Zielgerade - Joachim Fuchsberger - E-Book

Zielgerade E-Book

Joachim Fuchsberger

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Beschreibung

Der Bestseller-Autor stellt sich die großen und kleinen Fragen des Lebens

Nach seinem Bestseller »Altwerden ist nichts für Feiglinge« folgt nun sein Buch »Zielgerade«. Darin stellt Joachim Fuchsberger sich in der ihm eigenen Mischung aus Nachdenklichkeit, Launigkeit und vor allem Menschlichkeit den großen Fragen des Lebens.
Es geht – natürlich – um Beziehungen, um den Umgang mit unserer Welt und ihren Ressourcen. Aber auch um die Welt der Politik und um die Politiker selbst, bei denen er immer häufiger Ehrlichkeit und Transparenz vermisst.
Ein sehr persönliches Buch einer beeindruckenden Persönlichkeit.

Nach dem Schlaganfall
»Du hast einen Schlaganfall«, sagte Max, Hausarzt und Freund, einsneunzig groß, mit einer Stimme wie die tiefste Orgelpfeife. [...] In der vortrefflichen Schlaganfall-Abteilung belehrte man mich, was für ein ungeheueres Glück ich gehabt hätte! Wie bitte? Ungeheueres Glück bei einem Schlaganfall? Eher dachte ich, ob mein letztes Buch ›Altwerden ist nichts für Feiglinge‹ nicht vielleicht doch den falschen Titel hatte?! ›Altwerden ist Scheiße‹ käme der Sache und meinem Gefühl eigentlich näher.«

Zielgerade
»Es ist sinnlos, über das zu klagen, was nicht mehr geht. Viel bekömmlicher ist es, sich zu freuen über das, was noch geht. ... Mein Verfallsdatum ist längst überschritten, und ein paar deutliche Vorwarnungen sind bei mir eingegangen. Ich bin dankbar für jeden neuen Morgen, an dem ich aufwache. Ich folge meiner inneren Stimme, zugegeben jetzt zwangsläufig. Ich stehe am Rand, nicht des Abgrunds, sondern des Geschehens, und beobachte mit gelassener Heiterkeit, angemessenem Zorn oder altersbedingtem Unverständnis, was rings um mich geschieht.«

Heimat
»Im Alter kam das Heimweh. Der Wunsch ›Zurück zu den Wurzeln‹ wurde immer stärker. Oder wie Heidi Brühl es einmal sagte: ›Wenn du lang genug hier [in Amerika] bist, sehnst du dich nach Weißwürsten, obwohl du sie überhaupt nicht magst.‹«

Gundel
»Es wird niemanden erstaunen, dass ich dieses Buch meiner Gundel widme, in tiefer Dankbarkeit dafür, dass sie ein Leben lang mein Navigator war, meine Beraterin, meine Freundin, meine Frau, die Mutter unseres tragisch ums Leben gekommenen Sohnes. ... Sie hat mich gehalten, wenn ich in letzter Zeit verzweifelt aufgeben wollte.«

  • Auf der Zielgeraden – Nachdenkliches und Nachdenkenswertes aus einem reichen Leben
  • Ein persönliches, aber auch streitbares Buch

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Seitenzahl: 151

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JOACHIM FUCHSBERGER

ZIELGERADE

Gütersloher Verlagshaus

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Copyright © 2014 by Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Coverfoto: Niko Schmid-Burgk / photoselection, Hamburg

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-10891-5

www.gtvh.de

Inhalt

Die Eskaladierwand

Der Anfang vom Ende?

Beobachtungen am Rande

Meiner Regierung gewidmet

Onkel, donn mich eene Penning

Die Erde auf der Zielgeraden?

Denn erstens kommt es anders ...

Gibt es den lieben Gott?

Freunde

Mutproben

Eigener Herd

Über den Wolken

Wir sind das Volk!

Sag deinem Vater guten Tag!

Im Land des begrenzten Wohlgefühls

Schlag auf Schlag

Bilderhunger

Wutausbruch auf Französisch

Großaufnahme

Lügen zur rechten Zeit

Gerts Geschenk

Beruf und Berufung

War’s das?

