Die Drachen der Skareth - Stefanie Worbs - E-Book

Die Drachen der Skareth E-Book

Stefanie Worbs

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Beschreibung

- In einer Woche werden fünf Reiter von den Sturmlanden erwartet. Die Garde der Drachen lässt ihre Grüße ausrichten. - Mit diesem Brief in der Hand vermag sich Gaten Nahors größte Hoffnung zu erfüllen. Als Kommandant der Königsgarde der Freien Länder ist es seine Aufgabe, Unterstützung zu finden, die ihm und seinem Land helfen soll, nicht in die Hände der Bergläufer zu fallen. Doch vom Eintreffen der Drachenreiter an, läuft für Gaten alles schief. Er ist gezwungen, in die Sturmlande - die Heimat der Reiter - zu reisen, um die alles entscheidende Allianz und damit die Hilfe der Drachengarde zu bekommen.

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Die Drachen
der Skareth
Prolog
Gaten - Die Freien Länder
1
Dragoth-Gard eth Skareth-Lena
2
Dannika - Neue Lande
3
Lord Gaten Nahor
4
Gaten - Realer Mythos
5
Die Drachen der Skareth
6
Unterschiede und Gleiches
7
Kämpfe verschiedener Art
8
Dannika - Fehlschläge
9
Keine Freunde
10
Gaten - Die Sturmfront
11
Dannika - Fremde
12
Gaten - Lerne, die Fremde zu lieben
13
Dannika - Ratsentscheidung
14
Gaten - Der Drachenfels
15
Skarskárd
16
Dannika - Die anderen Feinde
17
Angriff auf die Westfront
18
Gaten - Ein Sturm bricht los
19
Dannika - Schwere Verluste
20
Gaten - Festländler unter sich
21
Ein Mann der Taten
22
Dannika - Geschichten und Märchen
23
Gaten - Irgendwo im Nirgendwo
24
Auswege
25
Dannika - Suche
26
Gaten - Wilde Sturmlande
27
Dannika - Lichtblicke
28
Gaten - Eine Ehre
29
Eine Entscheidung muss getroffen werden
30
Dannika - Näher geht es nicht
31
Gaten - Niederlagen
32
Glanzlose Heimkehr
33
Kampf um Thale
Epilog
Eine Tür schließt sich ...
Bisherige Veröffentlichungen
Leseempfehlung

St. Worbs

Die Drachen

der Skareth

Prolog

Gaten - Die Freien Länder

Der Sommer war heiß und schien alle vorherigen mit seiner Hitze und dem frühen Beginn, um einiges übertrumpfen zu wollen. Die Luft über den Gebäuden der Stadt flimmerte in der Hitze der Mittagssonne und ließ die Wachen auf den Mauern der Verteidigungsanlagen schwitzen.

Gaten lief die Wehrmauer der Stadtgrenze entlang und wünschte sich nichts sehnlicher als ein Bad im Bergsee hinter der Hauptstadt. Dort war es zurzeit zwar übervoll, weil sich vermutlich jeder einzelne Stadtbewohner an das Gewässer flüchtete, aber das war egal. Hauptsache raus aus der Rüstung und rein ins kalte Nass. Leider war er heute dazu verdammt, die Tagschicht zu haben, und würde erst am Abend zu dem Vergnügen einer Abkühlung kommen.

„Kommandant.“ Einer seiner Männer, der ebenfalls zur Tagschicht eingeteilt war, salutierte.

„Soldat.“ Gaten stellte sich in den Schatten eines kleinen Mauerturms und genehmigte sich einen Schluck aus dem Wasserschlauch. Er musterte den Mann an der Mauer und sah ihm die Schwäche an, die die Hitze auslöste. „Geht eine Pause machen“, wies er ihn an. „Trinkt ausreichend und kühlt Euch ein wenig ab.“

Der Mann nickte. „Ja, Kommandant.“ Er drehte ab und marschierte davon.

Gaten übernahm den Posten der Wache und ließ den Blick über das weite Umland schweifen. Er genoss den Ausblick, denn es war ein seltenes Vergnügen.

Seit er die Stelle des Kommandanten der Königsgarde vor vier Jahren übernommen hatte, war er ausschließlich damit beschäftigt, Reyes auf seinen Reisen zu begleiten oder für dessen Schutz hier zu sorgen. Wachgänge waren eine Seltenheit geworden. Er hatte den Führungsposten haben wollen und auch darauf hingearbeitet. Dass die Stelle ihm so viel nehmen würde, hatte Gaten nicht erwartet. Es war eine ehrenvolle Aufgabe, man war einem General gleichgestellt und hielt damit einen der höchsten Ränge im Land. Die Schattenseiten wog das aber nicht wirklich auf. Gaten liebte es, draußen zu sein, und seine Hoffnung war es gewesen, mehr Freiheiten zu bekommen, wenn er Kommandant wurde. Er hatte gedacht, alle seine Interessen in dieser Position vereinen zu können. Er hatte die Rechnung ohne die Bergläufer gemacht.

Genau die griffen nun schon seit geraumer Zeit die Dörfer und Städte im Land an, was Gaten dazu zwang, oft und viel in seiner Kammer zu hocken und über Plänen zu brüten, wie er den Angreifern entgegentreten konnte. Pläne gegen ein Volk, das im einzigen großen Gebirge im Osten des Landes lebte und sehr lange Zeit nichts von sich hatte hören lassen. Genau 343 Jahre lang. Vor dieser Zeit hatten sie das letzte Mal Krieg geführt und waren damals noch keine wilden Bergläufer, sondern ein mächtiges Volk im Süden der Freien Länder gewesen. Das heutige Volk der Freien Länder erzählte sich, dass diese Menschen Bergläufer wurden, weil sie den Krieg gegen die Drachen verloren hatten. Sie hatten vor den riesigen Flugechsen fliehen müssen und sich deshalb in den Osten und damit in das höchste und kälteste Gebirge des Kontinents zurückgezogen. Drachen hassten die Kälte, deswegen folgten sie den Läufern nicht. Doch seitdem hatten jene ihren Namen. Sie waren eben in die Berge davongelaufen.

Heute hatten sie sich aber offensichtlich erholt und wollten, wie es schien, ihr Land zurück. Doch nicht einfach nur den Süden oder die bergnahen Gebiete im Osten. Ganz oder gar nicht war ihre Devise. Die ersten Angriffe hatten vor knapp einem Jahr stattgefunden und seitdem waren viele Gemeinden in die Hände der Bergläufer gefallen. Gaten und die Generäle der Freien Länder hatten oft keine Chance gegen die Übermacht der Feinde. Anfangs waren es nur kleine Dörfer gewesen, doch die Läufer hatten immer wieder Erfolg und konzentrierten sich nun auf die Städte. Sie plünderten, raubten und nahmen sich, was immer sie wollten. Zwar verschonten sie die Menschen und ließen sie fliehen oder manchmal auch in ihren Häusern bleiben, doch sie machten klar, wem Land, Hab und Gut gehören sollte. Gaten und die Generäle hatten schon viele gute Männer in großen und kleinen Schlachten gegen die Läufer verloren und langsam aber sicher wurden es zu viele. Es lag keineswegs an seinen Männern oder der Befehlsgewalt der Freien Länder. Es war einzig die Übermacht der Läufer.

Er seufzte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es war klar, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis Thale, die Hauptstadt, zum Ziel wurde. Die Planungen zur Verteidigung liefen schon lange und wurden schnell umgesetzt. Nur ein Punkt brachte immer wieder alle am Ratstisch zum Schweigen. Unterstützung. Natürlich halfen alle Bannermänner des Landes, die königliche Armee zu erweitern, doch sie blieben zumeist in ihren Regionen, um die dortigen Städte zu schützen. Gaten sandte seine Männer zu ihnen und bekam immer häufiger Nachrichten über den Rückzug der königlichen Soldaten, weil die Bergläufer einfach zu übermächtig waren.

Er schüttelte den Kopf. Die Soldaten der Freien Länder waren viele, doch die Läufer waren mehr und Tiere im Kampf. Gaten hatte die Ausbildung neuer Rekruten in Thale sofort verbessert, als er Kommandant geworden war. Er hatte neue Ausbilder ernannt und größere Kasernen bauen lassen. Er hatte mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, die Armee in der Hauptstadt ausgebaut. Es war trotzdem nicht genug, denn die Generäle außerhalb hatten kaum noch Zeit und Möglichkeiten, neu auszubilden, und Gaten stemmte damit die Hauptlast an Nachschubkämpfern allein.

