Tiara - Stefanie Worbs - E-Book

Tiara E-Book

Stefanie Worbs

0,0

Beschreibung

Tia hat alles verloren. In ihrem Leben gibt es nur noch die Kavallerie. Die Reiter sind nun ihre Familie, die sie um keinen Preis aufgeben will. Der Liebe hat sie abgeschworen, denn einen weiteren Verlust würde ihr Herz nicht ertragen. Doch der Hauptmann mit den eisblauen Augen, Ilkay, bringt ihre Pläne komplett durcheinander und wieder sieht Tia ihr Herz brechen, denn eine Beziehung ist ihnen verboten. Was können sie tun? Wie können sie zusammen sein? Er, der Hauptmann aus dem Osten und sie, die einfache Kavalleristin aus dem Westen. So viele Hindernisse stehen zwischen ihnen. Der Krieg, ihre Stellungen, ihre Herkunft, Tias eigener Schmerz und ihre Angst vor weiteren Verlusten. Kann die Liebe wirklich alles überwinden?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 481

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Prolog
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
Epilog
Bisherige Veröffentlichungen
Leseempfehlung

St. Worbs

Tiara

Tiara

Zwischen Ehre, Pflicht und Liebe

Teil der Wisteria Chroniken

Prolog

Ein atemberaubender Sonnenuntergang, ging es Tia durch den Kopf. Sie saß am Rand einer Klippe im Schneidersitz und ließ die letzten Strahlen der Sonne ihr Gesicht wärmen. Dies war der erste richtige Sommertag gewesen und endlich hatte sich die Stimmung in der Truppe gebessert. Die langen Ritte würden sich bald dem Ende zuneigen und sie freute sich riesig, auf ein richtiges Bett und gutes Essen.

Ihre Kavallerie ritt jetzt schon seit fast drei Wochen und Tia wurde es leid, immer auf den Hintern des Pferdes vor sich zu starren. Nicht, dass ihr nicht auch die Landschaft gefallen hätte. Sie liebte sie! Schließlich war es ihre Heimat. Doch es verdross sie, zu sehen, wie schwer noch immer die Schäden waren, die der letzte Ausbruch des Krieges angerichtet hatte.

Die Dörfer und Städte, durch die ihre Reiterei ritt, waren zumeist gänzlich zerstört. Ihre Einwohner lebten auf den Straßen oder in den Ruinen und an eine funktionierende Wirtschaft war nicht mal zu denken.

Es tat Tia in der Seele weh, diesen Menschen nicht helfen zu können. Die Kinder bettelten jedes Mal nach Essen und immer gab sie ihnen, was sie entbehren konnte, trotz dass es ihr verboten war. Die Reiter hatten strenge Rationen bekommen, doch Tia gab ihre lieber weiter, als das Elend der Kinder mit anzusehen.

Bald kann ich mehr tun, als nur Essen verteilen, dachte sie.Die westliche Kavallerie war auf dem Weg nach Osten ins Hauptlager nach Griza. Dort waren sie noch nie gewesen. Sonst lebten die Reiter in ihrem eigenen Hauptsitz im Westen des Landes Teneth und Tias Heimatstadt Lohven.

Im vergangenen Jahr war diese jedoch im Krieg zerstört worden. Die Ahen, die Feinde, hatten sie dem Erdboden gleichgemacht. Heute gab es nur noch das alte Heerlager und zwei große Gebäude, in denen die Kavalleristen wohnten und trainierten. Der Rest der Stadt war wie ausgestorben. Tia brannte das Herz vor Kummer, wenn sie an die Tage des Angriffs zurückdachte.

Sie hatte alle verloren. Ihr Vater war in der Schlacht um Lohven gefallen. Die Leiche ihres Bruders war nie aufgetaucht und ihre Mutter hatte Tia sterbend in ihrem Elternhaus vorgefunden. Fast keiner der Einwohner und nur einige der Kavallerie, sowie deren Gefolge hatten diese Schlacht überlebt. Tia eingeschlossen.

Dies war nun ihr erstes Jahr in der Einheit. Normalerweise wurden Frauen nicht eingezogen. Doch nach dem so unerwarteten Angriff der Ahen hatte man beschlossen, es ihnen einzuräumen für ihr Land zu kämpfen, wenn sie es wollten. Tia hatte sich sofort gemeldet und ritt seitdem mit 152 anderen in der letzten Reiterei des Westens.

Sie zogen durch ihr Gebiet und bekämpften jeden Feind, den sie erwischten. Gnadenlos und ohne ihnen eine Chance auf Reue zu geben. Das und der Umstand wirklich einmalige Kämpfer in der Truppe zu haben, machte die Westlichen zu einem gefürchteten Gegner.

Waren sie anfangs noch unerfahren und weniger bis gar nicht im Kampf erprobt, so hatte sich diese Tatsache im letzten Jahr erheblich gewandelt. Tia selbst, hatte sich zu einer der besten Bogenschützinnen der Einheit hochgekämpft und auch im Schwertkampf, machte ihr keiner etwas vor. Außer vielleicht ihre beste Freundin und ebenfalls Kavalleristin Tamara. Anfangs hatten einige der Einheit sie aufgezogen, doch die Männer hatten ihr auch schnell den nötigen Respekt gezollt.

Ihr Vater hatte seine Tochter früh in den Schwertkampf eingeführt, während Tias Bruder sie das Bogenschießen gelehrt hatte. Es war untypisch für Mädchen, so etwas zu können. Doch Tia hatte sich nie entmutigen lassen. Selbst ihre Mutter hatte sie immer unterstützt.

Sie wäre gern noch früher in die Kavallerie eingetreten, doch damals war es Mädchen nicht erlaubt gewesen zu kämpfen. So hatte sie als Page bei Tann, dem damaligen Offizier der Kavallerie, begonnen und war das erste und einzige Mädchen gewesen, damals. Heute gab es wesentlich mehr. Nach drei Jahren war sie zur Schildknappin ausgebildet worden und hatte sich dazu um die Pferde ihres Herren gekümmert. Auch die Erinnerungen an ihn schmerzten Tia.

Der Mann war ebenfalls in der Schlacht um Lohven gefallen und sie betrauerte seinen Verlust, wie den eines Familienmitgliedes. Er hatte sie ausgebildet, obwohl er von vielen dafür nicht nur belächelt, sondern insgeheim sogar verspottet worden war. Mädchen hatten nichts mit dem Heer zu schaffen. Sie gehörten in die Küchen der Häuser, um ihren Männern eine ordentliche Mahlzeit zu bereiten. Auch das beherrschte Tia gut. Denn neben all dem Jungenkram, den sie als Kind schon getan hatte, hatte ihre Mutter stets darauf geachtet, auch eine ordentliche Hausfrau aus ihr zu machen.

Nachdem Tod ihrer Familie und ihres Herren, war Tia zunächst planlos und verzweifelt gewesen. Doch nicht für lange. Der Krieg hatte so viele Opfer gefordert und die Truppen ihres Landes so stark dezimiert, dass schon ein paar Tage nach dem Fall Lohvens ein Aufruf gestartet worden war. Mädchen und Frauen ab 16 Jahren durften nun offiziell in das Heer eintreten.

Sie hatte sich die Tränen von den Wangen gewischt, war ohne zurückzuschauen aus den Ruinen ihres Elternhauses getreten und zur ehemaligen Burg gelaufen. Sie hatte nicht wahrgenommen, wie leer ihre Stadt gewesen war. Sie selbst war vor dem Angriff mit anderen Knappen zusammen im Außenlager der Kavallerie gewesen und hatte die Gangpferde beaufsichtigt, als der Angriff die Menschen überrascht hatte. So hatte Tia den Fall Lohvens nur von der Ferne mit angesehen.

Als es ruhig geworden war, war sie in die Stadt gerannt und hatte ihre Mutter gefunden. Timar, ein Unteroffizier, der überlebt hatte, hatte sie schließlich entdeckt. Doch es war ihm nicht gelungen, Tia von ihrer toten Mutter wegzubekommen. Erst spät am Abend kam er wieder und berichtete auch vom Tod ihres Vaters. Tia war fest davon überzeugt, ihr Bruder wäre noch am Leben, denn niemand hatte seinen toten Körper gefunden. Allerdings hatte ihn bis heute auch niemand lebend gesehen.

Sie hatte mit einem Schlag niemanden mehr gehabt. Nicht mal Tamara war zu finden gewesen und Tia hatte auch sie schon tot geglaubt. Verzweiflung war in diesen Stunden alles gewesen, was sie verspürt hatte.

Ihr derzeitiger Offizier war ein Ekel ohne Gleichen, doch er war mehr als fähig, die Reiterei zu leiten. Seine Anweisungen waren stets präzise und seine Pläne und Taktiken fehlerfrei. Ihm waren viele clevere Siege der Einheit zu verdanken.

