Wie ein Vogel im Aquarium - Daniel Goeudevert - E-Book

Wie ein Vogel im Aquarium E-Book

Daniel Goeudevert

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Beschreibung

Daniel Goeudevert galt als «Paradiesvogel» unter den Topmanagern der Branche. Er hatte Literaturwissenschaft an der Pariser Sorbonne studiert, bevor er Autoverkäufer wurde und damit eine märchenhafte Karriere begann: Vorstandsmitglied bei Citroën Deutschland, Generaldirektor bei Renault Deutschland, Vorstandsvorsitz der deutschen Fordwerke und dann – bis zu Ferdinand Piëch – im Konzernvorstand von VW. Er hatte Erfolg als «genialer Verkaufs- und PR-Künstler», galt als Kronprinz von Carl Hahn, veranstaltete Kunstspektakel mit HA Schult und ließ Gorbatschow in den Werkshallen von Wolfsburg auftreten. Er verstand seine Führungsaufgabe auch als gesellschaftliche Verpflichtung und gründete nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Regime eine internationale Initiative zur Zusammenarbeit von Wirtschaft und Politik. Die Branche verstörte er zunehmend durch seine unorthodoxen Ideen. Er erklärte öffentlich, daß er mit einem Tempolimit leben könne und kritisierte die «perverse» Entwicklung von immer schnelleren «High-Tech-Produkten für eine finanzielle Elite». Selten ist so offen und selbstkritisch über die Welt der Vorstandsetagen berichtet worden: über verkrustete hierarchische Strukturen, Drohungen aus der Branche, aber auch über die eigenen Fehler und den wachsenden Autismus auf dem Weg nach oben.

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Seitenzahl: 242

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Daniel Goeudevert

Wie ein Vogel im Aquarium

Aus dem Leben eines Managers

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Daniel Goeudevert galt als «Paradiesvogel» unter den Topmanagern der Branche. Er hatte Literaturwissenschaft an der Pariser Sorbonne studiert, bevor er Autoverkäufer wurde und damit eine märchenhafte Karriere begann: Vorstandsmitglied bei Citroën Deutschland, Generaldirektor bei Renault Deutschland, Vorstandsvorsitz der deutschen Fordwerke und dann – bis zu Ferdinand Piëch – im Konzernvorstand von VW.

Er hatte Erfolg als «genialer Verkaufs- und PR-Künstler», galt als Kronprinz von Carl Hahn, veranstaltete Kunstspektakel mit HA Schult und ließ Gorbatschow in den Werkshallen von Wolfsburg auftreten. Er verstand seine Führungsaufgabe auch als gesellschaftliche Verpflichtung und gründete nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Regime eine internationale Initiative zur Zusammenarbeit von Wirtschaft und Politik. Die Branche verstörte er zunehmend durch seine unorthodoxen Ideen. Er erklärte öffentlich, daß er mit einem Tempolimit leben könne und kritisierte die «perverse» Entwicklung von immer schnelleren «High-Tech-Produkten für eine finanzielle Elite».

Selten ist so offen und selbstkritisch über die Welt der Vorstandsetagen berichtet worden: über verkrustete hierarchische Strukturen, Drohungen aus der Branche, aber auch über die eigenen Fehler und den wachsenden Autismus auf dem Weg nach oben.

Über Daniel Goeudevert

Daniel Goeudevert, geboren 1942 in Reims. Nach seinem Ausscheiden bei VW 1993 war Goeudevert Vizepräsident von Green Cross International und widmete sich dem Aufbau einer neuen Manager-Schule in Dortmund.

Inhaltsübersicht

Wer kriecht, kann ...VorwortKindertageEin Kind mit roten HaarenSommer in FépinDie Schule des LebensVom AndersseinDas Selbstbewußtsein des KugelstoßersEine einzige LiebeLehrjahreDie Kunst des zweiten BlicksDie Entdeckung des AnderenIm Schlafanzug zum MorgenappellCitroën oder Wie alles anfingKunden in der KücheEine ungewöhnliche KarriereDer jüngste «General» in DeutschlandRenault oder Wie ich das Stolpern lernteDer Schreibtisch des Monsieur DreyfusMein deutsches SchicksalGuinness und SaunaFord oder Der Topmanager im SpiegelkabinettDer Mann mit der DavidoffAuf dem SchleudersitzDer Kanzler und der KatalysatorDie Zukunft gehört dem VisionärDer «Nestbeschmutzer»Volkswagen oder Der Beginn der neuen ZeitEhrgeiz und EitelkeitGorbatschow in WolfsburgDer Zukunftsbauer: Carl HahnDer neue Anfang oder Die Sehnsucht nach dem großen, weiten MeerDer gebildete ManagerManagement und IntuitionDer bescheidene Manager

Wer kriecht, kann nicht stolpern.