„Kommandant“, meldete der Soldat sich zurück. Gaten machte den Platz frei und der Mann stellte sich auf seine Position. Gaten wandte sich ab und machte sich auf den Weg zu seinen Gemächern. Eine Sitzung des Militärrates stand an und er wollte sich vorher noch mal frisch machen.

Wenig später ließ er sich auf seinen Stuhl am Ratstisch sinken und zog die Papiere zu sich, die die Männer am Vorabend schon durchgegangen waren. Anders als man erwarten würde, waren es keine Aufstellungen von Soldaten oder sonstiger Militärkram. Tatsächlich waren es Schriften von Gelehrten über die Drachenreiter, die einst im Süden gelebt haben sollen. Genau jene, die die Bergläufer, laut der Überlieferungen, schon einmal vertrieben hatten.

„Gate.“ Leary setzte sich neben seinen Freund.

„Lord Older“, grüßte er abwesend zurück. Er war in eine Auflistung vertieft. Dort standen geschätzte Zahlen, wie viele Drachen es damals gegeben haben soll.

„Du glaubst immer noch, die gibt’s?“ Sein erster Offizier und ältester Freund war weniger überzeugt, als Gaten, wobei er selbst zweifelte.

„Warum nicht? Die Gelehrten hätten nicht darüber geschrieben, wenn es nicht so wäre“, antwortete er, ohne den Blick von dem Papier zu heben.

„Es war ein Gelehrter und er wurde in den folgenden Jahren für verrückt erklärt.“

„Wie auch immer.“ Gaten schaute auf und sah seinen Freund resigniert an. „Wir haben derzeit kaum mehr Möglichkeiten, als das hier.“ Ein Deut auf das Papier folgte.

„Also willst du wirklich einen Boten schicken?“, hakte Leary ungläubig nach. „Es könnte vergebens sein.“

„Könnte. Muss es aber nicht.“

Der Rest des Rates traf ein und die Gespräche vom Vorabend wurden wieder aufgenommen. Sivan, der Rüstungsmeister des Königs, höhnte die ganze Zeit, was für ein Idiot Gaten doch war, weil er an solche Märchen glaubte. Drachen gab es nicht. Und wenn sie doch mal existiert hatten, wären sie heute sicher ausgestorben. Andernfalls hätte man ja einen sehen müssen. Doch nicht mal die Menschen an der Südküste berichteten von ihnen. Gaten drückte trotzdem durch, dass eine Gruppe von Delegierten losgeschickt wurde. Sie sollten an die Küste reisen und dort in Erfahrung bringen, wo die Drachen sein konnten. Und wenn es auch nur vage Hinweise gab, sollten sie ihnen nachgehen. Es war ein Schuss ins Blaue, doch Gaten hoffte trotzdem auf irgendeine Art Erfolg.

1

Dragoth-Gard eth Skareth-Lena

Die Tage wurden zu Wochen und die Berichte aus dem Süden immer sporadischer. Bis es ganze Monate dauerte, dass neue Informationen kamen. Der Rat tagte seltener und Gaten konzentrierte sich darauf, Soldaten zu werben und auszubilden. Es kamen wenige Neue und von denen, die sich meldeten, waren die meisten kaum imstande, Kämpfer zu werden. Sie waren zu jung, zu alt oder hatten Gebrechen, die sie zu sehr einschränkten. Gaten gab ihnen trotzdem Aufgaben und ließ sie an der Waffe ausbilden, die ihnen am ehesten lag.

Ein Bote rief nach ihm und unterbrach den Übungskampf mit Leary. „Kommandant Nahor! Ich habe einen Brief für Euch.“ Der Junge übergab das Schriftstück, verneigte sich und lief gleich wieder davon. Gaten öffnete das Papier und lass stumm die beiden Sätze, die darauf standen.

In einer Woche werden fünf Reiter von den Sturmlanden erwartet. Die Garde der Drachen lässt ihre Grüße ausrichten.

Er starrte das Pergament an, als stünde ein Rätsel auf dem Blatt. Nur langsam begriff er den Sinn.

Leary zog ihm die Nachricht aus der Hand. „Ist jemand gestorben?“ Er las ebenfalls die beiden Zeilen und keuchte. „Heilige Scheiße! Ist das ein Scherz?“ Sein Blick schoss zu Gaten, der ihn lediglich verblüfft erwidern konnte.

„Ich hab keine Ahnung“, schaffte er schließlich, zu sagen. War das ein Scherz? War die Nachricht echt?

Das Siegel war sein eigenes. Er hatte es den Delegierten mitgegeben, damit sie in seinem Namen verhandeln konnten. Aber konnten sie wirklich erfolgreich gewesen sein?

„Heilige Scheiße“, kam es erneut und noch immer ungläubig von Leary. „Gate, wir müssen zum König! Du musst ihm das sagen! Wenn diese Garde wirklich kommt, müssen wir dafür sorgen, dass sie uns freundlich gesonnen sind und es auch bleiben!“

Gaten nickte und fasste sich. „Ich gehe sofort. Übernimmst du den Rat?“

Leary nickte, gab den Brief zurück und eilte davon. Er selbst zögerte, weil er nicht wusste, wie er Reyes sagen sollte, dass sein Unterfangen anscheinend doch erfolgreich gewesen war. Schließlich setzte auch er sich in Bewegung und legte sich Worte zurecht, die der König hoffentlich ernst nahm.

Zwei Wochen darauf standen tatsächliche alle Räte und auch König Reyes höchstpersönlich, mit der gesamten Königsgarde, ein Stück weit vor der Stadt. Sie hatten eine Prozession gebildet, um die Garde zu empfangen. Niemand wusste, wie man sie überhaupt empfangen konnte, also hatte man sich auf eine Begrüßung geeinigt, als reiste ein hoher Würdenträger des Landes an. Alle Blicke waren in den Himmel gerichtet und eine angespannte Stille herrschte. Die Pferde wurden in der Hitze der Sonne unruhig und auch die Männer begannen, in ihren Rüstungen zu schwitzen. Der lange Sommer hielt an und brannte gnadenlos auf der Haut.

Leary schlug Gaten auf den Oberarm und deutete nach vorn. In der Ferne kamen Reiter auf die Stadt zu. Es war eine kleine Gruppe, doch sie ritten schnell, wirbelten dabei eine Menge Staub auf, und schon wenige Minuten später erkannte Gaten, dass es fünf waren.

Verwirrt spähte er in den Himmel und dann wieder auf die Reiter. „Sind sie das? Wo sind die Drachen?“

„Ich hatte gedacht, sie reiten die Flugechsen. Meinst du, das ist die Garde?“ Leary nickte zu den fünf Reitern.

„Ich weiß nicht. Ich hatte auch gedacht, sie kommen geflogen.“

„Nahor!“, rief Reyes ihn.

Gaten wandte sich zum König. „Eure Majestät?“

Der Ausdruck Reyes’ war nachdenklich. „Wollt Ihr sagen, das seien die sagenumwobenen Drachenreiter?“ Er ruckte mit dem Kopf zu der Gruppe, die nun fast bei ihnen war.

„Ich kann es nicht mit Gewissheit sagen, aber ich denke, das sind sie.“

Ace grunzte unwirsch: „Wo sind die Drachen?“ Er war als Schatzmeister die rechte Hand des Königs und er war kein Freund von Gatens Idee.

„Vielleicht kommen sie noch“, antwortete Gaten und zuckte mit den Schultern. „Wir sollten abwarten.“

Die Reiter wurden merklich langsamer und ließen ihre Tiere austraben, bis sie in gebührendem Abstand vor der Prozession zum Stehen kamen. Gaten erkannte drei Frauen und zwei Männer. Sie waren alle von schlanker, sichtlich hochgewachsener Statur, trugen Rüstungen aus hellem Metall, das leicht aussah. Bänder aus schwarzem oder buntem Stoff hielten die Teile zusammen. Offensichtlich waren die Farben rangabhängig.

