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Wissen in Bewegung E-Book

Gregor Schöllgen

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Beschreibung

Die vor 275 Jahren in Erlangen gegründete Friedrich- Alexander-Universität mit ihren 265 Studiengängen ist Bayerns einzige Volluniversität. Denn sie verfügt sowohl über eine Technische als auch über eine Medizinische Fakultät inklusive eines hochmodernen Klinikums. Die dort oder auch in der Naturwissenschaftlichen Fakultät ansässigen Disziplinen sorgen dafür, dass diese innovative Hochschule heute in vielen Bereichen national wie international eine Spitzenposition einnimmt. Der Historiker Gregor Schöllgen, der hier von 1985 bis 2017 lehrte, ist der erstaunlichen Geschichte auf den Grund gegangen und zeigt, welche Kraft diese vielseitige Universität aus der dynamischen Bewegung ihres geballten Wissens zieht.

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Seitenzahl: 331

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Das Buch

Die vor 275 Jahren in Erlangen gegründete Friedrich-Alexander-Universität mit ihren 265 Studiengängen ist Bayerns einzige Volluniversität. Denn sie baut nicht nur auf dem klassischen Grundstock einer Philosophischen, Theologischen, Juristischen, seit 1961 auch einer Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät auf, sondern sie verfügt sowohl über eine Technische als auch über eine Medizinische Fakultät inklusive eines hoch-modernen Klinikums. Die dort oder auch in der Naturwissenschaftlichen Fakultät ansässigen Disziplinen sorgen dafür, dass die FAU heute als die innovativste deutsche Hochschule in Europa gilt. Der Historiker Gregor Schöllgen geht dieser erstaunlichen Geschichte auf den Grund und zeigt, welche Kraft diese vielseitige Universität aus der dynamischen Bewegung ihres geballten Wissens zieht.

Der Autor

Gregor Schöllgen – Jahrgang 1952, 1977 Promotion im Fach Philosophie, 1982 Habilitation für Neuere Geschichte – unterrichtete von 1985 bis 2017 Neuere und Neueste Geschichte an der Friedrich-Alexander-Universität. Er lehrte als Gastprofessor in New York, Oxford und London und war jahrzehntelang für die historische Ausbildung der Attachés im Auswärtigen Amt verantwortlich. Schöllgen ist Mitherausgeber der Akten des Auswärtigen Amtes und des Nachlasses von Willy Brandt, schreibt für Presse, Hörfunk und Fernsehen und ist Autor zahlreicher Sachbücher und Biographien. Zuletzt erschien bei DVA »Krieg. Hundert Jahre Weltgeschichte« (2017).

GREGOR SCHÖLLGEN

In Zusammenarbeit mit Claus W. Schäfer

WISSEN IN BEWEGUNG

Die Friedrich-Alexander-Universität

Deutsche Verlags-Anstalt

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

1. Auflage

Copyright © 2018 Deutsche Verlags-Anstalt, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat und Satz: Peter Palm, Berlin

Gesetzt aus der Minion Pro

Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

ISBN 978-3-641-23664-9V001

www.dva.de

Inhalt

Vorwort

I VIELFALT, INNOVATION, LEIDENSCHAFT

Die Friedrich-Alexander-Universität 1743–2018

Die Gründung · Neuer Sitz, neuer Name · Unter preußischer Ägide · Große Gelehrte · Die Fakultäten · Die Universität als Dienstleister · Lehre und Forschung · Drittmittel und Zielverein­barungen · Wildwuchs der Zen­tren · Die FAU und ihre Konkurrenten · Erlanger Theologie · Natur- und Kulturwissenschaften · Die FAU im Nationalsozia­lismus · Mitläufer und Täter · Neue Horizonte, neue Disziplinen · Die Achtundsech­ziger · Inflation der Professuren · Akademische Beamte · Bildungskatastrophe · Die erste Übernahme · Erlangen-Nürnberg · Gründung der Technischen Fakultät · Die Gegengründung von Nürnberg · Siemens zum Ersten · Die Verwaltung als gestaltende Kraft · Die Kliniken als Kapital · Die zweite Übernahme · Die Reform der Reform · Wissenschaft und ­Politik

II WISSEN IN BEWEGUNG

Biographie einer dynamischen Universität

1 Die Welt begreifen

»Der Gegenwart etwas sagen« · Theologen, Philosophen und Juristen · Berufungspolitik · Maß und Mittelmaß · Die Habilitation · Neue Fragen, neue Fächer · Der Einzelne und die vielen · Kultur und Geographie · Sammlungen und Museen · Die Blüte der ­Orchideen · Die Marginalisierung der Großen · International · Bürokraten und Reformen · Brücken zwischen Disziplinen · Freie Wirtschaft und freie Wissenschaft · Angewandte Geschichte · Lange Nächte · Grobe Plagiate · Bröselnde Bauten · Vermarktung einer Universität

2 Das Leben beleben

Sport und Medizin · Duell der Chirurgen · Nürnberger Konkurrenten · Plastische Chirurgie · Translational · Generalplan Medizin · Das Auge im Blick · Spiegel und Sonden · Emerging Fields · Viren im Visier · Dienste leisten · Frauen heilen · Kinder zeugen · Versuche am Tier · Experiment am Embryo · Von schneller und langsamer Wissenschaft · Ethik an der FAU · Tanzen und Turnen · Sport und Politik · Sport als Wissenschaft · Public Health · Wo siedelt der Sport?

3 Das Unsichtbare sichtbar machen

Die Geburt der Naturwissenschaften · Die Kraft der Atome · Theorie der Physik · Baby-Boomer · Mesonen · Rufen und gerufen werden · Neutrinos und Müonen · ANTARES · Zu den Sternen · Centre for Astroparticle Physics · Der Blick ins All · Es werde Licht · Optik, Information und ­Photonik · Erlangen Graduate School · Physik des Lichts · Forschung ­im Großen und Kleinen · Photonische Fasern · Leuchtende Moleküle · Medizin und Technik · Bildgebende Verfahren · Siemens zum Zweiten · An einem Strang · Medizinische Physik

4 Die Forschung anwenden

Die Suche nach dem Ingenieur · Ein neuer Typ · Chemie- und Bioinge­nieure · Preise, Grants und Exzellente Cluster · Erneuerbare Energien · Siedeln auf der Brache · Energie Campus · Informatik · Elektrotechnik · Töne und Frequenzen · Der Transfer des Wissens · Der Wissenschaftler als Erfinder · Mikroelektronik · Collegium Alexandrinum · Spenden und Stiften · Elektronische Bauelemente · Integrierte Schaltungen · Musik ­codieren · Zukunft stiften · Einsamkeit und Freiheit · Wirtschaftsinformatik · Flügge werden · Start Ups