 

Claude Weets

Vorwort

«Menschliche Eigenschaften wie Güte, Großzügigkeit, Offenheit, Ehrlichkeit, Verständnis und Gefühl sind in unserer Gesellschaft Symptome des Versagens. Negativ besetzte Charakterzüge wie Gerissenheit, Habgier, Gewinnsucht, Gemeinheit, Geltungsbedürfnis und Egoismus hingegen sind Merkmale des Erfolges. Man bewundert die Qualität der ersteren und begehrt die Erträge der letzteren.»

 

John Steinbeck

 

 

 

Eine Autobiographie zu schreiben ist ein schmerzhafter Prozeß. Es ist, als ob man sich selbst am offenen Herzen operiert – ein chirurgischer Eingriff bei vollem Bewußtsein, bei dem der Patient auch noch selbst das Skalpell führt.

Warum habe ich mir das dennoch antun wollen?

Eine Karriere ist nie die Geschichte einer Person: Sie ist immer die Geschichte von vielen, Bekannten und Unbekannten, die dazu beigetragen haben, daß einer etwas Besonderes leisten konnte. Der Erfolg ist auch eine Verpflichtung, sich an diejenigen zu erinnern, ohne die das Gelingen nicht möglich gewesen wäre. Ich möchte dieses Buch deshalb auch als Ausdruck meiner Dankbarkeit verstanden wissen.

Aber ich wollte mir mit diesem Buch auch Klarheit darüber verschaffen, woher ich gekommen bin und wer ich war.

Mein Weg hinein in die Welt des sogenannten Topmanagements hat selbst im Rückblick noch etwas Rätselhaftes an sich – ich empfand mich wie eine Märchenfigur, die unabsichtlich und ohne es zu wollen vom Schicksal vorangeschoben wird und für die sich am Schluß, allen Fährnissen zum Trotz, alles zum Guten wendet.

Ganz so märchenhaft endete mein Weg nicht. Mein Ausscheiden bei VW erfolgte eher abrupt.

Der Bruch mit einer Welt, die für Jahrzehnte auch meine gewesen war, zeitigte Folgen, die mich zum Nachdenken zwangen und meinen Blick auch auf mein eigenes Tun und Handeln veränderten.

Während man über Jahre hinweg nur mit sich selbst konfrontiert und der Weg nach oben auch von einem zunehmenden Maß an Narzißmus und Autismus begleitet war, erzwingt das Schreiben eine andere Art der Selbstwahrnehmung: Man durchschreitet plötzlich den Spiegel der Selbstgefälligkeit, den man vor sich hatte, und sieht sich aus einer neuen, fremden Perspektive. Man erkennt auch die Beschädigungen, die man sich selbst und anderen auf diesem Weg zugefügt hat. Man entdeckt ein neues, zuweilen prekäres Selbst. Dieses anzunehmen ist eine Form der Selbstliebe, die Oscar Wilde gemeint haben muß, als er so treffend bemerkte, sich selbst zu lieben sei die sicherste Art, sein ganzes Leben geliebt zu werden.

Und Liebe braucht jeder, egal ob Manager oder Handwerker. Oft werden zwar andere Begriffe genannt: Da ist die Rede von Verständnis, Sympathie, Achtung oder Respekt. Doch in der Semantik dieser Wörter schwingt immer Emotionales mit, ist Liebe immer mehr oder weniger mit gemeint.

Es heißt, Leistung sei die Voraussetzung zu Zufriedenheit und Glück. Das glaube ich nicht. Die Erfahrung hat mich das Gegenteil gelehrt: Nur Menschen, die sich geliebt wissen, können große Leistungen vollbringen.

Ich mag die Menschen und habe mich wohl deshalb in allen meinen beruflichen Aktivitäten immer auch gefühlsmäßig engagiert.

Dabei verwechselte ich oft das Subjekt mit seinem Schatten, den Schein mit der Realität. Für bare Münze nahm ich etwa die Reaktionen auf meine Witze oder auch die kommentarlose Zustimmung zu meinen Analysen.

Ich vermochte das höfische Zeremoniell nicht zu durchschauen, das auf der Vorstandsetage herrscht. Ich erkannte nicht, daß man dem Chef aus Prinzip nicht widerspricht und um ihn herum ein goldenes Gefängnis baut, das ihm unversehens zum Verhängnis werden kann.

 

Der Mächtige weiß oft genug nichts von der schweren Goldkrone, die er trägt, und die Beziehung zu seinen Lakaien scheint ungetrübt – solange er auf dem Thron sitzt. Er bekommt alles, was er will. Er umgibt sich mit einer Entourage nach seinem Geschmack und empfängt Menschen aus aller Welt, die den Kontakt zu ihm suchen. Im Glauben, daß das alles mit seiner eigenen Person zu tun habe, entfernt er sich weiter und weiter von der Realität des menschlichen Lebens. Sein Schatten wird überlebensgroß, bis dahinter alles verschwindet: die Wirklichkeit, die anderen, und auch er selbst – bis er im wahrsten Sinne des Wortes ein Schatten seiner selbst wird.