Die Frau an der Spitze war die einzige die schwarze Bänder trug. Die beiden anderen hatten blaue, die beiden Männer rote. An Waffen zählte Gaten drei Bogen, die von den Frauen getragen wurden, zwei Schwerter bei den Männern und an ledernen Beinscheiden nannten ausnahmslos alle Neuankömmlinge Dolche ihr Eigen. Die fünf wirkten trotz der Bewaffnung und der Rüstungen ungeheuer elegant und Gaten überlegte, ob sie sich auch hergerichtet hatten oder ob die leichte Panzerung auf Drachenreiter hinwies. Immerhin mussten die Tiere die Reiter tragen und die wiederum mussten auf deren Rücken kämpfen. Mit schweren Metallteilen und unhandlich vielen Waffen ginge das sicher nicht.

Die Frau an der Spitze der Gruppe trieb ihr Tier noch mal an und blieb eine Pferdelänge vor der Gardewache, die den König abschirmte, wieder stehen. Sie wirkte stolz und ein klein wenig arrogant. Ihre Haltung zeigte eindeutige Autorität. Sie hatte langes, dunkles Haar, das zu einem lockeren, hohen Zopf gebunden war. Auf dem Kopf, kurz unterhalb des Haaransatzes, lugte ein schmales silbernes Band hervor. Ein kleiner tropfenförmiger grüner Stein, der im Sonnenlicht in verschiedenen Nuancen funkelte, lag mittig auf der Stirn. Er passte perfekt zur Augenfarbe der Frau, die ein so sattes Grün aufwies, dass es beinahe unnatürlich wirkte.

Ihr Blick flog über die Anwesenden und blieb zum Schluss bei dem Mann vor ihr. „Mein Name ist Dannika á eta Skareth-Lena. Ich bin unh Garda eth Dragoth-Gard, erste Gardistin der Drachengarde“, stellte sie sich mit einem Akzent in der Stimme vor, den Gaten nicht kannte und den er den Sturmlanden zuschrieb. Ihr Tonfall war obgleich der Autorität ihrer Körpersprache weich und recht leise, wobei jedes Wort trotzdem ankam. Sie sprach, als kannte sie die Sprache der Freien Länder, nutzte sie aber nicht oft. Gleichwohl kamen ihre Worte ohne Zögern und selbstsicher. „Ich komme auf Einladung Gaten Nahors, seines Zeichens Kommandant der Königsgarde der Freien Länder. Meine Begleiter sind Lynéra, Féstá eth Dragoth-Gard, erste Offizierin, Mélina Garda, Gardistin der Drachengarde und zwei unserer Vaccom eth Garda, der Gardewachen, Harper und Avery.“ Sie verstummte und ließ den Blick auf der Wache vor sich. Der Mann wandte sich nicht um, doch Reyes trieb sein Pferd an und Gaten folgte ihm.

Die beiden erreichten die Gardistin und Gaten neigte den Kopf. „Lady Dannika. Mein König ist seine Majestät Reyes, dritter seines Namens und Herrscher der Freien Länder. Meine Einladung für Euch wurde in seinem Namen ausgesprochen. Ich bin Gaten Nahor, Kommandant der Königsgarde. Wir sind hocherfreut, dass Ihr unserer Bitte nachgekommen seid, und heißen Euch herzlich in Thale willkommen.“

Die Frau verzog keine Miene, nickte aber dankend und wandte sich an den König: „Ich möchte nicht anmaßend sein, doch unsere Reise war lang.“

Auch Reyes nickte. „Sicher. Wir haben Gemächer vorbereiten lassen. Nur, Lady Dannika, wenn Ihr die Frage erlaubt, wir dachten, Ihr würdet, nun ja ...“

„... geflogen kommen?“, beendete sie seine Frage.

„Genau. Seid Ihr den ganzen Weg geritten? Ich meine, aus dem Süden?“ Er fragte es, augenscheinlich unwissend, wo genau die Reiter herkamen. Dass sie angeblich von den Sturmlanden stammten, wusste er von Gaten, doch geglaubt hatte er es ihm nicht. Die Sturmlande waren ein Haufen wilder Inseln weit vor der Südküste der Freien Länder und sie galten als unbewohnbar.

Die Mundwinkel der Gardistin zucken amüsiert und Gaten sah ihre Augen belustigt aufblitzen, was sie gleich sehr viel sympathischer wirken ließ. „Wir wären wohl kaum binnen zwei Wochen hier angekommen, wären wir allein auf Pferden gereist, Majestät. Wir sind natürlich geflogen, doch unsere Gefährten lagern außerhalb. Es ist zu ihrem und zu Eurem Schutz.“

Gaten sah, wie Reyes’ Augen groß wurden und fragte deshalb: „Lady Dannika, sind die Drachen denn sicher, wenn sie so weit weg sind?“ Auch wenn Reyes vermutlich nicht wegen der Drachen besorgt war.

Jetzt traf ihr Blick erneut auf seinen. „Das sind sie. Wir wählten einen abgelegenen Hain ohne Bevölkerung in unmittelbarer Umgebung. Ich danke für Eure Sorge, Lord Gaten.“ Sie betonte die Anrede ein klein wenig und schmunzelte weiterhin amüsiert.

„Wenn dem so ist. Dann wollen wir Euch nicht länger der Hitze aussetzen. Lasst uns zur Burg reiten, damit Ihr Euch abkühlen und ausruhen könnt.“

Dannika lächelte und neigte den Kopf. Ihre Mitreisenden ritten heran und als Gaten sein Pferd wendete, hörte er noch eine der beiden Frauen in ihrer eigenen Sprache fragen: „Ed èh jedda ureàl mynh, edh hìl Hedda regin?“

Sie erreichten die Burg und wurden sofort von Dienern umschwärmt, die sich um die Pferde und das Gepäck der Gäste kümmern sollten. Leary stieß Gaten erneut an und deutete auf die Sturmländler. Alle fünf wirkten unentschlossen und gaben ihre Habseligkeiten merklich verwirrt in die Hände der Diener. Sie schauten ihren Pferden argwöhnisch nach, als diese weggeführt wurden.

Gaten ging zu ihnen und klärte auf: „Keine Sorge. Eure Sachen werden nur für Euch auf die Gemächer gebracht. Und auch die Pferde werden gut versorgt. Wenn Ihr wünscht, zeige ich Euch die Stallungen, damit Ihr Euch vergewissern könnt.“

Dannika hatte die Stirn gerunzelt und nickte knapp. „Wir bitten um Verzeihung, falls wir den Eindruck von Misstrauen erweckt haben. Wo wir herkommen, gibt es so etwas nicht.“ Sie hob die Hand und deutete in die Richtung, in die die Knappen mit den Pferden verschwunden waren.

Jetzt war es an Gaten, die Stirn kraus zu ziehen. „Ihr habt keine Knappen?“

„Sind das Leute, die Pferde stehlen?“, fragte einer der Männer, Avery. Sein Akzent war stärker. Er sah grimmig aus, mit den mürrisch zusammengezogenen Augenbrauen. Seine schwarze wirkende Iris ließ ihn dazu noch furchterregender aussehen, als seine Ausstrahlung allein es tat. Man sah ihm an, dass er sicherlich alles und jeden niedermetzeln würde, bekäme er den Befehl dazu.

Gaten lächelte freundlich und versuchte, ihn zu beruhigen. „Nein. Sie kümmern sich um sie, damit wir das nicht machen müssen.“

„Aber es sind unsere Tiere“, warf der ebenfalls dunkelhaarige Harper ein. Dieser Mann schien weniger verschlossen, und auch seine nebelgrauen Augen ließen ihn deutlich zugänglicher wirken, doch auch er strahlte die eindeutige Mahnung zur Vorsicht aus. Beide Wachen wirkten überaus fähig und unwillkürlich dachte Gaten, dass sie allein schon eine ungeheure Bereicherung für seine Truppen wären.

„Wenn es Euch unangenehm ist, dürft Ihr Euch natürlich selbst um das Wohl der Pferde bemühen“, lenkte Gaten diplomatisch ein. „Wir wollten Euch nur die Last abnehmen.“

„Das nächste Mal, fragt Ihr besser vorher“, kam es von der Frau, die vorhin in ihrer Muttersprache gesprochen hatte. Sie warf ihre blonden, fast silbern wirkenden Haare über die Schulter und ihm einen ebenso missbilligenden Blick zu, wie Avery ihn aufgesetzt hatte. Nur wirkte es bei ihr nicht sehr beängstigend, denn das helle Blau ihrer Iris machte einiges davon zunichte.

