Winterzauber im Central Park - Mandy Baggot - E-Book
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Winterzauber im Central Park E-Book

Mandy Baggot

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Beschreibung

Weihnachten steht vor der Tür, und Lara beschließt, ihr kleines englisches Heimatdorf Appleshaw zu verlassen und mit ihrer besten Freundin Susie zu verreisen. Und zwar nach New York! Nachdem ihr Freund Dan sie verlassen hat, soll der Zauber der Stadt, die niemals schläft, Laras gebrochenes Herz heilen. Als die beiden dort auf den unwiderstehlichen Schauspieler Seth Hunt treffen, scheint das außerdem die Gelegenheit, Dan eifersüchtig zu machen. Doch je mehr Zeit Lara mit Seth in der zu Weihnachten märchenhaft glitzernden Stadt verbringt, desto mehr wünscht sich ihr Herz ein Happy End mit ihm …

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Seitenzahl: 585

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Buch

Weihnachten steht kurz vor der Tür, und zum ersten Mal beschließt Lara, ihr kleines englisches Heimatdorf Appleshaw zu verlassen und zu verreisen. Und zwar nicht irgendwohin – nach New York! Nachdem ihr Freund Dan sie verlassen hat, soll die Reise mit ihrer besten Freundin Susie in die Stadt, die niemals schläft, Laras gebrochenes Herz heilen. Die von Lichterketten erleuchteten Avenues, das Empire State Building, der schneebedeckte Central Park – wer kann da noch traurig sein? Und als die beiden auf den unwiderstehlichen Schauspieler Seth Hunt treffen, der in New York seine leibliche Mutter sucht, scheint das außerdem die perfekte Gelegenheit, um Dan eifersüchtig zu machen. Doch je mehr Zeit Lara mit Seth in der zu Weihnachten märchenhaft glitzernden Stadt verbringt, umso mehr wünscht sich ihr Herz ein ganz anderes Happy End …

Weitere Informationen zu Mandy Baggotsowie zu lieferbaren Titeln der Autorin finden Sie am Ende des Buches.

Mandy Baggot

Winterzauber im Central Park

Roman

Aus dem Englischenvon Ulrike Laszlo

Die englische Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel »One New York Christmas« bei Ebury Press, an imprint of Ebury Publishing, London.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Deutsche Erstveröffentlichung November 2019

Copyright © der Originalausgabe by Mandy Baggot

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2019

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: FinePic®, München

Redaktion: Babette Leckebusch

MR · Herstellung: kw

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-25050-8V001

www.goldmann-verlag.de

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Für Rachel, die mich mit ihren ermutigenden Worten aufrechterhalten hat, als ich bei einer Hitzewelle in Großbritannien über Weihnachten geschrieben habe. Ganz toll, Baby!

KAPITEL EINS

Marktplatz in Appleshaw, Wiltshire, England

Es regnete heftig, und die Temperatur lag knapp über dem Gefrierpunkt. Die Scheibenwischer von Lara Weeks’ Sattelschlepper schafften es kaum, gegen das typisch britische Winterwetter anzukämpfen. Eine Meile. Sie mussten nur noch eine Meile zurücklegen, bevor sie den Marktplatz von Appleshaw erreichen würden, ihres Heimatdorfs, in dem jedes zweite Haus mit Stroh gedeckt war. Dann konnte das Fest beginnen.

Lara schaltete die Windschutzscheibenheizung höher, drehte die Musik lauter – Taylor Swift sang über Bluetooth ihre Version von »Last Christmas« – und konzentrierte sich auf die Straße, während ihr Atem im Fahrerhaus Wölkchen in der eisigen Luft bildete. Sie waren mit beiden LKWs der Weeks unterwegs: Einen fuhr sie, und den anderen lenkte Aldo, ihr Beinahe-Bruder. Er war vor ihr und beförderte einen riesigen Nadelbaum, geschmückt mit Girlanden und glitzernden goldfarbenen, roten, grünen und ein wenig ungewöhnlichen violetten Lämpchen, den Mrs Fitch zu einem günstigen Preis im Gartencenter gekauft hatte. Unter dem Baum saßen alle Darsteller des Krippenspiels: Maria, Joseph, zwei Schafe – die mit jeder Minute feuchter wurden –, Milo, die Hausziege des praktischen Arztes im Ort, ein Schäfer und die Heiligen Drei Könige. Die Weisen aus dem Morgenland waren Mrs Fitchs Enkel – dreizehnjährige Drillinge, die in ihren Kostümen aus Goldlamé keinen sehr glücklichen Eindruck machten.

Das war Aldos großer Abend. Der Achtzehnjährige hatte fast sein ganzes Leben darauf gewartet, an der jährlichen Parade am ersten Dezember einen LKW von Weeks zu fahren, und jetzt war es endlich so weit. Ein paar Monate zuvor hatte er seinen LKW-Führerschein bestanden, und Lara war diejenige gewesen, die ihm alles beigebracht hatte. Außer vielleicht, was zu tun war, wenn man das Jesuskind in der Krippe transportierte, und es zu hageln begann … Warum schneite es nicht stattdessen? So, wie es sich im Dezember gehörte? Ein leichter Zuckerguss auf dem malerischen Appleshaw würde den Ort eher wie einen festlichen Weihnachtskuchen aussehen lassen als wie eine einfache Pralinenschachtel.

»Fahr langsam, Aldo. Runter vom Gas. Nur keine Eile«, sagte Lara zu sich selbst und drehte Taylor Swift wieder leiser. Sie warf einen Blick auf das Funkgerät am Armaturenbrett. Niemand in ihrem Bekanntenkreis benutzte noch CD-Funk – außer dem Fuhrunternehmen ihres Vaters Gerry. Ihr Dad hatte zwar nach einer wirtschaftlich guten Phase zwei brandneue LKWs gekauft – Lara hatte ihren Truck Tina getauft –, aber darauf bestanden, die alten Funkgeräte zu behalten. »Das ist Tradition«, hatte er erklärt, also befanden sich in den Wagen immer noch Geräte, die aussahen, als gehörten sie in ein Museum, neben USB-Anschlüssen und eingebauten Navigationssystemen. Lara nahm das Walkie-Talkie aus der Station und hielt es sich an den Mund.

»Aldo, hörst du mich? Over.«

Sie legte das Handfunkgerät auf ihren Schoß, um das Lenkrad wieder mit beiden Händen greifen zu können. Die Sicht wurde immer schlechter. Sie konnte sich an keine Parade erinnern, bei der das Wetter so grauenhaft gewesen war. Vielleicht waren gar keine Zuschauer auf der Straße …

»Lara? Bist du das?«

Lara schüttelte den Kopf, als sie Aldos überraschte Stimme hörte. Außer dem Fahren eines Trucks hatte sie ihm auch beigebracht, wie man über CB funkte. Aldo hatte leider ein Problem damit, sich manche Dinge zu merken, außer wenn es um LKWs ging – sie waren seine große Leidenschaft. Ebenso wie Football und Marvel-Comics. Und seit einiger Zeit auch Kampfsport. Falls diese Besessenheit anhalten sollte, würde sie ihm dazu raten müssen, seine immer weiter wachsende Bruce-Lee-Sammlung einzuschränken und sich vielleicht nur auf Kung-Fu-Filme wie Karate Kid zu konzentrieren …

»Ja, ich bin’s, Aldo. Bleib bei deinem Tempo, over.«

Sie hörte ein knisterndes Geräusch, als würde jemand ein Stanniolpapier zerknüllen, und warf einen Blick auf ihr Mobiltelefon, aus dessen Lautsprecher die Musik schallte. Sie könnte ihn anrufen, aber wenn er dann nach seinem Telefon griff, anstatt die Freisprechfunktion einzuschalten?

»Was war gleich noch das Tempo-over?«, ertönte Aldos Antwort. »Daran kann ich mich aus der Prüfung nicht mehr erinnern, Lara.«

Sie atmete tief durch. Wahrscheinlich machte sie sich zu viele Gedanken. Aldo würde es schon schaffen. Sie hatten nur noch eine knappe Meile vor sich, fuhren mit einer Geschwindigkeit von 25 Stundenkilometern, und sie befand sich dicht hinter ihm. Was konnte da schon schiefgehen?

Plötzlich leuchtete Laras Telefon auf, und ein Seitenblick auf das Display zeigte ihr ein Foto von ihrem Freund Dan. Sie hatte es im Sommer geschossen, nachdem er einen Tequila getrunken und anschließend in eine große Scheibe Zitrone gebissen und entsprechend das Gesicht verzogen hatte. Lächelnd drückte sie auf den Knopf am Lenkrad, um das Gespräch sicher annehmen zu können.

»Sind schon viele Leute da, oder haben sich alle vor dem Hagel ins Pub geflüchtet?«

»Was?« Dans Stimme hörte sich so an, als käme sie aus einem Auto. Oder die Verkehrsabsperrung für die Parade durch die Ortsmitte von Appleshaw hatte nicht geklappt.

»Ich bin nur noch eine halbe Meile vom Marktplatz entfernt. Aldo und ich werden den Umzug durch den Ort anführen. Hast du eine gute Stelle gefunden? Ist jemand bei dir? Mrs Fitch hat heute wahrscheinlich gute Chancen, diese Golf-Regenschirme zu verkaufen.«

»Findet der Umzug heute Abend statt?«

Lara lachte. Er nahm sie gern auf den Arm, wenn es um die Eigenheiten des Dorfs ging. »Sehr witzig. Als ob er nicht immer am ersten Dezember stattfinden würde.«

Es kam keine Antwort. Sie hörte nur Verkehrslärm. Von einer Autobahn?

