Phönix Band 1 - Stefanie Worbs - E-Book

Phönix Band 1 E-Book

Stefanie Worbs

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Beschreibung

Tyree wurde in eine Ära der Erde geboren, in der ein Volk dominiert, die Elfen. Und die haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Menschheit auszurotten. Ty gehört zu den Gejagten und lebt ein Leben auf der Flucht. Bis zu dem Punkt, an dem sie entscheiden muss. Der qualvolle Tod durch die schwere Krankheit, die sie schon seit geraumer Zeit aufzuhalten versucht oder ein Deal mit einem Elf, der sie von ihrer Krankheit heilen, am Ende aber ebenso das Leben kosten könnte.

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Prolog
Tyree
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Enyo
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Tyree
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Enyo
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Tyree
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Tyree
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Tyree
Epilog
Enyo
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Leseempfehlung
Impressum

Stefanie Worbs

Band 1

Prolog

Tyree

Die U-Bahn ist überfüllt, wie jeden Freitag. Alle wollen nach Hause, außer mir. Ich fahre mit, weil es mich beruhigt, mit der Bahn zu fahren. Das monotone Rauschen, unterbrochen vom Quietschen und den Ansagen, das beruhigt mich. Ich weiß nicht warum. Ich weiß nur, hier bin ich sicher.

Viele der Leute, die heute mitfahren, kennen mich schon. Hier und da bekomme ich ein Lächeln von ihnen, andere werfen mir genervte Blicke zu, weil ich schon wieder dabei bin. Sie wissen alle, dass ich kein richtiges Ziel habe. Ich fahre oft nur von einer Endstation zur nächsten.

Ein paar Mal wurde ich sogar schon gefragt, warum ich das tue und jedes Mal antworte ich: „Keine Ahnung.“ Ich habe keine Ahnung, zumindest rede ich mir das immer ein. Denn eigentlich tue ich es vorwiegend, um unter Leuten zu sein. Aber wenn dann die letzte Durchsage für die Endstation kommt, weiß ich, jetzt wird es gefährlich für mich.

Die Welt über der Erde ist gefährlich für Menschen und ich bin ein Mensch. Zwar leben einige da oben und die meisten sogar relativ normal - für Menschenverhältnisse -, doch es ist und bleibt eine Gratwanderung. Vor allem in den großen Städten, wie der über mir. Meine derzeitige Heimat, Maén.

Die Elfen machen uns das Leben schwerer als wir es haben sollten. Aber eigentlich sind wir auch selbst Schuld. Wir haben unsere Erde zerstört und nun zerstört sie uns, mit ihren ganz eigenen Soldaten.

In den ganz alten Aufzeichnungen meiner Vorfahren steht noch, wie es hier früher mal gewesen ist. Wie es war, als auf der Erde nur Menschen offen gelebt haben. Wie es war, als es hier noch nichts Magisches gab. Oder besser, als die Menschen noch dachten, es gäbe nichts Magisches.

Ich lese diese Bücher gern, denn sie spenden mir Frieden. Sie nehmen mir für eine Weile die Angst vor der Realität. Genau die Wirklichkeit, in die mich die Stimme der Durchsage für die Endstation jetzt zurückruft. Es ist so weit.

Heute bin ich nur spät dran, weil meine Besorgungen mich aufgehalten haben, nicht weil ich nicht aussteigen wollte. Ich atme tief durch und stehe auf. Nur zwei Leute sind noch mit mir im Zug, auch sie sind die typischen U-Bahn bis zum Letzten als Schutz-Nutzer. Sie fahren aber nicht immer mit. Die Bahn hält und die Türen gleiten auf. Ich folge den beiden und nicke ihnen freundlich zu, dann trennen sich unsere Wege. Wie immer geht einer rechts und einer links ab, während ich die Treppe geradeaus nach oben nehme. Es ist reiner Selbstschutz, allein zu bleiben. Geh nie mit anderen zusammen, sie könnten dich bei einer Flucht aufhalten.

Auf der zweiten Stufe bleibe ich nochmal stehen. Schon von hier aus kann ich den Mond und die Sterne sehen. Jetzt sind es noch 23 Stufen bis oben. Bis an die Oberfläche. Bis zum Ende der Schutzgrenze.

„Tyree?“

Ich drehe mich um. Am Fußende der Treppe steht Zeez und schaut fragend zu mir auf. Der Zwerg ist der Zugführer und mittlerweile ein richtig guter Freund. Er hat mich schon öfter bei sich schlafen lassen, wenn die Elfen wieder auf der Jagd gewesen waren.

Wer sich fragt, warum ich nicht immer hier unten wohne, dem soll gesagt sein, dass es kein Ort für einen Menschen zum Leben ist. Es ist kalt, laut, nicht besonders einladend und außer Zeez und seiner Frau Myra, wohnt nicht ein einziger, weiterer Zwerg hier, weil es einfach keinen Wohnraum gibt. Selbst Zeez’ Wohnung ist nicht mehr als ein Hasenbau.

Die Zwerge sind unsere einzigen Freunde in den Großstädten. Zwar sind auch sie gegen die Zerstörung der Umwelt, doch sie wissen, dass das zur Vergangenheit der Menschen gehört. Sie messen uns nicht an den Taten von „gestern“, sondern an denen der Gegenwart. Und auch nicht alle zusammen, sondern jeden für sich.