5 Das Neue erschaffen

Künstliche Stoffe · Werkstoffwissenschaften · Ausbilden und Bilden · Taten und Titel · Ruinen und Paläste · Fürth als Standort · Glas und Keramik · Fehlerfreie Fertigung · Siemens zum Dritten · Medical Valley · Biomaterialien · Fertigungstechnik · Laser als Werkzeug · Studentische Überlast · Frauen an der FAU · Der Charakter der Bleche · Organische Chemie · Wundermaterial Graphen · Werkstoff des 21. Jahrhunderts · Wo ein Wille, da ein Weg

III 275 JAHRE FRIEDRICH-ALEXANDER-UNIVERSITÄT

Bilanz und Ausblick

Ungeahnte Herausforderungen, souveräne Lösungen · Die Voll­universität als Kapital · Auf der Suche nach der verlorenen Identität · Ein Campus als Zentrum · Der Name als Marke

IV QUELLEN UND LITERATUR

Abkürzungen

Personenregister

Vorwort

Mit 64 Studenten und 16 Ordinarien fing es an. 40 000 Studierende, 600 Professoren und rund 14 000 Mitarbeiter, die der Kliniken eingeschlossen, sind es 2018, dem Jahr, in dem die Friedrich-Alexander-Universität zu Erlangen ihren 275. Geburtstag feiert. Zwischen diesen beiden Polen liegt eine überraschende Geschichte. Vor allem ihre letzten Etappen sind Gegenstand dieses Buches.

Es ist keine Jubiläumsschrift, sondern eine kritische Bilanz. Alles andere wäre unglaubwürdig. Eine Universität, zumal eine Volluniversität, kennt eben nicht nur Erfolge. Außerdem spiegeln sich in der Geschichte einer Universität die Zeitläufte, und das heißt im Falle der jüngeren deutschen Geschichte auch: das Versagen einer Nation. Nicht zuletzt aber »sollten« die Angehörigen der Universität »Kenntnis davon erhalten, was sie geerbt« haben.

Mit diesem Anspruch ging Alfred Wendehorst ans Werk, als er vor 25 Jahren seine Geschichte der Universität von 1743 bis 1993 vorlegte. Aus den Beständen des Universitätsarchivs gehoben, bildet sie bis heute eine solide, auch für mich hilfreiche Grundlage der Universitätsgeschichte bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Daran schließt dieses Buch an. Es zeichnet die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte bis in unsere Tage nach, und das heißt auch: Anders als das erklärtermaßen und wohl auch generationsbedingt bei Alfred Wendehorst der Fall gewesen ist, habe ich keine Berührungsängste mit unserer Gegenwart, im Gegenteil. Anders als Wendehorst das handhabte, schließt meine Darstellung der Geschichte dieser Universität auch die Standorte ein, die jenseits der Erlanger Stadtgrenze, also in Nürnberg, Bamberg, Fürth und Pleinfeld, liegen.

Das ist keine geringe Herausforderung, denn die Geschichte der FAU während der vergangenen Jahrzehnte ist auch die Geschichte einer ungeheuer dynamischen Expansion, insbesondere in der Medizin und in den Naturwissenschaften, der Technik und der Informatik. Mit diesem Tempo konnten oder wollten die Geisteswissenschaften, die Theologie und die Rechtswissenschaften selten Schritt halten. Sie werden dort gewürdigt, wo sie das Profil der Universität geschärft oder auch geprägt haben.

Das Buch ist keine Universitätsgeschichte im herkömmlichen Sinn. Um nicht bei einem mehrbändigen Werk zu enden, habe ich mich für eine beispielhafte Darstellung und auch dafür entschieden, die Entwicklung der ausgewählten Bereiche im Spiegel der Biographien ihrer Repräsentanten zu schildern. Die Kriterien für die Auswahl erschließen sich aus der Darstellung.

Schon weil diese die Medizin und die Naturwissenschaften, die Technik und die Informatik einschließt, ist sie wegen der Fachterminologie in einigen Partien sprachlich komplex. Um das Buch auch hier lesbar zu halten, habe ich unter anderem auf die sprachliche Unterscheidung der Geschlechter (»Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter«) verzichtet und mich in den meisten Fällen des generischen Maskulinums bedient.

Ohne mannigfache Unterstützung hätte ich das Projekt kaum stemmen können. Danken will ich vor allem zahlreichen aktiven und ehemaligen Mitarbeitern und Studierenden der Universität für ihre Gesprächsbereitschaft oder auch für die Überlassung von Informationen und Materialien aller Art. Das gilt vor allem für den Universitätsarchivar Dr. Clemens Wachter.

Mein Dank gilt einmal mehr meinen Mitarbeitern Dr. Matthias Klaus Braun, Dr. Dimitrios Gounaris und insbesondere Dr. Claus W. Schäfer, von dem die Textgrundlage der Kapitel II.2 bis II.5 stammt. Zu Viert haben wir wissenschaftliche Gefilde durchstreift, die mir in manchen Gegenden fremd oder sogar unbekannt gewesen sind, obgleich ich dieser Universität 33 Jahre lang angehört habe. Dass mir Kollegen anderer Fakultäten bei der Erschließung ihrer Disziplinen behilflich gewesen sind, weiß ich sehr zu schätzen.

Nicht zuletzt danke ich den in Nürnberg ansässigen Schöller-Stiftungen. Der Friedrich-Alexander-Universität seit Jahren und auf vielfältige Art als Förderin verbunden, haben sie auch die Drucklegung der deutsch- und englischsprachigen Ausgabe dieses Buches durch einen großzügigen Druckkostenzuschuss ermöglicht.

Schließlich die Universität. Vertreten durch ihren Präsidenten, Professor Dr. Joachim Hornegger, hat sie die Entstehung des Buches von Anfang an unterstützt und vor allem durch die Bereitstellung der Infrastruktur gefördert. Dass damit weder direkt noch indirekt Einfluss auf die Ergebnisse meiner Arbeit genommen werden durfte, verstand sich für beide Seiten von selbst; dass sich die Universität bis zuletzt und ohne Abstriche daran gehalten hat, weiß ich zu würdigen.

Erlangen, im Frühjahr 2018

Gregor Schöllgen

I VIELFALT, INNOVATION, LEIDENSCHAFT

Die Friedrich-Alexander-Universität 1743–2018

Wer nicht vorwärtskommt«, schrieb Preußens Kronprinz Friedrich 1731 an seinen Kammerjunker, »der geht zurück.« Friedrich war der Bruder Wilhelmines von Preußen, die in eben diesem Jahr 1731 Friedrich von Brandenburg-Bayreuth, den späteren Gründer der Erlanger Universität, ehelichte und in der Frühgeschichte der Alma Mater erkennbare Spuren hinterlassen hat. Der Bruder, der seit 1740 als König Friedrich II. von Preußen eine bedeutende Karriere machte, bezog seine Maxime auf die »große Politik«.

