Wie ich erfuhr, dass ich ein Zebra bin - Martina Hahn - E-Book

Wie ich erfuhr, dass ich ein Zebra bin E-Book

Martina Hahn

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Beschreibung

"Dass du immer noch lachen kannst ...", war eine der häufigsten Aussagen, die die Autorin immer wieder von Freunden und Bekannten hörte, wenn sie über die Erkrankungen sprachen, die ihr Leben von heute auf morgen grundlegend veränderten. Eines Tages beschloss sie, über ihre Erlebnisse auf dem Weg zu verschiedenen ungewöhnlichen und teilweise seltenen Diagnosen, die sie ihr Leben lang begleiten werden, zu schreiben. So entstand ein Buch, das sicherlich nicht immer zur leichten Lektüre gehört, aber dennoch ein Mutmacher für Menschen in ähnlichen Situationen sein soll und das zeigt, dass es sich stets zu kämpfen lohnt. Mit sachlichen Erklärungen vermittelt die Autorin ihr Wissen für Interessierte und erzählt auch von Chancen, von Veränderungen und einem Neuanfang.

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Dank & Widmung

Meinen Freunden danke ich dafür, dass ich zu ihrem Leben gehöre, einfach weil ich bin, wer ich bin. Einige von ihnen haben mich nie anders kennengelernt. Andere waren schon vorher da und sind geblieben, obwohl sich vieles verändert hat. Nicht für jeden war das selbstverständlich. Sie haben auch die Entstehung dieses Buches begleitet.

Meiner Physiotherapeutin Christina danke ich für Schokokekse mit Tee nach einem langen Tag, die meiner Seele gut tun und für ihre immer wieder so engagierte Behandlung, die meinem Körper hilft.

Mein ganz besonderer Dank gilt Dr. Rainer Sass, dem besten Hausarzt der Welt. Ohne ihn stünde ich heute nicht dort, wo ich bin. Ich hätte noch so gute Ideen haben, noch so umfangreich recherchieren, noch so schlüssig argumentieren können. Dies alles hätte mir nichts genutzt, wenn es nicht jemanden wie ihn gegeben hätte, der gewillt war, über den Tellerrand hinauszusehen und keinen Schlussstrich zu ziehen, als sich des Rätsels Lösung nicht fand. Er hat beschlossen, neugierig zu bleiben, weiterzusuchen, zu vertrauen, zu ermöglichen, da zu sein.

Wir haben nur dieses eine Leben. Es ist unsere Aufgabe, es anzunehmen, es zu gestalten und die Möglichkeiten zu nutzen, die es uns bietet. Für Julia Denk an den Leuchtturm. Er wird dich beschützen.

Für Julia

Denk an den Leuchtturm. Er wird dich beschützen.

Wie ich erfuhr, dass ich ein Zebra bin

Martina Hahn

© 2017 Martina Hahn

Umschlag, Illustration: Martina Hahn

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback

978-3-7345-8034-5

Hardcover

978-3-7345-8035-2

E-Book

978-3-7345-8036-9

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Mein herzlicher Dank für Zustimmung und Textfreigabe geht an:

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Evangelisches Krankenhaus Alsterdorf mit Epilepsie-Zentrum Hamburg, Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e. V. (DGAI) mit OrphanAnesthesia, Israelitisches Krankenhaus Hamburg, Klinikum Bad Bramstedt, Medizinische Hochschule Hannover, Orphanet Deutschland, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Universitätsklinikum Heidelberg, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck, Universitätsspital Zürich

Inhalt

Das Zebra

Rare Disease Day

Die Ehlers-Danlos-Syndrome

2013

Der Anfang – Plötzlich war alles anders

Von Herz und Krankenhaus

War es das Gehirn? Erste MRT des Kopfes

Der Meteorit

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf / Institut für Psychosomatische Medizin No. 1

Psychotherapeuten – Von der Wahrheit der Vorurteile

Eintritt Krankengeldbezug – Ein unvermeidlicher Schritt

Weiterbildung No. 1 – Medizinische Schreibkraft

2014

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf / Institut für Infektiologie und Immunologie

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf / Institut für Psychosomatische Medizin No. 2

Katecholamine – Ein erster Blick auf das autonome Nervensystem

MRT des Beckens und ein erster Hinweis

Ein kurzer Gedanke an Morbus Bechterew

Klinikum Bad Bramstedt / Rheumatologischimmunologische Diagnostik

Ein Attest und das Ende einer Leidenschaft

Kontrolle Helicobacter pylori – 13C-Harnstoff-Atemtest

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf / Martin Zeitz Centrum für Seltene Erkrankungen

Universitätsklinikum Heidelberg - Beginn zielgerichteter Ehlers-Danlos Diagnostik

Israelitisches Krankenhaus in Hamburg / Funktionsdiagnostik für Speiseröhre und Magen

Ergebnis der elektronenmikroskopischen Analyse der Hautbiopsie

Weiterbildung No. 2 – Hochschulkurs Grundlagen der Medizin

2015

EDS-Diagnostik am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein / Humangenetik Lübeck

Der Simulantenstempel No. 1

Der Simulantenstempel No. 2

Ende Krankengeldbezug – Was nun?

Magenspiegelung No. 2 und die Wirkung von Propofol

Klinische EDS-Studie des Universitätsspitals Zürich

Erste MRT der Halswirbelsäule – Ein Gleitwirbel als Vorbote

Evangelisches Krankenhaus Alsterdorf / Diagnostik im Epilepsie-Zentrum Hamburg

Rückkehr nach Hause

Die klinische Studie am Universitätsspital Zürich - Ein Tagesausflug in die Schweiz

Ergebnis der molekulargenetischen Untersuchung

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) - Eine UAW-Meldung

Erste MRT der Lendenwirbelsäule – Von Bandscheibe und Facettenarthrose

Das U-Boot

Medizinische Hochschule Hannover / Posturales orthostatisches Tachykardiesyndrom (POTS)

Post-Exercise Synkope – Ein Zusatz zum POTS

Der Psychowahn – Wie man Patienten in die Verzweiflung treibt

Gründung einer EDS-Betroffenengruppe

Abschlussarbeit Hochschulkurs Grundlagen Medizin

Bewerbung Chefarztsekretariat Anästhesiologie, Intensivmedizin & OP-Management

2016

Vorstellungsgespräch und ein neuer Job

Molekulargenetische Analyse der Cytochrome P450 -Medikamentenstoffwechsel

Das Medical Alert ID - mein Notfallarmband

Meine erste kleine Veröffentlichung

Antrag auf Kostenübernahme für Funktionsdiagnostik der Halswirbelsäule im Upright-MRT

Schlossfestspiele, ein Wiedersehen und eine Oper im Regen

Die Viren – Eine Sommergrippe

Das Projekt Info-Flyer für Notfall-Accessoires

MRT des Abdomens

Upright-MRT in München – von atlantodentaler Instabilität und einem Kennenlernen

Neustart Physiotherapie – Die Rückkehr meiner Therapeutin

Orphanet Deutschland, OrphanAnesthesia und die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e. V. (DGAI)

Online-Lebensmittellieferservice – Eine echte Hilfe im Alltag

Die HWS-Schäden - Einschätzungen eines Neurochirurgen

Mein Hausarzt und sein unersetzlicher Job

Langfristige Bewilligung für physikalische Therapie

Erneute MRT der Lendenwirbelsäule - Eine Verlaufsbeurteilung

2017

Das Barré-Liéou-Syndrom (Zervikozephales Syndrom)

Grad der Behinderung – von Festsetzung bis Klagverfahren

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf / Universitäres Herzzentrum und die Frage nach der Prinzmetal Angina

Schema EDS & Begleiterkrankungen

Zukunftsaussichten

Literaturverzeichnis

Bildverzeichnis

Das Zebra

Das Zebra ist das internationale Symboltier für Menschen mit seltenen Erkrankungen. Das Motto lautet: „Wenn du Hufe hörst, denk an Pferde, nicht an Zebras.“ Gemeint ist in der Medizin, dass die am nächsten liegende Lösung meist die richtige ist, wenn es mehrere Möglichkeiten gibt. Manchmal wird dabei jedoch nicht bedacht, dass auch das Ungewöhnliche die Erklärung sein kann.

