Layni - Herrin der Wächter - Stefanie Worbs - E-Book

Layni - Herrin der Wächter E-Book

Stefanie Worbs

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Beschreibung

-Deine Bestimmung soll es sein, zu erkennen und zu erheben, dein Schwert gegen all jene, die Unrecht erwägen.- Lady Layni von Thalsee ist zwar alles andere als eine Lady, denn ihr Leben hat sie dem Söldnersein verschrieben, doch dabei dient sie stets denen, die ihre Hilfe wirklich brauchen. Ihr Alltag wird je aus dem Trott gerissen, als ein Fremder im Falken auftaucht und ihr einen Auftrag anbietet. Im ersten Moment lehnt Layni ab, denn ihr Bauchgefühl warnt sie vor dem Botschafter. Aber Delian, ihr Ziehvater und Ausbilder, hat sie empfohlen und ihm vertraut sie bedingungslos. Layni nimmt den Auftrag an und begleitet Dáire in den Westen. Dass der Botschafter jedoch noch ein anderes Ziel verfolgt, für das er Layni braucht, verschweigt er ihr. -Doch wähle stets weise, Elfe, denn deine Begehren, werden der Welt weiteren Weg erklären.-

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Bisherige Veröffentlichungen

St. Worbs

Layni

Herrin der Wächter

Herrin der

Wächter

-

Die drei Prophezeiungen

Teil der Wisteria Chroniken

Vorwort

Laynis Geschichte spielt ein paar Jahre, nachdem Faylinn Hüterin in Wisteria geworden ist.

„Herrin der Wächter“ gehört also zur Wisteria Chronik und ist der zweite veröffentlichte Roman der Reihe.

Da Fay in diesem Buch eine kleine Rolle spielt und damit du besser in die Geschichte abtauchen kannst, auch ohne „Hüterin der Türen“ komplett zu kennen, erkläre ich dir gern, was bisher in Wisteria geschehen ist.

Die Welt Wisteria war einst hochmagisch und wurde gestützt von den magischen Säulen der Drachen, der Elfen und der Schamanen. Nach und nach verloren sich die Wege der Schamanen und auch die Drachen wurden weniger, denn sie kämpften unerbittlich um Reviere und Stürme.

Auch die Elfen trugen einen langen Kampf im eigenen Volk aus und letztlich war es an Fay, die Welt vor der völligen Zerstörung zu retten. Sie bannte die Magie und hütet ihre Anders-Welt seitdem als Hüterin der Türen.

Layni soll nun ein Teil dieser Chronik werden und wird in „Herrin der Wächter“ einen ganz neuen Weg beschreiten müssen. Sie wird Geheimnisse erfahren, die sie lieber nicht gewusst hätte, und sie wird Entscheidungen treffen müssen, die ihr ganzes Leben verändern werden, auf eine Weise, die sie nie für möglich gehalten hat.

Komm wieder mit nach Wisteria, lerne diesmal Lady Layni von Thalsee und ihre Begleiter kennen und erfahre, wie stark die Worte von Sehern auf die Gemüter der Menschen und Elfen wirken können.

Die Prophezeiung der Elfenkönigin

Vom selben Blut, von niederem Rang,

dennoch mit Weg von hohem Erlang.

Sie wird dich heilen, sie wird dich knechten.

Sie wird dein Schicksal, sie wird dich ächten.

Erste der Wächter, Letzte der Reinen.

Was dein Begehr, kann sich mit ihrem vereinen.

Doch Zeit deines Lebens handle stets weise,

allein dann wird bleiben, ihr Schwert deines Armes Schneide.

1

Dáire - viele Jahre zuvor in Lavé

„Ich verfüge“, sprach Königin Sháiné laut, so, dass alle Anwesenden sie hören konnten, „dass mit Eintreffen der Einen in Lavé, die ab dem Zeitpunkt ihrer Ernennung den Titel Herrin der Wächter tragen soll, Folgendes in Kraft treten wird; die Eine soll bekommen, was ihr von Geburt und vom Schicksal an zugedacht ist. Sie wird den Kreis der Krieger von Tau übernehmen und damit die volle Befehlsgewalt eines Eldar bekommen.

Um zu gewährleisten, dass sie sich trotzdem vollkommen auf ihre Aufgabe konzentrieren kann, wird eine eheliche Verbindung mit dem zu diesem Zeitpunkt amtierenden Eldar des Kreises festgesetzt, sollte es ein Elf sein. Im Fall eine Elfe führt den Kreis, wird eine feste, mentale Verbindung der beiden in Kraft treten. Die Eldarin oder der Eldar wird im Anschluss weiterhin für die Ausbildung zuständig sein, doch die Eine soll sie leiten, um ihre Aufgabe ohne Einschränkungen ausführen zu können.

Des Weiteren soll die Eine einen Sitz in meinem Rat erhalten, der stets für sie freigehalten wird. Ihre Zukunft soll im Wald Tau liegen, der ihre Heimat werden wird, sollte es nicht schon so sein. Ihr werden alle Mittel zur Verfügung stehen, die sie benötigt, um unser Land, unsere Städte und nicht zuletzt das Volk der Elfen zu schützen und für sie einzustehen.“

Sháiné ließ den Blick über die Menge schweifen. Dáire schaute ehrfürchtig zu ihr auf. Er war noch nicht lange hier und ganz der kleine, neugierige Junge, hatte er sich in die erste Reihe gedrängt, um wirklich alles zu hören, was die Königin der Elfen zu sagen hatte. Vor allem über diese Eine, die laut Aussage der Königin vermutlich noch nicht geboren war und die die Zukunft der Elfen in die Wiege gelegt bekam.

Die Königin fuhr fort: „Wir werden ab dem heutigen Tag Botschafter aussenden, die sich im ganzen Land auf die Suche begeben werden. Sie werden potenzielle Elfen zu uns bringen und wir werden herausfinden, ob unter ihnen die Eine ist. Ich verhänge hiermit ebenfalls die Auflage, dass niemand die jeweiligen Elfen auf ihr Schicksal anzusprechen hat, außer den erwählten Botschaftern und mir selbst. Verstößt jemand gegen die Verordnung und wir verlieren sie dadurch, wird demjenigen eine entsprechende Strafe zuteil!“ Erneut flog ihr Blick, diesmal streng, durch die Menge. „Ich danke euch.“ Sie nickte und trat zurück.

Der Ratself Casimar, Eldar der Alchemisten, trat an ihre Stelle. „Ich bitte alle willigen Bewohner Lavés, sich bei mir einzufinden. Wir suchen ab sofort Botschafter, die im Namen der Königin reisen werden, um die Eine zu finden.“ Er verließ das Rednerplateau und Dáire schnellte zu ihm.

„Eldar!“, rief er aufgeregt.

Der alte Elf wandte sich ihm zu. „Oh. Hallo, mein Junge.“

„Eldar! Bitte! Ich möchte in Eurem Kreis lernen!“, sprudelte er los. „Ich hab so viel von Euch und dem Kreis gehört! Bitte bitte! Ich will die Alchemie lernen!“

Der Elf lächelte und ging in die Knie, um mit dem kleinen Jungen auf Augenhöhe zu kommen. „Mein Sohn. Bist du nicht noch ein wenig zu jung?“

„Ich bin schon neun!“

„Na, wenn das so ist. Leider fehlen dir trotzdem noch ein paar Jahre. In der Alchemie darf man erst lernen, wenn man mindestens zwölf ist. Kannst du noch so lange warten?“

Dáires Schultern sackten nach unten. Zwölf? Das war doch viel zu lang!

Casimar legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Wenn du so weit bist, bewirb dich gern für eine Lehrstelle. Ich bin sicher, mit deinem Enthusiasmus wirst du ein hervorragender Schüler sein.“

„Was ist Entuimus?“, hakte Dáire verwirrt nach.

Der Alte lachte auf. „Begeisterung, mein Junge. Begeisterung.“ Er erhob sich wieder und lächelte zu Dáire nach unten. „Wir sehen uns in vier Jahren.“ Er zwinkerte ihm zu und drehte ab. Dáire schwor sich, alles dafür zu tun, im Kreis der Alchemie lernen zu dürfen. Alles!

2

17 Jahre später

Der Mann, der ihm am Tisch gegenübersaß, wirkte überaus argwöhnisch. Sein Blick war nachdenklich auf den Krug mit Honigwein gerichtet, den er am Griff hin und her drehte. Dáire war zu dem Schluss gekommen, dass er bei Delian ehrlich sein musste. Andernfalls bekäme er entweder nicht, was er wollte oder, was sehr viel schlimmer war, er würde durch Delians Hand sterben.

Als Dáire den Söldner auf das Mädchen angesprochen hatte, war Delian sofort grimmig und abweisend geworden. Nur mit viel gutem Zureden hatte Dáire den Mann überzeugen können, ihm zuzuhören. Erst hatte er gedacht, der Söldner wäre schlecht auf das Mädchen zu sprechen, doch es hatte sich schnell herausgestellt, dass er sie schützte. Den Hintergrund dazu erfuhr Dáire nicht, auch wenn es ihn brennend interessierte.

