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Carolina Zacharias, Burlesquetänzerin bei Nacht, Schneiderin bei Tag, walzt die meisten Frauen mit ihrer Art platt, bevor sie ihnen zeigen kann, dass sie auch eine verletzliche Seite hat. Aber bei ihrem Bühnennamen »Torpedotante« ist das auch gar nicht so leicht zu glauben. Feuerwehrfrau Consuelo reagiert auf Carolina sogar mit kompletter Abneigung, als sie sich bei einem ihrer Auftritte vor einem Feministinnenkongress kennenlernen. Aber liegt das tatsächlich an Carolinas Durchschlagskraft als Torpedo, oder ist der wahre Grund viel komplizierter?
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Seitenzahl: 378
Veröffentlichungsjahr: 2021
2. Teil der Feuerwehrfrau-Serie
© 2021édition el!es
www.elles.de [email protected]
Alle Rechte vorbehalten.
ISBN 978-3-95609-348-7
Coverillustration:
Sie hatte noch nie vor einem Kongress voller Feministinnen ihre Burlesqueshow aufgeführt. Vielleicht würde sie das erste Mal ausgebuht werden. Das lag durchaus im Bereich des Möglichen.
Carolina Zacharias trat als ihr Alter Ego Torpedotante auf die stockfinstere improvisierte Bühne. Sie hörte das aufgeregte Rascheln des Publikums. Fast alles Frauen. Ihr Herz wummerte vor Aufregung. Ihre Verkleidung zwickte – die Baseballuniform, für die ihre ungewöhnliche Nummer bei Insidern mittlerweile bekannt war.
Dann setzte mit einem Paukenschlag ihre Musik mit kreischenden Gitarren und einem treibenden Bass ein, Stroboskoplichter fluteten den Saal.
Eigentlich eine Schwachsinnsidee, hier aufzutreten, aber jetzt war es zu spät für einen Rückzieher. Sie stürzte sich in ihren Auftritt mit allem, was sie hatte. Und das war nicht wenig. Im Zweifel Angriff – das war ihr bewährtes Motto.
Carolina wirbelte den Baseballschläger herum, präsentierte ihre typische martialische Show und machte ihrem Namen alle Ehre. Sie hatte einen Helm mit einem Gesichtsgitter auf, darunter schwarze Streifen unter den Augen. Der erste Part ihrer Performance war aggressiv-männlich konnotiertes Angriffsverhalten und Gepose. Sie überzeichnete es bis zum Anschlag. Darin war sie so richtig gut. Sie würde die Feministinnen wie ein Torpedo wegfegen. Ob sie es wollten oder nicht.
Die Musik hämmerte durch den Saal. Carolina war froh, dadurch keine empörten Ausrufe zu hören. Und Gesichter konnte sie in dem flackernden Licht auch nicht ausmachen. Das war ein Blindflug hier.
Sie riss den Helm herunter, ließ ihre langen roten Haare herausfallen wie eine Kaskade und fauchte gleichzeitig ins Publikum. Das gehörte immer zur Show, aber ein bisschen Drohgebärde konnte hier sicherlich nicht schaden.
Sie ließ schließlich die ersten Hüllen von ihrem üppigen Körper fallen. Das war der Moment. Sieg oder Niederlage. Auf alle Fälle würde sie mit hocherhobenem Haupt hier rausgehen. Egal was käme. Das schwor sie sich, als sie ihr überdimensionales T-Shirt zusammen mit dem Helm nach hinten warf. Sie würde das hier durchziehen, bis sie wie immer nur noch im Tangaslip performte. In all ihrer weiblichen Pracht. Ihr nackter Rubenskörper würde diesen Saal flashen. Da müssten die Feministinnen sie schon von der Bühne zerren, ehe sie sich das vermasseln ließe.
Sie riss sich die Uniformhose herunter. Das ging ganz leicht, weil sie ihr Kostüm an den entscheidenden Stellen entlang der Nähte mit Klettverschlüssen ausgestattet hatte. Von Fans hatte sie sich sagen lassen, dass das noch jedes Mal beeindruckend aussah. Kraftvoll. Selbstermächtigend.
Jepp, das war sie, Torpedotante. Ihr Bühnenname sollte allen Walküren wie ihr zur Ehre gereichen. Mut machen, sagen: Wir verstecken uns nicht. Hier sind wir und wir sind schön. Jawohl!
Carolina wirbelte die Hose herum und stieß einen Schrei aus, während sie energiegeladen tanzte. Ihr Tanz war eine Mischung aus sinnlich-erotischer Provokation und den kraftvollen Bewegungen einer Kriegerin. Das war immer der beste Teil ihres aktuellen Programms. Wenn sie bis hierher gekommen war, fühlte sie sich meist schon unbesiegbar. Heute jedoch nicht ganz. Heute erwartete sie noch immer die ersten Buhrufe.
Und dann flog ihr der erste BH entgegen. Er war lila und mit Spitzen besetzt. Direkt kam ihr der Gedanke, dass Feministinnen seit den BH-Verbrennungen der siebziger Jahre doch gar keine BHs mehr trugen. So konnte man sich täuschen.
Carolina fing das zarte Wäschestück auf und rieb es sich wollüstig übers Gesicht.
Das war eine spontane Reaktion. Es war ihr noch nie ein BH zugeworfen worden und auch kein Schlüpfer. Deshalb hatte sie einfach getan, was ihr in den Sinn gekommen war. Improvisieren war Torpedotantes Spezialität. Sie liebte es zu improvisieren. Mit BHs umso mehr, wie es schien.
Und jetzt konnte sie über die Gitarrenriffs ihres Songs hinweg doch etwas hören. Die Frauen im Publikum pfiffen, schrien und jubelten. Nun kamen eine Krawatte angeflogen und eine Rose. Und schließlich auch ein Höschen. Aber hallo! Die Ladys hier waren sogar vorbereitet zu ihrem Auftritt gekommen. Carolina wagte es nicht zu hoffen, dass es sich eine Verehrerin gerade unter dem Rock hervorgezogen hatte. Was für ein Gedanke!
Mit neuem Schwung schmiss sich Carolina in die Performance. So über die Bühne gefegt war sie noch nie.
Irgendwann ließ sie ihre vollen nackten Brüste zur Musik hüpfen, ihre Brustwarzen waren mit schwarzem Klebeband kreuzförmig abgeklebt.
Als sie endlich nur noch im Slip ekstatisch tanzte, sah sie im helleren Licht der Scheinwerfer direkt vor der Bühne Frauen jubelnd mit ihr mittanzen.
Wow!
Ihr erster Gedanke war Stage Diving. Aber weil das selbst für sie eine Nummer zu abgedreht und gefährlich war, tat sie das, was ihr als Zweites in den Sinn kam: Sie ging ganz nach vorn an den Bühnenrand, hüpfte hinunter auf den Parkettboden des Saals und ließ sich von den begeisterten Damen umringen. Sollte mal jemand sagen, Carolina Zacharias würde die Gunst der Stunde nicht zu nutzen wissen.
Wenn hier nicht die Frau für immer dabei war, dann zumindest die Frau für eine heiße Nacht. So viel stand fest. Obwohl sie sich ja vorgenommen hatte, von One-Night-Stands die Finger zu lassen. Denn sie wollte ja eine echte und wahre Liebe finden.
