100 Gründe nicht zu heiraten - Lo Jakob - E-Book

100 Gründe nicht zu heiraten E-Book

Lo Jakob

4,0

Beschreibung

Nellie Grüner träumt davon zu heiraten, so richtig bombastisch und romantisch, eine Traumhochzeit mit allem Drum und Dran. Und danach Kinder. Das wäre perfekt. Nellie hat nur ein Problem: Sie hat keine passende Frau zum Heiraten. Also holt sie sich ihre Romantik eben auf den Hochzeiten anderer Leute und knipst als Hochzeitsfotografin glückliche Menschen. Adelheid von Gemseck hingegen lehnt nichts mehr ab als zu heiraten. Schlimm genug, dass sie in ihrem Café-Restaurant ständig Hochzeiten ausrichten muss und den ganzen Kitsch kaum ertragen kann, kreuzt neuerdings die Hochzeitsfotografin Nellie ständig auf und geht ihr mit ihrer dauerhaften guten Laune tierisch auf die Nerven ...

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Lo Jakob

100 Gründe nicht zu heiraten

Roman

© 2019édition el!es

www.elles.de [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-95609-281-7

1

Viele, von denen man glaubt, sie seien verstorben, sind bloß verheiratet.

Francoise Sagan

Nellie liebte Hochzeiten. Einfach alles daran. Die Romantik, die Festlichkeit, den Blumenschmuck – alles. Auch wenn es, so wie jetzt, meistens Heterohochzeiten waren, die sie fotografieren musste. Sie sah einfach gern die glücklichen Paare und konnte meistens auch die freudige Stimmung der Hochzeitsgesellschaft genießen.

»Bitte alle noch ein bisschen enger zusammen. Vor allem dahinten, bitte.«

Nellie dirigierte die Hochzeitsgäste, bis sie so standen, dass sie zufrieden war und auch alle auf das Gruppenfoto passten. Sie hatte das Brautpaar mitsamt seinen Gästen auf dem Kiesweg und dem Rasen unmittelbar vor dem Eingang des Gebäudes positioniert. Das war der wohl schönste Anblick, den man sich vorstellen konnte. Bei solch einer Örtlichkeit für eine Hochzeit konnte sich die Fotografin austoben.

Nellie war wie berauscht. Das Schlösschen war wirklich der perfekte Ort für eine Hochzeit. Zumindest für eine, die nicht mehr als hundertfünfzig Gäste hatte. Alles darüber hätte der charmante alte Schuppen wohl nicht verkraftet.

Nellie wusste gar nicht, warum sie bisher keine Hochzeiten hier gehabt hatte. Schon beim ersten Anblick heute war ihr romantisches Herz begeistert gewesen. Das Gebäude sah genauso aus wie die Schlösser auf den Buchdeckeln von alten englischen Kriminalromanen. Der Hund von Baskerville und andere solcher Geschichten hätten hier spielen können. Agatha Christie hätte Das Schlösschen sofort für einen Roman ausgewählt, wenn sie es gekannt hätte.

Der quadratische Bau, irgendwie ungewöhnlich über Eck gestellt, mit seinem Erkerturm und seiner eingezäunten Dachterrasse, regte Nellies Fantasie an. Was für schöne, schnulzige Liebesgeschichten sie hierherfantasieren könnte. Die Marquise und die Novizin und sie selbst natürlich in der Rolle der Novizin. Hach!

Aber Das Schlösschen war ja gar kein Schloss, sondern lediglich die verspielte Villa eines reichen Fabrikanten der Jahrhundertwende mit zu viel Geld und Fantasie, wie sie kurz in einer ausliegenden Broschüre gelesen hatte. Außerdem gab es keine düster-schöne Marquise zu diesem Anwesen, nicht dass sie wüsste. Geschweige denn war sie selbst eine verträumte und verzückte Novizin. Na ja, verträumt vielleicht schon. So, wie gerade ihre Gedanken abgeschweift waren – mitten im Schießen des Gruppenfotos, was ja gar nicht ging.

»Sehr schön! Und jetzt mal alle auf das Brautpaar zeigen«, gab Nellie eine weitere Anweisung.

Die Gäste lachten und machten, was sie verlangte.

Während sie den Auslöser drückte, strahlte Nellie selbst. Es gab ihr einfach ein gutes Gefühl, all die vielen Menschen zu fotografieren. Sie machte die Hochzeitsfotografie ja nur als Nebenjob. Davon leben konnte sie nicht und wollte sie auch gar nicht. Dafür machte ihr Beruf ihr auch viel zu viel Spaß. Aber es war das ideale Hobby, um ihr ständig in prekärer Situation befindliches Konto aufzubessern.

Am lukrativsten waren natürlich Hochzeitsvideos, aber dafür wurde sie nicht so oft engagiert. Obwohl das dann noch mehr Vergnügen bereitete, weil sie zu Hause immer noch eine ganze Weile mit der Nachbearbeitung beschäftigt war. Am Abend einen Hochzeitsfilm schneiden, das stellte sich Nellie unter einer wirklich gelungenen Abendgestaltung vor. Na ja, nicht immer, aber so ab und zu mal. Dann tauchte sie gern ein in diese romantischen Welten und ließ ihr Herz so richtig aufgehen darin.

Denn Nellie Grüner träumte davon, irgendwann zu heiraten, das gab sie offen zu. So richtig bombastisch und romantisch. Eine Traumhochzeit mit allem Drum und Dran – weißes Hochzeitskleid, am besten mit Kirche, ein riesiges Fest mit allem, was dazugehörte. Sie wusste sogar schon, was für Musik laufen würde und wie die Servietten aussehen sollten, die an ihrem schönsten Tag des Lebens das Bild abrunden würden. Vielleicht würde ja Das Schlösschen in Zukunft in ihren schwärmerischen Fantasien Platz finden. Warum auch nicht? Es war ja nicht unrealistisch. Es war in der Nähe, und wenn sie ein bisschen was zurücklegte für ihre Traumhochzeit, war das sicherlich finanziell auch machbar. Und danach Kinder. Mindestens zwei an der Zahl. Das wäre perfekt.

Nellie hatte nur ein Problem: Sie hatte keine passende Frau zum Heiraten. Ihre ganzen Pläne wären für die Katz, wenn nicht bald die Richtige auftauchte. Sie war schon siebenundzwanzig und hatte nicht mehr so furchtbar lange Zeit – wie sie selbst fand.

Weil sie diesen Druck so immens verspürte, traf sie sich auch ständig mit willigen Kandidatinnen. Das Internet machte es möglich und die Auswahl war groß. Sie hatte auch schnell Frauen an der Hand, die sich interessiert an ihr zeigten. Angeblich auch an etwas Festem und Dauerhaftem. Aber bisher: Fehlanzeige. Sie ließ sich allerdings davon nicht beirren und glaubte stets aufs Neue, dass ihre zukünftige Frau schon um die nächste Ecke stand und nur darauf wartete, von ihr endlich entdeckt zu werden. War das nicht eine furchtbar schöne Vorstellung? Hach.