Trotzdem, sein Auftrag als Botschafter war es, junge Elfen im Land zu finden und nach Tau zu bringen, damit sie dort ausgebildet werden konnten. Das hatte er Delian zumindest so gesagt. Er war auch ganz und gar ehrlich gewesen, bis auf eine Sache. Die konnte und würde er dem Söldner lieber nicht anvertrauen. Dessen Reaktion könnte Dáires Kopf, vom Hals getrennt, sein. Sein zweiter Auftrag, und auch der aller anderen Botschafter Königin Sháinés, war es nämlich noch immer, die Eine zu finden.

Natürlich wusste bis heute keiner, wer sie war. Nur dass es sich um eine Elfe handelte. Niemand kannte ihren Namen oder ihr Aussehen. Ganz zu schweigen von ihrem Aufenthaltsort oder überhaupt irgendwas. Vielleicht war sie auch noch immer nicht geboren. Dennoch wusste jeder um die Wichtigkeit dieser einen Nachfahrin des Elfenvolkes.

Das war der Hauptgrund, warum die Königin wirklich alle Jungelfen in Tau wissen wollte und weshalb sich viele Botschafter hauptsächlich um die Rekrutierung kümmerten. Wenn die Prophezeiung sich erfüllte, sollte diese eine Elfe in Tau sein. Deshalb saß auch Dáire hier. Er suchte jedoch nicht wahllos, wie viele seiner Zunftgenossen. Dáire suchte gezielt, denn er hatte Pläne, für die er sie brauchte. Er war in den Osten gereist, weil er von einigen Altelfen hier gehört hatte. Er suchte speziell nach Alten, denn die waren etwas aufgeschlossener, als jeder Mensch es bei seinen Fragen gewesen wäre.

„Du willst sie nur nach Tau bringen?“, fragte der Söldner mit seiner rauen, ruhigen Stimme und brach damit eine lange Stille.

„Ja.“

„Sie wird dir nicht folgen“, gab Delian schlicht an, ohne den Blick von seinem Krug zu heben.

„Lass das meine Sorge sein. Verrate mir nur, wo ich sie finden kann.“

„Warum sollte ich das tun? Sie ist ...“, der Altelf ließ den Satz mit einem verzerrten Gesicht enden.

„Du würdest ihr helfen“, entgegnete Dáire. „Sie könnte von ihrem Volk lernen. Sie könnte etwas werden, was sie sich nie erträumt hat.“ Insgeheim dachte er schon an die Möglichkeit, sie wäre die, die er suchte. Allerdings hoffte er das bei jeder Elfe, die er fand, und bisher war keine die Herrin der Wächter gewesen.

Der alte Elf gegenüber sah nachdenklich aus. „Ich dachte früher auch schon mal an einen Ausflug mit ihr in die Wälder ...“, er brach ab, verzog das Gesicht und fügte an: „Layni verabscheut Magier aller Art.“

„Aber ... du ...“

„Das spielt hier keine Rolle. Sicher ist nur, dass sie niemals nach Tau gehen wird, um dort eine Ausbildung, oder sonst was anzufangen, was mit Magie zu tun hat. Deine Mühen werden vergebens sein, Botschafter. Wäre die Krone eine andere ...“

„Sie müsste keine Magie studieren. Jeder Kreis ist in Lavé vertreten. Die Königin befahl mir nur ...“

„Die Königin kann mich mal gepflegt am Arsch lecken“, unterbrach Delian ihn, was Dáire auch prompt verstummen ließ. „Sháiné ist skrupellos. Ihre Macht beruht auf ihrer Ignoranz der Meinung anderer gegenüber, wenn diese nicht mit ihrer konform geht. Es mag in Tau funktionieren, wo alle etwas überheblich sind. Da fällt das einfach nicht auf. Hier ist das nicht so. Die Menschen sind emotionaler und lassen sich mehr von ihren Gefühlen leiten. Layni wuchs als Mensch auf. Sie ist quasi einer. Ihre Eltern gaben ihr besonderen Schutz. Sie weiß selbst nicht mal, dass sie eine Elfe ist. Auch wenn Sháiné keine Elfe wäre, die Magie beherrscht, würde Layni sie nicht leiden können. Ganz zu schweigen davon, dass sie dortbleiben wollen würde.“

„Wie kannst du dir so sicher sein? Hast du ihr je von Tau erzählt?“

„Natürlich nicht. Warum sollte ich? Wie erwähnt, stand die Idee eines Besuches, sie wurde verworfen. Punkt.“

„Es ist auch deine Vergangenheit oder täusche ich mich? Willst du ihr nicht die Wahrheit sagen?“

„Auch das tut hier nichts zur Sache.“

Dáire unterdrückte ein Murren. Der Mann vor ihm war stur und verbittert, was sein Volk anging. Er erlebte das nicht zum ersten Mal. Viele der Alten hatten sich abgewandt und zogen ein Leben unter den Menschen vor. Die Geschehnisse in der Geschichte hatten gezeigt, dass es gewaltig schiefgehen konnte, wenn zu viele Elfen an einem Ort lebten. Aber diese Geschichte hatte auch den größten Wandel in eben jenem Volk geschaffen.

Seit sie sich selbst fast gänzlich ausgelöscht hatten, hatte es bedeutende Änderungen gegeben und die hatten dafür gesorgt, dass das Elfenvolk langsam, aber sicher wieder wuchs. Auch das war ein Ziel der Königin, wie es schon das Ziel ihrer Vorfahren gewesen war. Ihr Volk wieder zu altem Glanz zu bringen. Es war ein schweres Unterfangen, doch Sháiné verfolgte es überaus ehrgeizig.

„Ich würde sie trotzdem gern besuchen und mir selbst ein Bild machen“, versuchte Dáire einen neuen Anlauf. „Auch wenn sie am Ende nicht mitkommt.“

Delian lachte auf und hob endlich den Blick zu ihm, wobei seine weißgraue Iris im Dunkel der Schänke zu leuchten schien. „Du hast ja keine Ahnung, Junge. Aber gut. Du willst dir ein Bild von Lady Layni von Thalsee machen? Dann helfe ich dir eben. Vielleicht bringt dich das von deinem dummen Vorhaben ab. Also hör genau zu. Layni ist Söldnerin mit Herz, Blut, Seele und ganzem Leib. Ihr Titel ist Lady, aber du wirst feststellen, dass sie keine dieser possierlichen Hofdamen ist.

Sie setzt sich für die Gerechten ein und lässt alle anderen ihre Klinge spüren. Magier verabscheut sie zutiefst. Also auch dich, Botschafter, genau wie dein Vorhaben. Sie wird dir nicht folgen. Erst recht nicht, wenn du ihr sagst, was sie ist und was deine Aufgabe ist. Du sagst, du hast ein Abkommen mit Sháiné? Bring ihr noch eine Elfe und du darfst die Alchemie studieren? Mit Magie? Wenn du sie schief ansiehst, wird Layni dich dafür töten.

Vielleicht kannst du es ihr verheimlichen, aber irgendwann kommt es raus und was sie am wenigsten leiden kann, ist der Verrat, Botschafter. Wenn du bis dahin überlebt hast, ist es gut möglich, dass du spätestens dann ihr Schwert an deinem Hals spürst. Wenn nicht schon ein Pfeil in deinem Kopf steckt.

Layni lässt sich nicht an der Nase herumführen und kichert es weg, als wäre es nur ein Späßchen gewesen. Ich muss zugeben, ihr Benehmen ist auch mir und meinen Männern geschuldet. Wir waren ein rauer Haufen und haben uns nicht darum bemüht, sie in Etikette zu unterweisen. Es hätte weder ihr noch uns gestanden. Wenn du also wirklich vorhast, Lady Layni von Thalsee nach Tau zu bringen, dann solltest du dir einen verdammt guten Grund zurechtlegen, warum sie dich begleiten soll. Und vor allem solltest du nicht mit viel Sanftmut rechnen.“

Dáire hatte die Stirn gerunzelt und musterte Delian einen Augenblick. „Du sagst, sie duldet keinen Verrat und straft ihn mit dem Tod. Aber was ist mit dir? Sie weiß nicht, was du bist, richtig? Du hast sie genauso verraten. Würde sie dich auch töten?“

Delian zuckte mit den Schultern. „Was sie tun würde, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich nichts gesagt habe, um sie zu schützen. Niemand hier weiß, was ich bin. Außer dir und einem meiner Männer. Für deine Gesundheit hoffe ich, du behältst es, wie alle anderen, denen meine Magie auffiel, für dich. Egal bei wem. Da Layni nie gelernt hat, mit Magie umzugehen, sieht sie meine wahre Natur nicht. Ich hatte auch nicht vor, es ihr zu sagen, denn ihre Eltern wollten nichts mehr mit ihrer Familie zu tun haben.

Schon als sie das erste Mal vor mir stand und ich erkannte, wer sie war, beschloss ich, den Wunsch ihrer Eltern, meiner Freunde, zu respektieren und das Kind als Mensch groß werden zu lassen. Ich ließ den Zauber auf ihr und sagte ihr auch nichts von meinem oder dem meines Freundes. Es war nie wichtig.“

„Jetzt könnte es aber wichtig werden“, rutschte es Dáire heraus.

„Was meinst du?“ Delian zog die Brauen zusammen.

Dáire lehnte sich zurück, öffnete und schloss den Mund. Der Blick des Alten blieb auf ihn geheftet und forderte stumm eine Antwort.

Er seufzte. „Es gibt eine Prophezeiung“, erklärte er halblaut.