„Hey Zeez. Wie geht’s dir heute?“

„Kann mich nicht beschweren. Hast du Hunger? Myra hat sicher wieder mehr gekocht, als nötig.“

Ich schüttle den Kopf. „Heute nicht, aber danke. Ich muss dringend nach Hause.“ Ich halte meine Tasche hoch. Da drin sind Kräuter für eine Salbe. Ich bin diesmal spät dran und es ist wichtig, dass ich schnell nach Hause komme. „Das nächste Mal gern.“

Er zuckt mit den Schultern. „Kein Problem. Pass auf dich auf, Kleine.“ Er lächelt und winkt.

Kleine, denke ich ebenfalls mit einem Grinsen. Zeez geht mir gerade mal bis zur Hüfte und nennt mich Kleine. Für seine Art ist er allerdings wirklich klein. Die meisten Zwerge sind klein. Es gibt aber, wie bei allen Lebewesen, verschiedene Rassen. Er gehört eben zu den Kurzen.

Ich winke zurück und drehe mich wieder nach oben. Es wird Zeit. Nochmal atme ich tief durch, dann laufe ich los. Ich zähle die Stufen mit, wie immer rückwärts.

23, 22, 21.

Weil es draußen schon dunkel ist, habe ich bessere Chancen, unentdeckt zu bleiben.

18, 17, 16.

Zwar haben die Elfen eine ungeheuer gute Nachtsicht, doch auch sie müssen schlafen.

13, 12, 11.

Allerdings wissen sie auch, dass die meisten Menschen von der Oberfläche, sich die Nacht zunutze machen.

8, 7, 6.

Die Nachtluft weht mir entgegen. Kurz schließe ich die Augen, öffne sie aber gleich wieder. Ab jetzt muss ich wachsam bleiben.

3, 2, ich bin oben.

Mein Blick fliegt über meine unmittelbare Umgebung. Gezielt suche ich die Stellen ab, an denen sie sich verstecken könnten. Auch wenn sie das selten tun. Ihre Art ist so überlegen - und das wissen sie -, dass sie es nicht nötig haben, sich zu verbergen. Ich kann niemanden sehen, also los.

Ich achte bewusst darauf, zügig, aber nicht gehetzt zu laufen. Ich schaue nicht über die Schulter, denn das zählt unter auffälliges Verhalten und trotzdem fliegt mein Blick unablässig über alle möglichen Standorte eines Elfen.

Sie tauchen meist aus dem Nichts auf, denn sie bewegen sich fast lautlos. Rein theoretisch müssten sie sich gar nicht bewegen, um einen zu erschießen, denn die meisten von ihnen beherrschen den Umgang mit Pfeil und Bogen genauso, wie ein Mensch die Veranlagung zum Atmen besitzt.

Nur einer hat mich mal mit einem Schwert verfolgt. Das ist jetzt ungefähr ein Jahr her und es wäre fast mein Tod gewesen. Doch zum Glück war ich der U-Bahn nahe genug, um mich dorthin retten zu können. Die Narbe am Rücken trage ich seitdem, wie ein Mahnmal mit mir. Wenn ein Elf kommt und du siehst ihn, lauf!

Die Erinnerung daran, bringt wie fast immer die Erinnerung an die Geschichten mit sich. Früher, als der Mensch noch geglaubt hatte, Magie gäbe es nicht oder es wäre alles einfach Illusion, da schrieben sie Geschichten über Magie. Über Elfen, Zwerge, Riesen, Trolle, Magier, ja sogar Vampire und Werwölfe und alles was für mich heute als total normal gilt. Hätten sie gewusst, dass zu ihrer Zeit schon all diese Wesen unerkannt unter ihnen lebten, hätten sie sich so einen Mist nicht ausgedacht.

Teile ihrer Geschichten stimmen und andere sind totaler Quatsch. Es stimmt zwar, dass zum Beispiel die Zwerge gern unter Tage leben, doch sie leben genauso gern auf der Oberfläche. Auch was die Schattenwesen angeht, also Vampire, Werwölfe, Dämonen und so weiter, waren die Menschen oft nah dran, mit ihren Beschreibungen. Oft. Aber lange nicht immer. Ich muss grinsen und zwinge mich gleich darauf wieder zur Aufmerksamkeit, denn ein Aufschrei aus der Ferne holt mich in die Realität zurück. Die Elfen jagen also heute Nacht.

Ich hoffe und bete, dass sie nicht in der Nähe sind. Und wenn doch, dass sie keine Magie anwenden, um Menschen aufzuspüren. Leider können die Elfen auch das, zaubern. Aufspürzauber sind dabei anscheinend ihre Lieblingsdisziplin. Wenn ich das könnte ...

Auf meinem Weg hierher habe ich weder Magier noch irgendwelche anderen magiebegabten Wesen getroffen, dafür aber zwei Vampire. Doch die halten sich von dem Gebiet fern, in dem ich gerade lebe. Ich habe aber festgestellt, dass Blutsauger sehr viel ungefährlicher sind als die - von den Menschen so oft als Wunder der Natur dargestellten - Elfen.

Die sind nämlich sogar nicht friedfertig und freundlich wie in den Büchern beschrieben. Ich habe jedenfalls noch keines gelesen, in denen sie Jagd auf Menschen machen und diese dann entweder gleich hinrichten oder für irgendwelche Rituale verschleppen. Bis auf das Aussehen, das fast überall gleich beschrieben wird - anmutig, schön und ziemlich oft sogar sexy -, sind sie vom Verhalten her das genaue Gegenteil. Aggressive, bösartige, barbarische Mörder.