Ich bin ein Zebra.

Rare Disease Day

Der letzte Tag im Februar eines jeden Jahres ist der Internationale Tag der Seltenen Erkrankungen, der Rare Disease Day. In Europa wird eine Krankheit als selten eingestuft, wenn diese bei nicht mehr als fünf Personen pro 10.000 Einwohner der Europäischen Union auftritt1.

Die Ehlers-Danlos-Syndrome

Von den Ehlers-Danlos-Syndromen sind durchschnittlich eine bis zwei Personen pro 10.000 Einwohner betroffen, wobei sich die Häufigkeit zwischen den einzelnen Varianten zum Teil deutlich unterscheidet. Meine EDS-Form, der klassische Typ, tritt mit einer Häufigkeit von etwa einer Person pro 30.000 Einwohner auf2. Es gibt jedoch auch EDS-Typen, für die sogar weniger als eine Person pro eine Million Einwohner angegeben ist2.

Die Ehlers-Danlos-Syndrome (EDS) bilden eine definierte Gruppe genetisch bedingter Erkrankungen, bei der die Bildung und somit die Struktur des Kollagens im Körper durch Defekte oder Mutationen auf bestimmten Genen fehlerhaft ist.

Kollagene sind lange Eiweißketten, die in verschiedene Typen mit unterschiedlichen Aufgaben unterteilt werden. Sie befinden sich in der extrazellulären Matrix, also in den Zellzwischenräumen aller Gewebe und stellen einen wesentlichen Bestandteil des menschlichen Bindegewebes dar. Für eine bildhafte Vorstellung mag ein grober Vergleich zum Mörtel zwischen den Ziegelsteinen eines Hauses dienen.

Das Bindegewebe spielt eine zentrale Rolle im Immunsystem. Zudem schützt es als Knorpel die Gelenkflächen und gibt z. B. Ohren und Nase ihre Form. Es verleiht Organen, Gefäßen, Bändern und Muskeln ihre Stabilität und Elastizität, verbindet sie miteinander oder trennt sie voneinander. Es ermöglicht deren Verschieblichkeit zueinander, um Lebensfunktionen wie die Atmung oder den Nahrungstransport zu gewährleisten. Das Bindegewebe übernimmt somit eine immens wichtige Rolle im gesamten Organismus.

Wird das Kollagen jedoch durch defekte oder mutierte Gene nach einem fehlerhaften Bauplan gebildet, hat dies Auswirkungen auf die Beschaffenheit und Funktionsfähigkeit der Bänder und Sehnen, des Knorpelgewebes, der Gefäßwände und der inneren Organe, der Haut, der Zähne, der Augen usw. Überträgt man die Funktionen von Kollagen auf unser bildhaftes Haus, so stellen die Ehlers-Danlos-Syndrome Planungs- oder Materialfehler dar, die sich auf das gesamte Gebäude auswirken. Stellen Sie sich die Verwendung der falschen Mörtelmischung im Mauerwerk vor.

Die Ehlers-Danlos-Syndrome sind daher systemische, den gesamten Körper betreffende, Erkrankungen, bei denen bereits die Grundstrukturen des Organismus fehlerhaft sind. Da das Kollagen zudem dauerhaft unzureichend nachgebildet wird, gehören die EDS zu den nicht heilbaren Erkrankungen mit regelmäßig progredientem (fortschreitenden) Verlauf. Sie treten jedoch so selten auf, dass den allermeisten Ärzten in ihrer gesamten Laufbahn kein einziger EDS-Betroffener begegnen wird.

Die Ehlers-Danlos-Syndrome werden nach der neu erarbeiteten und im März 2017 veröffentlichten internationalen EDS-Klassifikation in dreizehn Subtypen unterteilt3 (vormals sechs Haupttypen nach der Villefranche-Klassifizierung von 1997), die jeweils nach ihrer Leitsymptomatik benannt sind. So ist der hypermobile Typ (hEDS) vorwiegend von Erkrankungen des orthopädischen Bereiches betroffen und zeichnet sich durch eine eher geringe Beteiligung der Haut oder der inneren Organe aus.

Der vaskuläre Typ (vEDS) geht mit einer besonders hohen Zerreißlichkeit der Gefäße und Organe einher und ist oft gekennzeichnet durch eine erweiterte Aorta, Aneurysmen4, spontane Hämatome sowie stark überbewegliche Gelenke, die häufig luxieren (ausrenken). Er stellt wegen des hohen Blutungsrisikos eine der gefährlichsten EDS-Varianten dar und wird mit einer mittleren Lebenserwartung von nur 48 Jahren beschrieben.

Der klassische Typ (cEDS) zeichnet sich durch eine deutliche Überdehnbarkeit und verstärkte Verletzlichkeit der Haut aus, durch stark überbewegliche Gelenke mit Dislokationen sowie durch eine Beteiligung der inneren Organe und der Gefäße. Bemerkbar macht sich dies in meinem Fall durch spontane blaue Flecken, Petechien (kleine Punktblutungen), Nasenbluten, eine häufig blutende Zunge sowie viele weitere Befunde des internistischen, orthopädischen, neurologischen und urogynäkologischen Bereiches.

Mit der überarbeiteten Klassifikation wurde nun auch ein classical-like EDS3 (clEDS) als neuer Subtyp aufgenommen, der dem klassischen Typ sehr ähnlich ist, einige Eigenschaften aber weniger stark ausgeprägt oder seltener vorhanden sind. Die Zerreißlichkeit und die abnorme Narbenbildung der Haut sind im Vergleich zum klassischen EDS beim classical-like EDS nicht oder nur in geringem Ausmaß beschrieben. Hernien (Gewebebrüche) werden beim klassischen EDS häufiger beobachtet als beim classical-like EDS. Dennoch geht auch das neue clEDS mit Überdehnbarkeit der Haut, generalisierterGelenkhypermobilität mit oder ohne Dislokationen, Blutungsneigung, spontanen Hämatomen, Fußfehlstellungen, Ödemen, Muskelschwäche, Senkungsvorgängen bis hin zu Prolapsen im gynäkologischen oder enterologischen Bereich einher.