Als sie so durch die Frauenkörper tanzte, fragte sich Carolina, warum sie eigentlich in einer monogamen Beziehung enden wollte. War das hier nicht viel besser? So viele Frauen waren hier, die sie begehren und beglücken könnte.
Aber noch während sie das dachte, gab ihr aufmüpfiges romantisches Herz eine Protestnote von sich und erinnerte an seine Bedürfnisse.
Carolina schlängelte sich aus den Verehrerinnen hinaus. Ihr Song näherte sich trotz Extended Version dem Ende. Sie sprang ausgelassen am linken Bühnenrand die drei Stufen hoch und legte gekonnt ihren getimten Schluss hin. Dann verschwand sie unter tosendem Applaus und begeistertem Johlen hinter dem Vorhang.
Feministinnen sind deutlich wilder als ihr Ruf, dachte sie glücklich. Was für ein Auftritt. Was für ein Abend. Ihr Herz wummerte jetzt aus ganz anderen Gründen als noch vor zehn Minuten. Sie war außer Atem wie selten nach einem Auftritt.
Carolina konnte das breite Grinsen im Gesicht nicht unterdrücken. Barfuß und fast nackt stand sie da und lauschte für einen kurzen euphorischen Moment dem begeisterten Publikum hinterm Vorhang.
Dann rannte sie noch einmal hinaus. Das war nicht spontan, sondern gehörte zu ihrem Auftritt. Nur wenn es gut lief. Aber das tat es eigentlich immer.
Ihre Musik hatte bereits wieder eingesetzt, und sie tanzte eine Zugabe. Dabei sammelte sie ihre Trophäen ein. Denn die würde sie auf keinen Fall zurücklassen. Unter ausgelassenen Begeisterungsrufen präsentierte sie jedes einzelne Stück noch einmal.
Den Slip hob sie sich fürs Finale auf. Sie schwenkte ihn zuerst, damit alle ihn gut sehen konnten, und dann biss sie hinein. Da, wo in ausgefülltem Zustand der weibliche Schatz verborgen lag. Sie grollte und knurrte und warf den Kopf wild hin und her.
Das löste eine weitere Welle an Zurufen aus. Gekreische sogar. Carolina grinste breit um ihr Beutestück herum, und dann fletschte sie die Zähne ins Publikum.
Unter den Zurufen verzückter Frauenstimmen stürmte sie mit dem Slip im Mund endgültig von der Bühne. Vielleicht sollte sie das mit dem Slip in eine neue Nummer einbauen. Das gefiel ihr immens gut. Und den Pussy-Liebhaberinnen im Publikum offenbar auch.
Sie blieb wieder schweratmend hinter dem Vorhang stehen und ließ die durch den Auftritt freigesetzten Endorphine durch sich durchpulsieren. Das war wie ein Rausch. Dafür machte sie Burlesque! Für dieses mächtige Gefühl. Mindestens die Hälfte der Frauen da draußen im Saal wollte sie, die Torpedotante. Die kleine, dicke Carolina aus der Kleinschneuzelreuterstraße, die immer gehänselt worden war wegen ihrer verfilzten Locken und ihrer Vorliebe für Süßigkeiten.
Wamm! Bumm! Zosch!
Am liebsten hätte sie geschrien, aber sie trommelte sich nur eine Runde auf die Brust wie King Kong und genoss das Gefühl ihrer schwingenden nackten Brüste in der kühlen Luft hinter der Bühne für einen Moment länger. Dann griff sie sich den Kimono, den sie vor ihrem Auftritt auf einem Stuhl bereitgelegt hatte. Auch wenn sie gern nackt war, konnte sie nicht weiter so herumlaufen. Sie wollte ja schließlich keinen Massenauflauf verursachen. Darüber gluckste sie lachend auf. Träum weiter, Carolina. Aber eine Frau durfte ja noch träumen.
In dem Moment, als sie den Kimono überstreifte, öffnete sich eine Tür, die weiter ins Gebäude führte. Eine Mitarbeiterin der Veranstalterin, die sie vor ihrem Auftritt schon kurz gesehen hatte, trat daraus hervor und sah sie mit einem dermaßen gruseligen Gesichtsausdruck an, dass Carolina fast ihre ganze Euphorie über den Auftritt vergaß. Als ob jene in der Metzgerei in die Tonne für die Gedärme und Innereien schauen würde. Zutiefst abgestoßen.
So sah Abschätzung aus. Gar Ablehnung. Das war ganz genau die Reaktion, die Carolina heute hier von Anfang an erwartet hatte. Aber im Saal und gepaart mit dem dringenden Wunsch nach Diskussion und Aufklärung für die verirrte Burlesquetänzerin. Sie hatte das nicht vom Personal hinter den Kulissen erwartet. Schon gar nicht hier.
Das Schlösschen, in dem der Kongress stattfand, gehörte der Freundin einer Freundin. Nicht umsonst waren die Feministinnen hierhergekommen mit ihrem Kongress. Das hier war gelebte Diversity. Gay-friendly. Queer Community. Lesbenland. Und all das. Hier durfte sie mehr Akzeptanz erwarten. Das war hier nicht die Versammlungshalle der örtlichen Rechten.
Aber das Gesicht, das sie anstarrte, sah nach Ku-Klux-Klan aus. Oder Hexenverbrennung. Oder als ob sie im nächsten Fluss ertränkt werden würde für ihr ungebührliches Verhalten.
»Consuelo, da bist du ja.«
Eine weitere Frau kam durch die Tür, und Carolina war über das freundliche Gesicht so froh, dass sie erst jetzt merkte, wie sehr die Missachtung der Mitarbeiterin sie traf. So verwundbar war sie im Strahlen nach einem Auftritt.
Nellie war die Frau der Besitzerin und ein echtes Herzchen. Sie war so freundlich und aufgeschlossen, dass Carolina sie schon bei ihrer ersten Begegnung gleich in ihr großes Herz geschlossen hatte.
Nellie legte jetzt der Mitarbeiterin mit dem spanisch klingenden Namen die Hand auf die Schulter, als ob die Unterstützung gebraucht hätte.
Hallo?!
Wenn hier jemand eine freundliche Hand auf der Schulter verdient hatte, dann war sie das, die unschuldig torpedierte Torpedotante.
Diese Consuelo starrte sie immer noch an. Nicht einmal die Anwesenheit von Nellie schien sie davon abhalten zu können.
Wenn sie nicht so hässlich geguckt hätte, hätte die Person sogar gutaussehen können. Vermutlich war sie gutaussehend, aber Carolina konnte das in diesem Moment nicht wirklich akzeptieren. Dass hier eine gutaussehende, butchige Frau sie so ansah. Nicht, weil das genau ihr Frauentyp und sie darüber enttäuscht war, bei ihr nicht anzukommen. Sondern weil sie trotz all ihrer toughen Fassade und ihrer Vorschlaghammerpersönlichkeit sehr empfindlich war. Das war ihre Krux.
Carolina wurde für dickhäutig und teflonbeschichtet gehalten, war es aber gar nicht. Die traurige Wahrheit war, dass innen drin immer noch die kleine, dicke Carolina aus der Kleinschneuzelreuterstraße steckte, die unter dem Mobbing litt, und ein fieser Kommentar, ein abweisendes Gesicht einen ganzen Saal voller begeisterter Feministinnen in den Hintergrund treten ließ.