Leider muss ich das Risiko eingehen, ihnen über den Weg zu laufen, denn die Kräuter in meiner Tasche wachsen nur auf diesem Fleckchen Erde und ohne diese Kräuter würde ich sterben. So wie meine Brüder vor mir und mein Dad. Meine Mum lebt noch, doch sie ist zu alt, als dass sie diese Reise mit mir hätte machen können. Also musste ich allein los und bin hier gelandet.

An einem der wohl gefährlichsten Plätze für Menschen auf der Erde, der gleichzeitig meine einzige Chance auf Leben ist. Meine Hoffnung, irgendwann vielleicht geheilt zu sein, oder eine andere Lösung zu finden, bleibt.

Hinter mir raschelt es im Gebüsch. Ich muss mich zwingen, nicht danach zu sehen. Stattdessen gehe ich unauffällig einen Schritt schneller.

Bitte lass es keinen von denen sein, schießt es mir durch den Kopf. Wobei sie sich selten mit Geräuschen ankündigen. Das Rascheln wird kurz leiser, als ich Abstand gewinne, doch es wird schnell erneut lauter und bleibt dann stetig neben mir. Ich bleibe stehen. Das klingt nicht nach zwei Beinen und viel zu auffällig für einen Elf.

Mein Blick richtet sich auf das Gehölz nebenan und ich versuche im Dunkel etwas zu erkennen. Eine Straßenlaterne flackert und geht aus.

Prima. Plötzlich streift etwas mein Bein und ich springe erschrocken zurück. Mein Blick huscht über den Boden, denn was auch immer es war, es war kniehoch. Wieder flackert die Laterne und das Licht geht an. Vor mir steht ein Wolf.

Ein echt kleiner Wolf, wie ich erstaunt feststellen muss. Sicher ist er noch ein Jungwolf.

Seine Augen mustern neugierig mein Gesicht, dann senkt er den Kopf leicht und kommt auf mich zu. Automatisch weiche ich wieder zurück, denn wo ein Babywolf ist, ist die Mutter nicht weit. Doch der Kleine folgt mir. Ein wenig panisch schaue ich mich um, doch niemand ist hier. Dann betrachte ich das Tier näher.

Seine Pfoten sind viel zu groß für den Rest des Körpers und auch die Ohren wirken eher wie Radartüten, die er aufgesetzt bekommen hat. Er ist definitiv gerade aus dem Welpenalter raus. Noch zwei Schritte, dann steht er vor mir und schaut zu mir auf. Seine Augen sind grau und stechen aus dem sonst fast schwarzen Fell hervor. Seine Zunge fährt aus seinem Maul und über seine Nase, dann ist sie wieder weg.

„Na Kleiner?“, flüstere ich und sein Kopf legt sich schief. „Wo ist denn deine Mama?“ Natürlich kann er nicht antworten. „Geh wieder nach Hause. Ich muss weiter“, sage ich, schiebe mich an ihm vorbei und laufe los. Ein Kontrollblick über die Schulter zeigt mir, dass er mir nachschaut. Als er meinen Blick sieht, setzt auch er sich in Bewegung und folgt mir.

Wieder bleibe ich stehen. „Du kannst nicht mit. Geh nach Hause“, versuche ich, ihn zu verscheuchen, und mache eine schiebende Geste mit den Händen. Er macht zwar einen Schritt zurück, doch er geht nicht. Auch egal. Er wird schon abhauen. Ich muss runter von der Straße.

Mein Weg ist weit und ich bin abgelenkt von dem Wolf, der mir stetig folgt. Das ist nicht gut, denn ich muss wirklich aufpassen. Endlich kommen die Ruinen in Sicht und ich atme erleichtert aus, als ich die Grenze zu meinem derzeitigen Zuhause übertrete. Noch ein paar mal habe ich aus der Ferne Schreie gehört, doch sie waren alle weit genug weg, als dass ich in größerer Gefahr gewesen wäre. Heute ist anscheinend die Nordstadt dran. Ich kann die Menschen dort nicht verstehen. Sie leben teils wirklich nah, bei den Elfen. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass sie gefunden werden.

Die Ansammlung kleiner Häuser in der mein Hof liegt, muss früher mal ein Dorf gewesen sein. Jetzt wuchert alles zu, denn die Natur hat sich schon längst zurückgeholt, was ihr gehört. Ich habe mich in diesem ehemaligen Bauernhof hier eingerichtet. Er ist nicht groß, aber gemütlich. Auch hier wuchern überall Pflanzen, doch sie helfen ebenso, die undichten Stellen zu verschließen, die die Jahre des Leerstandes im Mauerwerk hinterlassen haben. Auch das Dach besteht rein aus Geäst.

Als ich zwischen den Resten der ehemaligen Mauer, die das Grundstück umschließt, durchtrete, bleibe ich kurz stehen. Der Wolf ist noch immer hinter mir, doch auch er ist stehengeblieben und beobachtet mich.

Ich stehe hinter der Schutzgrenze, die alle magischen Wesen davon abhält, den Hof zu betreten. Meine Mutter hat dieses Ritual gefunden, nachdem unsere Familie angegriffen worden war und sie hat es mir beigebracht, bevor ich sie verlassen musste. Ich weiß nicht, was mit magischen Wesen geschehen würde, würden sie versuchen über die Grenze zu treten, doch genauso froh bin ich, dass anscheinend niemand weiß, dass ich hier lebe und es somit auch noch keiner versucht hat. Bis auf die alte Frau - Cècilia, auch ein Mensch - am anderen Ende des Dorfes, bin ich allein auf weiter Flur.