Neben diesen vier häufigsten Formen der Ehlers-Danlos-Syndrome werden auch

•Arthrochalasie EDS (aEDS)

•Dermatosparaxis EDS (dEDS)

•Kyphoskoliotisches EDS (kEDS)

•Spondylodysplastisches EDS (spEDS)

•Musculocontractural EDS (mcEDS)

•Parodontales EDS (pEDS)

•Neu: Kardio-valvuläres EDS (cvEDS)

•Neu: Myopathisches EDS (mEDS)

•Neu: Brittle Cornea Syndrome (BCS)

beschrieben. Diese sollen hier jedoch lediglich der Vollständigkeit halber genannt sein.

Zwischen den einzelnen Varianten treten häufig Überlappungen der Symptome auf. Auch innerhalb eines Typs sind die Symptome zumeist unterschiedlich stark ausgeprägt und vielfältig. In seltenen Fällen sind Patienten auch genetisch nachweisbar von mehreren Formen gleichzeitig betroffen.

Ein Leitsymptom der EDS ist die angeborene und nicht antrainierte generalisierte Hypermobilität, d. h. die Überbeweglichkeit des gesamten Körpers, bei der sowohl der Grad als auch die Anzahl der überstreckbaren Gelenke ein bestimmtes Maß übersteigt. Ermittelt wird die Hypermobilität mit dem Beighton-Score auf einer Skala von 0 – 9, bei dem die Überstreckbarkeit mit einem Punktesystem bewertet wird5. Im Verlauf des Buches gehe ich auf diese Methode genauer ein. Mein Beighton-Score liegt bei 7/9 und bildet für einen EDS-Betroffenen einen durchschnittlichen Wert. Um von einer generalisierten Hypermobilität sprechen zu können, muss ein Score von mindestens 5/9 erreicht werden. Unterhalb dieser Marke wird eine EDS-Diagnose eher unwahrscheinlich sein. Die meisten EDS-Betroffenen erreichen Werte, die deutlich darüber liegen.

Es sollte bedacht werden, dass der Beighton-Score lediglich eine grobe Orientierung sein kann, da weitere Gelenke, wie Schultern, Fuß- und Zehengelenke oder auch die Abschnitte der Wirbelsäule nicht einbezogen sind. Das Ausmaß der Überbeweglichkeit kann mit dem aktuellen Score daher nicht vollumfänglich dargestellt werden. Er erlaubt aber Rückschlüsse, ob eine generalisierte, eine moderate oder gar keine Hypermobilität vorliegt. Die Erarbeitung und Anpassung von Diagnosekriterien ist nachwievor ein dynamischer Prozess und wird von den Wissenschaftlern auch als Aufgabe angenommen.

Ein zweites Leitsymptom der Ehlers-Danlos-Syndrome ist die Überdehnbarkeit der Haut. Auch dieses Merkmal ist bei den Betroffenen unterschiedlich stark ausgeprägt. Neben etlichen weiteren Anhaltspunkten bildet es jedoch ein wichtiges Kriterium bei der EDS-Diagnostik.

Insgesamt ist es oft schwierig, ein Ehlers-Danlos-Syndrom zu erkennen, da die Symptome, auch wegen einer Reihe Folge- und Begleiterkrankungen, sehr komplex und vielfältig sind. Diese werden häufig fehlinterpretiert und an das mögliche Vorliegen einer seltenen Erkrankung wird meist nicht gedacht. Die Diagnose wird zunächst klinisch gestellt, d. h. anhand einer gezielten körperlichen Untersuchung, die von Ärzten mit EDS-Erfahrung durchgeführt werden sollte und mithilfe der Kranken- und Familiengeschichte gestützt wird. Um die Diagnose zu festigen, kann die elektronenmikroskopische Analyse einer Hautbiopsie hilfreich sein, bei der die Strukturen des Kollagens bei hohen Auflösungen unter dem Elektronenmikroskop untersucht werden.

Die vermeintlich sicherste Methode, ein EDS nachzuweisen, ist die molekulargenetische Analyse. Da die Ehlers-Danlos-Syndrome jedoch in vielerlei Hinsicht noch unzureichend erforscht und bislang nicht alle auslösenden Gene bekannt sind, ergeben die genetischen Analysen oft keinen Treffer. So ist der klassische Typ, auch wenn die klinische Diagnose eindeutig ist, bei nur rd. 50 % der Betroffenen mit den bekannten Genen nachweisbar6. Beim vaskulären Typ liegt die genetische Trefferquote bei über 90 %7.

Für den hypermobilen Typ ist nach den erneuerten Kriterien kein auslösendes Gen bekannt. Die Haploinsuffizienz des TNX-Gens, die bislang am ehesten für ein hypermobiles EDS stand, führt nach der aktualisierten Klassifikation nicht zur Diagnose hEDS.

Zudem wird das Ehlers-Danlos-Syndrom nach einer ebenfalls vorgenommenen Änderung in der Terminologie nunmehr im Plural als die Ehlers-Danlos-Syndrome bezeichnet, um auch im übergeordneten Begriff der Tatsache Rechnung zu tragen, dass sich die einzelnen Formen durch jeweils eigene Charakteristika auszeichnen. Das hypermobile EDS (hEDS), das klassische EDS (cEDS), das klassisch-ähnliche EDS (clEDS) oder das vaskuläre EDS (vEDS) etc. werden so zu den Ehlers-Danlos-Syndromen zusammengefasst.

2013

Der Anfang – Plötzlich war alles anders

Eigentlich war ich immer ein Mensch mit einer guten Fitness, auch wenn ich nicht ständig Sport trieb. Ich ging mit wachen Augen durchs Leben, sah viele Details in Situationen und Menschen. Nie aber habe ich bewusst auf mich selbst achten müssen. Sorglos war ich, unbefangen. Meine Gesundheit war ja automatisch da. Mein Leben erlaubte mir alles. Ich machte Sport, ging tanzen, fuhr in den Urlaub, schob Überstunden im Büro. Ich liebte, ich stritt, ich schrieb und sang. Ich spielte Instrumente oder gammelte auf dem Sofa, wenn mir so war - bis zu dem Tag, an dem sich alles änderte und es änderte sich mit einem Knall.

In den dann folgenden dreieinhalb Jahren, die es dauerte, meine vier wichtigsten Diagnosen klassisches Ehlers-Danlos-Syndrom (cEDS), atlantodentale Instabilität (ADI), posturales orthostatisches Tachykardiesyndrom (POTS) sowie eine genetisch bedingte Störung des Medikamentenstoffwechsels zu finden, sammelte ich eine Menge Einzeldiagnosen ein und lernte eine völlig neue Welt kennen: Ärzte, Rettungswagen mit Blaulicht, Kliniken, Behörden, Versicherungen ... und Krankheit.

Zurückblickend weiß ich heute, dass sich mein EDS schon in meiner Jugend zeigte, denn es war ja schon immer da. Obwohl ich bereits von Geburt an sehr beweglich war, bereits mit fünfzehn Jahren Probleme mit den Sprunggelenken bekam, seit meinem etwa zwanzigsten Lebensjahr häufige Wirbelblockaden und später immer wieder unerklärliche Gelenkentzündungen im Knie sowie in den Finger- und Zehengelenken bemerkte, erfuhr ich erst im Alter von dreiunddreißig Jahren mit Aufkommen des EDS-Verdachtes, dass nicht die anderen Menschen so schrecklich ungelenkig waren, sondern ich diejenige war, die sich über das normale Maß hinaus biegen und strecken konnte.

