Phönix Band 3 - Stefanie Worbs - E-Book

Phönix Band 3 E-Book

Stefanie Worbs

0,0

Beschreibung

Wird ein Phönix getötet, stirbt er eines wahrhaftigen Todes und wird aus seiner Asche nicht mehr neugeboren. Ty dachte, Ryél wäre sicher, doch nun kämpft sie erneut um ihr Leben. Derweil sieht Said kaum noch Möglichkeiten, einen Kampf zu verhindern. Unterstützung von Elfenstädten könnte das Blatt wenden. Doch welcher Regent würde sich gegen sein eigenes Volk stellen, indem er sich zu den Menschen bekennt? Ein Kampf ums Überleben, einer um Freiheit, einer um eine Liebe, die in diesem alten System nie akzeptiert werden würde. Können Ty und ihre Freunde diese Kämpfe gewinnen und endlich eine Wende in der Welt schaffen? - Die Elfen haben die Welt vor der Menschheit gerettet. Nun ist es an uns, die Menschheit zu retten. -

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 412

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Prolog
Enyo
1
Bent
2
Enyo
3
Tyree
4
Enyo
5
Tyree - Einen Monat später
6
Enyo
7
Tyree
8
Zwei Wochen später
9
Enyo
10
Tyree
11
12
Enyo - 6 Wochen später
13
Tyree
14
15
16
17
Enyo
18
Tyree
19
20
21
Enyo
22
23
Zwei Wochen später
24
Tyree
25
26
Enyo
27
28
Tyree
29
30
31
32
Epilog - Enyo - 3 Wochen später
Bisherige Veröffentlichungen
Leseempfehlung
Impressum

Stefanie Worbs

Band 3

Prolog

Enyo

Bis auf das stetige Piepen ist es totenstill im Raum. Wobei es totenstill, wirklich gut trifft. Hier im Raum lebt nur eine Person richtig, auch wenn ich lieber auf dem Pflaster vor dem Tower aufgeschlagen wäre. Hätte ich gewusst, dass ich hier sitzen würde, am Bett meines Mädchens und sie Tag für Tag so sehen muss ... ich wäre lieber an jenem Tag mit ihr gestorben.

Jede Nacht träume ich davon. Ich träume, wie sich Tys und mein Blick das letzte Mal treffen. Ich träume, wie ich ihr sage, dass ich sie liebe. Im Traum erwidert sie es. Damals hat sie es nicht getan und ich bin überzeugt, sie hat es nicht mal mehr gehört. Ich hoffe, sie hatte keine Schmerzen. Ich hoffe, sie war bewusstlos und ist ruhig gegangen.

„En?“ Cara ist wieder da. Sie ist schon eine Weile in der Stadt. Wie lange, kann ich nicht sagen. Auch Ristan ist hier und seltsamerweise auch alle seine Krieger. Ich hab nie drüber nachgedacht, warum. Er hat die Stadt nicht eingenommen, denn hier laufen menschliche Ärzte ein und aus. Ich erinnere mich dunkel, dass Bent was erzählt hat, Ristan wäre in Frieden gekommen. Aber was interessiert mich das?

Ristan war hier. Ein einziges Mal. Und bei diesem einem Mal, ich schwöre, ich hätte ihn in Stücke gerissen, würden sie mich aus diesem Raum hier rauslassen. Aber die Türen sind versperrt und man kommt nur mit Code rein oder raus. Den habe ich nicht, weil anscheinend alle draußen Angst vor mir haben.

„En, ich habe dir Essen mitgebracht.“ Cara stellt ein Tablett auf den Boden neben mich. Im Raum gibt es keine anderen Möbel mehr. Nur Tys Bett, das fast auf den Boden nach unten gelassen wurde - irgendwann nachts, als ich daneben eingeschlafen war. Ich halte ihre Hand und lasse sie nur dann los, wenn es wirklich nicht anders geht. Nicht mal im Schlaf lasse ich es zu, dass sie mir entgleitet.

„Möchtest du was essen?“, fragt meine kleine Schwester sanft.

„Verschwinde.“

„Brauchst du irgendwas?“

„Cara, bitte geh einfach.“ Ich bin unendlich müde.

Ihre Schritte verklingen langsam, als sie endlich geht und mich mit meinem Mädchen wieder allein lässt. Erneut schmerzt mir nur das Piepen der Monitore in den Ohren. Aber ich kann nicht. Ich kann die Maschine nicht abschalten.

1

Bent

„Wir brauchen mehr Leute! Mehr Krieger! Wenn Leodrín und Kattár sich wirklich zusammentun, haben wir wieder das gleiche Problem, wie mit Xhol und Quath!“

„Glaubst du, das sehe ich nicht, Bent!“, fährt Saiden mich ebenso an, wie ich ihn. „Wir haben hunderte unserer Leute verloren gegen Xhol und Quath! Wir haben Oterwa verloren! Wir haben zwei Clans und zwei Elfenkreise verloren, Bent! Ich weiß, dass wir Leute brauchen! Aber ich kann sie nun mal nicht aus einem Hut zaubern!“

Ich vergrabe das Gesicht in den Händen und lasse mich an die Stuhllehne sinken. „Wir gehen unter, Said.“

„Nein. Werden wir nicht“, gibt er mir standhaft zurück. „Der Schutz um die Stadt ist stärker denn je und die Versorgungslinien halten. Wir müssen aber einen Weg finden, die freien Menschen dazu zu bekommen, uns zu helfen. Wir müssen sie für unsere Sache gewinnen.“

„Und dann?“ Resigniert lasse ich die Hände in den Schoß fallen. „Lass es ein paar hundert Menschen sein, die da draußen im Land sind. Wie willst du sie finden? Und nehmen wir an, wir können alle aufspüren und überreden, herzukommen, es wären noch immer zu wenige.“

„Was ist denn mit den anderen Völkern?“, will Bay wissen. „Wann kommen deren Botschafter zurück?“

Das interessiert mich aber auch. Fast alle Botschafter, die in Ryél anwesend waren, sind nach dem ersten Sturm von Xhol und Quath gegen uns, in ihre jeweilige Heimat aufgebrochen. Die Mehrzahl von ihnen versprach, Hilfe zu ersuchen. Das war vor drei Monaten. Bisher ist nicht einer zurückgekehrt und wir mussten zwei weiteren Angriffen standhalten. Beim letzten verloren wir den zweiten Elfenkreis. Jetzt haben wir nur noch einen und von den Hexenzirkeln und Clans, nur noch die beiden Clans der Aleárth. Die alten und die ná Aleárth und einen kleinen Teil von Magerys Zirkel.

Wir sind so was von am Arsch.

„Ich weiß es nicht“, antwortet Saiden meinem kleinen Bruder. „Die letzte Nachricht kam von den Nachtwandlern. Sie beraten noch. Ihre Unterstützung ist uns sicher, doch sie müssen eine Lösung finden, wie sie an genügend Nahrung kommen, sollten Kämpfe ausbrechen.“

„Wir wäre es mit unseren Feinden“, wirft Ristan höhnisch ein. „Davon gibt’s schließlich genug.“

„Das habe ich ihnen auch gesagt“, lächelt Saiden schief zurück. „Allerdings geht es auch um den Weg hierher. Sie können während der Reise nur wenig trinken und wenn dann vorwiegend von Tieren. Das schwächt sie. Wenn sie hier sind, haben sie keine Nahrungsquelle mehr, denn sie können nicht von uns trinken. Wir brauchen unsere Kräfte. Auch Blutspender gehen nicht, weil wir eben jeden Mann brauchen.“

„Das Problem muss doch schon länger bekannt sein, oder etwa nicht? Ich meine, wie lange planen sie denn schon, euch zu helfen?“, fragt Ristan argwöhnisch.

