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In dem Buch Wolf Wonder. Eine Kunstgeschichte dokumentiert die Kunsthistorikerin Susanne Ursula Meyer das Leben und Schaffen des deutschen zeitgenössischen Malers Wolf Wonder. An Hand von Interviews und Bildanalysen entsteht ein lebendiges und detailliertes Porträt des Künstlers und seiner Position in der Bildenden Kunst. Dabei werden auch aktuelle Bereiche der heutigen Kunst wie Politik, Psychologie und Naturwissenschaften nicht ausgespart. Wo stehen wir, wo kommen wir her, und wo wollen wir hin? Mit 108 farbigen Abbildungen.
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Seitenzahl: 472
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Für Arthur
Intuition, Zufall, Gefühl, gegen Logik, Planung und Vernunft.
Das ist der ewige, aussichtslose Kampf des Menschen gegen sich selbst, dessen Sieg stets den Verlust der Menschlichkeit und Realität bedeutet.
Eine im kreativen Schaffen geglückte Synthese dieser unvereinbar scheinenden Erfahrungen erhöht die Wahrnehmung und verändert das Bewusstsein.
Der Künstler erhält sprunghaft echte Einsichten in die Wirklichkeit. Er ist jetzt selbst in der Lage, eigene neue, revolutionäre Beiträge zur schöpferischen Gestaltung und Vervollständigung dieser Welt zu leisten.
In meiner Arbeit ist diese Suche nach dem Göttlichen, unbekannten Ziel stets Triebkraft und unerschöpfliche Quelle meines künstlerischen Handelns.
Maßstab meiner Malerei ist der Mensch und seine Gestalt.
Die Art der künstlerischen Werke wird durch meine Lust an eindeutigen, klaren Formen und Farben bestimmt. Alles Vage, Nebelhafte und Verschwommene ist mir zuwider.
Bilder sind keine Drogen, sondern Wege in die Wirklichkeit.
Wenn der Künstler in seiner Leidenschaft und Hingabe das Publikum erregt und bewegt, hat er seine Aufgabe erfüllt.
Wolf Wonder, Künstlerisches Manifest, Vejers, Dänemark, 1985
„The secret of happiness is this: Let your interests be as wide as possible, and let your reactions to the things and persons that interest you be as far as possible friendly rather than hostile.“
Bertrand Russell
„I was the walrus but now I’m John. And so dear friends, you’ll just have to carry on. The dream is over.“
John Lennon
Vorwort
Gransee - 2021
Der sichtbare Unsichtbare
Ein Selbstbildnis
Pinneberg - 1964
Ich war nicht der Junge, der da sitzt, ich bin dieser Junge
Zwei Familienfotos und das Erinnern
München - Murnau - 1973
Das Foto vom Hühnerhof als Einblick in eine andere Welt - Auftakt zum Glück?
Hamburg - 1979
Erste Zeichnungen im Dienst der Visualisation von Wünschen
Schülp - 1980 bis 1983
Kunsthof Schülp. True Place?
Das erste künstlerische Werk im Dienst technischer Perfektion
Die verborgene natürliche Ordnung aufdecken
Die frühen konzeptuellen Bilder
‚Ich musste meine Kunst verkleiden.‘
Die frühen Konzeptbilder zwischen Fotografie und der eigenen Form
Bad Segeberg - 1983 bis 2001
Die Befreiung der Form
Hamburg - 1992
Coming Home
Die Entstehung eines Themas
Die Heldenreise
Coming Home, 20.2.1999
Die Gemeinschaft — Eine Ordnung
Dorfgemeinschaft, 1998
Berlin - 2001 bis 2009
Untergrundbilder
Schaut auf diese Stadt
Eine Bildbetrachtung
Blue
Eine Bildbetrachtung
Eva Klecks und ich
Eine Bildbetrachtung
Der Tod der Verführer
Eine Bildbetrachtung
Going Home
Eine Bildbetrachtung
Scream
Eine Bildbetrachtung
Schizophrenia
Eine Bildbetrachtung
Häsen - 2009 bis 2015
Retreat im Herrenhaus Häsen
Die Entstehung der Linienbilder
Evidence. Die Wonder-Fallakte Eine Bildbetrachtung
Gransee 2016
Ich habe vollständig losgelassen
Die Linienbilder in der Resonanzlosigkeit und die Rückkehr zum Malerischen
Ich benutze die Linie, um ein Gesicht zu erzeugen
Malerei ist ein bewegtes Standbild
Red House with Tree
Coming Home 2023
Eine Serie von Nacht-Bildern im Flashlight
Die Entstehung dieses Buches hat sich über mehrere Jahre hingestreckt und es hat im Laufe der Arbeit daran immer wieder seine Form gewechselt. Immer neue Ideen führten scheinbar zu einer verbesserten Konzeption, in dem Anliegen, unsere Arbeit und Werte zu vermitteln. Stets verwarf ich sie wieder in Selbstkritik, bis die Aussage aus Wolfs künstlerischem Manifest, Bilder sind Wege in die Wirklichkeit— eine fundamentale Tatsache unserer Lebenswirklichkeit — in meinem Mind immer wieder auftauchte, und ich beschloss, von dieser unserer Lebenswirklichkeit mit der Kunst unprätentiös und in aller Schlichtheit ein wenig mitzuteilen und vielleicht jungen Künstlern, die einen authentischen persönlichen Weg in der Kunst gehen wollen, eine Inspiration zu geben.
Vollständig heißt es in Wolfs Manifest, Bilder sind keine Drogen, sondern Wege in die Wirklichkeit.Mit dieser Aussage positioniert Wolf sich als Vertreter einer holistischen und humanistischen Kunst, die mit dem Menschen in seinem tiefsten Sein und Wesen in Resonanz steht, und deren faszinierende Besonderheit darin liegt, dass sie einen intrinsischen Wert besitzt.1
Es ist der Weg einer autobiografischen Kunst, die verwoben ist mit unserem Lebensweg, den wir gemeinsam als erweiterte Künstlerfamilie gehen. Wolf und Brigitte gehen diesen Weg seit ihrer Begegnung in Südfrankreich in 1975; zusammen brachten sie zwei künstlerisch veranlagte Kinder hervor, wobei Meike, die den Künstlernamen Esther Rebel annahm, seit ihrer frühen Jugend ein eigenes künstlerisches Werk geschaffen hat und mit Wolf intensiv im Austausch ist. Ich traf Wolf 1989 in Hamburg, mitten in meiner Examensarbeit in Kunstgeschichte, und seitdem begleite ich sein Leben und seine Arbeit als Muse, Biografin und Dokumentarin, und ich wurde ein Mitglied der Familie.
Als Wolf 1988 an der Ausstellung ‚New Germans‘ der Clayton Galleries in Tampa, Florida, teilnahm, wurde sein Werk mit dem von Philip Guston verglichen, und diese Zuordnung finde ich recht aufschlussreich, denn Guston hat den Weg einer akademischen Kunst, auf dem er bereits erfolgreich war, radikal verlassen und ist mit rohen autobiografischen Bildern, die seine von Traumata geprägte innere Seelenlandschaft spiegeln, einen kompromisslosen Weg nach Innen angetreten.
Es ist meines Erachtens diese herausragende Struktur eines konsequenten Weges nach Innen, in dem Versuch, persönlich vom Leid zum Schmerz vorzudringen, die auch Wolfs Werk grundsätzlich charakterisiert, und die vielleicht von den Amerikanischen Künstlern, die ihn damals mit Guston verglichen haben, wahrgenommen wurde.
Wolfs Kunst ist gänzlich unakademisch, basiert jedoch auf seiner naturwissenschaftlichen Bildung als Physiker und Chemiker, und einer systematischen und rational motivierten Erschließung der Gesetzmäßigkeiten der Kunst — freilich vor dem Hintergrund der bestehenden Kunst und der Beiträge großer Künstler — in der es um die Physiologie der Farben geht, um die Erzeugung von Licht, um Integration und Synthese. Wolf sagt, er habe jeden einzelnen Schritt, den er im künstlerischen Schaffen getan hat, stets besessen, er war niemals Amateur.2 Wolfs künstlerisches Schaffen ist demnach erforschend und ergründend. Auch da liegt offenbar eine Ähnlichkeit zu Philip Guston.
Bei der Zusammenstellung der Beiträge für dieses Buch musste ich mich immer wieder erinnern, Wolfs Verankerung in der Kunstgeschichte sowie die Tatsache, dass er seit seiner Kindheit in der Kunst zuhause ist, nicht aus dem Auge zu verlieren und stattdessen den Aspekt der Psychologie zu stark zu betonen.
Diese Gefahr liegt in meiner Neigung, die Dinge stets tief erleben und durchdringen zu wollen, weil ich so meine eigene Existenz intensiver erleben kann und mit Sinn erfüllt finde, und zudem bin ich auf Wolf weniger in meiner Eigenschaft als Kunsthistorikerin bezogen, sondern als Mensch im psychisch seelischen Austauch mit seinem Partner, verbunden in der Arbeit am Selbst.
Als ich Wolf 1989 kennenlernte, erfuhr ich, dass er eine Primärtherapie gemacht hatte. Diese Therapieform, die von Arthur Janov entwickelt wurde und das Wiederfühlen und damit die Integration, also die Auflösung von zuvor unbewusstem traumatischem Schmerz ermöglicht, hatte Wolfs Leben auf gänzlich neue Füße gestellt. Wolf hatte ein Stück Heilung erfahren und einen großen Teil seines Unglücks und seelischen Leides aus der Kindheit hatte er auflösen können.