Nellie seufzte und zeigte wieder ihr freundliches Lächeln, mit dem sie noch jede Hochzeitsgesellschaft um den Finger gewickelt hatte. Sie war freundlich, sie war aufgeschlossen, Menschen mochten sie und umgekehrt war das auch so.

Die heutige Brautmutter zum Beispiel war so süß. Wie sie sich abmühte, dass für ihre Tochter an ihrem großen Tag alles reibungslos und perfekt ablief. Das ließ Nellie richtig das Herz aufgehen. Ganz genau so wünschte sie sich das auch mal, wenn es bei ihr soweit wäre. Und ihre Mutter würde ihr den Gefallen sicher auch tun. Seit sie sich mit dem Gedanken angefreundet hatte, dass Nellie eine Frau heiraten und mit der dann die heißersehnten Enkelkinder kriegen würde, war alles bestens.

Wo war sie nur, die Frau, die Nellie glücklich machen würde?

•••

Adelheid von Gemseck stieg die Galle hoch, als die Brautmutter zum gefühlt fünfzigsten Mal angetanzt kam und noch eine absurde Forderung stellte. Die letzte war gewesen, dass sie auf rosa Klopapier auf der Damentoilette bestand. Herrgott noch mal, was den Leuten alles einfiel! Vermutlich wollte sie jetzt, dass das auf der Herrentoilette durch hellblaues ersetzt würde. Was wusste sie schon. Sie war ja lediglich die Hausherrin hier und keine Expertin in Sachen Hochzeiten. Wieso auch? Sentimentaler und unnützer Blödsinn, ihrer ganz bescheidenen Meinung nach.

Adel setzte ein Pokerface auf und stellte sich der aufgedrehten Furie, die auf sie zukam. Sie hatte dieses Mal eine junge Frau mit einem Fotoapparat im Schlepptau, die aussah, als ob sie gute Miene zum bösen Spiel machen würde. Oder sie war eine von diesen Dauergrinsern, die Adel nicht ausstehen konnte. Immer glücklich, immer strahlend, immer positiv – würg. Das löste bei ihr Übelkeit aus, solch eine Haltung.

Wieso eigentlich musste ausgerechnet sie hier in ihrem Anwesen Hochzeiten ausrichten? In welchem benebelten Geisteszustand hatte sie gefunden, das wäre eine gute Idee? Adel nahm sich in ihrer Litanei selbst nicht ganz ernst, weil sie wusste, dass sie bei jeder auszurichtenden Hochzeit so reagierte und hinterher bei den eingehenden Einnahmen wieder ganz befriedet war. Aber man musste schließlich motzen dürfen! Und sie brauchte einfach ein Ventil für ihre aufgestaute Missbilligung. Wo war ein pinkfarbener Mülleimer um hineinzukotzen, wenn man ihn brauchte? Rein metaphorisch selbstverständlich.

»Frau von Gemseck, wie gut, dass ich Sie hier gleich erwische.«

Die Brautmutter war bei ihr angekommen, und Adel verfluchte die Tatsache, dass Sigrid, ihre Mitarbeiterin, die normalerweise die Hochzeiten betreute, schon seit zwei Wochen krank war und vermutlich auch noch die kommenden zwei Monate nicht zur Verfügung stehen würde. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als die Dinge selbst zu regeln, wo sie ansonsten auf großen Abstand Wert gelegt hätte.

»Was kann ich jetzt für Sie tun, Frau Schneider?« Adel bemühte sich um einen gefälligen Ton, war sich aber dessen bewusst, dass sie damit zumindest ein Stück weit gescheitert war, als sie den unsicheren Blick der jungen Frau mit der Kamera bemerkte. Sie würde sich noch mehr anstrengen müssen, ihre wahren Gedanken nicht nach außen dringen zu lassen.

Es half alles nichts. Sie war schließlich Geschäftsfrau und würde das wohl hinkriegen. Die Zeit für den pinkfarbenen Mülleimer käme am Abend noch.

»Das ist Fräulein Grüner, unsere Hochzeitsfotografin. Sie würde gern mit dem frisch vermählten Paar auf Ihren Balkon gehen, um Aufnahmen zu machen«, erklärte Frau Schneider jetzt hektisch.

Überhaupt war die arme Frau im ganzen Gesicht, im Dekolleté und sogar an den Armen mit unschönen hektischen roten Flecken überzogen. Das sähe später auf den Fotos bestimmt schrecklich aus. Fast musste Adel darüber ein bisschen hämisch grinsen. Geschähe der Brautmutter recht.

»Fräulein Grüner?« Adel betonte das Fräulein und sah mit einer hochgezogenen Augenbraue zu der jungen Frau hinüber. Die zuckte lediglich kurz und unauffällig die Schultern, ließ es der hysterischen Frau Schneider aber durchgehen, sie so zu titulieren. Dauergrinserin – definitiv. Das befand Adel in genau diesem Moment. Sogar jetzt grinste die Hochzeitsfotografin, als ob sie selbst heute geheiratet hätte und im Endorphinrausch wäre. Oh Mann!

»Also, ich würde nicht mit auf den Balkon gehen, sondern vom Garten aus fotografieren. Wäre das denn möglich? Das gäbe bestimmt sehr schöne romantische Bilder für das Hochzeitsbuch.« Sie bemühte sich, der widerspenstigen Hausherrin die Sachlage besser darzulegen, das konnte Adel aus jedem Wort heraushören und aus der überfreundlichen Mimik ablesen. Da kam sie bei ihr an die Richtige! An ihr hatten sich schon andere Dauergrinser die Zähne ausgebissen.

Kitschig wäre eher der Begriff, den Adel für die geplanten Fotos gewählt hätte, aber natürlich sagte man das nicht zu einer Hochzeitsfotografin. Zu einer, die selbst aussah wie aus einem Handbuch für die perfekte Schwiegertochter. Welliges, goldbraunes Haar bis knapp über die Ohren, perfekte weiße Zähne, strahlende Augen – waren die blau oder grün oder irgendwas dazwischen? Und waren das goldene Reflexionen darin? Es war erschreckend, wie makellos und vollkommen manche Leute aussahen. Wirklich erschreckend!

Adel war sich ihres unscheinbaren, streng nach hinten gebändigten Haares, das irgendeinen dunklen, nicht weiter beachtenswerten Braunton hatte, plötzlich übermäßig bewusst und strich sich ein paar entkommene Haare hinter die Ohren. Sie rückte ihr schwarzes Allzweckjackett, das sie bei diesen repräsentativen Anlässen stets trug, zurecht und nahm wieder mehr Haltung an. Das war etwas, das sie wiederum perfekt beherrschte: Haltung. Darauf hatte ihr Stiefvater stets Wert gelegt. Darin machte ihr so schnell niemand etwas vor. Auch keine junge Dauergrinserin und keine fleckige Brautmutter mit mehr Tatkraft als Verstand.