Sie hat mir verraten, dass ich in dieser Stadt die Kräuter finde, die ich zum Überleben brauche. Sie hat mir auch gezeigt, wie ich die Salbe herstelle, die meine Schmerzen eindämmt und verhindert, dass sich die Infektion ausbreitet. Im Grunde verdanke ich ihr mein Leben.

Der Wolf steht vor den Mauerresten und hält meinen Blick fest. Eine geschlagene Minute starren wir uns an. Er, als warte er auf Einlass. Ich, weil ich wissen will, ob er die Grenze übertreten kann. Dann tut er es. In leichtem Trab kommt er auf mich zu und setzt sich vor mich hin. Innerlich atme ich auf, denn das heißt, er ist ein gewöhnlicher Wolf, kein Wer- oder Elbwolf. Wobei Werwölfe ebenfalls nicht in dieser Gegend leben. Eben wegen den Elbwölfen. Die im Übrigen immer an einen Elfen gebunden sind.

Elbwölfe sind zwar keine Gestaltwandler, dafür aber magisch und den Werwölfen in Kraft und Schnelligkeit sogar noch überlegen. Revierkämpfe werden also geflissentlich vermieden. Der Welpe vor mir ist kein Elbwolf, sonst würde er sicher nicht so sorglos vor mir sitzen und mich treuherzig wie ein Hund anschauen. Mein Schutz hätte es verhindert.

Ich wende mich ab und gehe ins Haus. Die Schmerzen in meiner Seite werden schlimmer, ich brauche dringend die Salbe.

Im ehemaligen Wohnbereich, der jetzt meine Einzimmerwohnung ist, lasse ich meine Sachen fallen und beginne gleich mit den Vorbereitungen für meine Medizin. Die Mixtur muss eine Stunde ruhen, bevor ich sie auftragen kann, was noch zur Herausforderung wird, wie ich wohl weiß. Es ist immer so, wenn ich zu spät dran bin.

Der Wolf ist mir abermals gefolgt und nimmt nun meine bescheidene Bleibe in Augenschein. Er schnüffelt alles ab und halb befürchte ich, er könnte irgendwo hinmachen, doch er hält sich zurück und legt sich nach seinem Rundgang vor das alte Sofa, das mein Schlafplatz ist. Seine Augen folgen meinem Tun, als ich die fast fertige Mixtur auf den Kaminsims stelle, die Sanduhr daneben umdrehe und mich zu ihm umwende.

„Hast du Hunger?“, frage ich, auch wenn ich keine Antwort erwarten kann. „Tja, ich hab Hunger“, füge ich an und hole Brot und geräucherte Wurst aus einem Schrank in der Ecke. Morgen muss ich dringend auch den wieder etwas auffüllen. Ich gehe zum Sofa und lasse mich fallen. Der Wolf steht auf und setzt sich dann so, dass er mich beobachten kann. Einen Moment lang mustere ich ihn und überlege, warum er so zutraulich ist.

Er muss Menschen gewohnt sein, denke ich und halte ihm das Ende der Wurst hin. Vorsichtig und nur mit den vordersten Zähnen, zieht er es mir aus der Hand und verspeist es dann recht gemütlich und ohne Hast.

„Willst du hierbleiben?“, frage ich in die Stille. Ein Mitbewohner wäre nicht schlecht. Es kann ziemlich einsam hier draußen sein. Außerdem könnte ich ihn richtig zähmen und vielleicht könnte er so was wie mein Schutzwolf werden. Der Kleine lässt sich nicht von seinem Futter ablenken. „Du kannst hier wohnen, wenn du willst“, rede ich weiter. „Wir könnten ein Team werden.“

Der Welpe hebt den Kopf, um den letzten Rest Wurst zu verschlingen, und schaut mich dann an, während er versucht, mit der Zunge die Fleischfetzen zwischen den Zähnen hervorzuholen.

„Jetzt hast du bestimmt Durst, was?“ Ich stehe auf und hole eine Schüssel, in die ich Wasser aus meiner Flasche für unterwegs kippe. Gierig trinkt er sie komplett leer und schaut mich dann bittend an. „Sorry, mehr hab ich nicht. Ich geh heute auch nicht noch mal raus. Wenn du mehr willst, musst du selbst zum Fluss.“

Ein letzter Blick und der Wolf wendet sich ab. Doch, statt rauszugehen, lässt er sich vors Sofa plumpsen. Einen Moment später schließt er die Augen und schnieft kurz aber laut. Ich beobachte ihn eine ganze Weile, dann fällt mir die Mixtur wieder ein. Ein stechender Schmerz in der Seite hat mich erinnert.

Kurz bevor ich die Salbe verwenden kann, muss die letzte Zutat rein. Der Saft aus den Dornen einer schwarzen Rose. Ich krame in meiner Tasche nach dem kleinen Fläschchen, das ich heute unter Mühen erstanden habe, kann es aber nicht finden. Eine gefühlte Ewigkeit suche ich danach, kippe sogar alles aus und wühle mich penibel durch den wenigen Inhalt, doch die kleine Phiole bleibt verschwunden.

„Scheiße! Wo ist sie?!“, entfährt es mir, woraufhin der Welpe mich wieder ansieht. Mein Blick schweift im Raum umher, auch wenn ich sicher bin, dass sie nur in der Tasche sein kann. „Verdammter Dreck!“ Ohne den Saft wirkt die Salbe nicht so, wie sie soll. Die Infektion wird nur bedingt aufgehalten und die Entzündung breitet sich aus. Ich weiß das, weil ich es schon erfahren musste. Damals, als Cècilia mir gezeigt hatte, wie man die Salbe herstellt, gleich das erste Mal.