Er hat dieselbe Erfahrung gemacht wie John Lennon, der sich — bei Janov persönlich — einer Primärtherapie unterzogen hatte. Lennons postprimäres Solo-Album, Lennon/Plastic Ono Band, spiegelt seine Primärerfahrungen, und diese Musik ist von derselben Natur wie Wolfs Bilder, insbesondere die Faces.
Dennoch ist Wolfs Kunst nicht primär psychologisch motiviert — so wenig wie die Songs von John Lennon.
Wolf selbst hat damals, als er mir von seinen therapeutischen Erfahrungen erzählte, beinah zögerlich und verhalten von diesen Sachverhalten gesprochen.
Ich erinnere mich, dass ich restlos begeistert war, ihm alles wissbegierig entlockte, und aufsog, was Janovs Lehre ausmachte. Ich brauchte es für meine eigene Heilung.3
Wolf sagte manchmal, dass jemand, der sich einer solchen Therapie unterzieht, kein Bedürfnis hat, darüber zu sprechen. Und er sagte, „Du kannst dir nicht vorstellen, wieviel Schmerz ein Mensch in sich haben kann“.
Aus diesem Grunde ist die Primärtherapie unpopulär. Sie ist insbesondere für Menschen gedacht, deren Schmerz so groß ist, dass sie ihm auf den Grund gehen müssen, weil sie in der Gesellschaft einfach nicht mehr ‚funktionieren‘. Diesen Anspruch an tiefe Heilung kann meines Erachtens nur die Primärtherapie erfüllen. Sie ist wie ein scharfes Messer, das funktioniert, aber deshalb eine hohe Kompetenz auf Seiten des Therapeuten erfordert.
Das Leid und der individuelle Schmerz in uns, der uns alle mehr oder weniger von uns selbst entfremdet, hat keine Lobby. Wolf sagt manchmal, „Wer will schon Schmerz fühlen?! Das will man nicht freiwillig“.
Die Neurose ist unsere Biologie, sie ist unsere zweite Natur. Der Neurotiker gilt als ‚normaler‘ Mensch. Und das Wissen über Fühlen, über die Natur von Gefühlen, wird in der neurotischen Verzerrung nicht angemessen erfasst, und ist auch im Sinne der Herrschaft gar nicht erwünscht, da Gefühle das Funktionieren in einer gesellschaftlichen Unterordnung durchkreuzen. Der Neurotiker versucht stattdessen mit dem Kopf zu fühlen; er versucht, Gefühle zu denken. Auch die Kunst ist davon durchzogen; heute wahrscheinlich mehr denn je.
Wolf, der von sich sagt, er war in jungen Jahren wie ein Stein, hat also durch seine therapeutischen Erfahrungen die Fähigkeit, zu fühlen, wiedererlangt.
Und diese Fähigkeit, zu fühlen, im Verbund mit einem scharfen Verstand, sind Werkzeuge seiner Wahrnehmung und folglich seines künstlerischen Schaffens, und sie begründen sein humanistisches Menschenbild, das in seiner Kunst Ausdruck findet.
Deshalb möchte ich behaupten, dass die Quintessenz einer erfahrenen Primärtherapie und das spezifische humanistische Paradigma der Primärtheorie Arthur Janovs Wolfs künstlerisches Werk als Erfahrungsstruktur prägen und durchdringen.
Ich sprach davon, dass ich damals, als ich durch Wolf mit der Primärtherapie und - Theorie in Berührung kam, zutiefst beeindruckt und begeistert war.
Ich war begeistert von Wolfs persönlichen Erfahrungen, dass er sein Leben so unglaublich konstruktiv gestaltet hatte und sich eine sichtbare Veränderung zum Erfolg hin, zu größerer innerer Freiheit und Lebensfreude, gemeinsam mit seiner Familie, erarbeitet hatte.
Seine Kunst, insbesondere das konzeptuelle Frühwerk spiegelte Wolfs humanistische Werte, wie Familie, Freundschaft, Liebe, Frieden, Erfolg und Fülle, und ich fühlte, dass ich seine Bilder in ihrem Wesen tief erfasst hatte und verstand.
Allein durch diese Begegnung, mit Wolf, seiner Geschichte und seinen Bildern, setzte bei mir augenblicklich ein psychologischer und spiritueller Prozess ein, in dem ich mich selbst besser kennenlernte, mich selbst besser verstehen lernte. Dies war allerdings maßgeblich mit Wolfs Person verknüpft, und dem bis dahin für mich unbekannten Phänomen, dass ein Mensch in mein Leben getreten war, der mich wirklich wahrnahm und verstand, ja der mich besser verstand als ich mich selbst verstand. Ich erlebte eine neue Art von Integrität, Respekt und Freundschaft durch Wolf, und bald darauf durch seine ganze Familie.
Was die Wirklichkeit von Bildern anbelangt, erinnere ich, dass ich zu jener Zeit einige Träume hatte, in denen Traumsymbole und -Gestalten mir subtil zu verstehen gaben, dass ich auf dem richtigen Weg war, dem Weg zu mir selbst.
So träumte ich zum Beispiel, dass aus meinem After etwas langes herausragte, das zunächst wie Stacheldraht anmutete, sich dann, als ich es herauszog, jedoch als ein langer junger Pflanzentrieb erwies. Er war noch blässlich von der Dunkelheit und sollte sich nun im Licht entfalten und wachsen.
Diese Traumgestalt trug mich als Erinnerungsbild eine ganze Weile durch die zu bewältigenden Herausforderungen und ermutigte mich.
Was Brigitte betrifft, ihre Beziehung zu Wolf ist ebenso karmisch bestimmt, wie die zwischen mir und Wolf.
Brigitte erzählt mir manchmal die Geschichte ihres Kennenlernens, das auch ein tragendes Bild, eine mit Bedeutung erfüllte Gestalt ist.
Wolf und Brigitte waren sich 1975 in einer Jugendherberge in Cassis, in Südfrankreich begegnet, und es war sofort eine starke Anziehung und das Empfinden einer Zugehörigkeit zwischen den beiden vorhanden.
Scheinbar zufällig begegneten sie sich am vierten Tag in der Kirche Saint-Michel wieder, und Brigitte hat noch heute das lebendige Bild vor Augen, wie Wolf von dem Licht, das durch das bunte Kirchenfenster den Raum durchflutete, umfangen war, und er vor diesem Licht nur als Silhouette erkennbar war, als er auf sie zukam, und sie ihn sofort identifizierte.
Brigitte sagt, es war für sie wie ein Zeichen, dass in diesem Moment ‚Der Richtige‘ in ihr Leben getreten war. Zusammen bestiegen sie bald darauf die steilen Kalksteinklippen an der Küste Südfrankreichs mit weichen Knien, und sprachen über etwaige gemeinsame Pläne.
Beide wollten den Erfolg, wollten etwas geimeinsam aufbauen. Das haben sie getan, wenn auch nicht in der Weise linear und unmittelbar, wie sie es sich vorgestellt hatten. Es war im Wesentlichen ein gemeinsames Ja zu sehr großen Herausforderungen, zu einem unbürgerlichen Leben in finanzieller Unsicherheit und Armut, und vielfach von Ächtung begleitet.
In der Primärtherapie, die Brigitte mitmachte, mitmachen musste — so wie auch Yoko Ono diese Erfahrung mit John Lennon teilen musste, um die tiefen existentiellen Erfahrungen, die der andere durchlebt, zu verstehen — übernahm sie eine wichtige Funktion für Wolf, sie war gleichsam eine Geburtshelferin.
Wolf und Brigitte in St. Coloman /Soyen, 1973
Wolf und Brigitte waren in einer Gruppensitzung, auf der Gesprächsebene, und Wolf war in seinem Leid gefangen. Brigitte sagte in die Gruppe hinein, „Alle reden hier. Aber schaut mal auf den Wolf. Der kriegt hier kein Wort raus, und zuhause will er sich umbringen“. Alle schauten auf Wolf, der sich unwillkürlich vom Stuhl auf den Boden fallen ließ und einen tiefen inbrünstigen Schmerzensschrei von sich gab. In seinem Körper spürte er es wie Feuer brennen und er entlud diesen Schmerz.4
Dieses integrative Ereignis war ein Meilenstein auf dem Weg seiner Heilung. Nach der Therapie wurde Wolf, der immer schmächtig war, athletischer in seiner Körpergestalt, und er war, wie er mir mitteilte, etwa um zwei Zentimeter gewachsen.
Ein großes Thema, das mit unserem Kennenlernen bald Raum griff, war und ist die Problematik des fehlenden Vaters.
Was mich betrifft, ich war ein Scheidungskind, mein Vater hatte mich und meine Mutter verlassen, als ich zwei Jahre alt war. Dass diese Tatsache in meinem Leben ein schwerwiegendes Trauma ist, wurde mir durch die gemeinsame psychologische Arbeit mit Wolf erstmals wirklich bewusst.5
Ich konnte diese meine Realität gut an Wolf spiegeln, der ein ungleich dramatischeres Trauma zu tragen hatte, indem man ihm einen falschen Vater, der ihn zudem nie geliebt hat, als leiblichen Vater verkaufen wollte. Mit dieser Lüge und Verrücktmacherei war zudem Gewalt verbunden, besonders durch Wolfs Mutter, Elsa, die ihn, wie Wolf sagt, ‚vernichtet‘ hat — mit dem Kleiderbügel.