Anfangs hatte er sich gegen die Frauen in der Kavallerie gestellt. Er hatte sie zwar aufgenommen, aber nicht eingebunden. Tamara hatte seine Einstellung geändert. Sie und Tia hatten darüber gestritten, wie unsinnige es sei, so gute Schwertkämpferinnen in den hinteren Reihen kämpfen zu lassen. Schlussendlich hatte Tamara Tia bei der Hand genommen und war zu Heras’ Zelt gegangen. Obwohl der Offizier es nicht gut geheißen hatte, wie Tamara ihn zurechtgewiesen hatte, hatte er zugestimmt, die Frauen beim nächsten Angriff vorn mitreiten zu lassen. Es hatte sich ausgezahlt, denn seitdem war die Truppe bei Angriffen gemischter und wesentlich besser aufgestellt.

Tias Mundwinkel hoben sich. Vom belächelten Pagenmädchen, zur besten Bogenschützin, der angesehensten Kavallerie des Landes. Sie hatte das alles allein geschafft und war stolz auf sich. Nur eines fehlte ihr.

Sie war siebzehn und damit im besten Alter zu heiraten. Das allerdings, würde ein unerfüllter Traum bleiben, denn mit Eintritt in die Kavallerie hatte sie der Liebe entsagen müssen. Es wäre nicht gut gegangen, hätte sie sich verliebt. Es war auch nicht gut gegangen, denn sie hatte es tatsächlich einmal getan. Diese Liebe hatte tödlich geendet. Kain hatte ihr das Leben gerettet und seines dabei verloren. Sechs Monate war das jetzt her. Es war keine Liebe auf den ersten Blick gewesen. Vielmehr eine Freundschaft, die sich entwickelt hatte. Doch Tias Herz hatte seit seinem Verlust ein weiteres Loch.

Sie hatte sich am Tag seiner Beerdigung geschworen, keinen Mann mehr in ihr Herz zu lassen. Nicht weil dieser es verletzen konnte, sondern weil der Krieg es tun würde. Solange er immer wieder aufflammte und nicht alle Feinde besiegt waren, würde sie ihr Herz für die Liebe verschließen. Zumindest für diese Art der Liebe.

Ihre andere gehörte der Kavallerie. Ihrer Einheit, ihren Mitkämpfern, ihren beiden Pferden. Sie steckte all ihr Herzblut in diese Aufgabe, denn es gab ihrem Leben einen Sinn. Was sonst hätte sie tun sollen? In der Ruine ihres Elternhauses hocken und weinen?

Das war nie Tias Art gewesen. Sie wollte ihr Land wieder in Frieden sehen und würde dafür sorgen, dass es geschah. Vor ihrem inneren Auge erschienen die Gesichter ihrer Eltern und das ihres Bruders. Sie würde die Feinde bezahlen lassen für diesen Verlust.

Ein Schatten legte sich über ihr Gesicht und sie öffnete die Augen. Der Horizont färbte sich dunkel und Wolken schoben sich vor die Sonne. Tia, strich ihre langen dunklen Haare hinter die Ohren, wischte sich die Träne von der Wange, die sich still und leise dorthin gestohlen hatte, und erhob sich. Hinter ihr scharrte Dohan im Gras und warf den Kopf herum. Er war ihr Zelter, ihr Gangpferd. Sie ritt zurzeit nur ihn, weil ihr Streitross Armar geschont werden musste. Dohans Zügel baumelten frei und Tia ergriff sie. Mit einem Satz saß sie auf und lenkte ihn zurück zum Zwischenlager.

Die Zelte und Kochfeuer kamen in Sicht, sie lächelte. In den letzten Tagen hatte sich eine gedrückte Stimmung aufgebaut. Die Reiter waren es nicht gewohnt, tagelang im Sattel zu sitzen und nichts zu tun zu haben. Doch jetzt, wo Griza nicht mehr weit war und die Tage endlich warm wurden, hob sich die Stimmung langsam wieder.

Dohan trabte wie von allein zu dem improvisierten Gatter, in dem die Pferde standen. Dort saß Tia ab und übergab seine Zügel an Hahna. Ihre kleine Knappin mit den langen sandblonden Haaren lächelte breit und führte ihn davon. Es dauerte nicht lange und Armar kam herangetrottet.

Das mächtige schwarze Streitross hatte einst ihrem Vater gehört. Er hatte dessen Ausbildung fast abgeschlossen, als der Angriff auf Lohven stattgefunden hatte. Tia hatte Armar in den Stallungen gesehen und natürlich wurde ihr der Anspruch zugestanden. Außerdem hätte ihn sowieso niemand anderes reiten können. Er war störrisch und neigte dazu, um sich zu treten, wenn ihm jemand zu nahekam. Nur Tia und seltsamerweise auch Hahna konnte sich ihm immer gefahrlos nähern. Was ebenfalls ein Grund war, warum sie das Mädchen als Knappin gewählt hatte. Dies und ihre Fähigkeiten mit dem Bogen hatten Tia beeindruckt. Armar senkte den Kopf, damit sie ihm seine abendlichen Streicheleinheiten geben konnte.

„Reitest du morgen mit mir?“, fragte jemand hinter ihr.

Tia erkannte Fin und wandte sich ihm zu. „Klar. Warum trägst du deine Rüstung?“ Sie musterte ihren Freund argwöhnisch.

„Ich bin dran“, antwortete er niedergeschlagen und meinte damit den nächtlichen Wachdienst. Die Wachen mussten immer voll gerüstet sein. Nur die Späher durften, angesichts ihres unauffälligen Auftrages, ohne Rüstung reiten. Alle Mitglieder der Kavallerie hatten stets in wenigen Minuten kampfbereit zu sein. Wobei die Wache die Front bildete.

Tia nickte. „Du hast getauscht.“

„Nicht freiwillig“, murrte Fin.

Sie lachte. „Hast du wieder eine Wette verloren?“

„Und wenn?“

„Du solltest damit aufhören. Du hast einfach kein Glück dabei.“

„Pech im Spiel, Glück in der Liebe“, sagte er und grinste.

Sie drehte sich wieder zu Armar. „Fin, lass das endlich.“

Sie wusste, dass er sie mochte, und sie wusste, dass er mehr wollte, als nur ihre Freundschaft. Doch er wusste ebenso, dass sie nicht bereit dafür war. Fin war der freundlichste und liebste Mann, den Tia kannte und durchaus attraktiv. Er überragte sie um gut anderthalb Köpfe und war, dank täglichen Trainings, auch mehr als nur ansehnlich gebaut. Seine himmelblauen Augen strahlten immer, wenn er sie ansah und sein Lächeln konnte Eisberge schmelzen lassen. Trotzdem war es einfach nicht der richtige Zeitpunkt und er wusste es. Sie hatte es ihm offen gesagt und er akzeptierte es. Auch wenn sie es nicht wollte, Fin wartete dennoch auf sie. Wartete auf die richtige Zeit und den richtigen Ort. Sie spürte seinen Blick im Rücken, doch er sagte nichts weiter.

„Fin komm schon, es wird Zeit!“, brüllte Quin über das Feld. Tia lauschte seinen Atemzügen. Er wollte noch etwas sagen, verkniff es sich aber. Sie warf einen Blick über die Schulter, er hatte sich gerade abgewandt und lief nun davon. Tia holte tief Luft, hielt sie kurz an und stieß sie wieder aus.

Auf der einen Seite hatte sie Fin furchtbar gern. Er war ihr bester Freund und darüber hinaus, ihre rechte Hand im Kampf. Auf ihn war einfach immer Verlass. Sie hatte Angst, ihn irgendwann mit ihrer Zurückweisung davonzujagen. Denn auf der anderen Seite empfand sie es als anstrengend, ihn immer wieder daran erinnern zu müssen, dass sie keine Beziehung wollte.

Fin war schon vor Kain, an ihrer beider Seite geritten. Er war sogar Kains engster Freund gewesen. Doch erst ein paar Wochen nach dessen Tod hatte er angefangen, Tia näherzukommen. Sie hatten vorher schon miteinander gesprochen, aber richtig eng war es erst geworden, als beide gemeinsam trauerten.

Sie ließ die Hände sinken und stützte sich kurz an einem der Holzpfosten ab, die den Strick hielten, welcher wiederum die Weide abgrenzte. Dann schüttelte sie den Kopf und machte sich auf den Weg zu ihrem Zelt. Tamara hockte davor und kochte Wasser in einem kleinen Kessel über dem Feuer. Fünf Zelte waren im Kreis darum aufgebaut. Eines davon gehörte den beiden Mädchen.

„Setz dich, das Wasser ist gleich heiß. Ich habe frische Kräuter gefunden“, ließ ihre Kameradin sie wissen.

„Danke.“ Tia ließ sich neben ihr ins Gras fallen und schaute gedankenverloren im Lager herum.

„War Fin bei dir?“, wollte Tamara wissen.

„Ja gerade eben.“

„Er war echt frustriert, oder?“

„Ein bisschen vielleicht. Aber er ist auch selber schuld. Er und seine Wetten.“

„So sind Männer nun mal. Allerdings glaube ich, war er eher genervt, weil er nicht hier sein kann.“

„Wache schieben und hier sein geht nun mal nicht.“

„Tia.“ Tamara verdrehte die Augen.

