Zuckerherz und Liebesapfel - Annemarie Schoenle - E-Book
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Zuckerherz und Liebesapfel E-Book

Annemarie Schoenle

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Beschreibung

Romantische Geschichten für die kalte Jahreszeit: „Zuckerherz und Liebesapfel“ von Bestseller-Autorin Annemarie Schoenle jetzt als eBook bei dotbooks. Sehnsucht im Herzen – Hoffnung im Blick: Ein adoptiertes Kind, das ausgerechnet an Heiligabend seine neue Mutter kennenlernt; der neue, flippige Freund, der an Weihnachten der konservativen Familie vorgestellt wird; die junge Frau, die einen Schlussstrich unter ihre belastende Karriere zieht und sich endlich ihrem Privatleben widmet … Annemarie Schoenle, Grande Dame der deutschen Literatur, geht in geschickten Figurenkonstellationen den Menschen und ihren Gefühlen auf den Grund und schreibt berührend-schöne Geschichten, die in der kalten Jahreszeit jedes Herz wärmen! Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Zuckerherz und Liebesapfel“ von Annemarie Schoenle. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Sehnsucht im Herzen – Hoffnung im Blick:

Ein adoptiertes Kind, das ausgerechnet an Heiligabend seine neue Mutter kennenlernt; der neue, flippige Freund, der an Weihnachten der konservativen Familie vorgestellt wird; die junge Frau, die einen Schlussstrich unter ihre belastende Karriere zieht und sich endlich ihrem Privatleben widmet …

Annemarie Schoenle, Grande Dame der deutschen Literatur, geht in geschickten Figurenkonstellationen den Menschen und ihren Gefühlen auf den Grund und schreibt berührend-schöne Geschichten, die in der kalten Jahreszeit jedes Herz wärmen!

Über die Autorin:

Die Romane Annemarie Schoenles werden millionenfach gelesen, zudem ist sie eine der begehrtesten Drehbuchautorinnen Deutschlands (u. a. Grimme-Preis). Sie ist Mutter einer erwachsenen Tochter und lebt mit ihrem Mann in der Nähe von München.

Bei dotbooks erschienen bereits Annemarie Schoenles Romane Frauen lügen besser, Frühstück zu viert, Verdammt, er liebt mich, Eine ungehorsame Frau,Nur eine kleine Affäre,Ich habe nein gesagt,Du gehörst mir sowie die Erzählbände Der Teufel steckt im Stöckelschuh, Die Rache kommt im Minirock, Die Luft ist wie Champagner,Das Leben ist ein Blumenstrauß, Ringelblume sucht Löwenzahn, Tanz im Regen und Dreitagebart trifft Minirock.

Die Website der Autorin: www.annemarieschoenle.de

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Originalausgabe Oktober 2016

Copyright © der Originalausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Anton Petrus

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-860-1

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Annemarie Schoenle

Zuckerherz und Liebesapfel

Berührende Geschichten

dotbooks.

Das blaue Zimmer

Ellen konnte sich nicht mehr genau erinnern, wann es begann, dieses sonderbare Gefühl, etwas vergessen oder versäumt zu haben. Sie ertappte sich immer öfter bei dem Gedanken, dass sie nun gleich aufstehen und prüfen müsse, ob Aktenschränke und Tresor ordentlich verschlossen und ob in den Materialschränken Papier und Klarsichthüllen auch wirklich, Kante an Kante, aufeinandergeschichtet lagen. Widerstand sie diesem Verlangen, fühlte sie sich unruhig, nervös und ärgerlich. Gab sie ihm nach, kehrte es wieder und quälte sie so sehr, dass sie erschrak. Es war der Stress. Sie wusste es. Sie arbeitete zu viel und zu lange. Sie kümmerte sich nicht mehr um ihr Aussehen, konnte des Nachts schlecht schlafen und nahm ständig ab. Sie empfand sich als kleiner, langweiliger Schatten; ihre braunen Haare hingen dünn und glanzlos bis zu den Schultern, die braunen Augen blickten müde und matt in den Tag, und ihre vorwiegend beige-braune Kleidung war längst aus der Mode. Sie kam sich vor wie eine griesgrämige Bürovorsteherin früherer Zeiten, und ihre streng eingezogenen Lippen ließen sie wesentlich älter erscheinen, als sie war.