Consuelo konnte sich nicht helfen. Sie musste diese Frau anschauen, die da mit so viel ungebändigter Energie dem Kongress eingeheizt hatte. Sie kam überhaupt nicht mit dem zurecht, was diese Torpedotante in ihr auslöste.
Ganz viel Neid. Das war offensichtlich. Wie die Frau einfach alles von sich warf und fast nackt tanzte. Sich das traute. Das war einfach nur umwerfend. So viel innere Freiheit war für Consuelo unvorstellbar. Sich von den gängigen Schönheitsidealen so zu lösen und sich zu präsentieren, wie man war. Das war phänomenal. Und sexy. Diese Torpedotante war unfassbar sexy.
Nellies Stimme unterbrach ihr Starren. »Ich übernehme das hier hinten. Du kannst Adel helfen. Sie ist hinter der Sektbar gelandet, weil einer der Bedienungen schlecht geworden ist.«
Consuelo löste ihren Blick endlich von der Burlesquetänzerin und sah Nellie an. Erwischte gerade noch Nellies peinlich berührten Gesichtsausdruck in dem Moment, als ihr klar wurde, wo sie Consuelo gerade hinschickte: an die Sektbar.
»Kein Problem, Nellie. Ich mach das. Ihr Knöchel bringt sie wahrscheinlich schon fast wieder um.«
Das brachte ihr einen weiteren freundschaftlichen Drücker durch Nellies Hand ein.
Adel, ihre Freundin aus Kindertagen und Nellies Frau, hatte aus ihrer Jugendzeit einen kaputten Knöchel von einem Sturz vom Balkon hier im Schlösschen. Trotz einiger Operationen konnte der Fuß nie wieder richtig hergestellt werden, und sie hinkte bis heute leicht.
Jetzt, da sie schwanger war, wurde das von Woche zu Woche schlimmer. Zumindest seit ihr Babybauch so richtig groß wurde. Was für ein Megababy da in einigen Wochen rauskommen würde, war ein Scherz, den sie bisher nur Nellie gegenüber geäußert hatte. Ihr Verhältnis zu Adel hatte durch ihr Zerwürfnis vor fast drei Jahren arg gelitten.
Nellie wandte sich jetzt der Frau zu, die in einem dünnen Hauch aus Seide vor ihnen stand und fast nichts darunter trug. Sie atmete vom Auftritt noch immer schnell, und ihre Haut strahlte mit einem zart-roten Hauch. Ein Anblick, der Consuelo an ganz andere Aktivitäten erinnerte. Aktivitäten, die sie weit hinter sich gelassen hatte. An die sie nicht unbedingt erinnert werden wollte. Nicht mit diesem schwer zu ignorierenden Gefühl zwischen ihren Beinen.
Diese Torpedotante erregte sie und erinnerte sie an Sehnsüchte, die sie besser gebändigt hielt, wenn sie ihr Leben nicht wieder an die Wand fahren wollte.
Gott sei Dank fing Nellie an zu reden und unterbrach die komische Dynamik, die sie mit der Burlesquetänzerin hatte. Oder vielleicht war das auch nur sie. Sehr wahrscheinlich sogar.
»Carolina, das war großartig! Wir haben hinten im Saal mitgefiebert. Ich habe noch nie eine Burlesqueshow gesehen. Ich bin dein Fan.«
Nellie war ihr übliches quirliges Selbst und ließ den ganzen Charme ihrer freundlichen Persönlichkeit über die Torpedotante perlen. Die dankte es ihr mit einem charismatischen Lachen, das Consuelo packte und schüttelte und ihr Inneres verquirlte wie ein durchgedrehter Stabmixer.
Sie musste hier weg.
Sie wusste, der Blick, den sie den beiden Frauen zum Abschied zuwarf, war finster. Hätte sie nämlich auch nur einen Funken dessen zugelassen, was in ihr wirklich brodelte, dann hätte sie den Halt verloren. Die Höllenhunde hätten sich von der Leine gerissen und hätten all das zerfleischt, was sie sich so mühselig erarbeitet hatte. Zufriedenheit mit dem, was sie hatte. Ausgeglichenheit, innere Ruhe.
Sie hatte das Gefühl, schon jetzt nach dem einen Auftritt dieser Naturgewalt einer Frau nur noch einen lockeren Griff an dieser Höllenhundleine zu haben. Diese Frau war gefährlich für Consuelo. So viel stand fest. Das dämpfte ihr schlechtes Gewissen wegen ihres nicht gerade übermäßig freundlichen letzten Blicks.
»Wer war das denn?«, flüsterte eine Stimme in ihrem Rücken.
Das, was Consuelo im Weggehen hörte, war die angepisst klingende Stimme der Burlesquetänzerin. Der Ton schmerzte kurz in ihrer Brust, dann kam die Erkenntnis hinterher. Es war besser, wenn diese Frau von ihr angepisst war. Dann hielt sie Abstand für den restlichen Abend. Und danach musste sie sie hoffentlich nie wieder sehen.
In ihrem früheren Leben hätte sie sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen und die verlockend sexy Dame so gekonnt angemacht, bis sie mit ihr eine horizontale Oberfläche aufgesucht hätte. Vorzugsweise horizontal. Zur Not auch nicht. Da war sie nicht wählerisch gewesen. Hauptsache Sex. Und diese Torpedotante war mit Sicherheit ein Silvesterknaller im Bett. Mindestens. Vielleicht sogar ein ganzes Feuerwerk.
Danach hätte sie sie vielleicht noch ein, zwei Mal für eine Wiederholung getroffen. Spätestens dann hätte sie zu Zeiten ihrer Ehe mal an ihre Gattin gedacht und wäre reumütig zu ihr zurückgekehrt. Ohne dass die etwas davon geahnt hätte.
Das wäre es dann für eine kurze Zeitspanne gewesen – bis die nächste Frau ihr Interesse geweckt hätte.
Consuelo dachte nicht gern an diese Phase ihres Lebens zurück, aber es war wichtig, dass sie es tat. Nur nicht, wenn sie so aufgewühlt war wie nach dieser Show gerade eben. Von dieser Frau. Der ersten Frau seit ihrer Scheidung und ihrem Zusammenbruch, die solch eine Reaktion in ihr auslöste. Vielleicht war das auch ein gutes Zeichen.
Mit diesem Gedanken öffnete Consuelo die Tür zum Vorraum des Schlösschens, wo die Sektbar aufgebaut war. Hier würden demnächst Dutzende durstige Feministinnen aus dem großen Saal hereinstürmen, wo eine sexy Burlesquetänzerin ihnen eingeheizt hatte. Der Sekt würde wohl in Strömen fließen, und eine schwangere Adel konnte das nicht bewältigen.
Vielleicht war es wirklich ein gutes Zeichen, dass sie mal wieder sexuelles Begehren gespürt hatte. Sie musste dieser Torpedotante fast dankbar sein, dass sie das ausgelöst hatte. Mehr war an der ganzen Sache nicht dran. Consuelo versuchte, das so für sich einzuordnen und damit gut sein zu lassen. Sie hatte jetzt ganz anderes zu bewältigen. Sie würde jetzt hinter einer Sektbar stehen und Alkohol ausschenken. Auch eine neue Erfahrung in ihrem neuen Leben.
Eigentlich war sie nur hier und half aus, weil ihre Freundin aus Kindheitstagen sie darum gebeten hatte. Die erste Bitte seit ihrem Zerwürfnis. Nein, das war das falsche Wort. Consuelo hatte alles getan, um die längste und beste Freundschaft ihres Lebens zu zerstören. So wie sie ihre Ehe zerstört hatte und ihr ganzes restliches Leben.