»Ungern. Äußerst ungern«, erklärte Adel in kühlem, sehr abweisendem Tonfall. Das reichte bei den meisten Menschen aus, um sie von einem noch so dringlichen Vorhaben abzubringen. Und sie sah auch, wie die Hochzeitsfotografin ein bisschen in sich zusammensackte und die Segel streichen wollte. Ihre rechte Schulter drehte sich bereits von Adel weg, und ihre Augen suchten bereits nach anderen geeigneten Orten im Landschaftsgarten des Anwesens. Aber sie hatte nicht mit der Vehemenz der Brautmutter gerechnet. Frau Schneider wäre wohl am heutigen Tag auch in ein ratterndes Maschinengewehr hineingelaufen, wenn sie sich davon einen Vorteil für den Ablauf der Hochzeit erhofft hätte.

»Aber Frau von Gemseck, es muss doch möglich sein. Nur für fünf Minuten«, flehte sie und wrang die Hände.

Adel sah sich genötigt, ihre Absage mehr zu unterfüttern. »Der Balkon ist nicht für die Öffentlichkeit freigegeben. Wenn etwas passiert, sind wir dafür nicht versichert. Und ich kann kein zusätzliches Personal erübrigen, um die Aufnahmen zu überwachen. So leid es mir tut«, – das war natürlich gelogen, es tat ihr überhaupt nicht leid, im Gegenteil verspürte sie einen kleinen Triumph, der überkandidelten Frau Schneider das ausschlagen zu können, was ihr beim Toilettenpapier ja nicht gelungen war –, »ich kann das nicht ermöglichen.«

»Aber meine Mimi heiratet doch nur einmal.«

Auch dazu hätte Adel etwas zu sagen gehabt. Die Scheidungsstatistik hätte wahrscheinlich gereicht. Sie bemühte sich, ihren Mundwinkel nicht erheitert zucken zu lassen.

Adel dachte schon, sie hätte diese Schlacht für sich entschieden, da drehte sich ihnen die Hochzeitsfotografin mit ihrem glänzenden goldbraunen Haar wieder ganz zu, und hinter dem gutgelaunten Gesichtsausdruck blitzte eine schlaue Idee auf. Ganz so, als ob sie durchschaut hätte, was hier das Problem war – was natürlich nicht sein konnte, weil ja lediglich Adel nicht wollte, dass die Fotos gemacht wurden. Aus lauter Boshaftigkeit, ja okay, sie wusste das, und sie stand auch innerlich dazu. Auch wenn sie das nicht aussprechen konnte vor ihrer Kundschaft.

»Und was ist, wenn die Trauzeugen an der Tür zum Balkon Wache halten? Und Sie selbst die fünf Minuten, während ich fotografiere, bei mir stehen? So können Sie die Aktion sofort abblasen, sobald ich das letzte Mal den Auslöser gedrückt habe. Würde das eventuell gehen? Das Risiko wäre doch dadurch minimal. Oder ist der Balkon etwa baufällig?«

Natürlich war er das nicht, und das wäre auch sehr schlechte Werbung für sie und Das Schlösschen gewesen. Das ginge ja gar nicht, das konnte sie sich nicht leisten, dass sich so etwas womöglich als Gerücht herumsprach. Festgesellschaften würden es sich mit Sicherheit zweimal überlegen, ein baufälliges Gebäude anzumieten.

Adel knirschte mit den Zähnen. Wie sie es auch drehte und wendete, es führte kein Weg daran vorbei. Sie musste den Balkon zur Verfügung stellen. Schachmatt. Sie war ausgetrickst worden. Vermaledeite Hochzeitsfotografin. Von einer Dauergrinserin ins Aus manövriert.

»Gut, wenn das Ihr absoluter Wunsch und Wille ist.«

Frau Schneider nickte eifrig und tätschelte der Hochzeitsfotografin freudig die Schulter.

Adel drehte sich missmutig um und ging in Richtung des Balkons. Ihr Hinken war in diesem Moment sehr ausgeprägt, das merkte sie. Das war immer so, wenn sie sich verspannte. »Wenn die Braut allerdings vom Balkon stürzt, entgegen meiner ausdrücklichen Sicherheitsbedenken, das möchte ich noch einmal betonen, dann können Sie mich nicht haftbar machen.«

Sie dachte ein Schnauben hinter ihrem Rücken zu hören, aber als sie sich umdrehte, sahen die beiden Frauen, die ihr beflissen folgten, lammfromm aus und lächelten ihr aufmunternd zu. Sie musste sich verhört haben.

Was wird denn die Braut vom Balkon fallen, dachte Nellie und konnte einen kleinen ungebührlichen Grunzer nicht unterdrücken. Noch während sie das tat, war es ihr bereits peinlich, und sie fand sich selbst respektlos. Außerdem hoffte sie, dass Frau von Gemseck es nicht als Kommentar zu ihrer leichten Gehbehinderung auffasste. Das wäre ja ganz und gar daneben. Sie hatte ihre spontane Reaktion einen Moment lang nicht zurückhalten können bei dieser absurden Aussage.

Aber die Chefin der Hochzeitslocation war wirklich ein Fall für sich. Unfreundlich war nicht das richtige Wort. Kühl, herablassend, abgebrüht – das traf es wohl besser. Und sie hatte das Lächeln nicht erfunden. Ihr Papa sagte über solche Leute immer, dass die zum Lachen in den Keller gingen. Nellie verstand sowas immer gar nicht. Was kostete es einen schon zu lächeln? Das war doch das Leichteste auf der Welt.

Außerdem strahlte Frau von Gemseck eine riesige Portion Snobismus aus. Ganz genau so, wie man es wohl landläufig vom Adel erwartete. Na ja, vielleicht nicht von allen. Zum Beispiel liebte ihre Mutter ja Lady Di aus genau diesem Grund. Weil sie eben die Königin der Herzen gewesen war und gar nicht so hochnäsig, wie sie bei ihrer Stellung hätte sein können. Warmherzig war sie gewesen. Auch wenn Nellie ja nur die alten Aufnahmen aus ihrer Kindheit als Maßstab hatte und die Erzählungen ihrer Mutter.

Frau von Gemseck war keine Lady Diana. Auf gar keinen Fall. Schon ihre strenge Aufmachung sprach dagegen – der straff nach hinten gebändigte Dutt und die dunklen Kleider. Natürlich musste die Hausherrin bei solchen Anlässen wie heute klassisch angezogen sein, das war Nellie auch klar. Aber zumindest eine farbige Bluse zu der schwarzen Hose und dem spartanischen Jackett hätte ein bisschen was zur Auflockerung beigetragen. Eine schwarze, bis zum letzten Knopf geschlossene Bluse war das Maximum an Strenge – wie sie fand.

Sie lief zusammen mit ihrer Auftraggeberin Frau Schneider hinter der Hausherrin her, die eine etwas angepisste Ausstrahlung wie einen Kometenschweif hinter sich herzog. Nellie wusste, dass sie der Grund dafür war. Sie hatte so ein Gefühl gehabt, dass Frau von Gemseck nicht wirklich gute Gründe für die Sperrung des Balkons hatte, und hatte deshalb mal einen kleinen Vorstoß gewagt. Meist war sie für solche Nachfragen ja zu höflich, aber die strenge Frau von Gemseck hatte sie mit ihrer abweisenden Art kolossal gereizt.

Auch das war ihr im gleichen Moment schon unangenehm gewesen. Ein kalter Blick aus harten braunen Augen hatte sie getroffen, der ganz und gar nicht wohlwollend gewesen war.