Dabei war sie erst neunundzwanzig und hätte überdies allen Grund gehabt, sich zu pflegen, nett zu kleiden und zu flirten auf Teufel komm raus. Denn sie war verliebt. Er hieß Holger Bornstein, arbeitete in der gleichen Firma wie sie, war groß, schlank, hatte dunkles gewelltes Haar, grünblaue Augen und zupackende, kräftige Hände. Er war ein Macher, und Ellen bewunderte ihn grenzenlos. Obwohl er, genau wie sie, Sachbearbeiter in der Auslandsabteilung war – heute nannte man das natürlich Country Manager – war klar, dass dies für ihn nur Zwischenstation bedeutete, eine kleine Stufe auf dem Weg nach oben. Natürlich handelte er oft rücksichtslos, fast egoistisch, und er redete eigentlich nur von sich ... aber musste man nicht rücksichtslos sein und egoistisch, wollte man etwas erreichen?

Die Tür öffnete sich.

»Na, Frau Manhart ... Noch nicht das kleine Schwarze angezogen und die Haare gekämmt für unseren Kollegengeburtstag?« Holger Bornstein lächelte sie an.

Sie wurde rot. »Nein. Ich fürchte, ich habe keine Zeit. Dr. Meittinger hat mir noch einen Eilauftrag gegeben. Ich werde wohl Überstunden machen müssen.«

»Dr. Meittinger geht ebenfalls zu diesem Fest«, meinte Holger ironisch.

»Nun ja. Das muss er wohl. Er ist schließlich Vorgesetzter. Er darf die Leute doch nicht vor den Kopf stoßen.«

»Na. Ihre Bescheidenheit in allen Ehren. Ich glaube aber eher, er hat unliebsame Arbeit auf Sie abgewälzt. Schade.« Seine Stimme vibrierte ein wenig. »Ich hätte gerne ein Glas Prosecco mit Ihnen getrunken.«

Wie nett er war. Kümmerte sich darum, ob andere Arbeit auf sie abwälzten. »Ich ... vielleicht ... vielleicht komme ich später noch vorbei.« Ellen spürte, wie die Haut ihres Halses zu jucken begann. Gleich würden sich jene hässlichen roten Flecken zeigen, die sie so verunsicherten. Sie räusperte sich.

»Also dann ...« Holger lächelte ihr nochmals zu. »Vielleicht bis später. Und wenn Sie sich nicht freimachen können, stibitze ich ein Glas und bringe es Ihnen. Einverstanden?«

Sie nickte und fuhr sich nervös übers Gesicht.

Eine Stunde später öffnete sie das Fenster und atmete tief durch. Es schneite in großen, wässrigen Flocken. Dämmerung legte sich, nassen Spinnweben gleich, auf Büsche und Bäume, die Dächer der Häuser glänzten feucht und grau. Der kleine, krumm gewachsene Weihnachtsbaum auf dem Firmengelände trug trüb blinkende Elektrokerzen. Ellen sah das große, mit Glas verkleidete Besprechungszimmer, das schräg gegenüberlag und in dem Kollege Hauser seinen Geburtstag feierte. Holger Bornstein stand bei Dr. Meittinger, er lachte und blickte den älteren Mann bewundernd an. Die Assistentin Dr. Meittingers war dicht neben ihm, sie trug ein bunt bedrucktes, enges Kleid, ihr kurz geschnittenes Haar wirkte flott und frech. Ellen zog nachdenklich eine Strähne ihres eigenen Haares nach vorne. Ich müsste es schneiden lassen, dachte sie. Eine andere Farbe ... Mein Gott, sie müsste eigentlich so vieles.

