Wolfswege 1 -Amber - Stefanie Worbs - E-Book

Wolfswege 1 -Amber E-Book

Stefanie Worbs

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Beschreibung

Ryan muss erfahren, dass das Leben nicht immer so spielt, wie man es gern hätte. Da taucht ein Mädchen auf, das weder Werwolf noch Mensch ist. Aber wo kommt sie her und warum wehrt sie sich so gegen ihren Wolf? Dass sie Ryan und seine Familie in große Schwierigkeiten bringt, hat sie sicher nicht gewollt, doch nun müssen die Thalans eine Entscheidung treffen, die die komplette Zukunft ihres Rudels bestimmen wird.

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Seitenzahl: 162

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Werwolf oder nicht?
Verweigerer
Die Sucher
Von Brüdern und Beute
Die Azur-Royale
Von Blaublütern und Verweigerern
Vollmond
Amber
Unwissenheit schützt vor Strafe nicht
Ambers Los
Xanders Plan
Eine neue Generation
Vom Fluch zum Segen
Erste Schritte
Stand der Dinge
Personenverzeichnis
Die Ränge
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Wolfswege
Neuer Wind
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Stefanie Worbs

Wolfswege

Band 1

Wolfswege

Amber

Werwolf oder nicht?

„Sie war da!“

„Niemand war da.“

„Ich habe sie doch gesehen!“

„Da war niemand. Ich hätte es doch bemerkt.“

„Aber ...“

„Schluss jetzt!“, fuhr Hakoon auf. „Du siehst Geister! Wenn da jemand gewesen wäre, hätte ich das gemerkt!“

Ryans Blick wurde ungläubig. „Vielleicht liegst du auch mal falsch?!“, entgegnete er seinem Freund und Rudelbruder genervt. „Du bist auch nicht unfehlbar!“

„Mag sein. Aber hier ist niemand außer uns. Lass uns gehen. Tavis wartet.“

„Koon!“

„Ich sagte, Schluss!“, zischte der Angesprochene. „Wir gehen!“

Ryan senkte den Blick zu Boden, während Hakoon sich umwandte. Er hatte sie gespürt und ihren Geruch wahrgenommen. Er war sich auch sicher, sie gesehen zu haben. Doch als er genauer nachschauen wollte, war sie verschwunden.

Ryan hatte den älteren Wolf sofort nach ihr gefragt. Koon war mit seinen besser ausgebildeten Fähigkeiten im Vorteil. Außerdem war er ihr Späher. Es war sein Fachgebiet, fremde Wölfe aufzuspüren. Vielleicht hatte Ryan sich aber doch getäuscht. Vielleicht war sie wirklich nicht da gewesen. Koon hätte es bemerkt, er hätte sie bemerkt.

Und trotzdem. Ryan wurde das Gefühl nicht los, dass da jemand gewesen war. Jetzt natürlich nicht mehr. Aber hinter seinen Augen kribbelte es seltsam, als wäre er müde, könnte aber nicht schlafen.

„Ry! Komm endlich!“

Ryan hob den Blick wieder. Hakoon hatte sich schon ein ganzes Stück entfernt, stand nun aber ihm zugewandt. Der Späher hob auffordernd die Hände und zog die Augenbrauen hoch. Ryan seufzte und setzte sich in Bewegung.

Kaum hatte er das getan, drehte auch der ältere Wolf sich um und lief weiter. Ryan musste rennen, um aufzuholen. Eine leichte Windböe wehte einen Geruch in seine Richtung. Er hatte Koon noch nicht ganz erreicht, blieb aber abrupt stehen und atmete tief ein. Das war sie! Das war ihr Duft! Sie war doch hier gewesen und sie war es noch, zumindest war sie nicht weit entfernt!

Ryan drehte den Kopf, um ihre Fährte aufzunehmen. Eine weitere Brise half ihm und schon wusste er genau, wo sie langgelaufen war. Er würde sie binnen weniger Minuten haben. In Wolfsgestalt sogar noch schneller. Ohne zu zögern, nahm er sie an. Seine Kleider fielen zu Boden, wo er eben noch auf zwei Beinen gestanden hatte. Kurz kämpfte er mit den Stoffen, dann hatte er sich befreit und rannte los.