„Melli. Es ist in Ordnung. Wir werden uns den Sitten der Leute hier anpassen“, wies Dannika sie zurecht. Ihr Blick für Gaten hatte trotzdem etwas Warnendes. „Ich wünsche jedoch eine angemessene Behandlung der Tiere.“

„Natürlich“, bestätigte Gaten sofort und neigte leicht den Kopf. „Nichts anderes stand uns im Sinn.“ Ein Diener kam heran und verbeugte sich. Gaten erklärte: „Wenn Ihr bereit seid, führt er Euch in Eure Gemächer. Dort könnt Ihr etwas ausruhen, bis das Abendessen angerichtet ist.“

„Wir wünschen“, kam es diesmal von der dritten Frau, Lynéra. Auch sie hatte dunkles Haar, dafür aber so graue Augen wie Harper. Ihre Züge waren genauso fein, wie die der anderen, doch im Gegensatz zum Rest ihrer Leute, schien sie nicht im Ansatz grimmig zu sein. Gaten bemerkte außerdem, dass sie viel jünger wirkte als der Rest ihrer Gruppe. Er musste schmunzeln, als sie anmerkte: „Ich muss ganz dringend wohin.“

Dannikas Mund verzog sich zu einem verschmitzten Lächeln, was ihr gleich viel mehr Wärme gab. „Bitte, Lord Gaten. Zeigt uns den Weg.“ Sie nickte und Gaten spiegelte die Geste. Er hatte registriert, dass sie ihn aufgefordert hatte und nicht den Diener, also blieb er bei den Sturmländlern.

Sie erreichten den Gästeflügel und Gaten hielt auf dem Flur an. „Es stehen fünf Gemächer für Euch bereit. Alle verfügen über ein eigenes Badezimmer. König Reyes hat außerdem jedem eine Dienerschaft zur Verfügung gestellt. Wir wussten nicht, wer genau kommt, sollten die Ladys aber weibliche Bedienstete bevorzugen, werde ich das umgehend in die Wege leiten.“

Lynéra kicherte, doch Dannika meinte: „Wir benötigen keine Diener.“

„Wie Ihr wünscht. Ich werde einen Boten schicken, wenn das Essen bereitsteht. Bitte fühlt Euch bis dahin wie zu Hause.“

Avery verzog das Gesicht. „Das wollt Ihr nicht wirklich.“

Gaten runzelte die Stirn und schaute die erste Gardistin fragend an.

„Ich denke, wir werden einigen Gesprächsstoff haben“, meinte sie.

„Ich glaube auch“, gab er ihr verwirrt zurück. „Nun, dann lasse ich Euch für den Moment allein.“ Er verneigte sich und verließ die Gruppe.

Als er um die Ecke herum und damit außer Sichtweite war, stieß er die Luft pustend aus. Die fünf waren ein seltsames Häufchen. Allein schon ihr Aussehen unterschied sich von den Bewohnern der Freien Länder extrem. Im Königreich waren die Menschen zumeist stämmig und nicht immer die größten, was ihre Körperlänge betraf. Viele Bauern und überhaupt alle, die häufig draußen arbeiten mussten, hatten dunkel gebräunte Haut, weil die Sommermonate, die grundsätzlich den Großteil des Jahres einnahmen, ihre Spuren hinterließen. Es gab kaum Winterwetter in den Freien Ländern und wenn, dann war es überaus mild. Auch war der Großteil der Bevölkerung sandblond. Wer dunkles Haar hatte, galt als exotisch.

Die fünf Drachenreiter fielen unter genau diese Kategorie. Sie alle hatten dunkles Haar, bis auf Mélina, doch auch ihr silbernes war außergewöhnlich. Die Haut der Sturmländler hatte, wenn Gaten es beschreiben wollte, die Sonne nur im Hauch aufgenommen. Sie alle waren hochgewachsen und schlank, auch wenn man den Männern die Muskelmasse deutlich ansah. Sie hatten ausnahmslos alle stechende Augenfarben oder wie Avery schwarze. Hier in den Freien Ländern war ein helleres unspektakuläres Braun die dominierende Farbe.

Bisher hatten die Leute in Thale Gaten als ungewöhnlich eingestuft. Mit seinem normalweise dunkelbraunen Haar, das nur durch die viele Sonne so hell geworden war, den grünen Augen und der großen Gestalt. Er fiel auf und oft störte es ihn, weil immer alle dachten, er käme nicht von hier. Sahen sie jetzt aber die Drachenreiter ...

„Ey“, grätschte Leary in seine Gedanken. Er war irgendwo aus einem Zimmer gekommen und lief nun neben ihm. „Und? Wie sind die so?“

„Merkwürdig. Ich glaube, wir müssen aufpassen, was wir in ihrer Gegenwart tun. Sie haben einige andere Sitten.“

„Wie das mit den Pferden vorhin? Hab ich das richtig mitbekommen? Dachten die, wir würden ihnen die Tiere klauen?“

Gaten nickte. „Sie haben keine Diener. Sie kennen es nicht, dass jemand für sie Sachen erledigt.“

„Mhh, na ja. Ist nicht ungewöhnlich. Wir haben auch nur welche, weil wir in der Burg leben.“

„Mag sein. Aber ich gehe davon aus, dass diese Dannika von hohem Rang ist. Sie hat sich als erste Gardistin vorgestellt. Ich denke, das ist so was wie ein Kommandant. Und sie wurde ausgesucht, als Botschafterin zu kommen. Also wird ihre Regierung viel von ihr halten. Wenn sie so einen Wert hat, sollte sie doch auch Diener haben.“

„Du hast eine Delegation einfacher Botschafter geschickt. Sie könnten auch nur so was sein“, merkte Leary an.

„Stimmt. Aber ich habe durch meine ausrichten lassen, dass ich selbst keine Möglichkeit hatte, zu ihnen zu kommen. Dannika hat nichts dergleichen verlauten lassen.“

Daraufhin schwieg sein Freund.

Gaten brach die Stille. „Ob wir ihre Drachen sehen werden?“ Nachdem sie auf Pferden angekommen waren, waren seine Zweifel gewachsen.

„Glaubst du echt, die haben welche?“

„Warum sollten sie keine haben?“

Leary hob die Schultern und sagte, was auch Gaten dachte. „Ich an ihrer Stelle wäre mit ihnen herkommen. Ich hätte gleich gezeigt, was ich hab. Eindruck schinden und so. Ganz ehrlich, ich glaube, Reyes hält dich gerade für total bescheuert. Das sind fünf Fremde, die behaupten, Drachenreiter zu sein. Mehr nicht. Vielleicht sind sie es gar nicht. Vielleicht tun sie nur so, um keine Ahnung was zu erreichen.“

Diesmal hob Gaten die Schultern. „Für den Moment können wir nichts anderes tun, als ihnen Glauben zu schenken. Wenn sie wirklich Lügner sind, werden wir das schnell rausfinden.“

„Ich hoffe, du hast Recht.“

2

Dannika - Neue Lande

„Es behagt mir ganz und gar nicht, dass wir die Drachen zurückgelassen haben.“ Avery grummelte vor sich hin. „Ich meine, ihr seid Gardistinnen! Ich will gar nicht wissen, welchen miesen Eindruck wir gemacht haben.“ Er sprach in Skareth-Mhond, ihrer Muttersprache, was allen sehr viel angenehmer war. Sie wollten nur in Anwesenheit anderer die Sprache der Feroth benutzen, damit kein Groll entstand.

Außerdem hatten sie Fehr, Koleen und Ruw mit Absicht ein paar Meilen entfernt lagern lassen. Dannika hatte so entschieden, weil sie nicht sicher war, wie die Leute in der Stadt auf die großen Tiere reagiert hätten. Ihre Gefährten hatten einen ruhigen Hain als Lager gewählt und würden binnen weniger Minuten an ihrer Seite sein, sollte es notwendig werden.