Aber natürlich ist sie auf andere Bereiche des privaten wie des öffentlichen Lebens anwendbar. Auch auf die Wissenschaft. Wenn Wissen stagniert, unterliegt es im dynamischen Wettbewerb der Wissenschaften. Und wenn Wissen dort ins Hintertreffen gerät, vermag es wenig zu bewegen. Also muss Wissen in Bewegung bleiben. Dabei hilft ein Freiraum wie die Universität, die Wissen fordert, fördert und vermittelt, weil sie das »ununterbrochene, sich immer selbst wieder belebende« Gespräch sicherstellt. In diesem Gespräch sah Wilhelm von Humboldt, einer der Väter der modernen Universität, am Anfang des 19. Jahrhunderts ihr entscheidendes Merkmal. Weil die Universität aber kein extraterritorialer Raum ist, weil sich in diesem Gespräch immer die politischen und die wirtschaftlichen, die gesellschaftlichen und die kulturellen Entwicklungen spiegeln, unterliegt auch die Universität einem kontinuierlichen Wandel. So gesehen dürfte die heutige Friedrich-Alexander-Universität eigentlich kaum noch etwas mit jener Universität gemeinsam haben, die vor 275 Jahren in Erlangen das Licht der Welt erblickte.

Tatsächlich führt die FAU nicht einmal mehr ihren ursprünglichen Namen. Denn als sie am 4. November 1743 als eine der letzten im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation ihre Arbeit aufnahm, wurde sie nach ihrem Gründer, dem Markgrafen Friedrich von Brandenburg-Bayreuth, benannt, hieß also »Friedrichs-Universität«. Erst seit einem Regierungswechsel, durch den 1769 der Ansbacher Markgraf Alexander zum Landesherrn und nicht nur wegen der Namensgebung zum zweiten Gründer der Universität wurde, firmiert sie als »Friedrich-Alexander-Universität«.

Was für den Namen gilt, gilt auch für den Standort. Die vormalige Ritterakademie, welche die Universität mit der Gründung bezog, war schon gut 80 Jahre später nicht mehr ihr Sitz. Seit 1825 residiert sie im Erlanger Schloss. Es war der Universität nach dem Tod von Markgräfin Sophie Karoline, der zweiten Frau und Witwe des Universitätsgründers Friedrich, 1818 durch den bayerischen König Maximilian I. Joseph übereignet worden.

Mit dem Schloss kamen angrenzende Gebäude wie die Orangerie und nicht zuletzt der Schlossgarten in den Besitz der Erlanger Alma Mater. Keine zweite deutsche Universität verfügt heute über ein vergleichbar attraktives Herz. Dieses bildet eine nicht unwesentliche Voraussetzung für die Wiederbelebung oder auch die Stiftung einer eigenen Identität – vorausgesetzt, man will, sucht und findet sie.

Das gestaltet sich heute schwieriger denn je, lässt sich doch längst nicht mehr von der Friedrich-Alexander-Universität »Erlangen« sprechen. Zwar residieren Leitung und Verwaltung nach wie vor im Schloss zu Erlangen; auch haben die überwältigende Mehrheit der Fakultäten und Institute sowie die Kliniken ihren Sitz in der Stadt. Doch seit 1961 gibt die Universität als Standort »Erlangen-Nürnberg« an, was zugleich den nach 1743 zweiten Namenswechsel ihrer Geschichte bedeutete. 1961 wurde ihr infolge einer Fusion die Nürnberger Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften als eigene Fakultät angegliedert, 1972 gefolgt von der in Nürnberg ansässigen Pädagogischen Hochschule. Seither hat die FAU von weiteren Städten Besitz ergriffen: Schon 1962 wurde die 1889 privat gegründete Bamberger Sternwarte der Universität als Astronomisches Institut integriert, 2003 weihte man ihr Wassersportzentrum in Pleinfeld ein und 2006 öffnete das Zentralinstitut für Neue Materialien und Prozesstechnik seine Tore in Fürth.

Dem ersten Namenswandel des Jahres 1769 folgte ein wiederholter Besitzerwechsel. Er war das Ergebnis der politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen während der Napoleonischen Ära. Nachdem die landesherrliche Gewalt in den zollernschen Fürstentümern Ansbach und Bayreuth 1792, also noch zu Lebzeiten des kinderlosen Fürsten Alexander, an das Königreich Preußen übertragen worden war, fielen die Fürstentümer nach der Niederlage Preußens gegen Napoleon 1806 beziehungsweise 1807 an Frankreich, das sie im Zuge einer allgemeinen Flurbereinigung 1810 vertraglich an das Königreich Bayern abtrat. Mit Patent vom 7. April 1810 »ergriff« der bayerische König von der Universität »Besitz«, am 25. November desselben Jahres verfügte er, diese nicht, wie zeitweilig erwogen, zu schließen, sondern »fortbestehen zu lassen«. Selbstverständlich war das nicht, denn bis 1818 wurde mehr als die Hälfte der 42 Universitäten im deutschen Sprachraum geschlossen.

Die verwickelte Geschichte der politischen Rahmenbedingungen an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert muss hier im Einzelnen nicht nacherzählt werden. Festzuhalten ist aber, dass die Universität während der rund 15 Jahre, in denen sie durch Preußen verwaltet und durch Karl August von Hardenberg zunächst von Ansbach und Bayreuth, dann von Berlin aus auf Vordermann gebracht wurde, eine beachtliche Entwicklung genommen und »vollends … eine Stelle unter den ersten Universitäten Deutschlands« eingenommen hat. Das wiederum gab Camille de Tournon, der sie während des französischen Intermezzos mit Umsicht dirigierte, im Rückblick zu Protokoll.

Unter preußischer Ägide wurden das Clinicum medicum, also das Universitätskrankenhaus, gegründet und bedeutende natur- und kulturhistorische Sammlungen erworben, aufgebaut oder in neuen Gebäuden untergebracht. Überdies gelang die Berufung namhafter Gelehrter, darunter des Philosophen Johann Gottlieb Fichte, auch wenn der – trotz eines beachtlichen jährlichen Salärs inklusive fünf Klaftern Holz – 1805 nur für ein Semester blieb. Wer weiß, was andernfalls aus der FAU geworden wäre, denn Fichte gehörte neben Wilhelm von Humboldt und Friedrich Schleiermacher zu den Gelehrten, die der deutschen Universität an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert eine zeitgemäße Reform verpassen wollten.