Koons Ruf in den Ohren folgte er ihrer Fährte. Schon einen Moment später hörte er die leisen Schritte eines anderen Wolfs hinter sich. Sein Freund folgte ihm, doch Ryan achtete nicht darauf. Sie war jetzt seine Beute und seine Nase brachte ihn zu ihr.

Der Club, aus dem die beiden Jungs gekommen waren, war einer von mehreren am Stadtrand. Es war aber auch einer von der Art, in die sich nur Leute wagten, die nicht wirklich viel zu verlieren hatten. Die Rudel hingen dort rum, weil sie dort unter sich sein konnten.

Es verirrten sich natürlich auch Menschen in diese Gegend - was allerdings eher selten war - doch das war es gewesen, was Ryan hatte aufmerken lassen. Sie roch menschlich, aber irgendwie auch nicht. Ihr Geruch hing nun an verschiedenen Stellen auf seinem Weg. Wände, Mülltonnen, dem Gehweg selbst. Als wäre sie mehr getorkelt als gelaufen. Ryan überlegte, ob sie vielleicht betrunken war.

Er bog um eine Häuserecke und folgte ihrer Spur durch eine Gasse. Seine Pfoten patschten in Pfützen und das Wasser spritzte ihm bis an den Bauch. Dann wurde ihr Duft stärker und nun hörte er auch einen Herzschlag, keinen Wölfischen, sondern einen menschlichen. Trotzdem war er schneller, als er sein sollte. Noch eine Biegung, dann versperrte ihm ein Zaun den Weg. Wo war das Mädchen?

Ihre Fährte führte hierher, doch sie war nicht da. Koon kam hinter ihm zum Stehen und legte den Kopf schief. Er fragte damit, was Ryan hier wollte, doch der schaute sich weiter um.

Rechts an der Hauswand und nah am Zaun standen Kisten. Sie waren so hoch aufgestapelt, dass man mit ihrer Hilfe über den Zaun klettern konnte. Sie musste es getan haben und nun auf der anderen Seite sein.

Ryan ging hinüber und begann die Kisten hochzusteigen. Hinter ihm knurrte Koon missbilligend, doch er ignorierte es. Oben angekommen fand er augenblicklich, was er gesucht hatte.

Das Mädchen saß an die Wand des Hauses gelehnt, die Knie angezogen und die Arme darum geschlungen. Er spürte Verzweiflung und Angst von ihr ausgehen. Leise und vorsichtig legte er sich hin und seinen Kopf auf die Vorderpfoten, den Blick wandte er dabei nicht von ihr. Eine erneute kleine Windböe wehte von ihr zu ihm und er erkannte jetzt eindeutig Wolfsgeruch. Doch er war unrein. Viel zu viel Mensch war darin. Seine Augen verengten sich.

Werwölfe verwandelten sich in der Regel im Alter von 13 oder 14, aller spätestens mit 15 und verloren dann diese Unreinheit. Sie hatte dieses Alter mit Sicherheit überschritten, doch noch immer roch sie, als hätte sie die Wandlung nie vollzogen. Hatte sie es vielleicht nicht?

Jetzt hob Ryan den Kopf doch wieder und musterte sie unverhohlen. Seiner Schätzung nach war sie vielleicht sein Alter, also Anfang 20. Es war schwer einzuschätzen, wegen des Dämmerlichts und ihrer Haltung. Sie wirkte krank und müde. Ihre Aura strahlte mehr als alles andere Hilflosigkeit aus.

Einem Instinkt folgend erhob Ryan sich, doch noch bevor er springen konnte, kippte das Mädchen nach vorn und auf die Knie. Ihre Finger hätten sich in den Boden gegraben, wäre er nicht aus Beton gewesen. Augenblicklich roch Ryan das Blut, doch sie schien es nicht zu bemerken. Die Stirn zwischen ihren verkrampften Händen auf den Boden gelegt, schien sie einen Aufschrei zu unterdrücken, der ihr einen Moment später doch entfuhr. Sie litt eindeutig Schmerzen.