Wie wirklich ist die Wirklichkeit des Managers noch an dem Tag, da er geht oder gehen muß und glaubt, mit dem Abschied von seinem prächtigen Schreibtisch und anderen äußerlichen Insignien seiner Herrlichkeit sei die Trennung vollzogen?

Als ich bei VW ausschied, glaubte ich zuversichtlich an die Fortdauer zumindest eines großen Teils der Beziehungen, die sich über die Jahre entwickelt hatten. Ich irrte. Ich hatte mir eingebildet, zu denen, um die es mir ging, ganz normale und nicht zu irgendwelchen Zwecken funktionalisierte zwischenmenschliche Beziehungen zu haben. Die Ernüchterung ließ nicht lange auf sich warten. Schon in den Tagen unmittelbar vor meinem Ausscheiden, als ich auf Wiedersehen sagen wollte, meldete sich dieser oder jener nicht. Ich verstand nicht warum, ich hatte doch nur adieu sagen wollen.

Später habe ich bei verschiedenen Gelegenheiten und aus unterschiedlichen Gründen – aber gewiß nie auf der Suche nach irgendwelchen Vorteilen – versucht, Fäden, die gerissen waren, von neuem zu knüpfen. Und ich mußte die Erfahrung machen, daß was einmal selbstverständlich, mit einemmal unglaublich schwierig, meistens unmöglich geworden war.

Beim ersten Anruf meldet sich freundlich die langjährige Sekretärin – der Chef sei leider gerade nicht frei. Dafür hat man Verständnis. Man ruft wieder an und realisiert, wie unabdingbar ein Sekretariat offensichtlich für den Schutz eines großen Mannes oder einer großen Frau ist. Dieses zweite Telefongespräch wird dann schon nach allen Regeln der Kunst der Ausrede geführt. Kaum einer der Großen hat den Mut, selbst zum Hörer zu greifen, um sich für seinen Zeitmangel zu entschuldigen, geschweige denn, diesen zu begründen.

Man erhält erst gar keine Chance zu erklären, daß es nur um das schlichte zwischenmenschliche Anliegen geht, einen abgerissenen Faden wiederaufzunehmen. Warum in aller Welt soll es denn nicht möglich sein, solche Beziehungen wieder anzuknüpfen und weiterzuentwickeln? Bin ich naiv, daß ich diese abrupte Verhaltensänderung nicht verstehen kann? Das waren doch Kollegen, mit denen so oft, über das Berufliche hinaus, persönliche Gespräche von Mensch zu Mensch geführt worden sind.

Ich kann mir lebhaft vorstellen, daß auch andere in meiner Situation jenes Gefühl kennen, plötzlich persona non grata zu sein, als sei man von einer ansteckenden Krankheit gezeichnet, Träger eines gefährlichen Virus, der nur auf den Tag des Abschieds gelauert zu haben scheint, um dann sofort auszubrechen. Mit einem entthronten Herrscher wollen jene, für die er jahrelang ein wichtiger Partner war, nichts mehr zu tun haben.

Man sagt, daß für gewisse Positionen ungeeignet sei, wer sich kein dickes Fell wachsen lasse. Nun, ein solcher Pelz schützt vielleicht gegen die Verletzbarkeit durch andere. Ich räume auch ein, daß sich hinter der Dickfelligkeit nicht zwingend ein abgebrühter und mit allen Wassern gewaschener Typ verbergen muß. Aber bei so einem Dickhäuter kann es auch zu einem Abbau der Empfindsamkeit kommen. Auch ein dickes Fell läßt irgendwann die Realität des Lebens nicht mehr bis in jene Zonen des eigenen Selbst vordringen, wo sie erst spürbar, fühlbar, erfahrbar wird. Die Gefahr, daß so einer bald ähnlich handelt wie die, gegen die er sich schützen wollte, ist groß. Das nächstemal ist er es, der Kontakte unvermittelt abbricht und Leid und Schmerz im eigenen Kreis verschuldet.

Ich werde immer wieder gefragt, ob ich meine mit Perserteppichen ausgelegte Wolfsburger Bürosuite nicht vermisse. Es sind wahrhaftig nicht diese Attribute einer hohen Position, die mir heute fehlen. Es bedeutet für mich überhaupt kein Problem, von dort in einen schlichten Bungalow umzuziehen, wo ich meinen Schreibtisch stehen habe. Mir ein eigenes Büro einzurichten, darauf habe ich bewußt verzichtet.

Aber was mich bis heute noch beschäftigt, ist dieses seltsame Verhalten der sogenannten oberen Etage, der Führungskräfte.