Überhaupt hatte die Erlanger Universität bei der Berufung bedeutender Philosophen dieser Zeit keine besonders glückliche Hand. Immanuel Kant hatte den Ruf 1769 schon angenommen, gab dann aber seiner Heimatstadt Königsberg den Vorzug. Georg Wilhelm Friedrich Hegel wiederum, Direktor des Nürnberger Egidien-Gymnasiums, leistete 1816 der Ernennung durch Bayerns König nicht Folge, sondern ging nach Heidelberg. Die durch Maximilian I. Joseph übergangene Erlanger Fakultät hatte dem Philosophen nämlich deutlich signalisiert, dass der Ruf »in der Form des leidenden Gehorsams«, also nur widerwillig erfolge. Nicht zum letzten Mal wird hier die Sorge vor intellektueller Konkurrenz und mit ihr der Hang zum Mittelmaß greifbar, die nicht nur die Philosophische Fakultät bis heute gelegentlich heimsuchen.

Immerhin konnte sich 1828 mit Ludwig Feuerbach ein Schüler Hegels – und maßgeblicher Vordenker von Karl Marx – in Erlangen habilitieren und bis 1837 eine Spur im Vorlesungsverzeichnis hinterlassen. Dass wenige Jahre zuvor mit Friedrich Wilhelm Joseph Schelling der – neben Kant, Fichte und Hegel – vierte herausragende Vertreter des deutschen Idealismus seinen Weg nach Erlangen gefunden hatte, lag nicht an einer geglückten Berufung, sondern an seiner Gesundheit. Um sie wiederherzustellen, lebte der Philosoph einige Jahre in der Stadt und hielt, ohne der Fakultät anzugehören, von 1821 bis 1823 prall besuchte Vorlesungen.

Die Philosophen waren so gesehen ein besonderer Fall. Andere bedeutende Gelehrte hielt es länger in dieser Stadt und an dieser Fakultät, mitunter ein Leben lang. So Johann Christian Daniel von Schreber, der 1769 für Botanik und Naturgeschichte, Ökonomie und Kameralwissenschaften berufen wurde und bis zu seinem Tod 1810 in Erlangen wirkte. Er erlebte alle Besitzerwechsel der Universität, war von 1791 bis 1810 Präsident der Kaiserlichen Leopoldinisch-Carolinischen Akademie der Naturforscher, der weltweit ältesten ununterbrochen bestehenden ihrer Art, und schuf in dieser Zeit ein ungemein vielseitiges, umfangreiches Werk. Zudem gab er eine Reihe von Werken seines Lehrers Carl von Linné sowie des bedeutenden Naturforschers und Russlandreisenden Peter Simon Pallas heraus, letztere übrigens im Erlanger Verlag Wolfgang und Johann Salomon Walther. Das Beispiel dieses herausragenden Gelehrten zeigt, dass die Erlanger Universität ihre Außenwirkung nicht als Institution, sondern über einige ihrer exzellenten Angehörigen entfaltete.

Zu ihnen zählte im 19. Jahrhundert der Dichter, Übersetzer und Mitbegründer der deutschen Orientalistik Friedrich Rückert. An ihn wie auch an Schreber – und nur an diese beiden Professoren – wird der Besucher des Schlossgartens bis heute durch eine Stele beziehungsweise einen Brunnen erinnert. Bis er 1841 dem Ruf des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. folgte und für wenige Jahre nach Berlin ging, wirkte Rückert anderthalb Jahrzehnte lang an der fränkischen Universität. Mit bis zu 40 Sprachen vertraut, übersetzte er während seiner Erlanger Zeit unter anderem den Koran ins Deutsche und trug so das Seine dazu bei, dass sich der Ruf der Universität nicht nur in der deutschsprachigen gelehrten Welt festigte.

Als Rückert die Universität verließ, hatte sich das Profil seiner – der Philosophischen – Fakultät verglichen mit den Gründungsjahren der FAU beträchtlich gewandelt. Da die Voraussetzungen für den Besuch einer Universität bis zum beginnenden 19. Jahrhundert nicht geregelt waren und viele Studenten bestenfalls rudimentäre Kenntnisse des Lesens, Schreibens oder auch Rechnens sowie der Allgemeinbildung mitbrachten, mussten die Universitäten ein entsprechendes Fundament legen. Diese propädeutischen Funktionen fielen der im Mittelalter gegründeten sogenannten Artistenfakultät zu, der Vorläuferin der Philosophischen Fakultät. Unterrichtet wurden hier die sogenannten artes liberales, also Grammatik, Rhetorik, Dialektik einerseits, Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik andererseits.

Folglich besaß die Artistenfakultät als »untere« beziehungsweise »dienende« gegenüber allen übrigen »höheren« Fakultäten eine Sonderstellung. In ihrem damaligen Selbstverständnis war sie – eben deshalb – die entscheidende, die erste Fakultät. Im heutigen Sprachgebrauch war sie ein Dienstleister. Nur wer an der Artistenfakultät sein Bakkalaureat bestanden hatte, konnte eine der oberen Fakultäten besuchen, konnte Jurisprudenz, Theologie oder Medizin studieren und stand damit dem Markt, also der staatlichen Verwaltung, den Kirchen oder auch den Hospitälern oder Krankenhäusern, zur Verfügung. So gesehen war auch die Universität insgesamt immer schon ein Dienstleister.

Das gilt bis heute für traditionelle Felder wie die Ausbildung von Lehrern, Juristen und Medizinern, für die Kliniken sowieso: Die Reproduktionsmedizin und die Virologie, die Frauenheil- und die Augenheilkunde, die Plastische Chirurgie oder auch die Medizintechnik, um die es in Kapitel II.3 beispielhaft gehen wird, zählen heute zu den führenden Einrichtungen nicht nur in Deutschland. Und es gilt für Bereiche, die sich die FAU in den beiden vergangenen Jahrzehnten neu erschlossen hat und die beispielhaft in den Kapiteln II.1 und II.2 vorgestellt werden – so der an der Schnittstelle von Sport und Medizin angesiedelte Komplex Public Health oder das Zentrum für Angewandte Geschichte ZAG, das mit seinen Themen und seiner Finanzierung eine Brücke zwischen den Geisteswissenschaften und der freien Wirtschaft schlug.

Grundsätzlich hatte sich an der Stellung und den Aufgaben der »dienenden« Fakultät nichts geändert, als die Erlanger Universität 1743 ihre Tore öffnete, auch wenn sie hier schon nicht mehr als »Artisten-«, sondern von Anfang an als »Philosophische« Fakultät firmierte. Selbst nachdem die Schule 1820 organisatorisch von der Universität getrennt und 1829 das Abitur auch in Bayern eingeführt worden war, blieb der Besuch der Philosophischen Fakultät für alle Studenten verpflichtend. 1849 wurde er an der FAU immerhin noch empfohlen, und 1891 wurde diese Empfehlung wiederholt.