Mit einem Satz war Koon neben ihm und schaute ebenfalls auf das Mädchen hinab. Sein Blick war verwirrt und ein leises Grollen drang aus seiner Kehle. Ryan schaute nicht weiter zu ihm, stattdessen entschied er, sich dem Mädchen zu nähern, und sprang von den Kisten über den Zaun. Er landete fast lautlos und senkte sofort den Kopf als Zeichen des Friedens, doch sie hatte ihn nicht mal bemerkt. Noch immer hockte sie auf Knien, doch den Kopf hatte sie nun nicht mehr am Boden.

Abermals legte Ryan sich nieder und kroch dann näher an sie heran. Sie keuchte schwer und der salzige Geruch von Tränen hing in der Luft. Es waren vielleicht noch drei Menschenschritte Abstand zwischen ihnen, als er sich mit einem leisen, kehligen Laut bemerkbar machte. Er hielt sofort inne, als sie auf und zu ihm schaute. Ihre Augen schimmerten vor Tränen und eine tropfte noch von ihrer Nase auf den Boden, als ihre Blicke sich trafen.

Er legte die Ohren an und senkte den Kopf sofort wieder, damit sie sah, dass er ihr nichts tun wollte. Sie keuchte abermals, dann erfasste ein neuer Krampf das Mädchen. Ryan wollte noch näher an sie herankriechen, doch diesmal bemerkte die Kleine es, denn so schlimm der Krampf auch sein mochte, sie rutschte trotzdem weg von ihm. Auf allen vieren und Schluchzer ausstoßend, brachte sie mehr und mehr Abstand zwischen sie beide. Ryan hatte innegehalten, als er ihr Zurückweichen bemerkt hatte, doch sie kroch weiter und weiter, als wolle sie vor einer Bestie fliehen.

Koon landete am Boden und stellte sich neben Ryan. Sein Blick blieb ebenfalls bei dem Mädchen und noch immer grollte er vor sich hin. Ryan entschied, noch einen Annäherungsversuch zu wagen, und erhob sich. Den Kopf gesenkt machte er ein paar zaghafte Schritte in ihre Richtung, hielt aber sofort wieder inne, als sie sprach.

Es war mehr Flehen als alles andere. „Bitte. Geh weg. Geht beide weg. Ich will nicht.“

Was will sie nicht?, überlegte er und wollte wieder auf sie zugehen.

„Nein. Bitte. Ich will das nicht“, weinte sie und rutschte weiter am Boden und von den beiden Wölfen weg. Ihr Körper krümmte sich vor Schmerzen, als der nächste Krampf über sie hereinbrach. Ryan warf einen Blick über die Schulter zu Koon und endlich sah dieser ihn an. Sein Blick war unergründlich, dann schaute der Späher noch mal zu dem Mädchen, wandte sich ab und trottete in eine angrenzende Gasse davon.

Ryans verwirrter Blick flog wieder zurück zu der Kleinen. Sie hatte mittlerweile eine alte Tonne erreicht und zog sich daran hoch. Er konnte sehen, dass sie Schmerzen litt, verstand aber nicht, warum sie sich das antat.

Er hatte geschlussfolgert, was sie tat, konnte sich aber beim besten Willen nicht zusammenreimen, warum sie es machte. Noch nie zuvor hatte er einen Verweigerer gesehen. Er könnte sich verwandeln und sie fragen, warum sie so gewählt hatte. Aber würde sie ihm überhaupt antworten?

Sie wollte ihn ja nicht mal in ihrer Nähe haben. Ryan sah ihr nach, wie sie sich weiterschleppte und schließlich das Ende der Gasse erreichte. Ihr Blick huschte zu ihm zurück und er senkte abermals den Kopf, um ihr zu zeigen, dass er nichts Böses wollte. Irgendwie hoffte er, sie würde vielleicht doch wieder herkommen. Sie tat es nicht. Einen Augenblick später bog sie, die Wand als Halt nutzend, um die Ecke des Hauses und verschwand.

Einen Moment lang stand Ryan einfach nur da und versuchte, zu verstehen, was da gerade passiert war. Dann drang Koons halbes Heulen zum ihm, was ihn rufen sollte. Er schüttelte sich und wandte sich um.

Koon würde seine Sachen sicher mitnehmen. Er selbst würde auf vier Beinen zurück zum Rudel laufen. So konnte er noch mal in Ruhe über das nachdenken, was gerade passiert war.