„Was denn?“

„Du weißt genau, was ich meine.“ Natürlich wusste Tia es. Am nächsten Tag war ihr Geburtstag und Fin wollte mit den beiden Mädchen reinfeiern. Daraus wurde nun nichts.

Sie sah ihre Freundin an. „Tja, wie gesagt, er ist selber schuld.“

„Du bist echt stur, weißt du das? Fin ist so ein netter Kerl und du weist ihn ständig ab.“

„Und du weißt so gut wie er, warum.“

„Willst du ewig allein bleiben?“

„Habe ich das je behauptet?“

Tamara sah sie scharf an. „Nein. Aber du gibst dir auch nicht gerade Mühe.“

„Tam! Hör auf. Du weißt, dass ich das nicht noch mal durchmachen will. Ich habe genug Menschen in diesem Krieg verloren. Wenn er vorbei ist, dann ...“

„Wenn er vorbei ist ... Was wenn er nie vorbei ist? Oder nicht in deinem Leben? Was wenn du fällst?“

„Dann ist das so. Wenn ich falle, muss mich wenigstens keiner betrauern. Ich wünsche das niemandem.“ Ein Kloß setzte sich in ihrer Kehle fest und Tamara sagte nichts mehr. „Ich gehe schlafen.“ Sie erhob sich, ohne ihren Tee angerührt zu haben, und ging ins Zelt. In voller Montur ließ sie sich auf ihr Lager sinken. Die Geräusche der anderen draußen beruhigten Tias aufgewühlte Gedanken. Trotzdem fand sie erst spät in der Nacht in den Schlaf.

Irgendwann war auch Tamara ins Zelt gekommen. Tia wusste, dass sie noch bei Imar gewesen war. Die beiden waren das absolute Traumpärchen und er war der Grund, warum Tamara ihr unbedingt eine Beziehung aufschwatzen wollte. Sie war glücklich und wollte, dass ihre beste Freundin es auch war. Selbst wenn die es nicht wollte.

Der laute Weckruf des Hornbläsers schallte durchs Lager. Tia hatte kaum geschlafen, war aber trotzdem sofort wach. Ihr fehlte die Auslastung der Kämpfe. Sie hatte zu viel Energie, die sie nicht abbauen konnte. Ein paar mehr Übungseinheiten würden ihr guttun, doch für den Moment würden diese warten müssen. Zwei Tage hatten sie pausiert, um die Pferde ausruhen zu lassen und ihre Vorräte aufzustocken. Heute ging die Reise weiter.

Tia stand auf und trat aus dem Zelt. Viele Reiter waren schon dabei, ihre Sachen zu packen. Die Feuerstelle glühte noch, also nahm Tia zwei Becher, füllte sie mit Wasser und Kräutern und stellte sie in die Glut, dann ging sie zurück ins Zelt. Tamara hatte das Horn gewollt überhört und sich in ihren Decken vergraben. Tia rüttelte sie sanft und lächelte, als ihre Freundin murrte.

„Das kommt davon, weil du nachts nicht schläfst.“ Tia grinste und machte sich daran, ihre Sachen zu packen.

„Dafür habe ich wesentlich mehr Spaß als du“, gab ihr Tamara zurück und stand jetzt ebenfalls auf. „Alles Gute zum Geburtstag, übrigens.“ Auch sie grinste und rieb sich die Augen.

„Danke.“ Tia schenkte ihr ein Lächeln, während sie ihre Habseligkeiten einsammelte. Sie nannte nicht viel ihr Eigen. Ein kleines Bündel mit Sachen und ein winziger Lederbeutel mit persönlichen Dingen. Darunter die Halskette ihrer Mutter und ein Ring ihres Vaters. Sie trug beides nicht, behielt es aber gut verwahrt bei sich. Gerade hatte sie ihr Schlaflager zusammengerollt, als es am Zeltpfosten klopfte.

„Ja?“, rief sie fragend nach draußen.

„Wir kommen wegen eurer Sachen“, schallte eine tiefe Männerstimme herein.

„Wir sind gleich fertig“, antwortete Tia und warf Tamara einen nun mach schon - Blick zu. Ihre Freundin verdrehte die Augen und beeilte sich etwas mehr, ihre Sachen zu packen. Tia schnappte sich ihr Bündel und ging hinaus. Draußen standen Henn und Woran mit zwei Packpferden. Woran nahm ihr das Bündel ab und machte sich daran, es einem der Pferde auf den Rücken zu schnallen.

„Tamara hat wieder verschlafen, was?“, fragte Henn derweil und grinste breit.

„Du kennst sie doch.“ Tia grinste zurück und bückte sich, um den Tee aus der Glut zu holen. Sie reichte Tamara einen Becher, als sie endlich aus dem Zelt trat. Henn nahm auch ihr die Sachen ab und band sie an das zweite Pferd, während Woran begann, sich am Zelt zu schaffen zu machen.

Eine richtige Rangfolge, bis auf Heras und seine zwei Unteroffiziere, gab es in der Kavallerie zwar nicht, doch wer zuletzt kam, musste helfen, das Lager auf- und abzubauen. Henn und Woran waren zwei der letzten zehn gewesen. Sie hatten sich in Jolan der Reiterei angeschlossen und Tia mochte beide gern.

Überhaupt war es in der Einheit mittlerweile sehr harmonisch, was nicht zuletzt auf die Mischung zurückzuführen war. Tia hatte schon ganz andere Situationen erlebt. Damals, als sie noch Knappin in Lohven gewesen war, war es an der Tagesordnung gewesen, dass die Männer untereinander Machtspielchen gespielt hatten. Sicher, es gab auch heute noch Scharmützel, doch alles in allem waren sie eine eingeschworene Truppe, die sich zwar mal kabbelte, aber in der sich jeder auf jeden verlassen konnte.

Meine Familie, dachte Tia und beobachtete dabei lächelnd, wie Henn und Woran sich mit den Zeltstangen duellierten.

„Beeilt euch!“, befahl eine harte Stimme hinter ihr. Sie straffte sich, wandte sich um und grüßte Heras mit einem Nicken. Er erwiderte den Gruß steif, warf noch einen tadelnden Blick zu den beiden jungen Männern und ritt weiter. Killian folgte ihm.

Der zweite Unteroffizier wurde langsamer, als er an Tia vorbeikam. „Geh lieber und kümmer dich um Armar. Er ist heute nicht gut drauf.“

Sie nickte und Killian ritt weiter. Den Rest ihres Tees sie schüttete in die Glut und verabschiedete sich mit einem Winken von den beiden betreten dreinschauenden Jungs und Tamara.

Armar stand unweit von Hahna, die Dohan bereits an den Zügeln hielt. Die Knappin sah mürrisch aus. Heute hatte sie offensichtlich kein gutes Händchen für das Streitross gehabt.

1

Die Mittagssonne brannte ihnen auf die Köpfe, obwohl sie versuchten, so gut es ging am Waldrand, im Schatten zu reiten. Die Hitze hatte viele dazu verleitet, ihre leichten Rüstungen abzulegen oder locker zu tragen. Nicht jedoch Tia. Ihr war genauso heiß wie allen anderen, doch sie verbot es sich, nachlässig zu werden. Lediglich Dohan und Armar hatte sie die schweren Satteldecken abgenommen und Armars Rüstzeug lag auf einem Karren weiter vorn.

Der Hengst hatte sich vor Kurzem in einem Gefecht einen Nageltritt eingehandelt. Ihr Schmied hatte ihn zum Glück sofort entdeckt und die Heiler behandelten die Verletzung, doch reiten wollte Tia das schwere Streitross vorerst nicht. Es gab Ersatzpferde für den Fall eines Einsatzes.

Armar war seit dem Vorfall unleidlicher als sonst. Was auch ein Grund für seine frühmorgendliche Sturheit gewesen war. Jetzt trottete er hinter Tia her, sein Führstrick, der an Dohans Sattel festgebunden war, hing locker durch. Hahna fuhr auf dem Karren der Knappen mit und spielte lachend Karten. Sie war gerade erst zehn geworden. Tia sah in ihr die kleine Schwester, die sie nie gehabt hatte. Mit ihr hatte sie einen wirklich guten Fang gemacht.

„Schönes Wetter heute.“ Fin war herangeritten und grinste sie von der Seite an.

„Ja, stimmt.“ Tia lächelte zurück.

„Und du bist trotzdem noch im Dienst?“

„Ich bin immer im Dienst, Fin.“

Er grinste breiter und wandte den Blick ab. Auch er hatte seine Rüstung gelockert. Doch sie bemerkte zufrieden, dass es ihn nicht behindern würde, wenn es zum Kampf kam. Zwei Handgriffe und sie Teile saßen wieder fest.