Welche soziale Sprengkraft in der fehlenden elementaren Qualifikation vieler, wenn nicht der meisten Studienanfänger steckte, haben schon die beiden Namensgeber, die Markgrafen Friedrich und Alexander, erkannt. Ersterer riet 1746 dazu, »zum Studieren untüchtigen« Kandidaten im Interesse aller, auch ihrer Eltern, die Erlernung eines Berufs oder eines Handwerks nahezulegen, die ihren Fähigkeiten entsprachen. Letzterer sah die Gefahr, dass andernfalls das Land »mit Stümpern und Halbgelehrten überschwemmt« werde.

Vergleichbares gilt heute wieder, nur dass die Erlanger Universität nicht mehr, wie zur Zeit ihrer Gründung, einige Dutzend, sondern fast 40 000 Studierende zählt. Man wird – auch in den naturwissenschaftlichen oder technischen Disziplinen – schwerlich einen Hochschullehrer finden, der dem überwiegenden Teil der Abiturienten gute oder auch nur völlig ausreichende Voraussetzungen für ein Studium attestieren würde. Es war und bleibt ein Balanceakt, denn selbstverständlich haben alle Abiturienten das verfassungsmäßig garantierte Recht, eine Universität zu besuchen. Ebenso selbstverständlich gilt das nicht nur für die Erlanger Universität, aber von ihr ist nun einmal hier die Rede.

Besonders dramatisch ist die Situation an der Philosophischen Fakultät, die nicht zuletzt davon lebt, dass ihre Studenten zumindest der Muttersprache – also in den meisten Fällen des Deutschen – mächtig sind. Das lässt sich heute lediglich noch von einer Minderheit sagen. Von den gravierenden Defiziten wie allerdings auch den hausgemachten Missständen zeugt die Quote der Studienabbrecher, die in einigen Fächern bei deutlich über 50, in manchen wie der Mathematik sogar bei bis zu 80 Prozent liegt; davon zeugt – eben deshalb – auch die Einrichtung der Bachelorstudiengänge, die nicht zuletzt eine Notmaßnahme war und dem Zweck diente, möglichst viele Studierende in möglichst kurzer Zeit zu einem Abschluss zu führen, wie und zu welchem Preis auch immer. Dass der Bachelor schon phonetisch an das mittelalterliche und frühneuzeitliche Bakkalaureat erinnert, war den Verantwortlichen vermutlich nicht bewusst. Auch das überrascht nicht.

Und noch in einer anderen Hinsicht gleicht die heutige FAU wieder der vor 275 Jahren etablierten Erlanger Universität. Und in diesem Fall ist das zunächst einmal eine gute Nachricht, denn sie zeugt von der ungeheuer dynamischen Entwicklung vieler Disziplinen wie der Medizin und den Naturwissenschaften, der Technik oder auch der Informatik.

Wie ältere vergleichbare Universitäten war auch die in Erlangen als Ort der Lehre, nicht der Forschung eingerichtet worden. Forschung und Lehre blieben weitgehend getrennt, bis deren Einheit nach der Wende zum 19. Jahrhundert – durch Wilhelm von Humboldt in Berlin angestoßen und in Bayern nach 1848 zögernd umgesetzt – schrittweise überwunden, wenn auch nie ganz aufgehoben wurde. Die Lehre blieb der Universität vorbehalten, intensive Forschung fand vor allem an außeruniversitären Einrichtungen statt.

Auch in Preußen. Dort war dieser Weg, beginnend mit der Gründung des Collegium Medico-Chirurgicum, schon 1724 eingeschlagen und in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts konsequent weiter verfolgt worden – so 1770 mit der Bergakademie, 1790 mit der Tierarzneischule, 1799 mit der Bauakademie oder 1806 mit dem Ackerbau-Institut. Dass man den Bau des erwähnten Erlanger Clinicum medicum 1803, also in der kurzen Zeit unter preußischer Regie, aufnahm, war eben kein Zufall.

Seit 1911 besaßen die prosperierenden Naturwissenschaften, aber auch die Medizin oder die Technik in der nach ihrem Schirmherrn benannten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften eine nachgerade ideale Entfaltungs- und Entwicklungsmöglichkeit. Paul Hinneberg – Historiker und Herausgeber, einer der ersten deutschen Wissenschaftsmanager – wusste, warum er das auf bis zu 60 Bände angelegte, nie vollendete Jahrhundertwerk »Die Kultur der Gegenwart« 1906 Wilhelm II. widmete. Dass die Gesellschaft den Namen des vormaligen deutschen Kaisers und Königs von Preußen trug, bis sie 1948 in Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften umbenannt wurde, spricht für sich.

Im Fall der Theologie, der Rechts- und der Geisteswissenschaften blieben vor allem die Akademien der Wissenschaften auch im 19. Jahrhundert Zentren außeruniversitärer Forschungen. Den Anfang hatte 1700 – auch hier – die Preußische Akademie gemacht, 1751 gefolgt von der Göttingischen Gelehrten Gesellschaft und – später für Erlangen bedeutsam – 1759 von der Churfürstlichen bairischen Akademie in München. Wie die erwähnten medizinischen und technischen Einrichtungen standen sie von Beginn an auch für die »Auswanderung der Wissenschaften aus der Universität«, worauf Helmut Schelsky, einer der besten Kenner der deutschen Universität, aufmerksam machte.

Die Akademien der Wissenschaften ergänzten traditionellere Einrichtungen wie die Klöster, die Naturalien-, Münz- und Antikenkabinette und nicht zuletzt die Bibliotheken wie die Erlanger Universitätsbibliothek. Deren Grundstock bildeten die Bestände der fürstlich-bayreuthischen Bibliothek, der Privatbibliothek der Markgräfin Wilhelmine oder auch der Ansbacher Schlossbibliothek. Als es dann nach Auflösung der benachbarten Altdorfer Universität 1818 gelang, deren Bestand mit Tausenden von Büchern, Briefen und Dissertationen zu integrieren, verfügte die Erlanger Universität über eine ausgesprochen attraktive Einrichtung.

Die Universitäts- wie auch die Fach- und Seminarbibliotheken sind bis heute Heimstätten der Forschung, verlieren allerdings in dem Maße an Bedeutung, in dem sich der digitale Zugriff auf das Wissen der Welt durchsetzt. Und dann geraten die Bibliotheken wie mehr oder weniger alle traditionellen Einrichtungen der Universität von anderer Seite unter Druck: Wenn es ein durchgängiges Merkmal der jüngeren Geschichte auch der FAU gibt, dann ist es die sich beschleunigende Auslagerung der Forschung und deren »großbetriebliche Organisation«, um noch einmal Helmut Schelsky zu zitieren.