Nellie kam nicht sonderlich gut damit zurecht, wenn Menschen ihr so ablehnend begegneten. Sie wollte gemocht werden. Sogar bei einem Auffahrunfall, den sie verursacht hatte, oder wenn sie sich in der Schlange im Supermarkt vordrängen musste, weil sie sonst wie so häufig zu spät zur Arbeit kam. Selbst da schaffte sie es meist, von den Beteiligten als nette junge Frau wahrgenommen zu werden. Sie war eben auch eine nette junge Frau!

Frau von Gemseck war eine der wenigen Ausnahmen, die das nicht so sahen. Die strahlte eher aus, dass Nellie ein lästiges Insekt wäre, das um ihren Kopf schwirrte und einfach nicht verschwinden wollte. Und das stachelte Nellie an, ihr das Gegenteil zu beweisen. Aber sie befürchtete, dadurch nur als noch lästiger empfunden zu werden, also sollte sie sich wohl lieber ganz zurückhalten, auch wenn es schwerfiel.

Unter besagtem Balkon angekommen drehte sich Frau von Gemseck recht zackig zu ihnen um. Sie hatte bereits einen üppig bestückten Schlüsselbund in der Hand und wedelte damit ungeduldig herum. »Ich habe nicht viel Zeit. Also treiben Sie Ihre Leute zusammen, und dann bringen wir das so rasch wie möglich über die Bühne.«

Das Zack, zack, zack! verkniff sich die Hausherrin, aber es war trotzdem deutlich vernehmbar. Frau Schneider stach auch sofort wie ein aufgescheuchtes Huhn los und ließ Nellie zurück. Frau von Gemseck schloss die Tür auf, die am Fuße des kleinen Balkons anscheinend den einzigen Zugang bot, und stellte sich dann demonstrativ wartend neben Nellie. Mit vor der Brust verschränkten Armen und miesepetrigem Gesichtsausdruck.

Nellie beschloss, Frau von Gemseck erst einmal zu ignorieren und sich ihrer Aufgabe zu widmen. Sie nahm ihren Rucksack ab, in dem sie ihre Ausrüstung bei den Hochzeitsaufträgen immer bei sich trug, und holte das Wechselobjektiv raus. Sie war sich darüber im Klaren, dass sie dabei strengstens beobachtet wurde, und war sich auch durchaus der subtilen Ausstrahlung bewusst, die von der Frau ausging. Beeilung, Ungeduld, Genervtheit. Das war fast so deutlich, als ob Frau von Gemseck das laut gesagt hätte. Wie alt sie wohl sein mochte? Gefühlt verschimmelte hunderfünf.

Huch, der war ja gar nicht nett, dieser Gedanke. Nellie fühlte sich ertappt, obwohl sie es ja gar nicht ausgesprochen hatte, und warf mit schlechtem Gewissen einen Blick zur Hausherrin hinüber, die ihr dafür eine abfällig süffisant hochgezogene Augenbraue gönnte.

Nellie schätzte, dass Anfang bis Mitte dreißig wohl eher der Wahrheit nahekam. Aber bei solch einer Persönlichkeit war das natürlich schwer zu sagen. Und es war ja auch nur Spaß am Rätselraten, der Nellie darüber überhaupt nachdenken ließ. Sie konzentrierte sich wieder auf den Objektivwechsel und ignorierte Frau von Gemseck und ihre schlechte Laune völlig.

Nach unglaublich kurzer Zeit hatte es Frau Schneider bereits geschafft, das Brautpaar Mimi und Kevin auf den Balkon zu dirigieren. Es konnte unter den Argusaugen von Frau von Gemseck losgehen. Nellie versuchte, sich nicht die Stimmung durch die negative Ausstrahlung vermiesen zu lassen und trotzdem mit Freude ans Werk zu gehen.

»Ja, ganz toll. Und jetzt schaut euch mal verliebt an.«

Sie hörte das abfällige Geräusch sehr wohl, das von direkt hinter ihr kam. Ein gespieltes Würgen. Diese Frau war völlig unmöglich und hoffnungslos unromantisch. Als Gastgeberin für eine Hochzeit so was von ungeeignet, das war schon nicht mehr zu toppen.

Obwohl ihr Das Schlösschen wahnsinnig gut gefiel, hoffte Nellie, dass sie in Zukunft nie wieder eine Hochzeit hier fotografieren musste. Viel zu viele negative Energien.

•••

Adel rückte das Klemmbrett zurecht, um besser schreiben zu können, und notierte die Anzahl der übriggebliebenen Dosen mit geschälten Tomaten. Nur noch zwölf Stück. Sie konnte jetzt schon absehen, dass eine neue Bestellung beim Großhändler fällig war. Und zwar am besten noch heute, wie sie das einschätzte.

Im Gewölbekeller war es schön kühl und ruhig. Eigentlich gar keine schlechte Angelegenheit, hier einen heißen Sommertag mit einer kleinen Inventur zu verbringen.

Wie die Antwort auf ihren zufriedenen Gedanken hörte sie Schritte auf der Steintreppe herunterkommen. Adel seufzte. Soviel zur Ruhe im Gewölbekeller. Ein paar rote Trekkingsandalen und eine kurze Engelbert-Strauss-Hose wurden schnell sichtbar, und Adel wusste sofort, wer sie da störte.

»Du kommst jetzt sofort raus da und gehst mit mir in die Sonne«, verkündete Conni, sobald sie ihrer gewahr wurde.

Adel hatte sich schon gefragt, wo ihre alte Freundin nur steckte. Normalerweise kam sie alle paar Tage vorbei – meistens unangekündigt, was ja aber nicht weiter schlimm war, weil sie ja eigentlich immer irgendwo hier auf dem Gelände zu finden war. Aber seit Freitag war sie nicht mehr aufgetaucht, und das war ungewöhnlich. Wobei es das eigentlich gar nicht sein sollte. Schließlich hatte Conni Frau, Job, Haus und andere Sachen an der Backe. Warum sie immer bei ihr aufschlug, war Adel eh ein Rätsel. Wobei sie sich jedes Mal freute – und das war etwas, was sie nie zugeben würde.

»Lass mich doch mit deinem Gesundheitsfanatismus in Frieden. Geh du doch in die Sonne.«

Adel widmete sich wieder ihrem Klemmbrett und trug ein, wie viele Gebinde Mehl sie gezählt hatte. Warum wurde das eigentlich nur in Kilopaketen geliefert? Bestimmt gab es doch auch günstigere größere Einheiten. Sie würde nachschauen müssen, ob es nicht vielleicht zehn-Kilo-Säcke gab. Die ließen sich noch gut tragen, waren aber nicht so lästig wie die üblichen Supermarktpäckchen. Warum hatte das Sigrid nicht schon längst geändert?