Um diese Freundschaft zu retten, würde sie selbstverständlich Alkohol ausschenken. Auch wenn das immer ihre Krücke gewesen war, ihr großer Tröster, ihr Allheilmittel und Droge der Wahl. Mit Alkohol hatte sie sich immer unbesiegbar und unwiderstehlich gefühlt. Keine Frau war zu schön gewesen, zu unnahbar oder zu hetero, um ihr, Consuelo der Verführerin, zu widerstehen.
Nüchtern sah die Welt einfach anders aus.
Damals war sie allerdings Conni gewesen, die so toxisch war, dass es selbst sie heute vor dieser Person graute. Sie wollte diesen Namen nie wieder hören. Nie wieder diese Person sein.
»Du musst das nicht machen«, sagte Adel, als sie zu ihr hinter die Bar trat. Das war natürlich sehr aufmerksam von ihrer alten Jugendfreundin.
Consuelo nahm die erste Sektflasche und machte sich daran, den Folienüberzug über dem Korken wegzupulen. »Ich werde es aber trotzdem tun«, gab sie Adel zur Antwort.
»Consuelo«, sagte Adel mit einer Mischung aus Ermahnung und Dankbarkeit in der Stimme. Eine Mischung, wie sie in ihrer Kompliziertheit nur Adel fertigbrachte. Weil Adel der vielschichtigste Mensch war, den sie kannte.
Früher hatte sie sich manchmal darüber lustig gemacht. Conni hatte das getan. Consuelo wusste den Charakter ihrer Freundin besser zu schätzen. Adel hatte zum Beispiel ihre Rückkehr zu ihrem echten, passverbrieften Namen sofort verstanden und akzeptiert. Auch wenn sie ihn selbst immer gehasst hatte. Consuelo Schlosser – wie hörte sich das denn an.
Heute fand sie ihn gut. Weil ihr Name ihre Herkunft in sich trug. Früher hatte sie sich dafür irgendwie geschämt.
Consuelo hatte die Folie endlich runter und drehte jetzt an dem Drahtgitter, das den Korken hielt. Sekt war nie ihr Lieblingsgetränk gewesen. Aber am Schluss war sie nicht mehr wählerisch gewesen. Da trank sie alles. Auch durcheinander. Sogar Pfefferminzlikör, den sie eigentlich nur mit zugedrückten Nasenlöchern hinunterbekam.
Der Korken löste sich mit einem kleinen eleganten Geräusch aus der Flasche, und das typische Perlen von Sekt stieg aus dem Flaschenhals direkt in ihre Nase. Kurz roch es irrwitzig verlockend, dann wurde es ihr fast schlecht, als ihr Gehirn alles verknüpfte, was dieser Geruch für sie bedeutete. Die Reaktion war fast die gleiche wie bei der Burlesquetänzerin. Gefahr!
Fast hätte sie die Flasche in einer Abwehrreaktion fallen lassen. Das unterdrückte sie gerade noch rechtzeitig. Es war jetzt 1022 Tage her, seit sie zuletzt Alkohol getrunken hatte. Und morgen wird der 1023. Tag, schwor sich Consuelo.
Sie befüllte die erste Ladung Sektgläser, die auf Tabletts bereitstanden. Adel beobachtete sie, während sie selbst Gläser einschenkte. Bei der zweiten Flasche lösten sich Consuelos verkrampfte Schultern etwas, und bei der dritten Flasche fühlte sie sich einigermaßen im Lot.
Dann riskierte sie einen Blick in den Vorraum, um zu sehen, wie viel Andrang Adel und ihr noch bevorstand. Der Kongress war zwar nur für die Teilnehmer*innen, wie es auf der Einladung stand. Aber die Abendveranstaltung hatte einen eigenen, offenen Ticketverkauf gehabt. Kein Wunder, dass gefühlt doppelt so viele Besucher wie bei sonstigen Veranstaltungen im Schlösschen waren.
Die Lesung von Maxi Gnädig und die Burlesquetänzerin lockten aus der ganzen Region die Lesben in Scharen an. Die DJane, die jetzt im Saal loslegte, war ein Import aus der nahegelegenen Universitätsstadt und anscheinend auch in der Szene bekannt. Was auch immer heutzutage die Szene war.
Natürlich ließ es sich auch die kleine Lesbenszene aus Bad Worich nicht nehmen, heute Abend da zu sein. Wenn schon mal was passierte im Ort. Und das, obwohl man über Adel und ihr Schlösschen sonst gern die Nase rümpfte.
Das mochte Consuelo überhaupt nicht. Diese Doppelzüngigkeit. Leider befand sich unter den Lesben aus Bad Worich auch ihre Exfrau Kerstin. Die noch immer einen ziemlichen Hass auf sie schob. Consuelo hatte schon mehrfach eine Aussöhnung versucht, hatte in jedweder Form um Verzeihung gebeten. Aber Kerstin war unerbittlich.
Mittlerweile ließ sie es so stehen. Was sollte sie machen. Es schadete mehr Kerstin als ihr, wenn sie so daran festhielt, sie zu verachten. Sie hatte ja recht, die Conni von damals zu verabscheuen. Aber sie mussten die Vergangenheit auch mal loslassen. Das war gesünder. Sie erwartete ja nicht, dass sie beste Freundinnen werden würden. Aber einen zivilen Umgang zu finden, das war Consuelos Ziel.
Kerstin ignorierte sie wie immer geflissentlich. Sie tuschelte mit ihren Freundinnen, und Consuelo konnte sehen, wie sie gemeinsam abfällig darüber redeten, dass sie hinter der Sektbar stand. Consuelo versuchte darüberzustehen.
Adel hatte inzwischen trotz der Hektik Kerstin auch wahrgenommen und zog ihre Augenbrauen sarkastisch hoch. Durch diese kleine Geste, die so typisch Adel war und alles beinhaltete inklusive der Ablehnung, die Kerstin immer gegen Adel hatte, fühlte Consuelo sich irgendwie gleich besser. Fast schon wieder heiter.
Bis mit einer Welle lachender und ausgelassener Frauen die Torpedotante an die Bar kam und einen neuen Schwung an widerstreitenden Gefühlen lostrat.
Willa beobachtete Maxi von Weitem im Getümmel der Kongressteilnehmerinnen. Wo war ihre Freundin eigentlich nicht in ihrem Element? Hier auf diesem Kongress mit den ganzen Frauen war sie genauso zu Hause wie bei den Jungs von der Freiwilligen Feuerwehr. Inzwischen waren dort zwar drei Frauen, aber es war trotzdem immer noch hauptsächlich ein Männerverein.
Ohne Maxi wäre sie selbst heute gar nicht im Schlösschen. Die hatte Willa einfach mitgenommen als ihre Begleitperson. Maxi hatte aus ihrem aktuellen Buch Eintagsfliegen leben länger und dem Manuskript, an dem sie gerade arbeitete, vorgelesen, das erst nächstes Jahr erscheinen würde. Dafür wurde vom Verlag aber schon kräftig die Werbetrommel gerührt, denn Maxis beliebte Hauptfigur, die Kriminalhauptkommissarin Carsta, würde darin ihr Coming-out haben. Unter einigen Verwicklungen, mehreren blutrünstigen Morden und einem Abstecher zu Menschenhändlern. Das wusste aber bisher in der Form nur Willa.