„Es ist bekannt. Und das schon von Anfang an. Bisher haben wir aber keine Lösung gefunden. Wenn du eine hast, dann immer raus damit. Allerdings muss ich eingestehen, dass wir nie an Kämpfe in so großem Ausmaß dachten. Wir wollen keinen Krieg, deshalb greifen wir auch nicht an. Kampfhandlungen in großem Stil bedeuten leider auch viel mehr Aufwand und wir wussten schon immer, dass wir das nicht leicht bewältigen können. Dafür sind wir einfach zu wenige.“

„Warum waren die Botschafter dann überhaupt hier, wenn sie keine Unterstützung in einem Kampf sein können?“, hakt Ristan weiter nach.

Saiden seufzt. „Eben weil wir Frieden wollen. Sie waren hier, um darüber zu verhandeln. Rechte für die Menschen und vor allem Freiheit. So wollen wir es mit jedem Volk machen. Keine Angriffe, um Überlegenheit zu zeigen, sondern Gespräche, um eine Einigung zu finden, die für alle Seiten akzeptabel ist. Dass die Nachtwandler uns in einem möglichen Kampf unterstützen wollen, ist ihre freie Entscheidung und keine Sache von Allianzen.“

Ristan brummt, weil ihm diese Information offensichtlich nicht gefällt. Aber er ist eben ein Krieger. Krieger reden nicht, sie kämpfen.

Die Tür geht auf und Cara betritt den Raum. Sie lässt einen Diener vorbei, der Essen für uns bringt.

„Hey Schwesterchen.“ Bay nimmt sie kurz in den Arm und stiehlt sich dann ein Sandwich vom Servierwagen.

„Hey Jungs.“

„Warst du bei En?“, will ich wissen, denn ihre Aura ist trüb wie immer, wenn sie ihn und Ty besucht hat.

Sie nickt traurig. „Keine Besserung.“

Ich seufze. „Wir müssen uns was mit ihm einfallen lassen. Das kann nicht ewig so weitergehen.“

„Er wird sie nicht verlassen. Er hat’s ihr versprochen“, meint Bay und das Sandwich landet auf dem Tisch, wo es unbeachtet liegen bleibt.

„Ty könnte aufwachen. Das würde alles ändern“, meint Cara hoffnungsvoll.

Saidens Blick trifft meinen. Er denkt das Gleiche wie ich. Seit dem Abend, an dem alles geschehen ist, hat Tys Herz fünfmal ausgesetzt. Sie hat es viermal selbst geschafft, sich wieder zu gefangen, doch vor zwei Wochen, beim fünften Aussetzer, hatte sie nicht genug Kraft und seitdem hängt sie komplett an Maschinen, die sie am Leben halten. Ab und zu testen die Ärzte, ob ihr Herz wieder allein schlagen würde, doch jedes Mal endet es in einem fürchterlichen Wutausbruch von En, weil es nicht einen Schlag von selbst tut.

Mein kleiner Bruder ist nicht mehr er selbst. Er ist nur noch eine Anwesenheit im Krankenzimmer des Mädchens, dass der Mann, der er mal war, immer noch liebt.

Wir wollten die Maschinen ausschalten und Ty gehen lassen, doch En hat Bay, der ungünstigerweise zu nah bei ihm stand, bis aufs Blut verprügelt und sogar die Sicherheitsscheibe, die hart wie Stahl ist, hat jetzt einen Riss. Cara ist die Einzige, die sich noch in den Raum traut. Und zwei Ärzte, die En sicher nur gewähren lässt, weil sie sich um Ty kümmern.

„Die Hölle“, kommt es mir über die Lippen.

„Was ist damit?“, will Bay wissen.

„Das muss es für En sein. Ich halte es schon kaum aus, die Kleine so zu sehen, aber er? Scheiße. Er liebt sie dermaßen, er würde sofort mit ihr tauschen.“

„Wer würde das nicht, für die Person, die er liebt“, wirft Saiden ein.

„Wir müssen doch irgendwas tun können“, kommt es von Ristan. So sehr er die Menschen verachtet hat, grenzt es an ein Wunder, dass er nun hier sitzt, sie verteidigt und sich sogar Sorgen um einen einzelnen macht. Die Situation könnte nicht unwirklicher sein, da es ausgerechnet dieser einzelne Mensch, nämlich Tyree Aleárth, war, der meinen Bruder bekehrt hat.

„Wir sollten Ty erlösen“, hält Saiden fest, klingt aber überhaupt nicht überzeugt. „Er muss sie loslassen. Es wird nichts besser, solange er an diesem Bett sitzt und auf ein Wunder wartet.“

„Sie hat es viermal geschafft. Sie schafft es wieder.“ Cara klingt streng und duldet keine Widerworte.

„Aber sie hat nie so lange gebraucht“, entgegnet Bay ihr. „Vielleicht ist es ...“

„Schluss!“ Jetzt ist Cara wirklich wütend. Doch ihre Augen schimmern von Tränen. „Wenn das jemand entscheidet, dann Enyo! Und er will diesen blöden Knopf nicht drücken! Ty wird wieder aufwachen, klar?!“

Keiner erhebt Widerspruch. Cara würde ihn sowieso nicht hören. So wenig sie Ty kennt, hat sie sie doch wie eine Schwester ins Herz geschlossen. Ihr Blick triff noch mal jeden von uns, ist hart wie Granit, dann dreht sie ab und verschwindet wortlos.

„Ich werd mal sehen, ob ich zu ihm durchdringe“, lässt Bay verlauten. Er klopft mir auf die Schulter und humpelt dann davon. Der angebrochene Knöchel, den er En zu verdanken hat, verheilt zum Glück gut.

2

Enyo

Was will der denn schon wieder? Bay ist hier und lehnt im Türrahmen. Näher traut er sich wohl nicht. Besser ist das, für seine Gesundheit.

„Wie geht es dir?“, will er leise wissen.

„Erschieß mich, dann geht’s mir wieder gut.“

Bay atmet hörbar tief durch. „Und wie geht es Ty?“

Wut sammelt sich in meinem Bauch und zeigt sich als Tränen in meinen Augen. „Sie ist tot, Basil!“, knurre ich ihn an. „Falls du denkst, ich bin mir dessen nicht bewusst, weißt du es jetzt.“

„Wieso sagst du das? Ich meine, dass sie tot ist?“

„Ihr Herz schlägt nicht mehr von allein. Ihre Lungen atmen nicht mehr von allein. Sie hat so gut wie keine Aura mehr.“ Und plötzlich lösen sich die Tränen in einem Schluchzer. „Bay. Mein Mädchen. Sie ist doch meine Ty.“ Meine Wut verraucht und von jetzt auf gleich ist da nichts mehr außer Schmerz. Genau an der Stelle, an der mein Herz schlägt, als würde es gleich bersten wollen. Meins rast und ihres kann nicht einen Schlag allein tun.

Bays Hand legt sich auf meine Schulter, dann sitzt er neben mir, mit dem Rücken an das Bett gelehnt. „Kleiner Bruder. Was kann ich tun?“

Ich schüttle den Kopf. Mein Hals ist zugeschnürt und es fühlt sich an, als wäre es Stacheldraht.

„Glaubst du, sie fängt sich noch mal?“, will er wissen und sein Blick trifft mich von der Seite.

Ich kann nur Ty ansehen. Ich will, dass sie kämpft. Darum, dass ihr Herz es noch mal schafft, zu schlagen. Und darum, dass sie aufwacht. Doch wenn ich sie so sehe, sehe ich Schmerzen und Leiden für sie.

