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Ole ist ein Glückspilz. 16 Jahre lang teilt er sein Leben mit seinem haarigen Mitbewohner Charlie, einem schwarzen Labrador. Dieses liebenswerte Fellmonster erweist sich als der perfekte Personal Trainer, Seelentröster, Spielkamerad und Kontaktvermittler. Der Comedian Ole Lehmann erzählt superlustig und ernsthaft zugleich, was es bedeutet, sich einen Hund zuzulegen. Dabei ist das Buch viel mehr als eine Hundegeschichte voller verrückter Anekdoten und hilfreicher Tipps. Es ist auch die Biografie seines Herrchens, die in Norderstedt bei Hamburg beginnt und über einige Umwege auf die Bühnenbretter der deutschen Musical- und Comedybühnen führt.
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Ole Lehmann, geboren 1969 in Hamburg, ist Stand-up-Comedian, Schauspieler, Regisseur und Autor. Er begann seine Karriere als Musical-Darsteller und spielte in den Erfolgsproduktionen „Grease“, „Fifty-Fifty“ und „Titanic“. Er schrieb und inszenierte Musicals für das „Neue Theater am Holstenwall“ in Hamburg oder für das „Fritz Theater“ in Bremen.
Als Comedian tourt er mit seinen Soloprogrammen durch den gesamten deutschsprachigen Raum, aber auch als Moderator ist er in den verschiedensten Mixed-Shows zu sehen.
Im Fernsehen wurde Ole bekannt durch seine Auftritte bei „TV Total“, „Nightwash“ oder auch „Zimmer frei“. Er ist regelmäßiger Gast beim „Quatsch Comedy Club“ in den Live-Shows und auch auf Sky.
Er lebt und arbeitet in Berlin.
www.olelehmann.de
Instagram: @olelehmannberlin
Für Charlie und den besten Mann der Welt.
TEIL 1 – DER LANGE WEG ZU EINEM HUND
1. DER MORGEN DANACH
2. HAMSTER, VÖGEL UND ANDERE HUNDERASSEN
3. FRIEDEL UND DIE RETTUNG EINES DACKELS
4. SCHNAUZI
5. DIE WOCHE DANACH
6. FAST FORWARD
7. HUNDEVERMITTLUNG IM PANTHEON
8. IM ZUG NACH BERLIN
9. SHOPPING QUEEN
10. DAS IST MEIN HUND!
11. WARTEN – NICHT NUR FÜR MICH NERVIG
12. DER MONAT DANACH
13. WAS FÜR EIN TRIP!
TEIL 2 – ANGEKOMMEN
14. DER ERSTE TAG IN BERLIN
15. DIE TIERÄRZTIN
16. IRGENDWAS RIECHT HIER KOMISCH!
17. THESE PAWS ARE MADE FOR WALKING
18. STUBENREIN ZU WEIHNACHTEN
19. AUF DER STRASSE
20. TIER: GUT – MENSCH: SCHLECHT
21. ALTE FREUNDE
22. NEUE FREUNDE
23. LÄUFT! – LÄUFT NICHT!
TEIL 3 – GEKOMMEN UM ZU BLEIBEN
24. DER MALAMUTE
25. SCHNIPP, SCHNAPP
26. EIN JAHR DANACH
27. NULL-STERNE-HOTEL
28. KASPAR UND JASMINE
29. WAS FÜR EIN HUNDELEBEN
30. DA MACHT MAN WAS MIT!
31. DES ISCH BRUDAAL
TEIL 4 – ZUSAMMEN ÄLTER WERDEN
32. GLEICH KNALLT’S
33. OPA CHARLIE
34. VON NUN AN GING‘S BERGAB
35. DER RICHTIGE ZEITPUNKT
36. DER LETZTE TAG
37. ZUM SCHLUSS
Dieses Buch ist eine kleine und sehr persönliche Biografie. Es ist weder ein Fachbuch noch ein Ratgeber. Alle Geschichten in diesem Buch geben meine eigenen Erfahrungen, Einschätzungen oder Meinungen wieder. Mit Sicherheit gibt es Menschen, die im Zusammenleben mit einem Hund einiges anders machen würden als in diesem Buch geschildert. Auch ich würde bei meinem zweiten Hund bestimmt viele Dinge anders angehen als bei Charlie. Aber ich wollte die gemeinsame Zeit so wiedergeben, wie wir zwei sie erlebt haben.