Conni riss sie aus ihren praktischen Gedanken, indem sie vor dem Klemmbrett herumwedelte. Sie kannten sich schon seit der dritten Klasse, und Conni durfte sich solche Dinge erlauben. »Du weißt, dass ich Sonne nicht wirklich gut vertrage und nur für dich überhaupt in Erwägung ziehe, ein Sonnenbad zu nehmen.«

Conni war bleich wie der Mond und wurde von dem geringsten bisschen Sonne krebsrot. Obwohl sie ansonsten einen äußerst robusten Eindruck vermittelte. Sportlich, durchtrainiert, wenn auch mindestens zehn Kilo zu schwer, wie Adel fand. Der Übergang von den Zwanzigern in ihre Dreißiger hatte bei Conni vor ein paar Jahren mit einer drastischen Gewichtszunahme stattgefunden. Aber es schien sie nicht zu stören.

»Dann bist du hiermit dieser Verpflichtung entbunden. Geh doch mit deiner Frau ins Freibad, die freut sich.« Eigentlich hatte sie diesen Satz ganz neutral sagen wollen, aber er war wieder einmal abschätzig dahergekommen.

Kerstin, Connis Frau, war ein leidiges Thema zwischen ihnen beiden, und Adel konnte einfach nicht damit umgehen. Kerstin hasste sie und war aus ihr nicht einleuchtenden Gründen krankhaft eifersüchtig auf sie. Dabei hatte sie ihr nie einen Grund geliefert. Adel war ja nun wirklich nicht die Verführerin par excellence. Ganz das Gegenteil. Und sie hatte auch noch nie irgendwelches Interesse an ihrer guten Freundin Conni gehabt.

»Ja, das würde sie, aber du weißt auch, wie sehr ich das Freibad hasse. Also hast du mich fürs erste an der Backe.«

Nach einer langen Berufsfindungsphase, wie sie es selbst nannte, hatte Conni endlich ihre Berufung als Schreinerin gefunden und arbeitete im Küchenstudio ihrer Frau in der Werkstatt. Mal von ihrem Verhältnis zu Kerstin ganz abgesehen, fand Adel das weniger sinnvoll. Aber schließlich musste Conni selbst wissen, was gut für sie war. Und wenn sie unter der Fuchtel ihrer Frau gut zurechtkam, mischte sie sich nicht ein.

»Ich muss hier noch einiges aufarbeiten wegen der Hochzeit, die wir am Wochenende hatten. Und die nächste steht schon wieder an. Ich wünschte, Sigrid hätte mich nicht ausgerechnet jetzt im Stich gelassen.«

Conni baute sich vor ihr auf und schob das Klemmbrett zur Seite. Manchmal behandelte sie sie, als ob sie ein nicht besonders kluges Kleinkind mit einer Tendenz zu Tobsuchtsanfällen wäre. Das ging Adel gegen den Strich, aber tatsächlich schaffte es Conni, sie manchmal damit aus ihrem Sumpf an schlechter Laune herauszuziehen. Einfach bloß, weil sie sich über sie mehr ärgern musste als über den Rest der Welt.

»Sie hat dich nicht im Stich gelassen, sie ist krank. Mit einem Kreuzbandriss wäre sie dir keine große Hilfe.«

Das wusste Adel natürlich. Und trotzdem musste sie doch schimpfen dürfen, das war doch normal, oder? Das nahm doch grundsätzlich eh niemand bei ihr ernst. Niemand, der sie kannte. Außer sie hatte wirklich Anlass, dann wusste sie, dass ihre Mitarbeiter das Genick einzogen und sich möglichst verdrückten.

»Also hängt alles an mir. Der ganze Scheiß mit diesem romantischen Kitsch.« Es tat so gut, das auszusprechen. Gegenüber Conni konnte sie das ja. Die wusste schließlich auch von dem pinkfarbenen Mülleimer, den sie bei jeder Hochzeit herbeiwünschte.

»Och, du armes Ding. Was für ein schweres, schweres Schicksal.« Conni nahm ihr das Klemmbrett ab und pfefferte es ins Regal mit den Konserven. Es landete neben den sauren Gürkchen. »Die ganzen glücklichen Menschen funken dir da einfach so in deine ach so mühselig errichtete miese Stimmung hinein. Da blutet einem ja das Herz.«

Adel musste gegen ihren Willen lachen. »Ich hasse Hochzeiten so sehr wie du das Freibad. Und deine Hochzeit war nun wirklich auch nicht das, was man sich klassischerweise darunter vorstellt.«

Conni verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich ans Regal. »Du meinst hingehen, unterschreiben und fertig ist nicht klassisch?« Sie grinste dabei zwar, sah aber auch ein bisschen so aus, als ob sie auf einen Angriff von Adel gefasst wäre. Und der kam.

»Selbst das habe ich dir bis heute nicht verziehen.«

Adel nahm, was das anging, kein Blatt vor den Mund. Das musste Conni aushalten. Dafür kannten sie sich auch lange genug.

»Weil du Blumen streuen wolltest? Und dicke Krokodilstränen vergießen, weil ich vom Markt bin? Weil ich eine Frau geheiratet habe, die krankhaft eifersüchtig auf dich ist?«

Connis Aufzählung war fies, und zumindest im letzten Punkt traf sie auch ins Schwarze. Was Adel natürlich nicht zugeben würde. Offiziell ging ihr Kerstin nämlich am Arsch vorbei, und es kratzte sie überhaupt nicht, dass sie von der Frau ihrer besten Freundin nicht gemocht wurde. »Ach Quatsch, keines von alldem«, log sie also. »Weil du in diesen Club eingetreten bist. Deshalb. Und das weißt du auch. Früher waren wir immer gemeinsam gegen die Ehe als bürgerliche Institution gewesen, und dann bist du einfach eingeknickt. Ich stehe nun allein da.« Jetzt verschränkte auch Adel die Arme, und sie standen sich so gegenüber. Unversöhnlich. Wie immer bei diesem Thema.

Dann seufzte Conni. »Glaub mir, ich bin noch immer kein Fan der Ehe, aber als Kerstin damals den Autounfall hatte, ist es mir ganz anders geworden. Ich habe die Absicherung gebraucht. Und das ist alles.«

Das sah Adel ja sogar irgendwie ein, gab aber noch nicht nach. »Ja, schon gut. Ich bin die letzte Aufrechte.« Sie versuchte das so ernst wie möglich zu sagen, konnte jedoch ein kleines Zucken ihrer Mundwinkel nicht verhindern, das Conni genau zeigen würde, dass sie sich selbst ein wenig auf den Arm nahm mit dieser Aussage.

»Oh ja, Frau Adelheid von Gemseck, in einer Welt voller moralischer Abgründe, zerfallender Werte und schlechter Menschen hält sie tapfer und stolz die Stellung als die letzte aufrechte Kämpferin für Recht und Ordnung und alles andere. Eine schlechtgelaunte Heldin, wie sie im Buche steht.«

Wieder musste Adel ungewollt lachen. Das schaffte Conni einfach immer. Sie nahm ihr Gemotze nie wirklich ernst und riss sie damit noch aus der trübseligsten Stimmung. »Eine Heldin, die an Hochzeiten verdient. Ist wahrscheinlich noch ein größerer Verrat, als selbst verheiratet zu sein. Also gut. Lass uns rausgehen. Ich könnte den Garten inspizieren. Dann kann ich notieren, was ich Frau Schneider von der letzten Hochzeitsgesellschaft an zertrampelten Rabatten in Rechnung stellen muss.«

Adel ließ die Arme sinken und zwinkerte Conni zu. Mehr Verspieltheit würde sie nicht aus ihr herausholen können, das wusste Conni auch. Aber es war gut so, wie es war zwischen ihnen. Conni verstand sie und das reichte. Und umgekehrt wurde auch ein Schuh daraus.