Das heißt, es stirbt tatsächlich etwas in einem, auch wenn man physisch weiterlebt.
Ein Grund für die Gewalt war, dass Wolf nicht er selbst sein durfte.6
Es durfte nicht auffallen, dass er biologisch von ganz anderer Natur war als sein oktroyierter falscher Vater. Und seinen leiblichen Vater hat er nie kennengelernt, und er weiß nichts über ihn. Ein tiefes Trauma, das seinen Schatten bis in die Gegenwart wirft.
Wolf hatte also als Kind und Jugendlicher gar kein Leben, und dabei hatte er soviel Leben in sich — er war hochsensibel, intelligent und wahrnehmend, und voller Liebe; er liebte die Technik, die Wissenschaften, die Phänomene der Welt, die schönen Dinge — die Dinge hatten für ihn Magie, und haben es heute noch.
Gerettet hat ihn in der inneren Diaspora die Musik.
Lonnie Donegan, Paul Anka, Little Richard, Elvis Presley, Bill Haley, sie hatten lebensrettende Funktion für Wolf. Später bezog er seinen Lebenssinn aus der Musik der Kinks, Manfred Mann, Roy Orbison, The Who, den Beatles und Rolling Stones.
Von besonderer heilsamer Bedeutung waren für Wolf die Rock-Opern The Wall, von Pink Floyd, und Tommy,von The Who. Diese Geschichten spiegelten sein eigenes Drama.
Neben der starken Realität und Lebenswirklichkeit der Rockmusik, die Wolfs Malerei mit konstituiert, ist es die Frage nach der eigenen Identität, die in Wolfs künstlerischer Arbeit, insbesondere den Faces, Niederschlag findet.
Die Beiträge in diesem Buch sollen über Wolfs forschendes Interesse an der eigenen Identität und Existenz und ihrem spezifischen Ausdruck Aufschluss geben.
Hier kommt wieder ins Spiel, dass Bilder Wege in die Wirklichkeit sind. Denn im Bild offenbart sich etwas. Es zeigt den eigenen Duktus, die persönliche Linie, die die Energie der eigenen Identität trägt und offenbar werden lässt.
Somit ist das künstlerische Bild ein wahrhaftiger Geistbehälter, der in die Welt kommuniziert. Und das ist, im psychologischen Hintergrund, ein heißes Eisen. Denn Wolf darf, qua Familienscript, keine eigene Form und Gestalt haben.
In diesem Sinne hat er gefrevelt, als er 1979 den gelernten Außenhandelskaufmann an den Nagel hängte, seine Firma auflöste und beschloss, Maler zu sein und sich in seiner eigenen künstlerischen Form zum Ausdruck zu bringen.7
Der Entscheidung, ‚Ich bin jetzt Maler‘, gingen, wie bereits ersichtlich wird, therapeutische Schritte voraus, wobei insbesondere die Kommunikations- und Management-Seminare, Earthplay,der Amerikanerin Rannette Daniels, erwähnt werden müssen. Sie waren enorm fruchtbar für Wolf.
Während der Primärtherapie in Coloman war er mit Earthplay in Berührung gekommen, und viele Klienten in der Therapie wie auch einige Therapeuten nahmen an Earthplay-Seminaren teil. Wolf und Brigitte flogen dazu nach Los Angeles, oder auch in Hamburg und München fanden Seminare statt.
Da ging es um Successful Living, um die Money-Experience, um die Family-Experience, um den Dictionary- und Completion-Process, um verschiedene Themen-und Lebensbereiche, in denen man das eigene ungenutzte oder unentdeckte Potential zu einem persönlichen erfolgreichen Handeln im Leben lernte, freizusetzen.
Rannette setzte die Arbeit ihres Vaters, Ranald Daniels fort, der in den 1950er Jahren in Kalifornien eines der größten Motivationsinstitute leitete. Er war mit Ernest Holmes, dem Begründer der Church of Religious Science, befreundet. Entsprechend ambitioniert und anspruchsvoll lehrte Earthplay in der Tradition der amerikanischen geistig-spirituellen Education-Kultur seine Teilnehmer, die intensiv gefordert wurden, die eigenen Grenzen in der Persönlichkeitsstruktur auszuloten und sich selbst zu überwinden, über sich hinauszuwachsen, im Entdecken der eigenen Schöpferkraft.
In Deutschland, das in den Siebziger Jahren noch stark unter dem Trauma des Dritten Reiches stand, war Earthplay als Sekte verschrien und man witterte hier Gehirnwäsche und Manipulation und Geldschneiderei, so wie es auch den Scientologen nachgesagt wird.
Wolf sagte selbst einmal lachend, „Natürlich war Earthplay eine Sekte — aber es funktionierte!“8
Earthplay lehrte zum Beispiel, dass der eigene Mind begrenzt ist. Darin liegt ein Unterschied zu den heute verbreiteten Motivationsangeboten, die Umprogrammierung und Selbstoptimierung verkaufen. Es wird einem versprochen, dass alles möglich ist. Dem ist aber nicht so. Möglichkeiten erweitern sich nur in dialektischer Weise, indem man die natürlichen eigenen Begrenzungen und limitierenden Prägungen erkennt, akzeptiert, annimmt und mitnimmt, um sie schließlich zu integrieren. Dies ist ein lebenslanger Prozess und Arbeit.
Ich selbst habe auch die Earthplay -Philosophie durch Wolf damals mit Begeisterung aufgenommen, denn ich sah, dass sie in seinem Leben offenbar funktionierte.
Leitsätze von Earthplay waren zum Beispiel diese: It all comes out of your purpose — it‘s your purpose, that makes everything happen. You can consciously create a purpose and know it.
Wolf hatte zum Beispiel den damals noch unbewussten Purpose, als Maler Bilder zu schaffen. Er war zu jener Zeit noch Außenhandelskaufmann und Chef einer Firma für Phonozubehör.
In den bei Earthplay so genannten ‚Intentions‘ formulierte Wolf dann für sich den Wunsch, ‚Ich verkaufe das Zehnfache an Tonnadeln‘.
Sein schlummernder Lebenspurpose, Maler zu sein, drängte nun an die Oberfläche und Wolf erkannte, er wollte im Grunde nicht eine einzige Tonnadel verkaufen. So formulierte er in diesem Kontext auch den Purpose, ‚Ich verkaufe zehn meiner Werke‘, es waren aber noch keine ‚Werke‘ da.
Dann ging Wolf in einem teuren Hotelzimmer im Hamburger Interconti in Klausur und praktizierte Spiegelmeditation. Das Ergebnis am nächsten Tag war die Entscheidung, ‚Ich bin jetzt Maler‘. Er rief Brigitte an und verkündete seine Entdeckung und Brigitte sagte, „Wow, großartig! Ich bin dabei“.
Die englischen Worte Purpose und Intention sind übrigens, wie auch das Wort Mind, in Wolfs und Brigittes Alltagsvokabular seit jener Zeit verankert, da sie viel mehr Bedeutung transportieren als die deutschen Worte. Insbesondere das Wort Mind umfasst so viele Aspekte, wie Verstand, Geist, Absicht, Sinn, Gedanken, Gedächtnis etc. Im Grunde gibt es dafür im Deutschen kein direktes Äquivalent.
Ein anderer Leitsatz von Earthplay war: I communicate fully, until it is complete — even if it takes hours, days, months or years.
Man muss sich vor Augen halten, dass Wolf als Kind die Sprache verloren hatte. Die häusliche Gewalt, der Vertrauensverlust, der seelische Schmerz und die Wut hatten ihn verstummen lassen.
Mit all den therapeutischen Schritten, die er getan hat, ist seine Sprachgewalt heute vollkommen freigesetzt und seine Eloquenz ist beeindruckend! Er muss sie nicht einsetzen, aber er kann es — und sie kommt in den dokumentierten Gesprächen in diesem Buch deutlich zum Ausdruck.
Ein herausfordernder Aspekt in dem Leitsatz von Earthplay , vollständig zu kommunizieren, war und ist der Anspruch, ins Unbekannte vorzudringen.
Wenn man etwas tatsächlich zu Ende denkt, etwas immer weiter kommuniziert, herausarbeitet, vertieft, vordringt, in neue Aspekte der Wirklichkeit in ihrer Komplexität Einsicht gewinnt, und das bedeutet, unter Umständen über Jahre zu kommunizieren! Even if it takes years!
Das beherrsche ich persönlich nicht, aber ich folge Wolf, der es tatsächlich beherrscht und praktiziert9, obgleich es oftmals sehr unbequem ist. Der Lohn ist, dass Dinge tatsächlich vollständiger werden. Und wenn etwas vollständiger wird, kann man es abschließen und muss sich nicht mehr dafür aufreiben und neurotische Energie aufwenden.10
Completion, Vervollständigung, ist ein wesentliches Strukturelement in Wolfs künstlerischer Arbeit.
Die formale Ordnung der frühen Konzeptbilder, die Anwendung der Farbtheorie nach Harald Küppers, die auf Integration und Synthese der Farbempfindungen im Auge des Betrachters ausgerichtet ist, oder auch Wolfs synthetische Zusammenfügung seiner organischen Einzelformen zur Erzeugung eines Gesichtes, eines menschlichen Antlitzes, sind Ausdruck seines Purpose, Completion zu erlangen.