Verweigerer

Ryan kam kurz nach Hakoon beim Rudelsitz an. Das Haus am Rand von Brandon war hell erleuchtet, als er die erste Pfote in den Vorgarten vom Haupthaus setzte. Neben diesem Gebäude gab es noch zwei weitere, in denen Mitglieder des Rudels lebten.

Das Haupthaus gehörte der Alphafamilie, ein zweites den Spähern und Ausbildern und das dritte den normalen Mitgliedern. Als dritt ältestem Sohn des Alphas stand Ryan ein Zimmer im Haupthaus zu. Er hatte allerdings auch eines im Mitgliederhaus. Das nutzte er meist dann, wenn seine eigentliche Familie ihm mal wieder auf die Nerven ging.

„Ryan!“ Das war Tavis, sein Vater. Binnen eines Moments hatte er die Menschengestalt wieder und lief gemächlich auf zwei Beinen zur Veranda. Seine Mutter, Charlotte, murrte hörbar und kam mit einer Decke auf ihn zu.

„Wie oft sollen wir dir noch sagen, dass du das nicht im Vorgarten tun sollst?!“, knurrte sie und die Alpha schwang überdeutlich mit.

„Anscheinend habt ihr es noch nicht oft genug getan“, witzelte er und nahm den missbilligenden Blick seiner Mutter gelassen hin. Es bestand nicht im Ansatz die Gefahr entdeckt zu werden, denn der Vorgarten selbst war von einer so hohen Steinmauer umgeben, dass man schon eine Leiter bräuchte, um von der Straße aus etwas erkennen zu können. Einzig das Mitgliederhaus stand relativ nah zu einem Nachbargrundstück. Doch selbst dort konnte man im Dunkeln nichts ausmachen. Der Hauptsitz war mit Bedacht gewählt worden und bot nun schon in siebter Generation dem Rudel der Thalans Schutz.

Die Hand seiner Mutter im Rücken betrat er das Haus und ging ohne Umwege in die große Wohnküche, um sich etwas zu trinken zu holen. Die Flasche Cola in der Hand gab er seiner Mum ein Zeichen und machte sich dann auf in sein Zimmer. Für das wöchentliche Treffen sollte er sich lieber etwas anziehen.

Zurück im Wohnzimmer stellte Ryan sofort fest, dass nicht alle anwesend waren. Neben seinen Eltern waren seine Brüder Evan und Xander hier, ihr Späher Hakoon und von den Mitgliedern Otis, Gero und Rahel. Sein Blick musste seine Verwirrtheit zeigen, denn sein Vater erklärte die Abwesenheit des Rests.

„Emily und Miles sind unterwegs. Sie haben die anderen mitgenommen, um ihnen zu zeigen, wie wir vorgehen, wenn fremde Wölfe in unser Gebiet kommen“, sagte er tonlos und wedelte mit der Hand, das Zeichen für Ryan sich zu setzen. Er tat wie befohlen und ließ sich neben Hakoon auf einem von drei großen Sofas nieder. Sein Vater blieb stehen und erklärte weiter. „Emily hat die Witterung von einigen Fremden aufgenommen. Sie und Miles sind dabei rauszufinden, wer die anderen sind und ob sie eine Gefahr für uns darstellen.“

„Wo kommen sie her?“, wollte Ryan wissen und zog die Stirn kraus. Sie hatten schon seit einer Ewigkeit keine Probleme mehr mit anderen Rudeln gehabt. In weitem Umkreis gab es nur zwei weitere, mit denen sie aber im Bündnis lebten.

Überhaupt gab es selten Zwist zwischen den Rudeln. Nicht mal mehr Revierkämpfe gab es, denn die moderne Zeit hatte mit Land- und Besitzurkunden, sowie Miet- und Pachtverträgen die Kämpfe um Territorien abgelöst. Lediglich wenn ein Jungwolf sich behaupten und den aktuellen Alpha stürzen wollte, gab es noch Kämpfe. Aber auch hier selten zwischen den Rudeln. Intern ging der Titel aber über die Geburtenreihenfolge weiter. Meistens jedenfalls.