Sie hatte nur eine Phiole Rosensaft gehabt und mir die Salbe gemacht. Danach hatte ich mir die Zutaten selbst besorgen müssen, aber genau jenen Saft nicht bekommen. Ich hatte es ohne versucht und war kläglich gescheitert. Cècilia hatte mich dann aufgeklärt, dass der Saft die Komponenten zusammenbringt. Er sorgt dafür, dass die einzelnen Kräuter richtig miteinander harmonieren. Ohne, ist es nichts Halbes und nichts Ganzes. Und jetzt fehlt dieser wichtige Teil. Sicher hab ich ihn irgendwo verloren.

So ein verfluchter Mist! Das heißt, ich werde eine schmerzhafte Nacht haben und muss morgen noch mal losziehen, um neuen zu besorgen. Ich hole also die angefangene Mixtur vom Kaminsims, fülle sie in eine Dose und verschließe sie gut. Zum Glück tut diese Art der Aufbewahrung der Wirkung keinen Abbruch.

Zurück auf dem Sofa schließe ich resigniert die Augen und seufze. „So ein Dreck.“

1

Enyo

„Wo ist der verdammte Wolf?!“, entfährt es mir und ich spüre, wie die Wut überhandnimmt. Es ist nicht das erste Mal, dass er weggelaufen ist, aber bis jetzt war er nie so lange verschwunden.

„Ich hab dir gesagt, behalte ihn auf dem Grundstück“, kommt es tadelnd aber leise von meiner kleinen Schwester.

Mein Blick fliegt zu ihr und sie wird merklich kleiner. „Deine dämlichen Ratschläge kannst du dir sonst wo hinstecken!“, fahre ich sie an und weiß im selben Moment, dass ich unfair bin. Aber gerade ist mir einfach nicht danach, irgendwelche blöden Reden darüber zu hören, was ich hätte besser machen können.

Ich habe den Wolf noch nicht lange, dachte allerdings, dass ich ihn mittlerweile gut im Griff hätte. Dem scheint nicht so zu sein, denn ich stehe hier ohne ihn. Basil, mein nächstältester Bruder, den meist alle Bay nennen, grinst blöde hinter Cara und nimmt meinen wütenden Blick ohne weitere Regung hin. Sie wissen zum Glück alle, was sie tun dürfen und lassen sollten, wenn ich in dieser Stimmung bin.

Jeder der weiß, dass ich um meine Unzulänglichkeiten weiß, würde sagen; änder es doch. So einfach ist das aber gar nicht. Ristan, der älteste von uns und Regent der Stadt, hatte mal einen guten Vergleich. Meine Wutausbrüche sind wie Alkoholiker sein. Man kann nicht einfach damit aufhören. So ist das eben auch bei mir. Wenn ich wütend bin, bin ich es. Da hilft auch durchatmen nicht mehr.

„Geh raus und such ihn. Was anderes bleibt dir nicht übrig“, baut sich nun Bent, auch mein Bruder und zweitältester Sohn meines Vaters, ein. Er hebt die Schultern und fügt an: „Oder du wartest ab, ob er zurückkommt.“

„Und wenn nicht?“, fauche ich und versuche es nun doch mit durchatmen.

„Dann hast du keinen Wolf mehr“, grinst Bay dämlich und bringt meine Wut damit wieder zum Kochen. Ohne Vorwarnung fliegt das Buch, das eben noch neben mir auf dem Tisch gelegen hat, in seine Richtung. Im Flug klappt es auf und wird so gebremst.

Bay kann es abwehren und lacht. „Das hast du auch schon mal besser hingekriegt, En.“

„Halts Maul!“, blaffe ich ihn an. „Halt einfach dein scheiß Maul, Bay!“

„En?“ Cara klingt eingeschüchtert und wieder zwinge ich mich dazu, durchzuatmen. „En, er kommt sicher wieder. Lass ihn eine Nacht laufen. Daròn hat das auch gemacht, als er klein war.“ Daròn ist Ristans Wolf und der Vater von meinem. Und Cara hat vermutlich recht. Es könnte ihm einfach im Blut liegen.

Ich seufze: „Okay. Eine Nacht. Aber morgen werde ich ihn suchen.“

Sie lächelt zufrieden und erleichtert zugleich. „Du findest ihn sicher.“

Ich hebe die Hand und winke ab, dann verlasse ich die Bibliothek. Bays bescheuertes Grinsen muss ich mir nicht weiter antun.

Die Nacht war lang und schlaflos, denn ich weiß, wenn ich den Wolf nicht wiederbekomme, habe ich ein Problem mit Ristan.

Der Winzling war der letzte Welpe, den sein Daròn hervorgebracht hat. Er wird ihn nicht noch mal zur Zucht freigeben, denn der Wolf ist alt und schwach geworden. Meiner ist also sein letzter Erbe.

Normalerweise hätte Ristan ihn selbst behalten und hat ihn mir auch nur höchst widerwillig überlassen. Es war der letzte Wunsch unseres Vaters, dass ich einen Welpen aus der Linie seines Wolfes bekomme und das ist nun mal dieser Winzling gewesen. Der letzte Wurf, der letzte Welpe. Er sollte die Blutlinie der Elbwölfe von Maén fortsetzen und nun ist er weg.