Lichtblicke in der Show-Wüste

Futter für die Krokodile

Der Scheibenwischer

Gundels Vorahnungen

Dahoam is dahoam

Nun regiert mal schön

Messer und Schere, oder: Geh gerade!

Respekt

Alles nur Lug und Trug?

Hand in Hand

Die Eskaladierwand

Komisch. »Eskaladierwand.« Kein Mensch scheint dieses Wort zu kennen. Wo ich es in die Runde werfe, erstaunte Blicke, Schulterzucken, Kopfschütteln. Wissen Sie es? Na sehen Sie …

Eine Eskaladierwand ist ein übermannshohes Ungetüm aus Holz. Man zwingt Menschen zuweilen, diese Wand anzuspringen und an ihr hochzuklettern, um auf der anderen Seite mehr oder weniger sanft auf dem Boden zu landen. Mit den Füßen zuerst, womöglich, sonst vielleicht auch auf der Schnauze. Beim Barras zum Beispiel, bei Sport- und Leibesertüchtigungsveranstaltungen. Ehrlich, sind Sie über dieses Wort ohne Straucheln weggekommen? »Leibesertüchtigungsveranstaltungen.« Ein Wortungetüm, eine phonetische Eskaladierwand.

Und vor so einer stehe ich mit diesem Buch. Den Titel hab’ ich, das Grundthema auch, aber dann?

Fünfmal habe ich angefangen zu schreiben. Nach jeweils zwanzig mühsam errungenen Seiten sah ich ein, dass ich mich am Thema verhoben hatte. Immer wieder hab’ ich diese Eskaladierwand angesprungen, hing wie ein nasser Sack an ihr, keuchte und pfiff wie eine alte Dampfmaschine … und kam nicht drüber.

Jetzt versuch ich es noch mal. Zwei Freunde, unterschiedlichen Geschlechts, machten mir Mut.

»Gib nicht auf!«, sagte der eine.

»Mach weiter!«, sagte die andere.

Ich schilderte meine Schwierigkeiten, die durcheinanderwirbelnden Erinnerungen, Reflexionen, Assoziationen zum Verlauf meines Lebens in den Griff zu bekommen. Jetzt, auf der »Zielgeraden«.

»Wenn ich, wie so oft in den letzten Jahren, in stillen Nächten in Krankenhäusern liege, ist es, als ob meine Vergangenheit wie in einem Kaleidoskop an meinem geistigen Auge vorbeizieht. Die Bilder vermischen sich, gehen ineinander über, verschwimmen, werden plötzlich kristallklar, zerplatzen, weil sie an andere Erinnerungen stoßen.« Auf vier verschiedenen Intensivstationen kommen einem viele Bilder und viele Gedanken, auch dumme.

»Das gefällt uns sehr«, sagten die beiden Freunde unterschiedlichen Geschlechts, »die Idee mit dem Kaleidoskop.«

Sie sagten es getrennt und zu unterschiedlichen Zeiten, also dachte ich darüber nach. Das mit dem Kaleidoskop hat Vorteile. Ich muss mich an keine Chronologie halten, kann Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einfach mischen, ohne auf gelungene Übergänge aufpassen zu müssen. Das gefällt mir. Ihnen hoffentlich auch.

Also ran an die Eskaladierwand!

Der Anfang vom Ende?

»Du hast einen Schlaganfall«, sagte Max, Hausarzt und Freund, einsneunzig groß, mit einer Stimme wie die tiefste Orgelpfeife. Bei mir nenne ich ihn den »Yes Man«, weil er jeden Satz mit einem im Ton leicht ansteigenden »Jaaa« beendet.

Einigermaßen verzagt lag ich im Fernsehsessel. Gundel, meine Regierung, war nicht zu Hause. Max, eilig herbeigerufen, stand also wie ein Berg vor mir. Aus seiner Höhe donnerte er zu mir herunter:

»Ins Krankenhaus mit dir – so schnell wie möglich, jaaa! Ich regle das mit dem Transport, jaaa! Bleib, wie du bist, die Gundel kann dir ja später alles nachbringen, jaaa!!«

Ich dachte, mich trifft der Schlag. Er traf mich einigermaßen unvorbereitet auf der rechten Seite, und so lag ich nach knapp einer halben Stunde in der »Stroke Unit« des Klinikums Harlaching im Süden Münchens. In der vortrefflichen Schlaganfall-Abteilung belehrte man mich, was für ein ungeheueres Glück ich gehabt hätte!