„Was für eine?“, hakte Delian nach, beugte sich vor und stützte die Arme auf den Tisch. „Wie lautet sie?“ Der Elf wusste von den Worten, die damals für Königin Sháiné gesprochen worden waren, das hörte man heraus. Doch offensichtlich wollte er es von Dáire hören. Nach einem weiteren kurzen Zögern wiederholte Dáire, was er von der Prophezeiung selbst kannte. Den genauen Wortlaut wusste nur Sháiné, doch jeder Botschafter bekam die wichtigsten Details. Delians Blick wurde von Wort zu Wort düsterer. Nachdem Dáire geendet hatte, stellte sich eine lange, unangenehme Stille ein. Dáire wagte kaum, zu atmen, während die Augen des Alten seine festhielten und ihn buchstäblich durchleuchteten.

Schließlich wandte Delian den Blick ab, trank seinen Krug in einem Zug leer und stand auf. „Du findest Layni im Falken in Rabenwacht. Das liegt etwas nördlich von hier. Versuch dein Glück, aber sei nicht zu euphorisch. Wenn du willst, nenne ihr meinen Namen, aber erzähle ihr nicht ein Wort unserer Unterhaltung. Ich schwöre, dass ich dich töten werde, wenn ich es erfahre und ich werde es erfahren. Und um deiner Gesundheit willen, sprich sie mit Lady an.“ Ohne sich zu verabschieden oder ihm eine Erklärung seines Sinneswandels zu geben, ließ Delian ihn allein.

Dáire starrte ihm eine ganze Weile nach und versuchte, zu verstehen, was die Meinung des Alten so plötzlich geändert hatte. Schließlich schüttelte er den Kopf, trank seinen Wein aus und erhob sich ebenfalls. Bis Rabenwacht war es nur ein kurzer Ritt, er würde schon heute Abend dort sein und vielleicht war Lady Layni von Thalsee ja doch nicht so verschlossen, wie Delian behauptete.

3

Layni

„Layni!“ Der Ruf schallte quer durch die überfüllte Schänke und ging fast im Lärm der Masse unter. Trotzdem hörte Layni ihn und wandte sich in Richtung des Rufers. Olrik hatte das Kinn in die Höhe gereckt, um sich größer zu machen, was bei seiner Körperlänge und der Statur mehr Schau war, als dass es Nutzen hatte. Der Wirt des Falken, der bekanntesten Schänke Rabenwachts, war mit seinen sieben Fuß und den Schultern wie ein Schrank, kaum zu übersehen. Er hob eine Hand, in der er einen Lappen hielt und winkte sie heran.

Layni lächelte und ging zu ihm. „Ich bin noch gar nicht richtig angekommen“, beschwerte sie sich gespielt und ließ sich schwer auf ihren Stammplatz fallen.

Olrik grinste und schob ihr einen großen Krug Met hin. „Ich wollte dich nur willkommen heißen. Schön, dass du wieder zu Hause bist.“ Er streckte den Arm aus und schlug ihr unsanft auf die Schulter. Früher hatte sie diese Geste einknicken lassen und tagelange Schmerzen verursacht, heute setzte Layni zum Gegenschlag an und verpasste Olrik mit einem gezielten Fausthieb einen blauen Fleck am Arm.

„Hast du gedacht, ich versage?“ Sie ließ sich wieder zurücksinken. Sie hatte halb aufstehen müssen, um überhaupt in die Nähe von Olriks Oberarm zu gelangen.

„Das würde ich nie denken“, gab er ihr amüsiert lächelnd zurück.

„Nein. Niemals.“ Layni hob den Krug und trank ihn in einem Zug halb leer. Er knallte zurück auf den Tresen, ihr Blick traf Olriks. „Nur jedes Mal dann, wenn ich aufbreche und einen Tag zu spät zurückkomme. Aber sonst ...“

Der Wirt lachte tief und kehlig. „Ich werde mich eben nie daran gewöhnen, dass das kleine Mädchen, das so gern mit Strohpuppen gespielt hat, jetzt auf Leute eindrischt.“

Layni stimmte in sein Lachen ein. „Ich habe nicht mit den Puppen gespielt, wie ein Mädchen. Ich habe Hexe und Jägerin gespielt und die Hexen haben immer verloren.“ Sie hob den Krug erneut und leerte ihn komplett.

„Das ist wahr. Der Schrecken der braven Maiden am Hof“, hielt Olrik fest. Layni lächelte selbstsicher, denn er hatte vollkommen recht. Sie war nie das typische Mädchen gewesen. Hatte statt Kleidern lieber Hosen getragen und statt nähen zu lernen, wollte sie das Schwert führen. Allerdings hatte es auch niemanden gegeben, der sie nähen hatte lehren wollen oder die Kunst, sich in Gegenwart von anderen höflich zu benehmen.

Layni war im Waisenhaus von Rabenwacht aufgewachsen. Ihr Heimatdorf Thalsee, war von einem Unwetter heimgesucht und überschwemmt worden, als sie gerade drei oder vier Jahre alt gewesen war. Jetzt war das Tal wirklich ein See und alle Häuser Unterwasserruinen.

Laynis Mutter war in den Fluten ertrunken und ihr Vater an einer späteren Seuche gestorben. Viele ehemalige Einwohner von Thalsee waren von den Viren dahingerafft worden. Gelehrte gingen davon aus, dass die Krankheit durch das Wasser von den Bergen herab gespült worden war. Sämtliche Städte rings um Thalsee hatten ähnliche, wenn auch schwächere Einfälle der Krankheit gehabt.

Auch Layni war betroffen gewesen, doch sie hatte überlebt und war nach Rabenwacht gebracht worden, wo Schwester Gesa sie mehr oder weniger großgezogen hatte. Vor acht Jahren war Layni dreizehn geworden und hatte wählen dürfen, im Waisenhaus bleiben oder auf eigenen Beinen stehen. Sie hatte sich für die Freiheit entschieden und war gegangen. Allerdings nie weit weg. Rabenwacht blieb ihr Zuhause.

Anfangs war es schwer gewesen, denn sie hatte so gut wie keine Kenntnisse in frauentypischen Dingen wie Haushalt führen oder Ähnlichem gehabt. Ein paar Leute hatten sie als Magd angestellt, aber recht schnell wieder entlassen, weil Layni keine Hilfe war. Nicht, dass sie sich keine Mühe gegeben hätte. Sie hatte schlicht kein Talent für so was.

Olrik hatte ihr schließlich ein festes Dach über dem Kopf gegeben. Im Gegenzug hatte sie in seiner Schänke ausgeholfen. Auch das war keine Arbeit gewesen, die Layni ihr Leben lang tun wollte, und das Schicksal hatte ihr zugespielt.

Eines Abends war eine Gruppe Söldner in den Falken gekommen und Layni hatte ihre Gespräche belauscht. Ihr hatte gefallen, was die Männer erzählt hatten. Also war sie auf die Gruppe zugegangen und hatte freiheraus darum gebeten, von ihnen ausgebildet zu werden. Die Männer hatten gelacht und sie verspottet, doch mit ihrem frechen Mundwerk hatte sie einen von ihnen überzeugen können.

Delian, damals ein Mann Mitte dreißig, hatte sich erbarmt und sie als Knappe angestellt. Auch diese Arbeit hatte Layni anfangs nur mit Mühe und vielen Fehlern bewältigt. Doch Delian hatte sie nicht aufgegeben und ihr Potenzial erkannt. Sie hatte sich gebessert, war stärker und geschickter geworden und schließlich hatte er ihr auch den Schwertkampf gezeigt. Das war dann die erste Sache gewesen, die sie auf Anhieb beherrscht hatte. Es fiel ihr so leicht als hätte sie nie etwas anderes getan und schnell hatte sie großen Respekt unter den Söldnern gewonnen.

Es hatte nicht lange gedauert und der erste Auftrag war gekommen, bei dem Delian ihr gestattet hatte, mitzukämpfen. Layni war gerade siebzehn geworden und wollte endlich Lohn als Söldnerin verdienen. Allerdings tat sie das auch gleich mit dem ersten Mann, der ihrer Klinge zum Opfer gefallen war. Dass das Töten zum Beruf eines Söldners gehörte, war ihr bewusst gewesen. Dass es sie so traf, nicht. Sie hatte einige Zeit gebraucht und auch zeitweise gezweifelt, ob es wirklich ihr Berufswunsch war, doch Delian hatte sie aufgebaut und ihr klargemacht, dass es allein an ihr lag.

Als Söldner konnte man wählen, wem man diente. Einige dienten den Reichsten, andere den Ärmsten. Layni entschied sich für die Gerechten. Aufträge, die sie für falsch hielt, lehnte sie ohne Nachfragen ab. So verdiente sie nicht das meiste Geld, doch das war ihr nicht wichtig. Sie tat, was sie gern tat - den Menschen helfen, sie verteidigen, sich nützlich machen und das auf eine möglichst richtige Weise. Heute war Layni einundzwanzig und zog seit zwei Jahren allein durchs Land, denn Delian hatte sich zur Ruhe gesetzt und die Gruppe unter ihm hatte sich aufgelöst.

Allein komm ich auch gut klar, hatte Layni damals gedacht, mit den Schultern gezuckt und ging seither ihre eigenen Wege. Sie vermisste ihre Söldnerbande, doch zum Glück lebte wenigstens Delian nicht weit weg. Laynis Wege führten sie auch immer wieder nach Rabenwacht zurück. Wo andere Söldner im ganzen Land lebten, brauchte sie einen Ort zur Wiederkehr. Der Falke war dieser Ort und Olrik war ihre Familie geworden.