Aber auch die Welt des «Normalen», der Menschen, für die man Autos gebaut und Presseerklärungen unterschrieben hat, um die man geworben hat, damit sie das eigene Produkt kaufen, ist einem fremd geworden. Kehrt man eines Tages in diese Welt zurück, so stellt man fest, daß man sie nicht mehr kennt.

Das hat natürlich auch private Konsequenzen. Ohne Team und ohne die stützenden Stäbe des goldenen Käfigs muß man sein eigenes Gleichgewicht in Harmonie mit demjenigen des Partners oder der Partnerin finden. Auf diesen schwierigen Prozeß ist man nicht im geringsten vorbereitet.

Der Manager ist menschlich gehandikapt, um nicht zu sagen: ein Krüppel, und zwar nicht weil es ihm an irgend etwas fehlte, sondern weil er zuviel hatte und überdies geglaubt hat, alles zu haben: Geld, Macht, Erfolg, Anerkennung, viele Kontakte, Beziehungen zu Menschen, die ihm dauernd bestätigen, wie gut er sei.

Dieses wonnige Gefühl, dessen er sich so sicher wähnte, ist eine Illusion, ein Schein. Es sind die vielen Dinge, die ihn arm machen. Er hat in einer Welt gelebt, die ihn den Bezug zu anderen Welten hat verlieren lassen. Das Problem des ausscheidenden Managers ist deshalb weniger ein Imageverlust als vielmehr ein Identitätsverlust.

Das Bild, das gemeinhin vom Spitzenmanager existiert, ist ein Mythos. Er wird – trotz aller Kritik, die gerade in jüngster Zeit aufgrund der Vorgänge um «Vulkan» oder Mercedes laut geworden ist – auf einen Sockel gestellt, der bei einem Absturz zwangsläufig eine beträchtliche Fallhöhe aufweist. Die irreale Welt des Scheins, die ihn umgibt – nicht weil er seine Sache gut macht, sondern schon aufgrund der Tatsache, daß er der Chef ist –, läßt ihn früher oder später die «Bodenhaftung» verlieren. Er sieht, was andere in ihm zu sehen scheinen – die Spiegel der Selbstgefälligkeit, die seine Entourage eifrigst putzt, zeigen immer nur einen Kaiser in prächtigen Gewändern, auch wenn dieser schon nackt und bloß ist. Der Preis, den zahlen muß, wer aus diesem engmaschigen Netz des Narzißmus herausfällt, ist hoch – eine radikale psychosoziale Krise. Der Selbstmord des geschaßten Mercedes-Managers ist in dieser Kaste kein Einzelfall.

Aber weder geht es mir in diesem Buch um quälende psychologische Selbstdiagnosen, noch dürfte ausgerechnet ich, der doch viele Jahre in dieser Welt mitgemacht und mitgespielt hat, zu einer gnadenlosen Abrechnung mit ihren Verlogenheiten ausholen. Wohl aber möchte ich insoweit am Mythos kratzen, als ich auch die Wirklichkeit des Managements beschreibe, die doch häufig prosaischer und banaler, mit Fehlern und Schwächen behaftet und letztlich viel «normaler» ist, als das Getue von innen und außen glauben läßt. Ich möchte durch meine Beschreibung ein Stück Realitätshaltigkeit in diese Welt zurücktragen, auch damit darüber nachgedacht werden kann, was sich in ihr ändern müßte.

 

Jenseits all dieser psychologischen Selbstdiagnosen glaube ich darüber hinaus, daß mein europäischer Lebenslauf eine Erzählung wert ist, besonders wenn ich sehe, wie fragil dieses Europäische Haus immer noch ist, in dem selbst die vermeintlich stabilen Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland bei der geringsten Unstimmigkeit umzukippen drohen. Ich möchte zeigen, daß eine europäische Karriere eine Selbstverständlichkeit, eine alltäglich von vielen gelebte und erfahrene Realität werden muß, wenn dieses Europa nicht nur rhetorisch propagiert, sondern wirklich Einheit werden will.

Und letztendlich verstehe ich meine Autobiographie auch als eine Liebeserklärung an Deutschland. Dieses Land und sein Volk haben mir eine Möglichkeit gegeben, aus der eine Lebensgeschichte wurde, und aus mir das gemacht, was ich heute bin: ein glücklicher Sisyphos.

Kindertage

Auf jeden Fall hat die herrliche Wärme, die über meiner Kindheit herrschte, keinerlei Ressentiments in mir aufkommen lassen. Ich lebte in begrenzten Verhältnissen, aber auch in einer Art Genuß.

 

Albert Camus

Ein Kind mit roten Haaren

Anfang des Jahres 1942 wurde ich in Reims, Zentrum der Champagne und Metropole der Champagnerherstellung, geboren. Ich sollte Francis heißen.

Auf dem Weg zum Rathaus, wo er meinen Namen melden sollte, begegnete mein Vater einem Freund, dem er stolz von der Geburt seines Sohnes erzählte, den er sich so lange schon gewünscht hatte.