Wie bitte? Ungeheueres Glück bei einem Schlaganfall? Eher dachte ich, ob mein letztes Buch »Altwerden ist nichts für Feiglinge« nicht vielleicht doch den falschen Titel hatte?! »Altwerden ist Scheiße« käme der Sache und meinem Gefühl eigentlich näher.

Der Schlaganfall erwies sich, dank Schicksal und starker Blutverdünnung, als »Schlägle«.

»Das hätte Sie bös erwischen können!«, meinte der behandelnde Arzt.

Bös? Mir war’s bös genug! Das rechte Bein war plötzlich so schwer, dass ich es nicht mehr vom Boden wegbrachte. Die rechte Hand zitterte derart, dass mir der Telefonhörer und alles andere, was ich zu greifen versuchte, entglitt. Die rechte Gesichtshälfte verzerrte sich zu einer Grimasse und entzog sich meiner Kontrolle. Damit hätte ich auch als Phantom der Oper auftreten können, oder als Glöckner von Notre-Dame.

Ich will nicht mit zu vielen Details langweilen. Nach dreiwöchiger Rehabilitation in einer Spezialklinik in Bad Tölz durfte ich endlich nach Hause. Ärzte und Pflegepersonal hatten mir geholfen, mein seelisches Gleichgewicht wiederzufinden. Mit dem körperlichen hapert es bis heute, trotzdem müssen Rollator oder Rollstuhl noch warten. Und der Himmel auch. Ihr Ärzte, ihr Schwestern, ihr Pfleger, ihr Therapeuten, ihr Köche in der Bad Tölzer Klinik, habt Dank!

Jetzt lerne ich wieder einigermaßen normal zu gehen, die rechte Hand ist immerhin so weit, dass ich den PC bedienen und schreiben kann. Aber bin ich im Kopf auch schon so weit?

Beobachtungen am Rande

»Zielgerade« – was bedeutet dieser Begriff? Bezeichnet er die Aktivierung der letzten Kräfte, um das Ziel zu erreichen? Und welches Ziel? Was kommt danach? Ist da noch was zu erwarten? Viele behaupten es, aber keiner weiß es. Da ist wohl der Wunsch der Vater des Gedankens.

Oder bedeutet »Zielgerade«, dass die innere Stimme dir sagt: »Quäl dich nicht länger! Geh aus der Spur und erfreue dich der Dinge, die der Rest des Weges noch zu bieten hat!« Ich weiß es nicht. Nur eines steht fest: Meine Zielgerade ist der Anfang vom Ende.

Aber meine Gedanken gehen weiter. Bin nur ich auf dieser Zielgeraden, ist es genau genommen nicht meine ganze Generation? Mehr noch – kann es sein, dass unsere Gesellschaft, ja, das ganze System die Zielgerade entlangkeucht? Bei kritischem Hinsehen muss einem doch aufgehen, dass in unserer Welt etwas aus dem Ruder läuft. Oder bin ich vielleicht zu pessimistisch?

Ich folge meiner inneren Stimme, zugegeben jetzt zwangsläufig. Ich stehe am Rand, nicht des Abgrunds, sondern des Geschehens, und beobachte mit gelassener Heiterkeit, angemessenem Zorn oder altersbedingtem Unverständnis, was rings um mich herum geschieht.

Da ist heutzutage so vieles, auf das ich vor dem Schlaganfall mit allen drei Emotionen reagierte. Einige Male mit Zorn, weniger mit Heiterkeit, aber immer öfter mit Unverständnis.