Wolf folgte vor allem einem bei Earthplay gelehrten Grundsatz, einer Gesetzlichkeit: Make a stand, and it will turn into a success.
Halt inne, halte Einkehr und anerkenne, wenn du in eine Sackgasse geraten bist, wenn du auf dem Holzweg bist, wenn etwas gar nicht so läuft, wie du es dir eigentlich wünschst.
Auf dieser Basis kann Wandel in wachsender Bereitschaft zu einem erweiterten Glück von innen heraus stattfinden.
Wolf hatte erkannt und anerkannt, dass er als Kaufmann zutiefst unzufrieden war und beendete diese ‚Karriere‘. Er beschritt den steinigen Weg als freischaffender, autodidaktischer Künstler.
Earthplay war in jedem Fall elitär und zu jener Zeit, als Wolf und Brigitte die Seminare besuchten, waren einige Adlige unter den Teilnehmern, die das Sektiererische für sich favorisierten und eigene elitäre, esoterische Themen verfolgten und selbst anfingen, zu lehren.
Wolf hingegen hatte immer nur ein Ziel, er wollte persönliche Gesundheit, und suchte gezielt die dafür notwendigen und brauchbaren Werkzeuge in Besitz zu nehmen, um allein in diesem Anliegen voranzukommen.
Für ihn war die Gesellschaft einer therapeutischen Community, die Therapieszene, kein Selbstzweck.
Er betonte in seinen Berichten über die Therapiezeit in Coloman, dass er kein Interesse hatte, die Therapie selbst zum Lebensinhalt zu machen.
Die Therapeuten, die das Primärzentrum Coloman leiteten, hatten Wolf damals angeboten, in die Leitung einzusteigen, da sie seine unternehmerischen Fähigkeiten erkannt hatten. Wolf lehnte ab.
Wolf hatte im Zuge der Aufdeckung der Tatsache, dass er ein Künstler ist, auch einmal mit dem Gedanken gespielt, Schriftsteller zu werden.
Er hatte seit seiner Kindheit eine Affinität zur Literatur und insbesondere zu hochwertiger Krimi-Literatur und er hatte immer einen Hang zum Trivialen, zum Pulp.
So hatte er die kühne Idee, erotische Schundromane zu schreiben und gab sich den Namen Joy Schartan, und verfasste den Anfang einer trivialen Shortstory, die er beim Penthouse-Magazin einsandte. Es meldete sich tatsächlich ein interessierter Redakteur, telefonisch, und als Brigitte vor Schreck zurückwich und Joy Schartan verleugnete, sagte dieser, „Nun geben Sie es doch zu, dass Sie Joy Schartan sind“.
Wolf hat einige solcher Geschichten auf Lager, nach dem Motto, ‚Die Geister, die ich rief...‘. sie sind schlicht Ausdruck eines kreativen Minds.
Earthplay brachte Wolf das Arbeiten mit der Collage nahe. Man arbeitet mit der visuellen Kraft des Bildes, das als Werkzeug der Projektion hilfreich ist, etwas Geistiges, zum Beispiel einen Wunsch, in die physische Manifestation zu bringen.
Den ersten künstlerischen Bildern, die Wolf schuf, gingen also Zeichnungen und Collagen voraus, in denen er seine Vorstellungen von persönlichem Glück konkretisierte — allerdings nutze er die Projektion schon bald als künstlerisches Mittel. Er projizierte seine Zeichnungen und Collagen mit dem Episkop auf die Leinwand, um sie in Malerei zu überführen, um daraus Bilder zu machen.
Das Projizieren mit dem Episkop blieb in der frühen konzeptuellen Phase sein bevorzugtes technisches Mittel im Bilderschaffen.
Seine künstlerische Verankerung fand er in der amerikanischen Pop-Art, insbesondere bei Roy Lichtenstein, der ebenfalls mit großflächigen Projektionen arbeitete und wie Wolf eine starke Verbindung zum Comic hatte.
Das Projizieren, das Vergrößern einer Form auf einer bildhaften Fläche, brachte phänomenologisch eine komplexe Wirklichkeit mit sich — zum Beispiel die Evidenz.
Wie ich bereits erwähnte, durfte Wolf in seiner Herkunftsfamilie seine Identität nicht erfahren und leben, und war depriviert in seinem Dasein.
In seinem Elternhaus war die beste Überlebensstrategie für ihn, wenn er gar nicht da war, nicht vorhanden war.
Mit der Projektion und Überführung seiner persönlichen Form, seines Duktus, in eine makrokosmische Dimension, die ja einem Kunstwerk auf natürliche Weise eignet, wurde etwas evident im Dasein.
Evidenz ist Einsichtigkeit, Gewissheit, faktische Gegebenheit.
Diese Phänomene sind ein Grundbegehren von Wolf, und sie erfüllen bereits einen Zweck in sich selbst.11
Jedes Face, jedes Coming Home-Bild, ist in seinem Wesen als Offenbarung im Ausdruck des Daseins konzipiert.
Gleichzeitig war Wolf, als er die Malerei für sich wählte, durch die natürliche Numinosität, die in ihrem Wesen liegt, gewissermaßen geschützt und unterstützt.12
Seine Werke kommunizierten stets in dem Maße zu ihm zurück, wie seine Resonanz-Bereitschaft war, das heißt, seine Werke offenbarten ihm stets das ‚Etwas‘, das seine Wahrnehmung willkommen hieß.
Dies ist ein wesentlicher, wohl quantenmechanischer Aspekt in dem Phänomen, dass Bilder Wege in die Wirklichkeit sind.
Wolf formuliert es in seinem künstlerischen Manifest mit den Worten: Der Künstler erhält sprunghaft echte Einsichten in die Wirklichkeit.
In dem Beitrag, Die verborgene natürliche Ordnung aufdecken, spricht Wolf über eine solche ‚kommunikative‘ Erfahrung mit dem frühen konzeptuellen Bild Häuser.
Wolfs synthetisches, auf Integration und Vervollständigung ausgerichtetes Arbeitsprinzip impliziert grundsätzlich, dass er immer einen nächsten Schritt weiter geht,und auf diese Weise erneut Etwas in Besitz nimmt.
Wolfs Aussage, er habe stets jeden Schritt, den er in der Malerei, und auch im Leben, getan hat, besessen, zeugt von seiner als notwendig empfundenen Vorsicht, dass ein kleinster Schritt gerade groß genug ist, da der Prozess der Integration gemäß einer natürlichen, den Phänomenen inhärenten Ordnungslogik stattfindet, die ihr eigenes Tempo mitbringt.
Wolf dreht nicht an den Dingen, er manipuliert nicht. Er lässt kommen, oder präziser gesprochen, er gibt Raum, und das impliziert auch den BILD-Raum.13
Auf unserem Lebensweg und im Alltag ist Wolf mit dieser Eigenart immer Maß gebend und was mich betrifft, ich bin diesbezüglich oft im Widerstand und möchte gern Dinge auf meine eigene Weise in die Hand nehmen und tätig werden, Einfluss nehmen, gestalten, und da liegt es, das muss ich eingestehen, tatsächlich in der Natur der Sache, dass man geneigt ist, zu manipulieren — man möchte etwas beschleunigen, und im Grunde übt man damit Gewalt aus.
Zudem ist mit dieser kopf-willentlichen Einflussnahme auf die Dinge die Gefährdung verbunden, dass man Lösung oder Erfolg als von Außen verursacht betrachtet.
Wolf hingegen ist fest verankert in der Überzeugung oder dem Wissen, dass Lösung von innen heraus stattfindet.14
Mit dieser Haltung ist er auf natürliche Weise einfach da, im Hier und Jetzt.
Seine monumentalen Faces spiegeln diese Haltung, diese Gesetzlichkeit.
Ein für uns bis heute ungelöstes Mysterium in diesem Kontext ist der ausbleibende Erfolg mit der Kunst; Erfolg im Sinne einer Wahrnehmung von außen, im Rahmen eines gesellschaftlichen Diskurses und einer Rezeption. Und das liegt nicht nur daran, dass wir Subkultur sind.
Es wirken da bei uns antagonistische Kräfte.
Einerseits hat Wolf immer den Verkauf der Bilder angestrebt, ja seine Entscheidung, Maler zu sein, war für ihn mit dem klaren Ziel verbunden, mit den Bildern Geld zu verdienen, ja gleichsam spielerisch oder spielend Geld zu verdienen; und Wolf hat auch immer wieder hier und da Bilder verkauft.
Und obgleich er sehr viele Ausstellungen veranstaltet hat, hat er nie die Schwelle zu einer Öffentlichkeit übertreten, die von einem solchen Ausmaß war, dass Wolf die Kontrolle darüber verlieren würde, welche Informationen durch eine gesellschaftliche Rezeption von außen in sein System eindringen, und seine Integrität in seiner Suche nach Wahrheit verletzen oder korrumpieren könnten.
Öffentlichkeit schafft Missverständnis, falsche Zuordnung, Kritik. Und das triggert die Erinnerung an seine frühen Erfahrungen von Missbrauch und Missachtung seiner Person.