Duan hat ihr wortwörtlich den Schädel zertrümmert. Ihre linke Gesichtshälfte musste rekonstruiert werden. Sie haben ihr eine Platte aus Metall in den Schädel setzen müssen, da wo ihre Schläfe ist. Ihr Kiefer war mehrfach gebrochen. Ihre Zunge halb abgebissen.

In den vergangenen Monaten sind diese Wunden schon sehr gut verheilt. Das hat uns hoffen lassen, dass Ty es schafft. Die Ärzte hatten sie zu Anfang in ein künstliches Koma versetzt, damit ihr Körper mehr Ruhe hat, doch als sie sie aufwecken wollten, ist Ty nicht aufgewacht. Sie hat einfach weitergeschlafen.

Ich strecke eine Hand aus und lege sie sachte auf ihren Unterbauch. Auch diese Verletzung hat eine große Wunde gerissen. Nicht nur in ihrem Körper, sondern auch in meiner Seele. Ich weiß noch, wie Duan sie dort geschlagen hatte, damit sie zu sich kam und sehen musste, wie ich aus dem Fenster gestoßen wurde.

Als ich nach den ganzen OPs endlich zu ihr durfte, hat man mir dann eine der bis dahin schlimmsten Botschaften überbracht. Sie war schwanger gewesen. Meine Ty hatte ein Baby im Bauch. Doch Duan hat dafür gesorgt, dass es nie das Licht der Welt erblicken würde.

Guenive meinte, sie habe davon nichts gewusst, obwohl sie Ty ja dahingehend untersucht hatte. Ich weiß genau, wann es nur passiert sein kann. Am Tag unserer Ankunft hier. Aber das ist nun nicht mehr wichtig. Duan hat es mir genommen. Er hat mir Ty und unser Baby genommen.

„En? Was willst du tun?“

„Was soll ich tun?“, frage ich fast lautlos zurück.

„Willst du hier sitzen bleiben?“

Ich nicke.

„Wie lange?“

„Für immer.“ Wieder stößt ein Schluchzer aus meiner Kehle. „Ich kann sie nicht gehen lassen, Bay. Ich kann nicht leben, wenn ...“

„Vielleicht gibt es aber keinen anderen Weg, kleiner Bruder.“

„Sie könnte aufwachen.“

Bay nickt sachte, meint dann aber „Und wenn nicht? Sie würde ewig hier liegen. Alt werden und dann doch sterben. Sie würde nicht wollen, dass du neben ihr sitzt und dein Leben vergeudest.“

„Was ist es denn wert?“

„Alles, En! Komm schon, man. Du könntest viel mehr Menschen helfen, wenn du loslässt. Ty würde das sicher wollen. Sie würde wollen, dass du kämpfst.“

„Für was denn? Ich wollte für sie kämpfen. Für unsere Zukunft. Die ist weg.“

„Dann kämpfe jetzt für Tys Ziele.“

Mein Blick trifft seinen. Ich sehe ihn nur verschwommen, weil meine Tränen mir noch immer die Sicht nehmen. Ohne Ty loszulassen, wischte ich mir die Augen an meinem Arm trocken. „Sie wollte, was ich wollte!“, zische ich. „Sie wollte Frieden. Sie wollte leben. Was hat sie jetzt davon? Nichts von beidem!“

„Vielleicht kann sie den Frieden nicht mehr erreichen und vielleicht ist es auch für ein Leben mit dir zu spät. Aber du kannst für den Frieden aufstehen, En. Für den Frieden, den sie so sehr wollte. Den sie sich so sehr gewünscht hat. Was ist zum Beispiel mit ihrer Mum? Die ist noch irgendwo da draußen. Du kannst helfen, sie zu retten. Tu es für Ty. Ich bin sicher, dass sie es will.“

Mein Blick gleitet zurück zu meinem Mädchen. Es stimmt, was Bay sagt. Ty hat immer gesagt, sie wollte etwas tun. Sie wollte helfen. Als ich schlucke, merke ich, wie sich der Stacheldraht um meinen Hals etwas lockert. Tys Mum ist da draußen. Ganz sicher lebt sie noch. Ob ich sie finden kann? Ob ich sie überreden kann, herzukommen? Ob ich sie schützen kann, wo ich doch bei ihrer Tochter so kläglich gescheitert bin?

„Denkst du, ich kann ihre Mum finden?“, will ich wissen und beginne schon zu grübeln, wie man sie aufspüren könnte.

„Warum nicht? Ty hat doch mal gemeint, sie wäre aus der Gegend hier. Vielleicht hast du sogar so großes Glück und sie ist schon in der Stadt.“

Ich schnaube, weil das zu viel des Guten wäre.

Wieder klopft er mir auf die Schulter und steht dann auf. „Du solltest was essen und duschen, Dicker.“

„Ich lasse sie nicht allein.“

„Soll ich hierbleiben?“

Wieder ziehe ich die Brauen zusammen und mustere Bay argwöhnisch.

„Keine Sorge. Ich fasse nichts an. Und du bist ja nicht weit weg.“ Er deutet auf das Bad, das zum Zimmer gehört. „Also?“

„Ich höre alles“, warne ich ihn und erhebe mich schwerfällig. Ich brauche eine ganze Weile, um mich zu überwinden, Tys Hand loszulassen. Schließlich schaffe ich es und lege sie sanft neben ihr aufs Bett. „Bin gleich wieder da, Kleine“, verabschiede ich mich für höchstens zehn Minuten - länger werde ich ganz bestimmt nicht brauchen - gebe ihr noch einen Kuss auf die Stirn und beeile mich dann, damit ich sie nicht zu lange allein lassen muss.

Während das Wasser auf mich prasselt, lausche ich auf alle Geräusche von draußen. Wenn Basil nur falsch atmet, werde ich ihn wieder grün und blau schlagen. Doch er überrascht mich, indem er leise anfängt zu sprechen. Da stehe ich unter dem Wasser und höre ihn mit Ty reden, als würde sie gesund und munter neben ihm sitzen.

„Kleine, ernsthaft. Wenn du wüsstest, was hier abgeht. Die ganze Stadt ist in Aufruhr. Zwei Städte von draußen haben angegriffen und zwei weitere Städte sind unterwegs. Außerdem dreht dein Freund total durch.“ Basil kichert. „Wenn du die Augen aufmachen würdest ...“

Bei diesem Satz brennen meine Augen gleich wieder. Wenn sie es nur tun würde.

„... würdest du sehen, dass er die komplette Einrichtung zerlegt hat. Das war ein Spektakel, sag ich dir. Hier sind alle ausgeflippt, weil sie Ens Ausbrüche noch nicht erlebt haben. Und Kleine, er hat jetzt Flügel. Wusstest du das? So richtig echte, aber irgendwie aus Feuer. Keiner hat sie bisher richtig gesehen, weil er immer gerade total am Austicken war. Sie kommen nur dann raus, glaub ich. Deine Augen würden leuchten, wenn du sie sehen könntest.“

Ich würde alles geben, um ihre Augen nur noch ein Mal leuchten sehen zu können.

Bay verstummt kurz und als er erneut spricht, ist seine Stimme gedrückt. „Du fehlst uns, Kleine. Richtig doll sogar.“ Er atmet tief durch. „Das ist merkwürdig. Du warst für mich immer anstrengend. Großkotzig, besserwisserisch und einfach ein nerviges kleines Ding. Aber scheiße, Ty, du bist das großkotzigste, besserwisserischste, nervigste, aber auch das taffeste kleine Ding, das ich kenne.