Ich bin kein Hundetrainer, Tierpsychologe oder Tierarzt. Ich bin nur ein Comedian, der versucht hat, seinem Hund das beste Hundeleben zu ermöglichen, das ich mir vorstellen konnte. Und ich glaube, es ist mir gelungen.
Die Namen der Menschen aus meinem Privatleben habe ich verändert, die der Promis nicht. Sie müssen da durch und es wäre auch bescheuert, den Erfinder des Quatsch Comedy Clubs von einem Thomas Hermanns zu einem Hermann Thomsen zu machen. Oder so.
„Egal wie wenig Geld und Besitz du hast, einen Hund zu haben, macht dich reich.“
- Louis Sabin, Autor
Und jetzt? Was mache ich denn jetzt?
16 Jahre lang hatte ich immer die gleiche Morgenroutine: Ich stand auf, schlurfte ins Bad und begann mit der Morgentoilette. Immer gefolgt von dem schon längst wachen und fröhlich mit dem Schwanz wedelnden schwarzen Fellmonster, das mich von der Schwelle zum Badezimmer aus ganz genau dabei beobachtete, wie ich die Kontaktlinsen einsetzte, die Schilddrüsentablette einnahm und die Zähne putzte. Das alles natürlich auf dem Klo sitzend und von meiner Seite aus nicht fröhlich wedelnd. Manchmal blickte ich dann in diese braunen Hundeaugen und fragte mich, was ihm wohl durch den Kopf ging. Der dachte sich wahrscheinlich: „Dieses Herrchen ist doch echt verrückt. Der Typ muss erst seine Augen einsetzen und ein Leckerli nehmen, um wach zu werden. Warum aber er sich das Maul bürstet und dabei sein Geschäft verrichtet, bleibt mir ein Rätsel!“ Gut, vielleicht hat er das nicht so im Detail gedacht. Er guckte mich aber immer ein wenig verwundert an.
Während ich mich dann im Schlafzimmer anzog, wartete der beste Hund aller Zeiten vor der weißen Ikea-Kommode im Flur, wohl wissend und auch wohl riechend, dass die oberste linke Schublade die Hundeschublade war. Dort gab es alles, was man in einem Hundehaushalt so braucht: zwei Halsbänder mit den dazugehörigen Leinen, Kacki-Tüten, Handtücher ... ähm ... ich meine Pfotentücher, die Erste-Hilfe-Tasche für Hunde, Spielzeug und vieles mehr. Aber vor allem auch: Leckerlis. Jeden Morgen griff ich blind nach Halsband und Leine und ignorierte diesen „Ich-bin-am-verhungern-bitte-nur-ein-Leckerli-Blick“. Meist guckte ich zurück mit meinem „Erst-Gassi-dann-Frühstück-Blick“. Snacks vor der ersten Gassirunde? Nein, das gab es bei mir nicht. Da blieb ich standhaft. Immer. Also fast immer. Also mindestens einmal die Woche. Da gab es dann mal kein Leckerli.
Und dann gingen wir los. Jeden Morgen. Tag für Tag. Woche für Woche. Monat für Monat. Jahr für Jahr. Bei Wind und Wetter. Na klar, manchmal war es nervig, aber meistens war es einfach nur schön, den Tag in Bewegung an der frischen Luft zu beginnen. Wenn wir dann wach und fit zurückkamen, machte ich uns beiden Frühstück und danach konnte der Tag seinen Lauf nehmen. Mit frischem Schwung ging es … aufs Sofa. Das ist das Schöne, wenn man abends arbeitet: Man kann mit viel Ruhe in den Tag starten. Der Hund und ich kuschelten uns aneinander, ich las Zeitung oder schaute Fernsehen und trank meinen Earl-Grey-Tee, während das Monster sich das Maul leckte und langsam wieder ins Land der Träume zurücksank. Es gibt einfach nichts Beruhigenderes, als einem zufriedenen Hund dabei zuzuschauen, wie die Augen immer schwerer werden und er langsam ins Reich der Träume gleitet. Spätestens wenn er anfing, laut zu schnarchen, war es mit meiner inneren Ruhe vorbei und ich setzte mich an meinen Schreibtisch, um zu arbeiten. Ich kann mir kein besseres Morgenritual vorstellen.