Ähnliches galt auch für meine Haut und mein Knorpelgewebe. So drückte mein Hausarzt eines Tages völlig fasziniert und mit einem strahlenden Ausruf: „Die ist ja wirklich ganz weich!“, auf meiner Nasenspitze herum, weil diese zwar ganz normal aussah, aber so weich war, dass sie bei Berührung eher an die Konsistenz eines Wackelpuddings erinnerte. Die Reaktionen auf die Überdehnbarkeit meiner Haut spiegelten im Gesicht der Menschen oft eine Mischung aus Erstaunen und der Frage danach wider, wie das wohl möglich sei. Dennoch war mir nie aufgefallen, dass ich mich darin von anderen Menschen unterschied und dies war nur der Anfang.

Vielleicht fand die Initialzündung für alles, was kommen sollte, schon zum Jahreswechsel statt. Kurz nach Neujahr 2013 stand ich in meinem Wohnzimmer, hörte laut lateinamerikanische Musik und freute mich, dass die Weihnachtsferien bald vorüber sein würden. Ein neues Zumba®-Semester stand vor der Tür. Meine brasilianische Trainerin wollte mich fordern und fördern, sah sie doch ein Talent in mir, das mehr versprach. Bereits als kleines Mädchen von sechs Jahren lernte ich Standardtanz und war durchaus für den Turniertanz geeignet. Turnierkleider waren jedoch teuer und unsere Finanzlage zu Hause nicht so überragend, dass das Geld dafür übrig gewesen wäre. Irgendwann zogen wir um und es verlief im Sande.

Jetzt, knapp fünfundzwanzig Jahre später, tanzte ich also wieder und war wenige Monate zuvor mit meiner Trainerin und ihrer ebenso brasilianischen Freundin auf einem riesigen Zumba®-Event, das ein Projekt für die Arbeit gegen Brustkrebs unterstützte. Alle weltweit wichtigen VIPs der Bewegung waren anwesend und gemeinsam tanzten wir fast vier Stunden ohne Unterbrechung. Die Erlöse von mehr als zweitausend Eintrittskarten flossen teilweise in das unterstützte Projekt. Es war grandios.

Nun, kurz nach Silvester, übte ich Salsa. Ich liebte Salsa und schmückte tanzend meinen Weihnachtsbaum ab, bis es einen Ruck gab. Unvermittelt blieb ich stehen und konnte meinen Kopf nicht mehr bewegen. Irgendetwas war verhakt und ich hatte höllische Schmerzen. Die Musik erschien plötzlich viel zu laut und dröhnte in meinen Ohren.

Als es mehrere Tage später noch nicht besser war, ging ich zum Arzt und konnte die Blockade schließlich mit Schmerzmitteln, Physiotherapie und Muskelrelaxantien wieder lösen. Irgendetwas aber blieb zurück. Mir wurde schnell schwindelig und die Wirbel der Halswirbelsäule knirschten und knackten seither bei bestimmten Kopfbewegungen. Das blieb bis heute so. Vielleicht war dieser Ruck schon ein Vorbote für den erst zweieinhalb Jahre später diagnostizierten Gleitwirbel.

Von einer Spondylolisthesis (Wirbelgleiten / Gleitwirbel) spricht man, wenn sich zwei benachbarte Wirbel gegeneinander so verschieben, dass sie nicht mehr gerade übereinander stehen, sondern etwas versetzt angeordnet sind. Ein Gleitwirbel kann symptomlos sein, aber auch viele Probleme bereiten. Vielleicht war das schon ein Vorgeschmack dessen, was noch vor mir lag. Wahrscheinlich aber kamen mehrere Faktoren zusammen.

Seit den blockierten Wirbeln nach Silvester waren zwei Monate vergangen. Jetzt wurde ich irgendwie krank. Plötzlich war mir oft schwindelig und schwarz vor den Augen. Mein Herz schlug so schnell, dass ich kurzatmig wurde und Schweißausbrüche bekam, sobald ich mich bewegte. Ich fühlte mich schrecklich, ein ungewöhnlicher Zustand für mich. So ungewöhnlich, dass ich mich bei einer Kollegin im Büro erkundigte, was man denn eigentlich zu einem Arzt so sagt. Ich war ja nie krank.

Am nächsten Morgen ging ich zum Ärztehaus in meiner Nähe. Wir kannten uns nicht und trafen nur zufällig aufeinander, da sich die Ärzte mit der Akutsprechstunde abwechselten. Es war der 27. Februar 2013, ein Mittwoch, und ich sagte zu diesem mir noch völlig fremden Menschen nicht viel mehr als: „Ich fühle mich irgendwie Matsch“. Es war der Tag, von dem noch niemand wusste, dass er eine Zeit einläutete, die mein Leben komplett veränderte. Die Zeit, in der ich erfuhr, dass ich ein Zebra bin.

Von Herz und Krankenhaus

Im Februar 2013 herrschte eine heftige Grippewelle und auch das Büro, in dem ich arbeitete, war gut zur Hälfte ausgestorben. Dieser fremde, aber durchaus sympathisch wirkende Arzt auf der anderen Seite des Schreibtisches schlussfolgerte, dass es mir ging wie vielen Anderen zu dieser Zeit und schrieb mich für den Rest der Woche krank. Drei Tage plus Wochenende. Das müsste reichen. Dachte er. Dachte ich. Wir sollten uns beide täuschen.

Die nächsten zwei Tage verbrachte ich irgendwo zwischen Bett und Sofa und war krank. Husten oder Schnupfen hatte ich kaum, auch kein Fieber. Ich fühlte mich, als würde ich etwas ausbrüten. Zwei Wochen zuvor hatte ich eine kleine Bronchitis gehabt, sodass ich überlegte, ob diese womöglich nicht richtig auskuriert war. Zumindest lag die Vermutung nahe.

Am Freitag testete ich meine noch immer nicht vorhandene Fitness mit einem kurzen Spaziergang zum nahegelegenen Supermarkt. Der Weg von etwa einhundert Metern ließ mich bereits nach der Hälfte völlig aus der Puste geraten. Ich fühlte mein Herz schlagen. Als ich den Supermarkt erreichte, lief ich wie Falschgeld zwischen den Regalen umher. Die kundenorientierte Musik aus den Lautsprechern klang verzerrt. Mir war schwindelig, ein lauter Tinnitus mischte sich ein. Mein Herz stolperte, raste dann, schlug wieder normal, schlug so kräftig, dass es schmerzte. Grünschwarze Wolken zogen wie wabernde Nebelschwaden vor meinen Blick. Alles erschien mir plötzlich unheimlich weit entfernt. Beinahe stürzte ich, konnte mich gerade noch fangen und fand mich mit der Nase vor einer Palette Grießbrei in Portionstüten wieder. Ich starrte auf eine perfekt in Szene gesetzte halbierte Erdbeere auf der Verpackung und versuchte, mich zu sortieren. Was um Himmels willen war das? Ich musste dringend zurück nach Hause.

