflung hatte ich während der letzten Tage bereits nach Lösungen gesucht, nach Wegen, um das Geld irgendwie doch noch aufzutreiben. Hatte mich in einem Anflug von geistiger Umnachtung sogar in einem Edelbordell beworben, das mit tausenden Dollar Verdienst pro Abend lockte.

Vor vielen Jahren war Brian mein Rettungsanker gewesen, damals, als meine heile Familienwelt zusammengebrochen war. Aidan O’Conners‘ schäbiges Verhalten obendrauf hatte mir den Rest gegeben. Wäre Brian nicht gewesen, ich wüsste nicht, ob ich die Zeit damals durchgestanden hätte.

Die Edelhuren-Schnapsidee war nichts weiter als ein lächerlicher Plan B. Mein Sicherheitsdenken hatte mich in den Panikmodus versetzt und mich zu dieser blödsinnigen Bewerbung getrieben. Glücklicherweise hatte sich die Besitzerin des Gentleman’s Paradise bisher nicht zurückgemeldet, zumindest nicht, als ich heute Morgen meine Mails gecheckt hatte.

Seitenstechen malträtierte meinen geschundenen Körper, kurzatmig verlangsamte ich das Tempo und hielt mir die Rippen. Mit letzter Kraft schleppte ich mich zu einer Bank im Schatten und sank darauf, bevor ich mein Smartphone aus der Tasche meiner Trainingsshorts fischte und mit pochendem Puls am Hals meine E-Mails abrief. Wie hypnotisiert starrte ich auf den Posteingang, wagte fast nicht zu atmen.

Schließlich nahm ich all meinen Mut zusammen, öffnete die neue Mail und las:

Sehr geehrte Ms Davis,

falls Sie ernsthaft an einem Job im Gentleman’s Paradise interessiert sind, erwarten wir Sie am Donnerstagnachmittag um vier Uhr zum Vorstellungsgespräch in unserem Büro. Und bitte seien Sie pünktlich. Sollte es sich bei Ihrer Bewerbung jedoch um einen Scherz handeln oder Sie lediglich die Neugierde hertreiben, verschwenden Sie unsere wertvolle Zeit nicht. Wir geben gelangweilten Ehefrauen keine Nachhilfe in Sachen ausgefallener Liebesdienste. Für solche Zwecke schaffen Sie sich bitte ganz klassisch das Kamasutra oder ähnliches Vergleichswerk an.

Mit besten Grüßen

Joanne Farnham und Kayne Crest

Wow, das war eine klare Ansage. Die beiden klangen nicht gerade sympathisch. Beinahe könnte man meinen, sie könnten mich nicht leiden. Dabei kannten wir uns nicht mal. Ich ließ mein Smartphone sinken. Heiße Wellen der Scham überrollten mich. Was hatte ich mir bei dieser bescheuerten Bewerbung bloß gedacht? Nie im Leben kam dieser Job für mich infrage. Doch dann überkam mich ein Gefühl, als würde ich Brian persönlich ein Messer in den Rücken stechen. Ihn auch noch zu verlieren, das würde ich nicht ertragen. Es reichte schon, dass mein Dad uns im Stich gelassen hatte, von meiner labilen Mutter ganz zu schweigen. Trotz Brians schwerer Krankheit waren wir Geschwister uns immer nahe gestanden, hatten zusammengehalten. Als Kind hatte ich mich nach dem Schlafengehen in sein Zimmer geschlichen und ihm sämtliche Geheimnisse anvertraut, die mir im Kopf herumspukten, obwohl uns fünf Jahre trennten. Er war der letzte wichtige Mensch auf der Welt, der mir noch geblieben war. Verlöre ich ihn auch noch, dann wüsste ich nicht, was ich machen sollte. Vielleicht sollte ich mich einfach opfern. Wie hatte Scott gemeint? Ich solle mir für die nächsten paar Monate einen Nebenjob suchen. Nirgends sonst als im Gentleman’s Paradise wäre ich in der Lage, binnen weniger Monate hunderttausend Dollar zu verdienen. Bisher hatte ich noch jeden miesen Job gemeistert. Gut, dieser klang wie der mieseste von allen, aber im Prinzip war es auch nur ein Job. In wenigen Wochen wäre alles überstanden, und Brian könnte schon bald die lebensrettende Therapie erhalten. Ich würde die Sache durchziehen, einfach die Zähne zusammenbeißen und ans Geld denken, oder an Brian, oder einfach daran, dass ein halbes Jahr schnell vorüber ging.