Doch seit heute Morgen gibt es diese Routine nicht mehr und ich weiß gerade überhaupt nicht, was ich machen soll. Ich stehe vor der schon ausgeräumten Hundeschublade, die noch nach dem Monster riecht. Sie ist so leer wie seit gestern Nachmittag mein Leben. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, wie schwierig es sein würde, eine so lang gelebte Routine zu verlieren. Ich setze mich auf das Sofa und starre auf den ausgeschalteten Fernseher. Es ist still. Viel zu still. Mein Mann ist heute Morgen wortlos zur Arbeit gefahren. Er wird nachher nach Hause kommen und nicht mehr fröhlich schwanzwedelnd begrüßt werden. Vielleicht könnte ich ja ... ach nee, das ist doch nicht dasselbe.
Ich halte es nicht mehr aus. Ich muss raus an die frische Luft. In meiner Vorstellung lege ich mir das Halsband um, klicke die Leine dran und verlasse das Haus. Ich führe mich selbst Gassi. Gut, ich werde jetzt nicht die Bäume draußen anpinkeln oder anderen Menschen an ihrem Geschlechtsteil riechen, aber ich muss spazieren gehen. Meine Fresse, ich habe 16 Jahre lang nix anderes gemacht und es hat mir immer gutgetan. Warum sollte ich jetzt einfach so damit aufhören? Ich öffne die Haustür. Der kühle Morgenwind weht über die Schönhauser Allee. Die Obdachlosen unter der U-Bahn diskutieren lautstark wie jeden Morgen, während die Taubenfrau dabei ist, die Tauben zu füttern. Es liegt ein leichter Hauch von Urin und Bier in der Luft. Die Menschen tragen ihre Mund-Nasen-Schutzmasken. Es ist Samstag, der 10. Oktober 2020, und die Welt ist vom Coronavirus gefangen genommen. Ich atme tief durch und denke: „Genau das brauche ich jetzt: Routine!“ Ich spreche die Worte „Life goes on“ laut vor mich hin und gehe los.
Während ich mich selber Gassi führe, denke ich an die letzten 16 Jahre mit meinem Hund Charlie und trotz der Tränen, die mir gerade übers Gesicht rollen, fühle einen großen Moment des Glücks. Bei aller Trauer bin ich unfassbar glücklich, damals die Entscheidung getroffen zu haben, mir einen Hund zuzulegen. Es war das beste Geschenk, das ich mir je selbst gemacht habe. Während ich auf unseren ausgetretenen Pfaden durch den Mauerpark laufe, kommen nach und nach die Erinnerungen wieder hoch.
Das erste eigene Haustier, an das ich mich erinnern kann, war unser Hamster. Ich war acht Jahre alt und bekam zum Geburtstag einen Goldhamster geschenkt. Es war der verzweifelte Versuch meiner Eltern, mich umzupolen: von Hund auf Hamster. Immerhin fangen beide Wörter mit dem Buchstaben „H“ an. Nun gab es da ein Problem: Ich war schon als kleines Kind verrückt nach Hunden. Seit meinem dritten Lebensjahr wurde von Jahr zu Jahr die Frage meiner Eltern: „Was wünscht du dir eigentlich zu Weihnachten/zum Geburtstag?“ in einem immer gelangweilteren Ton gestellt. Denn seit ich drei Jahre alt war, lautete die Antwort stets: „Ich wünsche mir einen Hund!“ Selbst wenn die Frage war: „Was wünscht du dir eigentlich zu Weihnachten/zum Geburtstag AUSSER einem Hund?!“, meine Antwort war IMMER: „Einen Hund.“
Am Anfang dachten meine Eltern noch, dass sich mein Wunsch schon bald wieder ändern würde, wie bei vielen Kindern in dem Alter. Sie ahnten ja gar nicht, was für ein sturer Bock ich damals schon war. Ich konnte ihnen auch nicht genau sagen, warum es ein Hund und nichts anderes als ein Hund sein musste. Es gab da keinen besonderen Moment, an den ich mich heute noch erinnern könnte, wo klar war: Ab jetzt möchte ich einen Hund. Ich wurde nie von einem Hund aus einem See vor dem Ertrinken gerettet oder so. Nein, es war einfach so: Seitdem ich denken kann, will ich einen Hund. Punkt. Wenn ich dann wieder mal keinen Hund zum Geburtstag oder zu Weihnachten bekam, habe ich nie geweint oder rumgeschrien. Ich habe mich auch immer über die anderen Geschenke wie Spielzeug oder Bücher gefreut und mich artig dafür bedankt. Jedoch konnte ich nicht anders, als an solchen Feiertagen zumindest einen kleinen Enttäuschungsseufzer loszulassen, und die Traurigkeit war mir noch Wochen später immer wieder anzumerken. Meiner Mutter brach es jedes Mal das Herz, aber sie wollte beim besten Willen überhaupt kein Tier in unserer kleinen Zweizimmerwohnung im siebten Stock eines Hochhauses. Für einen Erwachsenen eine völlig verständliche und nachvollziehbare Einstellung. Nicht aber für einen sturen Kindskopf, wie ich es war.