»Dan? Wo bist du?«, fragte Lara. »Du weißt doch, dass heute Abend auch die Weihnachtsparty mit meinen Kollegen stattfindet, oder? Es gibt Melone, Truthahn und Schokorolle.«

Er sagte immer noch nichts. Wenn sie nicht das unaufhörliche Rauschen einer Autobahn gehört hätte, hätte sie geglaubt, dass die Verbindung abgebrochen war. »Dan, hörst du mich?«

»Hör zu, Lara, ich werde es heute Abend nicht schaffen.«

Sie biss sich auf die Unterlippe. Das war nun bereits das dritte Mal, dass Dan zu einem für sie wichtigen Anlass nicht kommen konnte. Vor dem Fest auf dem Autohof hatte er angeboten, beim Grillen zu helfen, war aber dann nicht erschienen. Und auch als sie Aldos achtzehnten Geburtstag im Vereinsheim gefeiert hatten, war er nicht gekommen. Sie hatten an diesem Abend dort eine Disco und einen tollen Darts-Wettbewerb veranstaltet, und Aldo hatte Cocktails aus einem Eimer geschlürft, den er später noch einmal gebraucht hatte, als ihm schlecht geworden war. Laras beste Freundin Susie war Beziehungsberaterin und hatte Lara gesagt, wie sie mit solchen Situationen umgehen sollte. Bleib ganz cool. Niemand mag es, zu sehr eingeengt zu werden.

»Oh. Tja, das ist sehr schade, aber … kein Problem.« Sie schluckte. Das fühlte sich nicht richtig an. Sie war wütend auf ihn. Zornig sogar. Und es fiel ihr nicht leicht, diese Frustration zu unterdrücken. Gefühle zu verbergen war nicht ihre Stärke … Weil sie sie oft nicht im Zaum halten konnte, hätte sie im letzten Jahr beinahe Punkte im Verkehrsregister kassiert. Ein PKW war vor ihrem Lastwagen eingeschert, und sie hatte gehupt und ein paar Kraftausdrücke ausgestoßen. An der nächsten Ampel hatte sie Tina mit quietschenden Reifen abgebremst und war aus dem Wagen gesprungen, um mit dem Fahrer ein Wörtchen zu reden. Leider hatte es sich um einen Polizisten in Zivil gehandelt … »Du hast aber meine SMS wegen Weihnachten bekommen, oder?«

Susie hatte ihr geraten, jeder Absage mit etwas Positivem zu begegnen. Pläne zu machen. Ihn und sich selbst an all die schönen Dinge zu erinnern, die ihnen noch bevorstanden. Es ging darum, alles lebendig zu erhalten und sich nicht selbstzufrieden zurückzulehnen. Sie waren bereits seit zwei Jahren zusammen; natürlich schwebten sie nicht mehr pausenlos im siebten Himmel, sondern mussten sich um die alltäglichen Dinge kümmern. Aber das war in Ordnung – ganz normal. Und Dan war ihr Fenster zur Welt, da er Whirlpools in ganz Europa und darüber hinaus verkaufte und viel herumkam. Wenn er von einer seiner Reisen zurückkam, fragte sie ihn aus, und er erzählte ihr von den kleinen Straßencafés in Paris, den Kanälen in Amsterdam und dem geschäftigen Treiben in Manhattan, New York. Auch wenn sie die Geborgenheit und den idyllischen Charme von Appleshaw liebte, hörte sie sich mit Begeisterung die Geschichten über das Leben an, wie es sich in anderen Teilen der Welt abspielte.

»Lara … ich habe gedacht, du wärst zu Hause«, erwiderte Dan.

»Nein. Heute ist der erste Dezember, also fahre ich meinen Truck, wie ich es schon seit meinem achtzehnten Lebensjahr an diesem Tag getan habe.« Vor sechs Jahren hatte sie zum ersten Mal den Festzug angeführt und hätte sich mit ihrem LKW auf dem Glatteis beinahe quer gestellt. »Wie auch immer – Aldo möchte am Weihnachtsabend chinesisch essen und sich einen Film anschauen. Am ersten Weihnachtsfeiertag sind wir bei Mrs Fitch zum Mittagessen eingeladen, und am zweiten Weihnachtsfeiertag könnten wir vielleicht …«

»Lara, es tut mir leid … ich kann das nicht mehr. Ich …«

»Dan … ich befürchte, die Verbindung bricht gleich ab«, rief Lara. Sie änderte ihre Sitzposition und lauschte angespannt, ohne dabei Aldos LKW aus den Augen zu lassen.

»Ja«, erwiderte Dan seufzend. »Das könnte schon sein.«

»Dan … ich kann dich kaum verstehen.«

»Lara, ich weiß noch nicht genau, wie Weihnachten ablaufen wird. Ich glaube … ich glaube, ich brauche ein bisschen Abstand.«

Sie trat so hart auf die Bremse, dass sich das zischende Geräusch anhörte, als würden hundert wütende Katzen miteinander kämpfen. Ihre Ladung verschob sich hörbar, und sofort tat ihr diese Vollbremsung leid. Auf Tinas Ladefläche befand sich die zweite Pfadfindertruppe von Appleshaw, und zu ihrer Darstellung von Weihnachten im Wandel der Zeiten gehörten diverse Szenen von John Lewis’ Weihnachtskampagnen – mit Jungen und Mädchen in Pinguinkostümen, Schneemännern, großen Vollmonden und einigen als verhutzelte alte Männer verkleideten Jungen.

»Ich … ich glaube, ich habe dich nicht richtig verstanden«, stammelte Lara. Der Hagel hämmerte nun gegen die Windschutzscheibe. Sie blieb unbeweglich sitzen und sah zu, wie Aldos Rücklichter sich langsam von ihr entfernten.

»Lara … Ich glaube, wir brauchen eine Pause.«

Fieberhaft überlegte sie, wie Susie das deuten würde. Was war die beste Antwort darauf? Was meinte er überhaupt damit? Denk nach! Los! Lass dir etwas Positives einfallen! Ein Vorhaben! Schnell!

»Wir sollten wegfahren«, stieß Lara hervor. »Wir waren schon nicht mehr weg, seit … seit unserem Campingausflug.«

»Lara …«

»Wir könnten noch einmal campen gehen. Es hat richtig Spaß gemacht, oder? Wir haben Marshmallows am Lagerfeuer geröstet, schrecklichen Cider getrunken und die Kaninchen mit den Pommes frites von dieser Bude gefüttert …«

»Es ist Dezember«, entgegnete Dan.

»Ich weiß, aber wir könnten mit Tina fahren.« Hoffnung keimte in ihr auf. Ihr Truck war mit allem modernen Komfort ausgestattet und verfügte natürlich auch über eine Heizung. »Ich bin sicher, dass Dad nichts dagegen hätte. Nur für ein paar Tage. Das wird sicher gemütlich. Wir haben hier ein Bett, und wir könnten die Kühlbox mit Bier auffüllen, uns ein Konzert von einer guten Band anhören und danach …«

»Ich muss für eine Weile weg von hier«, erklärte Dan. Es folgte ein tiefes Seufzen. »Und … ich glaube, wir brauchen eine Auszeit.«

Eine Auszeit. Das klang so, als würde man ein unartiges Kind bestrafen. Lara versuchte verzweifelt an eine andere Bedeutung zu denken, aber es hörte sich tatsächlich so an, als würde Dan mit ihr Schluss machen wollen.

»Ich fahre an Weihnachten nach Schottland«, fügte er rasch hinzu.

»Oh.« Was sollte sie darauf sagen? Das fühlte sich alles völlig falsch an.

»Ich kenne jemanden, der dort ein Ferienhaus gebucht hat, und …«

»Wen meinst du?«, fragte Lara. »Derek?«

»Nein.«

»Smooth Pete?«

»Nein.«

»Wen dann?«

Das folgende Räuspern hörte sich eindeutig schuldbewusst an. »Du kennst doch Chloe … vom Golfclub.«

Chloe vom Golfclub! Busen-Chloe. Ihr Freund hatte vor, Weihnachten in einem Ferienhaus in Schottland mit Busen-Chloe zu verbringen! Das konnte nicht wahr sein. Lara hielt den Atem an und schloss die Augen, bis sie von der Plattform ihres Anhängers fragende Stimmen hörte. Die Pfadfinder. Der Adventsumzug. Ihr Beinahe-Bruder Aldo. Sie hatte einen wichtigen Job zu erledigen. Rasch legte sie wieder den ersten Gang ein und trat auf das Gaspedal.

»Es sind auch noch ein paar andere dabei. Sam und Fiona. Darren und Amanda …«

»Aber ich nicht«, erwiderte Lara. »Mich hast du nicht eingeladen.«

Warum hatte er das nicht getan? Schottland an Weihnachten klang romantisch. Sicher würde es dort schneien. Im Kamin würde Feuer brennen, es würde Single Malt Whisky geben, karierte Wolldecken und Kilts. Dan in einem Kilt. Er hatte tolle Beine … Aber diese Beine würden sich an Weihnachten mit dem Rest seines Körpers in Schottland befinden. Bei Busen-Chloe.