Okay – ich erfreue mich zweier Staatsbürgerschaften, der deutschen und der australischen. Aber ich bin mit Leib und Seele Deutscher. Ich kenne den Text unserer Nationalhymne und singe ihn manchmal sogar mit, quasi als Ersatz für maulfaule Fußballstars oder solche, die der deutschen Sprache noch nicht mächtig sind. Erinnern Sie sich, was für Aufregungen das »Nichtsingen« unserer Hymne bei den verschiedensten Sportereignissen ausgelöst hat? Dabei könnte man eigentlich froh sein, wenn die in einer anderen Tonart vor sich hinbrummenden Ballartisten das Maul hielten. Nein wirklich, als siebenundachtzigjähriger Bundesbürger, der unser Land nach dem entsetzlichen Weltkrieg II wieder mit aufgebaut hat, erlaube ich mir die Feststellung, dass ich immer stolz war, ein Bürger des Landes der Dichter und Denker zu sein. Aber auch des Landes der Künstler, der Ingenieure, der Wissenschaftler, der Handwerker, der Arbeiter – aller Menschen, die innerhalb unserer Grenzen leben.

Die Menschen meiner Generation mussten erfahren und damit fertig werden, dass die nationalsozialistische Diktatur und ihre Anhänger dieses Land in jeden nur denkbaren Abgrund gefahren hatten. Wir sind dabei, die letzten für ihre Scheußlichkeiten Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, gleich, ob sie in ihrem Alter überhaupt noch verstehen, um was es geht, oder nicht. Aber egal, was wir tun – dieser Abschnitt wird im Geschichtsbuch Deutschlands ein hässlicher Fleck bleiben. Wir können ihn nicht ausradieren, um einen in der Zeit, als das alles geschah, gebräuchlichen Ausdruck zu benützen.

Fast drei Generationen danach werden wir Alten nach wie vor für vieles verantwortlich gemacht. Wir sind immer noch dabei, uns zu entschuldigen. Dabei geht das gar nicht. Man kann sich nicht selbst entschuldigen. Entschuldigen können uns nur die, denen wir unermessliches Leid zugefügt haben. Nur die können uns vergeben – wenn sie uns vergeben können.

Ich bin kein Betroffener, nur ein Beobachter am Rand des Geschehens, aber mit der Erfahrung des eigenen Erlebens durch bald neun Jahrzehnte. Doch auch die Kultur der westlichen Welt scheint sich in ihrem Endstadium zu suhlen. Nur langsam und vielleicht zu spät sehen wir ein, dass wir mit unserer großmäuligen Art nicht mehr andere belehren können, ihnen nicht mehr vorschreiben können, wie sie zu leben, zu arbeiten, zu denken haben. Wir machen uns lächerlich.

Der Schlaganfall hat mich gezwungen, das Rennen aufzugeben. Ich humple aus der Bahn und denke, das war’s.

Nach langer Zeit mit Therapien aller Art, guten Gesprächen mit gescheiten Professoren und Doktoren bin ich jetzt wieder auf dem Weg nach oben und mache eine erfreuliche Feststellung: Ich sehe die Dinge um mich herum gelassener, rege mich nicht mehr über jeden Dreck auf, und vieles, was die Welt in Unordnung gebracht hat, interessiert mich nur noch am Rand bis gar nicht.

Bevor ich aber anfange, in der Gegend herumzunörgeln, versuche ich es mal mit einer Selbstbetrachtung, wobei ich feststelle, dass die alles andere als vergnüglich ist.

Man fragt wie’s mir geht? Na ja, man macht sich

so seine Gedanken mit siebenundachtzig.

Da macht sich nämlich mit Verlaub

das Leben so langsam aus dem Staub.

Es heißt ja, der Weg von der Wiege zum Grab

ginge ab vierzig ständig bergab.

Man merkt es an vielen, kleinen Dingen,

die nicht mehr so gehen, wie sie mal gingen.

Die hohe Stirne oder gar Platte,

wo man früher Haare hatte.

Und hinter der Stirne vergisst die Birne

die Namen von Damen, die sonst flüssig kamen.

Auf gleicher Höhe, zwischen den Ohren

geht langsam das Gehör verloren,

und die einst glasklaren Pupillen

brauchen zum Lesen drei verschiedene Brillen.

Im Maul kann man die hässlichen Lücken

mit Kunststoff oder Gold überbrücken,

aber die Stimme, energisch und klar,

ist und bleibt nicht mehr, wie sie war.

Körperlich wird die Sache »gelenklich«

von Tag zu Tag immer mehr bedenklich.

Das Herz bereitet dir Unbehagen,

will nur mit Schrittmacher weiterschlagen.