Sichtbar wird dieser Prozess in der seriellen Gründung von Zentren aller Art, wie die der Universität assoziierten Institute: Das 1985 gegründete heutige Fraunhofer-Institut für Integrierte SchaltungenIIS, das 2009 ins Leben gerufene Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts oder das 2013 eingerichtete Helmholtz-Institut Erlangen-Nürnberg für Erneuerbare EnergienHIERN, die im folgenden Kapitel II vorgestellt werden, zählen heute zu den national wie international renommiertesten Adressen der FAU.

Die Verbindung zur Universität im engeren Sinn bilden die Forscher in ihrer Eigenschaft als Hochschullehrer. Die mehr oder weniger strikte Trennung von Forschung und Lehre, die an die frühen Zeiten der FAU erinnert, vermögen sie allerdings nicht aufzuheben. Vielmehr liegt es in der Natur der zusehends spezialisierten Forschung, dass sich ihre Themen, ihre Verfahren, ihre Ergebnisse kaum für die Vermittlung im Lehrbetrieb eignen, sofern die Lehre Grundlagen legen und – schnellstmöglich – zu einem Abschluss führen soll.

Auch das gilt selbstredend nicht nur für diese, sondern für alle Universitäten. Die Musik spielt in der Forschung, schon weil sich viele Hochschullehrer über längere Zeiträume von ihren Lehrverpflichtungen ganz oder teilweise entbinden lassen, um sich ihren Forschungen zu widmen – und um die Gelder für ihre Fächer, Institute oder Zentren zu beschaffen. »Einwerben von Drittmitteln« wird dieses Unterfangen genannt.

»Unter Drittmitteln werden diejenigen finanziellen Mittel verstanden, die den Hochschulen und Forschungseinrichtungen oder einzelnen Forschern in diesen Institutionen über die vom Unterhaltsträger zur Verfügung gestellten laufenden Haushaltsmittel und Investitionen (Grundausstattung) zusätzlich von dritter Seite zufließen.« So hieß es im Juli 1983 in der Unterrichtung des Deutschen Bundestages durch die Bundesregierung. Der Zeitpunkt markiert ziemlich genau die Grenze, jenseits derer die »Unterhaltsträger«, also der Bund und vor allem die Länder, ihre finanziellen Verpflichtungen auf die Hochschulen und damit auf die einzelnen Hochschullehrer abzuwälzen begannen. Zwischen 2005 und 2015 hat sich der Anteil der Drittmittel an den Etats beinahe verdoppelt. Heute stammen 70 Prozent des Wachstums der Hochschulfinanzen aus dieser Quelle.

Folglich definiert sich die Leistungsfähigkeit einer Hochschule im nationalen wie im internationalen Vergleich, dem »Ranking«, nicht zuletzt über ihre Drittmitteleinnahmen. Die FAU nimmt mit etwa 200 Millionen Euro im Jahr 2017 auf diesem Feld seit Jahren eine Spitzenstellung ein. Wie bedeutend diese Summe ist, zeigt der Gesamtetat der Universität, der sich 2017 – inklusive Kliniken und eben Drittmittel – auf rund 1,34 Milliarden Euro belief.

Dass die FAU auf einem anderen Gebiet, dem »Gleichstellungsranking«, in der Gesamtwertung auf dem letzten von 64 Plätzen rangierte, zeitigte bizarre Folgen. Im Januar 2018 wurden die inzwischen als »Departments« firmierenden vormaligen Institute der Philosophischen Fakultät inklusive des Fachbereichs Theologie durch das Dekanat angehalten, »im Rahmen der Zielvereinbarung 2018–2020 … zur Erhöhung des Frauenanteils in der Wissenschaft … mindestens eine Lehrveranstaltung … pro Semester einzuplanen, die genderspezifische Themen abdeckt«.

Die seit Jahren gängige Rede von »Zielvereinbarungen« aller Art zwischen den Fakultäten und der Universitätsleitung sowie zwischen dieser und dem zuständigen Münchener Ministerium erinnert an die Theorie und Praxis einer untergegangenen mitteldeutschen Planwirtschaft. Und sie zeigt darüber hinaus, welch groteske Ausmaße der Wettlauf um alle möglichen »Rankings« inzwischen angenommen hat. Das gilt in besonderem Maße für die Drittmittel: Auch deutsche Professoren – in den USA oder Großbritannien ist das schon seit geraumer Zeit gang und gäbe – wenden inzwischen einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit für solche Drittmitteleinwerbungen auf mit der Folge, dass sie entsprechend weniger Zeit für die Forschungen aufwenden können, für welche jene Mittel eingeworben worden sind.

Auch deshalb werden von Spitzenforschern heute Managerqualitäten verlangt. Hinzu kommt, dass sich zahlreiche Fragestellungen in der Medizin und den Naturwissenschaften, in der Technik und der Informatik mit Aussicht auf Erfolg nur noch interdisziplinär und in der Zusammenarbeit mit anderen Instituten oder Zentren im In- und Ausland angehen lassen. Auch das erfordert Management. Das Erlangen Centre for Astroparticle Physics, die Hirsch Group auf dem Feld der Graphenforschung oder das in Fürth ansässige Zentralinstitut für Neue Materialien und Prozesstechnik, die im folgenden Kapitel II beispielhaft vorgestellt werden, sind prominente Beispiele. Einzelforschung ist heute im Wesentlichen den Geisteswissenschaften, der Theologie oder den Rechtswissenschaften vorbehalten, aber selbst dort haben – wenn auch vergleichsweise bescheiden dimensioniert – Großprojekte längst Einzug gehalten.

Nicht alles, was in den Zentren erforscht und vorgelegt wird, ist bemerkenswert. Manches scheitert, schon weil das Risiko des Scheiterns zum Forschen gehört. Vieles aber, was an der Technischen, der Naturwissenschaftlichen und der Medizinischen Fakultät beziehungsweise an den ihnen assoziierten Zentren der FAU entdeckt und entwickelt wurde, hat Maßstäbe gesetzt und zu weiteren Forschungen ermutigt. Kein Wunder, dass die Zentren und Institute immer wieder an ihre personellen und räumlichen Grenzen stoßen.

Wie jeder Boom hat auch dieser eine Kehrseite: Selbst Hochschullehrer, die der Universität seit Jahrzehnten angehören, haben kaum noch einen Überblick über deren Forschungslandschaft. Genau genommen gibt es die vor 275 Jahren gegründete Universität heute nicht mehr. Dem Konglomerat wild gewachsener Zentren fehlt seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts die wissenschaftliche und die intellektuelle, die politische und in gewisser Weise auch die administrative Direktion. Wenn man weiß, wie es dahin gekommen ist, weiß man, was zu tun ist. Ohne Bestandsaufnahme gibt es keine Zukunft, und ohne Zukunft gibt es keine Gegenwart.