Der Wirt musterte sie nun aufmerksam. „Warst du erfolgreich?“, fragte er und meinte ihren letzten Auftrag. Ein Bauer hatte sie angeheuert, in den Wäldern um seinen Hof, eine Bande Viehdiebe aufzuspüren und zu zerschlagen. Layni hatte es wörtlich genommen und zweien von drei Männern, jeweils eine Hand abgetrennt. Den Dritten hatte sie dem Bauern übergeben, ihren Sold genommen und war gegangen, ohne zu erfragen, was der Mann mit dem Dieb anstellen würde. Sie ging davon aus, dass, wenn sie den Räuber wieder traf, ihm ebenfalls mindestens eine Hand fehlte.

Sie griff unter ihre Jacke, löste den Beutel vom Gürtel, stellte ihn auf den Tresen und schob ihn Olrik hin. Der zog das Säckchen näher und spähte hinein, bevor er es sich selbst unter das Wams schob und, wie immer, für Layni verwahrte.

Die Lippen anerkennend geschürzt meinte er: „Das hat sich gelohnt, würde ich sagen.“

Layni grinste und schob ihren leeren Krug ebenfalls zum Wirt hinüber. Wortlos schenkte er nach und gab der Küchenhilfe ein Zeichen, dass sie Essen ranschaffen sollte. Wenig später stand ein ganzes gebratenes Huhn vor Layni und auch ihr Met wurde das dritte Mal nachgefüllt.

Sie genoss gerade einen Streifen der knusprig gebratenen Haut, als erneut ihr Name gerufen wurde. Sie wandte sich um und sah Holwart, den Schmied Rabenwachts, auf sich zukommen.

Er hielt hinter ihr an und neigte leicht den Kopf. „Lady Layni. Ich habe gehört, Ihr seid zurück.“

„Offensichtlich“, antwortete sie mit vollem Mund.

Abermals neigte der Schmied den Kopf. „Ich möchte ungern stören, da Ihr sicher erschöpft seid, aber ich habe getan, worum Ihr gebeten habt. Ihr wolltet doch sofort Bescheid bekommen.“

Sie nickte, leckte sich die Finger sauber und wischte den Rest an der Hose ab. „Richtig. Erledigen wir das gleich. Ich brauche es wieder.“

Ein drittes Nicken vom Schmied und Layni erhob sich. „Ich bin gleich wieder da. Wehe, jemand packt mein Hühnchen an“, warnte sie ihren Freund und zweiten Ziehvater, Olrik. Der grinste und ließ ihren Teller hinter dem Tresen verschwinden.

Layni folgte dem Schmied hinaus auf die Straße. Seine Werkstatt lag unweit, und schon vor dem Haus, spürte man die Wärme des Ofens drinnen. Als die Tür aufschwang, wogte eine Welle heißer Luft zu ihr. Sie folgte Holwart durch den Hauptraum und beide gelangten zum Verkaufstresen rechts hinten. Eine Reihe Waffen hing und lehnte an der Wand dahinter. Holwart verschwand im Hinterzimmer, kam aber schon kurz drauf mit einem langen Bündel zurück. Er bettete es auf den Tisch und schlug die Enden der Decke zur Seite. Zum Vorschein kam ein Schwert, das Layni sofort die heimelige Wärme von Geborgenheit im Bauch bescherte.

Die Waffe auf dem Tisch warf den Schein des Feuers vom Ofen zurück wie ein Spiegel, so glatt war ihre Schneide. Feine Verzierungen schlängelten sich, trotz des Alters des Schwertes, noch immer wie neu und hauchzart von der Spitze über die Schneide und bis zur Parierstange. Diese war leicht zur Schneide gebogen und ihre Enden liefen spitz zu, wobei sie sich in entgegengesetzte Richtungen wanden und wie jeweils ein Sichelmond geformt waren.

Der Griff war jetzt nach Laynis Wünschen überarbeitet worden und mattschwarzes Leder umwandt ihn. Der Knauf am Ende des Anderhalb-Händers wirkte nach wie vor durchscheinend, warf aber im richtigen Winkel das Licht zurück, wie die Schneide es tat. Der klare Bergkristall hatte bis heute keinen einzigen Kratzer bekommen, obwohl Layni oft auch mit dem Knauf zuschlug.

Sie streckte die Hand aus und strich mit den Fingerspitzen über die flache Seite der Klinge, während ihr Blick auf Holwarts Arbeit geheftet blieb, den Griff. „Sehr gute Arbeit.“ Sie nahm das Schwert und hob es ins Licht. Zufrieden stellte sie fest, dass es wie angegossen in ihrer Hand lag. Probehalber schwang und drehte sie es, um alle Griffstellungen zu testen. Es schmiegte sich an sie, als sei es die Verlängerung ihres Armes.

„Freut mich, wenn alles zu Eurer Zufriedenheit ist.“

Sie wandte sich wieder zu ihm und legte die Waffe zurück auf die Decke. „Das ist es tatsächlich. Aber was anderes hab ich auch nicht erwartet, vom besten Schmied im Norden.“ Sie lächelte und Holwart schien etwas an Anspannung zu verlieren. Er neigte dankbar den Kopf, während Layni ihr Schwert noch mal betrachtete und es schließlich in die Scheide schob, die der Schmied ihr reichte.

„Kommt noch mal mit zu Olrik, damit ich Euch bezahlen kann.“

Gemeinsam verließen sie die Schmiede und liefen zurück zum Falken. Es schien noch voller zu sein als zuvor, doch die Leute machten Platz, sobald sie sahen, wer kam. Einen gewissen Respekt zu genießen, hatte Vorteile. Layni stoppte jedoch abrupt, sodass Holwart in sie hineinlief.

„Lady Layni?“, fragte er verwirrt, schien ihrem Blick dann aber zu folgen, denn er verstummte.

Ihre Augen waren auf ihren Hocker gerichtet, der nun besetzt war. Das kam schon mal vor, doch wenn Olrik wusste, dass sie in der Stadt war, war der Platz stets frei für sie. Jetzt saß da aber jemand. Olrik warf ihr nur einen entschuldigenden Blick zu.

Sie lief weiter und stoppte hinter dem Mann. „Wie sieht’s aus? Gehst du freiwillig?“, fragte sie und erwartete, dass der Fremde sich zu ihr umwandte. Er tat es nicht. In dem Glauben, er habe sie nicht gehört, tippte sie ihm auf die Schulter und wiederholte ihre indirekte Aufforderung. Der Fremde rührte sich nicht. Layni warf Olrik einen ungläubigen Blick zu. Er stand unweit und beobachtete die Szene, ohne einzugreifen.

„Ey. Aufstehen!“, forderte sie jetzt direkt und verpasste dem Fremden einen unsanften Klaps auf den Oberarm. Der Mann senkte den dunklen Schopf, als resignierte er und wandte sich endlich zu ihr um. Sein Blick traf sie, Belustigung stand in den sturmgrauen Augen. Sie hob die Hände und machte eine Geste, die sagen sollte, na was jetzt? Steh auf, du Hans! Doch er lehnte sich lediglich an den Tresen und hielt ihren Blick fest.

Genervt verdrehte Layni die Augen, hob die Hand und winkte Olrik heran. „Mein Geld“, forderte sie und der Wirt gab ihr den Beutel, den er vorhin für sie in Gewahrsam genommen hatte. Sie wandte sich Holwart zu, zählte dessen Lohn ab und packte ein Obolus obendrauf. Der Schmied verneigte sich und ging.

Sie wandte sich zurück und sah den Blick des Fremden auf den Beutel in ihrer Hand gerichtet. „Denk nicht mal dran“, warnte sie ihn und reichte Olrik das Geld zurück, der es wieder sorgsam unter sein Wams schob. „Jetzt schwing deinen Arsch von meinem Platz oder es passiert was.“ Mit verschränkten Armen wartete sie, dass er tat, was sie wollte.

Der Fremde lachte kurz auf, wandte den Blick aber nicht von ihr. „Wie vornehm“, meinte er, wobei er noch immer lässig am Tresen lehnte. „Aber ich muss dich enttäuschen, Kleine. Ich schwinge meinen Arsch nirgendwohin.“

Layni verengte die Augen und Olrik zog die Brauen erstaunt nach oben. Der Fremde hatte Kleine gesagt. Ein Kosename, den sie überhaupt nicht abkonnte, außer er kam von Olrik, und jeder wusste das. „Heb deinen Schmalhanskörper von meinem Stuhl und mach, dass du aus meinem Sichtfeld kommst, sofort!“

Erneut lachte der Fremde. „Ich hab von deiner Kinderstube gehört. Ich dachte aber, es seien nur gemeine Gerüchte, da alle von Lady Layni sprachen.“

„Du solltest vielleicht nicht so viel denken. Jetzt verschwinde endlich. Noch mal bitte ich dich nicht.“

„Du hast auch die ersten sechs Male nicht gebeten, Lady Layni“, gab er ihr zurück und dem Lady einen spöttischen Unterton.