»Super! Toller Plan. Dann komm schon.« Conni wandte sich zur Treppe.

Adel machte aber zuerst noch einen Abstecher zu den Tiefkühltruhen. Wenn sie schon in den Garten gingen, konnten sie auch ein Eis dabei essen. Irgendetwas mit Karamell und Schokolade, beschloss sie. Eis am Stiel hatten sie als Kinder auch immer in der kleinen Bäckerei an der Hauptstraße geholt. Wenn schon, denn schon. Der Sommer musste auch irgendetwas Gutes haben.

•••

»Hallo? Wo seid ihr denn alle?«

Ganz selbstverständlich betrat Nellie das Haus ihrer Freundinnen Ute und Meike durch die offene Haustür. Sie war zum Babysitting einbestellt, weil die beiden mal wieder schön miteinander und in Ruhe essen gehen wollten. Eigentlich wollten sie nicht, sondern waren am letzten Geburtstag mit einem Gutschein dazu verdammt worden. Es war ein Komplott aus Verwandtschaft und Freundinnen gewesen. Denn wenn es nach den beiden ginge, Meike als mütterliche Glucke ganz vorn dran, dann hätten sie ihr Haus nie verlassen, und wenn, dann nur in Begleitung der Kinder. Aber da machte ihr engeres Umfeld nicht mit und bestand auf Beziehungspflege.

Was die beiden dann auch heute Abend machen würden. Wenn auch ein bisschen zäh und mit hartnäckiger Überzeugungsarbeit.

Nellie schwor sich, ihre Ehe später einmal ausgeglichener zu führen. Sie wollte ja auch eine richtige Familie mit Kindern und allem was dazugehörte, aber sie würde ihre Frau und deren Bedürfnisse darüber nicht vergessen. Sie würde trotzdem Romantik leben. Auch mit Kindern und Waschmaschinen voller Wäsche und Haushalt und, und, und.

»Wir sind oben«, kam die Antwort von Ute durchs Treppenhaus geschallt. Im Sommer war die Kleinfamilie meistens im Garten, aber vermutlich mussten die beiden Freundinnen sich ja zumindest ein bisschen präsentabel machen, auch wenn sie sonst meist in Freizeitklamotten herumliefen. Das würde ihnen auch guttun. Sich mal wieder für die andere aufzumotzen.

Auch das schwor sich Nellie. Dass sie sich nie gehenlassen würde. Jogginghose schön und gut, aber ab und zu musste man seiner Frau doch zeigen, dass sie eine begehrenswerte Gattin hatte.

Oder etwa nicht? War sie da zu naiv? Sie würde jedenfalls keine Frau wollen, die irgendwann nur noch in Schlabberklamotten herumlief, sich nicht pflegte und zwanzig Kilo zu viel hatte. War das zu viel erwartet? Musste sie da weniger wertend sein? Nellie fand eigentlich nicht. Hatte deshalb aber gleich schon wieder ein schlechtes Gewissen und fühlte sich ein bisschen wie eine sehr egoistische Person. Müsste sie ihre Frau denn nicht auch lieben, wenn sie unattraktiv wurde? War das nicht das, was Liebe wirklich bedeutete? Frau von Gemseck vom Wochenende hätte für solche Gedanken sicherlich nur eine abfällige Grimasse übrig und würde sich keinen Deut darum scheren, ob das egoistisch oder sonst was wäre.

Wieso fiel ihr jetzt eigentlich diese unerfreuliche und vollkommen ungeeignete Hochzeitsausrichterin ein? Das war nun wirklich nicht der Mensch, den man zu Ehe, romantischer Liebe und anderen dazugehörenden Dingen befragen wollte.

»Komm ruhig hoch. Du kannst dich schon mal als Raubtierdompteurin betätigen.«

»Was für Raubtiere? Etwa kleine, rothaarige Tiger?«, grollte Nellie, als sie wie auf der Pirsch die Treppe hochschlich. Ein ohrenbetäubendes Gekreische aus zwei Kinderkehlen setzte ein, als sie um die Ecke bog. »Wo sind die Raubtiere?«, dröhnte sie mit tiefer Stimme. »Nellie, die Dompteurin wird sie bändigen, haha! Die Raubtiere werden schnurren wie Katzen, haha!«, rief sie, und dann wurde sie schon von zwei Raubtier-Kindern gleichzeitig angefallen und mit viel Geknurre, Gefauche und gespielt ausgefahrenen Krallen attackiert.

Sarah und Paul waren Zwillinge und sahen sich furchtbar ähnlich, obwohl sie zweieiig waren. Beide rote Haare, beide Locken, beide große, blaue Augen, beide sehr zierlich. Dafür aber umso energiegeladener. Nellie fand sich in kürzester Zeit auf dem Boden wieder, und zwei vierjährige Möchtegerntiger hüpften triumphierend auf ihr herum.

»Ich bin nicht sicher, ob wir dich guten Gewissens mit den beiden zurücklassen können.« Meike war aus dem Bad gekommen und besah sich das Treiben mit in die Hüften gestemmten Armen. Ihre lockigen Haare waren hübsch zurechtgemacht, das Dunkelrot glänzte, und sie hatte sich sogar ein wenig geschminkt.

Nellie beschloss sofort Ordnung in das Chaos zu bringen und Meike keinerlei Grund zu geben, sich womöglich doch noch aus dem romantischen Abend zu mogeln. Sie schnappte sich rechts und links je einen Zwilling und klemmte sie sich unter viel Gekicher unter die Arme. »Ich hab alles im Griff, wie du siehst. Stimmt’s, ihr Tiger?«

Erst Gekicher, dann von rechts ein Fauchen und von links ein Knurren.

»Ich weiß nicht«, sagte Meike nachdenklich, obwohl Nellie schon öfter mal auf die Zwillinge aufgepasst hatte. Meike überließ ihre Kinder zwar äußerst selten anderen, aber manchmal konnte selbst sie es nicht ohne Hilfe schaffen. Zahnarztbesuche und dergleichen waren mit zwei ungeduldigen Kindern einfach nicht machbar. Dass die beiden überhaupt halbtags in den Kindergarten gingen, war auch schon ein Wunder.

Ute kam jetzt auch aus dem Bad und schlang einen Arm von hinten um die Schultern ihrer Frau. Auch sie hatte sich schick gemacht und war in eine Parfümwolke gehüllt. In der Menge hatte sie sich wohl etwas vertan, und Nellie musste fast husten, als die volle Ladung sie traf. Auch darin waren die Mütter anscheinend aus der Übung: Parfüm auftragen.

»Wir machen das jetzt, Schatz«, erklärte Ute. »Nellie wird zwar graue Haare kriegen, aber das ist ihr Problem.«

Die Tiger unter Nellies Armen fingen wieder an zu zappeln und zu fauchen, und sie stieg in das Gebalge mit ihnen wieder voll ein. Aus den Augenwinkeln nahm sie aber wohl war, wie die beiden Mütter mit einem letzten sehnsuchtsvollen Blick auf ihren Nachwuchs die Treppe hinunter verschwanden.