Wie viele verzweifelte Eltern versuchten auch meine, den Hundewunsch ihres Kindes abzuschwächen, indem es immer mehr Geschenke gab. Das war natürlich fantastisch, aber mit diesen Geschenken konnte ich nicht Gassi gehen und sie bellten mich auch nicht an. Den größten Fehler begingen sie aber, als sie mir einen Stoffhund schenkten. Ich war sieben Jahre alt, es war Weihnachten, ich packte dieses große, in Alufolie schlecht eingepackte Geschenk aus und zum Vorschein kam ein riesiger Stoff-Snoopy.
Ich hielt ihn fest, schaute ganz langsam hoch und sagte in einem eiskalten Auftragskiller-Ton: „Ist das euer Ernst? ... Ein Stoffhund? ... Ihr versteht mich einfach nicht, oder?“
Kein Geschrei, keine Heulerei, nur blanker Hass in meinem Gesicht. Ich habe meine Eltern geliebt, aber in dem Moment hätte ich sie töten können. Wenn Stephen King damals dabei gewesen wäre, er hätte einen Horror-Beststeller nur über dieses Gesicht geschrieben. Deswegen hier nebenbei ein Tipp an alle Eltern: Wenn euer Kind ein Haustier will, dann will es ein lebendes Haustier. Versucht es erst gar nicht mit der Stoffversion. Es erspart euch dieses Horror-Kindergesicht und ihr müsst auch keine Angst haben, dass dieses Gesicht euch nachts in euren Träumen verfolgt.
Auch meinen Eltern wurde dann ziemlich schnell klar: Der letzte Versuch, mich ohne Hund beschwichtigen zu können, war ein echtes, lebendes Haustier. Eines, das vier Beine hat, nicht zu groß ist und somit auch nicht zu viel Dreck macht. An meinem achten Geburtstag war es dann so weit. Ich kam von der Schule nach Hause und betrat das für den Kindergeburtstag überdekorierte Wohnzimmer. Wissen Sie, was passiert, wenn man ein 70er-Jahre-Wohnzimmer mit Blümchentapete, Eicherustikal-Möbeln und Lavalampe mit bunter Deko für einen Kindergeburtstag dekoriert? Sie bekommen Augenkrebs! Damals nannte man so was „bunt“. Heute heißt das „colour blocking“.
Die Wohnung roch nach Kuchen, Stroh und Hoffnung, gepaart mit einem Hauch Alkohol. Meine Eltern hatten sich wohl Mut antrinken müssen. In der Ecke stand ein großer, mit einer alten Decke zugedeckter Kasten. Definitiv viel zu klein für eine Hundehütte. Meine Eltern hatten sich mitten im Zimmer vor der gedeckten Kaffeetafel aufgebaut und mein Vater präsentierte mir eine kleine Box mit Löchern drin.
„Alles Gute zum Geburtstag, mein Lieber!“ Die Stimme meines Vaters hatte noch nie so angespannt geklungen. Und dann noch diese hölzerne Wortwahl: „Mein Lieber.“ Das hatte mein Vater noch nie zu mir gesagt (und übrigens danach auch nie wieder). Ich will es mal so ausdrücken: Wenn meine Eltern ihren Lebensunterhalt als Pokerspieler verdient hätten, wären wir wohl noch ärmer gewesen, als wir es eh schon waren.
Ich nahm die kleine, löchrige Box in meine Hände und begann sie zu öffnen. „Gaaanz vorsichtig!“, flüsterte meine Mutter. Ich schaute in die hoffnungsvollängstlichen Augen meiner Eltern. Das eingefrorene Dauergrinsen und die kleinen Schweißperlen in ihren Gesichtern zeigten sehr deutlich, wie verspannt Eltern sein können. Ich öffnete die Box und ein süßer, kleiner Goldhamster schaute mich mit seinen großen Knopfaugen verwundert an.