Ohne weitere Diskussionen zog sie ihren Dolch aus dem Gürtel und schnellte vor. Eine Hand auf seiner Brust, hielt sie den Dolch an seine Kehle und raunte: „Steh auf und verfrachte dein Skelett ans andere Ende des Raumes oder besser noch ganz raus. So-fort.“ Layni sprach leise und ruhig, doch alle um sie herum hatten mitbekommen, was vor sich ging. Es war deutlich leiser im Falken geworden.

Die Klinge von Laynis Waffe streifte die Haut des Fremden nur minimal, doch das reichte, um einen haarfeinen Schnitt zu hinterlassen. Ein einzelner Tropfen Blut quoll hervor. Layni zog die Waffe ein Stück zurück, löste den Zeigefinger vom Griff und wischte über den Tropfen am Hals des Fremden. Sie hob den Finger in sein Sichtfeld. Er erstarrte, als er das Blut daran sah.

„Steh auf, sonst finden wir raus, wie viel davon in dir ist“, sagte sie vollkommen ruhig und ließ von ihm ab. Er schluckte und rutschte seitlich von ihrem Platz. Sie machte einen Schritt vor, wandte sich um und setzte sich provokativ. „Geht doch.“ Sie drehte sich Olrik zu und bedeutete ihm, das Hühnchen wieder hervorzuholen. Hinter sich hörte sie die Menge murmeln, doch niemand sprach gegen sie. Alle bewunderten den Fremden, tadelten ihn jedoch gleichermaßen einen Vollidioten, weil er sich mit der besten Söldnerin Rabenwachts angelegt hatte.

Nach einer Weile stellte sich die übliche Betriebsamkeit wieder ein und bald verlor keiner mehr ein Wort über das Geschehene. Der Fremde war aber nicht gegangen. Er hatte sich an einen Tisch am anderen Ende des Schankraumes zurückgezogen und beobachtete Layni. Sie spürte seine Blicke im Rücken, doch sie waren nur neugieriger Natur. Sie erkannte den Unterschied zwischen beispielsweise abschätzend neugierigen oder einfach nur registrierenden Blicken.

In ihrem Beruf musste man einfach ein Gespür für die Schwingungen anderer haben. Es ging niemals nur ums Kämpfen und gewinnen. Oft hatte sie auch Aufträge, bei denen es um Informationsbeschaffung ging. Ihr Schwert brauchte sie längst nicht bei allen Einsätzen. Eine gute Menschenkenntnis und Empathie waren die besten Eigenschaften, die ein Söldner haben konnte, und Layni besaß beides.

Nach dem dritten Krug Met verspürte sie endlich die ersehnte Leichtigkeit, die der Alkohol mit sich brachte. Nach jedem Auftrag freute sie sich auf diese Auszeit, denn nun fiel auch die ganze Anspannung von ihr ab. Ihr erster Weg, wenn sie heimkam, war stets zu Olrik in den Gastraum. Erst dann suchte sie ihre Bleibe auf und legte auch die sichtbaren Merkmale des Söldnerseins ab. Jetzt war es an der Zeit dafür.

Sie gab ihrem Freund ein Zeichen und stand auf. Ihr Blick flog über die verbliebene Menge, stoppte aber bei dem Fremden, der noch immer hier war. Er verfolgte ebenso noch immer, was sie tat. Layni zog kurz die Brauen zusammen, machte sich dann aber auf den Weg nach draußen. Durch die Hintertür der Schänke und die schmale Holztreppe in den ersten Stock hinauf.

Hier lagen die Gästezimmer und Olrik hatte zwei davon fest an Layni vermietet. Eines, in dem sie schlief und eines, in dem sie arbeitete und wohnte. Sie ging in ihr Schlafzimmer, legte ihre Waffen ab, holte frische Sachen und verließ es wieder. Die Treppe runter, um die Ecke, war ein kleiner Verschlag, wo sie sich und ihre Kleider waschen konnte. Sie trat hinter die schulterhohe Wand, die das Spritzwasser zurückhielt und zog sich aus.

Mit einem winzigen Eimer schöpfte sie Wasser aus einem größeren über sich und schrubbte den Dreck des Waldes von ihrer Haut. Für ihre langen Haare brauchte sie etwas mehr Zeit. Obwohl es unpraktisch war, wenn es ums Kämpfen ging, war das eine Sache, die sie nicht ändern wollte. Sie mochte ihre lange schwarzbraune Mähne. In einer Männerdomäne gab ihr das wenigstens ein bisschen das Gefühl, als Frau gesehen zu werden.

Layni benahm sich selten sehr fraulich, zumindest legte sie nicht viel Wert auf Manieren und diese Dinge. Doch sie war eine Frau und wollte als solche gesehen werden. Auch deshalb bestand sie auf den Titel Lady, selbst wenn ihr Verhalten oft dem Gegenteil entsprach.

Als endlich alle Knoten aus ihren Haaren verschwunden und auch ihre Nägel wieder vorzeigbar waren, zog Layni das Leinentuch von der Wand und band es sich um. Es reichte ihr bis über den Po und bedeckte alles Wichtige. Jetzt waren ihre Kleider an der Reihe. Sie füllte Wasser in den Bottich mit dem Waschbrett und ließ den Blick schweifen, auf der Suche nach der Seife.

„Suchst du die hier?“, fragte jemand und Layni erkannte den Fremden, wie er lässig an die Wand der Schänke gelehnt stand, das Stück Waschseife von einer in die andere Hand werfend.

Sie wandte sich ihm zu und verschränkte wieder die Arme. „Du legst es drauf an, eine Tracht Prügel zu beziehen, oder?“, fragte sie, die Brauen missbilligend zusammengezogen. „Was sonst könnte dich veranlassen, mich schon das zweite Mal an diesem Abend zu reizen?“

„Das erste Mal war keine Absicht. Ich wusste nicht, dass die Lady ihren höchst eigenen Stammsitz an der Bar hat“, bekam sie als sarkastische Antwort. „Und es ist wohl auch sehr unangebracht, als Lady so leicht reizbar zu sein.“ Wieder betonte er den Titel mit einem gewissen Witz, der überhaupt nicht bei Layni ankam.

„Willst du was Bestimmtes?“, fragte sie grimmig. Der Mann, nicht viel älter als Mitte zwanzig, zeigte einen Schalk, der ihn übel was kosten konnte. Besonders, wenn er Layni weiterhin aufzog.

„Dich.“

Ihre Brauen fuhren nach oben. Auch wenn er nicht unbedingt schlecht aussah und gepflegter war als die meisten, die sie kannte, ging das doch ein wenig zu weit. Vor allem wegen seiner Vorstellung in der Schänke vorhin.

„Bitte?“, entfuhr es ihr empört. Sie ließ die Arme sinken. „Du bist ja wohl nicht ganz sauber!“

Er grinste und warf die Seife weiter von einer in die andere Hand. Seine Augen funkelten amüsiert.

„Ich glaube, wir missverstehen uns hier“, begann er, wobei er sie von oben bis unten musterte.

Die Nässe ihrer Haut hatte dafür gesorgt, dass das Leinentuch teilweise an ihrem Körper klebte und so gab es gewisse Stellen, die leichter auszumachen waren. Es störte Layni nicht. Im Gegenteil gefiel es ihr, wie seine Augen versuchten, einzelne Partien unter dem Tuch genauer auszumachen. Sie entschied, seine Dreistigkeit zu ihrem Vorteil zu nutzen. Ohne ein Wort ging sie auf ihn zu und stoppte sehr nah bei ihm. Er hatte die Hände sinken lassen und drückte sich unauffällig gegen die Wand hinter sich, als wolle er einen anständigen Abstand wahren.

Layni hob ihre Hände und legte sie federleicht auf seine Brust. „Tun wir das?“, fragte sie leise und ließ ihre Hände wandern. Hinauf zu seinen Schultern, dann beide Arme hinab zu seinen Händen. „Mhh. Ist eigentlich auch egal, wie wir es meinen“, raunte sie und stellte sich auf die Zehenspitzen, um seinem Gesicht näherzukommen. „Du hast etwas, das ich will und ich bekomme immer, was ich will.“

„Aha“, presste er hervor und lehnte den Kopf zurück. Seine lässige Haltung war verschwunden.

„Mhm“, bejahte sie. Ihre Rechte glitt von seiner Hand zu seinem Schritt. Sie packte zu, was ihn zusammenzucken ließ, doch zurückweichen konnte er nicht weiter. Ihr Griff wurde fester, bis sich sein Gesicht vor Schmerz verzerrte. Ihre andere Hand tippte gegen seine Faust, in der noch immer die Waschseife lag. Unter Mühen öffnete er die Finger und das Stück Seife fiel in Laynis Hand.

Sie ließ von ihm ab und trat zurück. „Danke. Für beides“, lächelte sie, hielt die Seife hoch und nickte zu seinem Schritt hin. Sein Kiefer mahlte, als Layni sich kokett abwandte und zum Waschzuber zurückging. Hinter sich hörte sie die Tür zur Schänke auf- und wieder zugehen. Kopfschüttelnd machte sie sich daran, ihre Kleider zu waschen.

4

Die Nacht war unruhig und Layni stand auf, als die ersten Strahlen der Sonne durch die Vorhänge drangen. In Alltagskleidung machte sie sich auf den Weg zum Bäcker der Stadt. Olrik bot zwar Frühstück an, doch nicht um diese frühe Uhrzeit. Bei ihm war es mehr ein frühes Mittagessen.