Du hast so viel weggesteckt. Bist so oft gefallen und immer wieder aufgestanden. Du hast deine Krankheit besiegt, weißt du das? Die Brandrose ist komplett verheilt. Du hättest im Dreieck Salti geschlagen, wärst du dabei gewesen, als der Arzt es verkündet hat. Kleine, komm schon. Du hast Duan dreimal geschlagen. Das kann’s doch jetzt nicht gewesen sein. Bist du doch nicht die kleine Kämpferin, für die ich dich halte?“ Wieder verstummt er und ich kann quasi Tys Antwort hören.

Natürlich bin ich eine Kämpferin! Schimpfst du mich etwa schwach?! Ich zeig dir gleich, wie schwach ich bin!

Dann spricht Bay wieder. „Ich weiß, wir sind keine Freunde. Und ich weiß du schuldest mir rein gar nichts. Aber, Ty, ich habe eine Bitte an dich. Und ich schwöre dir, wenn du sie mir erfüllst, werde ich alles tun, was du jemals von mir verlangst. Nicht nur ein Mal, sondern immer.

Bitte, Kleine, mach die Augen auf und komm zu uns zurück.“

Meine Knie geben nach und ich sinke in der Dusche zu Boden. Scheiße, Basil. Wie oft habe ich mein Mädchen in den vergangenen Wochen darum gebeten. Was habe ich ihr alles versprochen und nie hat sie mich gehört. Das Gesicht in den Händen vergraben, kann ich meine Tränen nicht zurückhalten.

Bitte hör auf ihn, Kleine! Bitte erfülle ihm seinen Wunsch. Ich weiß nicht, warum du mich nicht hörst, aber bei allen Göttern, ich flehe dich an, erhöre wenigstens ihn.

Es dauert viel länger, als ich geplant hatte, bis ich mich wieder fangen kann und endlich aus der Dusche komme. Ohne mich großartig abzutrocknen, ziehe ich neue Kleider von dem Stapel an, den Cara hier deponiert hat und gehe zurück ins Zimmer. Bay sitzt jetzt auf der Bettkante und hält Tys Hand.

„Sorry. Hat doch etwas länger gedauert.“

„Kein Problem“, winkt Bay ab. „Wir haben ein bisschen geredet“, sagt er und seine Stimme versagt ihm tatsächlich, kurz bevor er den Satz beendet. „Ich hau dann auch wieder ab. Brauchst du irgendwas?“

Ich schüttle den Kopf und tausche den Platz mit ihm. Er schaut noch kurz zu uns, dann dreht er ab und geht.

„Hey Kleine“, spreche ich nun zu meinem Mädchen. „Tut mir leid, dass ich länger im Bad war. Aber ich hab gehört, dass Bay dich unterhalten hat. Ich hoffe also, es ist okay.“ Mein Blick fliegt zu den Monitoren, die ihren Herzschlag anzeigen. Der Arzt meinte, ich sollte die Zahl überprüfen, wenn ich mit Ty rede. Manchmal hören Komapatienten ihren Besuch und ein veränderter Puls ist dann eine häufige Reaktion. Doch die Zahl bleibt konstant bei 65. Wie auch die ganzen Male davor schon.

Ich streiche über die Schläfe, an der operieren Seite. Sie mussten ihr die wunderschönen langen Haare dort abschneiden, doch seit ein paar Wochen wachsen sie wieder, denn die Naht verheilt problemlos. Der Chirurg war ein Meister seines Faches, denn man sieht kaum, wie schwer die Verletzung gewesen ist.

Alle Knochen sind wieder da, wo sie sein sollten und man sieht nicht, wo die Platte sitzt. Die eine Naht wird eine Narbe bleiben, auch wenn sie wohl noch an Farbe verlieren wird. Wenn meine Ty aufwacht, wird sie kaum noch was von dem sehen, was Duan ihr angetan hat.

Bitte, wach auf.

Am nächsten Morgen weckt Bay mich. „En. Komm wach auf. Die Ärzte sind da.“

Ich liege neben Ty, wie immer. Das Bett ist viel zu klein für zwei, aber egal. Es hat Gitter, die man hochschieben kann. Gegen eins davon lehne ich nachts immer.

Müde quäle ich mich hoch und sitze schließlich auf der Bettkante. Draußen stehen einige Leute und glotzen durch das große Fenster, dem ich einen Sprung verpasst habe. Meine Hand war dermaßen geprellt, dass ich sie lange nicht bewegen konnte. Aber das war es wert. Sie wollten den kleinen Knopf drücken, der die Maschinen ausstellt, die Ty am Leben halten. Jetzt werden sie sich hüten, ihm ohne meine Zustimmung auch nur zu nahezukommen.

„Sie können reinkommen.“

Bay winkt den Leuten draußen und zaghaft betritt einer nach dem anderen den Raum.

„En“, fordert Bent meine Aufmerksamkeit. „Die Ärzte würden gern wissen, ob es okay ist, wenn sie einen neuen Versuch starten.“

Sofort beginnt mein Herz zu rasen. Sie wollen die Maschinen von Ty nehmen und sehen, ob ihr Herz allein schlägt. Wieder schnürt sich der Stacheldraht um meinen Hals. Ich habe panische Angst davor und zugleich hoffe ich so sehr, dass sie die Hilfe der Monitore nicht mehr braucht.

„En? Dürfen sie es versuchen?“, fragt nun Cara. „Es passiert nichts Schlimmes, versprochen. Sie schließen sie sofort wieder an, für den Fall, dass ...“

Ich schüttle den Kopf, um sie zum Schweigen zu bringen, dann stehe ich auf, umrunde das Bett und stehe schließlich auf der anderen Seite. Hinter mir piepen die Monitore. Mit einem bösen Blick warne ich alle, ja nichts Falsches zu tun, dann nicke ich.

Der Oberarzt kommt heran, fährt das Bett nach oben und beginnt, Ty zu untersuchen. Ich lehne mich auf das Gitter an dieser Seite und halte ihre Hand die ganze Zeit. Als der Arzt einer Schwester zunickt, senke ich meine Lippen auf Tys zarte, kühle Finger und schließe die Augen.

Bitte, bitte, bitte. Mein Mädchen. Meine Ty. Bitte. Ich höre, wie die Schwester auf einem der Geräte herumtippt und plötzlich ist die Stille im Raum greifbar, als die Maschinen langsam runterfahren. Trotz der vielen Personen hier, könnte man eine Stecknadel fallen hören. Das regelmäßige leise Piepen, das Tys Puls anzeigt, wird langsamer, während mein Herz schneller denn je rast.

Kämpfe, Kleine. Bitte. Bei allen Göttern, tu es für mich. Bitte. Ich höre jemanden ausatmen und öffne die Augen. Bent starrt auf den Monitor hinter mir. Er piepst noch. Langsam, viel langsamer als vorher, aber er piepst noch. Ich drehe mich um und sehe, dass das Gerät aus ist, das Tys Lungen die letzten Tage ersetzt hat. Mein Blick schnellt zurück zu ihr. Es dauert einen Moment, doch dann hebt sich ihr Brustkorb minimal.

Ty atmet allein!

Der Stacheldraht löst sich in Luft auf. Meine Ty. Ich danke allen mir bekannten und unbekannten Göttern dafür. Die Ärzte und Schwestern wuseln um uns herum. Tyree bekommt eine Sauerstoffmaske aufs Gesicht und sämtliche Anschlüsse, die ihre Lebensfunktionen überwachen, werden neu angebracht und eingestellt.