Wolf wollte und konnte die Kontrolle über seine Kunst in Bezug auf Öffentlichkeit bis heute nicht wirklich aufgeben.
Ein weiterer Grund dafür ist die Gefahr, dass er dann nicht mehr so ‚unangetastet‘, so frei produzieren könnte, wie er es tut und intendiert.
In diesem Dilemma bezahlen wir den Preis, dass die meisten seiner Bilder im Dunkeln stehen und bisher keine Öffentlichkeit haben, und wir folglich nicht vom Verkauf der Bilder leben können.
Auch hier spielt Wolfs seelische Vater-Wunde hinein. Sie hat in seinem Leben dazu geführt, dass er unter den vielen Begegnungen, die ihn auf seinem Weg befruchtet und diesem Richtung gegeben haben, jene, die einen schädlichen Einfluss auf ihn hatten, die seinem Fortkommen und Erfolg mit der Kunst abträglich waren, nicht angemessen erkennen konnte.15
Noch einmal zurück zur Evidenz.
Wolf, ca. 1973, mit seiner Kamera, in den Hamburger Elbterassen
Evident wurde mit dem Schaffen von Bildern für Wolf auch die Tatsache, dass seine persönlichen Formen kindhaft waren.
Seine ersten Zeichnungen unter dem Einfluss von Earthplay unterschieden sich überhaupt nicht von seinen Kinderzeichnungen.
Wolf sagt, dass diese Entdeckung für ihn selbst sonderbar war, und dass er sich damit annehmen musste.
In diesem Sinne brachte die Evidenz eine Selbst-Erfahrung, in der Wolf sich entschieden hat, diese seine authentische Form niemals zu kultivieren.
Wolf sagt in einem Beitrag, „Wichtig ist, dass ich mich nicht weiterentwickle“. Das heißt, die kindhafte, unkultivierte Form ist für Wolf nicht nur Ausdruck seiner Individualität und Identität, sondern sie ist der Kern seines humanistischen Credos, dass unsere Menschlichkeit nur vollständig ist, wenn das Kind in uns lebendig ist, das heißt lebendig geblieben ist, oder wieder lebendig wird.
Jesus sagte es mit den Worten: ...Dass ihr umkehret und werdet wie die Kinder... (Mt 18,3.). Es ist die Umkehr zur Wiedererlangung des Kindes, das unter der vermeintlichen Erwachsenheit verschüttet ist, es ist die Rückkehr zur Ganzheit, die größer ist als wir und in die wir eingebunden sind.
Dieser Aspekt ist ganz wesentlich und auch ein Grundsatz der Primärtherapie und -Theorie, dass man sich mit der eigenen Geschichte rückverbindet.16
Die Rückverbindung, ein Aspekt von Integration und Synthese, ist ein Strukturelement in Wolfs Bilderschaffen.
Jedes Face ist Ausdruck der Rückverbindung des Individuums mit seiner Geschichte und seiner eigenen Wahrheit.
Jedes Coming Home-Bild ist eine Variante eines Ur-Bildes, das in der Rückverbindung offenbar wird. Coming Home — Heimkehr, das ist offensichtlich Rückverbindung.
Ein weiterer Aspekt, der für Wolf mit der Evidenz durch die Bildschöpfung verbunden war, ist die Gewinnung und auch Wiedererlangung des Körpers.
Wolf hatte durch seine traumatischen Kindheitserfahrungen seinen Körper, beziehungsweise das Bewusstsein über seinen Körper verloren, und die Körperproblematik ist bis heute nicht vollständig gelöst.17
So hat Wolf sich in der Kunst mit seinem Werk und in jedem einzelnen Bild einen Körper geschaffen. Wolf sagte einmal, „Meine Bilder sind mein Klangkörper“.18
Wolf ist eigentlich Bildermacher, er kommt ursprünglich vom Werken; er erlebt sich selbst als Hand-Werker.
Sein erstes Bild, Schiffe, in dem er mit Acryllack auf Spanplatte eine perfekte Oberfläche und präzise Farbränder erreichen wollte, zeugt davon.
In dem Beitrag, Das erste künstlerische Werk im Dienst technischer Perfektion, spricht Wolf darüber, wie er sich mit diesem abstrakt-geometrischen Bild, das an Roy Lichtenstein orientiert war, an seine eigene Form annäherte, als Werkender und als Empiriker.
Als Wolf 1965, mit 18 Jahren, kurz vor Beginn seines Physikstudiums, im Museum Jeu de Paume in Paris sein großes Vorbild van Gogh aufsuchte und seine Kirche von Auvers im Original bewunderte, interessierte ihn brennend die Frage, ‚Wie hat er das gemacht?!‘ — er wollte van Gogh gleichsam auf die Schliche kommen.
Als Kind hatte Wolf technische Geräte wie Uhren und Radios auseinander- und wieder zusammengebaut, er hatte analysiert und synthetisiert — wobei er immer die Magie in den Dingen aufspüren wollte.19
Diese magische Affinität korrespondiert mit der Affinität zu Erfindung, zu Schöpfung.20
Bereits als Junge hatte Wolf ein fundiertes Wissen in Physik und Chemie. Er war insbesondere fasziniert von der Herstellung von Kunstfasern, von Kunststoffen, zum Beispiel dem Phänomen der Kettenpolymerisation.
In der Tat ist es, selbst für mich als kompletten Chemischen Laien, faszinierend, dass man zum Beispiel aus Ethen, einem Gas, den Kunststoff Polyethylen synthetisieren kann, woraus unter anderem Kanister, also äußerst beständige, feste Formen hergestellt werden.
Später, als Schüler, in Pinneberg, hatte Wolf Schlüsselgewalt über das Chemielabor und dort in seiner freien Zeit mit Farbstoffen experimentiert, zum Beispiel mit Pikrinsäure und Eosin, und die Nyltesthemden seiner Mitschüler gelb und rot, beziehungsweise rosa eingefärbt, denn die Kunstfaser nahm die Farbe nur bedingt an.
Diese Beschäftigung mit Farben auf der chemischen Ebene war für Wolf tief verknüpft mit einer Leben-und-Tod-Erfahrung in frühester Kindheit.
Wolf war mit einem Jahr an einer Lungenentzündung erkrankt, und sein Leben wurde durch das Medikament Prontosil gerettet — Prontosil ist der Handelsname für den synthetischen Farbstoff Sulfamidochrysoidin, ein Sulfonamid, mit dem ursprünglich Textilien rot gefärbt wurden.21
Öffnet man sich für diese Magie, dass ein Farbstoff ein Arzneistoff ist, oder sein kann, könnte man sinnstiftend sagen, Wolfs Leben wurde gleichsam durch die Farbe Rot gerettet.22
Es wird hier einsichtig, wie real Wolfs ganzheitliches und spirituelles Verständnis und Feeling für Farbe ist, und welche Bedeutung und spezifische Funktion Farbe in seinem Kunstgebäude hat.
Die Magie der Farben lag für Wolf in erster Linie in der Erzeugung von Licht. Wolf sagte mal in Bezug auf das Mischen von Farben und seine verwendete Farbtheorie, „Mein Ziel war das Licht, nicht die Dunkelheit — da kam ich ja her.“
Diese Absicht führte ihn, als er seine Malerei 1980 systematisch begründete, zunächst zu einer Palette auf der Basis der Spektralfarben, Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo und Violett.
Referenzrahmen in der Kunstgeschichte waren die Impressionisten, Neoimpressionisten und Pointillisten, und ihre Verwendung der Additiven Farbmischung, um mit Farben im Auge die Empfindung von Helligkeit und Licht zu erzeugen.23
Marschlandschaft, 1980, Acryl/Sperrholz, 80 x 100 cm
Auch bahnbrechende originäre Maler wie van Gogh, Munch, Kirchner, und andere Maler des Expressionismus waren impulsgebend, allerdings in der Weise, dass Wolf gerade nicht so arbeiten konnte wie sie, denn er wollte schließlich nicht nachahmen.
Auf den Schultern dieser modernen und klassisch-modernen Maler war Wolfs spezifisches und sehr persönliches Anliegen die Frage nach der Integration von Farbe — im Verbund mit der Erforschung der eigenen Form, als Ausdruck der Identität.
Integration und Synthese waren schließlich auch im psychologischen Kontext ein fundamentales Phänomen innerhalb von Prozessen der Heilung, und so lag ein ganzheitliches Interesse vor, in der Malerei, in der Bildschöpfung mit Farbe und Form ganzheitlich Integration zu schaffen.
Wolfs Affinität zu synthetischen Prozessen in der Chemie, die zur Erzeugung neuer Dinge führen, korrespondierte ebenfalls mit der künstlerischen Bildschöpfung, das heißt, Integration und Synthese, mit dem Ziel der Vervollständigung, Wolf würde sagen — Completion, sind die grundlegenden Bausteine der Originalität von Wolfs Beitrag zur Kunst.
Krähen über dem Weizenfeld,9.1980, Acryl/Sperrholz, 80 x 100 cm
Bilder sind Wege in die Wirklichkeit...
...Wolfs frühes Bild Krähen über dem Weizenfeld ist eine Hommage an Vincent van Gogh, und eine Coverversion, wie Wolf es nannte, wobei sein Interesse der Erforschung und Überprüfung galt, wie seine Technik, die er sich ausgedacht hatte, die hier, so sagt er, noch nicht ihre Ordnung gefunden hat, aber schon stark auf dem Weg dahin ist, wie diese Technik, und sein Ordnungsprinzip, funktionierte.
