Zwei, die einander helfen - Britta Frey - E-Book

Zwei, die einander helfen E-Book

Britta Frey

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Beschreibung

Sie ist eine bemerkenswerte, eine wirklich erstaunliche Frau, und sie steht mit beiden Beinen mitten im Leben. Die Kinderärztin Dr. Martens ist eine großartige Ärztin aus Berufung, sie hat ein Herz für ihre kleinen Patienten, und mit ihrem besonderen psychologischen Feingefühl geht sie auf deren Sorgen und Wünsche ein. Alle Kinder, die sie kennen, lieben sie und vertrauen ihr. Denn Dr. Hanna Martens ist die beste Freundin ihrer kleinen Patienten. Der Kinderklinik, die sie leitet, hat sie zu einem ausgezeichneten Ansehen verholfen. Es gibt immer eine Menge Arbeit für sie, denn die lieben Kleinen mit ihrem oft großen Kummer wollen versorgt und umsorgt sein. Für diese Aufgabe gibt es keine bessere Ärztin als Dr. Hanna Martens! Kinderärztin Dr. Martens ist eine weibliche Identifikationsfigur von Format. Sie ist ein einzigartiger, ein unbestechlicher Charakter – und sie verfügt über einen extrem liebenswerten Charme. Alle Leserinnen von Arztromanen und Familienromanen sind begeistert! Seit Stunden lag Linda Mahler wach in ihrem Bett. Einmal drehte sie sich auf die linke Seite, dann wieder auf die rechte, doch der Schlaf wollte nicht wiederkommen, obwohl sie noch sehr müde war, denn sie hatte den Tag vorher am Morgen ein paar Stunden im Garten gearbeitet. Und am Nachmittag war sie mit ihrer Mutter und den Kindern Sandra und Peter durch die blühende Heide gewandert. Verzweifelt fragte sie sich nun, ob sie nie über den Verlust ihres Mannes Felix hinwegkommen würde. Seit einem halben Jahr waren sie geschieden – und sie hatte den Scheidungsrichter nicht überzeugen können, daß es für sie und die Kinder besser wäre, wenn ihr Mann kein Besuchsrecht bekommen würde. Sein Anwalt hatte es durchgesetzt, daß er alle zwei Monate, sonntags, die Kinder abholen dürfe. Und heute war wieder der bewußte Sonntag. Dieser Tag würde besonders schwer für sie sein, denn es war nicht nur ihr dreißigster Geburtstag, es wäre auch ihr zehnter Hochzeitstag. Obwohl sie es nicht wollte, liefen ihr die Tränen über die Wangen. Ich will für meine beiden Kinder dankbar sein, sagte sie sich nun und wischte energisch die Tränen weg. Peter war für seine acht Jahre ein aufgeweckter Junge, sehr lieb und immer hilfsbereit. Er war aber auch das Ebenbild seines Vaters – er hatte die gleichen dunkelbraunen Augen, die gleiche Haarfarbe und das gleiche Temperament. Die fünfjährige Sandra war noch sehr verspielt. Die hellblonden gelockten Haare und die tiefblauen Augen sowie die kleinen Grübchen in den Wangen, sie sah aus wie Linda selbst. Nun dachte sie an den Rat ihrer noch sehr jugendlichen Mutter: »Du solltest dir einen Lebensgefährten nehmen, dann kommst du leichter über die Trennung hinweg, mein Kind«, hatte sie erst gestern wieder zu ihr gesagt. Sie konnte keinen anderen Mann nehmen, denn sie liebte Felix noch immer, obwohl er sie mit einer anderen Frau betrogen hatte und mit ihr nun zusammenlebte. Linda war aber dankbar, daß ihre geliebte Mutter jedes Wochenende nach Ögela kam. Die Kinder liebten ihre Oma sehr, denn die Tage waren immer voller Lachen und Freude. Es war nur traurig, daß der Opa vor vier Jahren an Herzversagen gestorben war.