«Wie soll er denn heißen?» fragte der Freund.

«Francis», antwortete mein Vater.

«Um Gottes willen!» rief der Freund entsetzt. «Das ist ja ein furchtbarer Name.»

«Wie soll ich ihn denn nennen?» fragte mein Vater verstört.

«Nenn ihn doch Daniel! Der Name wäre viel besser», erwiderte der Freund mit Bestimmtheit.

Mein Vater ließ sich überreden, und so erhielt ich den Namen Daniel.

 

Mein Vater war Gendarm, Mitglied eines traditionsreichen Gendarmeriekorps, das bereits unter Napoleon gegründet worden war, um die Landbevölkerung zu unterstützen.

Tag für Tag war er mit dem Fahrrad unterwegs zu den einsamen Gehöften, eine Arbeit, die schlecht bezahlt wurde. Er machte nie viele Worte, war aber sehr hilfsbereit. Seine Kontakte zur ländlichen Bevölkerung halfen uns, den Krieg zu überstehen; als es in den Geschäften kaum noch etwas zu kaufen gab, brachte er abends, wenn er heimkam, immer etwas zu essen mit.

An die frühe Zeit meiner Kindheit habe ich nur sehr spärliche Erinnerungen. Vorlaut und frech soll ich gewesen sein. Meine Mutter erinnert sich noch heute an manch peinliche Situation, in die sie durch mich geriet.

So kam beispielsweise eine Frau aus der Nachbarschaft regelmäßig, um unsere Nähmaschine auszuleihen. Meinen Eltern war ihr häufiges Erscheinen nicht recht, doch behielten sie ihren Unmut für sich. Ich kannte solche Hemmungen nicht. Und als die Frau eines Tages wieder erschien, glaubte ich sie aufklären zu müssen: «Sie wollen also schon wieder die Maschine holen», stellte ich mißbilligend fest und fügte hinzu: «Das ist das letztemal, daß Sie diese Maschine bekommen. Sie gehen uns auf den Zwirn.»

Meine Mutter brachte diese Szene in große Verlegenheit, und sie vermied es fortan, mich an häuslichen Gesprächen zu beteiligen.

Aus heutiger Perspektive sehe ich in meinem frechen Mundwerk den Versuch eines Kindes, seine Männlichkeit einzuklagen und wahrnehmbar zu machen. Ich wurde erzogen wie meine zwei älteren Schwestern, eben wie ein Mädchen. Dazu gehörte auch, daß meine Mutter sich weigerte, mein Haar schneiden zu lassen, das mir in langen roten Locken über die Schultern fiel.

Statt mich nun zurückhaltend zu geben und die Aufmerksamkeit der Leute nicht gleich auf mein ungewöhnliches Aussehen zu lenken, betonte ich dieses noch durch mein extrovertiertes Auftreten. Ich ging auf alle möglichen Menschen zu, klopfte ohne Hemmungen an die Türen ihrer Häuser, nur um mich mit ihnen zu unterhalten. Ich hungerte nach menschlichen Kontakten.

Als General Eisenhower 1945 in einer Schule in Reims sein Hauptquartier errichtete, schloß ich Freundschaft mit einem schwarzen amerikanischen Soldaten, der meine Anhänglichkeit mit Kaugummi und Schokolade belohnte.

Wir wohnten in der Nähe der Kaserne, und auf meinen täglichen Besuchsrunden beehrte ich auch die Frau des Capitaine, in dessen Korps mein Vater Dienst tat.

Ich traf sie später wieder, und da erzählte sie mir, wie großmütig ich mich gezeigt hätte, als sie einmal die gewöhnlich für mich bereitgehaltenen Bonbons vergessen hatte. «Also, wenn Sie heute keinen haben, dann geben Sie mir morgen eben zwei, und dann ist das in Ordnung», soll mein Angebot gelautet haben.

Mit sechs Jahren erreichte ich endlich, daß meine Mutter mich zum Friseur schickte und ich einen kurzen männlichen Haarschnitt bekam.

Sommer in Fépin

Die Sommermonate verbrachte ich bei meinen Großeltern in Fépin, einem kleinen Dorf mit zweihundertfünfzig Einwohnern am Ufer der Meuse in den französischen Ardennen. Ohne Zweifel habe ich in Fépin das Beste für mein Leben gesammelt. Es war ein einfaches und naturverbundenes Dasein, das meine Großeltern führten. Sie bewohnten ein kleines Haus mit Garten, und in den ersten Jahren, die ich dort verbrachte, gab es weder fließendes Wasser noch elektrisches Licht. Als eines Tages elektrische Leitungen gezogen wurden, muß ich den armen Installateur so geärgert haben, daß er erregt von seinem hohen Mast herunterstieg, mich packte und mich mit meinen kurzen Hosen in die Brennesseln steckte. «Wenn Sie den Bengel nicht einsperren, steige ich nicht mehr auf den Mast», drohte er meiner Großmutter.