Am Montag meldete ich mich weiter krank und blieb in meiner Wohnung. Am Dienstag ging ich erneut zum Arzt. Ich kam mir bescheuert vor und sagte ihm das auch so. Das müsse ich nicht, entgegnete er und ermittelte meinen Puls, der irgendwie zu schnell war. Gewöhnlich schlug das Herz in Ruhe mit einer Häufigkeit von etwa 60/min bis 80/min. Mein Herz tat dies in einer Minute jedoch mit einer Frequenz von fast 100/min. Der Arzt maß meinen Blutdruck, der nichts Ungewöhnliches ergab und horchte mich ab. Die Lungen waren frei. Atmen konnte ich trotzdem kaum und fühlte mich wie benebelt. Zur Sicherheit ließ er Blut abnehmen und schrieb mich erneut für den Rest der Woche krank. Wir waren sicher, dass dies nun ausreichen würde.

Die Woche war vorüber und ich war krank. Immer noch. Wieder ging ich zu diesem Arzt. Die Blutwerte waren da und zeigten eine kürzlich überwundene Infektion, aber ansonsten keinerlei Anhaltspunkte für ein besorgniserregendes Geschehen. Ich berichtete, dass ich einem Tanzsport nachging und einige Zeit zuvor mit einer leichten Bronchitis bei Minusgraden Fahrrad gefahren war. Zudem hatte ich seit Tagen das Gefühl, dass mein Herz immer wieder stolperte. Ich kannte diesen Effekt bei Infektionen schon seit meiner Jugend. Er horchte auf und schrieb ein EKG. Mein Herz war schnell, schlug aber während der Untersuchung gleichmäßig. Zur Auswertung bat er eine internistische Kollegin hinzu. Nur im Trägershirt bekleidet, aber dennoch schwitzend und kurzatmig saß ich auf der Behandlungsliege. Die beiden Ärzte beobachteten mich vom Schreibtisch aus, sahen mir meine Dyspnoe (Atemnot) deutlich an und berieten sich. Die internistische Kollegin fragte, ob ich vor etwas Angst hätte. Nein, hatte ich nicht. Vielleicht sei ich auch sehr aufgeregt oder angespannt, weil ich beim Arzt war? Es gebe ein sogenanntes Weißkittelsyndrom. Nein, ich war nicht aufgeregt. Ich konnte nicht erklären, warum mein Körper handelte, als wäre ich im größten Stress, obwohl ich eigentlich die Ruhe selbst war.

Sportlich aktiv wie ich war und aufgrund der plötzlichen und deutlichen Symptome des Herzkreislaufsystems nach meiner Bronchitis, kamen beide zu dem Schluss, mich mit der Frage nach einer Endo-, Peri- oder Myokarditis in eine Klinik einzuweisen. Eine Entzündung am Herzen? Mein neuer Hausarzt erklärte mir, dass man eine Herzmuskelentzündung gut behandeln könne. Wenn es eine sei, müsse man aber sofort etwas tun. Er sah die Situation zwar nicht als so bedrohlich, dass er einen Krankenwagen rufen würde, jedoch wäre es sinnvoll, wenn mich jemand aus der Praxis abholen und direkt in die Klinik fahren könnte. Während er die Einweisung ausstellte, telefonierte ich mit einem Freund.

Eine Stunde später fuhren wir bei starkem Schneetreiben durch den Abend in Richtung Krankenhaus. Der Schnee fiel so heftig, dass wir in dem entstandenen Verkehrschaos im Berufsverkehr für nur zwölf Kilometer über eine Stunde benötigten und unterwegs mehr als einmal beinahe in den Gegenverkehr rutschten.

„Sinustachykardie bis 120/min“, stand auf der Einweisung. Was war eine Sinustachykardie? Ich hatte keinen blassen Schimmer und beschloss, mir den Begriff zu merken und nachzusehen, sobald ich wieder zu Hause war. Wir erreichten das Krankenhaus direkt hinter der Hamburger Stadtgrenze.

Mir sackten fast die Beine weg, als ich aus dem Auto steigen wollte. Der Freund schimpfte, dass ich nicht gewartet hatte. Er schleppte mich mehr zum Eingang, als dass ich selbst lief. Mit roten beleuchteten Buchstaben, die durch das Schneetreiben nur diffus schimmerten, erschien das Wort Notaufnahme. Es muss etwa halb acht Uhr abends gewesen sein, als wir die Klinik betraten. Vor mir erhob sich ein großer Anmeldetresen, links davon ein Wartebereich, in dem sich etliche Menschen aufhielten. Die Mitarbeiterin der Aufnahme war freundlich und ich gab ihr die Einweisung meines Hausarztes. Zu viel mehr war ich nicht in der Lage. Der Tresen diente mir als Stütze. Ich konnte kaum sprechen und war so kurzatmig, dass mir immer wieder schwarz vor den Augen wurde, sobald ich etwas sagen wollte.

Im Aufnahmezimmer schrieb man ein EKG, der Schnee an meinen Stiefeln taute, tropfte von meinen Füßen und bildete Pfützen auf dem Boden. Nachdem ich mich wieder aufsetzen durfte, wurde ich gefragt, ob ich das Gefühl hätte, gleich von der Liege zu kippen. Ja. Ich würde auch so aussehen. Die Mitarbeiterin begleitete mich in das Zimmer nebenan, das eigentlich als Reserve für Erstuntersuchungen vorgesehen war. Nun gehörte es mir. Der Freund blieb noch einen Moment, vergewisserte sich dann, dass ich versorgt war und musste dann los. Es war in Ordnung.

Tief in der Nacht, es war etwa halb eins, wurde ich schließlich in ein Behandlungszimmer gerufen. Eine zunächst etwas ungeduldige Pflegerin kam nachsehen, warum ich so lange brauchte. Als sie mich erblickte, wurde ihre Stimme wärmer. Sie nahm mir meinen Rucksack ab und brachte mich zu dem Zimmer, das kurze Zeit später von der diensthabenden Ärztin betreten wurde. Leider war sie ähnlich gereizt, las in meinen Unterlagen und erklärte mir, dass dies kein Notfall sei, ich könne gehen. Die gewünschten Untersuchungen könne man auch alle ambulant machen. Wie meinte sie das, ich könne gehen? Es war nach Mitternacht, draußen herrschte Schneetreiben. Ich lag im Bett, fühlte mich fürchterlich schwach und sie wollte mich vor die Tür stellen? Ich sammelte mich und erklärte ihr so gut ich konnte, dass mein Hausarzt darauf bestanden hatte, ich möge noch am gleichen Abend in die Klinik fahren und mich stationär aufnehmen lassen. Es folgte ein kurzes Hin und Her. Ich blieb bei meiner Aussage. Schließlich teilte sie mir im mahnenden Ton mit, wenn sie mich nun aufnehmen würde, müsse ich sicherlich drei bis vier Tage bleiben und man dann „auch das volle Programm“ durchführen würde. Womöglich dachte sie, ich würde nun aufspringen und mich ganz plötzlich viel besser fühlen, aber ich war einverstanden. Ich wollte das volle Programm. Damit hatte sie nicht gerechnet und sah mich etwas nachdenklich an. Sie wurde etwas netter. In den folgenden zwei Jahren sollte ich noch lernen, dass dieser eher harmlosen kleinen Diskussion noch ganz andere Erlebnisse in Notaufnahmen folgen würden. Sie verabschiedete sich von mir und wünschte mir alles Gute, als der Transportdienst mit einem Stationsbett kam.