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Seitenzahl: 141

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Kinderärztin Dr. Martens – 84 –Zwei, die einander helfen

Als die Mama verschwunden war

Britta Frey

Seit Stunden lag Linda Mahler wach in ihrem Bett. Einmal drehte sie sich auf die linke Seite, dann wieder auf die rechte, doch der Schlaf wollte nicht wiederkommen, obwohl sie noch sehr müde war, denn sie hatte den Tag vorher am Morgen ein paar Stunden im Garten gearbeitet. Und am Nachmittag war sie mit ihrer Mutter und den Kindern Sandra und Peter durch die blühende Heide gewandert.

Verzweifelt fragte sie sich nun, ob sie nie über den Verlust ihres Mannes Felix hinwegkommen würde. Seit einem halben Jahr waren sie geschieden – und sie hatte den Scheidungsrichter nicht überzeugen können, daß es für sie und die Kinder besser wäre, wenn ihr Mann kein Besuchsrecht bekommen würde. Sein Anwalt hatte es durchgesetzt, daß er alle zwei Monate, sonntags, die Kinder abholen dürfe.

Und heute war wieder der bewußte Sonntag. Dieser Tag würde besonders schwer für sie sein, denn es war nicht nur ihr dreißigster Geburtstag, es wäre auch ihr zehnter Hochzeitstag. Obwohl sie es nicht wollte, liefen ihr die Tränen über die Wangen.

Ich will für meine beiden Kinder dankbar sein, sagte sie sich nun und wischte energisch die Tränen weg. Peter war für seine acht Jahre ein aufgeweckter Junge, sehr lieb und immer hilfsbereit. Er war aber auch das Ebenbild seines Vaters – er hatte die gleichen dunkelbraunen Augen, die gleiche Haarfarbe und das gleiche Temperament.

Die fünfjährige Sandra war noch sehr verspielt. Die hellblonden gelockten Haare und die tiefblauen Augen sowie die kleinen Grübchen in den Wangen, sie sah aus wie Linda selbst.

Nun dachte sie an den Rat ihrer noch sehr jugendlichen Mutter: »Du solltest dir einen Lebensgefährten nehmen, dann kommst du leichter über die Trennung hinweg, mein Kind«, hatte sie erst gestern wieder zu ihr gesagt.

Sie konnte keinen anderen Mann nehmen, denn sie liebte Felix noch immer, obwohl er sie mit einer anderen Frau betrogen hatte und mit ihr nun zusammenlebte.

Linda war aber dankbar, daß ihre geliebte Mutter jedes Wochenende nach Ögela kam. Die Kinder liebten ihre Oma sehr, denn die Tage waren immer voller Lachen und Freude. Es war nur traurig, daß der Opa vor vier Jahren an Herzversagen gestorben war.

Zu gern wäre Linda zu ihrer Mutter nach Celle gezogen, um Felix und die Erinnerungen an die schöne Zeit zu vergessen. Für die Kinder aber war es besser, in Ögela zu sein. Hier hatten sie den großen Garten, ihre Freunde und die wunderschöne Umgebung. Felix hatte großzügigerweise ihr das Haus überschrieben, er zahlte auch genügend Unterhalt, denn er hatte in Hannover eine gutgehende Werbeagentur.

»Ach, Felix«, sagte Linda nun leise, »warum hast du uns das nur angetan? Wir waren doch alle vier zusammen so glücklich gewesen.«

Linda wußte, wenn sie sich so elend fühlte, daß sie immer starke Kopfschmerzen bekam. Sie schluckte eine Kopfschmerztablette mit ein wenig Wasser und legte sich noch einmal ins Bett. Sie blieb noch eine halbe Stunde liegen, dann stellte sie sich unter die Dusche und kleidete sich an. Sie hoffte, daß Felix so viel Fairneß besaß und ihren Geburtstag ignorierte.

Leise ging sie die Treppe nach unten, sie wollte die Kinder nicht wecken. Der Kaffeeduft aus der halb­offenen Küchentür stieg ihr in die Nase. Mit einem aufgesetzten Lächeln betrat sie die Küche. Doch was sie dann sah und hörte, verschlug ihr den Atem, denn die Kinder sangen mit der Mutter im Chor ein fröhliches Geburtstagslied.

Tränen der Freude stiegen Linda in die Augen, als die kleine Sandra ihr einen bunten Blumenstrauß und ein kleines, von ihr gemaltes Herz überreichte.