„Dessen bin ich mir bewusst, Avery“, erklärte Dannika. „Ich bin mir aber auch bewusst, dass die Menschen in diesem Land schon seit ewigen Zeiten keine Drachen mehr gesehen haben. Sie könnten in Panik verfallen und das würde weder uns noch ihnen nutzen.“

„Wir haben sowieso keinen Gewinn hiervon“, warf Mélina ein. „Sie wollen unsere Unterstützung. Was bekommen wir denn dafür?“

Dannika seufzte. Natürlich hätte sie jetzt argumentieren können, dass die Feroth-Lena, die Freien Länder, ihnen ebenso Hilfe zuteilwerden lassen konnten. Immerhin hatten auch die Skareth-Lena, die Sturmlande, mit Auseinandersetzungen zu kämpfen. Eine neue Allianz zu Gunsten der Inseln wäre wohl der größte Gewinn. Im Moment wusste Dannika aber selbst nicht, ob ein Bündnis mit König Reyes überhaupt zur Debatte stand. Zaya, ihre eigene Regentin, hatte gemeint, sie sollten erst mal guten Willen zeigen und sehen, was passierte. Wobei das hier mehr als guter Wille war. Es war eine Herausforderung, denn die Mehrzahl der Skareth hatte protestiert, als Dannika und ihre Leute aufgebrochen waren, um dem Gesuch Kommandant Nahors nachzukommen.

Niemand hatte vergessen, wie die freien Lande von damals - die heute nur noch ein Land waren - allesamt ihre Unterstützung verweigert hatten, als die Skareth-Lena das Ziel eines barbarischen Volkes geworden waren. Sie waren ja nur eine Ansammlung von Inseln, hatte es damals geheißen. Viele davon waren laut den Aussagen der Leute hier nicht mal bewohnbar, das Wetter eine Katastrophe und überhaupt waren die Sturmlande es nicht wert, auch nur einen Krieger zu entsenden. In den Augen der Skareth war der Inselkontinent das alles nicht.

Die Eilande waren ihre Heimat, alles, was sie hatten. Sie sahen sehr viel mehr in den unzähligen Inseln. Doch das Wichtigste waren die Drachen. Die majestätischen Flugechsen wären der Übermacht damals hilflos ausgeliefert gewesen, hätten die Menschen sie nicht unterstützt. Nach diesem schrecklichen Krieg, der viel zu viele Opfer gefordert hatte, hatten die Skareth-Lena jeglichen Kontakt zum Festland abgebrochen. Sie brauchten sie nicht, denn die Inseln konnten autark überleben. Seither hatte nie auch nur einer von ihnen das Festland betreten. Sie waren nicht mal mehr nördlich durch die Sturmfront geflogen, die, neben der Sturmsee, die Inseln vom Nordkontinent trennte. Aus zwei verbündeten Kontinenten waren Nachbarn geworden, die einander vergessen oder ignoriert hatten.

Bis Kommandant Gaten Nahors Bitte sie erreicht hatte und die harten Auseinandersetzungen im Rat um Zaya begonnen hatten. Dannika war gegen die Mission gewesen, doch Fehr, ihr Drache und Gefährte, seit sie beide Sprösslinge gewesen waren, hatte gemeint, es wäre schon allein den Flug wert. Und wenn sie nicht verhandeln wollte, würde sie wenigstens in die Welt hinaus kommen. Das hatte Dannika schließlich umgestimmt, denn sie war wirklich schon immer neugierig auf das Festland gewesen. Wie waren die Menschen hier? Wie war das Wetter? Wie war das Land und überhaupt alles, was damit zusammenhing?

Jetzt war sie hier und hatte schon beim Überflug feststellen müssen, dass es ihre Erwartungen nicht mal kratzte. Das Land war zum größten Teil flach und unbewohnt. Ab und zu gab es Städte oder Dörfer, die nicht wirklich schön gebaut waren. Es gab ein paar wenige ansehnliche Wälder und Auen und links und rechts der Flussläufe war das Land grün, aber eben nur das; grün.

Natürlich hatten sie alles nur aus weiter Höhe gesehen, denn die Reiter waren stets über den Wolken oder in großem Abstand zum Boden geflogen, damit man sie nicht erkannte. Aber auch auf dem kurzen Ritt zum Treffpunkt war es nicht unbedingt besser geworden. Die Feroth-Lena waren karg und eintönig im Gegensatz zu den Inseln der Skareth-Lena.

Dort gab es sehr viel mehr Wald. Viele Berge und Täler. Um einiges mehr Vegetation und vor allem mehr Farben, nicht nur grüne Bäume und Farne am Boden. Selbst im Geäst wuchsen Pflanzen, die herrlich blühten. Die Fische in den Flüssen schillerten in allen Farben. Die Vögel waren bunt und groß und ihre Gesänge erfüllten an schönen Tagen die Wälder und Weiten. Alles in allem waren die beiden Länder wie schwarz und weiß. Wobei die Skareth-Lena definitiv die weiße Seite war. Viel heller, freundlicher, bunter, lebendiger, einfach erfüllter von allem.

Dannika hatte schon früh Heimweh bekommen, doch Fehr hatte ihr zugesprochen und tröstete sie auch jetzt. „Ich kann jederzeit zu dir kommen“, klang seine tiefe, ruhige Stimme in ihrem Geist.

„Ich weiß. Ich hoffe, wir können das hier schnell erledigen“, antwortete sie und nahm seine tröstende Aura an.

„Sei offen, Ika. Dieser Gaten scheint ein angenehmer Zeitgenosse zu sein. Halte dich an ihn.“

„Denkst du nicht, er tut nur so? Immerhin will er was.“

„Möglich. Aber ihr braucht einen Kontaktmann. Er hat die Bitte gestellt. Er scheint offen für ein Bündnis zu sein.“

„Was nützt uns denn ein Bündnis? Wie Melli sagt, sie wollen was, aber was sollten wir fordern? Sie würden uns sicher nicht unterstützen.“

„Für den Moment, fordere nichts“, antwortete Fehr schlicht. Seine Stimme war wie immer besonnen. „Hört euch an, was sie wollen, dann werden wir sehen, was wir tun. Vergiss nicht, wir sind niemandem verpflichtet. Wenn uns nicht gefällt, was sie sagen, gehen wir.“

Dannika schmunzelte. „Genau. Wir sagen einfach; Tschüss, winken und fliegen ab.“

Auch Fehr war erheitert. „Genau so.“ Sein Lachen drang als Welle der Belustigung durch ihre Verbindung. „Und nun entspanne dich. Ruf die anderen zur Ordnung und wartet ab.“

„Ja. Du hast recht. Ich danke dir.“

„Immer gern, Ika“, sagte Fehr und schickte noch eine Welle von Zuneigung zu ihr.

„Ich hab dich auch lieb, Fe.“ Dannika schob die Verbindung in den Hintergrund und wandte sich an ihre Begleiter. „Wir werden abwarten und sehen, was sie wollen. Nichts steht festgeschrieben. Wenn sie etwas fordern, können wir es ohne schlechtes Gewissen ablehnen, sollte es uns nicht zusagen. Aber Zaya hat uns gebeten, sie anzuhören, und wir werden wenigstens das tun.“

Die Gruppe nickte zustimmend, auch wenn keiner von ihnen angetan war, hier zu sein. Sie alle waren ausgelost worden, bis auf Dannika. Sie hatte als unh Garda eth Dragoth Gard gehen müssen. Immerhin stand in erster Linie die Drachengarde auf dem möglichen Bündnis-Papier. Jetzt war sie hier und würde auch die Gespräche über sich ergehen lassen.

Wenigstens sehe ich so was von der Welt, dachte sie und seufzte. Aus dem Hintergrund ihres Geistes kam ein leises Kichern.

Eine Stunde später klopfte es leise an ihrer Tür. Sie rief den Klopfer herein und ein Junge, nicht älter als dreizehn, schob den Kopf durch den Türspalt.

„Komm ruhig rein.“ Sie setzte sich in dem Sessel auf, legte ihr Tagebuch und den Stift in den Schoß und lächelte freundlich, denn der Bursche schien verunsichert zu sein. „Was möchtest du denn?“

Er betrat den Raum, blieb aber an der Tür stehen. „Ich ... soll sagen, dass ... also das Essen wird serviert. Und ... Ihr dürft Euch dazugesellen ... also, insofern es Euch beliebt“, stotterte er und hielt den Blick am Boden.

„Es beliebt mir“, antwortete Dannika freundlich. „Vielen Dank, dass du mir Bescheid gesagt hast.“

Der Junge verneigte sich und fügte an: „Ich warte draußen, Lady Dannika.“ Dann wandte er sich um und flüchtete aus dem Zimmer.

Dannika verdrehte die Augen. Lady, dachte sie.