Als ich in meinem Bett die kardiologische Abteilung halb schlafend erreichte, wurde ich von zwei Krankenschwestern in Empfang genommen, hörte ein mitfühlendes „Ach Gott ...“ und wurde in mein Zimmer gefahren. Die Pflegerin half mir, erklärte mir leise, wo ich mich waschen und meine Sachen unterbringen konnte. Wenn ich Hilfe bräuchte, solle ich einfach klingeln. Dann wünschte sie eine gute Nachtruhe und ging. Ich lag in der Dunkelheit und war vollkommen erschöpft. Welch ein Tag.

In den folgenden Tagen wurde ich durchgecheckt und erhielt das angekündigte volle kardiologische Programm: Röntgen-Thorax, Lungenfunktionstest, Echokardiografie, Fahrradergometrie, Langzeit-EKG.

Das Röntgenbild vom Brustkorb ergab keine Auffälligkeiten, ebenso wenig wie der Lungenfunktionstest, bei dem ich in einer abgeschlossenen Kabine saß und bestimmte Atemkommandos ausführte. Die gemessenen Werte gaben Aufschluss über die Funktionsfähigkeit meiner Lungen. Sie arbeiteten einwandfrei.

Die Echokardiografie, ein Ultraschall vom Herzen, mit dem sich sein Zustand und auch der einsehbare Bereich der Aorta (Hauptschlagader) beurteilen ließen, wurde zunächst von einer Assistenzärztin durchgeführt und dann von einem Oberarzt wiederholt. Sie konnte die Aortenklappe nicht richtig darstellen. Auch der Oberarzt hatte etwas Mühe damit und bat mich, flacher zu atmen. Das tat ich allerdings schon.

Er fragte mich, ob ich nervös sei. Ich erinnerte mich an dieselbe Frage meines Hausarztes am Tag zuvor und gab dem Oberarzt im Krankenhaus die identische Antwort: Nein. Er fand, ich mache eigentlich auch keinen nervösen Eindruck, aber mein Herz würde auffallend schnell schlagen, vor allem, wenn man bedachte, dass ich seit vielen Stunden lag und keinerlei Anstrengung ausgesetzt war. Alles in allem fand er

•eine leichte Sklerose8 am Segel der Mitralklappe

•eine leichte Sklerose an den Taschen der Aortenklappe

•eine leichte Insuffizienz (Schwäche) der Trikuspidalklappe

Die Pulmonalklappe hatte als Einzige überhaupt keine Auffälligkeiten. Die gefundenen Erkenntnisse waren aber in einem Bereich, der keinen Anlass zur Sorge gab, sodass der Oberarzt mich nach der Untersuchung mit den Worten verabschiedete: „Sie haben ein sehr schönes Herz.“

Da weder Lungenfunktionstest noch Herz-Echo gravierende Probleme zum Vorschein brachten, konnte eine Fahrradergometrie durchgeführt werden, bei der die Herztätigkeit unter körperlicher Belastung geprüft wird. Ich absolvierte die Untersuchung ohne größere Probleme. Als ich aber kurze Zeit später wieder in meinem Zimmer war, breitete sich ein Druck hinter meinem Brustbein aus, der mich unvermittelt husten ließ. Der Effekt war so stark, dass ich das Gefühl hatte, mir würden gleich die Beine wegsacken. Ich überlegte, ob ich jemanden informieren sollte. Damals tat ich es nicht, weil es schnell wieder nachließ. Heute würde ich anders handeln.

Am Abend bekam ich Besuch von einer Freundin. Noch immer fühlte ich mich sehr müde und war schnell außer Atem. Trotzdem gingen wir aus dem Zimmer und unterhielten uns mangels Sitzgelegenheit im Stehen außerhalb der Station. Der Oberarzt vom Vormittag ging in einiger Entfernung vorbei. Ich nickte ihm zu, sagte hallo. Er hob die Hand, deutete ein Winken an und rief: „Das beste Herz des Tages!“

Nur einen Moment, nachdem er im Treppenhaus verschwunden war, wurde mir erneut schwindelig und ich hatte das Gefühl, gleich umzufallen. Stehen und dabei sprechen war aus irgendeinem Grund neuerdings eine Angelegenheit, die so endete. Meine Freundin brachte mich in mein Zimmer zurück, blieb noch eine Weile und verabschiedete sich dann. Man hatte mir in der Zwischenzeit das Abendessen gebracht und sie musste an das andere Ende Hamburgs nach Hause.

Am dritten Tag stellte man erneut eine Tachykardie (beschleunigte Herzfrequenz) fest. Mein Herz schlug seit Tagen bereits im Sitzen zwischen 90/min und 120/min, im Stehen wurde mir schwarz vor den Augen und ich hatte Schweißausbrüche. Der Stationsarzt empfahl Ausdauersport. Das verstand ich nicht. Auf meinem Heimtrainerfahrrad legte ich im Durchschnitt täglich 20 km zurück, fuhr auch bei Wind und Wetter mit dem Fahrrad zu meinem Tanzsport und trainierte auch regelmäßig beim Tanzen selbst. Ich kannte meine Herzfrequenz mit Ruhewerten von tiefenentspannten 58/min bis 62/min. Ich bewegte mich zu wenig? Was taten dann Andere?

Nichtsdestotrotz klebte man mir wenig später Elektroden für ein Langzeit-EKG an den Körper, das bis zum nächsten Tag die Herztätigkeit aufzeichnete. Auch im 24 h-EKG zeigten sich die wiederholten Tachykardien mit einer gemessenen maximalen Herzfrequenz von 141/min. Abgesehen von der Fahrradergometrie zu Beginn, bestand die anstrengendste Tätigkeit während meines Klinikaufenthaltes darin, in der Cafeteria eine Latte Macchiato zu trinken und die Tageszeitung zu lesen. Dennoch schlug mein Herz phasenweise doppelt so schnell, als es für einen gut trainierten jungen Menschen bei derartigen Aktivitäten normal gewesen wäre. Ansonsten ergaben sich, außer einigen nicht relevanten Extrasystolen (zusätzlichen Herzschlägen), keine Auffälligkeiten aus dem Langzeit-EKG.

Am Abend leitete man zur Senkung der Herzfrequenz die Gabe eines Betablockers ein, der, wie sich im Verlauf der folgenden Monate herausstellte, keine gute Idee war und erst Jahre später erwiesenermaßen als kontraindiziert9 betrachtet werden musste. Zu dieser Zeit wusste das noch niemand, sodass ich am fünften Tag nach Hause entlassen wurde. Die Diagnose lautete auf „akute Bronchitis mit Palpitationen und Dyspnoe“. Die Tachykardie wurde „im Rahmen eines prolongierten [verschleppten] Vireninfektes“ gesehen.

Diese Schlussfolgerung war gar nicht so falsch, wenn ich heute mein erst sehr viel später diagnostiziertes posturales Tachykardiesyndrom (POTS) betrachte, für dessen Ursache zum einen das Ehlers-Danlos-Syndrom, zum anderen aber auch meine vorausgegangene Vireninfektion mit anschließend urplötzlichem Auftreten der POTS- Symptome infrage kam.