„Wie war die Wache?“, wollte sie wissen und hielt den Blick dabei auf sein Gesicht gerichtet. Er verzog es wie erwartet und sie grinste. „So schlimm?“

„Nicht schlimm. Eher langweilig.“ Fin schwieg kurz. „Ich will mich ja nicht beschweren, aber seit wir aus dem Ärgsten raus sind, ist es mir irgendwie zu still. Es macht mich irre, nichts zu tun zu haben.“

„Wem sagst du das.“ Tia seufzte. „Ich bin so ausgeruht, ich könnte drei Tage durchmachen.“

„Vielleicht sollten wir das tun, wenn wir in Griza sind. Ich hab, gehört dort gibt es einige legendäre Schänken.“ Er zwinkerte ihr zu.

Auch Tia hatte davon gehört, doch was er als legendär bezeichnete, waren für sie einfach Freudenhäuser. „Ehm. Nein danke. Ich denke von dieser Art Schänken, werde ich mich lieber fernhalten.“

Er lachte. „Ist ja gut. Also keine speziellen Orte. Dann eben das Normale. Kann ja auch reizvoll sein.“ Wieder lachte er und Armar ruckte am Führstrick. Fin sah sich um, als Dohan dadurch ebenfalls kurz ins Stocken geriet. „Er hat schlechte Laune, oder?“

„Ja, sein Huf macht ihm noch zu schaffen. Am liebsten würde ich ihn gar nicht laufen lassen, aber was soll ich tun?“

„Nichts. Die Heiler machen, was sie können und es ist ja nicht mehr weit. Im Lager kann er ausruhen.“

„Ich bin gespannt, was der General genau von uns will“, überlegte Tia laut.

„Was immer es ist. Als Erstes wird gefeiert.“ Fin lenkte sein Pferd näher an Dohan und legte ihr eine Hand aufs Bein. Er beugte sich zu ihr und sie ließ den kleinen Kuss auf die Wange zu. „Alles Gute zum Geburtstag.“ Er grinste und entfernte sich wieder ein Stück.

Sie schenkte ihm ein Lächeln und schüttelte den Kopf. Verrückter Kerl.

Die Hauptstadt kam zwei Tage später endlich in Sicht. Armar lahmte immer stärker, was Tia zwang, der Kavallerie hinterher zu reiten. Fin blieb bei ihr und Woran wurde als zusätzliche Wache abgestellt. Heras gefiel das überhaupt nicht, aber er wollte und konnte weder sie noch ihr Pferd verlieren. Also musste er sich fügen.

Die kleine Gruppe erreichte das Hauptlager als letzte. Alle anderen hatten sich bereits versammelt und warteten in Formation auf weitere Befehle. Die Zeit der Müßigkeit war vorbei. Im Lager von Griza herrschte endlich wieder die gewohnte Ordnung. Auch wenn es ganz schön war, mal nicht ständig Befehle zugebrüllt zu bekommen, war dies hier doch viel mehr Tias Welt. Ordnung und klare Anweisungen.

Sie reihte sich in die Formation an der ihr zu geordneten Position ein und wartete ebenfalls. Ihr Platz lag in zweiter Reihe bei den Bogenschützen, neben sich Tamara, hinter sich Fin. Armar hatte sie bei Hahna gelassen. Das Gefolge der Kavalleristen hatte sich hinter der Einheit aufgebaut. Ebenfalls nach Zugehörigkeit geordnet. So konnte jeder seinen Knappen schnell heranrufen, wenn es nötig wurde, und das ganz ohne großen Aufruhr.

Der Abend war bereits hereingebrochen, doch niemand schien sich um sie kümmern zu wollen. Tia ließ den Blick über den Teil des Lagers schweifen, den sie von hier aus sah. Vor sich konnte sie mehrere große und befestigte Zelte ausmachen. Es mussten die Kommandozelte sein. In allen war Licht entfacht worden. Links hinter sich sah sie mehrere kleinere Zelte. Auch dort brannte Licht und Schatten im Inneren glitten über die Stoffbahnen.

Vielleicht die Küchen?

Ein breiter, festgetretener Weg zur linken Flanke, führte zu einem Durchgang. Eine hohe Holzwand aus dicken Stämmen trennte dort den nächsten Bereich ab. Zur rechten Flanke sah Tia, wie der Weg zur Stadt hineinführte. Alles in allem fand sie das Hauptlager nicht sehr groß. Doch es konnte täuschen. Hinter der Holzwand ging es sicher noch ein ganzes Stück weiter.

Leichter Regen setzte ein und Tia sah sich nach Hahna und Armar um. Ihre Knappin hatte schon auf die ersten Tropfen reagiert und dem Streitross eine Plane übergeworfen. Das Mädchen stand dicht neben ihm, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Sie fing Tias Blick jedoch auf und winkte ihr zu.

„Wie lange wollen die uns warten lassen? Wissen die nicht, wo wir herkommen?“, murrte Fin hinter ihr. Tia wandte ihm den Blick zu und grinste, sagte aber nichts. Während der Regen stärker wurde und die Reiter langsam aber sicher durchnässte, bemerkte sie, wie immer wieder andere Soldaten an ihnen vorbeiliefen und ihnen prüfende Blicke zu warfen. Unweit der letzten Reihe hatte sich eine Gruppe versammelt und beobachtete das Geschehen. Nur geschah nichts.

Heras war mit seinen Unteroffizieren in einem der großen Zelte verschwunden und seitdem standen sie hier in Reihe und Glied und warteten gehorsam still. Ab und zu tuschelten die Kavalleristen leise untereinander. Aber es waren immer nur kurze Wortwechsel. Die Pferde standen ebenso ruhig. Niemand brach aus, niemand verließ die Formation, alle hatten ihre Rüstungen und Waffen angelegt, kampfbereit.

Ungemeiner Stolz stieg in Tia auf. Die Disziplin und der damit einhergehende Ruf ihrer Reiterei war eines der Dinge, die ihnen vorauseilte. Jeder der von der Kavallerie des Westens sprach, kam nicht umhin zu bemerken, welche Beherrschung sie an den Tag legten. Selbst die Gefolgschaft hielt sich an dieses Verhalten. Auch sie standen geordnet hinter den Reihen der Reiter und warteten geduldig auf neue Befehle.

Endlich rührte sich etwas im Zelt vor ihnen. Timar trat heraus und hielt Heras die nasse Plane aus dem Weg. Ihr Hauptmann, gefolgt von Killian, kam und ihm folgten drei weitere Männer. Alle in tadelloser Montur, aber nicht voll gerüstet. Tia musterte einen nach dem anderen, während die Männer mit Heras die vorderste Reihe abschritten und sich unterhielten.

Der Mann, mit dem ihr Hauptmann sprach, war leicht untersetzt, aber kräftig. Sein langes Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden und hatte einen dunklen Glanz. Er wirkte betagt, doch sein Schritt war fest. Hinter ihnen liefen die zwei anderen unbekannten Männer. Den einen konnte Tia nicht genau sehen, denn er wurde von dem Untersetzten verdeckt. Der andere war hager und hochgewachsen. Er trug einen dunklen Umhang und sein Blick flog unruhig über die Kavallerie. Timar und Killian folgten der kleinen Gruppe schweigend. Die Reiter hatten sich gestrafft, als sie ihren Offizier hatten kommen sehen und niemand sprach mehr oder rührte sich auch nur. Alle folgten der Gruppe Männer nur mit den Blicken. Als sie auf Tias Höhe ankamen, konnte sie auch den anderen Mann sehen, der vorher verborgen gewesen war.

Sein Haar war dunkel, kurz geschnitten und schon vom Regen durchnässt. Trotzdem standen ein paar Spitzen oben ab, was ihm ein verwegenes Aussehen gab. Ein Schatten lag auf dem unteren Teil seines Gesichts. Er war fast ebenso groß gewachsen wie Fin und trug eine leichte Rüstung. Allerdings keine Waffe.

Tia überlegte gerade, ob er vielleicht ein Schwertkämpfer war - seine Statur bekräftigte es -, als er den Blick hob und direkt in ihre Richtung sah. Eisblaue Augen trafen durch die Dämmerung auf ihre rehbraunen und Tia holte unwillkürlich tief Luft. Unfähig den Blick abzuwenden, hielt sie den Atem an. Ihr Herz schlug schneller und pochte fast schmerzhaft gegen ihren Brustkorb. Dohan bemerkte ihren Stimmungswechsel sofort und wurde unruhig. Sie zwang sich, auszuatmen, und den Blick von den Augen des Mannes abzuwenden. Entgegen ihrer Ausbildung brach sie kurz ihre Disziplin, um ihrem Pferd beruhigend über den Hals zu streicheln. Sie konnte es nicht riskieren, dass er durchging.

Als sie den Blick wieder hob, ruhten die eisblauen Augen noch immer auf ihr. Dohan stand wieder ruhig und Tia konzentrierte sich auf ihre eigene Ruhe. Ihr Herz schlug immer noch heftig. Da lächelte der Mann amüsiert und schaute weiter der Reihe nach allen Reitern ins Gesicht, als wolle er sich jedes einzelne genau einprägen.

Tamara hüstelte leicht und Tia warf ihr einen fragenden Blick zu. Ihre Freundin grinste frech, was Tia nur mit einem tadelnden Blick quittierte. Sie schüttelte den Kopf und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder nach vorn.