„Mir gefällt diese Anrede“, meinte Fehr. „Sie klingt sehr würdevoll.“

„Ach ja? Es klingt merkwürdig. Außerdem bin ich Gardistin, Generalin der Drachengarde. Nicht einfach nur eine gehobene Frau.“

„Wenn du Generalin als Anrede wünschst, solltest du ihnen das sagen. Aber tu es in einem angemessenen Ton. Sie könnten es falsch aufnehmen, wenn du es ihnen einfach an den Kopf wirfst. Sie wirken auf mich irgendwie grob. Ihre ganze Aussprache klingt merkwürdig“, hielt Fehr fest. „Sie betonen die Buchstaben so sehr und sie sprechen so laut.“

Dannika lachte auf. „Stimmt. Erst dachte ich, sie glauben, wir sind taub oder hören schwer, aber sie reden alle so. Und irgendwie klingen die Worte härter und rauer. Ich kann mir vorstellen, dass es auf die Dauer in den Ohren wehtut.“

In den Skareth-Lena sprach man nie laut, außer man stritt sich. Und auch wenn beide Länder früher die gleiche Sprache gehabt hatten, unterschied sie sich heute doch enorm. Abgesehen von den vielen verschiedenen Bezeichnungen war Dannika leise, weiche Töne gewohnt. In ihrem Volk hatten alle eine gewisse Ruhe in der Stimmlage.

„So ein ausgeprägter Gegensatz“, dachte sie. „Und das in nur 350 Jahren.“

„Es wird noch mehr geben. Wir lebten sehr lange nebeneinander her. Die Völker haben sich unterschiedlich entwickelt“, gab Fehr zu bedenken.

„Stimmt.“

„Spüre ich da etwa Interesse an dem Volk hier?“ Ihr Gefährte war amüsiert und Dannika konnte es nicht abstreiten.

„Je mehr ich über sie nachdenke, desto mehr Fragen kommen mir in den Sinn.“

„Du hast die Gelegenheit, sie alle beantwortet zu bekommen, Ika.“

Sie grinste, erhob sich und machte sich auf den Weg zum Abendessen.

„Lady Dannika. Schön, dass Ihr Euch zu uns gesellt.“ König Reyes hob einladend beide Hände, als sie und ihre Leute sich zu ihm und seiner Gefolgschaft an die Tafel setzten. Er stellte alle Anwesenden vor und winkte einigen Frauen, die sofort begannen, die Leute am Tisch zu bewirten. Dannika überging die erneute falsche Anrede fürs Erste. Sie würde erst herausfinden, wie sie es vermied, ihre Gastgeber zu kränken, sollte sie es ansprechen.

Also bedankte sie sich lediglich. „Sehr gern, Eure Majestät. Es ist uns eine Ehre, hier sein zu dürfen.“

Avery meinte leise, aber dennoch hörbar laut und in Skareth-Mhond: „Schleimbolzen. Du bist doch die Erste, die abfliegen würde, wenn sie könnte. Mir ist es jedenfalls keine Ehre.“

Sie wandte ihm den Blick zu, lächelte aufgesetzt und wechselte ebenfalls ihre Sprache. „Hold dia Shád ahn trikka dis. Eth es une Instáda“, sagte sie freundlich, aber bestimmt, was ihn anwies die Klappe zu halten und sich zu benehmen. Es behagte ihr nicht, in Skareth-Mhond zu sprechen, aber Reyes und seine Leute mussten nicht wissen, dass Avery gerade nicht sehr aufgeschlossen war.

„Lady Dannika, gibt es ein Problem?“ Der König runzelte die Stirn. „Wenn es etwas gibt, das Euch nicht behagt, sagt es uns bitte, damit wir es ausbessern können.“

„Nein, Eure Majestät. Es ist alles in Ordnung. Avery hat nur leichte Magenprobleme. Wenn es Euch nichts ausmacht, würde ich ihn gern vom Essen freistellen.“

„Natürlich. Bitte, wenn er einen Heiler wünscht ...“

„Vielen Dank, das wird nicht nötig sein. Es ist ein altes Leiden bei ihm, nach langen Reisen. Eine Nacht Schlaf wird helfen.“

Der König nickte annehmend. Avery verzog das Gesicht, schob seinen Stuhl zurück und verließ den Raum, ohne noch jemanden eines Blickes zu würdigen.

„Ich bitte um Verzeihung, Eure Majestät“, sagte Dannika und nahm sich vor, ihren Freund später zu rügen. „Er verhält sich normalerweise gebührlicher.“

Auch die Miene von Reyes war dunkel geworden. „Ich verstehe. Es war ein langer Weg, sicher ist er einfach nur müde.“

Dannika nickte.

„Nun denn. Lasst uns essen und uns ein wenig kennenlernen. Es ist ja doch schon einige Zeit vergangen, seit Euer Volk und meines sich trafen. Bitte, Lady Dannika, erzählt ein wenig von Euch. Wo genau aus dem Süden kommt Ihr her, wenn Euer Weg so weit war?“

Sie runzelte die Stirn. Wussten sie nicht, wo die Sturmlande lagen? „Wir kommen direkt von den Inseln der Skareth-Lena“, antwortete sie.

„Sieh an. Ist es wahr, dass dort immer Gewitter und Stürme aller Art herrschen?“

Erst tut er so, als wüsste er es nicht und dann ist es nur eine nebensächliche Information? „Nicht immer. Das Wetter ist zwar sehr wechselhaft, aber wir haben genauso viel Sonne wie Regen. Es kommt immer auf das Eiland an, auf dem man sich befindet.“

„Stimmt es,“, fragte ein anderer Mann zu Gatens rechter Hand, den König Reyes als ersten Offizier Leary Older vorgestellt hatte, „dass es weit über tausend Inseln sind? Auf welcher davon kann man leben?“

„Ist das eine ernst gemeinte Frage?“, kam es ungläubig von Mélina. „Auf allen kann man leben, wenn man will.“

Der Blick Learys ging zu ihr und er zog die Brauen hoch.

Gaten räusperte sich. „Ich denke, mein Freund ist nicht ganz so geschult in dem Wissen um Euer Land. Wie mir scheint, gibt es einige Fakten, die wir meinen zu kennen, die aber offensichtlich nicht stimmen. Bitte nehmt es uns nicht übel, wenn wir des Öfteren falschliegen. Ihr dürft uns gern korrigieren.“ Sein Blick ging entschuldigend von Mélina zu Dannika.

Sie nickte. „Uns geht es nicht anders. Wir lebten lange nur für uns. Nutzen wir die Gunst der Stunde, um Unwahrheiten zu klären.“

„Dann zuerst mal“, baute Harper sich ein, „sind es keine tausend Inseln, sondern nur etwas um die zwei- bis dreihundert. Das kommt immer darauf an, welche man als Insel mitzählt. Und leben kann man auf allen. Selbst auf den Kleinsten haben einige von uns ein Haus gebaut. Sie leben dann eben allein dort.“

„Und gibt es wirklich eine Sturmfront, die alle Schiffe verschluckt, die zu Euch wollen?“, fragte Leary weiter. Er klang aufgeregt, als würde er endlich das Wissen bekommen, das er schon immer gesucht hatte.

Harper nickte. „Es gibt eine Sturmfront. Aber die ist nicht schuld an den Schiffsunglücken. Eure Schiffe kommen nicht mal in ihre Nähe und sinken schon. Das liegt an den Strömungen im Meer. Es gibt nur ein paar wenige Tage im Monat, an denen man relativ gefahrlos zu uns übersetzen kann.“

„Was sind das denn für Strömungen, wenn sie ganze Handelsschiffe sinken lassen?“ Leary zog ungläubig die Brauen zusammen.

„Ihr seid kein Seemann“, meinte Harper trocken. „Ihr solltet mal Eure Schiffer an der Südküste danach fragen. Die wissen das.“

„Ich frage aber Euch“, entgegnete der Offizier und bekam für seinen abfälligen Tonfall einen bösen Blick von seinem Vorgesetzten.