»Ich glaube, dass wir uns über ein paar Dinge Gedanken machen sollten …«

»Über welche Dinge? Sag mir, was du damit meinst, und dann denken wir gemeinsam darüber nach«, schlug Lara vor. »Das können wir aber auch in Appleshaw tun, richtig? Warum willst du dafür in ein anderes Land fahren?«

»Ich brauche ein bisschen mehr Raum und Zeit …«

»Warum?«, fragte Lara. »Wofür? Das verstehe ich nicht.«

»Um ein paar Dinge abzuklären.«

»Welche Dinge, um Himmels willen?«

»Ich möchte herausfinden, ob ich …«

»Dan! In wenigen Sekunden stehe ich vor der Appleshaw Silver Band, die ›O Holy Night‹ singt.«

»Ich möchte herausfinden, ob ich dich noch liebe.«

In diesem Augenblick tauchten Aldos Rücklichter wieder vor ihr auf … sehr nahe vor ihr. So nahe, dass Lara sich nicht sicher war, ob sie rechtzeitig würde bremsen können. Mittlerweile hatte sie bereits das Zentrum von Appleshaw erreicht und kaum noch Ausweichmöglichkeiten. Entweder würde sie auf den LKW prallen, auf dem sich der Messias, dessen Eltern, die Heiligen Drei Könige und die Tiere der Dorfbewohner befanden, oder sie erwischte den Suppenstand …

»Lara«, rief Dan über das Telefon. »Lara, alles in Ordnung bei dir?«

KAPITEL ZWEI

Appleshaw Vereinsheim, Appleshaw

»Die beste Leistung, die ich beim Fahren jemals gesehen habe, Doug. Ich sage dir eins: Mein Mädchen könnte das Truck-Racing in Thruxton gewinnen.« Gerry Weeks schob sich noch eine Gabel voll Truthahn mit Füllung in den Mund, bevor er fortfuhr. »Sie hat doch tatsächlich den Truck in Sekundenschnelle herumgerissen und den Suppenstand nur um wenige Zentimeter verfehlt. Und den Pfadfindern sind dabei nicht einmal die Halstücher verrutscht.« Er stieß ein herzhaftes Lachen aus und schlug mit der Hand auf den Tisch. Aldo tat es ihm nach, sodass Bratensoße von seinem Teller spritzte. »Lara, das solltest du auf dem Autohof noch einmal vorführen, um den anderen Fahrern etwas beizubringen«, fügte ihr Dad hinzu.

Lara schwieg. Eigentlich war das der Abend, mit dem die Zeit des Jahres begann, die sie am meisten mochte. Sie hatte es zwar geschafft, ein Unglück auf dem Marktplatz abzuwenden, aber nach Dans Worten kam keine festliche Freude mehr in ihr auf. Normalerweise wäre Dan jetzt hier und würde sich über die Traditionen lustig machen – über Mrs Fitch, die ihre Wollmützen in Form von Plumpuddings verkaufte, über Flora, die ihren hausgemachten Mince-Pie-Whisky ausschenkte, und über die Schulkinder, die entschlossen waren, niemanden nach Hause gehen zu lassen, bevor er ihnen eine Plastiktüte voll »Rentier-Futter« (das hauptsächlich aus Haferflocken und Flitter bestand) abgekauft hatte. Aber er war nicht hier. Und würde wohl auch nicht kommen. Er wollte Weihnachten auf den Hebriden verbringen. Weil er Abstand brauchte …

Lara nahm ihr zweites Glas Bier in die Hand und trank rasch drei große Schlucke davon. Im Zweifelsfall half immer das wahrscheinlich beste Lager der Welt. Aber dieses Mal wirkte es nicht. Sie war nicht in Feierstimmung. Am liebsten wäre sie in ihr Häuschen zurückgefahren und hätte sich dort die Augen aus dem Kopf geweint – schließlich hatte man soeben ihr Herz gebrochen. Sie hatte sich nicht einmal umgezogen, bevor sie hierhergekommen war. Eigentlich hatte sie sich eine schwarze Hose und ein passendes festliches Top anziehen und dann verkünden wollen: »Jetzt ist es Zeit für ein Bier!« Doch nun saß sie hier in Jeans, Doc Martens und einem T-Shirt von Slipknot, während alle anderen neue Hemden oder Kleider trugen. Wie üblich lief die Heizung im Club auf höchster Stufe, also hatte sie ihren Kapuzenpullover ausgezogen und über den Stuhlrücken gehängt. Er war ohnehin vom Hagel durchnässt und musste trocknen. Sie hatte in der Damentoilette ihr kurz geschnittenes dunkles Haar unter den Händetrockner gehalten, aber das hatte nicht viel geholfen – es war immer noch feucht. Und Susie war auch noch nicht aufgetaucht.

Laras beste Freundin Susie Maplin war Friseurin im Salon »Cuts and Curls«. Sie war vor fünf Jahren mit ihren Eltern von London nach Appleshaw gezogen, direkt nach Abschluss ihrer Ausbildung. Mr und Mrs Maplin hatten die Tretmühle in der Großstadt sattgehabt und sich nach der Ruhe und dem Frieden auf dem Land gesehnt. Am Anfang war Susie von der ländlichen Beschaulichkeit und dem ständigen Waschen und Legen nicht begeistert gewesen, doch als Wendy ihr schließlich die Verantwortung fürs Färben, Extensions und den neuen Look des 21. Jahrhunderts übertragen hatte, war Susie aufgeblüht und hatte neue Trends in die Hauptstraße gebracht.

Lara warf einen Blick auf ihr Telefon und das Hintergrundbild auf dem Display. Sie und Dan standen vor ihrem geliebten neuen LKW – glücklicherweise war Tina unbeschadet davongekommen. Sie musste Dan anrufen und ihm klarmachen, dass es ein Fehler war, nach Schottland zu fahren. Sie sollten Weihnachten gemeinsam verbringen. Vielleicht sollte sie ihn nach Schottland begleiten. Obwohl sie sich zugegebenermaßen nichts Schlimmeres vorstellen konnte, als mit Busen-Chloe in einer Hütte zu wohnen. Aber das war immer noch besser, als in Appleshaw zu sitzen und sich vorzustellen, dass ihr Freund seine Zeit mit einer Femme fatale in einem Ferienhäuschen verbrachte. Und sie war tatsächlich ein Vamp. Einige geschiedene Frauen im Dorf nannten sie »die Fangschrecke«.

»Isst du dein Hühnchen nicht, Lara?«, fragte Aldo über den Tisch hinweg.

Sie schaute von ihrem Telefon auf. Ihr Beinahe-Bruder hatte rote Wangen und grinste sie an; unter dem hellen Schein der Lampen im Club schimmerten seine an Justin Timberlakes Frisur erinnernden kurzen gekräuselten Löckchen rötlich. Wie ihr Dad hatte er sich eine Fliege an sein kariertes Hemd gebunden.

»Das ist Truthahn, Aldo«, verbesserte Lara ihn.

»Magst du den Truthahn nicht, Lara?«, fragte er. »Oder den Rosenkohl? Ich esse unheimlich gern Rosenkohl.«

Sie schob ihren Teller zu ihm hinüber. »Iss aber nicht den ganzen Rosenkohl auf, sonst fliegst du am Ende des Abends vielleicht wie eine Rakete bis nach Amesbury.«

Aldo sah sie verwirrt an, während ihm ein wenig Bratensoße übers Kinn lief. Feinsinniger Humor war nicht seine Sache. Lara warf wieder einen Blick auf ihr Telefon, während aus der Disco die ersten Klänge von »Step into Christmas« erklangen.

»Es tut mir sooo leid, dass ich zu spät komme!« Susie ließ sich neben Lara auf einen Stuhl fallen, zog sich den Schal aus Kunstpelz vom Hals und nahm die dazu passende Mütze ab. Dann streifte sie ihren Mantel ab. »Diese Frau kommt doch tatsächlich um eine Minute vor sechs in den Salon – und das meine ich wörtlich – und will, dass ich ihr Haar zum Glitzern bringe.« Sie hob Laras Glas an die Lippen und trank in einem Zug die Hälfte aus. »Sorry, ich hole uns gleich noch etwas zu trinken. Wie auch immer, ich war schon kurz davor, ihr das Spray aus dem Gartencenter zu empfehlen, das wir an Weihnachten für unsere Pflanzen vor der Tür verwenden, aber dann sah ich, was sie anhatte: Designerklamotten von Kopf bis Fuß. Jeans von Victoria Beckham, ein Top von Prada und eine dieser ›Ich gehe auf die Fuchsjagd‹-Jacken von Barbour«, sprudelte sie atemlos hervor. »Also schaue ich Wendy an, und Wendy schaut mich an, und ich habe bereits eine Idee, was ich tun werde. Nun, langer Rede kurzer Sinn, ich kreiere eine tolle Mischung aus Pink- und Lilatönen und ein wenig von dem Meerjungfraublau, das Demi Lovato hin und wieder trägt, frisiere ihr Haar nach oben zu zwei kegelförmigen Gebilden wie bei einem Einhorn und bedecke alles mit dem Diamantstaub, den ich bei dieser Tagung in Italien gekauft habe.« Sie grinste. »Sie hat sofort ein Bild von sich auf Instagram eingestellt – und sie hat über zweitausend Follower! Ich hoffe, dass sich darunter viele Polospieler oder zumindest Mitglieder des Golfclubs befinden.«

Bei der Erwähnung des Golfclubs ließ Laras Freude über das Erscheinen ihrer besten Freundin merklich nach.