An einem Freitag kam ich wieder nach Hause und ich ahnte schon, dass das vor mir liegende Wochenende nicht ausreichen würde, um mich wieder arbeitsfähig zu machen. Zwar schlug mein Herz durch den Betablocker nun deutlich langsamer, allerdings walzte dieser mich völlig nieder. Ich fühlte mich sehr verlangsamt, stand irgendwie neben mir. Dass mein Körper dieses Medikament nicht richtig verstoffwechseln konnte, sollten wir erst drei Jahre später erfahren.

Am folgenden Montag ging ich wieder zu meinem Hausarzt und gab den Entlassungsbericht ab. Er besprach mit mir die Befunde und halbierte die Tagesdosis des Betablockers. Allerdings tat er sich mit einer weiteren Krankschreibung schwer. Zwar glaubte er mir und sah auch, dass es mir nicht gut ging, jedoch sprach der Brief eine andere Sprache. Schließlich verlängerte er die Arbeitsunfähigkeit dennoch auf die gesamte Woche, weil mir der Betablocker deutlich zu schaffen machte. Er mahnte jedoch, dass es danach wieder Zeit würde, loszugehen. Immerhin war ich dann genau einen Monat durchgehend krankgeschrieben. Er hatte recht, aber ich spürte, dass die Zeit nicht ausreichen würde. Eine Woche später ging ich wieder zur Arbeit. Krank.

War es das Gehirn? Erste MRT des Kopfes

Drei Monate waren seit dem Krankenhausaufenthalt im März vergangen. In der Zwischenzeit hatte mich mein Hausarzt auch zum Augenarzt geschickt. Meine Augen brannten, ich sah Lichtblitze, schwarze „Fusseln“ und manchmal grüngelbe Ringe. Der Augenarzt bescheinigte mir trockene Augen, die womöglich durch den Betablocker ausgelöst waren, da dieser durch seinen Einfluss auf das autonome Nervensystem eine veränderte Produktion von Tränenflüssigkeit hervorrufen konnte. Zwei Jahre später, als ich längst keine Betablocker mehr einnahm, beurteilte eine Augenärztin das Ganze als Benetzungsstörung aufgrund zu weniger Lipide (Fette) in der Tränenflüssigkeit, sodass der Tränenfilm ständig unterbrach, die Netzhaut an den „Risskanten“ trockenlag und so gereizt wurde.

Manchmal spürte ich einen starken Schmerz hinter den Augen, der sich anfühlte, als würden die Augäpfel jeden Moment nach vorne herausgedrückt werden. Kopf- und Nackenschmerzen hatte ich, schwindelig war mir oft und ein eigenartiger Nebel verschleierte mein Gehirn. Den Betablocker hatten wir mittlerweile noch einmal um die Hälfte reduziert. Ein stechender Schmerz schoss mir immer wieder von der linken Schläfe durch das Auge direkt zur Nasenwurzel, arbeitete sich am Wangenknochen vor und zog bis in die Zähne des Oberkiefers. Diese Momente waren fast unerträglich. Die Nasenschleimhäute fühlten sich dann unvermittelt wie verstopft an und machten das Atmen durch diese Seite unmöglich.

Einmal mehr saß ich bei meinem Hausarzt und wusste nicht mehr weiter. Es ging mir schlechter. Er betonte, dass er mir glaubte, mich ernst nahm und ganz bei mir war. Das war wichtig, sehr wichtig. Ohne zu konkret zu werden, erklärte er mir, dass ihm eine MRT des Kopfes sinnvoll erschien. Ihm mache das ein wenig Gedanken und er wolle sicher gehen, dass da nicht irgendetwas war. Dachte er an einen Tumor oder ein Gerinnsel? Vielleicht tat er das. Ich dachte gar nichts. Es machte mir auch keine Angst. Mein Gefühl sagte mir, dass es etwas anderes war, das mich nun seit vier Monaten völlig aus der Bahn warf und keinerlei Besserung in Sicht war. Im Gegenteil. Inzwischen tat mir alles weh. Jedes Gelenk. Ich konnte kaum sitzen, nicht lange stehen, die Arme nicht anwinkeln, die Knie nicht strecken, kaum Treppen steigen. Die Finger und Zehen schwollen an, wurden heiß und schwollen wieder ab. Nach jedem Tanztraining wurde alles noch viel schlimmer. Ich hatte einen mörderischen Tinnitus, der mal rauschte, mal pulsierte und mal aus einem Piepton in verschiedenen Tonhöhen bestand. Mein Herz stolperte seit einiger Zeit häufig und manchmal färbten sich meine Hände und Arme blau. Ständig hatte ich irgendwo unterblutete Stellen am Körper. Blaue Flecken auf den Füßen, an den Beinen und Armen.Petechien(Punktblutungen) an den Gelenkinnenseiten und an den Schienbeinen. VereinzeltHyposphagmata(Einblutungen im Augenweiß) und manchmal Nasenbluten, einfach so.

Hinzu kam, dass ich nach körperlicher Anstrengung eine ausgeprägte Schwäche bemerkte, wobei Anstrengungmittlerweile etwas war, was ich nur wenige Monate zuvor noch nicht einmal wahrgenommen hätte. Zu Beginn dieser Zustände konnte ich Gegenstände nicht mehr greifen und blieb an Türrahmen hängen, weil ich die räumlichen Verhältnisse falsch einschätzte und die Muskelkraft nachließ. Dann überkam mich eine körperweite Muskelschwäche, die mich völlig handlungsunfähig machte, meine Zunge schwer werden ließ und meine Atmung verflachte. Das ging manchmal eine halbe Stunde so, manchmal eine ganze.

Am Tag des MRT-Termins, Mitte Juni, herrschten fast dreißig Grad. Mein Kopf dröhnte, meine Gelenke schmerzten und ich stand völlig neben mir. Die Untersuchung ergab jedoch nichts. Der Arzt freute sich, mir mitteilen zu können, dass er keinerlei Auffälligkeiten in meinem Kopf entdeckt hätte. Ich nahm ihn wahr wie durch eine Nebelwand. Ich war nicht niedergeschlagen oder bedrückt, aber es ging mir schlecht. Ich war krank. Er musste es mir angesehen haben, denn sein Blick veränderte sich schlagartig zu einem mitfühlenden Gesichtsausdruck und er ergänzte seine Worte damit, dass es ihm leid tat, wenn er nicht helfen konnte. Er konnte ja nichts dafür.

Der Meteorit

Ich brachte den Befund zu meinem Hausarzt. Wieder gab es also keine Erkenntnisse, die uns irgendwie weitergebracht hätten. Es war zum Verzweifeln. Ich war krank, aber warum? Diese Frage stand auch ihm im folgenden Termin deutlich ins Gesicht geschrieben. Er war schlichtweg ratlos, wusste nicht weiter und sagte mir das auch. Das mochte ich an ihm. Ich war bemüht, viel zu schildern und zu beschreiben, in der Hoffnung, dass ich irgendwann durch einen winzigen Zufall genau den Hinweis gab, den er brauchte, um auf die richtige Spur zu kommen.