3

Lord Gaten Nahor

Harper lächelte ironisch und erklärte besserwisserisch: „Zwischen unseren Kontinenten herrschen Strömungen unter der Wasseroberfläche. Man nennt das auch Gezeiten. Einmal fließt das Wasser nach Osten, einmal nach Westen. Wenn die Gezeiten wechseln, treffen die Strömungen aufeinander und bilden Wirbel, die man auf der Oberfläche nicht sieht. Sie sind aber so stark, dass sie ganze Handelsschiffe mitreißen und sinken lassen.“

„Woher wisst Ihr das so genau?“, wollte Leary weiter wissen. „Wir treiben schon seit Jahrhunderten keinen Handel mehr mit irgendwem südlich der Sturmfront.“

„Im Gegensatz zu Euren Geschichtsschreibern schreiben unsere die Wahrheit auf und keine Märchen.“

„Harper!“, wies diesmal Dannika ihren Mann zurecht.

Der zuckte mit den Schultern, schwieg aber.

„Wir lernen es in unserer Ausbildung“, erklärte sie, um Höflichkeit bemüht. „Da wir lagebedingt, von viel Wasser umgeben sind, ist es ein Hauptbestandteil unserer Schule.“

„Logisch“, gab Leary zu und verzog den Mund. „Daran hätte ich denken sollen.“

„Wäre machbar gewesen“, kam es wieder von Harper, ziemlich sarkastisch diesmal.

Dannika atmete schwer durch die Nase aus, wandte sich erneut an ihn und zischte in Skareth-Mhond, dass er sein Maul halten sollte, sonst würde sie ihn sofort nach Hause schicken und Avery gleich mit ihm. „Hold dia velix Mhondu, Harper! Winn da it jeddi stóp, la une Svalor so bis, shike I dia wito Unwelthe zigga et Filaruthis. Ahn Avery kán da ef jeddi mornhm.“

„Ti liva“, giftete Harper zurück, dass sie doch tun sollte, was sie wollte und fügte an, dass er nicht mal herkommen wollte. „I wenne ja no enfién!“

Dannika grollte leise. „Dessa! Rowth hil ahn stópe forth eth Tur! So niemen una Sentéz or una quare Logis!“, befahl sie als unh Garda und Harpers Blick wurde mürrisch. Er erhob sich jedoch befehlsgerecht, verneigte sich, wobei er spöttisch und unecht lächelte, dann verließ er den Raum und die Tür fiel lauter zu, als nötig war. Hoffentlich würde er wirklich vor der Tür warten und niemanden weiter schief ansehen oder überhaupt mit jemandem reden.

Dannika schloss kurz die Augen und schaute dann entschuldigend zu Reyes. „Ich muss nochmals um Verzeihung bitten. Mein Volk ist sehr offenherzig mit seinen Worten. Ich hoffe, Ihr seht es uns nach. Wir werden uns bemühen, uns Euren Gepflogenheiten anzupassen.“

Reyes Stirn glättete sich, doch seine Stimmung war definitiv nicht mehr die Beste. „Wir werden uns schon auf einer Ebene treffen können“, meinte er und versuchte, seine Abneigung zu verbergen.

Dannika entging nicht, dass er sie offensichtlich niederer einstufte als sich selbst. Sie entschied, nicht darauf einzugehen. Es würde den Unmut nur noch anheizen. Der Rest des Essens verging beinahe schweigend. Nur ab und zu sprachen Mélina und Lynéra leise miteinander, doch niemand stellte mehr Fragen. Als der König die kleine Runde endlich auflöste, verneigte Dannika sich höflich und verließ den Raum, wobei ihre beiden Freundinnen ihr folgten.

Vor der Tür trafen sie auf Harper, der neben der Pforte an der Wand lehnte. „Wurde ja Zeit“, grummelte er.

Dannika fuhr ihn erneut in Skareth-Mhond an. „Ich weiß, dass du nicht hier sein willst! Keiner von uns wollte das! Aber Zaya hat es angeordnet und wir hören auf ihren Befehl! Wenn du dich noch ein einziges Mal daneben benimmst, wird das Konsequenzen haben! Wenn dich jemand was fragt, sei gefälligst freundlich, auch wenn er es nicht ist! Wir sind hier Gäste, verdammt noch mal!“

„Und deshalb muss ich denen in den Arsch kriechen?!“, fuhr Harper sie seinerseits an. „Die können froh sein, dass wir überhaupt hier sind!“

Dannika rückte auf und fixierte seinen Blick. Trotz dass er größer und kräftiger war, sah man, wie er kleiner wurde. Sie war noch immer seine Vorgesetzte und er wurde sich sichtlich bewusst, dass er gerade zu weit gegangen war.

„Ab sofort sprichst du nur noch mit den Feroth, wenn dich jemand anspricht. Und dann auch nur das Nötigste und immer freundlich! Ohne Unterton! Verstanden?! Du wirst nicht mehr offensiv an solchen Treffen teilnehmen. Ich habe euch angeboten, als Freunde neben mir zu reisen, das ziehe ich in deinem Fall zurück. Du bist ab sofort als das hier, als was Zaya dich geschickt hat. Meine Wache.“

Harper senkte den Blick und nickte. „Ja, unh Garda.“

Sie trat zurück. „Ihr habt den Abend frei. Aber keine Dummheiten“, wandte sie sich an alle.

Die Gruppe neigte die Köpfe und ging davon. Dannika wusste, dass sie den ganzen Abend lang Gesprächsthema sein würde. Sie schüttelte resigniert den Kopf.

„Lady Dannika. Darf ich Euch einen Moment aufhalten?“, kam es von hinter ihr.

Sie wandte sich um und sah Gaten an der Tür stehen. Unwillkürlich war sie froh, dass er nicht verstanden hatte, was sie zu Harper gesagt hatte. „Sicher“, seufzte sie nun in seiner Sprache. Bestimmt wollte er jetzt über ihre Wache sprechen.

„Es könnten auch ein paar mehr Momente werden“, gab er zu und lächelte unsicher.

Sie nickte schmunzelnd. „Die habe ich auch.“

„Sehr schön. Bitte folgt mir doch. Ich würde die Gelegenheit sehr gern nutzen und Euch die Burg zeigen.“

„Wie Ihr wünscht, Lord Gaten.“

Er kam an ihre Seite und sie folgte seinen Schritten. „Lady Dannika, wäre es anmaßend, wenn ich Euch noch ein paar Fragen stelle, in Bezug auf Euer Volk? Ich möchte ungern in weitere Fettnäpfchen treten.“

„Wäre es nicht, Lord Gaten. Aber wenn ich so anmaßend sein darf, würde ich Euch gern bitten, dass Ihr mich einfach Dannika nennt. Oder in offiziellen Treffen unh Garda oder Generalin. Ich weiß, dass Lady eine besondere Form der Anrede bei Euch ist, aber ich denke, eine freundschaftlichere Basis, wenn wir unter uns sind, wäre von Vorteil. Natürlich nur, wenn es in Eurem Sinn ist.“

Sofort war seine Aura offener. „Sicher. Dann bitte, Dannika, nennt mich Gaten oder Gate.“

„Gate?“ Sie lächelte. „Wirklich?“

„Zuviel des Guten?“ Er spiegelte ihr Lächeln verschmitzt.

„Ich weiß nicht.“

„Was immer dir lieber ist, Lady Dannika“, neckte er sie.

Sie grinste. „Ich wähle vorerst Gaten.“

„Vorerst“, wiederholte er. „Na gut. Ich bin gespannt, wann es sich ändert. Und wenn es so weit ist, wie nenne ich dich dann?“

„Dannika, wie sonst?“ Sie runzelte die Stirn.

„Hast du keinen Spitzennamen? Gibt es das bei euch nicht?“

„Doch. Aber wir sprechen nur unsere Vertrauten damit an.“

„Wer weiß. Vielleicht gehöre ich ja irgendwann dazu“, meinte er.

Sie verzog das Gesicht und Gaten sah es.

„Nicht? Was schließt das denn aus?“

„Nichts schließt das aus. Bisher zumindest. Aber es gibt nur zwei Lebewesen, die mich bei meinem Spitznamen nennen. Es ist wohl eine Eigenart meines Volkes.“

„Mich nennen auch nur meine Freunde Gate. Aber ich biete es jedem an, der mir sympathisch ist. Wie meinst du das, wenn du sagst Lebewesen?“, erklärte und fragte er.