»Es tut mir wirklich leid, dass ich so spät komme, Lara. Aber ich habe schon alles über deine knappe Bremsung vor dem Suppenstand gehört – Flora hat mich an der Tür genau informiert –, und es stört mich nicht, dass ich den ersten Gang mit der Melone verpasst habe. Melonen bestehen hauptsächlich aus Wasser, und wenn ich gleich unsere nächsten Drinks hole, nehme ich mir ein Glas Wasser mit.« Susie ließ den Blick über den Tisch gleiten und winkte Aldo zu, der sich immer noch den Rosenkohl schmecken ließ. »Wo ist Dan?«

Lara spürte, wie der Schmerz über die Zurückweisung ihre Brust zusammenpresste, als würde sie von einem außer Kontrolle geratenen Gabelstapler an die Wand gedrückt. Und sie wusste, wie sich das anfühlte, denn das war ihr tatsächlich schon einmal passiert. Tränen stiegen ihr in die Augen und ließen sich nicht unterdrücken. Was sollte sie jetzt sagen? Was konnte sie dazu sagen?

»Lara?« Susie legte ihr eine Hand auf den Arm. »Was ist los?«

»Dan … er … er weiß nicht, ob er mich noch liebt. Er möchte eine Auszeit haben.«

Ihre Worte waren genau in dem Moment herausgesprudelt, als der DJ den Übergang zum nächsten Titel nicht rechtzeitig hinbekommen hatte, und im Raum wurde es ganz still. Plötzlich waren die Augen aller Feiernden neugierig auf sie gerichtet.

»Mit Busen-Chloe«, fügte Lara hinzu.

Alle atmeten hörbar ein.

KAPITEL DREI

»Den Kerl zerreiße ich in der Luft!«, verkündete Gerry. Aldo neben ihm deutete einen Karateschlag an. Alle Mitglieder des Weeks Transportteams scharten sich an der Bar um Lara, um ihr ihre Solidarität zu zeigen. »Wenn ich mit ihm fertig bin, wird er eine Physiotherapie brauchen, um wieder Lächeln zu lernen.«

»Dad.« Lara griff nach seinem Arm. Sie hatte das heute Abend nicht zur Sprache bringen wollen. Ihr Dad arbeitete jedes Jahr hart, um diese Party zu organisieren. Es war das jährliche große Fest für alle, und sie wollte es nicht mit ihrem Beziehungsdrama verderben.

»Ich habe gute Lust, ihm jetzt gleich zu zeigen, wie meine Faust schmeckt.«

»Dad, nein«, sagte Lara rasch. Sie wusste, dass Gerry bereits drei Gläser Bier getrunken hatte, und die Flasche von Floras Mince-Pie-Whisky auf dem Tisch der Weeks war auch bereits zu einem Viertel geleert. »Alles in Ordnung, wirklich.«

»Das würde ich nicht sagen«, warf Susie ein. »Ich finde, er hat sich benommen wie ein totales Arschloch.«

»Arschloch!«, rief Aldo wütend.

Lara schloss für einen Moment die Augen. Sie waren alle so nett zu ihr und stellvertretend für sie zornig, aber sie selbst verspürte keine Wut. Sie war nur unfassbar traurig. Das war ihre Schuld. Durch ihre Dorfmentalität hatte sie Dan vertrieben. Busen-Chloe arbeitete zwar im Golfclub, aber Lara wusste, dass sie oft verreiste. Sie sah mehr von der Welt als nur die Fahrerkabine eines Trucks und verbrachte ihren Urlaub nicht auf Campingplätzen. Chloe hatte wahrscheinlich interessante Dinge zu erzählen – von Sonnenuntergängen in Santorin und vom Geschmack von Taboulé. Lara war auch an mehr interessiert als an Appleshaw, aber andererseits war dieses Dorf ihr Lebensmittelpunkt. Ihr Dad, ihr Job, Aldo – sie brauchten sie alle so sehr, wie sie sie brauchte. Ihre Mum hatte Appleshaw verlassen, und es hatte ihren Dad viel Kraft gekostet, sich und die damals sechsjährige Lara über die Runden zu bringen. Appleshaw war ihr Zuhause. Das Dorf und seine Bewohner hatten dabei geholfen, sie großzuziehen. Aber Dan hatte offensichtlich die Nase voll davon. Und von ihr.

»Wir werden ihn verbannen«, erklärte Gerry. »Und diese Firma, für die er arbeitet, ebenfalls.« Er streckte eine Hand in die Luft wie ein Prediger aus der Fernsehserie Damnation. »Lasst uns das heute Abend festhalten: Vom 1. Dezember 2018 an wird niemand mehr mit Dan Reeves sprechen, ihm schreiben oder auf irgendeine Art mit ihm kommunizieren. Und das Gleiche gilt für Spa South.« Gerry holte tief Luft; sein kahler Kopf war stark gerötet. »Sollen sie selbst sehen, wie sie ab jetzt ihre Whirlpools befördern.«

Lara konnte sich das nicht mehr anhören. Sie griff rasch nach dem Glas mit Floras Spezialmischung auf der Theke, warf dabei beinahe den mit Lametta verzierten Spendentopf um und zog sich an einen Tisch in einer Ecke des Raums zurück. Weit weg von den Problemen in ihrem Leben und der Disco, in der mit »When a Man Loves a Woman« anscheinend gerade der Teil mit den Kuschelsongs begonnen hatte.

»Bleib da.«

Susie war Lara gefolgt und griff nach ihrem Arm, bevor sie sich setzen konnte.

»Mir geht’s gut«, erwiderte Lara gereizt.

»Nein, das stimmt nicht«, entgegnete Susie. »Und das nehme ich dir auch nicht übel. Dan hat dich an einem der für uns schönsten Abende im Jahr wirklich beschissen behandelt, und nun musst du dir von deinem Dad, Aldo und den anderen Fahrern auch noch biblische Ausdrücke anhören wie ›verbannen‹ und ›auf dem Scheiterhaufen verbrennen‹.«

Lara fehlten immer noch die Worte. Was sollte sie darauf sagen? Dan hatte ihr das Herz gebrochen, und sie wusste nicht, wie sie die nächsten Stunden, geschweige denn den Rest ihres Lebens bewältigen sollte.

»Damit ich dir helfen kann, muss ich genau wissen, was Dan zu dir gesagt hat.« Susie setzte sich und nippte an ihrem Mince-Pie-Whisky.

»Was?« Lara kam plötzlich wieder zu sich.

»Na ja, du hast gesagt, er wünsche sich ›eine Auszeit‹. Meiner Erfahrung nach heißt das bei Männern, dass sie eine kleine Krise vor ihrem dreißigsten Geburtstag haben. Sie machen sich Sorgen über ihr Alter, über ihre Wirkung auf Frauen, über Haare in den Ohren und das Risiko von Prostatakrebs und denken darüber nach, wie viele Gläser Bier sie an einem Wochenende trinken dürfen.«

»Tatsächlich?«

»Das ist typisch für Männer, die fast dreißig sind«, bestätigte Susie. »Erinnerst du dich noch an Ruby und ihren Freund Trigger aus dem Appleshaw Inn? Er kaufte sich ein Motorrad und Anteile an einem Rennboot und brauste los, um ›sich selbst zu finden‹. Ein klassischer Fall. Bei Dan verhält es sich genauso. Er fährt an Weihnachten nach Schottland, weil er glaubt, dort sei alles anders, neu und aufregend. Dort muss er nicht Scrabble mit deinem Dad, Aldo und Mrs Fitch spielen – nicht, dass dagegen etwas einzuwenden wäre, aber …«

Der hausgemachte Whisky vernebelte allmählich Laras Sinne ein wenig. »Er weiß doch, dass ich an Weihnachten meine Familie nicht verlassen will«, begann sie. »Und trotzdem hat er sich für dieses Ferienhaus entschieden, ohne vorher mit mir darüber zu reden … Und warum hat er nicht gesagt, dass er dort Weihnachten verbringen will, wir uns aber dann an Silvester sehen? Und was soll dieser Mist über eine ›Auszeit‹?«

»Wie gesagt, das ist die Vordreißiger-Krise. Also, was genau hat er dir mitgeteilt? Bitte Wort für Wort.«

Lara dachte an das Telefonat in ihrem Truck, während um sie herum Knallbonbons krachten und Stimmen über die soeben servierte Nachspeise laut wurden. Ihre Gruppe ging wieder zum Esstisch zurück, aber sie hatte keine Lust auf ein Dessert. Im Augenblick wollte sie nur so schnell wie möglich so viel wie möglich trinken, um sich zu betäuben.

»Er hat gesagt, dass er Raum für sich brauche … und eine Pause haben wolle … und eine Auszeit.« Ihr wurde übel, als sie diese Worte laut aussprach. Wie hatte das passieren können? Sie hatten sich doch gut verstanden, sich miteinander wohlgefühlt, eine solide Beziehung gehabt …

Vielleicht war das das Problem. Möglicherweise hatte sie es sich zu bequem gemacht. Irgendwann hatte sie die Badezimmertür nicht mehr abgesperrt, wenn sie geduscht hatte. Dan war dann oft hereingekommen, um sich die Zähne zu putzen. Noch hatten sie nicht das Klo voreinander benutzt, aber sie war schon einmal kurz davor gewesen, als er über eine halbe Stunde im Bad gebraucht hatte und sie es kaum mehr hatte aushalten können.