Ich bekomme davon kaum was mit. Mein Blick huscht zwischen ihrem Gesicht und ihrem Brustkorb hin und her. Irgendwann wird es ruhiger im Raum und als ich aufschaue, sind nur noch Bent und Bay da. Plötzliche unendliche Dankbarkeit überkommt mich.

„Bay?“

„Jupp?“

„Danke!“

Verdutzt verzieht er das Gesicht. „Wofür?“

„Das weißt du.“ Ich hoffe, er sieht es an meinem Blick.

Kurz grübelt er noch, dann hellt sich sein Gesicht auf. „Ich denke nicht, dass es an mir lag.“

„Doch. Ich denke schon. Ich habe sie tausendmal gebeten. Du nur ein einziges Mal.“

„Als würde die kleine Zicke auf mich hören“, scherzt er, doch es klingt liebevoll.

„Egal. Danke.“

Er hebt nur die Schultern zur Antwort.

„Hoffen wir, dass es so bleibt. Jetzt muss sie noch aufwachen“, meint Bent. Er kommt rüber und setzt sich auf die Bettkante. „Wenn sie weiterkämpft, wird es ein schwerer Weg werden.“

„Das schafft sie. Ty schafft alles.“

„Sicher. Nur gib ihr Zeit, En.“

Als wäre es an mir, sie zu etwas zu drängen. Sie hat ihren eigenen Kopf. Das wird sich nicht geändert haben.

Als würden sie es laut aussprechen, weiß ich, was meine Brüder denken. Fünfmal waren wir schon an dieser Stelle. Und fünfmal wurden wir enttäuscht. Aber irgendwas sagt mir, dass es diesmal nicht so sein wird. Diesmal wird das Herz des Mädchens, das ich liebe, weiterschlagen und dann wird sie auch ihre Augen wieder öffnen.

3

Tyree

Dumpfe Geräusche fliegen um mich herum. Nichts davon kann ich zuordnen. Als wäre ich unter Wasser und die Welt spielt sich darüber ab.

Bin ich unter Wasser? Plötzliche Panik ergreift mich, als mir einfällt, dass man unter Wasser gar nicht atmen kann. Doch fast sofort schwindet die Angst, zu ertrinken, denn es ist, als würde mir stetig ausreichend Luft in die Lungen gepumpt werden. Das kann ich nur dankend annehmen, denn ich habe keine Kraft, irgendetwas selbst zu tun. Nicht mal meine Augen kann ich öffnen. Ich glaube, ich liege.

Oder schwebe ich? Die Geräusche nehmen zu und ab. Werden lauter und leiser. Verstummen ganz und pochen dann wieder monoton in meinem Schädel. Ich habe Kopfschmerzen. Dann nicht mehr. Dann doch wieder und dann wieder nicht.

Es ist merkwürdig. Alles ist seltsam weit entfernt von mir und doch spüre ich eine Präsenz, die nie verschwindet.

Was ist das? Nur bruchstückhaft fließen diese Eindrücke auf mich ein. Aber die Präsenz ist stetig da. Alles andere verschwindet und wenn die Schwärze, die sich ab und zu einstellt, wieder geht, ist die Präsenz das Erste, was ich bemerke.

Zu Anfang hatte ich furchtbare Angst, weil das alles hier so merkwürdig war. Doch was es auch immer ist, dass stetig da ist, es beruhigt mich. Ich kann mich daran festhalten, um nicht fortzutreiben. Ein paar mal habe ich den Halt verloren, doch dann war wer auch immer wieder da und hat mich aufgefangen.

Was ist das hier? Wo bin ich? Wer bin ich? Dann ist etwas anders.

War es schon mal so? In meinen Ohren rauscht es laut und es fühlt sich an, als würde mein Blut träge und zäh durch meine Adern pumpen. Panik steigt in mir auf, denn der stetige Luftstrom, der meine Lungen mit Sauerstoff versorgt, versiegt nach und nach.

Nein. Nein! Ich kann nicht atmen, wenn er mir nicht hilft! Ich werde sterben! Oder bin ich schon tot? Ich habe keine Ahnung, wie lange ich hier bin. Wie viel Zeit vergangen ist, seit ... seit ...

... seit was? Weil ich darüber nachdenke, bemerke ich erst jetzt, dass ich es selbst schaffe, genug Luft in meine Lungen zu bekommen, um nicht zu ersticken. Ich kann atmen und es tut nicht weh, wie vorher immer. Es ist anstrengend, aber okay.

Ob ich jetzt auch meine Augen aufbekomme? Nein. Egal wie sehr ich es auch versuche, meine Lider sind zu schwer.

Oh man. Also bleibe ich, wie ich bin. Ich muss liegen. Schweben wäre sinnfrei. Stehen unmöglich. Schwimmen tue ich ganz sicher nicht, denn ich kann ja atmen. Himmel, wie sehr mich das erleichtert. Weil ich sonst nichts tun kann, versuche ich die Geräusche um mich herum zuzuordnen. Bisher hatte ich weder Interesse daran, noch genügend Kraft oder Konzentration. Aber wenn atmen geht ...

Ich glaube, Stimmen zu hören, also bin ich nicht allein. Ihr Gerede ergibt keinen Sinn. Es ist, als wäre eine dicke Wand zwischen mir und ihnen. Es sind viele Stimmen, aber mehr als gesummte Gespräche, kann ich nicht erkennen. Das ist anstrengend, also lasse ich es erst mal wieder.

Wenn ich liege, dann sicher auf einem Bett. Ich versuche, die Finger zu krümmen, um zu ertasten, aus welchem Stoff das Bettzeug ist.

Verdammt. Noch anstrengender. Lass es lieber. Der Geräuschpegel nimmt ab und es wird still. Doch wer auch immer schon die ganze Zeit hier ist - es kann ja nur eine Person sein, wie ich mir immer sicherer werde -, bleibt. Ich kann sie spüren. Keine Berührung oder so. Es ist eher die Tatsache, nicht allein zu sein. Ich weiß, da ist jemand und ich bin mir sicher, es ist immer die gleiche Person.

Ich wache auf, ohne die Augen zu öffnen. Es ist das unzähligste Mal, dass ich einschlafe, obwohl ich ja offensichtlich sowieso nicht ganz wach bin. In der vergangenen Zeit habe ich mir angewöhnt, immer zuerst zu versuchen, die Augen aufzumachen, wenn ich aus diesem einen Schlaf in den anderen wechsle.

Einen Moment lang atme ich einfach ruhig und konzentriere mich auf mein Vorhaben. Dann teste ich, was ich schon so oft versucht habe. Es kostet mich unglaubliche Mühe, diese winzige Bewegung zu tun, doch dann wird es hell. Nicht sehr viel, nur ganz wenig. Als hätte jemand das Licht hinter einem Schleier angeknipst. Träge blinzle ich, doch der Schleier verschwindet nicht. Oh man. Ich dachte, es würde besser werden, wenn ich nur endlich die Augen aufbekäme. Aber das hier ist nicht besser. Die verschwommene, matte Dunstschicht macht mich schwindelig, also schließe ich die Augen wieder.

Warte, ich darf nicht aufgeben. Komm schon, reiß sich zusammen! Das ist nur Licht! Mühevoll hebe ich meine Lider erneut und blinzle wieder.

Wie bekomm ich diesen blöden Nebel weg? Ein Geräusch lenkt mich ab, dumpf und leise. Dann klickt es seltsam aufgeregt im Takt.

„En? Bist du wach? Wölfchen dreht gerade durch. Du musst ... Ty!“

En? Wölfchen? Ty? Was?!

Es ruckelt, als würde mein Bett verschoben werden. Jemand lacht und es schickt mir eine Welle von Wärme, Zuneigung und Zuhausegefühl durch den ganzen Körper.