Ich sah meinen Hausarzt schmunzelnd an und vermutete, eventuell bestünde auch die Möglichkeit, dass ich von Außerirdischen entführt und mit einem extraterrestrischen Virus infiziert worden war, das auf der Erde niemand kannte. Ich freute mich über meine Idee und als wenn es die natürlichste Sache der Welt wäre, schaute er völlig unbeeindruckt weiter auf seine PC-Bildschirme und antwortete wie selbstverständlich:„Ja, das könnte schon sein. Vielleicht ist Ihnen aber auch nur ein Meteorit auf den Kopf gefallen.“

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf / Institut für Psychosomatische Medizin No. 1

So langsam wurde mir die ganze Sache unheimlich. Immer mehr Menschen waren davon überzeugt, dass die Ursache für meine massiven körperlichen Beschwerden in der Psyche zu finden sein müsse und ich an einer psychosomatischen Erkrankung litt.

Soma ist ein Begriff aus dem Griechischen und steht für den Körper, den Leib. Als psychosomatisch werden Erkrankungen bezeichnet, wenn tatsächlich existierende körperliche Symptome nicht durch eine somatische Erkrankung erklärt werden können, sondern von der Psyche ausgelöst oder so sehr verstärkt werden, dass sie nicht im Verhältnis zu den gefundenen körperlichen Voraussetzungen stehen.

Ich spürte, dass meine Psyche nicht der Grund für meinen schlechten Gesundheitszustand war und es ärgerte mich fürchterlich, wenn Menschen zu wissen glaubten wie es mir ging, was ich fühlte, was ich verbarg oder auch nicht. Oft war man der Ansicht, was ich sagte, könne nicht sein und es müsse mehr oder gar etwas anderes hinter meinen Worten stecken. Wenn ich jedoch fragte, warum man das glaubte, dann blieb man mir die Antwort meist schuldig und wies mich darauf hin, dass ich das nicht beurteilen könne. Ich sei schließlich nicht ausgebildet. Ich konnte mich also nicht beurteilen? Ich kannte mich gut. Es war nicht so, dass ich mir nur zwanghaft einredete, keinesfalls psychosomatisch erkrankt zu sein, sondern ich war es auch tatsächlich nicht. Dass ich recht hatte, fühlte ich in jeder meiner Fasern.

Ich war auch nicht depressiv und unglücklich oder ängstlich, obwohl viele Menschen überzeugt waren, ich müsse es sein. Ich musste depressiv sein? Ich war weder psychosomatisch erkrankt noch war ich depressiv. Erst Jahre später aber, als die großen Diagnosen gesichert waren, konnte ich das auch erhobenen Hauptes sagen, ohne sofort unter einen noch größeren Verdacht zu geraten, auf jeden Fall ein psychisches Problem zu haben und lediglich uneinsichtig zu sein.

Trotzdem wusste ich, dass es wichtig war, mich diesem Thema nicht zu verschließen. Mein Hausarzt kannte mich zu dieser Zeit gerade erst ein halbes Jahr. Zwar tat auch er sich schwer, mir eine psychosomatische Erkrankung zuzuordnen, einen körperlichen Beweis für meine Probleme hatte er aber nicht. Er war einer der wenigen Menschen, die mir nicht bereits endgültig den Stempel auf die Stirn gedrückt hatten. Er drängte mich nicht dazu, dennoch war ihm deutlich anzumerken, dass er meine Entscheidung, einen Psychologen aufzusuchen, sehr begrüßte und gab mir sofort zu verstehen, dass er mich auch dabei unterstützen würde. Also recherchierte ich kurz, nahm schließlich Kontakt zu einer Ambulanz am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf auf, die sich mit Psychosomatischer Medizin beschäftigte und vereinbarte einen Termin für ein Erstgespräch.

Etwa zehn Tage später fand ich mich mit einem umfangreichen Fragebogen auf dem Schoß im Wartebereich der Ambulanz wieder und war eine ganze Weile damit beschäftigt, die Kreuze und Antworten zu allen möglichen Fragen zu Papier zu bringen. Nach einiger Zeit erschien eine junge Psychologin im Raum und begrüßte mich. Ich stand auf, gab ihr die Hand, schaute sie an und erwiderte die Begrüßung. Sie lächelte freundlich, sah mir aufmerksam in die Augen und nickte mit einem bestätigenden Zusammenpressen der Lippen, das zu sagen schien: „Erster Test bestanden.“ Ab diesem Moment fühlte ich mich wohl und ich wusste, ich hatte nichts zu befürchten.

Wir gingen in ihr Zimmer und nahmen in einer kleinen Sitzecke Platz. Die Psychologin bat mich, zu berichten, worin meine Probleme bestanden und was mich zu ihr führte. Während ich erzählte, wie es mir ging und was in den letzten sechs Monaten ohne wegweisende Erkenntnisse veranlasst worden war, sah sie sich meinen ausgefüllten Fragebogen an, stellte mir ergänzende Fragen, ging auf einige Dinge genauer ein und vermittelte mir das Gefühl, dass sie mir aufmerksam zuhörte und mich ernst nahm.

Am Ende unseres Gespräches resümierte sie, dass es Punkte in meinem Leben gab, die durchaus das Zeug dazu hatten, bei einem Menschen psychische Probleme zu verursachen und bereits einer davon ausreichen würde, um eine deutliche Symptomatik auszulösen. Mich schätzte sie so ein, dass man eine psychosomatische Erkrankung daher natürlich nicht ausschließen konnte. Dennoch gab sie zu verstehen, wenn meine Psyche die Ursache für diese massiven und umfangreichen körperlichen Symptome wäre, müsste ich mich im Verhalten und Denken völlig anders darstellen als es der Fall war, sodass sich dies nach ihrer Auffassung widersprach und weitere Diagnostik auf der körperlichen Ebene durch die Ärzte sinnvoll sei.

Mit dieser Einschätzung konnte ich wunderbar leben. Die Psychologin erklärte mir, dass sie meine Unterlagen und den Fragebogen durcharbeiten und einen Bericht für meinen Hausarzt vorbereiten würde, um den Fall abschließend mit dem Oberarzt zu besprechen. Danach würde sie sich erneut mit mir in Verbindung setzen, um etwaige Veränderungen der Voraussetzungen in meinem Leben zu besprechen, die dann noch mit beurteilt werden könnten.

Obwohl ich mich bei ihr gut aufgehoben gefühlt hatte, spürte ich doch eine nicht näher zu bezeichnende Erleichterung, als ich die Ambulanz verließ.

Psychotherapeuten – Von der Wahrheit der Vorurteile

In den folgenden drei Monaten erhob mein Hausarzt neue Laborbefunde, konsultierte Kollegen, sprach über mich und meinen Fall, versicherte jedem, ich sei glaubhaft, differenziert und mache eigentlich nicht den Eindruck, als sei ich psychosomatisch erkrankt und dennoch fehlte ihm der alles entscheidende Hinweis für des Rätsels Lösung.

Es wurde erneut und umfangreicher nach Rheumafaktoren im Blut gefahndet. Es wurde versucht, mit Antikörpertests diverse aktive Erreger oder abgelaufene Infektionen zu finden, auf die sich meine Symptome zurückführen ließen.

Manchmal reagiert der Körper nach einer Infektion nicht richtig und autoimmune