„Und? Freust du dich? Jetzt hast du endlich ein Haustier, mit dem du spielen kannst.“
Ich fragte mich, was ich nun machen sollte. Die zittrige und leicht hysterische Stimme meiner Mutter ließ mich erahnen, dass das mit einem Hund in diesem Haushalt weiterhin nichts werden würde. Außerdem war ich zu klein, um eine Revolution anzuzetteln. Und der Hamster war ja auch wirklich niedlich. Nach kurzer Zeit, für meine Eltern eine Ewigkeit, sagte ich: „Ist der süüüß. Danke Mama. Danke Papa.“
Ich schwöre es, in dem Moment erklang laut der „Freude schöner Götterfunken“-Chor und Konfettikanonen schossen bunte Papierschnipsel durch die von Erleichterung geschwängerte Wohnzimmerluft. Jedenfalls sahen exakt so die Gesichter meiner Eltern aus. Wenn ich damals schon gewusst hätte, was Sarkasmus ist, dann hätte ich im nächsten Augenblick noch so was gesagt wie: „Bis wir einen Hund bekommen, reicht der Hamster als Lückenfüller erst mal!“ Nur als kleine Rache für den Stoffhund. Aber ich war zu jung für diese Art von Humor.
Jedenfalls sollte Goldi der Goldhamster ein schönes, wenn auch kurzlebiges Dasein in unserer 70er-Jahre-Wohnung fristen. Danach folgten ein Wellensittich und dann ein Kanarienvogel. Jeweils nahtlos nach Ableben des vorherigen Tieres. Meine Mutter hatte einfach eine Riesenangst, dass ich wieder die Hundefrage stelle.
Aber das musste ich irgendwann gar nicht mehr. Denn zwischen den ganzen Kleintieren kam plötzlich ein Dackel in mein Leben.
Ich bin in Norderstedt, einem kleinen Vorort von Hamburg, aufgewachsen. Wie ich schon erwähnte, hatten wir nicht viel Geld. Mein Vater war Koch und das war schon damals ein Knochenjob mit wenig Lohn. Meine Mutter war „Hausfrau und Mutter“, wie man das damals nannte. Aber auch sie musste arbeiten gehen, um sich als Putzfrau ein paar Mark dazuzuverdienen. Zusammen mit ihrer guten Freundin Friedel machte sie jeden Abend die Büroräume von einer großen Firma sauber. Ich kann mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, was für eine Firma das war. Aber sie hatte viele Büros und die mussten jeden Abend von Montag bis Freitag sauber gemacht werden.
Friedel war eine waschechte, patente Hamburgerin. Direkt, ehrlich, humorvoll und nie auf den Mund gefallen. Mit „patent“ meine ich, dass diese Frau fast alles selber gemacht hat. Egal ob tapeziert, gemalert, gefräst oder sonst was gehandwerkelt wurde: Friedel konnte es oder hat es sich angeeignet. Ich glaube, der Mann von Friedel war gar nicht so unglücklich darüber, dass seine Frau alles konnte. Hermann hatte dann alle Zeit der Welt für seinen Schrebergarten. Und wenn Friedel da auch gerade am Werkeln war, zog er sich dezent auf seine Liege zurück. Er war ein eher ruhiger Zeitgenosse, der aber auch immer mit einem lustigen Spruch überraschen konnte.
Genau wie meine Mutter, hat auch Friedel zwischendurch zudem immer mal wieder bei Privatleuten geputzt. Das Klientel war bunt gemischt: von älteren Damen, die nicht mehr putzen konnten, bis hin zu jungen Männern, die nicht mehr putzen wollten. Und bei so einem jungen Mann hatte Friedel einen Putzauftrag angenommen. Eigentlich war sie dort fast schon eine kleine Haushälterin, denn der junge Mann war Banker und brauchte nicht nur eine saubere Wohnung, sondern auch faltenfreie Hemden. Die patente Friedel putzte, saugte, wischte und bügelte, was das Zeug hielt. Manchmal hat sie sogar dem jungen Mann etwas zu essen gekocht. Es kam gelegentlich vor, dass er hungrig nach Hause kam und keine Lust hatte, sich etwas zu kochen. Mit „kochen“ meine ich so was wie eine Tiefkühlpizza aufwärmen oder zum nächsten Imbiss gehen. Einen Lieferservice gab es damals noch nicht.