Wie sieht das aus? Das war auch die Frage nach der eigenen Form. Gleichzeitig verarbeitet Wolf in diesem Bild seine eigene lebendige Erfahrung, in dem Weizenfeld, das am Kunsthof Schülp lag, umherzustreunen und sich darin zu verlieren und gleichzeitig Geborgenheit zu finden — im Unterschied zu Vincent, für den sein Erlebnis im Weizenfeld 1890 tragischerweise darin mündete, dass er bald darauf einer Schussverletzung erlag.
Vincent van Gogh, Krähen über dem Weizenfeld, 1890, Öl/LW, 51 x 101 cm, Van Gogh Museum, Amsterdam
Bauernhaus in der Marsch/Kunsthof Schülp, 1980, Acryl/Spanplatte, 80 x 100 cm
Unten: Kunsthof in Magenta, 1980, Acryl/Pappe, ca. 30 x 40 cm
Das erste Bild, eine Studie auf Pappe, in dem Wolf die Integrative Farbordnung nach Küppers benutzte und die Farbe Magenta in seine Malerei einführte.
Eine für Wolf bedeutsame Entdeckung im ersten Schaffensjahr, 1980, war die Begegnung mit der Integrativen Farbenlehre von Harald Küppers.24
Wolf sagt, es war wie eine Offenbarung für ihn, denn er hatte sich ja zuvor intensiv bereits mit dem Phänomen der Integration beschäftigt.
Die Küppersche Lehre basierte auf der grundlegenden Tatsache, dass Farbe eine physiologische Wahrnehmung ist, also im Auge stattfindet — die Dinge, die wahrgenommenen Körper an sich sind bekanntermaßen farblos — wobei durch die drei Zapfentypen im Auge die Urfarben, Orangerot, Grün und Violettblau entstehen.
Aus diesen drei Urfarben ergeben sich durch Mischung die sechs Grundfarben, Gelb, Grün, Cyanblau, Violettblau, Magentarot und Orangerot. Hinzu kommen noch die unbunten Farben Schwarz und Weiß.
Wolf hatte sich darangemacht, mit der Mengenlehre die Additive Farblehre mit den Spektralfarben in die Integrative Farbmischung nach Küppers selbst umzurechnen, und es kam dabei heraus, dass er alle Farben im Grunde beibehalten konnte, nur dass sich einige leicht verschoben, wobei Orange ins Rot aufgenommen wurde, zu Orangerot, Blau wurde zu Cyan, und — ganz wesentlich — anstelle von Orange kam die Farbe Magenta hinzu.
Magenta war eine synthetische und integrative Farbe, die im natürlichen Spektrum nicht vorkommt, da sie aus den Farben Rot und Violett entsteht, die als langwelliges und kurzwelliges Licht jeweils an den Rändern des Spektrums liegen und sich nicht berühren.
Abgesehen davon, dass die Küpperschen Farben insgesamt etwas heller anmuteten, das heißt, in der Empfindung lichtintensiver wirkten, was Wolf begrüßte, war die Einführung der synthetischen Farbe Magenta für Wolf in seinem Anliegen, synthetisch und integrativ zu arbeiten, bahnbrechend.
Wolf sagt, „Die Farben blieben in etwa dieselben, und doch war es etwas ganz anderes“.
Es fügte sich außerdem ein glücklicher Umstand, nämlich dass die Farbe Magenta von der Firma Lascaux als Acrylfarbe angeboten wurde, und bei Wolfs Farbenhändler in Heide, wo er seine Materialien kaufte, erhältlich war.
Später gab es von den Firmen Lukas und Schmincke auch die Küpperschen Farben als Systemfarben. Mit ihnen arbeitete Wolf lange Zeit, in Acryl und ab 1984 in Öl.
Zu jener Zeit, als Wolf sich mit der Integrativen Farbmischung nach Küppers beschäftigte, hatte er zudem ein spirituell öffnendes Erlebnis, als er in Schülp mit dem Trecker über den Acker fuhr.
Wolf hatte von einem Mitarbeiter seines Vermieters, dem Bauern Loe, ein Mal die Erlaubnis bekommen, den weiten Acker hinter dem Kunsthof zu pflügen, und während er mit dem Trecker über das weite Feld tuckerte und den Boden bereitete, und den Anblick in sich aufnahm, wie die schwarze Erde und der weite Himmel sich am Horizont berührten, verbunden in den gewaltigen Naturkräften, die der Mensch nicht zu kontrollieren vermag, sah er die Bedeutung der Farbe Magenta für seine Arbeit— Magenta scheint somit in Wolfs Werk eine spirituelle Symbolkraft zu besitzen.25 Die kleine Studie auf Pappe, Kunsthof in Magenta, aus 1980, [Abb. S. 32], dokumentiert dieses Erlebnis. Es ist das erste Bild auf der Grundlage der Integrativen Farbmischung.
Das konzeptuelle Frühwerk von Wolf, im Wesentlichen sind das die Acrylbilder aus projizierten Collagen von Fotos und Zeichnungen, in denen er Wert-Konzepte gestaltet, (die Jahre 1981-1984), lebt sehr stark von der Farbe Magenta, die Wolf hier in eine spezifische Funktion stellte, indem er sie dem Hintergrund zuordnete, also gleichsam einem konzeptuellen Himmel.
Wolf sagt, er wollte Magenta so verwenden, wie die Meister des Mittelalters das Blattgold — es korrespondiert gleichsam mit einem virtuell-spirituellen oder imaginären Raum, einem geistigen Projektionsraum.
Über die Wirklichkeit dieser konzeptuellen Zuordnung spricht Wolf in dem Beitrag, Die verborgene natürliche Ordnung aufdecken — Die frühen konzeptuellen Bilder.
Ich glaube, dass das ‚Phänomen Magenta‘ in Wolfs Werk einen möglichen Schlüssel oder Zugang zu einem tieferen Verständnis seines spezifischen Beitrages in der Kunst anbietet, indem es das Prinzip der Synthese, das Wolfs Werk in Wesen und Ausdruck strukturiert, in einer Art Trägerfunktion besonders anschaulich verdichtet und unterstützt.
Das Grundprinzip der Synthese in Wolfs Werk lässt sich einmal mehr aus psychologischer Perspektive erhellen, wenn man bedenkt, dass Wolf, der sich aufgrund seiner Vaterproblematik und des elterlichen Generalverbotes, überhaupt jemand zu sein, dem als liebenswertes Individuum etwas eignet im Sinne einer natürlichen Berufung, sich den Maler gewissermaßen im Akt einer Anmaßung synthetisch angeeignet hat.26
Als Wolf im Interconti-Hotel die Entscheidung getroffen hatte, ‚Ich bin jetzt Maler‘, Stante Pede, ohne zuvor Bilder gemalt zu haben, war dies zwar eine zutiefst gesteuerte intuitive und wahrhaftige Bekundung, dennoch war sie im Angesicht des Verstoßes gegen Familienskripte äußerst kühn, rational und — synthetisch.
Man könnte sagen, Wolf hat sich in den Künstler, der er ist, indirekt eingeschlichen, indirekt im Sinne von synthetisch, und es ist bis heute ein gewisser Schmerz in ihm, darüber, dass er Künstler ist.27
Das Prinzip der Synthese, im Verbund mit dem Anliegen der Integration und der Vervollständigung [Heilung], hat eine Richtung für Wolf — die Realität, das Reale.
Alles Streben, im ganzheitlichen Dasein, geht für Wolf immer wieder und immer nur darum, in die Realität zu kommen, wobei die Realität, wenn sie erkannt und angenomen wird, gleichbedeutend ist mit Heilung, beziehungsweise dem Weg Richtung Heilung.
So könnte Wolfs Credo aus seinem Manifest, ‚Bilder sind Wege in die Wirklichkeit‘ auch heißen, ‚Bilder sind Wege in die Realität‘.
Das Grundanliegen im Leben — und das impliziert die Arbeit — ist es, zum Fühlen zu gelangen, das heißt, unbewussten Schmerz ins Bewusstsein zu bringen, Illusionen zu entlarven, sich aus der Gefangenschaft im Symbolischen zu lösen — ‚I finally broke into the prison‘, singt Leonard Cohen in seinem Song The Old Revolution.
In diesem Bedürfnis nach dem Realen, nach Feeling, hat Wolf Verankerung in der Primärtherapie gefunden, die den Klienten in die Freisetzung realer Gefühle begleitet, und in starkem Maße, wie ich oben bereits dargelegt habe, in der Rockmusik — im Rock ist das Reale selbstverständlich; Rock ist real, er ist im Herzen reale Lebensfreude und Lebendigkeit.28
Dies sind auch Wolfs Ziele in seiner Arbeit und sie stehen synonym für die Aussage, ‚Mein Ziel war das Licht, nicht die Dunkelheit, da kam ich ja her.‘
Real Feeling, das Grundmovens in Wolfs Kunst ist auf natürliche Weise und wesentlich verbunden mit einem weiteren Begehren — dem ‚True Place‘, an dem wir schließlich anzukommen wünschen.
Vereinfacht könnte man sagen, da ist das Individuum, und da ist der Ort, an dem es sein darf, wobei der True Place die Vervollständigung ist, er ist eine Erfüllung, eine Wiedererlangung, auch eine Segnung.