Wer ist das? Ich mag ihn. Er soll weiterlachen. Das Licht hinter dem Schleier wird heller und plötzlich wird es auch lauter. Viel mehr Stimmen schallen durch den Raum, was mir Kopfschmerzen verursacht.

Licht aus! Macht das Licht aus! Ich kann gerade so einen merkwürdig gequälten Laut von mir geben.

„Sie hat Schmerzen! Macht was!“

„Dimmt das Licht wieder.“

„Sie ist wach?“

„Schafft den Wolf raus!“

„Hörst du mich, Ty?“

„Bringt den verdammten Wolf aus dem Raum!“

„Kleine.“

„Wölfchen komm schon.“

Jemand zieht erst mein rechtes dann mein linkes Augenlid nach oben. Schmerzhaft helles Licht blendet mich. Am liebsten würde ich das Licht wegschlagen, doch meine Arme hören nicht auf mich.

Ich konnte stöhnen, also wiederhole ich diesen Laut.

„Weg damit!“

Das Licht verschwindet und ich kann meine Augen ausruhen.

„Nein! Bitte bleib wach!“

Der Mann klingt so besorgt. Fast panisch. Mit Mühe blinzle ich wieder, damit er sieht, dass ich wach bin.

„Bei allen Göttern, mein Mädchen!“

Eine ganze Weile lang ist es laut und unruhig um mich herum. Ich halte meine Aufmerksamkeit an dem fest, der die ganze Zeit mit mir spricht. Seine Stimme ist beruhigend. Irgendwann merke ich auch, dass er meine Hand hält, doch ich kann den Druck nicht erwidern. Ab und zu wird seiner fester. Ich habe das Gefühl, er hat Angst.

Ich würde ihn gern ebenso beruhigen, wie er mich beruhigt. Leider kann ich aber nichts anders tun, als hier zu liegen und zu versuchen, die Augen offen zu halten. Das ist wohl das Einzige, was seine Angst abnehmen lässt. Aber es ist so anstrengend ...

Als ich die Augen das nächste Mal öffne, ist es wieder dunkel um mich. Dämmerungsdunkel. Ich kann kleine Lichter ausmachen und wie sie sich bewegen. Im Zickzack immer auf und ab. Ziemlich lang verfolge ich diese kleine Linie, bis ich realisiere, dass sie meinen Herzschlag darstellt. Und erst da wird mir richtig klar, dass der Schleier teilweise verschwunden ist. Zumindest ist er irgendwie nur noch auf dem linken Auge. So richtig zuordnen kann ich es nicht. Aber ich sehe was. Sehr viel mehr als vorhin.

Jemand rührt sich an meiner Seite, dreht sich, murrt und setzt sich dann auf. Mit dem Rücken zu mir sitzt er auf der Bettkante und fährt sich durchs Haar. Das grüne Licht der Monitore beleuchtet ihn und ich kann etwas schwarzes auf seinem nackten Rücken ausmachen.

Sind das Flügel? Eine Zeichnung von Flügeln? Ein Tattoo? Gerade geht mir durch den Kopf, dass es echt riesig ist und höllisch wehgetan haben muss, da dreht er den Kopf. Mein Blick gleitet langsam von seinem Rücken zu seinen Augen. Selbst im Dämmerlicht kann ich sehen, dass sie hellgrau sind. Sie leuchten fast.

„Hey Kleine“, spricht er wirklich leise und dermaßen liebevoll, dass es mir sofort wieder eine Welle von Wärme durch den Körper schickt.

Hi ... ja hi wer? Wer ist er?

Er erhebt sich, zieht einen Stuhl heran und setzt sich dann frontal zu mir ans Bett. Seine Hand greift meine, er senkt seine Lippen darauf und schließt kurz die Augen.

Wer bist du?, will ich fragen, aber mein Mund tut nicht, was ich will. Stattdessen kommt wieder nur ein merkwürdiger Laut.

Sein Blick fliegt hoch und mustert mich, dann hebt er denn Kopf und flüstert: „Wie geht’s dir? Brauchst du was? Hast du Durst?“

Ich habe keine Ahnung, wie es mir geht. Seltsam stumpf beschreibt es wohl am besten. Was ich brauche? Ja, im Moment nichts. Aber Durst habe ich tatsächlich. Das würde ich ihm gern sagen, doch wieder kommt nur ein aghghh aus meinem Mund.

Schöne Scheiße. Er erhebt sich trotzdem, kommt näher zu mir und hebt meinen Kopf vorsichtig an, um einen Arm darunter zu schieben, dann hält er mir einen Becher mit Schnabel oben an die Lippen. Ganz sachte hilft er mir, winzige Schlucke zu nehmen.

Wie konnte er aus meiner Buchstabenkotze raushören, dass ich Durst habe? Langsam legt er meinen Kopf wieder ab und sitzt dann erneut in meinem Sichtfeld. Seine Augen glitzern und ich meine, es sind Tränen, die darin schimmern.

Du musst nicht traurig sein. Ich bin ja jetzt wach, denke ich, als sich eine der Tränen löst.

„Du hast keine Vorstellung, wie glücklich du mich gerade machst“, sagt er dann ganz leise.

Ah, keine Trauer. Glück. Weil ich wach bin? Okay. Er ist leicht zufriedenzustellen.

„Kannst du sprechen?“, will er wissen und legt den Kopf schief.

Vogel. Hab ich nicht gerade bewiesen, dass es nicht geht. Aber gut. Ich probier’s noch mal. Noch hab ich genug Kraft, denke ich. Doch mehr als ein hagrgr kommt wieder nicht.

„Okay. Gut. Streng dich nicht zu sehr an. Alles okay. Du verstehst mich, das ist gut.“

Ja, irgendwie beruhigt mich das auch. Auch wenn es schöner wäre, könnte ich sagen, was ich denke. Und es wäre nicht ganz so peinlich.

„Weißt du, wo du bist?“

Nope. Kein Plan. Du weißt es. Sag es mir. Meine Augen halten seine fest und, ehrlich, der Junge ist talentiert. Entweder kann er Gedanken lesen oder er macht einfach zufällig das Richtige.

Jedenfalls antwortet er auf meine stumme Frage: „Du bist im Krankenhaus. Schon eine ganze Weile. Weißt du warum?“

Ehm ... nee. Verrate mir auch das.

Wieder klappt die Sache mit dem Blick, denn er sagt: „Du hattest eine schwere Verletzung am Kopf. Es hat sehr lange gedauert, bis du wieder zu dir gekommen bist. Erinnerst du dich?“

Nein man! Ich schließe die Augen. Ich hab keine Ahnung. Ich weiß ja nicht mal, wer ich bin und ich weiß nicht, wer du bist, obwohl du mich ganz offensichtlich kennst. Moment. Du kennst mich! Wieder suche ich seinen Blick und probiere die Augen-Nachricht-Sache. Wie ist mein Name?

Er runzelt die Stirn und bleibt stumm.

Verdammt! Komm schon! Wer bin ich? Am liebsten würde ich ihn schütteln, aber meine Kraft reicht ja nicht mal, um seine Fragen mit einem Nicken oder Kopfschütteln zu beantworten.

„Ist alles gut? Tut dir was weh? Ty!“

Ha! Ty! Das muss mein Name sein. Ich entspanne mich merklich, was auch ihm nicht entgeht.

„Hast du Schmerzen?“, will er trotzdem wissen.

Keine Schmerzen. Ich bin nur müde. Das war anstrengend. Ich schließe die Augen und atme so tief durch, wie es mir möglich ist.