»Mein Liebling, herzlichen Dank«, sagte sie gerührt, hob ihre Tochter hoch und drückte sie fest an sich.

Ungeduldig wartete schon Peter, sein Geschenk zu überreichen, doch das Telefon in der Diele klingelte plötzlich, und Linda meinte: »Das ist bestimmt für mich.« Sie hob den Hörer ab und fragte: »Ja, bitte?« Ihr Herz begann zu rasen, als Felix zu ihr sagte: »Ich will dir ganz herzlich zu deinem heutigen Geburtstag gratulieren, und…«

»Laß das sein! Von dir will ich keine Glückwünsche«, rief sie schrill und knallte den Hörer auf den Apparat.

»Wer war das denn?« wollte Peter wissen, als sie wieder in die Küche kam.

»Ach, irgend so ein Spinner, der sich einen Scherz erlaubte«, sagte sie mit noch zittriger Stimme.

Die Mutter meinte nur: »Ich denke, wir frühstücken erst zusammen, sonst wird alles kalt.« Sie goß den Kindern Kakao in die Tassen und gab ihnen auf die Teller ausnahmsweise Eier mit Schinkenwürfeln. Die Brötchen waren frisch aufgebacken und dufteten, als wären sie von heute.

Linda hatte sich wieder beruhigt, und ihre Mutter sah, daß ihre Hand ein wenig zitterte, als sie den Kaffee in die Tassen goß.

Peter fragte ein wenig enttäuscht: »Mami, bist du nicht neugierig, was ich dir schenken will?«

»Doch, mein Sohn. Ich überlege mir schon dauernd, was es wohl sein könnte.« Sie sah ihn lächelnd an und sagte dann: »Jetzt weiß ich es – bestimmt ist es ein Kochbuch…«

»Nein, ist es nicht. Rate weiter, Mami.« Das Ratespiel schien den Kindern zu gefallen, auch der Oma, denn sie wollte wissen: »Was glaubst du wohl, was du von mir bekommst, Linda?«

»Das weiß ich schon, es ist ein Pullover in Spitzenmuster.«

»Ganz falsch«, riefen Peter und Sandra gleichzeitig. »Es ist ganz hart«, fügte die Mutter hinzu.

Keiner hatte mehr Lust, weiter zu essen, alle wollten sie sehen, ob und wie die Mami sich über die Geschenke freute.

»Ihr seid doch eine Rasselbande«, sagte die Oma mit gespieltem finsterem Gesicht. »Ich gebe mir Mühe, ein besonderes Frühstück zu machen und keiner schätzt das.«

»Doch, Omilein, es hat prima geschmeckt«, meldete sich Sandra und warf ihr ein Kußhändchen zu.

»Ja, Oma, es war ganz toll, aber zuviel für meinen Magen«, versicherte Peter und schenkte ihr ein charmantes Lächeln.

Die Oma sah ihre Tochter an, und beide dachten dasselbe: Peter sah nicht nur aus wie sein Vater, er besaß auch den gleichen liebenswerten Charme.

Linda unterdrückte den Seufzer, der über ihre Lippen wollte. Wie sollte sie auch Felix vergessen können, wenn sein Sohn ihm in allem so ähnlich war?

Nachdem das Frühstücksgeschirr abgeräumt war, lagen nur noch die Geschenke neben dem großen, bunten Blumenschmuck.

Und die Mami machte es spannend, fanden die Kinder. Sie sah lange ein Geschenk nach dem anderen an – und dann schloß sie die Augen, ihre rechte Hand schwebte über den Päckchen, und schon hatte sie eines hochgenommen.

»Soll das ein neues Spiel werden, Linda?« fragte die Mutter, doch Peter juchzte, denn die Mami löste schon von seinem Päckchen die Schleife. Es kam ein wunderschön gemalter Kalender zum Vorschein. Linda sah staunend auf die schönen Aquarelle, die zu jedem Monat genau paßten.

»Das hab ich alles alleine gemalt«, sagte er stolz. »Gefällt es dir wirklich?«

»Aber ja, Peterle, du bist ja schon ein richtiger Künstler.« Linda schluckte, denn sie konnte sich denken, von wem diese Idee war. Sie umarmte ihn herzlich und bedankte sich lieb.