„Sie kommen aus dem Norden. Wir wissen auch noch nicht mehr. Emily hat vorhin erst angerufen. Wir werden ihre Rückkehr abwarten müssen“, erklärte Tavis.

Ryan nickte, dass er verstanden hatte und fragte dann: „Glaubt ihr die wollen was von uns?“

Sein Vater schüttelte den Kopf. „Ich denke nicht. Und falls doch hoffe ich, dass sie uns erst mal kontaktieren, bevor sie handgreiflich werden.“ Sein Blick wurde argwöhnisch. „Ich frage mich, was sie zu uns verschlagen hat?“

„Hier gibt es die hübscheren Frauen“, witzelte Hakoon und hob die Hand, damit Ryan einschlagen konnte. Der grinste breit und tat seinem Freund den Gefallen.

Sein Vater schüttelte den Kopf erneut, hatte aber ein Lächeln in den Mundwinkeln. „Zum nächsten Punkt also“, sprach er weiter. „Ryan, wenn du es nicht unterlässt, dich im Vorgarten zu verwandeln, werden wir über Konsequenzen nachdenken müssen.“ Er warf ihm einen vielsagenden Blick zu. „Wie oft sollen wir dir erzählen, dass es kein Weg zu weit ist, die paar Schritte ins Haus oder auch dahinter zu tun? Kommt das noch ein Mal vor, werde ich Mittel und Wege finden, es dir ein für alle Mal einzubläuen, haben wir uns verstanden?!“

„Ja.“

„Gut. Dann möchte ich euch einweihen, dass sich zwei Jungwölfe unserem Rudel anschließen möchten. Sie kommen von den Cathcards und sind Bruder und Schwester. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich entscheiden soll. Was meint ihr dazu?“

„Liebling“, meldete sich Charlotte nun zu Wort. „Die beiden sind noch sehr jung. Willst du das wirklich riskieren?“

„Wir haben darüber gesprochen, Charlotte. Sie haben das Recht, zu wählen.“

„Ich weiß. Aber was, wenn es nur eine Phase ist? Jugendlicher Unmut, verstehst du?“

„Ich kenne deine Bedenken, Liebste. Lass uns hören was unsere Kinder dazu sagen.“ Tavis richtete den Blick auf die Anwesenden und zog fragend die Augenbrauen hoch. „Also?“

Hakoon meldete sich als Erster zu Wort. Zwar war er nicht ihr leiblicher Sohn, doch die Thalans zählten alle ihre Mitglieder als ihre Kinder. „Was haben sie für einen Grund ihr derzeitiges Rudel zu verlassen?“

Tavis zuckte mit den Schultern. „Yannick meinte, er und seine Schwester sind unzufrieden mit dem Führungsstil ihrer Eltern.“

„Sie sind keine leiblichen Kinder, oder?“, wollte Evan wissen.

„J-ein. Yannick ist nicht Carters leiblicher Sohn. Cathrine hat ihn mitgebracht. Willow hingegen ist die Tochter von beiden.“

„Wissen Carter und Cathrine davon?“

„Ja. Sie haben schon um ein Gespräch gebeten. Bevor ich dem zustimme, möchte ich aber eure Meinung hören.“

„Am Ende entscheidest doch eh du“, warf Ryan ein.

„Mag sein. Dennoch ist mir eure Meinung wichtig. Und wenn ihr alle darauf beharrt, dass es eine schlechte Idee ist, werde ich zweimal überlegen.“

Xander meinte: „Die Cathcards sind gute Freunde. Wir sollten es uns nicht verderben.“

„Das sagst du nur, weil du es mit Emma treibst“, feixte Hakoon und schlug mit einem der Sofakissen nach ihm.

„Stimmt doch gar nicht. Also ja wir haben was am laufen, aber sie sind trotzdem alle nett.“

„Hat jemand Vorschläge, was wir tun könnten?“, holte Tavis sie zurück zum Thema, bevor es ausartete.

Rahel schlug vor: „Wir könnten sie vorübergehend aufnehmen.“ Sie war mit Abstand die Ruhigste von allen und Ryans Sandkastenfreundin.

„Wie stellst du dir das vor?“, hakte Tavis nach.