In Wolfs Werk münden diese Werte-Konzepte in die Faces und in die Coming Home-Thematik, als die komplementären menschlichen Ur-Themen — Identität und Identifikation.
Identifikation meint hier das Identifiziertwerden, denn das Individuum, das sich selbst erkennen möchte, in seiner Identität, muss auch von außen erkannt, das heißt identifiziert werden, sei es durch Mutter und Vater, oder durch eine Gesellschaft.
Wolfs Faces zeigen das Individuum, das fühlende Individuum, grundsätzlich im Zustand des Nicht-Identifiziertseins.
Wolf hat vielfach auch konkrete Personen gemalt, zum Beispiel Politiker, in satirischer Weise, und insbesondere in seinem konzeptuellen Frühwerk hat er sich und seine Familie dargestellt, doch für die Faces ist charakteristisch, dass sie gewissermaßen keine Personen sind, ja mehr noch ‚Non-Personen‘ sind.
In seinem Bild Bundesverdienstkreuz letzter Klasse, [Abb. S. 334], aus der Berliner Zeit, von 2004, hat Wolf die Problematik der Non-Person sehr konkret in einem aufbegehrenden Schmerz-Bekenntnis dargestellt — es ist ein Selbstbildnis in Rückverbindung mit Aspekten der eigenen Realität und Identität, dessen Leid — das nicht-erlebte-Identifiziertsein — hier als Unperson konzeptuell gestaltet wurde.
Dieses Selbstbildnis, Bundesverdienstkreuz letzter Klasse, offenbart übrigens einen weiteren existenziellen Wert — für das Individuum als auch in Beziehung zum True Place: Es sind die grundlegenden Werte, die man mit anderen teilt.
In Bundesverdienstkreuz letzter Klasse schwingt die Botschaft, ‚Ich bin der Paria, der in dieser Gesellschaft keine Segnung erhält, dessen Werte nicht geteilt werden‘.
Auch für den True Place gilt grundsätzlich, dass er ein Ort ist, an dem die Werte, für die man einsteht, vom Umfeld akzeptiert, respektiert, und im Idealfall geteilt, das heißt anerkannt werden.
Wolfs Coming Home-Bilder, die er selbst einmal so genannt hatte, nachdem sich Anfang der Neuziger Jahre das Thema oder Motiv des Heimkehrenden herauszubilden begann, sind die zu einem Archetypus geronnene Gestalt des Individuums, das an seinem wahren Platz ankommt, angekommen ist, oder — sofern man diesen für Wolf noch offenen Prozess als dynamisches Postulat nimmt — ankommen soll.
Das Begehren nach dem True Place ist ein psychologisches Anliegen auf Wolfs Lebensweg, und im selben Maße ein gesellschafts-politisch und -kritisches Anliegen, das in Wolfs tief empfundenem Wert der Humanität und des Humanismus wurzelt.
Wo der Mensch missbraucht wird, zum Beispiel in Form von Ausbeutung und Verknechtung, und dies scheint sich gegenwärtig global zuzuspitzen durch eine Zunahme an totalitären Strukturen durch die Machteliten, da fühlt Wolf einen tiefen Unmut, und Wut, die natürlich auch daraus gespeist ist, dass er selbst als Kind seelischer und körperlicher Gewalt ausgesetzt war.
In unserem Buch, Wolf Wonder. Über das Emotionale in der Kunst, hatte ich Wolfs gesellschaftskritischen Standpunkt der Humanität bewusst herausgestellt, wobei deutlich wurde, dass der True Place im Grunde ein innerer ist.
Wolf sagt, er hat Heimat in sich selbst gefunden — und das ist die natürliche Logik unseres spezifischen Weges.
Der Prozess bleibt freilich immer offen, und er ist ein dialektischer, das heißt, auf dem Weg zu Heilung, zu innerem Frieden und Gelassenheit, kann im selben Maße weiter in die Tiefe vorgedrungen werden und verdunkelter Schmerz verknüpft, integriert und gelöst werden.
In diesem Buch ist es insbesondere der letzte Beitrag, Coming Home 2023 — Eine Serie von Nacht-Bildern im Flashlight, der Wolfs Weg zu sich selbst in der Aktualität der Gegenwart ein Stück offen legen soll, anhand eines kurzen Flashlights auf die zuletzt entstandenen Bilder.
Meine ursprüngliche Intention für dieses Buch war, in formaler Anknüpfung an das vorangegangene Buch, wo Wolf eine persönliche Standortbestimmung vorgenommen hatte, auch hier eine solche voranzustellen, um unsere Position als Kulturschaffende in unserer Zeit in einen gesellschaftlichen Kontext zu stellen und uns selbst aktuell zu verorten.
Doch ein solches Standortgespräch scheint zur Zeit nicht geboten, was offenbar ein Ausdruck der gegenwärtigen Zeit-Qualität und der Tatsache ist, dass sich die Welt, in der wir leben, spürbar in einem so umfassenden Wandel und Umbruch befindet, der unsere individuelle, innere Wandel-Arbeit, die Arbeit am Selbst, auf natürliche Weise einschließt und andere Prioritäten erfordert.
In unserer Erlebnisrealität und Kommunikation drängte sich kürzlich wiederholt die Zahl 23 ins Bewusstsein. Im I Ging, dem Buch der Wandlungen, ist das Hexagramm Nr. 23, Bo — die Zersplitterung, der Zerfall.
Der Berg ruht auf der Erde. Durch reiches Spenden, wie es in der Art der Erde (Kun) liegt, wird die sichere Ruhe, wie sie in der Art des Berges (Gen) liegt, erreicht. Das Weiche verändert das Feste.
Der Edle tut gut dran, nirgendwohin zu gehen, außer nach innen, und in die Stille.
Die Intention dieses Buches ist es, den Leser und Betrachter, der für das künstlerische Bild aufgeschlossen ist, an der wundersamen Gesetzmäßigkeit, die der Botschaft, Bilder sind Wege in die Wirklichkeit, zukommt, teilhaben zu lassen.
Da ist zum Einen unsere Geschichte, unsere spezifische Lebensrealität, in der die Bilder, die Wolf gemalt hat, maßgebliche Wirkkräfte waren und sind, die hier in einem Panorama verschiedener Lebensstationen, die an Lebensorte geknüpft sind, Darstellung finden soll, wobei der Leser unserer Geschichte folgt, und da ist die persönliche Erlebnisrealität des Lesers und Betrachters, die sich im Anschauen des einzelnen Bildes als Wirklichkeit ausdehnen soll.
Dabei ist es eine wundersame Eigenschaft von BILDERN, dass sich ihre intrinsische Realität an der Oberfläche offenbart. An der Oberfläche der Leinwand offenbart sich die ganze geistige Botschaft, die wir in der verweilenden Anschauung über die Augen in unsere innere Welt aufnehmen und für unsere individuelle Wahrheit und Erkenntnis wirklich machen können.
1 Damit steht Wolf in einer langen Tradition einer Bildkultur, und er hat als individueller Künstler die Kunst aus der Tradition heraus linear fortgesetzt, während sie faktisch abgerissen ist, indem sie durch den Kunstbegriff ersetzt wurde. Wolf sagt, „In der Bildenden Kunst ist der Faden gerissen; nicht so in der Musik oder anderen Kulturbereichen“. In ihnen hat Wolf sich früh verankert. Die Kultur des Rock, die Lebensfreude, die dieser transportiert, ist eine Säule in Wolfs Werk. Siehe dazu unser Buch, Wolf Wonder. Über das Emotionale in der Kunst, BoD, 2020, insbesondere Kap. 8, Dass Malerei so sein könnte wie Musik. Wolf sagt, ‚Die heutige Kunst ist wie Krypto. Als Spekulationsobjekt und Instrument der Geldwäsche darfsie keinen intrinsischen Wert besitzen.‘ Wenn dies eine Realität ist, dann stehen wir dazu definitiv in Opposition.
2 Das heißt nicht, dass jedes Bild ein gutes Bild war, oder für ihn so funktionierte, wie er es intendiert hatte.
3 In Wolf Wonder. Über das Emotionale in der Kunst, in Kap. 27, Das Leben mit fühlenden Menschen ist heilsam, habe ich über den für mich heilsamen Einfluss authentischer Gefühle in der Wonderfamilie geschrie-ben.
4 Dieses Phänomen einer Entladung von Primärschmerz, auch Urschmerz genannt, führte auch zu der Be-zeichnung Urschrei-Therapie, wobei diese Charakterisierung eine Verkürzung ist.
5 Wolf half mir, indem er, der gar keinen Vater hatte, zeigte, dass es in meinem Fall geboten war, die Anteile meines Vaters, den ich wenigstens kannte, in mir zu erkennen und anzunehmen.
6 Es gibt natürlich keinen rationalen Grund für Gewalt. Elsas Grund für ihre Gewalt war schlicht die Gewalt, die sie aufgrund ihrer eigenen Prägungen, Erfahrungen und charakterlichen Disposition in sich trug, und die sich mit ihrer Angst paarte.
7 Diese Rolle war Wolfs Halbbruder, Don, zugeteilt. Er hatte Malerei an der Hochschule studiert und arbeitete als Kunsterzieher und Künstler. Wolfs Herkunftsfamilie hat nie wirklich akzeptiert oder gutgeheißen, dass Wolf Maler wurde. Seine Realität, seine individuelle Realität wurde, wie es seit früher Kindheit war, von allen auf sonderbare Weise ausgeblendet.