Nun machte sie auch noch die anderen Geschenke auf. Von der Mutter bekam sie einen großen Seidenschal, den sie zauberhaft bemalt hatte. Von Sandra war noch ein kleines Päckchen dabei.

Als Linda es öffnete, freute sie sich über das schön bestickte Taschentuch. »Die Omi hat es für mich fertig gemacht« meinte Sandra leise. »Wenn ich größer bin, dann…«

»Aber Schätzchen«, unterbrach sie Linda. »Ich freue mich über alle Geschenke wirklich sehr.« Und innig drückte sie ihr kleines Mädchen an sich.

Dann umarmte sie auch ihre Mutter und bedankte sich. Leise sagte sie noch: »Es ist wunderbar, daß es dich gibt.«

Die Mutter lächelte nur, denn sie wußte, wenn sie nicht wäre, gäbe es keine Tochter und keine Enkelkinder.

Plötzlich meinte der achtjährige Peter: »Wir sollten heute dem Vati absagen… Ich denke, es wäre besser, wir bleiben bei dir, Mami.«

»Ja…«, sagte auch Sandra. »Wir wollen deinen Geburtstag ganz lustig feiern und nachmittags Eis essen gehen.«

»Meinst du das auch, Mutter?« fragte Linda – ihre Augen signalisierten aber, es ist besser, sie fahren mit ihrem Vater.

Die Mutter hatte verstanden. »Wer weiß, wie nächsten Sonntag das Wetter ist. – Euer Vater soll euch heute etwas früher heimbringen, dann können wir noch im Garten sitzen – und ich bereite eine Eisbombe vor.«

»Au fein, Omilein. – Darf Vati heute mit ins Haus kommen?« wollte die Kleine noch wissen.

Linda ging aus der Küche, sie überhörte diese Frage bewußt. Ihre Mutter antwortete dem Mädchen: »Kleines, ich weiß, es ist nicht leicht für dich zu verstehen, daß deine Eltern getrennt leben…«

»Ich war dumm, Omi, ich hätte nicht fragen sollen. Ist Mami jetzt mit mir böse?«

»Aber nein, Schätzchen. Mami ist nur traurig, weil alles so gekommen ist.«

Peter, der zwar erst acht Jahre war, wußte schon von einem Schulkameraden, dessen Eltern auch geschieden waren, daß Mütter deshalb manchmal sehr traurig waren. Er sagte nun: »Komm, Schwesterlein, wir müssen uns fertig anziehen, denn Vati ist bestimmt schon um zehn Uhr da, er will mit uns heute ans Steinhuder Meer fahren.«

»Meinst du, Peter, er fährt mit uns in einem Boot?«

»Ich denke schon – aber nun komm endlich.«

*

Lindas Mutter, Clara Hansen, war erst zweiundfünfzig Jahre alt. Sie war noch eine sehr schöne Frau. Ihre Haare waren nur ein bißchen dunkler als die ihrer Tochter, doch ihre Augen, vom gleichen Blau wie Lindas, blickten heute etwas trauriger als sonst. Sie dachte an ihren Mann Robert, mit dem sie fünfundzwanzig Jahre verheiratet gewesen war, und zwar sehr glücklich. Als er vor vier Jahren an Herzversagen starb, glaubte sie, es nicht verkraften zu können. Doch damals holten Linda und Felix sie nach Ögela. Die beiden und die Enkelkinder halfen ihr über den größten Kummer hinweg. Dann hatte sie wieder in der Bank gearbeitet, wo sie früher einmal tätig gewesen war.

Und jetzt verbrachte sie jedes Wochenende bei Linda und den Kindern, weil diese ihre Hilfe brauchten.

Damals hatte sie vorgehabt, als Felix sich von Linda trennte, mit ihm ein ernstes Gespräch zu führen – sie tat es nicht, weil Linda es ihr verboten hatte. Hilflos hatte sie zusehen müssen, wie die einst so glückliche Familie auseinanderbrach.

Wenn Linda nur wollte, könnte sie sicher bald ein neues Glück finden, denn es gab nicht nur einen Mann, der sie verehrte…

Doch ihre Mutter Clara wußte, daß es zwecklos war, ihr das klarzumachen, solange sie Felix noch in ihrem Herzen hatte.