3

VIVIEN

Wenn ich nicht aufpasste, würde mein Mageninhalt direkt vor dem Eingang des Gentleman’s Paradise landen. Meine Knie wurden weich, als ich die mondäne weiße Villa im Südstaatenstil mitten im Nirgendwo betrachtete, die so überhaupt nicht in diese trostlose Wüstengegend passte. Ich wusste, dass Prostitution in den Staaten nicht erlaubt war, bis auf eine Ausnahme. In ein paar Countys Nevadas wurden Bordelle unter strenger behördlicher Aufsicht geduldet, was mich dann doch beruhigt hatte. Immerhin geriet ich somit nicht irgendwelchen Frauenhändlern in die Hände, die mich, sobald sie mich satt hatten, nach Mexiko auf den Straßenstrich verschleppten. Die Villa hatte Stil, musste ich zugeben, während ich aus meinem klapprigen Chevy Spark stieg. Sorgfältig strich ich mir die cremefarbene Chanel-Bluse über dem hellgrauen Rock glatt, die ich günstig in einem Secondhandladen ergattert hatte. Die A-Form des Rocks umschmeichelte bei jeder Bewegung meine Beine. Ich hatte es nicht über mich gebracht, mich in irgendwelche durchsichtige Fummel zu werfen, die knapp unter meiner Pobacke endeten. Das war einfach nicht ich, und ich fand, die Geschäftsleitung sollte beim Vorstellungsgespräch den richtigen Eindruck von mir erhalten. Selbst wenn ich für ein Etablissement dieser Art in diesem Outfit höchstwahrscheinlich unpassend angezogen war. Vielleicht legte ich es auch auf eine Abfuhr an, ich wusste es nicht. Ich wusste nur eins, ich wollte zurück in mein altes Auto steigen und von hier abhauen.

Mein Blick schweifte im Kreis. Um uns herum Wüste, soweit das Auge reichte, durchzogen von trockenem Gestrüpp und riesigen Kakteen. Die Sonne stach unbarmherzig auf mich herab, erste Schweißperlen kullerten mir schon den Rücken entlang, obwohl ich erst vor zehn Sekunden meinem klimatisierten Auto entstiegen war. Das Gelände musste allem Anschein nach mal eine Farm gewesen sein, ein Stück weit entfernt standen noch einige Gebäude, die früher wohl als Stallungen genutzt worden waren. Heute befanden sich dort vermutlich Garagen, die komplette Seitenfläche zierte eine Reihe breiter weißer Tore. Oh Gott, ich wollte nicht an diesem Ort sein, überall sonst auf der Welt, aber nicht hier. Mein Herzschlag pochte bis hoch in die Schläfen, ich spürte, wie meine Unterlippe zu zittern begann, ein untrügliches Vorzeichen, dass mir bald das Wasser in die Augen schießen würde. Ich musste mich schnell wieder fangen, ansonsten würde ich gleich vollkommen verheult vor einer Ms Farnham und einem Mr Crest stehen und hätte einigen Erklärungsbedarf.

Reiß dich zusammen, sagte ich zu mir selbst, sie werden dir ein paar Fragen stellen und sich mit dir unterhalten, das ist alles. Tu nicht so, als müsstest du zu deiner eigenen Vergewaltigung erscheinen.

Rasch setzte ich ein freundliches Lächeln auf, als ich dem Schrank von Glatzkopf, der am Eingang stand, hoch erhobenen Hauptes entgegenspazierte. In meinen Wangen pulsierte heißes Blut. Ich ahnte, dass meine Röte verräterisch durch die dünne Schicht meines naturfarbenen Makeups hindurchschimmerte.

»Guten Tag«, grüßte ich, als ich bei ihm ankam. Mit angehaltenem Atem wartete ich auf eine Reaktion, die jedoch nicht kam. Nur ein Grollen, tief und gefährlich wie das Brummen eines wütenden Grizzleys kurz vor dem Angriff, befreite sich aus seiner Kehle, während er die Augen zusammenkniff. Ich schluckte hörbar, mein Lächeln gefror mir im Gesicht. Von einem angenehmen Betriebsklima schien dieser Laden meilenweit entfernt zu sein.

»Ich habe einen Termin bei Ms Farnham und Mr Crest«, schob ich rasch nach, weil es den Anschein hatte, als wollte der Hüne sich jeden Moment auf mich stürzen. Meine Knie begannen zu zittern.