Die spärlichen offiziellen Infos hatten irgendwie das Interesse der Veranstalterinnen geweckt. Was auch immer ein Krimi mit dem Thema des Kongresses zu tun hatte. Genderperformance – klang interessant, aber als Ärztin hatte sie da ehrlich zugegeben nur wenig Ahnung. Und vermutlich eine viel zu biologische Antwort auf bestimmte Angelegenheiten.
Willas Blick schweifte über den athletischen Körper ihrer Freundin. Deren biologisch-anatomische Eigenschaften brachten ihr Blut mit großer Zuverlässigkeit in Wallung. Und auch bestimmte Organe.
Maxis Schönheit lag aber auch auf der Genderperfomancelinie. Ein Mannweib war sie nicht, wie ihre Mutter abfällig behauptet hatte. Aber vermutlich hätte sie auch Heidi Klum als Mannweib tituliert, wenn sie es gewagt hätte, mit ihrer Tochter eine Beziehung einzugehen. Vermutlich war auch Willa selbst ein Mannweib. Darüber musste sie schmunzeln und verlor sich lieber wieder im Anblick von Maxi. Wie ihre Hände gestikulierten und was diese Hände an ihrem Körper alles veranstalten konnten an aufregenden Dingen.
Maxi war definitiv ein gutes Lockmittel für die Veranstalterinnen des Kongresses. Die bekannte und beliebte Krimi-Schriftstellerin, die hierher in die Gegend aufs Land gezogen war. Oder so etwas in der Art stellte sich Willa vor. Die außerdem fabelhaft aussah.
Maxi gab heute wieder das professionelle Klischee der Schriftstellerin. Und das tat sie auf ausgesprochen attraktive Art. Sie hatte ihr dunkles Jackett an, von dem Willa wusste, dass sie es nur für solche öffentlichen Auftritte besaß, und ein weißes Hemd darunter. Ihre Haare hatte sie glattgegelt, und sie trug eine Nerdbrille. So liebte es Willa, sie zu sehen. Auch wenn sie es ein bisschen albern fand, dass die Brille gar keine Stärke hatte und Maxi sie nur wegen des Effektes trug. Weil eine Schriftstellerin eben eine Brille zu tragen hatte. Darüber musste sie einfach schmunzeln. Einer Ärztin würde so etwas nie einfallen. Zumindest keiner Ärztin, die Willa Schneck hieß.
Sie reihte sich in die Schlange an der Sektbar ein, während sie den Anblick von Maxi weiter in sich einsaugte. Sie konnte sich an ihr nie sattsehen. Vor allem konnte sie es noch immer nicht glauben, dass sie ihre Traumfrau gekriegt hatte. Und das auch noch ausgerechnet in dem kleinen Kaff Weiler, in dem sie aufgewachsen war.
»Denkst du, irgendeine der liebreizenden Feministinnen wird dir deine Freundin abspenstig machen, oder warum lässt du Maxi keine Sekunde aus den Augen?«
Carolina tauchte neben ihr auf wie aus dem Nichts. Oder Willa war einfach nur in Gedanken versunken gewesen und hatte nicht bemerkt, was um sie herum vor sich ging. Aber der Moment der Überraschung war nur kurz, dann stieg sie auf die Provokation der nach ihrem Auftritt strahlenden Carolina ein.
»Erstens bin ich auch Feministin. Als Beweis sollten die Emmas in meinem Wartezimmer im zurückgebliebenen Weiler, wo die Hausfrauen noch Kittelschürzen tragen, ausreichen. Feministin sollte jede Frau mit Selbstrespekt sein. Von daher würde Maxi nicht wirklich etwas anderes kriegen als das, was sie schon hat. Und erst gestern hat sie gesagt, dass ich ›suchtmachend‹ bin. Ich glaube also nicht, dass sie mich heute Abend abservieren wird.«
Sie schaute Carolina herausfordernd an. Jetzt bist du dran! sollte ihr Gesichtsausdruck sagen.
Carolina verstand den Ausdruck sehr gut und lachte schallend los. Dass Willa sich überhaupt getraute, mit Maxis Torpedo einer besten Freundin so zu reden, war eine echte Entwicklung.
Anfangs hatte sie etwas Angst vor der massiv auftretenden Person gehabt. Als sie das erste Mal in ihre Praxis gekommen war, um sie auszuhorchen, hatte Willa befürchtet, von dem Vollweib plattgewalzt zu werden. Inzwischen wusste sie einigermaßen, wie Carolina tickte, und ließ sich von ihrer lauten und direkten Art nicht mehr einschüchtern. Außerdem wusste sie auch, was für eine loyale und gute Freundin sie war. Um sie wirklich zu verärgern, musste man, wenn sie einen erst einmal in ihr Herz geschlossen hatte, schon etwas sehr Übles tun. Sagte Maxi. Willa hatte nicht vor, das auszutesten.
»Suchtmachend – oho! Und das würde sie nicht, das stimmt. Weil ihr beide so verliebt ineinander seid, dass es fast nicht zu ertragen ist«, sagte Carolina noch immer lachend.
»Du bist nur neidisch.« Ihre Antwort kam, ohne nachzudenken. Wenn sie das getan hätte, bevor sie losredete, hätte sie sich zensiert. Denn sie wusste ja, dass Carolina auf der Suche nach der Liebe war. Bisher erfolglos.
»Und auch das ist eine Tatsache, die ich gern zugebe!« Carolina lachte darüber, aber das war ernstgemeint. Sie nahm es aber auf typische Carolina-Art mit Humor und wenig Herzeleid. Die Liebe würde schon kommen, das strahlte sie mit einer Selbstsicherheit aus, die Willa immer erstaunte.
Sie selbst hatte ja mehr gelitten, als sie noch auf der Suche war. Zeitweise war sie sich auch sicher gewesen, dass sie nie das wirklich große Gefühl finden würde.
Willas Blick huschte kurz wieder zu Maxi hinüber. Ihr ganz großes Gefühl stand dort drüben. Fast hätte sie deshalb den Moment verpasst, als ein Schatten über Carolinas attraktives Gesicht huschte. Ihre großen, ausdrucksstarken Augen waren auf etwas fixiert, das sie dunkel und verärgert aussehen ließ.
Willa versuchte, in dem Getümmel rund um die Sektbar zu erkennen, was – oder wohl besser wer – diesen Ausdruck bei ihr verursachte.
Normalerweise war Carolina nach ihren Auftritten immer überdreht gut drauf und im Flirtmodus. Da konnte sie eigentlich nichts aus der Bahn werfen. Das hatte Willa bei den drei Auftritten, die sie bisher gesehen hatte, mitgekriegt. Maxi hatte auch erzählt, dass nach ihren Auftritten Carolina wie entfesselt war und selten allein heimging. Sexbombe – das war Carolina nach einem Auftritt der Torpedotante.