Die Gruppe Offiziere brauchte eine halbe Ewigkeit für den kurzen Marsch an der Einheit entlang. Schließlich standen sie am anderen Ende und unterhielten sich noch immer. Tia begann, zu frösteln, denn mittlerweile drang die Nässe ungehemmt durch ihre Kleidung. Die wärmende Sonne war längst verschwunden und einige der Pferde wurden unruhig. Der Mann mit den Eisaugen sprach kurz mit Heras und schritt dann erneut die erste Reihe ab. Tias Herz begann abermals zu rasen, als er auf ihrer Höhe ankam. Doch diesmal beherrschte sie sich besser und Dohan bekam nichts von ihrer Aufregung mit. Was war nur los mit ihr?

Wieder blieb der Mann stehen und ließ den Blick quer durch die Reihen gleiten, als suche er nach etwas. Seine Augen fanden es. Tia. Erneut trafen sich ihre Blicke und ein zufriedenes kleines Lächeln stahl sich auf seine Züge. Neben ihr feixte Tamara leise aber hörbar. Der Mann trat an Woran vorbei, der in der Formation vor Tia stand und hielt bei ihr an, sein Blick blieb die ganze Zeit auf ihren gerichtet. Dann senkte er ihn und musterte sie unverhohlen. Es war allerdings nicht anzüglich. Eher neugierig. Sein Blick glitt über ihre Rüstung und die Waffen, die sie trug.

Dohan schnaubte, als er eine Hand hob und sie ihm auf die Nase legte. Der Mann umrundete das Pferd ein Mal. Aus dem Augenwinkel konnte Tia sehen, dass er den Bogen bemerkte, den sie auf dem Rücken trug und das Schwert an ihrer Seite. Sie wusste, sie wirkte qualifiziert, auch wenn sie sich gerade nicht so fühlte. Alles was sie trug, war in tadellosem Zustand, wie bei jedem anderen der Reiterei. Trotzdem kam sie sich in diesem Moment vor, wie ein Neuling, der eine Prüfung bestehen zu bestehen hatte. Der Mann kam auf Dohans rechter Flanke wieder nach vorn, den prüfenden Blick auf dessen leichte Rüstung gerichtet. Auch wenn Dohan nur ein Zelter war, war er ebenso für kleinere Schlachten geeignet und musste bereit sein.

Tia schaute nicht zu dem Mann hinunter. Ihre Disziplin gebot es ihr, den Blick nach vorn gerichtet zu halten. Außerdem war er offensichtlich ranghöher als sie. Trotzdem zuckte sie leicht zusammen, als sich eine warme Hand auf ihre an den Zügeln legte. Sie wusste, wie kalt ihre Hände waren, immerhin versuchte sie seit einer geschlagenen halben Stunde, ihr Zittern einzudämmen. Doch bis auf dieses leichte Zucken ließ sie sich nichts anmerken. Ein Blick aus dem Augenwinkel zeigte ihr, wie der Mann sich stirnrunzelnd umsah. Sein Blick huschte über die umstehenden Kavalleristen, die mit Sicherheit nicht besser aussahen als sie selbst. Durchnässt und frierend, wie sie alle da standen.

Erneut glitt sein Blick zu ihr hoch. Dann wandte er sich ab und ging schnellen Schrittes zurück zu der Gruppe Offiziere. Er unterbrach das Gespräch, das offenbar nicht mehr militärischer Natur war und Heras nickte Killian zu. Dieser trat zurück, sein Knappe reichte ihm die Zügel seines Pferdes und er saß auf. Allerdings sichtlich steifer als sonst. Auch ihm saß die Kälte in den Knochen. Ein Nicken zum Ersten in der Reihe genügte und der folgte ihm. Der Rest tat es ihm nach. Geordnet und wie am Faden gezogen, bildete sich eine Zweier-Reihe hinter dem Unteroffizier. Tia reihte sich ein, Tamara neben sich.

„Wow Tia. Der war heiß!“, erklärte ihre Freundin.

„Das war er tatsächlich. Im wörtlichsten Sinne“, scherzte sie, denn seine Hand war, im Gegensatz zu ihrer, wirklich angenehm warm gewesen.

Tamara verstand es natürlich, wie sie es wollte. „Der wäre doch was für dich, oder?“

Tia sah sie verwirrt an. „Du hast schon bemerkt, dass er Hauptmann ist?“

„Ja und?“

Sie schüttelte den Kopf. Tamara wusste natürlich, dass es verboten war, mit jemanden eines solchen Ranges etwas anzufangen. Wenn es auch sonst nicht viele Regeln gab, die die Frauen und Männer trennten, dies war eine und ihre Verletzung wurde hart bestraft.

Tia konnte das nachvollziehen. Sie hatte schon erlebt, welche Probleme aufkommen konnten, wenn zum Beispiel ein Offizier mit einer Frau ins Bett ging, die einfache Reiterin war. Neid, Verachtung, Spott und Missgunst - nicht nur der anderen Frauen des Heeres - waren die Folge. Und diese Dinge waren die harmlosesten. Gerade als Frau war es schwierig, denn alle sahen nur noch die Gespielin des Mannes in ihr und nicht mehr die Kriegerin. Egal wie gut sie war, ihr Ruf war zerstört. Viele hatten deswegen das Heer verlassen, um bei ihrem Mann bleiben zu können oder dem Gerede zu entfliehen. Um zu vermeiden, dass zu viele gute Kämpferinnen gingen, hatte man diese Vorschrift ins Leben gerufen. Wer eintrat, unterwarf sich ihr.

„Ach Tia. Du wirst einsam sterben“, seufzte Tamara theatralisch.

Und wenn, muss wenigstens niemand um mich trauern. Tia sah sich nach Fin um, der hinter ihr ritt. Er hatte das Gespräch mitbekommen und sein Gesicht war eine seltsame Mischung aus mürrisch und nachdenklich. Sie wandte den Blick wieder nach vorn.

Killian führte die Reiter durch das große Tor und jetzt konnte Tia auch den dahinterliegenden Teil begutachten. Wirkte das Lager von den Kommandozelten aus gesehen eher klein, so täuschte dieser Eindruck gewaltig. Eine riesige Zeltstadt, mit zum Teil befestigten und zum Teil normalen Zelten, breitete sich links und rechts ihrer Formation aus.

Die rechten Zelte waren größtenteils Wohnzelte. Die linken wirkten eher wie Gruppenzelte. Die Kavallerie durchquerte das komplette Lager. Weit rechts hinten war ein großer, freier Platz geschaffen worden. Bogenschießanlagen und Schwertkampfplätze waren hier angelegt, neben diversen Gerätschaften für Körpertraining. Vor alldem lag ein mächtiger Reitplatz. Auch dort konnte Tia Übungsgeräte ausmachen.

Sie bogen nach links in eine Wohnzeltstadt ab und kamen im hinteren Teil auf einer mehr als ausreichend großen Fläche zum Stehen. Killian gab den Befehl zum Absitzen und Lager aufbauen. Froh, sich endlich aufwärmen zu können, kamen alle dem Befehl sofort nach. Das Gefolge kümmerte sich um die Tiere. Für die Pferde war bereits eine Koppel abgezäunt worden und so mussten die Knappen sie nur absatteln und warmstellen. Mehrere Holzgebäude dienten als Stallungen und Tia war beeindruckt, als sie eine betrat.

352 Pferde zählte ihre Einheit und jedes Tier hatte eine eigene Box bekommen. Hahna hatte Tia aufgesucht, um ihr zu berichten, wo sie Armar und Dohan finden konnte. Nachdem die Zelte standen, die Feuer entfacht waren und sie alle trockene Sachen trugen, hatten sie begonnen, sich einzurichten. Niemand verließ den Platz, denn jeder hatte Angst, sich in diesem riesigen Lager und in der Dunkelheit zu verlaufen.

Tia stand jetzt bei Armar und beobachtete den Heiler, der sich um seinen Huf kümmerte. Dohan hatte den Kopf durch die Öffnung zwischen den Boxen gesteckt und schaute ebenfalls genau zu, was da mit seinem Freund geschah.

„Der Tritt hat eine leichte Entzündung gebildet. Ich werde den Schmied holen, wir müssen den Huf stärker behandeln“, ließ der Mann sie wissen.

Tia nickte. „Wie lange wird die Heilung brauchen?“

„Ich weiß nicht genau. Sobald der Schmied da ist, berate ich mich mit ihm. Ich werde es Euch wissen lassen.“

„Ich danke Euch.“

„Tia?“ Timar kam in den Stall und winkte sie zu sich.

„Ja?“

„Du sollst zu Heras kommen.“

„Hab ich was angestellt?“

Timar grinste. „Nein, komm einfach mit.“

Sie folgte ihm nach draußen. Der Regen war wieder in Nieseln umgeschlagen und weiter am Horizont konnte sie Sterne zwischen den Wolkenfetzen ausmachen. Heras wartete in seinem Zelt. Timar hielt ihr die Plane auf und Tia trat ein.

„Hauptmann“, grüßte sie ihn und nahm Haltung an.