»Hallo. Je später der Abend desto netter die Handwerker«, sagte eine lustige Stimme.

Ellen zuckte zusammen. Ein junger Mann in Jeans und schwarz kariertem Hemd stand vor ihr, die rotblonden Haare hingen ihm in die Stirn, seine Augen blickten wasserblau und freundlich, die Wimpern waren blond und kurz. Er war so groß wie Ellen und sehr kräftig. Seine Arme sprengten fast den Stoff des Hemdes, und sie fühlte sich unbehaglich. Sie trat einen Schritt zurück. Sie mochte kräftige Männer nicht.

»Ich weiß schon, dass ich ein schöner Mensch bin. Dass ich Ihnen aber derart die Sprache verschlage ...«, sagte er.

»Entschuldigen Sie. Ich bin etwas abwesend heute. Was wollen Sie?«

»Sie wollten mich. Martin Wagner, Elektroabteilung. Sie brauchen andere Leitungen für die neuen PCs. Ich werde wohl einige Tage hier zu tun haben.«

Er zog einen Plan aus der Tasche und entfaltete ihn. Seine Hände waren ebenso zupackend wie die Holger Bornsteins.

»Kann ich trotzdem weiterarbeiten?«

»Natürlich. Ich vermesse erst alles. Dann ist sowieso Schluss für heute. Dann begebe ich mich in den wohlverdienten Feierabend.« Er pfiff vergnügt vor sich hin.

Wenig später klopfte es. Holger Bornstein balancierte vorsichtig zwei Gläser und ein Schüsselchen auf einem Tablett und stieß die Tür mit den Füßen zu.

»Na? Habe ich nicht wunderbar Wort gehalten?« Seine Augen glänzten. Er lächelte auf sie herab.

»Danke«, sagte sie. »Wirklich, Sie sind sehr aufmerksam.« Schon wieder spürte sie, wie sie errötete. Himmel! Was war bloß los mit ihr?

Holger setzte sich. »Ich wollte schon lange mit Ihnen reden ...« Er sah ein wenig unbehaglich nach Martin Wagner, der im angrenzenden Zimmer am Boden kniete und einen Meterstab auseinanderzog.

»Ja?« Ellen wurde unruhig. Ob er sie einlud? Aber nein. Wie kam sie darauf? Unscheinbar, wie sie war.

»Ich habe von Dr. Meittinger eine Riesensache übertragen bekommen. Ich soll ein Angebot ausarbeiten für eine französische Firma. Sie waren doch einige Zeit in Paris, ein paar Jahre sogar. Na, mein Französisch ist mehr als mäßig, nur so lala ... Ich hatte immer nur Dummheiten im Kopf, damals, in der Schule.«

Ellen lächelte. Ja, sie konnte sich ihn gut vorstellen als Schüler. Immer in Bewegung, immer im Mittelpunkt.

»Na? Wo sind wir denn schon wieder mit unseren Gedanken?« Seine Stimme klang zärtlich, schaffte Intimität. Ellen nahm hastig einen Schluck.

»Verzeihen Sie. Ja, natürlich. Ich helfe Ihnen gerne. Arbeiten Sie alles in Deutsch aus. Ich übersetze dann ...«

»Ich weiß, ich könnte es auch an die Übersetzungsabteilung geben. Aber es ist viel zu langwierig. Außerdem habe ich Dr. Meittinger gegenüber behauptet, mein Französisch sei in Ordnung. Doch jetzt merke ich, dass ich den Mund wohl zu voll genommen habe.« Er sah verlegen zu Boden, und Ellen fand ihn immer liebenswerter.

»Ich mache es gerne, ehrlich«, sagte sie.

»Nur ...« Er zögerte. »Ich kann Ihre Verdienste Meittinger gegenüber nicht herausstellen. Hoffentlich stört Sie das nicht.«

»Nein. Es macht mir nichts«, sagte sie und freute sich unsagbar, dass er sie um einen Gefallen bat.