Willa konnte keine Frau entdecken, die sich irgendwie auffällig benahm. Allerdings machte sie eine ihrer Patientinnen hinter der Bar aus, die bediente und versuchte, den Ansturm an Kongressteilnehmerinnen und Gästen für die Abendveranstaltung mit Sekt zu versorgen. Consuelo Schlosser wohnte seit zwei Monaten in Weiler und war seit Neuestem eine der drei weiblichen Feuerwehrfrauen. Sie schlug sich besser als Maxi in ihrer Anfangszeit, die so viele Unfälle produziert hatte, dass sie eigentlich schon wieder hatte austreten wollen. Aber da einer dieser Unfälle sie zusammengebracht hatte – oder vielleicht waren es auch alle Unfälle zusammengenommen, so oft wie Willa sie hatte behandeln müssen –, war Maxi doch noch einmal umgeschwenkt, als der Feuerwehrkommandant sie bearbeitet hatte.
Consuelo sah sie und lächelte ihr begrüßend zu. Dann sah sie Carolina neben Willa stehen, und ihr Blick gefror. Anders konnte Willa es nicht deuten. Aber der Ausdruck verschwand so schnell wieder von ihrem Gesicht, dass Willa glaubte, sich getäuscht zu haben.
Als sie jetzt endlich an die Bar treten konnte, um sich ein Glas Sekt zu nehmen, war Consuelo wieder wie immer. Sie kannte sie ja nicht gut, aber eine weitere Lesbe in Weiler war bemerkenswert genug, dass selbst Willa über ihren Schatten sprang und sich bemühte, sie kennenzulernen.
Manchmal hatte es Vorteile, die Hausärztin von fünftausend Dorfbewohnern zu sein. Sie bekam alles mit und traf so gut wie jeden und jede. Sie wusste dadurch auch, dass Consuelo einen Alkoholentzug hinter sich hatte. Hinter einer Sektbar zu arbeiten, war sicherlich nicht besonders sinnvoll. Wieso arbeitete Consuelo überhaupt hier im Schlösschen mit? Sie war doch Schreinerin, soweit sie wusste.
Carolina war neben ihr ungewöhnlich still, also blieb es an Willa hängen, die Konversation zu betreiben. Sie fühlte sich unwohl dabei, gar nichts zu sagen. Irgendetwas musste sie mit ihrer Patientin reden.
»Wie läuft es in der Feuerwehr?«, fragte sie. Sehr gut, Willa. Das klang überhaupt nicht hölzern. Warum hatte sie nicht das Naheliegende gefragt? Gerade hatte sie noch darüber nachgedacht, wie Consuelo hier hinter die Sektbar kam. Das hätte sie doch ansprechen können. Aber sie war eben einfach kein Mensch für Small Talk. Und warum konnte Carolina nicht sein wie immer und die Klappe offen haben?
»Gut. Maxi ist eine sehr gute Kameradin«, antwortete ihre Patientin. Wow, Consuelo war so schlecht im Small Talk wie sie! Vielleicht sogar noch schlechter.
»Hallo Willa, wie schön, dich hier zu sehen! Begleitest du Maxi?« Das kam von der nur ein bisschen weniger steifen Schlösschenbesitzerin Adelheid von Gemseck. Einer sehr schwangeren Schlösschenbesitzerin. Bei ihrem letzten Besuch in der Praxis war noch kaum etwas zu sehen gewesen.
»Adel! Wie geht es dir?« Ihr war klar, dass sie die Frage nicht beantwortete, aber die Schwangerschaft toppte allen Anstand und übernahm ihre Konversationsfähigkeit. Sie war schließlich Ärztin. Die Leute verziehen ihr, wenn sie auf die Gesundheit im Allgemeinen fokussiert war. Oder rechneten es ihr sogar an. Sie galt nämlich im Dorf – laut Gerüchteküche – als sehr engagierte und fachkundige Ärztin. Das ließ sie gern über sich sagen.
Andere Gerüchte hingegen ignorierte sie. Dass jetzt sämtliche Lesben aus der näheren und weiteren Umgebung und auch andere Menschen aus der Queercommunity zu ihr als Patientinnen und Patienten kamen, hatte Weiler mächtig aufgewühlt und einige böse Zungen zu widerlichen Aussagen verleitet. Nicht ihr direkt ins Gesicht. Das würden sie vermutlich nie wagen. Aber ihr wurden Aussagen zugetragen, die im Dorf umgingen, da hätte Willa kotzen können.
Adelheid von Gemseck und ihre Frau gehörten jedenfalls zu diesem neuen Patientenstamm. Sollten die AfDler und Ewiggestrigen doch zu einem anderen Hausarzt gehen. Sie vermisste sie nicht.
Adel schenkte nebenbei weiter Sekt in Gläser, die sofort von der Theke verschwanden, sobald sie voll waren. Consuelo reichte Willa eines, das sie vor dem Andrang bewahrt hatte. Carolina bekam eines von Adel gereicht.
»Mir geht es sehr gut. Nur mein Knöchel mag das zusätzliche Gewicht, das ich mit mir rumschleppe, gar nicht. Aber da lässt sich nichts machen, da muss ich eben durch.«
Willa wollte zu einer aufmunternden ärztlichen Antwort ansetzen, als Carolina plötzlich doch wieder ihre Stimme fand. »Bis du den Braten aus deiner Röhre rausquetschen kannst, wirst du noch ganz andere Schmerzen durchstehen müssen, Schätzchen. Das ist es, was sie uns Frauen immer verschweigen.«
Unnachahmbar undiplomatisch wie immer. Aber die Schlösschenherrin, die nicht immer zugänglich und offen war, nahm es mit Humor und lachte. Consuelo hingegen sah aus, als ob sie Carolina für diese Aussage am liebsten an die Gurgel gehen würde. Oder ihr den nächstbesten Sekt ins Gesicht schütten. Dafür standen die Chancen auch gut.
Willa hatte gar nicht gewusst, dass sich die neue Feuerwehrfrau und die Schlösschenherrin überhaupt kannten, geschweige denn, dass Consuelo solch einen Beschützerinstinkt für Adel an den Tag legen würde. Sie vermutete eine Geschichte dahinter, die ihr mit Sicherheit irgendwann noch zugetragen werden würde. Vor allem, wenn sie unauffällig in die Richtung fragen würde. Darin war sie inzwischen gar nicht mal so schlecht.
»Das ist ein wahres Wort«, sagte Adel gelassen. »Ich konnte mir deine Performance leider nicht ganz ansehen, weil ich hier alles vorbereiten musste, aber was ich gesehen habe, war unerwartet und provokant. Kompliment.« Und dann verschwand sie kurz auf die andere Seite der Theke, um dort auszuschenken.
Willa fragte sich, wie viel die Tickets zu dieser Veranstaltung wohl gekostet hatten, dass der Sekt inklusive war, und ob sich das rechnete.
Adel kam zurück, und sie stellte ihr diese Frage. War doch interessant. Und ganz bald käme dann Maxi zu ihr, und der Abend konnte dann nur besser werden.
Consuelo wünschte sich irgendwo anders hin. Und das lag nicht am Alkohol, der hier in Strömen floss. Sie war überhaupt nicht in Versuchung. Sie war viel zu beschäftigt damit, was diese Frau, die sie heute Abend anscheinend nicht abschütteln konnte, in ihr auslöste. Auch angezogen war sie absolut verführerisch. Ihre Fülle betonte ihre Eleganz perfekt. Und sie hatte eine Persönlichkeit, die dazu zu passen schien. Schonungslos ehrlich und erbarmungslos direkt. Unverschämt sogar.