Sie holte sich ein Honigbrot und ließ ihren Wasserschlauch mit Milch füllen. Mit der kleinen Mahlzeit setzte Layni sich auf den Rand vom Brunnen, der die Stadtmitte angab. Einige Händlerkarren standen hier, doch die Stände waren noch nicht aufgebaut. In Rabenwacht legte kaum jemand Wert auf die Morgenstunden. Am frühen Mittag begann das Treiben. Alles vorher war den Nachtschwärmern vorbehalten, die jetzt aus den spät schließenden Schänken nach Hause torkelten.

Layni schob sich gerade das letzte Stück Honigbrot in den Mund und wandte sich zum Brunnen, um die klebrigen Reste von den Fingern zu waschen, als ihr Blick auf jemanden fiel, der sie beobachtete.

„Ehrlich?“, murmelte sie leise und muffelig, doch der Fremde hatte sie gehört und lächelte.

Er setzte sich in Bewegung und kam zu ihr. „Guten Morgen, Lady Layni.“ Diesmal gab es keinen Unterton.

Besser für dich, dachte Layni, schluckte den Rest ihres Brotes runter und fragte laut: „Was in drei Teufels Namen willst du? Mir meinen freien Tag versauen?“

Er stoppte neben ihr und schaute auf sie herab. „Tue ich das denn? Falls ja, bitte ich um Entschuldigung.“

„Na noch geht’s.“

„Freut mich“, lächelte er ehrlich und ließ sich ungefragt neben ihr nieder. „Ein schöner Morgen, nicht wahr?“

„Mhh.“

Er schaute sie mit verengten Augen an. „Nicht?“

„Ich würde ihn lieber allein genießen, wenn’s recht ist.“

„Oh. Gut. Ich habe nur noch eine Frage, bevor ich gehe.“

„Ah ja.“

„Ja. Du bist Söldnerin?“

„Gut erkannt.“

„Ich habe einen Auftrag für dich.“

„Du wolltest eine Frage stellen. Von einer Bitte war keine Rede.“

Er kniff die Lippen zusammen, meinte aber: „Ich dachte, ihr Söldner seid scharf aufs Geld. Solltest du nicht netter sein, wenn dir jemand einen Auftrag anbietet?“

„Könnte ich. Muss ich aber nicht.“

„Du bist doch Söldnerin?“

„Noch mal, gut erkannt.“

„Mit dieser Einstellung bekommst du sicher sehr viele Gelegenheiten.“ Der Sarkasmus war hörbar.

„Ich bekomme genug, danke der Nachfrage.“

„Mhh. Wie auch immer. Dann möchte ich eben noch eine Bitte äußern. Beziehungsweise einen Auftrag aufgeben.“

„Der wäre?“

„Begleitschutz für eine längere Reise.“

„Wohin?“

„Nach Westen, ans Meer.“

„Quer durchs Land? Das wird teuer.“

„Am Geld soll es nicht scheitern“, gab er ihr lächelnd zurück.

„Alles klar. Und wann?“

„In drei Tagen ist Abreise.“

„Nur hin oder auch zurück?“

„Nur hin.“

„Nur ich oder noch andere Wachen?“

„Nur du.“

„Für wen oder was und wie viel davon?“ Es wurde immer besser. Wenn Layni allein war, bekam sie den ganzen Sold, ohne teilen zu müssen. Auf der Rückreise könnte sie sich Zeit nehmen und was es auch immer war, das Schutz brauchte, wenn nur eine Wache mitreisen sollte, konnte es nicht wirklich wichtig sein. Das wird leicht verdientes Geld.

In Rabenwacht gab es zahlreiche Söldner und sicher wusste der Fremde das. Das hieß also, er musste, trotz des vergangenen Abends, Layni verpflichten. Sicher hatte ihn jemand beauftragt. Warum sonst sollte er sie erneut ansprechen?

Dass er explizit sie nehmen sollte, bedeutete ebenso, sie konnte auch den Preis etwas höher als sonst ansetzen. Gut, Layni hatte auch einen guten Ruf. Aber sie hätte sich selbst nicht gefragt, nachdem was sie ihm gestern an den Kopf geworfen hatte.

Er riss sie aus ihren Überlegungen. „Es geht um eine Person, sonst nichts.“ Ihre Blicke trafen sich. Wie er das sagte, verhieß nichts Gutes.

„Wen?“ Bitte lass ihn im Auftrag von jemandem fragen, flehte sie innerlich.

„Mich.“

Sie lachte auf. „Nein. Tut mir leid. Ich bin raus.“

„Aber ...“

„Nein“, unterbrach sie ihn. „Du bist mir suspekt. Du kommst her, weißt, wer ich bin, und scherst dich trotzdem nicht um Respekt. Du stellst mir nach, während ich nackt bin, und verfolgst mich anscheinend auch sonst. Ganz ehrlich. Ich bin nicht blöd. Von wegen Geleitschutz. Die Bordelle sind da hinten.“ Sie wies mit dem Kinn auf die Freudenhäuser in einer abzweigenden Gasse. „Dort findest du deinen Geleitschutz.“

Er schwieg und sah sie eine ganze Weile nachdenklich an. „Ich habe von dir gehört und dass du gut bist. Du wurdest mir empfohlen, also fiel meine erste Wahl auf dich. Ich brauche Geleitschutz bis zum Westmeer. Nicht mehr und nicht weniger. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich den Eindruck gemacht habe, dir nachzustellen. Das lag nicht in meinem Sinn. Ich wollte nur einen guten Zeitpunkt abpassen, dich zu fragen, ob du den Auftrag übernimmst.“

„Wie gestern? Beim Duschen?“

„Das war ein Versehen. Ich hatte nicht erwartet, dich in dieser Situation anzutreffen.“

„Und du bist trotzdem geblieben. Du hättest gehen und später wiederkommen können.“

„Ich hatte die Seife“, gab er ihr neckisch zurück. „Außerdem hat mir gefallen, was ich gesehen hab. Ich konnte sozusagen begutachten, was ich vorhabe, in meine Dienste zu nehmen.“

„Ich bin keine Metze!“, ging sie ihn an.

Er hob beschwichtigend die Hände. „Das weiß ich.“

„Was tut es dann zur Sache, wie ich unter meinen Kleidern aussehe?!“

„Meine Quelle hätte übertreiben können. Vielleicht wärst du ein mageres, schwaches Ding gewesen, das nur Sprüche klopft. Immerhin sind Frauen in deinem Gewerbe eher selten bis einzigartig. Und deine Statur haben die Wenigsten von den Wenigen.“

„Es gibt reichlich Söldnerinnen“, merkte Layni an. Allerdings sahen die meisten auch so aus. Bullig, grobschlächtig und teilweise sehr maskulin. Layni selbst wirkte ausgesprochen weiblich in ihrer Rolle und hatte sich ihren Ruf dadurch hart erkämpfen müssen.

„Wie auch immer. Meine Wahl fiel eben auf dich. Die Umstände unseres Kennenlernens waren ungünstig. Aber was die Sache mit dem Respekt angeht ... deine Beleidigungen waren ebenfalls nicht sehr nett.“

„Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich meine Gewohnheiten habe. Und jeder respektiert sie. Du hast das nicht getan.“

„Ich kenn dich auch nicht.“

„Du hast es nicht mal getan, als ich dich darauf aufmerksam gemacht habe.“

Er kicherte. „Aufmerksam gemacht? Warte, wie waren deine Worte? Wie sieht’s aus? Gehst du freiwillig? Und heb deinen Schmalhanskörper von meinem Stuhl.“

„Gut gemerkt.“

„Wie auch immer“, wiederholte er. „Nimmst du den Auftrag an? Ich bezahle sehr gut und meine Gesellschaft wird sicher angenehmer sein, als sie es bisher war.“

„Nein. Ich nehme nicht an.“ Layni stand auf und schaute auf ihn hinab. „Tut mir leid. Aber ich bin ausgebucht.“ Sie drehte ab und lief los. Es war nicht mal gelogen. Sie hatte tatsächlich einen Auftrag, allerdings nur einen kleinen, der gerade mal zwei Tage in Anspruch nahm. Seinen könnte sie also locker dranhängen. Trotzdem war der Typ seltsam. Sie hatte ein komisches Gefühl, was ihn anging und ihr Gefühl betrog sie nie. Schritte erklangen hinter ihr und er erschien an ihrer Seite. Sie beachtete ihn nicht weiter, während sie zum Falken zurücklief.

„Darf ich fragen, warum?“

„Ich habe schon einen Auftrag.“

„Hab ich verstanden. Aber ich zahle gut. Sicher besser als der andere.“

„Vielleicht. Ich will trotzdem nicht.“

„Deine Einstellung zu Geschäften ist nicht sehr erfolgversprechend.“

Sie stoppte. „Meinst du?“

„Meine ich. Andere Söldner würden ohne Zögern zusagen.“

„Dann frag sie doch. Es gibt genug hier. Der alte Loren hat sicher Zeit. Oder Elmar. Du könntest auch Arnor fragen. Soweit ich weiß, ist er sehr gern auf Reisen. Eine quer durch Teneth würde ihm sicher gefallen.“

„Ich will aber dich.“

„Ich will aber nicht. Nimm’s hin.“ Sie hatten den Falken erreicht, Layni schob die Tür auf, trat ein und ließ das Holz hinter sich zufallen, ohne dass der Fremde ihr folgte. Himmel, der war vielleicht hartnäckig.