Schon wieder schraubte sich dieser dumpfe Ton aus seinem Inneren, dieses Mal klang es mehr wie das Knurren eines tollwütigen Hundes, und ich war drauf und dran, endgültig die Flucht zu ergreifen.

»Und zwar in fünf Minuten«, wagte ich dennoch einen erneuten Vorstoß. Es konnte doch nicht angehen, dass meine hoffnungsvolle Karriere im zwielichtigen Gewerbe von einem knurrenden Yeti beendet wurde, bevor sie überhaupt begonnen hatte. So langsam machte der Kerl mich stinksauer. Sein Benehmen war unhöflich, solche Leute mochte ich überhaupt nicht. In der Hinsicht hatte ich in der Akquise schon viel zu viel mit schlecht gelaunten Kunden durchgemacht. Auch vor der Tür eines Freudenhauses sollte ein gewisses Grundmaß an Umgangsformen eine Selbstverständlichkeit sein.

»Falls Sie nicht an einer Krankheit leiden, die Ihnen das Sprechen erschwert, oder von Natur aus stumm sind – was die Sachlage selbstverständlich ändern würde. Falls dem so ist, entschuldige ich mich jetzt schon für meine nächsten Worte.« Ich räusperte mich, weil der Kerl weiterhin keine Miene verzog. »Aber falls Sie nichts davon sind, möchte ich Ihnen hiermit in aller Form erklären, dass Sie sich zutiefst unhöflich verhalten. Sicherlich möchten auch Sie, dass man Ihnen mit dem nötigen Respekt begegnet, deswegen ist es wohl nicht zu viel verlangt, sich anderen Menschen gegenüber ebenso rücksichtsvoll zu verhalten. Nur so funktioniert das menschliche Miteinander. Hat Ihnen Ihre Mutter keine Manieren beigebracht?«, schob ich noch unbedacht hinterher, worauf der Glatzkopf den Mund öffnete. Ein silberner Eckzahn blitzte im Schein der Sonne auf.

»Menschliches Miteinander?«, wiederholte er verwirrt.

Okay, das menschliche Miteinander vollzog sich hinter diesen Wänden wohl schraffierter, dennoch würde ich mich auch bei einem Arbeitsverhältnis in einem solchen Etablissement nicht unhöflich behandeln lassen.

»Ja, ich bin ein Mensch«, erklärte ich überflüssigerweise und reckte mich kämpferisch in die Höhe. Falls er sich jetzt gleich auf mich stürzte, würde ich mich zumindest nicht kampflos ergeben.

Wider Erwarten verzogen sich die Lippen meines Gegenübers zu einem breiten Grinsen. Er kramte ein Smartphone aus der hinteren Hosentasche seiner schwarzen Stoffhose und tippte eine Kurzwahlnummer, bevor er es sich ans Ohr hielt. »Ms Davis ist da«, sagte er gleich darauf zu meiner Überraschung. Folglich hatte er die ganze Zeit über gewusst, wen er vor sich hatte, und ebenso, aus welchem Grund ich so dumm vor ihm rumstand. »Und sie ist äußerst leicht reizbar. Also Vorsicht.«

»Also …« Ich schnappte nach Luft. Was war ich gewesen? Nicht zu glauben. Dank ihm hatte ich vollkommen grundlos einen ersten schlechten Eindruck bei den Chefs hinterlassen.

Er warf mir einen amüsierten Blick zu. »Ich bringe Sie rein.«

Wäre Spencer nicht gewesen, ich wäre tatsächlich noch umgedreht und von diesem Ort des Verderbens geflohen. Leider schob er mich am Rücken vor sich her, als würde er eine Ladendiebin abführen. Obwohl der Bürotrakt der Villa einen freundlichen und geschäftsmäßigen ersten Eindruck hinterließ, schwoll meine Nervosität mit jedem Schritt an. Das helle Echtholzparkett des Korridors glänzte im Licht der Sonne, die durch große Fenster zu uns hereinschien. Lediglich ein paar Aktzeichnungen an den weißen Wänden verrieten, dass es sich hier nicht um normale Geschäftsräume handelte. Schließlich hielt Spencer – der sich mir tatsächlich noch kurz vorgestellt hatte – vor einer dunkelbraunen Doppeltür an und klopfte energisch dagegen, bevor er sie schwungvoll aufriss und mich am Schulterblatt hindurchschob. Reflexartig wich ich zur Seite aus, sämtliche Sehnen in meinen Beinen spannten sich zur Flucht.