Als Bayern 1810 von der Erlanger Universität Besitz ergriff, hatte das den Vorteil, dass nach anfänglichem Zögern für klare Verhältnisse gesorgt war. Jedenfalls wissen wir das heute. Bis heute ist auch ein großer Nachteil dieser bayerischen Patronage greifbar. Denn seit sich der bayerische König Ludwig I. im Jahr 1826 entschloss, die 1472 in Ingolstadt gegründete, dann kurzzeitig nach Landshut umgesiedelte Universität nach München zu holen, stand die Erlanger Universität lange Zeit in deren Schatten. Dass sie nicht darin verschwand, lag an den Kliniken. Sie machten die FAU früh zu einer Volluniversität. Mit der Einrichtung der Technischen Fakultät, von der zu berichten sein wird, verschaffte sie sich in dieser Hinsicht sogar einen nicht einholbaren Vorsprung vor der Münchener Konkurrentin.

Für die nationale Stellung der Friedrich-Alexander-Universität – sofern man zu Beginn des 19. Jahrhunderts von einer solchen sprechen konnte – kam erschwerend hinzu, dass in jenem Jahr 1810, als sie unter bayerische Fittiche gelangte, die Berliner Universität eröffnet wurde. Durch Wilhelm von Humboldt von vornherein mit neuen Ideen ausgestattet, wurde die Berliner Alma Mater rasch zu einer ersten Adresse in Deutschland. Etwas nachgeordnet übten auch die 1409 gegründete Universität Leipzig und die 1818 eingerichtete junge Bonner Universität eine beachtliche Anziehungskraft aus.

Diese Attraktivität vor allem der neu gegründeten Hochschulen trug erheblich zur »Tendenz der Erlanger Professoren« bei, »die Universität zu wechseln«. So hat es der Erlanger Landeshistoriker und Universitätsarchivar Alfred Wendehorst formuliert, als er 1993 anlässlich des zweihundertfünfzigsten Jubiläums seine verlässliche Darstellung der Geschichte der Friedrich-Alexander-Universität vorlegte. Unter dem Aderlass litten zeitweilig vor allem die Medizinische und die Juristische, weniger die Theologische und die Philosophische Fakultät, wenn man einmal von der Mathematik und den Naturwissenschaften absieht, die noch bis 1929 in der Philosophischen Fakultät angesiedelt waren.

So gingen Carl Thiersch, einer der führenden Vertreter der plastischen Chirurgie, 1867 nach Leipzig, der Internist Hugo Ziemssen 1874 nach München und Karl Schröder, Autor einer Reihe von Standardwerken zur Frauenheilkunde, 1876 nach Berlin. Dorthin wechselte 1892 auch Emil Fischer, der für seine Forschungen auf dem Gebiet der Kohlehydrate und der Pyrine zehn Jahre später den Nobelpreis für Chemie erhielt, während Eugen Lommel, ein Pionier der physikalischen Optik, bereits 1886 nach München gegangen war.

Diese Tendenz, die FAU zu verlassen, hat sich bei der Medizin, bei den Naturwissenschaften sowie seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts auch bei der Technik ins Gegenteil verkehrt: Viele, wenn nicht die meisten Wissenschaftler halten heute der FAU trotz attraktiver Rufe an deutsche und ausländische Universitäten die Treue. Das spricht erklärtermaßen für den Wissensstandort Deutschland und namentlich Bayern. Es spricht aber vor allem für die FAU: Ihre Kliniken, Zentren und Zentralinstitute brauchen kaum einen Vergleich zu scheuen.

Natürlich kehrte im 19. Jahrhundert auch mancher namhafte Gelehrte der Juristischen, der Philosophischen und der Theologischen Fakultät Erlangen den Rücken. So ging etwa der Kirchenhistoriker Albert Hauck, dessen monumentale Kirchengeschichte Deutschlands bis heute Bestand hat, 1889 nach Leipzig.

Als Hauck Erlangen verließ, hatte die »Erlanger Theologie«  – als solche ist sie in die Geschichte eingegangen – ihre besten Jahre hinter sich. In der Erweckungsbewegung des aufziehenden 19. Jahrhunderts wurzelnd, entwickelte sie sich in ihrer Zeit zu einem bedeutenden, wenn nicht dem bedeutendsten und wirkungsmächtigsten Zentrum der protestantischen Theologie. Als ihre herausragenden Vertreter sind Christian Krafft, Adolph von Harleß, Gottfried Thomasius und nicht zuletzt Johannes von Hofmann zu nennen, der von 1835 bis 1877 fast durchgängig in Erlangen tätig war und mit seiner Gelehrtenbiographie gewissermaßen eine Brücke über die bewegten Kapitel bayerischer und deutscher Geschichte im 19. Jahrhundert schlug.

Nie mehr hat die Erlanger Theologie eine vergleichbare Kraft entfaltet. Über Paul Althaus und Werner Elert, zwei durchaus bedeutenden Repräsentanten der systematischen Theologie, die seit Mitte der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts in Erlangen lehrten, lag der Schatten ihres Wirkens während des »Dritten Reiches«. Davon ist noch zu berichten. Spätere Generationen fragten erst gar nicht mehr nach den Maßstäben, die an eine Disziplin und eine universitäre Laufbahn anzulegen sind. Nur so ist es zu erklären, dass 2001 eine weder habilitierte noch promovierte Journalistin und Fernsehpredigerin ohne erkennbares wissenschaftliches Profil zur Professorin für Christliche Publizistik berufen werden konnte.

Das war auch deshalb ein Bruch mit dem Selbstverständnis der Universität und der Tradition der Erlanger Theologie, weil die Christliche Publizistik ein Alleinstellungsmerkmal der Friedrich-Alexander-Universität ist. 1966 ins Leben gerufen, wird das Fach bis heute nur in Erlangen gelehrt. Bernhard Klaus – Jahrgang 1913, 1941 in Berlin promoviert und 1957 mit einer Arbeit über »Leben und Werk« des Nürnberger Reformators Veit Dietrich in Erlangen habilitiert – hatte hier 1964 den Lehrstuhl für Praktische Theologie übernommen. Zwei Jahre später folgte er einer Anregung aus der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, gründete die Abteilung für Christliche Publizistik und befasste sich – unter anderem in seinem breit rezipierten Buch »Massenmedien im Dienst der Kirche« – mit diesem auch in vordigitaler Zeit hochaktuellen Thema. 1980 emeritiert, blieb Bernhard Klaus der Universität verbunden und war unter anderem von 1984 bis 1989 Mitglied der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät, von der in Kapitel II.2 berichtet wird.

Gut möglich, dass die Demontage des Fachs zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine Reverenz an den Zeitgeist war, der auch schon bei seiner Einrichtung Pate gestanden hatte. Der Zeitgeist zieht nun einmal an keiner gesellschaftlichen Institution spurlos vorüber. Auch nicht an der Friedrich-Alexander-Universität, in deren Biographie sich seit ihren Anfängen die Zeitläufte spiegeln.