„Okay. Schlaf. Ich bleibe hier.“

Krass. Wirklich beeindruckend, was er tut. Als hätte er einen Draht direkt zu meinen Gedanken. Mir ist kalt. Kannst du mir noch eine Decke holen?

Das Bett ruckelt und dann liegt er wieder neben mir. Seine Wärme greift sofort auf mich über. Irgendwie ist es merkwürdig. Ich hab kein Plan, wer er ist, aber seine Nähe kommt mir so vertraut vor. Er legt einen Arm um mich und ich kann seinen Atem sachte an meinem Hals spüren.

Du bist wunderbar. Dich hab ich gern.

4

Enyo

Es muss mitten in der Nacht sein, aber ich kann nicht mehr schlafen. Stattdessen liege ich hier und sehe meinem Mädchen dabei zu. Diesmal schläft sie wirklich ganz normal. Ein Funke der Unruhe zuckt dennoch in mir, weil ich den Gedanken einfach nicht loswerde, dass sie doch wieder ins Koma fallen könnte.

Mir wäre es das Liebste, wäre sie auch wach. Wenn sie mit mir reden würde oder irgendwas tun würde. Aber ich weiß genauso, dass sie die Ruhe noch immer braucht. Die Ärzte sagen, es wäre für Tyree, wie einen Marathon zu laufen, und zwar ohne Übung vorher. Selbst die kleinsten Bewegungen wären wirklich anstrengend und es bräuchte Zeit, bis sie genügend Kraft hat, um zum Beispiel zu sprechen.

Aber sie scheint mich zu verstehen und das allein ist schon ein riesengroßer Stein, der mir vom Herzen gefallen ist. Nach der schweren Verletzung und der langen Zeit im Koma, wären alle denkbaren Hirnschädigungen möglich gewesen. Aber sie ist mental da, was schon viel heißt.

Wieder können wir nicht mehr tun, als ihr Ruhe und Zeit zu geben. Aber jetzt fällt es mir sehr viel leichter.

„Hey, kleiner Bruder“, weckt mich Bay wieder.

Wann bin ich denn eingeschlafen?

Er hält mir einen Kaffee hin. „Guten Morgen auch“, grinst er und wirkt viel gelöster, als die ganzen Wochen bisher.

„Morgen“, brumme ich, setze mich müde auf, nehme die Tasse und nippe an dem heißen Getränk. „Wie spät ist es denn?“

„Kurz vor zehn. Die Ärzte waren schon da und haben Ty gecheckt. Du hast gepennt wie ein Stein.“ Er lacht auf. „Du hättest ihre Gesichter sehen sollen. Selbst wenn du schläfst, haben die eine Heidenangst vor dir.“

„Mhh“, brumme ich wieder.

„Und? War sie noch mal wach?“, will Basil dann wissen und mustert uns beide.

„Ja. Kurz. Sie hatte Durst.“

„Hat sie was gesagt?“ Er klingt hoffnungsvoll.

Ich schüttle den Kopf. „Sie hat’s versucht, aber mehr als gestern war’s nicht.“

„Das wird wieder. Also hat sie dich wenigstens verstanden?“

„Ich denke, ja. Zumindest hat sie reagiert.“ Ich reibe mir mit der freien Hand übers Gesicht und sehe dann ehrlich lächelnd meinen Bruder an. „Ich könnte fliegen, so leicht fühle ich mich.“

Er feixt. „Wenn du willst, geh raus und dreh eine Runde um die Tower. Ich warte hier.“

Er spielt auf meine Flügel an und zum ersten Mal seit Monaten kann ich über einen seiner Witze lachen. „Später vielleicht.“

„Das wird ein Anblick. Sag mir Bescheid, wenn es so weit ist.“

„Mach ich.“

Ty regt sich und bekommt sofort unsere Aufmerksamkeit. Sie öffnet blinzelnd die Augen. Kurz fliegen sie unstet umher, dann finden sie mich. Ihren Blick kann ich nicht deuten.

„Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?“, frage ich leise.

Keine Antwort, dafür ein minimales Stirnrunzeln. Ich muss schmunzeln. Sie hat monatelang geschlafen und ich frag sie so einen Scheiß.

„Hey Kleine.“ Bay stellt sich hinter mich und legt sanft eine Hand auf die Decke, wo ihr Bein liegt. „Freut mich, dass du wieder da bist.“

Ihre Augen gleiten zu ihm, verengen sich, als würde sie überlegen, was er meint, dann sieht sie mich wieder an. Plötzlich kommt mir ein Gedanke. Aber kann das sein?

„Ty. Weißt du, wer das ist?“, frage ich, meiner Vermutung folgend.

Ihr Blick hellt sich minimal auf, geht wieder kurz zu Bay und dann wieder zu mir.

„Sie weiß es nicht“, lasse ich meinen Bruder wissen, ohne den Blickkontakt zu Ty zu unterbrechen. „Weißt du, wer ich bin?“, frage ich mit flauem Gefühl im Magen.

Ihr Blick bleibt bei mir und wird minimal verwirrt.

„Scheiße.“ Ich fahre mir mit der Hand durchs Haar und werfe Bay einen hilfesuchenden Blick über die Schulter zu.

Er hebt seine kurz und meint dann: „Kein Problem. Ty? Ich bin Basil. Aber du darfst sehr gern auch Bay sagen. Er hier“, er stößt mit dem Arm vor meine Schulter, „ist Enyo. Oder En. Er ist dein Freund. Ihr zwei seid so hier.“ Bay hebt die freie Hand und verschlingt Mittel- und Zeigefinger miteinander. „Es werden wohl heute noch ein paar mehr Leute kommen, die dich besuchen wollen.

Einer sieht aus wie ich, nur älter. Er heißt Bent und ist Ens und mein Bruder. Und Cara wird sicher auch kommen. Sie ist unsere kleine Schwester. Wir haben dich echt vermisst, Kleine. Du hast keine Vorstellung.“

Tys Blick war die ganze Zeit bei Bay, während er gesprochen hat und geht jetzt zurück zu mir. Es ist merkwürdig, zu wissen, dass sie nicht weiß, wer vor ihr sitzt. Ich kenne sie so genau, dass ich die Gedanken aus ihren Augen lesen kann. Sie hat keine Ahnung, wer ich bin. Nicht mehr.

„Das wird wieder“, sage ich, weil ich ihre Unsicherheit spüre. „Das kann vorkommen. Dein Gehirn war stark geschwollen und hat geblutet. Einige Bereiche brauchen länger, um zu heilen. Dein Gedächtnis kommt sicher wieder.“

Sie sieht mich an, als würde ich ihr was vom Pferd erzählen.

Bay klopft mir auf die Schulter, spricht aber zu ihr. „Es wird hart werden. Aber hey. Es gibt nichts, was du nicht schaffst. Und wir werden dir helfen, Kleine. Ich verspreche es dir, so wahr ich hier stehe.“

Am Mittag kommen auch Bent und Cara wie von Bay vorhergesagt. Cara kann kaum reden, weil ihr die ganze Zeit Schluchzer im Hals stecken und auch mein sonst so souveräner großer Bruder hat tränenfeuchte Augen, als er Ty im endlich wieder richtig wachen Zustand sieht.

Ich erkläre ihnen, dass sie nicht weiß, wer wir sind, doch sie behandeln Tyree trotzdem ganz normal. Als würde mein Mädchen alles verstehen, was sie sagen und zu allem einen Meinung äußern. Man merkt ihr allerdings auch an, dass sie schnell die Konzentration verliert. Dann schweift ihr Blick ab und ihre Aura wird matt vor Müdigkeit.