Der nächste Morgen kam und abermals war Layni früh wach. Sie machte sich daran, ihre Sachen zu packen, und stand schon wenig später im Stall bei ihrem Pferd. Sie hatte es sich abgewöhnt, ihnen Namen zu geben, denn häufig ritt sie ein anderes. Wenn sie nicht gerade eins gestellt bekam, hatte sie zwar ein eigenes im Stall, doch leider kamen die Tiere oft in Gefechten um, und immer wenn sie ihnen Namen gab, entstand eine zu tiefe Bindung. Das machte es umso schwerer, ihre toten Leiber zu verbrennen. Nicht dass ihr das Schicksal der Pferde egal war, sie bemühte sich um jedes einzelne Tier, doch es war schwer, unausgebildete Pferde in Kämpfen am Leben zu halten. Und bisher hatte Layni einfach keine Zeit gehabt, sich eines richtig anzulernen.

Sie sattelte ihren derzeitigen Hengst und band das Gepäck fest. Die Sonne stahl sich gerade über den Horizont, als sie das Pferd aus dem Stall führte und aufsaß. Ohne einen Blick auf den Falken zu werfen, ritt Layni los. Es war ein Ritual, das sie sich von Delian abgeschaut hatte. Wer zurückschaute, wollte zurück und wurde unachtsam im Kampf, um möglichst schnell zurückzukehren. Natürlich wollte auch Layni immer heimkommen, doch Nachlässigkeit war einer der größten Fehler, und Fehler sollte man bekanntlich vermeiden.

Am Stadttor passierte sie die Wachen und nickte ihnen zum Gruß zu. Die Männer nickten zurück und schlossen das Gitter hinter ihr. Ein Kribbeln im Nacken verriet Layni, dass noch jemand anderes sie beobachtete. Sie ließ den Blick schweifen, doch niemand war zu sehen. Ihre Neugier siegte, sie wandte sich um und tadelte sich im selben Moment dafür. Egal, dachte sie und hielt Ausschau. Unweit hinter den Wachen erkannte sie den Fremden und seufzte. Prima. Für den hatte sie ihre Prinzipien vergessen. So ein Arsch. Sie wandte sich wieder nach vorn und trieb ihr Pferd an.

Der Auftrag verlief fast ohne Probleme. Eine kleine Rangelei mit dem Vater des Schuldners und eine noch kleinere Drohung, dem Alten das Leben zu nehmen, und schon hatte Layni, was ihr Auftraggeber wollte. Zwar in Sachleistungen, aber das war egal. Die Schulden waren eingetrieben.

Am nächsten Abend war sie, wie erwartet, zurück in Rabenwacht, ging zu Olrik, gab ihm ihren Sold, trank ihren Met und legte sich schlafen. Die Stelle, die der Alte bei der Rangelei getroffen hatte, färbte sich dunkel und das Zentrum der Verletzung schmerzte bei jeder Berührung.

Eine weitere fast schlaflose Nacht später, rollte sie sich aus dem Bett und tappte müde in die Küche vom Falken. Mit Brot und verdünntem Wein ließ sie sich kurz darauf schwer auf die Stufen zur Eingangstür der Schänke fallen und lehnte sich an die kühle Mauer des Hauses. Die Stadt war still und nichts störte die friedliche Ruhe am Morgen. Nichts, bis auf das Hufgeklapper zweier Pferde auf den Steinen der Straße. Sie kamen näher. Layni hob den Kopf, um zu sehen, wer die Tiere ritt. Eines hatte keinen Reiter, auf dem anderen saß der Fremde.

„Aufbruch nach Westen?“, fragte sie und musterte das Packpferd.

„Guten Morgen, Lady Layni. Ja, wie erwähnt. Heute ist Abreise.“

„Ohne Geleitschutz?“ Sie ließ es spöttisch klingen.

„Mit. Wie von dir empfohlen, habe ich den Söldner Loren aufgesucht. Er ...“

„Echt jetzt? Bei allen Göttern bist du dämlich.“

Sein Blick wurde argwöhnisch verwirrt. „Hast du nicht gesagt, ich soll ihn fragen?“

„Der Mann ist fast achtzig! Es würde mich nicht wundern, wenn er mehr Schutz braucht als du.“

„Mir kam er sehr robust vor.“

Layni erhob sich und sah den Fremden abschätzend an. „Du lügst. Du hast ihn gar nicht gefragt.“

„Habe ich. Ich ...“

„Loren und robust?“ Sie lachte. „Du bist so ein schlechter Schauspieler. Loren geht am Stock. Er mag ein hervorragender Söldner gewesen sein. Bis vor vielleicht zwanzig Jahren.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf. „Wen hast du gefragt?“,

Wieder schaute er sie eine Weile abschätzend an. „Niemanden“, gab er schließlich zu und wandte den Blick kurz ab, bevor er sie wieder ansah. „Ich wollte dich.“

„Also reist du lieber ganz ohne Schutz?“

Er nickte knapp.

„Warum überhaupt ich?“

„Du wurdest mir empfohlen.“

„Von wem?“ Der Empfehler musste ihn beeindruckt haben, sonst wäre der Fremde sicher nicht so halsstarrig.

„Ein Mann namens Delian unweit dieser Stadt hier.“

Layni ließ sie Arme sinken und vergrub sie in den Taschen ihrer Hose. „Delian?“

„Richtig.“

„Was hat er denn über mich gesagt?“

„Nur, dass du fähig bist und sehr wahrscheinlich genau das, was ich suche. Ich hab dich gesehen und stellte fest, er hat recht.“

Sie seufzte und senkte den Blick. Kurz herrschte Stille, dann entschied sie und schaute auf. „Zweihundert Drachen für den Geleitschutz bis zum Westmeer. Du zahlst die Unterkünfte bis dahin und die Grundverpflegung. Sollte ich aufgrund des Auftrags Mehrausgaben haben, wirst du sie aufwiegen. Das betrifft meine Ausrüstung. Meine privaten Sachen zahle ich selbst und ich stelle die Grundausstattung. Ich habe ein Pferd. Sollte es verletzt oder getötet werden, sorgst du für gleichwertigen Ersatz und dieses Tier geht nach Ende des Auftrags in meinen Besitz über. Sollte ich verletzt werden, sorgst du dafür, dass ich ordnungsgemäß behandelt werde, insofern ich nicht selbst in der Lage dazu bin.

Du zahlst ein Drittel des Soldes sofort und den Rest unmittelbar nach Ende der Reise. Keine Ersatzleistungen, nur Geld. Ich muss anmerken, dass ich gestern verletzt wurde. Eine Prellung, die mich aber nicht einschränkt. Laut Gesetz bin ich verpflichtet, es dir zu sagen. Ich stehe für den Schutz in deinem Dienst, wenn du annimmst. Keine weiteren Verpflichtungen. Da ich Ruhezeiten brauche, wirst du akzeptieren müssen, dass es Stunden gibt, in denen du schutzlos bist. Was in dieser Zeit passiert, ist dein Bier. Ich melde mich aber an und ab, damit du Bescheid weißt.“ Sie verstummte und Stille trat ein, in der der Fremde über ihr Angebot nachdachte.

Schließlich sagte er: „Zweihundert? Ich zahle hundertfünfzig.“

„Du willst mich? Für zweihundert Drachen und keine Krähe weniger, stelle ich mich in deinen Dienst.“

„Ist die Dauer der Reise beschränkt?“

„Nein. Es ist weit. Wir können schlecht abschätzen, wie lange wir brauchen werden. Vielleicht einen Monat, je nachdem wie das Wetter ist. Allerdings dulde ich keine absichtlichen Verzögerungen. Tust du es doch, werde ich extra Sold berechnen, vier Drachen pro Tag, um meine Verluste auszugleichen. Auch das kündige ich rechtzeitig an, damit du wählen kannst.“

„Welche Grundausrüstung stellst du? Welche Waffen hast du?“

Sie lächelte, weil diese Frage immer kam. Keiner ihrer neuen Auftraggeber ging davon aus, dass ihre Waffen viel wert waren und sie befürchteten, dass Layni auf ihre Kosten neue beschaffen wollte. „Ich stelle ein ausreichend wertiges Schwert, mehrere Dolche und einen Bogen für die Jagd. Dazu ein Zelt für mich und ein paar Dinge zum Kochen am Feuer für uns beide, wenn es sein muss. Und eben mein Pferd mit Sattelzeug. Es steht im Stall, wenn du es ansehen willst.“ Sie deutete schräg hinter sich auf den Stall vom Falken. „Ich zeige dir auch gern meine Waffen, wenn du mir nicht glaubst, dass es gute sind.“

Wieder herrschte kurz Stille, bis er meinte: „Warum nimmst du meinen Auftrag jetzt an?“

„Wegen Delian.“

„Freut mich. Schön. Dann würde ich sagen, wir brechen auf.“

„Gib mir eine halbe Stunde“, bat sie und er nickte. Layni hob ihren Wein und den Rest vom Frühstück auf und machte sich daran, ihre Sachen zu packen. Ganz wohl war ihr noch immer nicht.

Eine halbe Stunde später führte sie ihr Pferd aus dem Stall, auf den Fremden zu. Sie hielt bei ihm, hob die Hand und machte eine auffordernde Geste. Er zog einen Beutel aus seiner Satteltasche und zählte siebzig Drachen ab, die er ihr reichte. Es waren drei mehr als veranschlagt, aber wenn er es freiwillig gab, warum nicht?