Friedel machte das gar nicht so ungern, denn jede Extrastunde brachte etwas mehr Geld und sie hatte außerdem Spaß daran, andere Menschen zu bekochen. Und so lebten die beiden in friedlicher Symbiose ‒ bis vielleicht irgendwann mal eine Freundin bei dem Banker einziehen würde. So dachte Friedel sich das und so passierte es ja auch immer wieder mit den jungen Männern, bei denen sie sauber machte. Eine Freundin kommt, Friedel geht und sucht sich einen neuen Job. Und als der junge Banker ihr eines Tages überschwänglich fröhlich die Tür öffnete und in einer etwas zu hohen Tonlage ankündigte: „Friedel, ich bin nicht mehr allein“, dachte sie sich, dass es wohl nun wieder mal an der Zeit sei, sich nach etwas Neuem umzuschauen. Und während sie überlegte, wen sie um einen neuen Job anhauen könnte, drehte sich der junge Mann um und hob etwas vom Boden auf. In der ersten Sekunde dachte Friedel: „Also für ein Stofftier ist der doch nun wirklich zu alt!“ Aber beim zweiten Hinschauen bemerkte sie, dass dieses kleine, braune Wollknäuel atmete und sie mit treuen Hundeaugen anschaute. Ehe sie sich versah, hatte sie den kleinen Langhaardackel-Welpen auf dem Arm und im nächsten Moment fing er auch schon an, ihr die Nase abzuschlecken.
„Was zum Teufel will der denn mit einem Dackel?“ Die laute, sehr hanseatische Stimme von Friedel drang bis in mein Kinderzimmer. Neugierig geworden, robbte ich mich an die Wohnzimmertür heran. Meine Mutter schenkte Friedel gerade einen Beruhigungsschnaps ein, denn ihre Freundin war richtig aufgebracht: „Der Mann ist nur am Arbeiten, darf den Hund nicht mit ins Büro nehmen und dann geht er meistens am Wochenende mit seinen Kumpels saufen. Wie bescheuert kann man sein, sich bei so einem Lebenswandel einen Hund zuzulegen?“
Sie stürzte den Schnaps hinunter. Meine Mutter holte Luft, um zu antworten, aber Friedel war schneller: „Er hat den Dackel von seiner Mutter geschenkt bekommen. Ganz ehrlich: Wer verschenkt einfach so einen Hund, ohne nachzuprüfen, ob der Beschenkte überhaupt einen Hund halten kann? Das ist ein lebendes Tier und kein Wackeldackel fürs Auto.“
Auch der zweite Schnaps war schneller weg, als meine Mutter einatmen konnte. Sie legten beide nach. Meine Mutter den Schnaps und Friedel ihre Tirade: „Er hatte noch nicht mal einen Namen für den Hund. Geschweige denn eine Leine, ein Hundebett oder Futter. Nix. Ich bin dann los und hab das alles für den Hund besorgt. Ich blöde Kuh.“
Sie stürzte den dritten Schnaps hinunter. Meine Mutter hatte es mittlerweile aufgegeben, irgendwas dazu sagen zu wollen, und schenkte wortlos den vierten Schnaps ein. Schon leicht lallend, etwas ruhiger, aber immer noch bestimmt, haute Friedel den letzten Satz raus: „Glaub mir, meine Liebe, der Hund wird dort kein schönes Leben haben!“ Sie sollte recht behalten.
Es kam dann so, wie Friedel es vorhergesagt hatte. Der junge Banker verlor sehr schnell das Interesse an dem Hund und war bald vor allem genervt, dass auch so ein kleiner Dackel Arbeit machte. Da Friedel nur einmal pro Woche bei ihm putzte und ja auch reichlich andere Verpflichtungen hatte, konnte sie für den namenlosen Dackel nicht viel tun. Wenn sie aber da war, wurde die Hausarbeit auf dem schnellsten Weg erledigt, damit sie noch Zeit für den Hund hatte. Sie ging mit ihm raus, spielte mit ihm, bürstete ihn und gab ihm sein Fressen. Wenn sie sein Herrchen darauf ansprach, dass der Hund mehr Aufmerksamkeit brauche, kamen von ihm nur die typischen Ausflüchte: viel Arbeit, keine Zeit und er kümmere sich schon genug um ihn. Friedel kochte vor Wut, konnte aber nichts machen.