Ich habe die Stadt lange nicht so verlassen gesehen, aber das liegt neben der letzten Jagd wohl auch am Wetter. Früh am Morgen hat es zu schütten angefangen und sämtliche Jäger waren noch vor Sonnenaufgang zurück. Nicht ein Elf ist mir bisher über den Weg gelaufen, dafür aber tatsächlich ein paar wenige, mutige Menschen. Zwei haben mich als Elf erkannt und sind im Dauerregen untergetaucht. Ein anderer war ein Bote, der sich ehrfürchtig verneigt hat und dann lautlos verschwunden ist.

Die vierte war eine alte Frau, die kaum laufen konnte. Auch sie hat mich bemerkt, wahrscheinlich aber resigniert, weil sie eh nicht hätte fliehen können. Ich habe sie ziehen lassen, was sie sichtlich irritiert hat.

Der fünfte Mensch jetzt, ist ein Mädchen, das nicht viel jünger als ich zu sein scheint. Auch sie hat mich nicht bemerkt, aber ich habe sie bemerkt und ich habe den Wolf an ihrer Seite bemerkt. Meinen Wolf, wie ich feststellen musste. Doch statt Zorn darüber, dass er sich bei einem Menschenmädchen aufhält, ist Neugierde in mir aufgeflammt und nun folge ich den beiden schon eine Weile. Sie hat den Wolf nicht angeleint, er folgt ihr freiwillig, als würde er zu ihr gehören.

Vorsichtig wie ein Reh, das den Wald verlässt, schleicht die Kleine durch die Stadt und es gelingt ihr tatsächlich, mich ab und zu zu verwirren und abzuhängen. Doch nie für lange. Sie besucht einen Medizinhändler und dann eine Zwergenfrau.

Mein Erstaunen wächst mehr und mehr, denn die Zwergin lebt sehr nah am Anwesen und hierher verirren sich äußerst selten Menschen, die nicht in unseren Diensten stehen. Das Mädchen zeigt keine Angst und setzt souverän, aber achtsam, einen Fuß vor den anderen.

Noch mehr erstaunt es mich dann, als sie in Richtung der Rosengärten schleicht. Das schlechte Wetter hat den Norden der Stadt noch nicht erreicht und nichts und niemand verdeckt die Sicht auf sie. Jeder Elf in Sichtweite, könnte sie als Menschen erkennen und sich holen.

Entweder ist ihr das egal oder sie denkt einfach nicht daran. Wäre ich ein anderer, hätte auch ich sie schon geholt. Aber ich jage keine Menschen. Auch wenn ich vieles von dem, was sie getan haben, abgrundtief verabscheue, weiß ich, dass nicht alle so sind und es ist Ewigkeiten her. Ich für meinen Teil urteile erst, wenn ich die Person kenne und das Mädchen war bis jetzt nicht mehr als ein mutiges, kleines Ding.

Und hübsch ist sie. Wirklich sehr hübsch. Unter der weiten Kleidung kann ich ihren schlanken Körper erkennen und ihre Haltung zeugt von Stolz. Ihre langen dunklen Haare trägt sie zu einem hohen Zopf gebunden, der beim Gehen hin- und herschwingt.

Würde ich ihn mir um die Hand wickeln, würde er locker zwei- oder dreimal darum reichen. Ihre Augen fliegen aufmerksam über ihre Umgebung, doch sie hat mich noch nicht entdeckt. Ich bin gut im Beobachten. Kaum ein Elf ist nicht in der Lage, mit Leichtigkeit mit seiner Umgebung zu verschmelzen. Trotzdem muss ich aufpassen, denn sie hat ihre Augen wirklich überall.

Hübsche hellgraue Augen. Am Rosengarten angekommen wirkt sie unentschlossen. Jetzt liegt ihre Aufmerksamkeit bei den Pflanzen. Leise schleiche näher heran und bleibe in Elfenhörweite hinter einem Baum stehen. Sie redet mit dem Wolf, als sei er ihr Freund und sie will eine Rose haben.

Als sie einen Versuch startet, ist mir sofort klar, dass er misslingen wird. Ich würde die Blüte, die sie gewählt hat, vielleicht erreichen. Doch ihre Arme sind definitiv zu kurz. Zu meiner Überraschung bekommt sie sie dennoch zu fassen. Beim Heranziehen reißt die zarte Pflanze aber und schwingt zurück. Als ich das Gesicht des Mädchens wieder sehe, ist es schmerzverzerrt.

Warum? Sie redet wieder mit dem Wolf, hebt den Blick zum Himmel und ... hat sie sich gerade entschuldigt? Bei wem denn?

Ihr Gesicht zeigt Missmut, als sie den Kopf wieder senkt, doch fast sofort ist sie erneut aufmerksam. Ich halte den Atem an, als sie sich erhebt und dann an dem Baum vorbeikommt, hinter dem ich stehe. Wie absurd. Ich, als Elf, verstecke mich vor einem Menschen. Noch dazu einem Mädchen, das ich sicher locker mit einem Arm hochheben könnte.

Als sie vorbei ist, kann ich ihre Kehrseite aus der Nähe bewundern und muss feststellen, dass die sehr viel mehr hermacht, als die mancher Elfenfrauen. Überhaupt ist die Kleine wirklich heiß, mit ihren zarten, weiblichen Rundungen und ihren leicht schwingenden Hüften.

Bei allen Göttern, En! Sie ist ein Mensch! Auch wenn es Männer aus meinem Volk gibt, die sich Menschenfrauen als Gespielinnen nehmen ... hier gehöre ich ebenfalls nicht dazu. Sie sind viel zu zerbrechlich und als Elfenmann muss man höllisch aufpassen, wegen der Kraft und so.