»Na bitte«, erwiderte Susie triumphierend. »Für mich klingt das alles nicht nach einem Ende. Ich glaube eher, dass er die Kontrolle über die Beziehung übernehmen möchte. Weißt du noch? Ich habe dir gesagt, dass Männer genau das tun, wenn sie plötzlich das Gefühl bekommen, sich wie richtige Männer benehmen zu müssen.« Susie knirschte mit den Zähnen und imitierte mit einem Laut einen wilden Wikinger. »Trotz all der Pflegeprodukte und großartigen Apps verhalten sie sich immer noch wie in der Steinzeit. Das liegt einfach in ihren Genen.«

Ein kleiner Hoffnungsschimmer flackerte in ihr auf. »Glaubst du wirklich?«

»Absolut. Ich meine, Chloe ist …«

»Heiß.«

»Nein … na ja, schon ein bisschen, wenn man so etwas mag.« Susie trank einen Schluck von ihrem Whisky. »Möchtest du, dass ich ihr die Haare nicht mehr mache?«

»Du machst ihr die Haare?«

»Das mache ich für alle Frauen unter sechzig in Appleshaw! Sie lässt sich immer helle und dunkle Strähnchen färben … alle sechs Wochen für ungefähr zweihundert Pfund.« Susie legte eine Hand auf Laras Arm. »Wie auch immer – du bist auch heiß. Superheiß. Mit deiner zierlichen Figur, die verletzlich wirkt und um die sich jeder kümmern möchte, gepaart mit deiner resoluten Art, die deutlich zeigt, dass du sehr gut ohne Hilfe zurechtkommst. Tolle Augen. Wunderschönes Haar – gern geschehen. Und außerdem bist du, außer mir selbst, der witzigste Mensch, den ich kenne.«

Lara schluckte. »Er sagte, er müsse herausfinden, ob er mich noch liebt.« Sie schaute Susie erwartungsvoll an und hoffte auf einen weiteren Ratschlag in Sachen Beziehung. Susie schwieg, während in der Disco ein Song von Slade ertönte.

»Aber er liebt mich doch noch, oder? Sonst würde er sich nicht die Mühe machen, darüber nachzudenken.«

Susies ausdruckslose Miene löste Angst in ihr aus, und ihr Herz begann heftig zu klopfen. Das war nicht gut. Vielleicht war mit der Pause tatsächlich eine Trennung gemeint. Was sollte sie jetzt nur tun? Was um alles in der Welt sollte sie machen?

Lara stand auf und legte von Gefühlen überwältigt eine Hand an die Brust. Sie bekam kaum noch Luft, und um sie herum drehte sich alles. Die Weihnachtsdekoration verschmolz zu einem großen, glitzernden Bild.

»Lara.« Susies Stimme klang blechern und schien von weither zu kommen. »Lara, setz dich.«

Was sollte sie im Dezember machen, wenn Dan nicht mehr bei ihr war? Sie würden nicht wie sonst die Scheune weihnachtlich schmücken und dann mittendrin ins Bett fallen. Sie würden nicht abwechselnd Weihnachtkarten an ihre Kunden verfassen und gespannt sein, wer in diesem Jahr an die Abwasserfirma schreiben musste – es war ihr immer gelungen, diese Aufgabe Dan zuzuschieben. Fröhliche Weihnachten und weiterhin gute »Geschäfte«. Ihr brach der Schweiß aus, und ihr wurde schlecht.

»Setz dich hin«, befahl Susie, packte sie am Arm und drückte sie auf einen Stuhl. »Das wird nicht geschehen. Hörst du mich? Dan wird dich nicht einfach so fallenlassen. Lara, Lara hörst du mir zu?«

Sie versuchte es. Gab sich große Mühe. Sie sah ihre beste Freundin an und bemühte sich, jedes einzelne Detail an ihr wahrzunehmen. Ihre geschickt frisierten braunen Locken, die offensichtlich den eisigen Hagel und ihren Hut in dieser Nacht gut überstanden hatten, ihre ehrlichen grünen Augen, ihre Lippen mit einem Hauch von rosarotem Lipgloss … Langsam löste sich die Blockade, und sie konnte tief ausatmen. Jetzt hatte sie sich wieder unter Kontrolle.

»Okay?«, fragte Susie, ohne ihren Arm loszulassen.

Lara brachte ein Nicken zustande. »Ja.«

»Also gut«, fuhr Susie entschlossen fort. »Wir haben jetzt zwei Möglichkeiten. Du musst mir aber noch eine Frage beantworten.«

»Und die wäre?« Lara blinzelte, um ihre Tränen zurückzuhalten.

»Willst du, dass es mit dir und Dan funktioniert?«, fragte Susie. »Liebst du ihn?«

»Das waren aber zwei Fragen«, erwiderte Lara vorsichtig.

»Und?«

»Ja«, stieß Lara hervor. »Natürlich liebe ich ihn. Und ich möchte, dass zwischen uns alles wieder klappt.«

Susie schlug die Hände zusammen und rieb sie aneinander, als wollte sie mit ihren Handflächen ein Feuer entfachen. »Gut, dann weiß ich, was wir jetzt tun müssen.«

KAPITEL VIER

Das Apartment von Seth Hunt und Trent Davenport, West Village, New York

»Das kann ich nicht machen! Auf keinen Fall! Das ist doch verrückt – im wahrsten Sinne des Wortes!« Trent fuhr sich mit den Fingern durch das blonde Haar und zog daran. Er stieß Laute wie ein Gorilla aus und trommelte sich mit den Händen auf die Brust, während er in dem großräumigen Apartment auf und ab lief, als befände er sich in einem Käfig.

Seth saß am Esstisch und beobachtete seinen Freund, der kurz vor einem Zusammenbruch stand. Er sollte das eigentlich aufnehmen. Trotz der vielen Schimpfwörter, die Trent von sich gab, könnte das ein lustiger Film werden. Vielleicht würde er sich später sogar bei ihm dafür bedanken. »Was ist los?«, fragte er.

»Ich schwöre bei Gott, ich werde meinen Agenten feuern! Schau dir das an!« Trent wandte sich Seth zu und hielt ihm sein iPhone vor die Nase. »Er will, dass ich heute – in knapp einer Stunde – zu einem Vorsprechen gehe. Für einen Werbespot für Nüsse! Nüsse!«, rief Trent. »Das ist doch verrückt!«

»Welche Art von Nüssen?«, fragte Seth und schob seine Brille auf der Nase nach oben.

»Seth! Ist das dein Ernst?« Trent griff nach der noch ungeschmückten Fichte, die sie am Tag zuvor in ihr Apartment gebracht hatten. Leicht beschwingt nach einigen Drinks bei Jimmy’s Corner in Midtown hatten sie auf der Heimfahrt mit dem Taxi den Baumverkäufer entdeckt und den Fahrer gebeten zu halten. Die Fichte, die sie gekauft hatten, passte nicht in das Taxi, also hatten sie den Baum quer durch die Stadt zu ihrer Wohnung in West Village geschleppt. Seth hatte sich dann nach einem Behältnis dafür umgeschaut und sich vorläufig für die Küchenspüle entschieden. Wenn er später zu seiner Mom fuhr, würde er sich von ihr einen geeigneten Blumentopf ausleihen. Er schaute auf die leere Seite des Notizblocks, die er mit Fragen füllen sollte …

»Na ja«, begann Seth, während Trent die Zweige des Weihnachtsbaums zurechtrückte. »Nüsse, Hülsenfrüchte und Rohkosternährung sind heutzutage sehr angesagt. Auch Gwyneth Paltrow hält einiges davon.«

»Sehe ich etwa aus wie Gwyneth Paltrow?« Trent stützte frustriert die Hände in die Hüften.

»Ich weiß nicht.« Seth legte den Kopf zur Seite. »Vielleicht mit einem Kleid und Extensions …«

»Schon gut, mach dich nur darüber lustig. Welche Auditions hat dein Agent diese Woche für dich gebucht?«

Seth legte seinen Stift zur Seite. »Ich habe mich nicht darüber lustig gemacht, Trent. Ganz im Gegenteil. Der Werbespot für Nüsse ist eine Gelegenheit, Geld zu verdienen, richtig? Und wir alle brauchen Geld – um die Miete und die Taxigebühren für die wichtigen Termine zum Vorsprechen zu bezahlen.« Er seufzte. »Und außerdem sind es nur Nüsse. Etwas, was du mühelos … knacken kannst. Den Job hast du schon so gut wie in der Tasche.«

»Außer, wenn Junior Benson dort wieder auftaucht. Meine Güte, dieser Kerl!« Trent warf die Arme in die Luft, knöpfte dann seine Manschetten auf und rollte die Ärmel seines Hemds nach oben. »Ich kann mich noch so sehr bemühen und sehe nie so weltmännisch aus wie er. Bei jedem Vorsprechen erscheint er in seinen fetzigen Klamotten, trägt eine Snapback-Cap auf dem Kopf und tut so, als hätte er die Coolness erfunden.«

»Das ist nur eine Phase«, meinte Seth und stand auf. »Und Nüsse sind … komplex. Es gibt Cashewnüsse und Macadamianüsse und …«

»Erdnüsse«, unterbrach Trent ihn. »In dem Auftrag heißt es, dass es sich um Erdnüsse mit essbaren Schalen handelt, überzogen mit Zimt und Honig.«

»Meine Güte, wie haben sie die Schalen essbar gemacht?«

»Ich weiß es nicht. Und es interessiert mich auch nicht!«, schnaubte Trent. »Das ist unter meiner Würde. Ich hatte erst vor einigen Monaten eine Rolle in einem Film mit George Clooney!«

»Und so etwas wird auch wieder kommen.« Seth schlug ihm auf die Schulter. »Bald. Aber bis dahin … Ich würde mir den Auftrag mit den Nüssen schnappen.«

Trent schniefte und schien sich ein wenig zu beruhigen. Er deutete auf das Leuchtschild, das im Küchenbereich an der Ziegelmauer hing. »An dem Kaffeebecher ist ein Lämpchen ausgebrannt.«

»Ich weiß«, erwiderte Seth. »Ich kümmere mich heute Vormittag darum.«

»Steht bei dir heute nichts auf dem Plan?«, wollte Trent wissen. »Ich wette, dein Agent hat eine Menge toller Aufträge für dich.«

Seth gab ihm keine Antwort. In Wahrheit hatte er nichts vorliegen. Nicht einmal ein Angebot für einen Nuss-Werbespot. »Eigentlich nicht«, erwiderte er schließlich.