Wortlos steckte Layni das Geld weg und saß auf. „Ich habe mehreren Leuten über diese Reise Bescheid gegeben“, ließ sie ihn wissen, damit er die Information hatte, lieber keine krummen Dinger zu drehen. Immerhin war er ein Mann und - wenn auch offensichtlich kein Kämpfer - trotzdem noch größer und sicher mindestens so stark wie sie selbst.

Er nickte. „Vorbildlich.“

Layni zog die Brauen zusammen und erklärte: „Nur gut ausgebildet. Wollen wir?“

Erneutes Nicken und auch er saß wieder auf. Sie verließen die Stadt zum Westtor hinaus und ritten eine Weile schweigend vor sich hin.

Der Fremde brach die Stille. „Ich bin übrigens Dáire. Nur falls du es wissen willst.“

„Wollte ich nicht. Aber da wir eine ganze Weile unterwegs sein werden, ist es wohl ganz praktisch, es zu wissen.“

Er grinste breit. „Hättest du nicht mal gefragt? Ich bin dein Auftraggeber.“

„Irgendwann sicher.“ Sie warf ihm einen Blick zu und lächelte ebenfalls, jedoch spöttisch. Sie hätte gefragt, wenn es an der Zeit gewesen wäre. Namen waren ihr nicht wichtig und ein simples ey tat es meistens auch.

„Wir werden bestimmt eine gute Gesellschaft bilden“, meinte er und wandte den Blick wieder nach vorn.

„Wenn du meinst.“

„Erzählst du mir ein bisschen was über dich?“, fragte Dáire, mit erneutem Blick zu ihr.

„Nein. Ich denke nicht.“

„In Ordnung. Dann erzähle ich dir etwas über mich.“

„Wenn es sein muss.“

Wieder grinste er, was sie mit einem Augenrollen quittierte. „Dein Pferd ist schön. Wie heißt es?“, wollte er wissen, anstatt von sich zu erzählen.

„Pferd.“

Er stutzte. „Wirklich? Das ist nicht sehr einfallsreich.“

„Wie heißt denn deins?“

Er betrachtete sein Reittier. „Ich weiß nicht. Es ist neu. Wie würdest du es nennen?“

„Pferd.“

Er lachte. „Alles klar. Kreativität ist nicht deine Stärke.“

Auch Layni musste lachen. „Nicht bei Namen, nein. Aber dir scheint das Thema zu liegen.“

„Tut es tatsächlich. Ein Name gibt den Dingen, Menschen und Tieren eine Bedeutung.“

„Ah ja? Ich dachte immer, man vergibt Namen, damit man Dinge, Menschen und Tiere auseinanderhalten kann.“

Er grinste breit. „Auch. Weißt du, was dein Name bedeutet?“

„Nein. Ist das wichtig?“

„Für dich vielleicht nicht. Für andere vielleicht schon.“

Sie musterte ihn einen Moment und fragte schließlich: „Wo kommst du her? Aus dem Westen?“

„Themawechsel? Alles klar. Nein, ich wurde im Süden geboren. Am Maipass. Weißt du, wo das ist?“

Sie nickte. „Der Pass bei den Meereswäldern an der Küste. Das ist ein weiter Weg. Was willst du im Westen? Und warum hast du den Umweg über den Norden gemacht?“

„Tau ist meine Heimat. Ich bin Botschafter und meine Herrin hat mich hierher geschickt.“

„Ohne Wachen?“

„Ja. Auf dem Weg hierher war es nicht nötig.“

„Warum jetzt? Du hast gesagt, es geht um Geleitschutz, keine Ware.“

„So ist es auch. Allerdings habe ich jetzt etwas bei mir, was Schutz erfordert.“ Er tippte sich an den Kopf und Layni nickte. Vermutlich eine wichtige Nachricht, die niemand anderes bekommen sollte.

„Führst du eine Waffe?“ Sie wollte wissen, ob er sich im Notfall wenigstens etwas verteidigen konnte.

„Nein“, war seine knappe Antwort.

Layni ritt zu ihm, band einen ihrer Dolche vom Bein los und reichte ihn an Dáire. „Hier. Ich denke, zustechen kannst du?“

Er hielt die Waffe in den Händen und beäugte sie mit gerümpfter Nase. „Es gibt einen Grund, warum ich Botschafter geworden bin. Mit scharfen Sachen kann ich nicht wirklich umgehen.“ Sein Blick traf sie und er verdrehte die Augen. Sicher hatte er ihre Gedanken erraten. „Ich meine Waffen.“

„Kein Grund zur Rechtfertigung.“ Sie grinste. „Außerdem hast du Glück, was das angeht. Auftraggeber sind tabu.“

„Schade“, gab er ihr schamlos zurück und lächelte.

„Pff. Du hältst dich wohl für unwiderstehlich, was?“

„Womit wir wieder beim Thema Namen wären. Meiner bedeutet unter anderem fruchtbar.“

„Oha. Und was ist das andere?“

„Stürmisch. Diese Eigenschaft würde ich mir sogar zuschreiben. Eine Weitere wäre gewalttätig. Aber keine Sorge. Ich sagte ja bereits, Waffen sind nicht meine Spezialität.“

Layni kicherte nur.

Erst am Abend machten sie halt, um die Nacht in einem kleinen Hain zu verbringen. Layni suchte eine passende Stelle und stieg ab. Dáire war ihr gefolgt und sah sich um.

„Wir rasten hier bis Sonnenaufgang“, erklärte sie. „Ich werde sehen, dass ich einen Hasen oder so was schießen kann. Wir essen und dann schläfst du. Ich halte Wache und wecke dich, wenn es weitergeht.“

„Wann schläfst du?“

„Morgen auf dem Pferd.“

„Nicht nachts?“

„Nein. Nachts sind die meisten Diebe unterwegs. Auch wenn sie Wissen nicht aus Köpfen stehlen können, können sie unser Hab und Gut nehmen. Wir sind noch zu nah an den Städten und Dörfern. Weiter im Land wird es ruhiger.“

„In Ordnung.“

Während Dáire sich daran machte, sein Lager zu bauen, sattelte Layni die Pferde ab und kümmerte sich darum, ihr Abendbrot zu fangen. Sie kehrte recht schnell zurück, denn unweit war ein Hasenbau gewesen.

Sie seufzte. „Kein Feuer?“

Dáire schaute fragend auf. Er hatte an seiner Satteltasche herumgefummelt und sah jetzt schuldbewusst aus.

„Wir brauchen Feuer für das Essen. Außerdem wird es nachts schon ziemlich kalt. Ich dachte, das war klar“, tadelte sie und ließ den Hasen fallen.

„Entschuldige. Ich war abgelenkt.“

„Ich bin nicht deine Dienerin, merk dir das. Du musst dich einbringen. Wir sind nur zwei.“

„Ja. Entschuldige.“ Er stand auf, um Holz zu suchen.

Layni schaute ihm kurz nach, schüttelte den Kopf und zog dem Hasen das Fell ab, um ihn für das Essen auszunehmen. Dáire kehrte mit dem Arm voller Holz zurück und begann, es aufzuschichten.

Layni sah seinen Fehler sofort. „So wird es ewig brauchen, bis es zündet. Da kommt keine Luft dran.“

Er schaute von ihr zu seinem Werk und zurück. „Ich mache das immer so.“

„Und du hast tatsächlich die Reise allein vom Westen hierher überlebt?“, fragte sie sarkastisch.

„Ich gehe richtig in der Annahme, dass du es besser kannst?“, seufzte diesmal er.

„Gehst du. Hier, mach weiter.“ Sie reichte ihm den Hasen, damit er ihre Arbeit beendete, und tauschte den Platz mit ihm. Wenig später brannte ein kleines Feuer und der Hase steckte auf einem Spieß nah bei den Flammen.

5

„Schläfst du oft draußen?“, fragte Dáire und wühlte erneut in seiner Satteltasche.

„Öfter. Ich spare meinen Sold lieber, als ihn für schäbige Zimmer rauszuwerfen.“

„Wofür sparst du?“ Er hatte gefunden, was er suchte und warf Layni einen kleinen Beutel zu, der Kräuter enthielt.

Sie zuckte mit den Schultern, würzte und drehte den Hasen. „Ich weiß noch nicht. Aber irgendwann kann ich das hier nicht mehr machen, dann brauche ich das Geld.“

„Und was, wenn du vorher stirbst?“

Sie sah ihn ungläubig an. „Ich habe nicht vor, mich erschlagen zu lassen.“

„So war das auch nicht gemeint. Aber dein Beruf ist gefährlich. Und selbst wenn du ihn überlebst, was, wenn du krank wirst? Willst du nicht lieber jetzt richtig leben?“

„Ich lebe doch.“

„In einer Schänke, von Tag zu Tag. Du schläfst auf dem Waldboden, statt in Betten, obwohl du es könntest. Deine Kleider, bitte verzeih mir, aber die haben auch schon bessere Tage gesehen.“

Layni verengte die Augen und musterte ihn einen Moment. Er sah definitiv nach viel Geld aus. Nach einem großen Haus, mit vielen Dienern und dem feinsten Essen. Er stellte es nicht offensichtlich zur Schau, doch seine Kleider waren aus guten Stoffen und tadellos, die Frisur saß und sein Benehmen war eindeutig geschult.