Zu den Kindern des Dorfes hatte ich kaum Kontakt. Für sie blieb ich ein Fremder, der Stadtjunge, dem man zeigen mußte, wer hier im Dorf das Sagen hat. Sie sangen Spottlieder auf meine roten Haare, sperrten mich ein und machten sich auf jede erdenkliche Weise über mich lustig.

Auch deshalb überfiel mich während der Sommermonate zuweilen ein Gefühl der Einsamkeit. Ich vermißte meine Eltern und wußte nicht, was ich mit mir selbst anfangen sollte. Aus lauter Langeweile dachte ich mir allerlei Spiele aus. Eines dieser Spiele bestand darin, daß ich von der Brücke, die über die Eisenbahnlinie führte, kleine Steinchen auf die Schienen warf. Durch beharrliches Üben brachte ich es dabei zu einer hohen Treffsicherheit. Als ich vor einigen Jahren nach Fépin kam, fand ich die Brücke wieder und konnte zu meiner großen Genugtuung feststellen, daß ich die kleine Kunst der Kindheit immer noch beherrschte.

Die Einsamkeit meiner Tage war vorbei, wenn Großvater am späten Nachmittag von der Arbeit heimkam. Er arbeitete in einer Gießerei und mußte jeden Morgen zehn Kilometer auf einem alten Fahrrad zurücklegen, um zu seiner Arbeitsstelle zu gelangen. Nachmittags gegen vier Uhr kehrte er wieder zurück.

Großmutter und ich erwarteten ihn meist schon auf der Bank vor dem Haus. Wenn ich das vertraute Klicken seiner genagelten Schuhe auf dem Kopfsteinpflaster hörte, wußte ich, daß er gerade auf der Straße, die einige Meter oberhalb des Hauses verlief, vom Fahrrad gesprungen war, weil das Rad keine Bremsen hatte, und sich gleich darauf das Gartentor öffnen würde. Großvater war wieder da.

Während er in der Küche seinen Kaffee trank, erzählte er meiner Großmutter, was in der Gießerei alles vorgefallen war. Obwohl ich die Leute gar nicht kannte, von denen er sprach, und meist nur wenig von allem verstand, genoß ich diese Stunde der Erzählung.

An den Wochenenden verbrachte er meist den ganzen Tag in den Wäldern, die sich rings um das Dorf zogen. Er liebte die Natur, mit der ihn eine tiefe innere Beziehung verband – eine Innigkeit, die mich beeindruckte und nicht ohne Einfluß auf mich blieb.

 

Das Wappentier der Ardennen ist ein Wildschwein, und mein Großvater besaß im besten Sinne den Charakter eines Wildschweins. Er war sehr zurückhaltend, sprach nur wenig; an ihm sah ich, daß es nicht unbedingt vieler Worte bedarf, um seine Gefühle mitzuteilen – eine Erfahrung, die ich allerdings in bezug auf mich selbst nicht unbedingt beherzigte.

Eines Sonntags nahm er mich mit in den Wald zum Holzschlagen. Er belieferte einen großen Teil der Dorfbewohner mit Holz, weil der Lohn in der Gießerei eher knapp bemessen war. Großmutter hatte uns Linsensuppe mitgegeben.

Während Großvater noch mit dem Schlagen des Holzes beschäftigt war, bekam ich Hunger. Ich setzte mich hinter einen Holzstoß und begann, von der Linsensuppe zu kosten, und im Nu war der Blechtopf leer.

Ein wenig später kam mein Großvater müde und hungrig von der Arbeit zu unserer Raststelle. «Komm, Daniel, jetzt essen wir», sagte er in erwartungsvoller Vorfreude auf die leckere Linsensuppe. Ich zog es vor, mich eiligst in den Wald zu verdrücken und nur zwischen den Baumstämmen hindurch einen Blick auf den schimpfenden Großvater zu riskieren, der voller Wut alles zusammenpackte und nach Hause marschierte.

Meine Großmutter war überrascht von unserer vorzeitigen Rückkehr.

«Warum seid Ihr schon zurück?» fragte sie.

«Ich habe Hunger», erwiderte mein Großvater brummig. «Der Bengel hat alles allein aufgegessen.»

In deutlicher Erinnerung sind mir die gemeinsamen Abende. Nach dem Abendessen, das meistens schweigend eingenommen wurde, setzten wir uns in der Küche um den eisernen Ofen. In dieser Gegend waren auch die Sommer kühl, und während es draußen dunkel wurde, verbreitete das Feuer eine behagliche Wärme.