8 Ein Grundsatz von Earthplay hatte mich damals unmittelbar und in besonderem Maße im Herzen berührt und mich von der Seriosität der Organisation überzeugt sein lassen: You have many perspectives of yourself. So do have other people. Dieser Satz war Ausdruck eines humanistisch-christlichen Menschenbildes, in dem es geboten ist, sich selbst vollständig anzunehmen und in dieser tiefen Erfahrung auch den Anderen annehmen zu können. Es war ein Anstoß zur Eigenliebe und Nächstenliebe.
9 Dieser intentionale Drang bei Wolf ist zutiefst mit seinem Wahrheitsund Heilungsstreben verbunden, und ich kann sagen, wir kommunzieren diesbezüglich einige Dinge seit Jahrzehnten.
10 In diesem Prozess haben in unserer Kommunikation übrigens Bilder, die Wolf irgendwie erdenkt oder auch empfängt, und oft in Gleichnisse kleidet, einen hohen funktionalen Anteil.
11 Der DNA Geschwister-Test, den Wolfs Halbschwester Linde, nach dem Tod der Eltern, 2008 möglich machte, war für Wolf in Bezug auf sein Begehren nach Evidenz der Höhepunkt in seinem Leben. Er erhielt dort den Beweis, dass er tatsächlich nicht der Sohn von Heinz war, was Wolf innerlich immer wusste.
12 Die Gegebenheit von Schutz ist für Wolf essentiell, da er in seiner Kindheit keinen eigenen sicheren Raum hatte und plötzlichen Gewaltübergriffen ausgesetzt war.
13 Siehe dazu auch unser Buch, Wolf Wonder. Über das Emotionale in der Kunst, in Kap. 13, Ich male wie ein Kind; dort spricht Wolf in Bezug auf integrative Prozesse über den wichtigen Grundsatz der Nicht-Manipulation, das heißt, möglichst nur offen zu sein, für das, was aus den Tiefen aufsteigt, und nicht gewaltsam Tiefenerfahrungen zu suchen. Es ist dies auch ein Grundmerkmal der Primärtherapie, die von der Tatsache ausgeht, dass die für einen therapeutischen integrativen Heilungsprozess notwendigen Information und Wahrheiten im Klienten selbst liegen und nicht außerhalb von ihm.
14 Wolf hat diesbezüglich ein bemerkenswertes Urvertrauen, das ihn navigiert in der Bereitschaft, Not zu akzeptieren, Leid in Kauf zu nehmen. „What is there, is there“, wie Bhagwan sagte.
15 Hier wirkt eine natürliche Dialektik innerhalb des Gesetzes der Anziehung: Wo man unvollständig ist, wo man Schwächen hat, dort zieht man unbewusst auch Menschen an, die von dieser Schwäche profitieren und daraufhinwirken, dass sie bestehen bleibt — bis man sich dieser eigenen Schwäche ausreichend gewahr wird und sie bearbeitet und löst.
16 Siehe zum Beispiel Arthur Janovs Buch, Das befreite Kind, Fischer, 1975; (Orig.:The Feeling Child, 1973).
17 In der Arbeit am Selbst diktiert bei Wolf der Körper aufgrund der in ihm eingeprägten Gewalterfahrung oft die aktuelle Grenze im Voranschreiten.
18 Interessant ist in dieser Hinsicht die Tatsache, dass Wolfs Faces niemals Köpfe sind, sondern Gesichter. Als Klangkörper sind diese Gesichter gleichsam Wolfs Körper.
19 In diesem Kontext ist eine Geschichte, die Wolf manchmal erzählt, recht aufschlussreich. Er hatte als Kind, in Heide in den Wiesen, eine riesige Straßenwalze vorgefunden und hatte in seiner forschenden Neugier einen Nagel in das Zündloch gesteckt, und die Walze war angesprungen, was Wolf zutiefst erschreckte. Wenn ich oben schrieb, dass Wolf nicht ‚an den Dingen dreht‘, dann muss man der Vollständigkeit halber sagen, dass dies eine spätere, bewusste, erwachsene Entscheidung war, die auch aus Vernunft und Einsicht erwachsen war, denn Wolf hatte aufgrund der Gewalt, die er im Elternhaus erfahren hatte, Gewalt in sich, das heißt Wut, die auch sein Handeln in der Verwahrlosung bestimmte und dazu führte, dass er Dinge bisweilen auch kaputt machte. Er hatte früh die ambivalente Erfahrung gemacht, dass er an den Dingen drehen konnte; er hatte die Erfahrung gemacht, dass seine Intelligenz und tiefe Wahrnehmungsfähigkeit ihm Macht verlieh, mit der er auch vernichten konnte.
20 Mir erscheint es so, als würde in diesem Begehren Wolfs tiefes Bedürfnis nach der Aufdeckung seiner wahren Vater-Herkunft mitschwingen.
21 Das Sulfonamid Prontosil wurde von dem Arzt und Bakteriologen Gerhard. J.P. Domagk 1935 in einem Projekt zur Erforschung von Farbstoffen als antibakterielle Chemotherapeutika für die Firma Bayer entwickelt. Für die Entdeckung der antibakteriellen Wirkung dieses Farbstoffs und die Einführung der Sulfonamide als Antibiotika erhielt Domagk 1939 den Nobelpreis für Medizin.
22 Übrigens folgte Wolf als Schüler in der Chemieprüfung in einer selbst gewählten Versuchsanordnung dieser persönlichen Rettungs-Spur und synthetisierte das Sulfonamid Prontalbin.
23 Mit der Anwendung der Additiven Farbmischung ergab sich auf natürliche Weise, dass die stofflichen Farben nicht vermischt wurden, woraus sich einfarbige Farbflächen ergaben, die nebeneinandergesetzt wurden, und deren Farben sich im Auge des Betrachters vermischten.
24 Harald Küppers, (1928-2021), war ein deutscher Drucktechniker, Forscher, Dozent und Patenteinhaber, der die Integrative Farbtheorie entwickelte.
25 Wolf war zu jener Zeit durch die Marsch spirituell sehr inspiriert. Durch die Lektüre von Büchern wie Joseph Murphy, Energie aus dem Kosmos, oder Fred Hoyle, Das intelligente Universum, war Wolf besonders offen für die Idee, dass die sehr spezifische Energie der friesischen Marsch voller Information war, die alles Leben ordnend und fruchtbar durchdrang.
26 Es ist interessant zu bemerken, dass ein Journalist vom art-Magazin, Alfred Nemeczek, dem ich Mitte der Neunziger Jahre einmal einen Beitrag über Wolfs Person und Arbeit angeboten hatte, in der Hoffnung, er würde etwas davon veröffentlichen, dies als unzureichend ablehnte, mit der Begründung, es wirke alles zu ‚angeeignet‘, was wohl heißen sollte — unseriös. Da hatte er möglicherweise etwas ganz richtig wahrgenommen, aber in seiner Bedeutung nicht verstehen können.
27 Es ist in vielen Lebensbereichen zu beobachten, dass Wolf, dem qua Familienscript nichts zusteht, sich oftmals Dinge nur auf Umwegen und mit Hilfsmitteln, also nur indirekt aneignen kann; das heißt, eine direkte Berührung wird von ihm unbewusst als schmerzhaft oder bedrohlich eingeschätzt. Interessant ist in diesem Kontext auch die Tatsache, dass Wolf einige Male in seinem Leben andere Menschen, die sich als Künstler definieren wollten, durch psychologisches Coaching und selbstloses Hingeben von Know How, in ihrem Begehren unterstützte — Vielleicht, um auf diesem Wege, indirekt, für sich selbst als Künstler eine Segnung zu erwirken?
28 Als Wolf und ich 1991 auf einem Flug von New York nach Amsterdam zufällig Eric Burdon trafen, mit dem Wolf sich angeregt austauschte, schrieb dieser eine anerkennende Widmung in Wolfs Ausstellungskatalog: Rock used to exist in music, now it exist‘s in painting too“.
Links:Selbst, 10.11.2021, Öl/LW, 60 x 60 cm
2021
Wolf hat gerade sein Bild fertig gemalt. Ich betrete den Raum. Wolf ist außer Atem und rauschhaft erschöpft; er ordnet seine Malutensilien.
Wolf berichtet über die Entstehung dieses Spiegel-Selbstbildnisses, in dem er, der seine eigene Gestalt nicht richtig erkennen kann ‚aus dem Nichts heraus‘ diese malerisch geschöpft und ins Sein gebracht hat.
Ein Gespräch vom 10.11.2021
S: Das ist ja stark, Wolf!
W: Findest du?
S: Das ist noch nie dagewesen, so ein Face hast du noch nie gemacht.
W: Nee, das stimmt.
S: Du hast ja lange keine Faces gemacht.
W: Nee, das stimmt. … Muss ich ja auch nicht.
[Wie betrachten schweigend das Bild]
S: Interessanterweise steckt da für mich auch was von den frühen Gesichtern drin, die gelbe Gesichtsfarbe... [siehe z.B. das Bild Glück, Abb. S. 88-89]
W: Ja, ja, die gelben Gesichter, ich weiß, ja, Gelb und Magenta. Ja, das ist richtig, genau.
Geh mal ein Stück nach vorne.