Dann käme, anatomisch, glaub ich der Magen.

Der kann auch noch kaum was vertragen.

Nur noch Kinderportionen auf dem Teller

und der Wein bleibt am besten gleich im Keller.

Etwas tiefer, die kraftstrotzenden Lenden

motzen und wollen die Arbeit beenden!

Wozu auch, darunter die fruchtbaren Knollen

tun ja auch nicht mehr, was sie sollen.

Aber was mich da unten am meisten bedrängt

ist, dass mal stand, was jetzt nur noch hängt.

Darunter wackeln auch irgendwie

die bis dato eigentlich standhaften Knie.

Krampfadern, blau und dick wie ein Strang,

laufen Schienbein und Waden entlang,

und endlich, ganz unten, da brennen die Sohlen,

als stünde man barfuß auf glühenden Kohlen.

Da stehst du und denkst: So ist das halt –

Scheiße, jetzt bist du wirklich alt!

Wie soll man darauf reagieren?

Ständig in der Gegend herumlamentieren?

Nein! Dreimal Nein! Ganz im Gegenteil!

Glaubt mir – auch das Alter ist geil!

Auch mit siebenundachtzig, ihr werdet lachen,

kann man Liebe und anderen Blödsinn machen.

Drum haut auf die Pauken, lasst Korken knallen,

wir alten Rabauken zeigen es allen!

Ich genieße das Leben, so lang es noch geht –

bis irgendwann der »Boandlkramer« vor mir steht.

Aus hohlen Augen grinst er mich an:

»Na, kommst du freiwillig mit, alter Mann?

Wehren ist zwecklos, mach dich bereit –

ich bring dich rauf in die Ewigkeit!«

Du senkst den Kopf und reichst ihm zum Ende

mit Zweifel und zögernd die zitternden Hände,

in den Augen ein kleiner Hoffnungsschimmer –

und gibst den Löffel ab – für immer.

Halleluja!

Das ist so ziemlich genau das aktuelle Erscheinungsbild des Autors, und ich denke, dass sich nicht wenige Leser darin wiedererkennen. Oder?

Nachdem ich mich zu diesem »Outing« durchgerungen habe, will ich mich wieder an den Rand des Geschehens stellen und mich dem widmen, was mir auf der Zielgeraden meines Lebens so alles durch den Kopf geht.

Zunächst ein Hoch auf die vielgescholtenen Medien. Ohne sie würden wir mit eingeschlafenen Füßen herumtappen, ahnungslos, dass wir, neben allen wunderschönen Dingen in unserer Heimat, die wir für selbstverständlich halten, in einer Welt von Gemeinheiten, Korruption und Brutalität leben.

Was ist denn bloß passiert? Wir sind doch noch immer das Land der Dichter und Denker, das Land der Gemütlichkeit, der sozialen Gerechtigkeit, der Heimatverbundenheit von den Bergen bis zu Nord- und Ostsee, das Land von Hansi Hinterseer, von Florian Silbereisen und vom Ohnsorgtheater, das Land von bayerischen Weiß- und Thüringer Bratwürsten, vom Erdinger Weißbier bis zum nordisch herben Jever.

Die Zeitungen mit den ganz großen Schlagzeilen belehren uns eines Böseren. Wir Deutschen sind offenbar auch ganz normale Menschen, die den globalisierten Verwerfungen und Verlockungen erliegen. Immerhin handelt es sich um solche Unarten wie Untreue, Bestechung, Betrug, Meineid und andere, neue Spielarten in unserer treudeutschen Gesellschaft.

Jeden Tag lesen oder sehen wir Horrorgeschichten, die uns die Haare zu Berge stehen lassen. Da geht einer der höchsten Bundesbeamten in den Knast – wegen Steuerbetrugs. Da spaltet die Nation die Meldung, dass einer der populärsten Sportler und Präsident eines in der Welt überaus bekannten Fußballvereins den Verlockungen irrer Finanzmanipulationen erlegen ist und dafür zur Verantwortung gezogen wird. Da kommt die Nachricht, dass der oberste Briefträger, der Chef der Deutschen Post, zurücktreten musste, wegen Steuerhinterziehung. Na so was! Dann wieder erschreckt der Bericht, dass ein Formel-1-Zwerg einen Münchener Bankvorstand mit Millionen bestochen haben soll und sich vor einem deutschen Gericht verantworten muss. Ja, und dann, Donner und Doria, verliert ein Bischof den Boden unter den Füßen und spielt Papst im Abseits. Baut sich in Limburg seinen eigenen Vatikan! Jetzt haut ihm der neue Papst auf die Finger, hoffentlich, und zeigt ihm, wo der Bartel das Weihwasser holt.