Er sprang auf. »Das werde ich Ihnen nicht vergessen, Ellen ...« Es war das erste Mal, dass er sie beim Vornamen nannte.

Als er ging, starrte sie auf ein leeres Blatt. Sie sah sich in einem großen, hohen Zimmer, blaue Seide bespannte die Wände, blaue Vorhänge bewegten sich sacht im Wind, und Holger Bornstein stand in der Mitte des Raumes und lächelte sie an. Blau, ihre Lieblingsfarbe ... blaue Kleider hatte auch ihre Mutter immer getragen, gedämpftes, blaues Licht war das Licht ihrer Kindheit.

»So. Schluss für heute. Es ist schon nach sechs ... Arbeiten Sie immer so lange?« Martin Wagner streckte sich.

Ellen blickte überrascht auf. Sie hatte ihn völlig vergessen. »Ja, meistens ...«, murmelte sie.

»Sie sehen aber so aus, als bräuchten Sie dringend ein bisschen frische Luft. Und etwas Ordentliches zu essen.«

Sie zog die Brauen hoch. »Wie bitte?«

»War nur der unwesentliche Eindruck eines Kollegen, ganz ohne Prosecco«, sagte er spöttisch.

Als am nächsten Morgen der Wecker klingelte, fühlte sie sich wie zerschlagen. Ihr kleines Appartement, das sie möbliert gemietet hatte, wirkte unpersönlich. Ihr brauner Rock lag, achtlos abgestreift, am Boden, der Wasserhahn in der Kochnische tropfte, das Bücherregal trug eine dicke Staubschicht.

Ellen rollte sich zusammen. Sie musste aufstehen. Sie musste Meittingers Arbeit zu Ende bringen. Sie musste Holger Bornstein helfen. Sie musste dringend zum Friseur. Sie musste ihr Theater-Abo verlängern, oder es verfiel. Sie musste, musste, musste. Aber wann? Wie schafften es bloß die anderen? Zum Beispiel diese hübsche Assistentin von Dr. Meittinger? Die hatte doch sicher auch Verpflichtungen: Wieso sah sie immer so absolut gestylt aus? Und war stets guter Laune? Und dieser Mechaniker ... Wie alt er wohl war? Fünfundzwanzig? Dreißig? Sie wickelte sich in ihre Decke und grub den Kopf ins Kissen. Dachte sich wieder in ihr blaues Zimmer hinein. Ein runder Frühstückstisch am Fenster, makellos weißes Geschirr, Holger Bornstein umarmte und küsste sie. Träume ... Sie wickelte sich noch enger in ihre Decken und presste die Hände dicht an den Körper. Sicher, er hatte sie eigentlich nicht sonderlich beachtet all die Monate, die sie ihn schon liebte. Aber seit gestern, da begann sie zu hoffen. Seine Stimme hatte so warm geklungen, so herzlich. Und das gab es doch, dachte sie. Eine junge Frau zum Beispiel ... sie wird nicht beachtet von einem Mann, sie kleidet sich in blaue Seide, trägt einen frechen Hut, und der Hut ist es, der dem Mann auffällt, er sieht plötzlich, wie hübsch die Linie ihres Halses ist und wie zart ihre Gelenke. Ein anderer wird durch ihr Lachen aufmerksam, es ist dieses Lachen, das sein Herz schneller schlagen und ihn umblicken lässt nach dieser Frau, die es lachte. Warum sollte es bei ihr nicht ebenso sein? Vielleicht ist es ihr Verstand, der ihn reizt, ihre helle Stimme oder die Art, wie sie den Kopf zur Seite neigt, wenn sie mit ihm spricht ...

Sie kam viel zu spät ins Büro. Der Mechaniker kniete bereits wieder am Boden und schnitt ein Loch in den Teppich.