Ich schüttle den Kopf, um ihn frei zu bekommen, dann folge ich dem Mädchen wieder. Mein Wolf trottet neben ihr her, als wäre er ihr Haushund. Ein wenig macht mich das schon wütend, wenn ich ihn so sehe und er mich überhaupt nicht registriert.

Das Mädchen läuft Richtung Stadtzentrum. Als sie auf eine Häuserecke zuhält, wird mir klar, wo sie hin will. Zur U-Bahn. Mir wird schlecht. Der einzige Ort, an den ich ihr sicher nicht und niemals folgen werde, ist die U-Bahn. Unter Tage gibt es kein natürliches Licht. Es gibt wenig frische Luft und es ist eng und überhaupt ... es hat Gründe, warum Elfen dort nicht leben. Es ist einfach viel zu winzig und viel zu gefährlich.

Ich muss sie aufhalten. Ich muss meinen Wolf davon abhalten, ihr zu folgen. Kurzerhand entscheide ich, sie anzusprechen. Erst hab ich keine Ahnung wie, denn ich bin nun mal, was ich bin und sie ist, was sie ist. Sicher wird sie nicht seelenruhig abwarten und mir dann höflich meinen Welpen zurückgeben. Aber was habe ich für eine Wahl?

„Hey Kleine“, rufe ich und achte auf einen Abstand, der ihr eine gewisse Sicherheit geben sollte. Sie dreht sich zu mir und ihre Augen werden groß. „Warte mal. Der Wolf ...“, schaffe ich zu sagen, da dreht sie sich fluchtbereit zurück. „Bleib mal stehen.“ Nun rennt sie schon. Verflucht!

Ich setze ihr nach und rufe, denn auch mein Wolf folgt ihr wie am Faden gezogen. Sie ist verdammt schnell und wendig dazu. Ihr Weg führt sie - wie erwartet - Richtung U-Bahn. Ich schaffe es, aufzuholen, und kann sie quasi fast greifen, als sie die Treppe zu einer Station erreicht und mit einem Satz nach unten springt.

Rutschend komme ich zum Stehen und kann nicht mehr tun, als ihr nachzuschauen. Mein Herz rast, aber nicht weil ich gerannt bin, sondern weil sie da unten ist und ich ihr nicht folgen kann. Keine Höhlen, keine U-Bahn. Eine innere Bremse hält mich vom Weiterlaufen ab. Die Kleine kommt unten an, fällt und dreht sich sofort nach mir um. Mein Wolf ist ihr natürlich gefolgt und wirft mir einen fast schelmischen Blick zu.

Innerlich könnte ich platzen vor Wut. Ich sehe, wie sie mich mustert und die Angst in ihren Augen wächst, dann steht sie auf und macht einen Schritt zurück.

„Mein Wolf“, sage ich und bin selbst erstaunt, dass es doch relativ ruhig klingt. Dafür, dass ich gerade schäume vor Zorn. Ihr Blick fliegt zwischen uns hin und her, dann tönt vom Bahnsteig aus der ankommende Zug und ich weiß, dass sie ihn nehmen wird. Jetzt hab ich so gut wie keine Chance mehr, meinen Wolf zurückzubekommen.

2

Tyree

Die Stadt ist heute relativ leer, was es mir einfacher macht. Denn selbst Elfen haben wohl eine Abneigung gegen schlechtes Wetter und bleiben da lieber drinnen. Trotzdem versuche ich, durch den Regen meine Umgebung im Auge zu behalten.

Die Schmerzen sind noch erträglich und der Wolf folgt mir auf dem Fuß, als hätte ich ihn dazu erzogen. Ich habe keine Ahnung, warum er das tut, aber irgendwie gibt es mir ein Gefühl von Sicherheit. Ob er mich auch verteidigen würde, ist eine andere Frage. Der kleine Laden in den ich will, kommt in Sicht und schon bin ich drin. Wölfchen, so habe ich den Welpen jetzt einfach mal getauft, folgt mir auch hier rein.

Hinter dem Tresen steht ein Mann, der zu den Zwergen gehört. Zu der menschengroßen Sorte. Er ist bullig und würde besser in eine Metzgerei passen, aber er ist relativ nett.

„Hallo Junis“, begrüße ich ihn und streiche mir die Haare aus der Stirn. Ich bin komplett durchnässt und tropfe auf den Boden vom Laden.

„Tyree? Schon wieder?“, fragt er und schaut mich verdutzt an.

„Ja“, seufze ich. „Ich blöde Kuh, hab den Rosensaft verloren“, gebe ich zu und senke den Blick. Ich weiß, dass er selbst nicht viel davon hat, denn die schwarzen Rosen wachsen einzig und sehr nah am Anwesen des Bürgermeisters, der natürlich ein Elf ist. Und nicht mal Zwerge wagen sich zu oft und so nah an sie heran, auch wenn diese beiden Völker kein Problem miteinander haben. Nur, dass die Zwerge kein Problem mit den Menschen haben, stört die Elfen. Und, dass sie eben auch den Umgang mit uns pflegen.

„Ty. Du weißt, dass ich fast keinen mehr hab.“

„Ja.“ Ich schaue auf. „Aber ich brauche ihn wirklich dringend.“

Junis seufzt ebenfalls. „Das wird aber teuer.“

„Was willst du denn?“, frage ich, weiß aber, dass es sicher nicht teuer, sondern eher gefährlich wird. Denn eigentlich bezahle ich immer mit Gegenleistungen wie dem Überbringen von Nachrichten oder Lieferungen.