»Und was ist mit den Probeaufnahmen für die Netflix-Serie, die du gemacht hast?«

»Davon habe ich noch nichts gehört.« Er hatte Grippe gehabt und die ganze Nacht vor Fieber geschwitzt, während er den Text gelernt hatte. Und ihn dann durch die Nase vorgesprochen. Nicht einmal er selbst hatte verstanden, was er von sich gegeben hatte.

»Aber du hast doch noch mal nachgehakt, oder? Dein Agent hat den Leuten gesagt, dass du die Rolle gern haben würdest und jederzeit dafür bereit wärst, richtig?«

»Ich … ich weiß es nicht.«

»Komm schon. Ich habe die Nüsse, und du hast …«

»Nichts«, unterbrach Seth ihn. »Ich habe nichts.« Er seufzte tief und ging zum Tisch zurück. Allmählich beschlich ihn wieder dieses unangenehme Gefühl, das er gehabt hatte, bevor er sich dazu entschlossen hatte, den Versuch zu wagen und Schauspieler zu werden. Desillusionierung. Angst. Der ständige Gedanke, dass seine Rolle als Dr. Mike in Manhattan Med vielleicht schon der Gipfel seiner Karriere gewesen war … und er den damit verbundenen Ruhm und das geregelte Gehalt für eine Chance weggeworfen hatte, die nun nicht kam.

»Hör zu, Mann, ich bin wegen dieser Nussgeschichte vielleicht ein bisschen ausgerastet, aber das liegt nur daran, dass ich etwas Besseres verdient habe – das weiß ich«, erklärte Trent. »Und ich bin nicht so dumm, um nicht zu wissen, dass ich nur die Hälfte deines Talents besitze.«

»Ach, hör auf.« Seth winkte ab.

Trent räusperte sich. »Entschuldige, aber immerhin warst du in der letzten Auswahlrunde für die Rolle von Christian Grey, der gern mal ein Paddle in die Hand nimmt.«

Seth schüttelte mit einem leichten Lächeln den Kopf. »Davon kann ich nicht ewig profitieren. Und jeder weiß, dass ich die Rolle nicht bekommen habe.«

»Wahrscheinlich lag es an deinem Hintern.« Trent atmete tief ein. »Wenn du im Fitnessstudio Kniebeugen machst, musst du ihn dabei richtig fest einziehen. Ganz weit nach innen.« Er führte es vor und ging in einer Hose in die Hocke, die so aussah, als würde sie keine große Belastung an den Schenkeln aushalten.

Seth schob sein dunkles Haar nach hinten, nahm den Stift wieder in die Hand und ließ ihn über dem Notizblock schweben. Er hätte das bereits am Abend zuvor erledigen sollen, anstatt mit Trent auszugehen. Jetzt blieben ihm nur noch wenige Stunden bis zum Mittagessen mit seiner Mutter, und er war noch lange nicht so gut vorbereitet, wie er sich das wünschen würde.

»Seth, du musst dich dahinterklemmen«, erklärte Trent und zog erst das eine und dann das andere Knie an die Brust. »Sag deinem Agenten, er soll sich mit Netflix in Verbindung setzen. Und mit den anderen Filmstudios. Die großen Sachen in Angriff nehmen.«

»Ja, klar.« Seth war davon nicht sehr überzeugt. Er hielt sich gerade noch mit dem über Wasser, was ihm von seinen Einkünften für Manhattan Med übrig geblieben war. Erst am Tag zuvor hatte er darüber nachgedacht, sich für einen Job in dem kleinen Café ein Stück die Straße hinunter zu bewerben. Er würde vielleicht sogar einen Teil der Bezahlung in Form von diesen Bagels, die einem praktisch auf der Zunge zergingen, akzeptieren.

Trent riss plötzlich die Augen weit auf und deutete mit dem Finger auf ihn. »Ich weiß, was du brauchst!«

»Sag bloß nicht, noch einen Schluck Whisky.«

»Du brauchst Publicity. Du musst etwas tun, um in den Blickpunkt der Öffentlichkeit und in die Nachrichten zu kommen. Dann hat dein Agent auch die Möglichkeit, sich bei seinen Nachfragen auf etwas zu berufen.« Trent zog sich einen Stuhl heran und nahm sich den Notizblock. Bevor Seth protestieren konnte, hatte er sich schon den Stift geschnappt. »Welche verrückten humanitären Projekte sind im Moment am Laufen? Wie sieht es mit deinem Twitter-Account aus? Du hast doch ein Managementsystem, das sich darum kümmert, oder?«

»Trent, es ist halb zehn Uhr morgens.«

»Und du bist weg vom Fenster, Kumpel. Komm schon, das muss sich ändern.« Trent streckte fordernd die Hand aus. »Gib mir dein Telefon. Wir werden uns ein wenig umschauen. Vielleicht finden wir etwas Weihnachtliches und Herzerwärmendes, womit wir Dr. Mike von Manhattan Med zu neuem Ansehen verhelfen können.« Er streckte einen Finger in die Luft. »Wie wäre es mit dem Zoo? Die Leute lieben Tiere. Da muss es doch ein paar leidende Viecher geben, die ein bisschen Aufmerksamkeit brauchen. Ich sehe es schon vor mir … Dr. Mike von Manhattan Med rettet Erdmännchen das Leben.« Er hielt kurz inne. »Wie wäre es mit der Sache, für die deine Mutter sich einsetzt?«

Seth schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Okay …«

»Ich weiß nicht so recht, Trent. Das klingt alles so, als sei es eher etwas für dich als für mich.« Seth war natürlich bewusst, dass soziale Medien, Fototermine und Promotion für einen Schauspieler unverzichtbar waren, aber diesen Teil des Berufs konnte er am wenigsten leiden. Einer der Gründe, warum er sich für das Schauspiel begeistert hatte, war die Möglichkeit, in die Rolle eines anderen Menschen zu schlüpfen. Es war viel einfacher, als sich seiner Vergangenheit stellen zu müssen. Und das würde er heute tun … falls er es schaffte.

»Hör mal zu, Mann, willst du den Nuss-Job haben? Wenn du im Moment dringend etwas brauchst, vertraue ich ihn dir an.« Trent grinste. »Mit diesen Augen kannst du alles verkaufen.«

Seth lächelte. »Sag so etwas nie vor Publikum in einer Bar. Niemals.«

Trent lachte. »Komm schon, tu mir den Gefallen. Wir suchen uns jetzt eine Sache, um dich wieder ins Gespräch zu bringen.«

KAPITEL FÜNF

Lara Weeks’ Scheunenwohnung, Appleshaw, England

»Da muss es doch jemanden geben«, lallte Susie und ließ sich auf das rustikale Ledersofa fallen. Es war braun und abgewetzt und erinnerte Lara an Sättel und Cowboys. Und es roch auch ein wenig danach. Wahrscheinlich weil die ganze Wohnung immer noch nach Scheune aussah – trotz des Umbaus, der vorgenommen worden war, nachdem sie beschlossen hatte, aus dem Haupthaus auszuziehen.

»Ich kenne jeden in Appleshaw«, entgegnete Lara und ging leicht schwankend zu der kleinen Küche, um Gläser zu holen. Sie hatte sich die Flasche mit Floras Mince-Pie-Whisky unter den Nagel gerissen und die Party verlassen, als der DJ »All I Want For Christmas Is You« aufgelegt hatte.

»Und wie wäre es mit Ian vom Fish-and-Chips-Laden?«

»Susie!«

»Was?«

»Er sieht aus wie zwölf!«

»Aber er muss über sechzehn sein, denn er arbeitet schon seit mindestens zwei Jahren dort in Vollzeit.«

Lara schenkte die braune duftende Flüssigkeit in zwei große Gläser und setzte sich neben Susie. »Ich weiß, aber sechzehn ist viel zu jung, und außerdem gefällt er mir nicht.« Sie trank einen Schluck, zog die Beine unter sich und lehnte sich mit dem Glas in der Hand auf dem Sofa zurück. »Und aus einem bestimmten Blickwinkel sieht er ein bisschen aus wie ein Schellfischfilet.«

»Er muss dir nicht gefallen!«, rief Susie. »Dan soll glauben, dass du auf ihn stehst.«

»Nun … das wird er nicht tun.«

»Warum nicht?«

»Weil ich auf Dan stehe.« Lara seufzte. »Wir reden miteinander, verstehst du? Und er weiß, wen ich mag und wen nicht. Wir haben ›Küssen, heiraten, meiden‹ gespielt.« Sie hatte zugegeben, dass sie als Mädchen ein bisschen für Jennifer Lawrence geschwärmt hatte, und Dan hatte gestanden, dass es ihm genauso gegangen war. Sie hatten gelacht, noch ein Bier getrunken, Erdnüsse gegessen und beide festgestellt, dass sie Keith Lemon auf jeden Fall links liegen lassen würden.