Sie zuckte mit den Schultern und meinte: „Wir geben ihnen beiden eine Auszeit von ihrem Rudel. Sie sollen sehen was sie an ihnen haben und ob es ihnen bei uns wirklich besser gefällt. Wenn Cathrine und Carter ihre Kinder lieben, geben sie ihnen diese Möglichkeit. Wir wollen die beiden ja nicht abwerben, sie kommen freiwillig zu uns. Und wenn sie nach der Testphase bleiben wollen, können die Cathcards uns keine Vorwürfe machen. Vielleicht raufen sie sich auch wieder zusammen, wenn sie merken, wie sehr sie einander brauchen.“

Tavis nickte nachdenklich. „Das ist eine gute Idee.“

„Sie ist wunderbar, Schatz“, strahlte Charlotte und griff nach der Hand ihres Mannes. „So gehen wir kein Risiko ein. Lass uns einem Treffen zustimmen und ihnen diese Idee vorbringen. Ich bin sicher, sie stimmen zu.“

Evan verzog das Gesicht. „Ist euch mal aufgefallen, dass die Cathcards kein Rudel zusammenhalten können?“, stellte er in den Raum.

„Wie meinst du das?“, wollte Otis wissen.

„Es ist nicht das erste Mal, dass sie Mitglieder verlieren. Wisst ihr noch damals, als ihr ältester Sohn verschwunden ist?“

Gero klärte auf: „Er war nicht ihr gemeinsamen Sohn. Er war Carters Sohn und soweit ich weiß, ging er, weil er mit Cathrine nicht klarkam und überhaupt das Leben in einem Rudel satthatte.“

„Woher weißt du das?“, fragte Ryan.

„Ich kenne ihn.“

„Woher? Wer ist er und wo?“, hakte Hakoon nach.

Gero stieß unecht amüsiert die Luft aus. „Sein Name ist Zane. Wir kennen uns von früher. Ich war damals schon auf der Suche nach einem Rudel und traf auf die Cathcards. Er meinte, ich sollte es mir gut überlegen, ob ich zu ihnen gehören wolle. Wenig später stieg er selbst aus. Er hatte die Schnauze voll. Im wahrsten Sinne. Soweit ich weiß, lebt er seit seinem Ausstieg in der Wolfsgestalt im Süden Englands.“

„Er verweigert die Menschengestalt?“, fragte Tavis ungläubig nach.

Gero nickte nur.

Der Alpha zog die Brauen hoch und eine Schnute, dann meinte er: „Ich wusste, dass Carter einen Sohn hatte. Allerdings dachte ich, er sei gestorben. Als er nicht mehr auftauchte, hatte ich Carter auf den Jungen angesprochen. Er wirkte so geknickt, dass meine Vermutung in diese Richtung ging. Ich wollte allerdings auch nicht weiter nachfragen.“

„Wo wir bei Verweigerern sind“, wechselte Hakoon das Thema. „Wir haben heute eine gesehen. Ryan hat sie gefunden. Am Club.“

„Wirklich?“ Charlotte klang überrascht.

„Ja. Sie hat offensichtlich gegen die Wandlung angekämpft. Ihr solltet Bescheid wissen, falls Emily was sagt.“

„Die Sache mit dem Verweigern werde ich nie verstehen“, meinte Rahel und schaute auf. „Wieso verweigern sie ihre Gabe? Ich meine, dieser Zane lebt als Wolf. Wirklich nur als Wolf?“, hakte sie noch mal nach und Gero bejahte es. „Warum? Lebt er im Wald? Ganz ohne Zuhause? Und dieses Mädchen. Sie verweigert den Wolf. Dabei ist es das schönste Gefühl, die Freiheit zu spüren, die er mit sich bringt.“ Sie hob die Schultern und atmete tief ein, dann stieß sie die Luft wieder aus und schüttelte den Kopf. „Wir haben dieses wunderbare Geschenk bekommen und sie treten es mit Füßen.“

„Es steht uns frei, zu wählen“, erklärte Tavis. „Wir sollten die Entscheidungen anderer respektieren.“

„Das tue ich ja. Ich verstehe es nur nicht. Bei diesem Zane mag es noch gehen. Er hat wenigsten den Wolf gewählt. Aber sie?“