Es passte Consuelo gar nicht, wie sie mit Adel redete. Aber sie ertappte sich bei dem unschönen Gedanken, dass da das schlechte Gewissen sie packte. Sie selbst hatte zu ihren besten Zeiten ganz andere, viel üblere Sachen zu Adel gesagt. Sie war geradezu widerlich und tief verletzend gewesen. Sie hatte sie verbal genau dort angegriffen, wo Adel besonders verwundbar war. Gnadenlos. Das versuchte sie heute noch wiedergutzumachen. Die Schäden, die sie fast ihre Freundschaft gekostet hätten, zu reparieren. Soweit das ging.
Deshalb passte es ihr überhaupt nicht, dass hier jemand solche Dinge wie Adels Schwangerschaft verulkte. Und Adel das auch noch witzig fand.
Consuelo versuchte einzuschätzen, wie ihre Hausärztin das fand. Dr. Willa Schneck wusste sehr viel über sie. Consuelo vertraute ihr absolut. Wieso, wusste sie nicht, weil sie die Ärztin noch nicht so lange kannte. Aber sie hatte so eine zurückhaltende Ausstrahlung, die Consuelo gefiel.
Willa schien ganz damit zufrieden zu sein, dass Adel und diese Burlesquetänzerin das Gespräch bestritten. Sie hielt den Kopf ganz leicht schräg und hörte mit einem amüsierten kleinen Lächeln zu.
Consuelo beschloss, sich auszuklinken und genau das zu machen, wofür sie hier war: Sekt einschenken.
Indem sie sich auf das konzentrierte, schaffte sie es, auch alles andere auszublenden. Die vielen Menschen im Schlösschen, die sich vor allem um die Sektbar drängten. Früher waren ihr Menschenmengen egal gewesen. Seit sie trocken war, gar nicht mehr. Vielleicht hatte sie ihre Abneigung früher auch einfach weggesoffen, wie so viele ihrer Probleme. Wie ihre Schüchternheit gegenüber Frauen. Die hatte sie definitiv so erfolgreich weggesoffen, dass sie die Frauen, die Eroberungen gesammelt hatte wie Trophäen.
Sie sah kurz zu der Burlesquetänzerin hin. Wieso sie das bei dem Gedanken an Frauen und Eroberungen machen musste, war ihr nicht wirklich ein Rätsel. Wenn sie ehrlich mit sich war, wusste sie, warum. Weil sie sie einfach toll fand.
Consuelo wollte die nächste Flasche aufmachen, nur um festzustellen, dass bereits alle verbraucht waren. Der Kühlschrank war leer. Es gab nur noch alkoholfreien Sekt, der heute überhaupt nicht ging. Sie hatte keine Ahnung, ob das Zeug sonst mehr getrunken wurde, aber die Damen Feministinnen wollten den echten Stoff. Consuelo war das gleichgültig. Sie fasste weder das eine noch das andere an.
»Ich geh Nachschub holen«, sagte sie kurz zu Adel, die zusammen mit der Burlesquetänzerin Willa zuhörte. Es würde sie keine vermissen. Außer den Kongressteilnehmerinnen vor der Bar, die noch immer oder schon wieder auf Sekt warteten.
Consuelo ging um die Sektbar herum in Richtung Rezeption. Von dort führte eine steinerne Innentreppe in den Vorratskeller. Das war immer eine ganz schöne Plackerei, von dort Sachen hochzuschleppen, wenn man sich verrechnet hatte. Sie half ja nicht oft im Schlösschen aus, aber das wusste sie. Auch aus Erzählungen von Adel.
Das Lieferantentor befand sich hinter dem Schlösschen. Dort konnte man auch mit einem Rollwagen Vorräte an- und abtransportieren. Aber das dauerte jetzt zu lange.
Dass nicht für ausreichend Sekt im Vorfeld gesorgt worden war, ärgerte Consuelo. Wer hatte sich denn da so gewaltig verschätzt? Vermutlich Adel. Oder Servicechefin Claudia, die wegen bestimmter Geschichten noch immer sehr schlecht auf Consuelo zu sprechen war. Obwohl Adel ihr soweit vergeben hatte. Und auch Nellie. Ganz besonders Nellie sogar.
Was war heute nur los? Warum musste sie an all diese aufwühlenden Fehltritte ausgerechnet heute so geballt denken?
Sie würde jetzt also zwei Kisten Sekt holen. Die ließen sich auch so tragen. Das müsste dann eine Weile reichen.
Sie schlängelte sich durch Gäste und Personal und merkte nicht, dass ihr jemand folgte, bis sie die massive hölzerne Kellertür hinter sich wieder schließen wollte. Jemand hielt sie am Oberarm fest. Sie erschrak noch nicht einmal besonders, weil das Gewusel im Schlösschen ein ständiges Berühren mit sich brachte. Ihr Körper war darauf eingestellt. Aber nicht darauf, wer sie da berührte.
Sehr erstaunt schaute sie die Burlesquetänzerin an. Consuelo kam überhaupt nicht dazu zu fragen, was das sollte und warum ausgerechnet die Frau, die sie so aufwühlte, hinter ihr hergekommen war. Was sie von ihr wollte.
Consuelo wurde unsanft auf den Treppenabsatz geschoben. Die Präsenz der Frau füllte die ganze Treppe, füllte Consuelos komplette Sicht. Sie konnte nichts anderes wahrnehmen.
Das Schließen der Kellertür fuhr ihr durch Mark und Bein. Kurz kam es ihr in den Sinn, die Kellertreppe hinunterzuflüchten und sich im Gewölbe unter dem Schlösschen zu verstecken. Sie kannte sich dort bestens aus. Es gab Verstecke, die sie noch aus ihrer Jugend mit Adel kannte. Die Burlesquetänzerin würde sie niemals finden. Aber wie absurd wäre das denn?
»Was hast du für ein Problem mit mir?«, fragte die Frau sie herausfordernd.
Ein Zeigefinger stupste sie in die Mitte ihrer Brust. Consuelo war keine kleine Frau. Sie hatte zwar nach ihrem Zusammenbruch massiv abgenommen, aber sie hatte Alkohol durch Sport ersetzt. Sie war muskulös und durchtrainiert wie noch nie in ihrem Leben. Aber sie kam sich gerade furchtbar mini vor. Sie traute es sich nicht zu, die Frau von sich wegzuschieben. Es war seltsam. Einschüchternd.
»Raus mit der Sprache. Ich will es wissen. Das ruiniert mir sonst den ganzen Abend.«
Ein ärgerliches Gesicht fixierte sie und war viel zu nahe. Die Frau roch sehr gut. Kein Duft, den man bei ihr erwarten würde. Nichts Aufdringliches, nichts Süß-Schweres. Ein ganz feiner, zarter Duft, der Consuelo um die Nase flirrte. Alles in Kombination machte es nicht leicht, eine Antwort zu geben. Aber Consuelo hatte das Gefühl, wenn sie nicht etwas Logisches von sich gab, käme sie hier nicht weg.
Dann roch sie den Sekt im Atem ihres Gegenübers, und irgendetwas in ihr flippte aus. Sie musste hier weg. Sie musste von dieser Frau weg. Sie würde rückfällig werden, wenn sie nicht wegkam. Alles würde von vorn losgehen. Der emotionslose Sex, ihr grenzüberschreitendes Verhalten, ihre Selbstzerstörung, das tote Gefühl.
Dass das plötzlich wie eine Welle über sie schwappte, war unverständlich. Aber es war ein fast panikartiges Gefühl.