»Aber es muss doch außer Dan jemanden geben, der dir gefällt.« Susie verschüttete ein wenig Whisky auf ihrem T-Shirt und wischte mit der Hand über ihre Brüste. »Es ist doch ganz normal, dass man jemanden anschaut, ihn bewundert und sich denkt: ›Ja, wenn ich keinen Freund hätte, käme er mit Sicherheit infrage.‹«

Lara lächelte ihre Freundin an. »Und wer ist das bei dir? Wen schaust du so an? Bei David liegt das ja schon ein halbes Jahr zurück.« Susies spanischer Freund war ebenso verrückt wie sie. Sie hatten sich bei einer Friseurtagung kennengelernt – es war Liebe beim ersten Undercut gewesen. Susie hatte jedes zweite Wochenende bei ihm in London verbracht, und David war im Gegenzug nach Appleshaw gekommen und hatte sich ein wenig in Mrs Fitchs Tortillas verliebt. Aber dann hatte sich beruflich eine tolle Chance für ihn ergeben, und er hatte das Land verlassen. Lara wusste, dass ihre Freundin unter dieser örtlichen Trennung litt.

»David und ich stehen uns immer noch sehr nahe«, erwiderte Susie steif.

»Er ist nach New York gezogen«, erinnerte Lara sie.

»Das weiß ich.« Susie schniefte. »Wir halten Kontakt über FaceTime, wann immer wir Zeit dafür finden.«

»Aber du hast ihn schon seit sechs Monaten nicht mehr gesehen.«

»New York ist weit weg. Und wie gesagt – er hat viel zu tun und ich auch. Alle sind immer wahnsinnig beschäftigt.« Susie trank noch einen großen Schluck aus ihrem Glas. »Außerdem reden wir jetzt nicht über mich und David, sondern wir wollen jemanden finden, mit dem du Dan eifersüchtig machen kannst.«

Lara schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht, dass ihr Leben sich in eine dumme Herausforderung aus einer Reality-Show verwandelte. Es sollte eigentlich keinen Grund dafür geben, Dan eifersüchtig zu machen. Dan sollte jetzt bei ihr sein, mit ihr ins Freizeitheim gehen und sich über die riesige Christbaumkugel aus Papier lustig machen, die schon seit den 1970ern dort hing.

»Was habe ich mir dabei nur gedacht?« Susie sprang plötzlich vom Sofa auf, und ihre vom Alkohol leicht getrübten Augen leuchteten auf. »Wir dürfen uns natürlich nicht auf Appleshaw beschränken.«

»Du denkst an Salisbury?« Lara schüttelte wieder den Kopf. »Oh, nein, Susie, nicht den Typ vom Prezzo, der mir immer eine Extraportion Oliven gibt.«

»Nicht Salisbury«, erwiderte Susie. Sie nahm Laras Laptop vom Couchtisch, platzierte ihn auf ihre Knie, klappte den Deckel auf und lehnte sich zurück. »Ein Prominenter.« Sie begann zu tippen. »Irgendwo auf dieser Welt.«

»Was?«

»In einem Magazin habe ich von dieser Frau gelesen – sie hat mit ihren Lieblingspromis getwittert und alle Antworten bei Facebook und Instagram eingestellt, um ihren Ehemann eifersüchtig zu machen.« Susie holte tief Luft und ließ ihre Finger über die Tasten fliegen. »Er fühlte sich unwiderstehlich zu Byron Burgers hingezogen und verbrachte seine Zeit lieber mit einem Doppelburger mit Käse und Speck als mit ihr … Wie auch immer, es hat funktioniert.«

»Es hat funktioniert? Wie meinst du das?« Lara beugte sich ein Stück vor. Nicht, dass sie an dieser lächerlichen Idee interessiert gewesen wäre. »Du meinst, Leute wie … Tom Hardy haben ihr geantwortet? Das glaube ich nicht.«

»Na ja, offensichtlich nicht alle A-Promis … Obwohl sie eine Antwort von Zayn Malik bekommen hat.«

»Ich bin nicht sicher, ob ich ihn in der A-Liga verorten würde.«

»Das Wichtige dabei ist, dass sie tatsächlich Antworten und Aufmerksamkeit bekommen hat. Und deshalb werden wir das bei dir und Dan genauso machen.« Susie tippte auf das Touchpad. »Wir loggen dich jetzt bei Twitter ein und legen dann los.«

»Ich benutze Twitter nicht, um das Leben von Promis zu verfolgen. Ich hole mir dort Informationen über die Welt«, erklärte Lara. Es war eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen, sich ein Land auszusuchen, es bei Twitter einzugeben und zu schauen, was sie darüber erfahren konnte. Wenn sie den ganzen Tag Viehfutter oder Düngemittel transportiert hatte, war das am Abend eine Möglichkeit, das Dorf zu verlassen und auf Reisen zu gehen. Mit ihrem Laptop konnte sie auf jeder Straße der Welt spazieren gehen. Und das tat sie oft. In Gedanken hatte sie bereits Tacos in Mexiko gegessen und Limoncello in Venedig getrunken.

»Wir fangen mit Ed Sheeran an. Er scheint ein netter Kerl zu sein …«

»Susie, hör auf damit.« Auch wenn sie vom Whisky ein bisschen beschwipst war und das Weihnachtsessen ihren Magen gut gefüllt hatte, erschien ihr das nicht richtig. Sie sollte mit Dan ein richtiges Gespräch darüber führen – nicht nur mit ihm ein paar Worte kurz vor dem Umzug in Appleshaw über die Freisprechfunktion ihres Telefons austauschen. Sie legte eine Hand an den Rand des Bildschirms. »Wie soll mir das weiterhelfen?«

Susie richtete sich auf und zog den Laptop zu sich heran. »Du hast mir gesagt, dass Dan an Weihnachten mit Chloe vom Golfclub nach Schottland fährt.«

»Ja.« Als ihre Freundin das laut aussprach, zog sich Laras Brust wieder schmerzvoll zusammen.

»Wir müssen handeln! Er soll begreifen, dass die Liebe seines Lebens, die Frau seiner Träume zu einer endgültigen Trennung bereit ist, wenn er sich nicht ganz schnell am Riemen reißt. Du wirst gefragt sein … Du wirst Ed Sheerans Liebe in Appleshaw sein. Okay, es ist nicht ganz so wie in ›Galway Girl‹, aber du verstehst, was ich meine, oder?«

Sie wollte es nicht verstehen – sie wollte nicht einmal diese verrückte Unterhaltung führen. Sie wollte jetzt Dan ausziehen, klassische Weihnachtslieder von einer Playlist hören, dem leisen Schnarchen der Ziegen von der Farm nebenan lauschen, sich warm und zufrieden fühlen und den Dezember genießen … Aber Dan war unterwegs nach irgendwohin mit irgendwem. Oder mit Chloe.

»Wir sollten noch mehr berücksichtigen – sogar bis hinunter zu den D-Promis«, fuhr Susie fort. »Wie hieß der Schauspieler, an dem du einen Narren gefressen hattest?«

Lara schüttelte sich und griff nach der Whiskyflasche. »Ein wenig eingrenzen solltest du das schon. Da gab es einige. Eine Weile stand ich sogar auf John Simm.«

»Wir brauchen einen, der jünger und heißer ist als er … Wie hieß gleich noch diese Serie? Er spielte einen Arzt, ein wenig mürrisch und nachdenklich, aber auch sehr nachdrücklich, als es um eine drogensüchtige Mutter mit ihrem Neugeborenen ging …«

»Dr. Mike«, erwiderte Lara. »Aus Manhattan Med.« Sie schaute sich die Serie immer noch an, obwohl sie ohne Dr. Mike nicht mehr so gut war. Er war für sie immer eine Augenweide für ein oder zwei Stunden gewesen, wenn Dan beruflich auf Reisen war. Und sie war sehr wählerisch, daher hatte sie auch die möglichen Einheimischen, die Dan eifersüchtig machen sollten, vehement abgelehnt.

»Genau! Den schreiben wir auch an«, erklärte Susie und richtete den Blick wieder auf den Bildschirm.

»Und Dan weiß, dass er mir gefällt«, gestand Lara. »Er hat sich sogar an einem Wochenende nicht rasiert, weil Dr. Mike in einer Folge einen Dreitagebart hatte.«

»Na also!«, rief Susie. »Jetzt kommen wir der Sache schon näher. Wie heißt Dr. Mike im wahren Leben?«

»Seth.« Lara rückte näher an Susie heran. »Seth Hunt.«

»Seth Hunt«, wiederholte Susie und tippte den Namen im Suchfeld bei Twitter ein. »Dann wollen wir mal sehen, was du gemacht hast, seit du dieses fiktive Krankenhaus verlassen hast.«

KAPITEL SECHS

Dominique Bistro, Christopher & Gay Street, New York

Seth warf noch einmal einen Blick auf seine Armbanduhr, schenkte sich Wasser in sein Glas nach und zog die Manschetten seines dicken rot-schwarz-karierten Hemds zurecht. Nachdem er sich die Brille auf der Nase hochgeschoben hatte, schaute er sich die anderen Gäste in dem Restaurant an. Alle schienen sich angeregt zu unterhalten, so als würde sich die französische Atmosphäre auf sie übertragen. Es war kalt, und einige hatten noch ihre Schals um den Hals geschlungen und die Mäntel zwar aufgeknöpft, aber noch nicht ausgezogen, um sich vorher noch ein wenig zu akklimatisieren. Niemand wirkte so nervös, wie er sich fühlte. Er war aufgeregt, weil er gleich seine Mutter treffen würde. Verrückt. Und dann sah er sie.