»Was machen Sie da?«, fragte Ellen missmutig. Sie hatte noch nicht gefrühstückt und fühlte sich elend.

»Ich versaue Ihren schönen Teppich ... Mein Gott, Sie sehen ja aus ... Wie lange waren Sie denn noch da, gestern?«

»Bis um neun. Und mein Anblick geht Sie einen feuchten Dreck an.«

»Da haben sie allerdings recht, Gnädigste. Aber ich war einmal bei den Pfadfindern. Jeden Tag eine gute Tat.« Er grinste, ging zu einer kleinen braunen Mappe, öffnete sie, zog eine Tüte Brötchen heraus, Wurst, Käse und eine Thermosflasche.

»Haben Sie einen Teller?«

Sie deutete auf einen Schrank. Er holte ein kleines Brett, ein Messer, schnitt ein Brötchen auf, bestrich es sorgfältig mit Butter und belegte es mit Schinken. Dann goss er Kaffee ein. Er stand nahe bei ihr, sie sah seinen rötlichen Hals, er roch nach Seife und Rasierwasser, und sein Hemd war heute blau kariert.

»So. Nun essen Sie erst einmal.«

Ellen biss sich auf die Lippen. Wenn er noch ein nettes Wort sagte, würde sie in Tränen ausbrechen. Doch er bückte sich wieder und arbeitete weiter.

Sie wischte sich gerade Krümel und Fett von den Fingern, als Dr. Meittinger kam. »Haben Sie die Aufstellungen fertig?«

»Nein, noch nicht ganz.«

»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich die Sachen heute Morgen brauche.«

»Ich war gestern Abend bis neun Uhr ...«

»Mein Gott, Frau Manhart. Jetzt beeilen Sie sich aber.«

Er ging hinaus, und Ellen sah ihm nach. Ihre Arme waren so schwer, sie meinte, sie nie mehr heben zu können, und ihr Kopf schmerzte. Wie sollte sie nur alles schaffen? Ich muss, dachte sie und biss die Zähne zusammen. In der Mittagspause würde sie in der Kantine einen Teller Suppe essen. Das würde ihr guttun. Vielleicht sah sie dann auch Holger Bornstein ...

Mühsam begann sie zu arbeiten. Mühsam schleppte sie sich durch den Tag. Als sie sich einmal im Spiegel betrachtete, hatte sie tiefe Ränder unter den Augen. Sie band ihre Haare achtlos im Nacken zusammen und knöpfte ihre Bluse zu. Ihr war kalt.

Das Telefon klingelte.

»Frau Manhart?« Es war Holger Bornstein.

»Ich habe bereits ein paar Seiten zum Übersetzen. Kann ich sie Ihnen mailen? Ich bin so in Druck heute.«

»Aber ja«, antwortete Ellen. Sie war enttäuscht. Wenn sie ihn wenigstens sehen könnte! Sie hatte plötzlich so eine dumme Sehnsucht, sie wollte ihm sagen, wie elend ihr war und wie kalt. Sicher würde er sie trösten und ... Ja, was? Ihr helfen? Sie verwöhnen? Sie starrte auf ihren Bildschirm. Sah nichts und doch so viel. Holger Bornstein ... Er stand im blauen Zimmer, er trug vorsichtig ein Tablett, so vorsichtig, wie er gestern das Tablett mit dem Prosecco getragen hatte. Er stellte es auf einen kleinen Marmortisch, blaue Rosen standen in einer Vase, er bestrich, liebevoll und sorgfältig, zarten Toast mit frischem Kaviar und reichte ihr einen silbernen Teller.

»Haben Sie Lust, heute mit mir essen zu gehen?« Martin Wagner richtete sich auf und sah sie an. Seine Stimme klang laut. Sie zuckte zusammen.

»Ich?«

»Ja. Wäre nett. Ich hätte große Lust auf Pizza und Rotwein. Aber einsamer Rotwein schmeckt nicht.«

»Nein, nein. Ich habe noch zu tun«, sagte Ellen abweisend. Wie kam er dazu ...