Diese Gedanken beschäftigten Clara, während sie die Teller und Tassen sowie das Besteck in den Geschirrspüler räumte.

Wie immer, wenn Felix kam, blieb Linda im oberen Stock – räumte die Schlafzimmer auf und brachte die beiden Bäder wieder in Ordnung.

»Wir haben uns von Mami schon verabschiedet«, sagte Peter zur Oma, als er den Wagen des Vaters hörte, der vor der Gartentür hielt. »Tschüß, Omi!« Die Kinder gaben ihr ein Küßchen auf die Wange, und schon waren sie draußen.

Hinter der Gardine stehend, sah Oma Clara zu, wie herzlich Peter und Sandra ihren Vati begrüßten. Felix’ strahlendes Lächeln tat Clara in der Seele weh. Sie fragte sich, ob auch Linda vom Schlafzimmerfenster aus diese Szene beobachtete.

Und sie wünschte, sie täte es nicht, gerade heute an ihrem Geburtstag, der auch der zehnte Hochzeitstag wäre.

Wie so oft fragte sich Clara, warum gerade Menschen, die sich von Herzen lieben, auseinandergerissen werden. Doch nie fand sie eine Antwort auf diese Frage.

Sie ging nach oben und fand Linda weinend in einem Sessel sitzen. Sehr sanft sagte sie: »Ich finde, du hast heute genug geweint, mein Kind. Was hältst du davon, wenn wir zwei die Küche kalt lassen, uns ins Auto setzen und nach Lüneburg fahren? – Ich finde, das wäre eine gute Idee.«

Energisch wischte Linda ihre Tränen weg, stand auf und umarmte die Mutter. »Ich glaube, ich wäre verloren, wenn ich dich nicht hätte. – Verzeih mir, daß ich mich heute wieder so gehen lasse.«

»Du hast mir auch sehr geholfen, als Vater gestorben ist. Damals dachte ich auch, ich schaffe es nie allein zu sein. Eines Tages, Linda, wirst du den richtigen Mann für dich, und in ihm den Vater für deine Kinder finden. – Du mußt nur daran glauben.«

»Ich will’s versuchen, Mutti. Also auf nach Lüneburg!«

*

Linda war froh, als dieser Tag, vor dem sie sich gefürchtet hatte, vorbei war. Aber sie war ihrer Mutter sehr dankbar, daß der Nachmittag nicht verloren war.

Es war erst neun Uhr, als sie nach oben in ihr Schlafzimmer ging. Zuvor öffnete sie noch leise Sandras Zimmer. Die Kleine schlief tief und fest. Das schwache Licht der Nachttischlampe ließ sie brennen, für den Fall, daß sie einmal aufstehen mußte. Mit einem Lächeln schloß sie behutsam wieder die Tür.

Nun wollte sie auch, wie jeden Abend, nach Peter sehen. Doch dieser hatte die Arme um seine hochgezogenen Knie geschlungen und schluchzte leise. Sie ging an sein Bett, berührte sanft seine braunen Haare und fragte: »Warum weinst du denn, mein Sohn? Was ist passiert?«

Peter wischte schnell die Tränen weg und sagte: »Ich dachte nicht, daß du heute so früh schlafen gehst.«

Sie setzte sich auf seine Bettkante und bat ihn, ihr seinen Kummer anzuvertrauen.

Er schluckte die Tränen energisch runter, dann sagte er: »Es war heute wieder so schön, Mami. Wenn du dabei gewesen wärst, wäre es noch schöner geworden. Sandra und ich vermissen unseren Vati sehr.«

»Möchtest du bei deinem Vater wohnen, Peter?« fragte sie und hatte Angst vor seiner Antwort.