„Tiara. Gut. Du musst mich begleiten, aber vorher brauche ich eine ehrliche Antwort von dir.“

Sie runzelte fragend die Stirn. „Natürlich.“

„Ich weiß, dass du einen guten Überblick über die Einheit hast. Wer welche Fähigkeiten hat uns so weiter. Ich möchte deine Einschätzung dazu, wer der beste Schwertkämpfer ist. Neben dir natürlich.“

Ein Lächeln stahl sich in ihre Züge, wegen des Kompliments und sie überlegte kurz. Eigentlich war es klar. Tamara und Fin waren die Besten. Und das nicht nur, weil sie ihre engsten Freunde waren.

„Tamara und Fin“, antwortete sie laut.

„Ich brauche einen. Wer ist besser?“

Wieder überlegte sie. Fin war der Ruppige. Sehr gut im Austeilen und Blocken, doch Tamara hatte durch ihren schlanken Körperbau Vorteile, was die Schnelligkeit anging. Sie ging überlegter vor.

„Tamara“, sagte sie schließlich.

„Gut. Ich lasse sie holen. Du kommst mit mir.“

„Wohin?“

„Zum General.“

Tias Augen wurden groß. „Ja. Ich zieh mich nur um.“

Heras musterte sie kurz, dann sagte er: „Musst du nicht. Es wird nicht lange dauern und ich weiß, dass deine Freunde noch was mit dir vorhaben.“ Er lächelte wissend. „Alles Gute noch nachträglich zum Geburtstag.“

Tia wurde rot. „Danke“, stotterte sie. Das Ekel konnte ja richtig nett sein.

„Jetzt komm. Es wird Zeit.“

Sie folgte ihm hinaus. Zu Pferd war ihr der Weg schon lang vorgekommen. Zu Fuß dauerte er noch länger. Endlich kam das Zelt des Generals in Sicht und Heras betrat es vor ihr.

2

Im Zelt war es warm, denn ein kleiner Ofen in der Ecke, strahlte eine angenehme Wärme aus. Heras ging zu einem großen Tisch in der Mitte und baute sich davor auf. Tia blieb mit Timar im Rücken neben dem Eingang stehen. Ihr Blick glitt durch das Zelt und erfasste die Lage. Es waren nicht viele Leute anwesend. Zwei Wachen, sie standen links und rechts in den hinteren Ecken. Vor ihnen konnte Tia Männer ausmachen. Ob es die waren, mit denen Heras vorhin schon gesprochen hatte?

Ihr Herz begann wieder zu klopfen, als sie an den Mann mit den Eisaugen dachte. Sie sah ihn nicht. Heras breiter Rücken verdeckte einige der Anwesenden halb. Doch dann drehte er sich zur Seite und winkte sie heran. Sie trat auf ihn zu und plötzlich war die Wärme im Zelt Hitze. Da stand er, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, den Kopf leicht gesenkt und musterte sie abermals lächelnd. Der Schatten auf seinem Gesicht stellte sich im Licht als Dreitagebart heraus. Seine Haare waren wieder fast trocken. Oben am Kopf standen sie wirr ab, während die kürzeren Seiten nach hinten gestrichen waren. Tia zwang sich, keine Miene zu verziehen, und nickte jedem zu, den Heras ihr vorstellte.

„Das sind General Utah, er führt dieses Lager.“ Er deutete auf den untersetzten, Großen. „Sein erster Offizier Ilkay, er hat die Kavallerie und das erste Bataillon Fußsoldaten unter sich.“ Heras’ Hand schwenkte zu dem Mann mit den Eisaugen. Zum Schluss deutete er auf den dritten, hageren und Großgewachsenen. „Und dieser Herr ist Ploth, Meister der Kahn.“

Tia, deren Aufmerksamkeit bei Ilkay kurz hängen geblieben war, schaute verdutzt zu dem Mann auf den Heras als Letztes gewiesen hatte. Meister der Kahn? Ihr fragender Blick ging zurück zu Heras und er antwortete darauf.

„Ploth hat dreizehn Kahn unter sich. Sie stammen aus allen Teilen des Landes. Keine Sorge, alle sind uns wohlgesonnen.“

Sonst wären sie nicht hier, dachte Tia. Kahn waren Magier, die mentale Kräfte zum Zaubern nutzten und sie waren wirklich selten. Tia selbst kannte sie nur aus Erzählungen und war nicht gerade angetan von ihnen. Ein Kampf war kein Kampf, wenn er durch herumstehen und anstarren ausgefochten wurde. Trotzdem tolerierte sie deren Existenz. Man wurde als Kahn geboren. Niemand suchte es sich aus. Es war eher Bürde als Segen, weshalb sie niemand darum beneidete.

Sie musterte den Meister Kahn. Er trug noch immer den Umhang. Seine Augen waren freundlich, aber unstet. Als flackerte etwas vor seinem inneren Auge, dem er zu folgen versuchte. Er lächelte sie freundlich an, was sie erwiderte.

„Diese drei Herren sind die Köpfe dieses Heeres“, sprach Heras weiter. „Meine Herren“, er wandte sich den Männern zu, „Das ist Tiara. Ich zähle sie als unsere beste Bogenschützin. Ihr Vater war erster Unteroffizier der Kavallerie von Lohven. Hauptmann Tann war ihr Ausbilder.“

Anerkennende Blicke trafen sie. Tia nahm sie an, verzog aber wieder keine Miene. Sie wusste, wie gut sie war und woher sie stammte. Und sie war stolz darauf. Die Plane wurde zur Seite geschoben und Tamara trat ein.

Sie baute sich wie Tia zuvor, neben dem Eingang auf. „Hauptmann Heras.“

„Tamara, komm her.“ Er winkte auch sie heran. Sie stellte sich neben Tia und grinste, denn sie hatte Ilkay schon entdeckt. Tia konnte nicht anders und verdrehte die Augen. Ihr Gesicht wurde heiß, als ihr Blick erneut auf ihn fiel. Ilkay hatte seinen nicht von ihr abgewandt. Sie konzentrierte sich wieder auf ihren Hauptmann, der nun Tamara vorstellte und die Namen und Ränge der Männer wiederholte.

„Nun gut. Da jetzt alle anwesend sind, denke ich, sollten wir zum Thema kommen,“ meinte der General und nickte Heras zu.

Dieser wandte sich an Tia und Tamara. „Ihr wisst, dass es bei uns keine Befehlskette gibt außer uns dreien. Er deutete auf sich, Killian und Timar.“

Die Mädchen nickten.

„Nun, das muss sich jetzt ändern. Wir sind hier nicht mehr unter uns und müssen etwas mehr Klarheit schaffen. Nicht für uns, sondern für die Hauptmänner und Kommandanten dieses Lagers“, fügte er an, als ihn die fragenden Blicke der Mädchen trafen. Bisher hatten sie keine große Befehlskette gebraucht. Er fuhr fort: „Wir werden uns ab sofort etwas klarer definieren müssen. Das heißt, die Schwertkämpfer und Bogenschützen werden getrennt. Wir bleiben eine Einheit, allerdings wird es ab sofort zwei neue Ränge geben. Zum einen dich Tiara. Du bist von nun an für die Schützen zuständig. Du bildest sie aus und bist ihre Stimme. Tamara, deine Aufgabe werden die Schwertkämpfer sein. Von nun an seid ihr Unteroffiziere zweiten Ranges. Ihr untersteht damit weiterhin Killian und Timar. Ich werde eure Ernennung morgen früh offiziell machen und ich erwarte eine tadellose Zusammenarbeit der beiden Abteilungen.“

Da war das Ekel wieder, dachte Tia. Als würden sie nicht ohnehin perfekt zusammenarbeiten. Er musste sich einfach aufführen wie ein Gockel.

„Gibt es noch Fragen?“, wandte Heras sich wieder an die Männer, die die Ansprache schweigend mit angehört hatten.

Der General neigte leicht den Kopf. „Ich brauche eine genaue Aufstellung Eurer Kavallerie. Zwar habe ich einen ersten Überblick, aber ich brauche Zahlen. Wer hat wie viele Pferde? Welche Ausrüstung liegt vor? Und wenn etwas gebraucht wird, macht bitte eine Liste dafür fertig.“ Er sah die beiden Mädchen an.

„Ja, General“, antworteten sie zeitgleich.

„Bitte scheut Euch nicht aufzulisten, was gebraucht wird. Auch wenn es nicht militärischen Zwecken dient. Wir wollen und müssen alle ordnungsgemäß ausstatten.“ Er lächelte und meinte unmissverständlich frauentypische Dinge. Tamara grinste frech, was Tia mit einem weiteren ungewollten Augenrollen quittierte. Hinter Heras erkannte sie abermals Ilkays Lächeln, als auch er den Kopf leicht schüttelte.

„Ich denke, das war es dann erst mal.“ Mit einem Kopfnicken entließ Heras die Mädchen, die sich zum Abschied verneigten und das Zelt verließen.