»Wenn Sie so weitermachen, klappen Sie in ein paar Tagen zusammen, Sie wissen es genau. Geben Sie sich einen Ruck und kommen Sie mit. Ich will Sie weder verführen noch verschleppen. Ich eigne mich nicht zum Mädchenhändler. Für einen Harem wären Sie sowieso zu mager«, sagte er und grinste.

Plötzlich verspürte sie große Lust zu gehen und alles hinter sich zu lassen. Sie konnte ihr Büro nicht mehr ertragen. Draußen schneite es nun schon seit Stunden, weiße Flocken tanzten vor ihren Fenstern. Sie wollte ihr Gesicht in diese dichten, kühlen Flocken halten, wollte ganz tief durchatmen, einen Schneeball formen oder kleine, würzige Tannennadeln zwischen den Fingern zerreiben. Sie schloss die Augen. In ihrem blauen Zimmer ertönte Klaviermusik, es duftete nach Bratäpfeln, Holger Bornstein entzündete eine schlanke, hohe Kerze ...

Ihre Augen brannten, und sie begann zu zittern. Ich werde allmählich verrückt, dachte sie. »Okay«, sagte sie schnell. Sie band einen Schal um, puderte das Gesicht und legte ein wenig Lippenstift auf.

»Na also«, sagte Martin zufrieden. »Allmählich sehen Sie so aus, als zählten Sie wieder zu den Lebenden.« Er wusch sich die Hände, räumte seine Mappe ein und half ihr in den Mantel. »Gehen wir?« Sie nickte.

Ellen bemerkte Holger Bornstein sofort. Er saß mit Dr. Meittingers Assistentin in einer kleinen Nische, hielt ihre Hände und redete lächelnd auf sie ein. Eine Wandlampe zauberte rötliche Lichter auf sein dunkles Haar, und er sah so gut aus, dass Ellens Herz sich verkrampfte.

Martin warf ihr einen Blick zu. Seine Augen wanderten zu dem Tisch in der Ecke. »Wollen Sie lieber woandershin?«

»Ja. Bitte.«

Sie gingen. »Fahren Sie mich nach Hause.«

»Wie Sie meinen.« Er ärgerte sich, sie spürte es. Sein schweigsamer Zorn fiel sie an, machte sie noch unsicherer als sonst, doch sie konnte es nicht ändern. In spätestens drei Minuten würde sie hemmungslos weinen. Und sie konnte sich nichts Schrecklicheres vorstellen, als in seinem Auto zu sitzen, tränenüberströmt, eine dumme, graue Person, die sich lächerlich machte und die mit offenem, feuchtem Mund in ein Taschentuch schluchzte.

»Fahren Sie schon«, sagte sie ungeduldig.

Er schwieg und starrte sie mit schmalen Augen an. »Verdammt noch mal. Sie sind das zickigste Frauenzimmer, das mir je unterkam. Nicht, dass Sie mir sofort gefallen hätten, nein, bei Gott. Sie sahen eher aus wie eine Trauerweide. Aber Sie waren mir sympathisch, weiß der Teufel, warum ... Ich wollte Sie ein wenig ablenken. Ich finde, Sie lassen sich schamlos ausnutzen. Und dass Sie in diesen Schnösel Bornstein verliebt sind ... na ja, über Geschmack lässt sich ja bekanntlich streiten!«

»Seien Sie ruhig! Was mischen Sie sich in mein Leben ein ...«

»Leben nennen Sie das? Dass ich nicht lache! Sie sitzen jeden Tag zwölf Stunden oder noch mehr in Ihrem tristen Büro, laufen herum wie eine Vogelscheuche ...«

Das war doch ... Ellen schnappte nach Luft.

Sie sprachen kein Wort mehr miteinander. Als sie ausstieg, schlug sie zornig die Autotür zu.