Ein Buch könnte man füllen mit solchen Ereignissen und Skandalen. Ich müsste nur jeden Morgen die Zeitungen aufschlagen oder mir die Frühnachrichten im Fernsehen antun, ich käme leicht auf mehr als die vom Verlag angekündigten zweihundertzwanzig Seiten. Aber das wäre zu einfach, und der Tag wäre gelaufen, was meinen Stolz auf Deutschland betrifft.

Ich wehre mich dagegen zu glauben, dass sich die Bundesrepublik in manchen Bereichen darstellt wie eine Bananenrepublik. Allerdings wehre ich mich immer weniger dagegen zu glauben, unsere Politiker seien allesamt dem Machtkoller verfallen und hätten die Bodenhaftung verloren. Sicher scheint mir, dass sich bei allen eine gewisse Großmannssucht breitmacht. Viele scheinen zu glauben, die Bundesrepublik sei eine Weltmacht. Der Umgang mit Milliarden hat vielen das Maß verzogen. Der Umgang der Politiker miteinander ist auch nicht dazu angetan, meine Laune zu bessern: Scheinbar respektable Menschen nennen sich gegenseitig in aller Öffentlichkeit »Lügner« und »Betrüger« und schmeißen sich andere Schmeicheleien an die mehr oder weniger ehrenwerte Köpfe. Und wissen Sie was? Wir Bürger fangen an, das zu glauben! Auf jeden Fall eher als das, was die Politiker uns permanent aus weit geöffneten Mündern entgegendröhnen. Das alles ist doch, weiß der Kuckuck, nicht dazu angetan, Respekt vor dieser Spezies in unserer Gesellschaft zu entwickeln. Oder?

Es wird immer schwieriger zu entscheiden, welche Partei man wählen soll, weil man ja nicht mehr weiß, »was hinten rauskommt«, wie es weiland Helmut Kohl so treffend formulierte. Es geht ganz offensichtlich mehr darum, die Macht zu behalten oder zu bekommen. Möglicherweise kriegt der Wähler das Gegenteil von dem, was er wollte. Was ist also mit der vielzitierten Bürgerpflicht? Das kleinere Übel wählen? Welche Partei wäre dann das »kleinere Übel?« Soll man überhaupt noch wählen?

Während ich das schreibe, stehen wir kurz vor der Bundestagswahl 2013. Es ist also eine Zeit, in der wir Bürger von unseren Politikern belogen werden, dass sich die Balken biegen. Sie hauen uns Versprechen um die Ohren, von denen sie nach der Wahl nichts mehr wissen wollen. Das ist wirklich nichts Neues. Interessant wird sein, was bei der Wahl herauskommt. Ob die Politikverdrossenheit der Bundesbürger in der Wahlbeteiligung deutlich wird. Warten wir’s ab!

Trotz der allgemeinen Unzufriedenheit haben wir Deutsche, teilweise wenigstens, unsere »corporate identity« wiedergefunden. Wir sind wieder wer! Wir genießen wieder Achtung in der Welt. »Made in Germany« bedeutet wieder etwas auf dem Weltmarkt. Besonders in der Rüstungsindustrie! Ja, auf diesem Gebiet scheinen wir uneinholbar tüchtig zu sein. Aber wie lange noch? Die über Jahrzehnte herrschende Vormacht auf vielen Gebieten beginnt zu bröckeln. Östliche Industrienationen arbeiten schneller und billiger. Mit ihrem hierzulande gelernten oder ganz einfach »abgekupferten« Know-how graben sie uns bei immer besser werdender Qualität langsam, aber sicher das Wasser ab.