»Nein, nein!« sagte er schnell. »Dann müßte ich doch auch mit dieser… dieser Rothaarigen zusammenleben, die mag ich aber kein bißchen leiden.«

Heimlich atmete Linda erleichtert auf, dann wollte sie wissen: »Hat er sie manchmal dabei?« Als er nur nickte, fragte sie noch: »Hat er euch verboten, es mir zu sagen?«

»Nicht direkt. Er sagte uns nur, sie ist eine Bekannte… Aber wir sind doch nicht doof, phhh – sie küßt ihn sogar vor uns.« Peter atmete tief durch, dann meinte er: »Wie konnte Vati dich aufgeben, gegen so eine… Sie ist nicht einmal schön, und schlampig ist sie auch noch.«

»Sag nichts mehr von ihr, Peter. Weißt du, wenn man voreingenommen ist, sieht man mehr Negatives an einer Person als Gutes.«

»Ja, Mami – wir wollen sie schnell vergessen. Und ich werde Vati bitten, diese – diese Frau nicht mehr mitzubringen.«

»Ich bin sehr froh, daß ich einen so vernünftigen Jungen habe«, sagte Linda gerührt. »Nun versuche zu schlafen, mein Lieber, denn morgen früh hast du ja um neun Uhr Schule.«

Er umarmte sie fest, dann flüsterte er: »Ich bin so froh, daß ich so eine prima Mami habe.«

Linda meinte lachend: »Das ist ja prima, dann sind wir beide froh, daß wir uns haben.« Und Peter stimmte in ihr Lachen mit ein.

Linda fragte ihren Peter nie mehr, doch am anderen Tag telefonierte sie mit ihrem Anwalt und bat ihn, die ­Besuchserlaubnis ganz aufzuheben, wenn ihr geschiedener Mann diese Frau wieder mitbringen würde.

»So einfach ist das nicht, Frau Mahler. Das muß ein Richter entscheiden. Er darf ja sowieso nur alle zwei Monate seine Kinder für ein paar Stunden sehen. Das ist bestimmt schon hart genug.«

»Ich versteh schon, Herr Dr. Bergmann. Vielleicht schreibe ich ihm ein paar Zeilen, entweder die Kinder, oder seine Freundin.«

»Tun Sie das, Frau Mahler. Ich finde, das ist eine gute Idee.«

*

Weiterhin verbrachte Clara Hansen jedes Wochenende wie immer bei ihrer Tochter und den Enkelkindern. Sie machten zusammen Spiele, wenn das Wetter sich nicht zum Wandern eignete. Sie grillten im Garten und luden einige Nachbarn ein, die ihre Kinder mitbrachten.

Im großen und ganzen wäre es für alle eine wundervolle Zeit gewesen, wenn Linda sich ihren Felix aus dem Herzen hätte reißen können. Es gelang ihr aber nicht, und sie hatte schon wieder Angst vor dem kommenden Sonntag, wenn er die Kinder abholen würde. Neun Jahre war ihre Ehe intakt gewesen, und jeden Abend fuhr er von Hannover, wo er seine Werbeagentur hatte, nach Hause. Und Linda hatte keinen Verdacht gehabt, wenn er ab und zu nicht heimkam. Er hatte viele Aufträge, und die Termine häuften sich, so daß er große Geschäftsräume mietete, wo er in seinem Arbeitszimmer auch eine Couch hatte, auf der er gegebenenfalls auch schlief.

Er hatte ihr dann voller Stolz gesagt, daß er fünf Grafiker und drei Texterinnen beschäftigte.

Linda wußte nicht einmal, ob es eine von diesen Frauen war. Sie wollte es gar nicht wissen. Eine Bekannte hatte ihr am Telefon berichtet, daß sie Felix mit einer anderen Frau sehr vertraut in einem Nachtlokal gesehen hatte.

Sie hatte es nicht geglaubt – und ihn gleich gefragt, ob er sie betrüge… Als er nur nickte, blieb sie ganz ruhig – und bat ihn, sofort seine Sachen zu packen und das Haus zu verlassen. Mit fremder Stimme hatte sie gesagt: »Ich reiche schon morgen die Scheidung ein, und ich will, daß du die Kinder nie mehr sehen darfst.«

Bei der Scheidung wurde beschlossen, daß er sie alle zwei Monate an einem Sonntag abholen durfte.

Die ersten Wochen war Linda hart zu sich selbst, und sie litt so sehr, daß ihre Mutter sie in die Arme nahm und sie bat, endlich zu weinen. Doch sie war wie versteinert…