Früher hatten die Menschen Funkmasten und Mobiltelefone für die Kommunikation. Heute gibt es auch noch feste Telefone, aber sie sind selten, denn vieles von damals, was als modern galt, finden die Elfen blöd. Dinge die mittels Strom laufen, der durch Kohle- oder Atomkraftwerke erzeugt wurde zum Beispiel, gibt es kaum noch. Und wenn doch, wurden sie umgebaut und laufen jetzt mit Solar-, Wind- oder Wasserkraft erzeugter Energie.

Es gibt auch noch Autos von früher, die mit Strom betrieben werden, doch das sind auch nicht viele.

Der Zug der meine Auszeit für den Tag ist, ist eines der wenigen Dinge, die überlebt haben. Auch weil er unter der Erde ist, wo die Elfen sich nicht hintrauen. Die Zwerge halten ihn instand und helfen den Menschen damit, sicher von A nach B zu kommen. Natürlich läuft auch er ausschließlich auf Solarbasis.

Junis holt mich aus meinen Gedanken. „Dekka hat das hier bestellt.“ Er hält einen Beutel hoch. „Bring es ihr und ich gebe dir den Saft.“

Eigentlich muss ich nicht überlegen, denn ich brauche diesen blöden Saft wirklich dringend. Aber Dekka wohnt ziemlich nah Richtung Bürgermeisterhaus. Und damit eigentlich zu nah für einen Menschen wie mich. Mein Blick fliegt zwischen dem Beutel und Junis hin und her, dann stoße ich den Atem aus. „Okay.“

Junis lächelt wissend. Klar wusste er, dass ich nicht nein sage, denn er weiß, dass ich den Saft brauche, wenn auch nicht für was. „Dann hier.“ Unter dem Tisch holt er eine Phiole hervor, die meiner von gestern ähnelt. „Das ist meine Letzte. Pass diesmal auf, dass du sie nicht wieder verlierst.“

„Mach ich schon, keine Sorge.“ Ich greife danach und lasse sie in meiner Tasche sorgfältig verschwinden, dann nehme ich den kleinen Beutel. „Bis wann will Dekka das haben?“

„Am besten noch heute. Ich hätte es ihr heute Abend gebracht. So muss ich den Laden nun doch nicht eher schließen.“ Er grinst ein wenig gemein, was ich mit einem genervten, schiefen Lächeln erwidere, dann wende ich mich ab und gehe. Wölfchen hat neben der Tür auf mich gewartet und folgt mir geräuschlos.

„Wir haben jetzt ein kleines Abenteuer vor uns. Machst du mit?“

Er schaut mich an und seine Rute wedelt leicht.

„Na dann los.“

Dekkas Straßenzug liegt direkt an der Hauptstraße, die zum Bürgermeisteranwesen führt. Ich muss Seitenstraßen benutzen, um nicht Gefahr zu laufen, von jemandem gesehen zu werden. Tagsüber sind so gut wie keine Menschen unterwegs. Nur ab und zu sieht man welche, die offensichtlich Dienste verrichten. Ein paar haben sich den Elfen unterworfen und dienen ihnen als Sklaven.

Sie verraten andere, deshalb hält sich auch jeder von ihnen fern. Im Grunde reden Menschen nicht mit Menschen, denn jeder könnte dich an den Galgen oder vor einen gespannten Bogen bringen. Das ist andernorts nicht ganz so schlimm. Hier ist aber nicht andernorts. Hier ist die Großstadt und hier regieren die Elfen.

Der Regen hat diesen Teil der Stadt noch nicht erreicht, was mir mehr Sicherheit gibt, denn so habe ich bessere Sicht. Meine Schritte werden trotzdem automatisch vorsichtiger, je näher ich Dekkas Haus komme. Dann hab ich es endlich erreicht und klettere über den kleinen Zaun am hinteren Garten. Ein paar Schritte, dann klopfe ich sachte an die Tür zu ihrer Küche.

Sie öffnet und schaut mich verwundert an. „Was willst du denn hier?“, will sie neugierig wissen. Zurecht, denn ich sollte mich nicht so weit vorwagen. Das letzte Mal als ich hier gewesen war, hatte mich ein Elf bis zur U-Bahn verfolgt und halb mit einem Schwert aufgeschlitzt.

„Ich hab was für dich, von Junis“, antworte ich und halte ihr den Beutel hin.

„Oh. Ich dachte, er kommt selbst“, entgegnet sie mir und wirkt enttäuscht. Ich weiß auch warum. Sie steht auf ihn, aber er kapiert es nicht. Hornochse. Dekka ist eine wirklich hübsche Zwergenfrau, doch er rafft es nicht.

„Ja, es war ein Tauschgeschäft.“

„Muss ja was Wichtiges sein, wenn du dich hierher wagst.“

„Ja schon. Egal. Ich hau auch gleich wieder ab.“

„Alles klar. Pass auch dich auf, Ty.“

„Mach ich, danke.“

Sie streicht mir sachte über den Arm, dann schließt sie die Tür. Ich wende mich um und laufe zum Zaun zurück. Wölfchen hat diesmal draußen gewartet und steht auf, als er mich kommen sieht.

„Kleiner, wir müssen einen Umweg machen.“ Ich habe eine Idee und hoffe, sie wird mich nicht das Leben kosten.

Zehn Minuten später stehe ich an einer Hausecke und spähe um sie herum. Vor mir liegt die Zufahrt zum Bürgermeisterhaus und auf der anderen Straßenseite führt ein Weg dahin, wo ich hin will. Zu den Rosengärten.