Mein Argwohn gegen Politiker begann mit der großmäuligen Behauptung des seinerzeitigen Verteidigungsministers Peter Struck, SPD, die Bundesrepublik würde am Hindukusch verteidigt. Ich hätte ihn gerne gefragt, ob er Söhne habe, die er zur Verteidigung dort hinschicken möchte? Was hat der Einsatz in Afghanistan gebracht? Viele deutsche Soldaten sind dort ums Leben gekommen. Ob sie es gern getan haben für Frau Merkel oder Herrn de Maizière, der Herrn Strucks Politik bis heute verteidigt, oder für die Bundesrepublik Deutschland? Lasst uns die Eltern der Gefallenen fragen.

Und was soll das Gezeter um Herrn de Maizières unbemannte Flugkörper, das die Gemüter im Jahr 2013 erhitzte? Was ist mit seinen Entschuldigungen, er habe nichts davon gewusst, weder von den Kosten noch von der Tatsache, dass diese Drohnen keine Genehmigung der deutschen Flugsicherheitsbehörden bekommen würden? Wie lange darf sich bei uns ein solcher Pannenminister eigentlich blamieren, bevor man ihm den Stuhl unter’m Hintern wegzieht?

Aber was macht’s? Man macht den Herrn Verteidigungs- zum Innenminister, und Frau von der Leyen bringt die Bundeswehr wieder auf Vordermann. So einfach geht das.

Nur noch zum Lachen die Feststellung eines Herrn Gregor Gysi, sein politisches Credo sei »Reichtum für alle« Ich hielt den Chef der Linkspartei eigentlich für zu gescheit für solch einen Unsinn. Vielleicht kann er dieses Ziel ja mit Hilfe des russischen Präsidenten Wladimir Putin erreichen, von dem Ex-Kanzler Gerhard Schröder überzeugt ist, er sei ein »lupenreiner Demokrat«.

Und wirklich komisch wird es, wenn Abgeordnete der Grünen einen »fleischfreien Donnerstag« fordern. Ich empfehle diesen Herrschaften: Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker nach Pillen, die die Gehirnzellen anregen.

Weniger komisch ist da schon die teure Baustellenposse um den neuen Berliner Airport BER. In diesem geistigen Flachland verschwinden mehr und mehr Milliarden, und der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit grinst und meint vermutlich noch immer, das sei gut so. Herr Platzeck, bis August 2013 Ministerpräsident des Landes Brandenburg, hat seinen Kopf aus der Schlinge und sich selbst vornehm zurückgezogen, mit der Bemerkung: »Ich will mir das nicht länger antun!«

Aber wenden wir uns ab von den »Großkopfeten« in der Bundeshauptstadt und gehen in die Bundesländer mit ihren Provinzfürsten. Da sieht es kaum besser aus. Ich nenne nur ein paar Stichwörter. Das Nürburgringdesaster des ehemaligen Rheinland-Pfalz-Ministerpräsidenten Kurt Beck. Die Beschäftigung von teilweise noch minderjährigen Familienangehörigen auf Staatskosten in Bayern. Die Skandale um den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff, um den ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus, und, und …

Wo sind sie, die würdigen Nachfolger der politischen Marksteine Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Willy Brandt, Franz Josef Strauß, Helmut Schmid, Helmut Kohl, jawohl, besonders er? Oder von Theodor »Papa« Heuss, Walter Scheel, Richard von Weizsäcker, Roman Herzog? Im Vergleich kommen Joachim Gauck und Angela Merkel noch ganz gut weg. Aber mit dem Rest, der heute in ähnlichen Positionen sitzt, kann man mit denen Staat machen? Die Antwort können Sie sich denken.

Unzufriedenheit, wohin man schaut oder hört. Die Normalverbraucher mucken auf. Stammtischnörgelei macht sich breit: Jeder weiß alles, und keiner glaubt noch irgendwas. Dabei geht es uns doch gut! Frage ich Handwerker, wie das Geschäft läuft, bekomme ich immer die gleiche Antwort: »Ich weiß vor Aufträgen kaum noch, wie wir es schaffen sollen!« Bei wem oder an was liegt es dann, dass so viele Kleinbetriebe draufgehen? Falsche Hoffnungen oder zu wenig Sachverstand der Betroffenen? Wieso macht sich in diesem reichen Land die Armut breit?