Meine Großeltern sprachen über den Garten, die Tiere und die Vorkommnisse im Dorf. Gebannt lauschte ich ihren Erzählungen und wünschte mir, die Zeit anhalten zu können. Diese Stunden im Land der Dämmerung hätten für mich ewig dauern können. Von Schlafen wollte ich gar nichts hören. Erst wenn meine Großeltern schlafen gingen, war auch ich bereit, ins Bett zu gehen. Durch die Wand meiner Kammer konnte ich ihre Stimmen hören, wenn sie im Schlafzimmer ihre Gespräche fortsetzten – eine sanfte, harmonische Melodie, die mich in den Schlaf wiegte.

Es war eine kleine, überschaubare Welt, in der sie lebten – die Welt, in die sie hineingeboren worden waren und in der sie starben. Eine Welt, für die sie Verantwortung empfanden, weil sie in ihr wurzelten. Eine Welt, die über Erzählungen und Erfahrungen weitergegeben wurde an die nächste und an die übernächste Generation. Ich habe das Glück der Kindheit noch erfahren können, in der ein Großvater Geschichten erzählt – und zugleich sind spätestens in meiner Generation die Brüche vollzogen worden. Mein Leben ließ mich nirgendwo mehr feste Wurzeln schlagen. Ich lebte in Paris, Köln, Wolfsburg, in Genf und in Südfrankreich. Ich führe auch heute ein Leben an vielen Orten gleichzeitig. Als Kind hatte ich eine Welt ohne Elektrizität kennengelernt – heute organisiere ich Multimedia-Kongresse. Mein Leben besteht nicht mehr wie das meines Großvaters aus Kontinuitäten, sondern aus Simultanitäten. Und sosehr ich in diesem Leben auf meine Art «zu Hause» bin, so weiß ich doch: die Verantwortlichkeit für die jeweils konkrete Umgebung, die aus Bindung resultiert, ist geschwächt, wenn man diese gleichsam nur noch im Teilzeit-Leben bewohnt. Die Erfahrungen, die ich aus meinem Leben an meine Kinder habe weitergeben können, sind ungleich abstrakter und vermittelter als das, was ich von meinem Großvater gelernt habe. Jene Kette, die über Generationen hinweg weitergegeben wurde, ist mit meiner Generation gerissen.

 

Wenn Großvater Anfang September die störrischen Schafe von der Wiese zurück in den Stall zu treiben versuchte, war der Sommer vorbei. Bald darauf kamen meine Eltern, um mich abzuholen. Ich freute mich auf diesen Tag, denn ihre Ankunft war jedes Jahr Anlaß für ein großes Familientreffen.

Ehe ich als kleiner Supermann auf der Bildfläche erschienen war, hatten meine Großeltern und die Familien der Schwestern meiner Großmutter einander kaum noch besucht. Jahrzehnte zuvor hatte der Streit über eine alte Anrichte, die von meinem Großvater angeblich widerrechtlich verkauft worden war, die Familie entzweit. Heute mag man über die Nichtigkeit eines solchen Anlasses nur lachen, damals aber konnten solche Fragen offensichtlich zu einer richtigen Familienfehde führen. Dank meiner Freude, mit Menschen zusammenzusein, gelang es mir, meine Großmutter mit ihren Schwestern zu versöhnen. Und auch meine andere Großmutter, die Mutter meines Vaters, die im selben Dorf lebte, nur etwa fünfzig Meter vom Haus meiner Großeltern entfernt, und zu der trotz der engen Nachbarschaft kein Kontakt bestand, führte ich heim in die Familie.

Wenn wir dann am Ende des Sommers alle im Hause meiner Großeltern zusammenkamen, war ich glücklich. In späteren Jahren, als ich schon eine öffentlich bekannte Person geworden war, fanden an diesem Tag meist lebhafte Auseinandersetzungen darüber statt, wer mich denn nun eigentlich erzogen und damit das Fundament für das gelegt hatte, was aus mir geworden war. Meine Schwestern behaupteten, sie und die Großeltern hätten sich hauptsächlich um mich gekümmert, was meine Mutter selbst in ihrem fortgeschrittenen Alter noch heftig erregen kann. Wenn Erziehung bedeutet, Liebe zu geben, dann kann ich nur feststellen, daß mir Liebe in verschwenderischem Maße geschenkt wurde – von den Eltern, den Großeltern und besonders von meinem Vater. Ich war immer sein Lieblingskind.

Die Schule des Lebens

Aber ich habe nun lange genug gelebt, um zu erkennen, daß Anderssein Haß erzeugt!