„En“, holt Bent meine Aufmerksamkeit auf sich, als Ty wieder eingeschlafen ist. „Wenn das mit Tyree weiter so gut läuft ...“ Kurz sieht er unsicher aus. „Was hältst du davon, wenn du dich dann unseren Planungen anschließt?“

„Was meinst du?“ Er denkt doch nicht wirklich, ich lasse sie jetzt allein, nur weil sie wach ist. Gerade jetzt werde ich ihr nicht mehr von der Seite weichen.

„Wir müssen die weitere Verteidigung der Stadt planen. Und wir brauchen jeden Mann.“

„Pff. Ich bin doch nur ein normaler Einwohner der Stadt“, wiederhole ich Saids Aussage. „Kein Krieger. Was soll ich also mitplanen?“

„Du bist immer noch Ratsmitglied. Deine Meinung zählt.“

„Ich habe keine Meinung, Bent. Ganz ehrlich? Es ist mir scheißegal, was da draußen passiert.“ Ich tippe auf die Matratze des Bettes. „Das hier ist alles, was für mich zählt.“

Bents Blick wird düster. „Wirklich? Und was, wenn Ryél fällt? Dann ist auch das hier nicht mehr, Enyo! Ty ist immer noch eine Aleárth. Die Elfen, die hierherkommen, werden sie genauso tot sehen wollen. Was bringt es dir, an ihrem Bett zu sitzen, wenn du draußen kämpfen kannst, um ihr ein Leben zu ermöglichen.“ Er greift meinen Arm und packt fest zu. „En. Hör zu! Jetzt hast du wieder eine Chance auf ein Leben mit Ty! Aber du minimierst sie, wenn du hier sitzen bleibst!“

„Sie braucht mich aber!“

„Du verlässt sie doch nicht.“ Eindringlich schaut er mir in die Augen. „Du bist doch da, Bruder! Und noch wichtiger, du tust etwas, das euch beiden nützt! Komm schon!“

Ich wende den Blick ab und schaue stattdessen mein Mädchen an. Sie liegt in ruhigem Schlaf und hat keine Ahnung, was da draußen passiert. Ich habe auch keinen Plan, denn ich habe seit Monaten die Sonne nicht mehr gesehen. Ich war hier und habe bei Tyree gewacht.

„En“, kommt es nun leise von Cara. „Hilf uns. Hilf den Menschen draußen und sorge dafür, dass Ty eine Zukunft hat, die keine Gefahren mehr für sie birgt, wenn sie nur die Stadt verlässt.“

Ich schließe die Augen - alles für meine Ty - und nicke.

Einen Monat später

Mit großen Schritten nehme ich immer zwei Stufen auf einmal und komme dann auf dem Flur raus, der zu unserer Wohnung führt. Es ist noch immer die Gleiche wie damals. Ich hatte umziehen wollen, denn was dort geschehen ist, wollte ich nicht immer wieder vor Augen geführt haben. Aber die Therapeutin, die Ty jetzt betreut, meinte, es wäre besser, wenn sie in eine bekannte Umgebung kommt.

Ich habe die berechtigte Befürchtung, dass es zu viel für mein Mädchen wird und deshalb steht eine zweite Wohnung zu unserer Verfügung bereit. Auch auf diesem Flur, aber weiter vorn und ohne irgendwelche schlimmen Erinnerungen.

Heute soll Tyree das erste Mal wieder herkommen. Zwar hat sie keine Schmerzen mehr und auch die Physiotherapie schlägt gut an, aber sie ist noch lange nicht gesund genug, um komplett ohne ärztliche Behandlung zu sein, doch sie darf das Krankenhaus verlassen und sie hat mir klargemacht, dass sie hierher will.

Bis heute hat sie keine Ahnung, was passiert ist. Sie weiß nichts mehr. Ihr Gedächtnis ist noch nicht wiedergekommen, aber das könnte sich ändern, wenn sie in eine bekannte Umgebung kommt. Zumindest meinen die Ärzte das.

Weil Ty so vielleicht schneller wieder auf die Beine kommt, wird auch ein Heiler in unsere Etage ziehen. Da ich jetzt öfter an Ratssitzungen teilnehme, bin ich nicht immer da, um aufzupassen. Der Heiler wird also Tag und Nacht bereitstehen und aufpassen, dass alles so läuft, wie es soll.

Auf die Beine kommen, geht es mir durch den Kopf. Ty kann nicht laufen. Sie hat auch große Probleme beim Sprechen und überhaupt ist sie gerade auf jede Hilfe angewiesen. Ich sehe ihr an, dass sie das gewaltig stört.

Laut ihrer Therapeutin ist Ty mental komplett anwesend. Sie kann denken und verstehen, wie jeder andere auch, doch ihr Geist und ihr Körper harmonieren nicht. Sie will, doch sie kann nicht. Es tut mir weh, das zu sehen, denn ich spüre, dass es ihr zusetzt.

Meine Gedanken kreisen um all das, als die Tür vom Fahrstuhl aufgeht. Ich wende mich vom Fenster ab und sehe den Heiler, der Ty in ihrem Rollstuhl auf mich zu schiebt. Mein Lächeln bringt sie zum Lächeln, dann ist sie bei mir und ich geh in die Knie.

„Hey Kleine. Wie geht’s dir?“

Sie nickt und lächelt weiter, was mir sagen soll, dass es gut ist.

„Gehen wir rein? Willst du das wirklich?“

Ihr Lächeln verschwindet, doch sie nickt erneut. Sie weiß, dass etwas passiert ist, weil ich es ihr erzählt habe. Aber eben nur grob, damit sie weiß, warum ihre Situation so ist, wie sie ist. Die Details und das Baby habe ich ausgelassen. Es wäre zu viel geworden. Ich denke, sie hat es auch so verstanden. Jetzt schiebt der Heiler sie durch die Tür in unser Wohnzimmer. Ihr Blick fliegt durch den Raum, als würde sie etwas suchen.

„Ich muss noch mal kurz runter und meine Sachen holen“, gibt der Heiler an. „Bin in zehn Minuten wieder da. Dann machen wir Abendessen.“

„Okay“, stimme ich zu und er geht.

Ty sieht sich noch immer um. Ihre Stirn liegt in Falten.

„Möchtest du auf das Sofa?“, frage ich und deute auf das Sitzmöbel.

Ihr Blick folgt kurz meiner Geste, dann schaut sie mich an und schüttelt den Kopf.

„Gut. Hast du Durst?“

Wieder das Kopfschütteln.

„Müde?“

Erneut verneint sie es und wendet dann den Blick ab. Ihre Aura wird dunkel. Ty ist genervt.

Ich umrunde sie und gehe abermals vor ihr in die Knie. „Ty. Wir kriegen das hin. Bisher haben wir alles geschafft. Das hier wird auch wieder.“ Ich halte ihren Blick fest und ihre wunderbaren hellgrauen Augen huschen zwischen meinen hin und her. Auf der linken Pupille liegt ein leichter weißergrauen Schleier, der sich fast mit dem Grau ihrer Iris deckt. Noch ein Überbleibsel, dass uns immer an die vergangen Monate erinnern wird. Auf dem Auge wird Ty nie wieder richtig sehen können. Aber dieser kleine Makel nimmt ihr nicht einen winzigen Hauch an Schönheit.

Sie schnaubt missmutig und öffnet den Mund. „Aaich ...“ Ihre Augen schließen sich resigniert, womit sie mir den Blick ebenfalls verwehrt..

„Ty sieh mich an, bitte.“

Sie tut mir den Gefallen.

„Wir schaffen das! Du schaffst das! Und ich helfe dir. Okay?“

Ihre Schultern heben sich minimal, doch ihre Aura bleibt betrübt.