Insgesamt hinterließen die drei Jahrzehnte, die auf Napoleon folgten, also Restauration und Reaktion, Vormärz und die kläglich gescheiterte Revolution von 1848, in Erlangen und an seiner Universität keine Spuren, die man nicht auch andernorts finden konnte. Mit einer Ausnahme. Sie markiert einen jener Zufälle, aus denen Geschichte besteht. Carl Ludwig Sand, der am 23. März 1819 in Mannheim den Schriftsteller und russischen Generalkonsul August von Kotzebue erdolchte, war Student an der Theologischen Fakultät der FAU und hatte im Sommer 1816 auf dem Erlanger Burgberg die Burschenschaften mitgegründet. Seine Mordtat war für den in Frankfurt ansässigen Deutschen Bundestag, den Ständigen Gesandtenkongress des 1815 gegründeten Deutschen Bundes, zumindest ein Anlass, um im September 1819 die sogenannten Karlsbader Beschlüsse zum Gesetz zu erheben. Bis zum April 1848 in Kraft, sahen sie unter anderem an allen Universitäten die Einsetzung eines Außerordentlichen landesherrlichen Bevollmächtigten zur Überwachung der Studenten wie der Professoren vor.

Unmittelbarer als durch diese Verwerfungen der ersten Jahrhunderthälfte wurden die Erlanger Universität und ihre Angehörigen von jener nationalen Bewegung erfasst, die in den sechziger Jahren in die Frage mündete, ob die allseits angestrebte nationale Einigung Deutschlands als kleindeutsche Lösung, also unter Preußens Führung, oder aber im preußisch-österreichischen Schulterschluss ins Werk gesetzt werden sollte. Als die Entscheidung 1866 anstand und schließlich durch einen Krieg zwischen den beiden Führungsmächten in Deutschland gefällt wurde, befanden sich die Befürworter der kleindeutschen Lösung noch in der Minderheit. Zu ihnen zählten allen voran der Theologe Johannes von Hofmann und der Historiker Karl Hegel, der eigentliche Gründer des Historischen Seminars der FAU. Der Städtehistoriker Karl Hegel war der eher unbedeutende Sohn des bedeutenden Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Signalisierte die Philosophische Fakultät dem Vater, dass er nicht willkommen sei, war sie dem Sohn von 1856 bis zu seinem Tod im Jahr 1901 die akademische Heimat.

Dass sich die Mehrheit der Erlanger Professoren dann doch der Auffassung Johannes von Hofmanns und Karl Hegels anschloss und die kleindeutsche Lösung unter Führung des protestantischen Preußen favorisierte, lag vor allem an der besonderen Stellung, welche die FAU als einzige protestantische Universität in Bayern einnahm. Entsprechend war die Professorenschaft zusammengesetzt. Die Katholiken waren eine relativ kleine Minderheit. Juden waren bis in die sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts im Lehrkörper überhaupt nicht zu finden, danach blieben sie Ausnahmen. Unter den Studenten sah es ganz ähnlich aus.

So gesehen überrascht es nicht, dass Professoren und Studenten der FAU auch mehr oder weniger geschlossen hinter der Entscheidung des bayerischen Königs und seiner Regierung standen, als es 1870 darum ging, an der Seite Preußens in den Krieg gegen Frankreich zu ziehen und dann auch 1871 an der Gründung des Deutschen Reiches teilzunehmen. Denn allein Preußen besitze »die Intelligenz und die Macht, die Rolle des Führers der deutschen Nation … zu übernehmen«. So sah das Karl Hegel, als er im November 1870 das Prorektorat übernahm und damit faktisch an der Spitze der Universität stand. Das Rektorat war, nicht nur in Erlangen, bis zum Ende der Monarchien im Herbst 1918 das Privileg des jeweiligen Landesherrn. Hegel hatte keinen Zweifel, dass die Angehörigen der FAU mit der Bereitschaft, für die »höchsten Güter der Nation« mit ihrem Leben einzustehen, in den Krieg ziehen und – »gestählt durch jede Anstrengung in der harten Arbeit des Kriegs« – bereichert aus demselben heimkehren würden. Tatsächlich zogen 139 Angehörige der Universität in den Krieg gegen Frankreich, davon 44 als Assistenzärzte und 35 als Felddiakone.

Mit dem Deutsch-Französischen Krieg und der Reichseinigung war auch an der Erlanger Universität der nationale Ton gesetzt. Bis zum bitteren Ende im Frühjahr 1945 sollte er der dominante bleiben. Bis 1934 war der 18. Januar, also der Tag der Reichsgründung, der Tag der akademischen Jahresfeier der FAU, danach war es der 30. Januar, der Tag der nationalsozialistischen Machtübernahme. Seit 1947 die Tradition der Jahresfeier wieder aufgenommen wurde, wird der Dies academicus am Tag der Universitätsgründung, also am 4. November, abgehalten.

In der Entwicklung der Erlanger Universität während des Kaiserreichs spiegelt sich der dynamische Fortschritt insbesondere in den Naturwissenschaften und der Medizin. Seinen Ausdruck fand er in der Institutionalisierung neuer Disziplinen einschließlich der entsprechenden Professuren – Physiologie und Pharmazie, Augen- und Zahnheilkunde und andere mehr – und in der Errichtung neuer Institutsgebäude und Kliniken. Eine Sonderrolle spielte die Psychiatrie beziehungsweise die »Irrenheilkunde«, wie das obligatorische Prüfungsfach an der Universität hieß. Angesiedelt war die Psychiatrie in der Kreisirrenanstalt, in der ein Professor der Medizinischen Fakultät eine eigene Abteilung leitete.

Diese Karriere der Medizin, der Chemie und der Physik, der Mathematik oder auch der Technik ließ bei den Vertretern dieser Disziplinen in Erlangen wie überall das Selbstbewusstsein sprießen und brachte die übrigen Fächer und ihre Vertreter zunehmend in Bedrängnis. Max Weber, einer der Pioniere der deutschen Soziologie, sprach 1909 vom »maßlosen Hochmut, mit welchem Vertreter der Naturwissenschaften auf die Arbeit anderer (namentlich: historischer) Disziplinen … zu blicken pflegen«, und fügte hinzu: »Es kommt keinem Historiker, Nationalökonomen oder anderen Vertreter ›kulturwissenschaftlicher‹ Disziplinen heute die Anmaßung bei, den Chemikern oder Technologen vorzuschreiben, was für eine Methode und welche Gesichtspunkte sie anzuwenden hätten. Dass sich die Vertreter dieser Disziplinen nachgerade ebenso zu bescheiden lernen, – dies ist Voraussetzung fruchtbaren Zusammenarbeitens.«