Sarah und Paul nahmen es erstaunlich gelassen, dass ihre Mütter nicht da waren. Voll und ganz damit zufrieden, von Nellie bespaßt zu werden, bis sie Bauchweh hatten vor lauter Lachen.

Trotzdem schaffte sie es einigermaßen im Zeitplan die beiden in Schlafanzüge zu stecken, einmal mit dem Waschlappen über rotbackige Gesichter zu fahren und eine Runde Zähneputzen einzuleiten. Nur mit einer halben Stunde Verspätung lagen die beiden in ihrem Stockbett und schliefen kurz nacheinander friedlich ein.

Nellie hatte es sich gerade mit einer Schüssel Chips auf dem Sofa gemütlich gemacht, als ihr Handy bimmelte. Wie es aussah, mussten wohl zwei überfürsorgliche und besorgte lesbische Mütter beruhigt werden. Als sie allerdings auf das Display schaute, wurde eine ihr unbekannte Nummer angezeigt. Nellie kaute den letzten Chip zu Ende und ging ran.

»Ja, hallo?«

Eine aufgeregte weibliche Stimme hallte ihr viel zu laut ins Ohr. »Ist da Nellie Grüner? Die Hochzeitsfotografin?«

Nellie antwortete etwas zögernd, aber freundlich. »Ja, da sind Sie richtig.«

»Gott sei Dank erwische ich Sie.« Aufgeregtes Atmen drang durchs Telefon. »Und entschuldigen Sie bitte die späte Störung. Frau Schneider hat Sie mir empfohlen und war so nett, mir Ihre Nummer zu geben. Bitte sagen Sie, dass Sie am kommenden Samstag noch frei haben und eine Hochzeit fotografieren können.«

Nellie war etwas überrumpelt. Die Empfehlung durch Frau Schneider war natürlich sehr nett, und tatsächlich hatte sie noch nichts Konkretes anstehen, noch nicht einmal eine Verabredung zum Kaffeetrinken. »Ich hätte Zeit«, antwortete sie also fast schon enthusiastisch, erschrak dann aber über ihre eigene Naivität. Sie zwang sich zu einer geschäftsmäßigen Nachfrage. »Haben Sie sich denn meine Homepage mal angesehen und meine Preisliste? Um was geht es denn genau bei der Hochzeit?«

Aus dem Hörer kam ein sympathisches Kichern. »Ach, entschuldigen Sie, dass ich so mit der Tür ins Haus gefallen bin. Das ist die Aufregung.«

Nellie kicherte einmal kurz mit, das war ansteckend.

Dann atmete die Frau einmal durch und schien noch einmal von vorn anfangen zu wollen. Dieses Mal, wie es sich gehörte. Und auch das fand Nellie sehr sympathisch. »Mein Name ist Beate Brillenmeier und mein Sohn heiratet. Er hat mir erst heute erzählt, dass er und seine Braut niemanden haben, der fotografiert. Ein Kumpel von ihm sollte das so nebenher machen. Pfff! Das geht ja gar nicht. Es ist also sozusagen ein Notfall.« Frau Brillenmeier war immer noch aufgeregt und redete schnell, aber es war schon besser geworden, und Nellie konnte das Dilemma sehr gut nachvollziehen.

»Ja, das verstehe ich vollkommen. Da helfe ich natürlich gern«, beruhigte sie die aufgeregte Neukundin. »Machen wir es doch so, dass ich mir den Termin auf alle Fälle gleich eintrage und Sie sich jetzt mal mein Angebot anschauen. Dann schreiben Sie mir eine Mail oder rufen mich noch einmal an, und wir klären den ganzen Rest. Passt das?«

Ein freudiger Juchzer kam aus dem Handy und hätte ihr fast das Trommelfell beschädigt, so laut war er. »Oh, ich bin Ihnen ja jetzt schon unendlich dankbar. Sie hören noch heute Abend von mir wieder. Danke, Danke!«

»Gern«, grinste Nellie ins Handy. Wie schön, wenn man Menschen helfen und Probleme so einfach beheben konnte. Das machte Nellie ganz glücklich, und sie strahlte beim Chipsessen auf der Couch noch eine ganze Weile. Lächelte einfach vor sich hin, weil alles so wundervoll war.

Und tatsächlich machte Frau Beate Brillenmeier ihre Ankündigung wahr und schickte bereits zwanzig Minuten später eine Mail mit sämtlichen Fakten, die Nellie wissen musste. Unter anderem auch, welches ihrer Leistungspakete sie haben wollte – das Maxipaket inklusive Standesamt, Festlichkeiten bis ultimo und romantischer Brautpaarfotos. Das würde natürlich anstrengend werden, aber auch ganz schön lukrativ.

Dann besah sich Nellie, wann sie wo zu sein hatte und bemerkte zum ersten Mal die Location für das Fest. Die Notfallhochzeit fand doch ausgerechnet schon wieder bei Frau von Gemseck in ihrem Schlösschen statt. Kurz verdarb das Nellie ihre gute Laune, die sie durch den Auftrag gekriegt hatte. Aber dann nahm sie sich vor, sich von der zynischen Hausherrin dieses Mal nicht ärgern zu lassen. Auf gar keinen Fall!

Dieses Vorhaben hielt erstaunlich lange an. Bis zum Wochenende, um exakt zu sein. Genau bis zu dem Zeitpunkt auf der Hochzeit, als sie eine Stimme hinter ihr zusammenfahren ließ.

»Ich nehme an, Sie gehen wieder davon aus, Fotos auf dem Balkon machen zu können.«

Nellie hatte sich gerade in den Schatten unter einen Pavillon gestellt, um eine kurze Pause zu machen und endlich etwas zu trinken. Sie hatte ihr Glas noch nicht einmal leergetrunken, als sie jetzt aus ihren romantischen Schwelgereien gerissen wurde. Sie hatte sich gerade vorgestellt wie es wäre, wenn sie hier an diesem so romantischen Ort heiraten würde. Ein Bild von sich selbst in einem weißen Kleid hatte sie sogar heraufbeschwören können. Sie war gerade dabei gewesen, das schleierhafte Bild ihrer potentiellen Ehefrau – dunkelhaarig, so viel stand fest – in einen feierlichen, schwarzen Hosenanzug zu stecken, als Frau von Gemsecks Stimme sie so spöttisch in die Realität zurückgeholt hatte.

Nellie musste den aufkommenden Ärger herunterschlucken, was ihr tatsächlich nicht leichtfiel, so gut gelang es der Hausherrin, sie punktgenau zu provozieren. Sie drehte sich mit einer leichten Verzögerung zu der Stimme um und lächelte. »Ehrlich gesagt, ja. Oder ist er inzwischen baufällig geworden?«, fragte sie mit scheinbar erstaunt hochgezogenen Augenbrauen und einem naiven Lächeln. Nellie wusste, dass sie ziemlich fies war, aber irgendwas an Frau von Gemseck ließ sie vergessen, dass sie ein netter Mensch war.