»Nichts klappt mehr, ganz egal, wohin man schaut, und der Staat bescheißt uns!« Das scheint die Meinung der überwiegenden Anzahl der Bundesbürger zu sein. Jetzt wissen wir’s, denn das haben die Wähler im September 2013 bei der »Schicksalswahl« deutlich zum Ausdruck gebracht. Mann, hat’s da gekracht!

Da ist die Spreu vom Weizen getrennt worden. Maulhelden sind vor Schrecken verstummt. Vom Hochseil der Lippenbekenntnisse ohne Netz auf den Boden der politischen Manege gekracht. Da ist einem das arrogante Lächeln im Gesicht eingefroren, einigen der Supergrünen wurde wohl schwarz vor Augen. Da blieb einem vierzigjährigen Vollmundigen die Spucke weg. Bei einem Spitzenkandidaten, verbal meist unverständlich, hatte man das Gefühl, man verlässt sich besser auf die Aussagen des Hanseatischen Wein– und Sektkontors.

»Mutti« Angela hat das Rennen gewonnen! Sie lächelt selig, aber allein kann sie nicht regieren. Sie muss koalieren. Sie will es auch, aber der Juniorpartner FDP ist in der Versenkung verschwunden, und ihr Wunschpartner SPD ziert sich. Einer der vollmundigen Linksdraller kommt mit dem Verlangen daher: »Fünfzig – fünfzig! Augenhöhe bei den Verhandlungen!« Der Mann, der das sagte, hat wohl leider den geistigen Schemel vergessen, da oben ist er anscheinend etwas zu kurz gekommen.

Mal sehen, denke ich wie viele andere auch kurz nach der Wahl. Mal sehen, wie lange das Volk warten muss, bis es bekommt, was sich die überwiegende Mehrheit offenbar wünscht: Die Große Koalition!

Meiner Regierung gewidmet

Die Kluft zwischen dem Mann auf der Straße, der Frau in der Küche, den Meistern und Meisterinnen in den Betrieben, den Managern der großen Industrieunternehmen und der Politik scheint in Deutschland also immer größer zu werden. Es sieht nicht so aus, als wolle Europa und der Rest der Welt am deutschen Wesen genesen. Wo wird das enden? Ich werde es wohl kaum erleben, von daher könnte es mir wurscht sein. Aber sollten die, die uns regieren, nicht anfangen, endlich mal ein bisschen kleinere Brötchen zu backen, damit auch die, die nach uns kommen, in diesem Land noch gedeihlich leben können?

Geht mich das alles mit momentan sechsundachtzig Jahren, sechs Monaten und in der letzten Zeit ein paar recht zerquetschten Tagen überhaupt noch was an? Mein Verfallsdatum ist längst überschritten, und ein paar deutliche Vorwarnungen sind schon bei mir eingegangen. Ich bin dankbar für jeden neuen Morgen, an dem ich aufwache. Egal, was für ein Wetter, ich ziehe die Rollläden hoch und freue mich über das Geschenk, meiner Frau, meiner »Regierung«, einen Morgenkuss geben zu können. Der Schlaganfall hat sechzig Jahre gemeinsames Schlafzimmer beendet. Sechzig Jahre lang sind wir Hand in Hand durchs Leben gegangen, sind sechzig Jahre lang Hand in Hand eingeschlafen. Das war wunderschön, geht aber nicht mehr, die Krankheit bringt schlaflose Nächte.

Es wird niemanden erstaunen, dass ich dieses Buch meiner Gundel widme, in tiefer Dankbarkeit dafür, dass sie ein Leben lang mein Navigator war, meine Beraterin, meine Freundin, meine Frau, die Mutter unseres tragisch ums Leben gekommenen Sohnes. Sie hat mir Halt gegeben, wenn ich zu wanken drohte, hat mich aufgerichtet, wenn mir das Schicksal wieder mal ein Bein gestellt hat, hat mich gehalten, wenn ich in letzter Zeit verzweifelt aufgeben wollte. Sie war eben immer meine Regierung und bleibt es wohl bis zum Ende. Die einzige Obrigkeit, die ich ein Leben lang anerkannt habe.