»Lass mich los!« Consuelo versuchte, sich jetzt an der Frau vorbeizudrängen. Aber die war wie ein Fels, so unverrückbar.
Consuelo wurde von ihr jetzt an beiden Oberarmen auf Position gehalten. Sie fühlte sich wie im Schraubstock, so fest war dieser Griff.
»Ich will eine Antwort. Warum siehst du mich so an, als ob du mich verachten würdest? Was habe ich dir getan? Nenn mir einen Grund, und ich bin weg.«
Sie wollte es ja, aber ihr fiel nichts ein. Sie konnte nicht einfach sagen: Weil du die Versuchung in Person bist. Weil du mich erregt hast und ich das nicht zulassen darf. Sie durfte das nicht aussprechen. Weil es dann real geworden wäre.
Ihre Gedanken ergaben keinen Sinn, so sehr verwirrte sie diese Frau. »Ich weiß nicht, was du von mir willst. Warum machst du das?«, fragte sie.
Mit einem Mal erinnerte sie sich daran, wie sie vor knapp drei Jahren Nellie so an die Wand gedrängt hatte, wie es gerade die Burlesquetänzerin mit ihr machte. Nellie musste sich genauso gefühlt haben. So bedrängt, so schutzlos, so machtlos.
Wow. Consuelo hatte sich schon so oft dafür entschuldigt, sie hatte in ihrer Therapie darüber so lange und ausführlich geredet, dass sie gedacht hätte, das alles verstanden zu haben. Mit allem, was dazu gehörte. Nicht nur ihre Rolle als alkoholvernebelte Täterin, auch Nellies Rolle als Opfer.
Sie hatte gedacht, nicht nur Nellie hätte ihr verziehen, auch sie selbst hätte sich verziehen. Aber wenn sich Nellie nur ansatzweise so gefühlt hatte, wie sie sich gerade in diesem Moment fühlte, dann verstand sie nicht, wie Nellie ihr überhaupt hatte vergeben können. Und das hier war ja noch nicht einmal solch eine Situation wie bei Nellie damals. Die Frau wollte ja keinen Sex von ihr. So wie sie damals von Nellie.
Die Burlesquetänzerin wollte nur eine Antwort. Aber warum? Warum so? Warum jetzt?
»Sag mir, was du gegen mich hast. Sag es mir!«, fragte die Burlesquetänzerin laut.
»Nichts!« Consuelo schrie das hinaus mit all der aufgestauten Verwirrung und Angst, die diese Situation in ihr auslöste.
Sie stieß die Burlesquetänzerin mit einem Aufgebot an Kraft von sich, die von ihrer Fast-Panik herstammte. Dann sprang sie die unebene steile Steintreppe hinunter, immer eine Stufe auslassend, als ob Höllenhunde hinter ihr her wären.
»Hey!«
Der Ruf, der in den alten steinernen Gewölben widerhallte, hörte sich fast so verwirrt an, wie sie sich fühlte. Aber es kamen keine Schritte hinter ihr her.
Im zweiten Gewölbe blieb Consuelo stehen und versuchte, zu Atem zu kommen. Und vor allem auch innerlich wieder zur Ruhe.
Sie fühlte, dass es noch lange dauern würde, bis sie wieder im Gleichgewicht war. Sie nahm sich vor, nächste Woche einen Termin bei ihrer Therapeutin zu machen. Da war sie schon viele Monate nicht mehr gewesen, aber jetzt war das mal wieder fällig. Ein Treffen der Anonymen Alkoholiker setzte sie auch auf ihre Liste. Sicher war sicher. Und das allerwichtigste: Sie durfte dieser Frau nicht mehr begegnen. Auf gar keinen Fall.
Sie zückte ihr Handy, um Nellie eine Nachricht zu schicken oder Servicechefin Claudia. Sie würde den Sekt mit einem Rollwagen an den Hintereingang fahren. Ihn an die Sektbar zu bringen, müsste dann eine andere übernehmen.
Consuelo würde keinen Schritt mehr in irgendeinen Raum setzen, in dem sich die Burlesquetänzerin aufhielt. Und nach dem heutigen Abend müsste sie ihr ja nie wieder über den Weg laufen.
Carolina griff sich Maxi aus einer ganzen Traube von Bewunderinnen heraus und zog sie hinter sich her. Maxi war zuerst etwas erstaunt und widerwillig, dann ließ sie sich aber lachend mitführen. Durch die hölzerne Doppeltür hinaus auf den gekiesten Vorplatz des Schlösschens.
Die Nacht war kalt, und Carolina konnte ihren frostigen Atem in der Luft sehen. Der November hatte eiskalt begonnen, und sie war natürlich wie immer im Herbst viel zu dünn angezogen. Aber im Moment tat die Kälte gut. Carolina war dermaßen überhitzt, dass sie sich wunderte, dass es um sie herum nicht zischte.
Wegen der Kälte waren so gut wie keine Raucherinnen draußen, und sie fand schnell eine Ecke bei winterlich eingepackten Rosensträuchern, in der sie mit Maxi ungestört reden konnte.
Das Licht der Saalfenster schien hell ins Freie, und eine Lampe in der Nähe spendete ein paar Glanzlichter.
»Ich habe gerade was richtig Irres getan.« Carolina stieß die Luft aus, die sie irgendwie trotz Reden angehalten hatte.
Maxi grinste sie an, als ob sie auf eine saftige Geschichte warten würde. »Noch irrer als sonst nach deinen Auftritten?«, fragte sie amüsiert.
Carolina konnte sich nur ein kleines Lächeln abringen. Es stimmte, nach ihren Auftritten war sie immer gut drauf und meistens scharf auf Sex. Da hatte Maxi recht. Kein Geheimnis. Aber sie wollte nicht auf etwas festgeschrieben werden, mit dem sie gerade gar nichts anfangen konnte. Und sie wollte auch sonst nicht festgelegt werden auf ein Verhaltensmuster. Sex war gerade ganz weit weg in ihrer Bedürfniswelt. Sie musste erst einmal klarkriegen, was passiert war. Auf der Kellertreppe.
Und dazu musste sie die Person, die sie am besten kannte, dazu bringen, ihr zu helfen. Maxi war eine verdammt gute Analytikerin von Carolinas Befindlichkeiten und Bedürfnissen. Sie könnte ihr bestimmt auf die Sprünge helfen.
»Nicht die Sorte irre. Die schlimme Art. Ich glaube, ich habe etwas getan, wofür ich mich schämen sollte.« Carolina schlang die Arme um sich, und das tat sie nicht nur wegen der Kälte. Sie gestand sich das ein. Erster Schritt. Sie war eine echte Bitch gewesen.
»Mit wem hattest du Sex auf der Toilette? Oder war es ein anderer Ort?« Maxi grinste noch immer, und Carolina ging das langsam auf die Nerven.
»Kannst du mich bitte mal ernstnehmen, Maxi? Ich bin wirklich durcheinander«, gab sie zur Antwort und rubbelte sich aufgeregt die Oberarme.
Maxi fiel das Grinsen aus dem Gesicht. Carolina vermutete, dass sie bereits das eine oder andere Glas Sekt getrunken hatte und außerdem von ihrem eigenen Auftritt zusätzlich ein bisschen high war. Aber jetzt kapierte sie wohl, dass es Carolina ernst war. Außerdem war es wirklich Jahre her, dass sie sich auf irgendwelchen Toiletten amüsiert hatte. Jahre!