 

Stendhal

Vom Anderssein

Mit fünf Jahren kam ich in die Schule, in die Vorschulklasse, die meine ältere Schwester als Lehrerin unterrichtete. Ich weiß nicht mehr, ob sie besonders streng war, in ihrem Auftreten glich sie meinem Vater und verhielt sich eher reserviert. Daß ich besonderes Vergnügen an ihrem Unterricht hatte, glaube ich allerdings auch nicht. Eines Tages hatte ich Streit mit einem älteren Schüler. Vermutlich hatte ich ihn gereizt, er packte mich jedenfalls an meinem Schal und würgte mich. Als ich abends meinem Vater davon erzählte, reagierte in ihm der Gendarm – nur mit Mühe konnte ich ihn davon abhalten, eine Untersuchung einzuleiten. Noch Tage danach sprach er von dem Bösewicht, der mich gewürgt hatte. Ich hütete mich fortan, zu Hause noch einmal von schulischen Reibereien zu berichten.

Nach dem ersten Schuljahr wechselte ich in eine Schule, die von einem katholischen Orden geführt wurde.

In unmittelbarer Nähe des Schulgebäudes befand sich eine Kirche, und zuweilen holte sich der Pfarrer einige Schüler aus dem Unterricht als Meßdiener. Jeder drängte sich zu dieser Aufgabe, man versäumte den Unterricht und verdiente obendrein auch noch ein paar Centimes dabei.

Unterrichtet wurden wir von den Ordensbrüdern. Nur ein Lehrer, ein besonders harter Typ, gehörte dem Orden nicht an. Wer seine Lektion nicht gelernt hatte, dem befahl er, ans Pult vorzutreten, die Fingerspitzen der rechten Hand zusammenzudrücken, und dann schlug er mit dem eisernen Lineal auf die Fingerkuppen. Diese Schläge waren gefürchtet.

Schon durch mein auffälliges Äußeres unterschied ich mich von meinen Klassenkameraden. Ich war größer und stärker als sie, und mein Haarschopf leuchtete zwischen den vielen dunklen Köpfen wie ein rotes Licht. Wenn irgend etwas schiefgelaufen war und der Lehrer seinen Blick auf der Suche nach dem Schuldigen über die Klasse schweifen ließ, konnte ich fast sicher sein, daß er an mir hängenblieb. Dann wußte ich: «Daniel, du bist dran!»

Im Sport kam mir meine Körpergröße zugute. Ich konnte schneller laufen als die anderen, weiter werfen und besser Fußball spielen. Als ich Torwart unserer Fußballmannschaft wurde, verschaffte mir dies selbst bei dem strengen Lehrer einen Bonus, und so entging ich ab und zu seinem Lineal. Meine sportlichen Erfolge stärkten mein Selbstbewußtsein und trugen mir die Achtung meiner Mitschüler ein, was mir half, die Aufmerksamkeit, die ich durch mein Äußeres erregte und die mich verunsicherte, zu kompensieren.

Die Ordensbrüder veranstalteten jedes Jahr ein Ferienlager. Damit ich nicht immer den Großeltern zur Last fiel, durfte ich ein- oder zweimal mitfahren. Der Priester, der die Reise organisierte, war ein Freund der Familie. Sonst hätte meine Mutter ihre Zustimmung wahrscheinlich gar nicht gegeben.

Wir waren etwa dreißig Jungen. Untergebracht wurden wir in einem Ferienheim in Ettelbrück. Zusammen mit den Ordensbrüdern unternahmen wir weite Wanderungen durch die luxemburgischen Wälder. Die Nächte verbrachten wir manchmal im Zelt.

Nach einem langen Marsch fiel mir die Aufgabe des Kochens zu. Ich sollte Schokoladenreis zubereiten. Ich rührte also Schokolade, Reis und Milch in einen Topf und stellte ihn auf das Feuer. Schon bald verbreitete sich ein köstlicher Duft. Doch der Schein trügte, denn als ich den Topf vom Feuer nahm, war sein Inhalt zu einem einzigen harten Klumpen zusammengeschmolzen. Nicht einmal die Hunde, die um unser Lager streunten, wollten den harten Klumpen anrühren.

Viele Jahre später glaubte ein Journalist in Köln, in mir einen verborgenen Hobbykoch entdeckt zu haben, und er titelte: «Herr Generaldirektor, die Zwiebeln brennen an.» Er dürfte nicht gewußt haben, daß sich meine Kochkünste seit jenem ersten Versuch nie wesentlich verbessert haben.

Daß ein Franzose auf einem Managerposten saß, schien die Phantasie meiner Mitmenschen ohnehin auf besondere Weise zu beflügeln. Nicht nur wurde mir bei Geschäftsessen immer die Weinkarte zugeschoben – auch die deutschen Journalisten, immer auf der Suche nach einer Geschichte, rechneten fest damit, in mir einen Bonvivant zu treffen, der kochen kann, etwas von Weinen versteht und ein erprobter Gourmet ist. Ob ich auch fähig war, eine Firma zu führen, war für manchen aus der journalistischen Zunft demgegenüber eher eine Frage von nachgeordnetem Interesse.

Mein Pennäler-Mißgeschick mit dem Reis und der Schokolade war bald vergessen. Eine andere Blamage hingegen sollte mir beinahe die ganzen Ferien verderben.