Die Hausherrin trug wieder das schwarze, etwas unförmige Jackett von neulich, heute allerdings mit einem schwarzen T-Shirt statt einer Bluse darunter und dazu eine weiße Jeans mit Turnschuhen. Das war schon einen Tick besser. Zumindest optisch ein wenig freundlicher und zugänglicher. Aber das kaschierte eben nur Frau von Gemsecks wahres Naturell. Das war immer noch genauso negativ wie letztes Mal.

»Natürlich ist er das nicht«, kam auch sofort die kühle Antwort. »Sagen Sie mir bescheid, wenn Sie das machen wollen, dann schließe ich Ihnen auf.«

Nellie nickte und lächelte weiter freundlich. So freundlich, sie eben konnte. Das war ja geradezu zuvorkommend. Letztes Mal hatte Frau von Gemseck ja sogar den Zeitpunkt diktiert, wann auf dem Balkon fotografiert werden durfte.

Nellie wusste, sie sollte es gutsein lassen, aber sie konnte nicht anders. »Ach, dieses Mal keine Sorge, dass die Braut herunterstürzen könnte?« Sie hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen, dass sie etwas so Blödes gesagt hatte. Sie wollte sich doch gar nicht auf das Niveau der Hausherrin herabbegeben. Das war sowas von untypisch, dass sie gar nicht wusste, was sie geritten hatte. Das Lächeln gefror ihr vor Schreck im Gesicht.

Und tatsächlich ging Frau von Gemseck gleich darauf ein. Sie verzog die Augen zu Schlitzen und betrachtete sie missfällig. »Von mir aus können Sie die Braut auch kopfüber runterbaumeln lassen oder auf dem Dach tanzen für Ihre kitschigen Aufnahmen. Solange ich keinen Ärger kriege, ist mir das sowas von schnurz, das können Sie sich gar nicht vorstellen«, erklärte sie abgebrüht. Noch nicht einmal verärgert oder angepisst, einfach nur abgebrüht. Als ob sie das nicht nur so sagen würde.

Und das hatte bei Nellie den Effekt, dass sie innerlich noch aufgewühlter wurde und sich ein zweites Mal nicht beherrschen konnte, etwas Hässliches zu sagen. Es wollte einfach aus ihr raus.

»Bedauerlicherweise kann ich das sogar. Da gehört nicht viel Fantasie dazu. So miesepetrig, wie Sie hier versuchen, allen die Stimmung zu versauen, liegt das auf der Hand.« Fast blieb Nellie das Herz stehen, nachdem sie das herausfordernd zu Frau von Gemseck gesagt hatte. Im Affekt sozusagen. Sie merkte, wie ihr richtiggehend das Gesicht wehtat, so festgefroren war es inzwischen in einem vermutlich reichlich künstlichen Lächeln.

Die Hausherrin fixierte sie abschätzig. »Grinsen Sie eigentlich auch noch, wenn die Welt untergeht?«

Nellie fiel jetzt tatsächlich das Lächeln aus dem Gesicht. Künstlich oder nicht künstlich. Sie hätte beim besten Willen keines mehr erzeugen können. Und auch keine Erwiderung wollte ihr einfallen.

Sie starrten sich einen Moment unversöhnlich an, dann entfernte sich Frau von Gemseck mit ihrem leichten Humpeln und ging in Richtung Eingang davon.

Nellie starrte ihr hinterher, bis sie im Inneren des Gebäudes verschwunden war. Sie war völlig durcheinander. Das war doch nicht sie. So war sie doch gar nicht. Sie war umgänglich, mit ihr kam jeder aus.

Außer Frau von Gemseck offensichtlich.

Und das konnte sie so nicht stehenlassen. Sie würde sich entschuldigen müssen. Das war nicht anders aus der Welt zu schaffen. Die Hausherrin hätte das mit den kitschigen Aufnahmen nicht sagen sollen. Das war dermaßen gemein gewesen. Da hatte sie aus purer Notwehr zurückgeschossen. Böse zurückgeschossen. Es entsprach zwar der Wahrheit, dass Frau von Gemseck eine Ausstrahlung hatte, die der festlichen Freude auf Hochzeiten zuwiderlief, aber das merkten die meisten Gäste mit Sicherheit überhaupt nicht.

Nellie fiel wieder ein, was sie zu ihr gesagt hatte. Grinsen Sie eigentlich auch noch, wenn die Welt untergeht? Die Frau hatte vielleicht Nerven. Nellie wusste, dass sie viel lächelte. Das war ja schlicht und ergreifend ihre Art. Sie war eben ein freundlicher und glücklicher Mensch. Sie lächelte eher, als dass sie ernst schaute. Vor allem, wenn sie mit jemandem sprach. Sogar mit so jemandem wie Frau von Gemseck.

Sie würde jetzt zu ihr reinmarschieren und diese Missstimmung sofort mit einer ehrlich gemeinten Entschuldigung beseitigen. Sofort. So etwas konnte sie ja gar nicht haben.

Frau Brillenmeier suchte sich leider genau diesen Moment aus, um sie für Verwandtschaftsporträts wieder einzusammeln. Aber danach würde sie es sofort machen. Das brannte ihr auf den Nägeln.

•••

Adel hatte sich hinter der Rezeption verschanzt und klickte sich ohne etwas zu registrieren durchs Internet. Diverse Nachrichten und die Wettervorhersage für die kommenden vierzehn Tage – Dinge, so sinnlos wie ein eckiger Fußball. Aber sie musste ja auch nur beschäftigt aussehen und ansonsten das Treiben beobachten. Hier konnte sie den Überblick behalten, war aber nicht sofort auf dem Präsentierteller und für jeden noch so kleinen Quatsch ansprechbar. Davon hatte sie heute bereits genug gehabt.

Kaffeetrinken und Abendessen waren schon überstanden. Gerade wurde noch ein bisschen getanzt, und dann dürfte es das auch schon gewesen sein.

Adels Füße und vor allem ihr Knöchel beschwerten sich bereits über das ganze Rumgestehe, obwohl sie dieses Mal wohlweislich Turnschuhe angezogen hatte. Jetzt wusste sie auch, warum Sigrid immer solche unansehnlichen schwarzen Gesundheitstreter trug, wenn sie diese Festlichkeiten betreute.

Die Hochzeitsfotografin war ihr seit ihrem kleinen Streitgespräch nicht mehr begegnet, und fast fand Adel das schade. Den Schlüssel für den Balkon hatte sie irgendwann Frau Brillenmeier anvertraut, weil sie ihr wie eine vertrauenswürdige und zuverlässige Person erschien und sie selbst gerade im Weinkeller einen besonderen Tropfen hatte holen müssen. Einen von den teuren, die weggeschlossen waren. Sehr edel, sehr teuer – und für sie sehr lohnenswert, wenn der getrunken wurde.

Die Braut war währenddessen nicht vom Balkon gestürzt, auch nicht der Bräutigam, und der Schlüssel war über Frau Brillenmaier sofort wieder an sie ausgehändigt worden. Manche Leute waren tatsächlich weniger nervtötend als andere – selbst auf solchen Hochzeiten.