Wie ein Wirbelwind mit dunklen Locken kam sie durch die Tür herein, einen orangefarbenen Schal um den Hals geschlungen, und streifte sich bereits im Gehen den dicken Wintermantel ab. Und plötzlich empfand er nur noch Liebe und Bewunderung für Katherine »Kossy« Hunt.

Seth stand auf und winkte ihr zu, aber sie wusste bereits, wo er Platz genommen hatte. Sie saßen immer am selben Tisch, wenn sie hier aßen – er stand am Ende eines großen Fensters mit Ausblick auf die Straße, neben einigen Regalen voll mit Schallplatten, Korken in einem Glasgefäß und einem grob geschnitzten Holzkürbis.

Sie ging auf ihn zu und nahm dabei ihren Schal ab.

»Hör zu«, begann Kossy. »Bevor du etwas sagst – ich weiß, dass ich zu spät komme, aber du kannst dir nicht vorstellen, was bei mir heute Vormittag alles los war.«

Seth lächelte. Fast alle Gespräche mit seiner Mom fingen so an. Er zog sie an sich und umarmte sie, und sie stieß den Atem aus, als hätte sie nicht damit gerechnet. Vielleicht hatte er sie ein wenig länger als üblich festgehalten. Sie küsste ihn auf die Wange, hielt ihn dann ein Stück von sich entfernt fest und musterte ihn gründlich.

»Bist du krank?«, fragte Kossy nachdrücklich. »Falls du krank bist, solltest du mir das sagen, bevor ich Ravioli bestelle. Ravioli ist hier mein Lieblingsessen, und wenn es von schlechten Nachrichten begleitet wird, dann …«

»Ich bin nicht krank, Mom«, versicherte Seth ihr.

»Na gut.« Kossy hängte ihren Mantel über die Rückenlehne ihres Stuhls. »Als du mir am Telefon dieses Treffen vorgeschlagen hast, habe ich mich vielleicht sehr gelassen verhalten, aber ich habe selbstverständlich mit deinem Vater über den möglichen Grund gesprochen, bevor ich zur Arbeit gefahren bin.«

Seth war plötzlich ein wenig verunsichert. Er wollte seine Eltern nicht beunruhigen. Auf keinen Fall. Aber er dachte nun schon seit Monaten darüber nach und hatte sich vorgenommen, seine Frage vor dem 1. Dezember zu stellen. Bevor in dieser Jahreszeit alles zu sentimental, verschneit und verzuckert war.

»Dein Vater möchte wissen, ob du schwul bist.«

Seth stieß mit dem Ellbogen an das Wasserglas, sodass einige Tropfen auf den dunklen Holztisch schwappten.

»Ich habe ihm gesagt, dass eine Mutter das schon längst wüsste. Stimmt’s?«, fuhr Kossy fort.

Er wischte das Wasser mit seiner Serviette auf. »Ich bin nicht schwul, Mom.«

Wieder musterte sie ihn prüfend, als wollte sie sicherstellen, dass er das ernst meinte. »Ich bin ein bisschen enttäuscht. Als dein Dad das sagte, habe ich uns schon gemeinsam in der ersten Reihe bei einer Vorstellung von Hello, Dolly! sitzen sehen.«

»Dafür muss ich nicht schwul sein«, erklärte Seth.

Kossy stupste ihn lächelnd am Arm an und lachte dann laut. »Ich weiß, Seth, das war nur ein Witz.« Sie streckte die Hand aus und kniff ihn in die Wange. »Können wir jetzt bestellen? Ich habe den ganzen Vormittag damit verbracht, meinen Gästen zuzusehen, wie sie aus Ton Penisse geformt haben.« Sie verdrehte die Augen. »Eigentlich sollten sie Gefäße töpfern.«

Seine Mom war eine großartige Frau. Sie arbeitete in einem Obdachlosenheim und sorgte dafür, dass zumindest einige der Wohnungslosen in der Stadt etwas zu essen, zu trinken und einen sicheren Schlafplatz hatten. Sie setzte sich außerdem in einigen Kampagnen für sie ein und versuchte, die Stadtverwaltung dazu zu bewegen, noch mehr Zentren wie ihres zu unterstützen. Außerdem lag ihr viel daran, den Bedürftigen nicht nur die lebensnotwendigen Güter zukommen zu lassen, sondern auch ihr Leben zu bereichern. In ihrem neuesten Projekt versuchte sie, Obdachlose – sie nannte sie ihre Gäste – ein wenig mit Kunst vertraut zu machen und sie dazu zu bringen, Gegenstände herzustellen. Das sollte das Selbstwertgefühl steigern. Nicht alle waren von dieser Idee begeistert, doch wenn Kossy erst einmal ein wenig nachgeholfen hatte, genossen die meisten einen produktiven Tag mit der Aussicht auf ein sauberes Bett für die folgende Nacht. Und weil seine Mom eine so wunderbare, hart arbeitende, liebevolle und schöne Frau war, fiel es ihm um so schwerer, ihr seine Frage zu stellen.

Kossy hatte bereits einen Kellner herbeigewinkt und ihr Lieblingsgericht Ravioli mit frischen Pilzen und Ricotta bestellt. Seth bestellte bei jedem ihrer Besuche in diesem Lokal etwas anderes; er zog es vor, alle Gerichte auszuprobieren und jedes Mal etwas zu finden, was er sich eines Tages wieder bestellen oder lieber nicht mehr anrühren wollte. Bisher hatte er allerdings noch nie etwas bekommen, was ihm gar nicht geschmeckt hatte.

»Ich nehme den Nordatlantik-Lachs.« Er gab dem Kellner die Speisekarte zurück. »Sollen wir eine Flasche Wein bestellen?«

»Wenn ich jetzt zum Mittagessen Wein trinke, esse ich anschließend die gebrannten Tongefäße«, erwiderte Kossy. »Für mich ein Mineralwasser.«

»Und für mich ein Glas Malbec, bitte.« Er brauchte einen Schluck Alkohol, um die Sache besser in Angriff nehmen zu können.

»Also«, begann Kossy, beugte sich leicht über den Tisch nach vorne und verschränkte ihre Hände mit den Daumen nach oben. »Hast du schon eine neue Rolle?«

»Noch nicht ganz«, gestand Seth.

»Noch nicht ganz«, wiederholte Kossy. »Ist das eine Geheimsprache unter Schauspielern? Bedeutet das, dass bei irgendeinem Projekt die Ampel auf Gelb steht und du nur noch auf das grüne Licht wartest? Komm schon, Seth, erzähl es deiner Mutter. Brauchst du Geld? Geht es darum?«

»Nein.« Obwohl die Antwort eigentlich ja lauten müsste, wenn seine Flaute noch weiter andauerte. Er schüttelte den Kopf. »Wir haben schon lange nicht mehr zusammen zu Mittag gegessen. Ich dachte … das sei eine gute Idee.«

»Klar, aber das nehme ich dir nicht ab«, erwiderte Kossy. »Entweder steckst du in Schwierigkeiten, oder es handelt sich um jemanden, den du kennst. Was immer es ist – du kannst mir alles sagen, Seth. Wirklich alles. Sind wir zu Hause nicht immer ganz offen miteinander umgegangen? Haben wir beide nicht oft deinem Vater zugehört und uns bemüht, nicht laut loszulachen, wenn er uns erzählt hat, dass er aus Spaghetti ein Sportwagenmodell hatte nachbauen wollen?«

Seth grinste unwillkürlich. Er wusste, dass er seiner Mutter alles anvertrauen konnte – sie würde immer ehrlich und offen reagieren –, aber jetzt ging es um etwas ganz anderes, und er fühlte sich unbehaglich dabei. Obwohl er die Gelegenheit dazu gehabt hätte, hatte er das Thema in den letzten sechzehn Jahren nie angesprochen. Er war derjenige gewesen, der behauptet hatte, es nicht wissen zu wollen. Eigentlich verstand er nicht, warum er jetzt plötzlich diese Information haben wollte, aber seit einem Vorsprechen vor einem Monat ließ ihm dieses quälende Gefühl keine Ruhe mehr.

»Wir sollten auf die Ravioli warten«, sagte Seth leise. Oder zumindest auf den Rotwein und den Moment, in dem er den ersten Schluck des samtweichen Alkohols auf seiner Zunge schmecken konnte.

»Ich habe es dir gesagt – jetzt, wo ich Ravioli bestellt habe, darf es sich nicht um schlechte Neuigkeiten handeln, sonst ist mir das Essen hier für alle Ewigkeit verleidet.«

»Das würde ich dir nicht antun«, erwiderte Seth.

»Hast du etwa eine Rolle in einer Filmbiografie bekommen? Du weißt, dass ich diese Biografien nicht ausstehen kann – mit Ausnahme der von Winston Churchill.« Sie atmete hörbar ein und schlug die Hände vors Gesicht. »Ist dir eine Rolle angeboten worden, die eigentlich Gary Oldman hätte spielen sollen?«

»Nein.« Er schüttelte den Kopf. Wenn das nur der Fall wäre …

»Seth, komm schon, erzähl’s mir, Schätzchen. Du spannst mich auf die Folter.«

Er räusperte sich. Das musste er sich abgewöhnen. Es klang nach einem Mangel an Selbstvertrauen, und das war für einen Schauspieler sehr ungünstig. »Mom …«

»Lass diese Pausen und rede endlich, Seth. Als du den Angstpatienten gespielt hast, hast du das auch ständig gemacht. Ich habe mir dabei sämtliche Fingernägel abgebissen und wäre beinahe über die deines Vaters hergefallen.«

»Ich möchte, dass du mir sagt, woher ich komme.«