„Er mag dich“, raunte Fehr in ihrem Geist. „Nimm die Gelegenheit an. Er scheint frei für eine offenere Beziehung zu sein.“

„Halt die Klappe und lass mich machen“, antwortete sie und Fehr zog sich wieder zurück. „Wir hatten ja schon festgehalten, dass es viel zu lernen gibt“, sagte sie laut. „Ich bin gespannt, in was wir uns noch alles unterscheiden.“

„Ich auch.“ Gaten lächelte. „Lebewesen?“, wiederholte er seine Frage, die Dannika wegen Fehr nur halb mitbekommen hatte.

„Meine beste Freundin, Mélina, und mein Finné, mein Gefährte, Fehr.“

„Ah. Die Mélina, die mitgereist ist?“

„Genau die.“

„Und dein Gefährte? Warum ist er nicht dabei?“

„Ist er doch“, gab sie ihm verwirrt zurück.

„Sagtest du nicht gerade, er heißt Fehr? Die beiden Männer in deiner Begleitung heißen doch aber Harper und Avery oder habe ich das falsch verstanden?“

Dannika lachte auf. „Nein, hast du nicht. Fehr ist nicht in der Burg. Er ist mit Ruw und Koleen in einem Waldstück geblieben.“

„Warum denn? Sie hätten alle kommen können.“

Es dämmerte ihr und sie klärte den Kommandanten auf. „Fehr ist mein Drache. Ich hatte erklärt, warum sie fernbleiben.“

Gaten atmete tief durch die Nase ein und stieß die Luft wieder aus. „Ach so. Dein Drache heißt also Fehr.“ Kurz war es still und Dannika konnte an Gatens Miene sehen, dass nun ihm etwas dämmerte. „Moment mal. Er nennt dich bei deinem Spitznamen?“

„Ja.“ Sie grinste, weil sie ahnte, was kam.

„Er kann reden?“, fragte der Kommandant schließlich genau das, was sie vermutet hatte.

„Nicht direkt. Er spricht nicht, wie du und ich. Er denkt seine Worte, wenn er mit mir kommuniziert. Aber er beherrscht unsere Sprache. Sie lernen sie recht früh, wenn sie den Kontakt wünschen.“

Gaten verzog nachdenklich das Gesicht. „Wie funktioniert das? Ich meine, wie hörst du seine Worte, wenn er sie nur denken kann?“

„Er amüsiert mich.“ Fehr grinste hörbar. „Bestell ihm Grüße von mir.“ Er lachte und Dannika grinste unwillkürlich mit ihm.

„Wir sind im Geist verbunden. Wenn wir reden wollen, denken wir einfach an das, was wir sagen möchten und der jeweils andere hört es. Es kostet viel Übung, damit kein Unfug dabei rauskommt. Aber wir haben beide jahrelange Erfahrung und müssen uns deshalb nicht mehr viel konzentrieren. Oft reichen auch einfache Gefühle und Emotionen für den Austausch. Ich soll dir Grüße von ihm bestellen. Er findet dich witzig.“

Gaten stoppte und sein Blick wurde ungläubig. „Er hört jetzt gerade zu?“

Dannika nickte. „Da er selbst nicht hier sein kann, nutzen wir die Verbindung.“

Gatens Augen wurden groß.

„Ist das nicht in Ordnung?“ Plötzlich war Dannika unsicher, ob es unhöflich war. Andererseits war es für sie ganz normal und Fehr würde auch hören, was sie sprachen, wäre er hier. Es nahm sich also nichts.

„Ja, nein, ich meine, ja, doch“, stotterte der Kommandant.

„Wir können nur so in Kontakt bleiben. Er bekleidet denselben Rang wie ich, deshalb lassen wir die Verbindung offen. Damit er auf dem Laufenden bleibt.“

Es dauerte noch einen Moment; bis Gaten sich gefangen hatte. „Es ist natürlich in Ordnung. Bitte entschuldige. Ich war nur kurz irritiert. Die Vorstellung ist merkwürdig, dass er hört, was wir sagen und es versteht. Und das auch noch, obwohl er so weit weg ist.“

„Drachen sind nicht dumm. Sie sind genauso intelligent wie wir Menschen. Ziemlich oft sogar noch mehr. Und es ihre Magie, die es uns ermöglicht, auch über größere Entfernungen den Kontakt zu halten. Ohne die Drachen ist das nicht möglich.“

„Ich kenne mich mit ihrer Spezies überhaupt nicht aus“, gab Gaten zu. „Zwar gibt es einige Aufzeichnungen, aber keine davon sagt aus, dass sie mehr als gewöhnliche Tiere wären. Zumeist werden sie immer als große Flugechsen beschrieben.“

Dannika schnalzte mit der Zunge. „Das beschreibt allein ihre Erscheinung im Groben. Über ihren Geist sagt es nichts aus.“

„Na ja. Wenn man von den gewöhnlichen Echsen ausgeht, ich meine auch alles, was es so an Reptilien gibt, die können nicht reden oder denken wie Menschen. Wahrscheinlich ist es das, was uns glauben lässt, die Drachen könnten es auch nicht.“

„Dann solltet ihr umdenken.“

Gaten lächelte. „Ich werde es auf jeden Fall tun und auch alle anderen dazu anhalten.“

„Das freut mich.“ Sie lächelte mit geschlossenen Lippen, froh, dass der Kommandant so entgegenkommend war.

Sie kamen an einem Torbogen an und Gaten bedeutete ihr, vorauszugehen. Dannika trat auf die Wehrmauer hinaus und ließ den Blick schweifen. Der Abend war klar und warme Luft umwehte sie sanft.

„Komm noch ein Stück. Der Ausblick von der Mitte der Mauer ist wunderbar“, sagte Gaten und führte sie an die Stelle, die er meinte. Die Steine der Mauer strahlten die vom Tag gespeicherte Hitze ab und der Kommandant meinte: „Es ist immer noch ziemlich heiß hier oben, aber ich dachte, der Ausblick ist es wert.“

„Ich finde es nicht heiß. Es ist recht angenehm.“

„Ist es in den Sturmlanden wärmer?“

„Ja. Allerdings nicht immer und nicht überall. Wir haben alle Wetterlagen. Aber wenn es heiß wird, dann wird es auch heiß. Dagegen ist das hier nichts.“

„Wie warm kann es denn werden?“

„Auf dem Dragoth-Athat kann es unerträglich für uns Menschen sein. Dort wird es so heiß, dass das Wasser in den Buchten zu verdunsten beginnt. Das liegt an dem Vulkan, der die Insel erschaffen hat. Er ist aktiv und immer wenn ein Ausbruch bevorsteht, brodelt das Wasser um das Eiland herum beinahe.“ Gatens große Augen brachten Dannika zum Lachen. „Das passiert nicht allzu oft. Aber wenn es passiert, spüren es alle Inseln in der Nähe.“

„Wie schützt ihr euch dagegen?“

„Gar nicht. Wir sind es gewohnt. Nur sollte man den Dragoth-Athat, also den Drachenfels, meiden. Dort würde jeder der kein Drache ist, sterben, wenn der Vulkan kurz vor einem richtigen Ausbruch steht.“

„Heißt der Fels so, weil die Drachen Feuer speien und er ein Vulkan ist?“, fragte Gaten weiter. Auch er klang so neugierig wie Leary vorhin.

„Nein. Und nicht er, sondern sie. Es ist nicht nur ein Fels, sondern eine ganze Insel. Sie heißt Drachenfels, weil die Drachen im Felsgestein des Vulkans leben. Sie vertragen die Hitze sehr gut. Es hilft ihnen beim Brüten.“

„Gibt es viele Drachen? Wie groß sind sie? Ist die Insel groß?“

Wieder grinste Dannika. „So viele Fragen.“

„Bitte entschuldige. Ich wollte nicht aufdringlich sein.“

„Schon gut.“ Sie schenkte ihm ein freches Lächeln. „Es ist nur merkwürdig, dass ihr so gar nichts über unser Land wisst. Wir wissen so viel über eures.“

Gaten hob die Schultern. „Das liegt wohl daran, dass wir nur noch Geschichten über euch kennen. Viele aus meinem Volk dachten lange oder denken noch immer, ihr wärt nur eine Erfindung.“

„Dachtest du auch, es gibt uns nicht?“, wollte diesmal Dannika wissen.

„Um ehrlich zu sein, ja. Ich bin mit den Geschichten aufgewachsen, habe sie aber nie für wahr gehalten.“

„Was hat dich umgestimmt? Du hast nach uns schicken lassen.“