Draußen wartete Fin, der ungeduldig von einem Fuß auf den anderen wippte. „Endlich. Ich dachte schon, ihr bleibt da die ganze Nacht drin. Jetzt aber los.“ Er griff Tia bei der Hand und zog sie mit sich. Tamara eilte ihnen nach.

„Tia! Im Licht sieht der ja noch besser aus“, rief Tamara ihr freudestrahlend hinterher.

Im Lauf drehte Tia sich um und zischte, wohl wissend, wie dünn Zeltwände waren: „Pssst. Schrei doch nicht so.“

Tamara lachte und holte auf. „Oh Tiara. Das kann ja heiter werden.“

Die Schänke war übervoll von Kavalleristen und alle gehörten zu den Westlichen. Sie brüllten und gratulierten Tia in einem Sturm von Stimmen und Gelächter nachträglich noch mal zum Geburtstag. Ein breites Grinsen legte sich auf ihr Gesicht und sofort fühlte sie sich wieder wie zu Hause. Jeder Einzelne nahm sie in den Arm, während sie sich ihren Weg durch den Raum bahnte. Fin führte sie zur Theke und setzte sie auf einen freien Hocker. Ohne bestellt zu haben, schob ihr der Wirt einen Krug Met hin. Er machte an diesem Abend sicherlich das Geschäft seines Lebens.

Die Stimmung war ausgelassener denn je und hob noch an, als Tamara die Beförderung der Mädchen erwähnte. Niemand war neidisch oder missgünstig. Jeder freute sich mit ihnen. Tia wusste, dass es nichts änderte. Ihr war zwar auch ein wenig schleierhaft, warum nicht Timar und Killian das taten, was die Mädchen nun an Aufgaben übernahmen, aber wenn Heras es so wollte, würde sie sich fügen. Jetzt gab es eben zwei Unteroffiziere mehr.

Zum ersten Mal, seit einer kleinen Ewigkeit, fühlte Tia sich wieder richtig wohl. Sie wusste, dass ein gemachtes Bett auf sie wartete und ihr Magen knurrte nicht mehr. Das Essen der Schänke war ein Gedicht, genau wie das Bier und der Met. Für ihren Geschmack ging die Nacht viel zu schnell vorbei.

Ihr Kopf schwirrte herrlich, während sie ihre Kameraden beim Tanzen oder anderen eindeutigen Aktivitäten beobachtete. Ihr Blick fiel auf Imar und Tamara. Was die beiden da taten, war genau genommen nicht mehr erlaubt, doch niemand störte sich daran. Zwar war Tamara jetzt seine Vorgesetzte, doch da dieser Rang nur der Ordnung galt, würde in der Einheit niemand etwas darüber sagen. Nur auf Außenstehende mussten sie achtgeben.

„Ist hier noch frei?“ Eine sanfte Stimme drang an Tias Ohr. Sie drehte sich in die Richtung, aus der sie kam und sofort machte ihr Herz einen Satz. Abrupt richtete sie sich auf. Etwas zu schnell, für ihren alkoholvernebelten Kopf, was ihr einen leichten Dreh versetzte. Sie hielt sich am Tresen fest und starrte den Hauptmann mit den Eisaugen an, bis ihr auffiel, dass sie starrte.

Sofort senkte sie den Blick. „Ehm, nein, also ich meine ja, hier ist gerade frei.“

Kurz suchte sie in der Menge nach Fin, der ja eigentlich eben noch hier gesessen hatte. Sie entdeckte ihn in der anderen Ecke des Raumes. Er hatte offensichtlich viel Spaß mit einer Bedienung. Tia spürte, wie der Hauptmann sie beobachtete, und wandte sich ihm wieder zu. Er lächelte und abermals beschleunigte sich ihr Herzschlag.

Herr Gott, was ist das denn? Sie nippte an ihrem Met, um ihre Nervosität zu verbergen.

„Herzlichen Glückwunsch“, sagte Ilkay, als er sich zu ihr beugte, damit sie ihn durch den Lärm besser verstand.

Tia verschluckte sich und hustete. Woher weiß er das ich Geburtstag hatte?

Er klopfte ihr sachte auf den Rücken, bis sie wieder Luft bekam. „Alles in Ordnung, Unteroffizierin Tiara?“, fragte er feixend und ihr wurde bewusst, dass er ihre Ernennung, nicht ihren Geburtstag gemeint hatte.

„Ja alles gut, danke.“ Sie keuchte und atmete tief durch. „Und Tia reicht“, fügte sie an.

„Ist ja ganz schön was los bei euch“, stellte er fest und sie nahm wahr, dass auch er getrunken hatte.

„Tja, so feiern wir halt.“

„Nur gut gibt es nicht jeden Tag solche Beförderungen. Ihr würdet aus dem Feiern nicht rauskommen.“ Er lächelte amüsiert.

„Stimmt wohl. Allerdings gibt es die Hälfte des Jahres Geburtstage. Da kommt man aus dem Feiern trotzdem nicht so schnell raus.“ Sofort schloss sie die Augen und verstummte, um nicht noch mehr zu verraten.

„Aha. Und wer hat heute seinen Ehrentag?“, wollte der Hauptmann natürlich wissen, doch in dem Moment kam Tamara herüber. Sie grinste breit, als sie Ilkay neben ihr entdeckte. Tia sah sie scharf an, um ihr Einhalt zu gebieten, doch ihre Freundin trat näher und nahm sie bei der Hand. „Komm schon. Es ist Zeit, dass das Geburtstagskind seine Rede hält.“ Sie sagte es lauter als nötig und Tia wusste, sie wollte den Hauptmann darauf aufmerksam machen. Am liebsten hätte sie ihr eine dafür verpasst, doch schon wurde sie durch die Masse gezogen und auf einen Tisch gestellt. Fin strahlte sie von unter her an und sie lachte, als Beifall entbrannte.

Tia hob ihren Krug und es wurde still. „Also, ihr wisst ja eigentlich, was kommt. Immer dasselbe eben.“ Ihre Kameraden lachten. „Ich danke euch, dass ihr hier seid. Ihr wisst, ihr seid die Besten. Das muss ich also nicht extra erwähnen.“ Wieder brannte Gelächter und Beifall durch den Raum. „Ich bin froh einer so dermaßen, extremen, ehm, auffälligen Truppe anzugehören?“ Ein gespieltes Stöhnen ging durch die Reihen und Tia lachte. „Ja, ich weiß. Ihr seid die Größten, das wollt ihr hören, oder?“ Die Menge jubelte. „Tja also, ihr seid es. Danke, dass ich Teil haben darf.“ Sie hob abermals ihren Krug und ausnahmslos alle taten es ihr nach. Sogar Ilkay und seine kleine Schar Anhänger prosteten mit. „Danke Leute!“, rief sie noch mal und schon waren wieder Jubel, Beifall und Pfiffe zu hören. Fin hob sie vom Tisch und setzte sie vor sich ab. Er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und grinste breit. Der Hauptmann tauchte hinter ihm auf und Fin trat zur Seite, als er ihn bemerkte.

„So ist das also.“ Ilkay lächelte, wobei ein Funkeln in seine Augen trat. „Dann auch von mir alles Gute zum Geburtstag.“ Er beugte sich vor und nahm sie kurz in den Arm. Sie versteifte sich und war sich sehr sicher, rot angelaufen zu sein. Nach ihm gratulierten ihr auch seine Männer. Fin stand nah hinter ihr und hatte einen Arm um ihre Hüfte gelegt. Tia bemerkte es und sah ihn fragend an. Er schob nur unschuldig die Unterlippe vor.

„Wir werden dann mal wieder gehen und euch feiern lassen“, sagte der Hauptmann schließlich. Er nickte Tia zu und wandte sich ab. Sie sah ihm nach, wie er die Schänke verließ. Morgenlicht schien herein, als die Tür aufschwang.

Schon wenig später schloss der Wirt endgültig den Ausschank, was ihm bitten und betteln einbrachte, doch er ließ sich nicht erweichen. Also machten sich auch die Kavalleristen auf den Weg zurück ins Lager. Die Truppe verstreute sich weit. Tia lief mittig der Schar, schwieg und genoss einfach das Zusammensein mit ihren Leuten.

Da sie am anderen Ende des Lagers ihre Zelte hatten, mussten sie sich arg zusammenreißen, nicht alle anderen zu wecken, während sie die Zeltstadt durchquerten. Doch trotz aller möglichen Zurückhaltung wurden sie hier und da angepöbelt, leiser zu sein. Lachen und Kichern ging ständig von vorn nach hinten und zurück durch die Truppe. Alle waren mehr oder weniger betrunken, was sie sicher bereuen würden. Doch so war es nun mal, wenn die Westlichen feierten.

Eine Bewegung im Augenwinkel ließ Tia den Kopf drehen. Sie liefen gerade an mehreren großen, festen Zelten vorbei, wo vor einem der hinteren zwei Männer standen. Sie erkannte den Hauptmann und einen seiner Freunde aus der Schänke. Während der Freund auf ihn einredete, schnellte Ilkays Blick zu ihr.

Man, der scheint es zu merken, wenn er angesehen wird, dachte sie, wandte den Blick aber nicht ab. Diesmal lächelte Ilkay nicht. Fin fasste Tias Hand fester. Sie bemerkte, wie auch er zum Hauptmann schaute, dann ließ er ihre Hand los und legte stattdessen den Arm um ihre Schultern. Er zog sie an sich und drückte ihr einen Kuss auf die Haare.

Sie drehte sich und machte sich los. „Lass das, Fin“, wies sie ihn zurecht und lief einen Schritt schneller.

Er holte auf. „Was ist denn?“

„Das weißt du genau. Hör auf Besitzansprüche zu stellen!“

„Das mache ich doch gar nicht.“

„Und was war das gerade eben? Denkst du, ich bemerke das nicht?“

„Das war doch nichts.“

„Fin, bitte. Lass es einfach.“

Er hielt kurz an, dann schloss er wieder zu ihr auf. „Du kannst mit dem eh nichts anfangen!“

Sie stoppte und Henn, der hinter ihr war, lief in sie hinein. „Hast du sie noch alle? Wer sagt denn, dass ich was mit dem anfangen will?“

„Das sieht doch ein Blinder.“

„Er ist Hauptmann, Fin. Außerdem kenne ich ihn nicht mal. Was ist dein Problem?“

„Er war auf deiner Feier.“

„Und? Ich habe ihn nicht eingeladen.“

„Der will was von dir.“

„Aha. Und du weißt das weil?“

„Warum sonst sollte er da gewesen sein?“

„Zufall? Wir waren immerhin laut. Vielleicht wollte er nur sehen, wer da Spaß hat.“

„Zufall, ist klar“, schnaubte Fin abwertend und nickte ebenso. Sie starrte ihn an. Unfähig weitere Argumente zu finden, schüttelte Tia den Kopf und machte sich auf den Weg zu ihrem Zelt. Diesmal folgte er ihr nicht.

3

Wieder weckte Klopfen am Zeltpfosten die Mädchen. Stöhnend rollte Tia sich herum. „Ja?“

„Heras befielt, Aufstellung zu nehmen“, drang Quins Stimme herein.

„Wir kommen“, murrte sie und rappelte sich auf.

Die Einheit hatte am Weidezaun Stellung bezogen. Sie saßen auf dem Zaun, im Gras oder standen herum. Tamara gesellte sich zu Imar und Fin, doch Tia hielt Abstand. Sie hatte keine Lust auf ihren Kampfgefährten. Killian befahl Ruhe und alle Aufmerksamkeit wandte sich Heras zu.

„Wie ihr sicher schon wisst, gibt es einige Änderungen“, begann der Hauptmann.

Tias Gedanken schweiften zum vergangenen Abend. Sie konnte nicht leugnen, dass Ilkay etwas in ihr auslöste und Fin hatte es bemerkt. Tamara ebenso. Sicher hatten es auch andere bemerkt, doch was auch immer es war, sie würde es nicht zulassen. Schon ihre Prinzipien ließen es nicht zu. Ihre Ausbildung und ihre Stellung genauso wenig. Außerdem wusste sie selbst nicht, was da überhaupt geschah. Sie wusste, wie es sich anfühlte, verliebt zu sein. Immerhin hatte sie bis vor Kurzem noch mit Kain, das Bett geteilt. Doch das hier war anders. Vielleicht würde sie noch herausfinden, was es war. Vielleicht würde sie es aber auch lieber lassen.

Heras erklärte, was ab sofort auf sie zukam, doch Tia hörte nur halb hin. Sie kannte die Pläne. Es war nicht das erste Mal, dass der Offizier sie erklärte. Allerdings fing etwas Anderes ihre Aufmerksamkeit ein. Sie stöhnte innerlich auf. Ilkay kam, mit demselben Gefolge wie gestern, über den Rasen auf die Gruppe zu. Tias Blick flog zu Fin, dessen Miene sich schlagartig verdüsterte, als auch er den Hauptmann sah. Dieser begrüßte Heras und sprach kurz mit ihm, dann trat er zurück und wartete, bis Heras seine Ansprache beendet hatte.

Ihr Offizier winkte Tia und Tamara zu sich. „Hauptmann Ilkay wird euch das Lager zeigen. Ihr müsst wissen, wo was zu finden ist. Ich mache das mit den Rest der Einheit später.“

„Ja, Hauptmann“, sagten die beiden Mädchen, dann grüßten sie Ilkay und folgten ihm. Tia blieb hinter ihm, an Tamaras Seite. Es dauerte jedoch nicht lange und er ließ sich auf ihre Höhe zurückfallen. Jetzt lief er neben ihr. Im Augenwinkel sah Tia ihre Freundin feixen.

„Habt ihr den Abend gut überstanden?“, fragte er und lächelte.

„Alles bestens“, antwortete Tamara, grinste breit und spähte an Tia vorbei zu ihm. Ilkay sah auch Tia fragend an, doch sie nickte nur.

„Ich möchte gerne, dass ihr mich als Gleichgestellten betrachtet. Auch wenn ich euch Befehle geben muss. Mir wurde berichtet, wie eingeschworen eure Einheit ist und niemand hat vor, sie auseinanderzureißen. Wir brauchen nur etwas mehr Struktur, wenn ihr versteht.“ Die Mädchen nickten zustimmend und Ilkay fuhr fort: „Wir werden sehr eng zusammenarbeiten müssen. Meine Kavallerie ist zwar um einiges größer als eure, doch ich denke, wir werden uns gegenseitig gut ergänzen.“

„Das denke ich auch.“ Tamara grinste wie ein Honigkuchenpferd. Tia verpasste ihr einen leichten Schlag mit dem Unterarm.

Ilkay schmunzelte. „Das da ist ein Teil meiner Reiterei.“ Er wies auf eine Ansammlung Reiter, die verschiedene Formationen einnahmen.

„Ein Teil?“, fragte Tia. Allein die Anzahl dieser Reiter übertraf ihre bei Weitem.

„Ja. Ihr seht dort die rechte Flanke. Die Linke steht da.“ Er wies auf eine ebenso große Truppe, auf einem anderen Übungsplatz. „Und dort ist der Kern.“ Er deutete auf eine dritte Gruppe Reiter, die sich gerade zum Aufsitzen bereitmachte.

„Gibt es schon Pläne, wie wir eingesetzt werden sollen?“, wollte Tia wissen.

„Keine Konkreten. Wir brauchen erst eure genaue Anzahl von Schwertkämpfern und Bogenschützen. Ich dachte allerdings, dass ihr uns in der Front und im Rücken unterstützen könntet.“

„Wir sollen uns aufteilen.“

„Wahrscheinlich.“

„Aber so kämpfen wir nicht.“

Er sah sie abschätzend an, dann lenkte er ein. „Ich sagte ja, die Pläne sind noch nicht konkret.“

Tia verzog das Gesicht. Sie hoffte, Heras würde diesem Plan nicht zustimmen. Die Westlichen zu trennen und noch dazu mit einer Schar fremder Reiter zwischen sich, würde nur schlecht funktionieren. Sie hatten schon getrennt gefochten. Doch das war eher selten gewesen. Zusammen waren sie unschlagbar.

„Neben meiner Kavallerie befehlige ich ein Bataillon Fußsoldaten. Diese dort.“ Er wies auf eine Ansammlung Kämpfer. „Das sind nicht alle. Es wäre nicht genug Platz, damit alle gleichzeitig trainieren. Ihr seht dort nur einen Bruchteil. Wir üben in Blöcken.“

„Dann weiß doch der Erste nicht, was der Letzte macht“, warf Tamara ein.

„Sie werden alle zwei Tage gemischt“, erklärte Ilkay.

„Ach so.“

„Ihr seid 153 Leute, richtig?“

Tia nickte.

„Heras kämpft mit euch?“

„Ja.“

„Hat jeder ein richtiges Streitross oder kämpfen eure Bogenschützen mit normalen Pferden?“

„Jeder hat ein Streitross und einen Zelter. Wir wechseln zwischen ihnen. Es kommt auf den Angriff an.“

„Sogar eure Bogenschützen haben alle Streitrösser?“ Ilkay schien verwundert.

„Wir kämpfen alle mit beiden Waffen“, warf Tamara ein.

„Wie wollt ihr euch dann aufteilen?“

„Jeder hat seine Stärken und wir wissen, wer was besser kann. Danach trennen wir“, erklärte sie.

„Auch wenn wir es lieber nicht tun würden“, wandte Tia ein.

„Verständlich.“ Ilkay nickte. „Ich werde sehen, dass ich euch nicht aufteilen muss. Versprechen kann ich es aber nicht.“

Sie neigte dankend den Kopf „Wir können auch nicht halbe-halbe machen. Wir haben mehr Schwertkämpfer als Bogenschützen.“

„Versucht es bitte. Je ausgewogener es ist, desto günstiger ist es für die Einteilung. Ihr könnt zwar trotzdem mit beiden Waffen weiterkämpfen, doch es wird so aussehen, dass sich jeder auf seine Stärke konzentriert.“