Ein paar Tage später lag sie mit einer Erkältung im Bett und konnte ausnahmsweise nicht arbeiten gehen. Damit fiel auch der allwöchentliche Einsatz bei Banker und Dackel aus. Weil Friedel immer mal wieder von Bekannten hörte, dass der Dackelbesitzer sich am Wochenende in den verschiedensten Kneipen ins Koma gesoffen hatte und auch niemand sich erinnern konnte, ihn tagsüber jemals mit einem kleinen Dackel gesehen zu haben, kam ein ungutes Gefühl über die verschnupfte Putzfrau. Am liebsten wäre sie zu der Wohnung gefahren, um sich zu überzeugen, dass es dem Hund gut geht. Sie hatte ja einen Schlüssel zu seiner Wohnung. Doch sie war einfach zu schwach dazu.
Ein paar Tage später ‒ Friedel ging es inzwischen deutlich besser ‒ erfuhr sie von einer Nachbarin, dass der junge Banker wohl kürzlich in den Urlaub gefahren war. Jedenfalls hatte der Mann der Nachbarin ihn mit einem kleinen Koffer am Bahnhof gesehen. Sofort schoss Friedel ein übler Gedanke durch den Kopf: „Der wird doch nicht den Hund allein zu Hause gelassen haben?“ Der Gedanke war noch nicht zu Ende gedacht, da saß sie schon im Auto auf dem Weg zu seiner Wohnung.
Als sie vor der Wohnungstür stand, zitterten ihr die Hände. Fast zwei Wochen hatte sie den Hund nicht gesehen. Die kurzzeitige Hoffnung, dass Herrchen den Dackel sicherlich bei guten Freunden abgegeben hatte, wurde von dem Gedanken zunichtegemacht, dass sie ihn immer nur allein gesehen hatte. In der ganzen Zeit, seit sie bei ihm sauber machte, war nie ein Anzeichen von Besuch zu bemerken gewesen. Sie musste nie mehrere Gläser oder Teller wegräumen und es gab auch nie einen Hinweis auf eine Feier oder einen Übernachtungsgast. Der junge Banker hatte vielleicht Saufkumpane, aber keine Freunde.
Friedel war auf alles gefasst, als sie den Schlüssel ins Türschloss steckte. Vorsichtig öffnete sie die Wohnungstür und trat in den dunklen Flur. Es roch etwas komisch, aber sie konnte nicht definieren, wonach es roch oder aus welcher Richtung der Geruch kam. Sie schloss die Tür hinter sich und meinte ein sehr leises Fiepen zu hören. Als sie das Licht im Flur anmachte, sah sie das Elend. Der kleine namenlose Dackel kauerte in der hintersten Ecke des Flures. Abgemagert bis auf die Knochen und so schwach, dass er zunächst gar nicht reagierte, als Friedel ihn auf den Arm nahm und hektisch untersuchte. Der Dackel ließ sich in Augen, Ohren und Maul schauen, ohne zu mucken. Als er dann bemerkte, dass es Friedels Arm war, auf dem er saß, kehrte etwas Energie für ein kurzes Schwanzwedeln in den Hund zurück. Dieser kleine Welpe hatte anscheinend seit Tagen nichts gegessen und musste seine Geschäfte auf dem Boden verrichten. Die Türen zu den anderen Zimmern waren geschlossen. Neben dem leeren Hundenapf lag Zeitungspapier. Friedel war fassungslos. Dachte der junge Mann wirklich, man könne einen Hund über Tage allein zu Hause lassen? Die in ihr aufwallende Wut wurde direkt abgelöst vom Drang, dem Tierchen zu helfen. Es war für Friedel von einer Sekunde auf die andere völlig klar: „Dieser Hund kommt zu Hermann und mir.“ In Windeseile packte sie Hundenapf, Halsband und Leine in ihre Tasche, ohne auch nur einmal den kleinen Dackel abzusetzen. Im Auto legte sie den Hund auf eine kleine Decke auf dem Beifahrersitz, machte die Sitzheizung an und fuhr nach Hause.
(Anmerkung des Autors: Bitte berücksichtigen Sie beim folgenden Dialog, dass er in Hamburg stattgefunden hat und mit hamburgischem Dialekt gelesen werden muss. Denken Sie einfach an Heidi Kabel, dann klappt das schon!)
„Och Gott. Was ist das oder was soll das mal werden?“, fragte Hermann seine Frau verwundert, als er das kleine Häufchen Elend in ihrem Arm sah.
„Das ist der Hund von dem jungen Banker, bei dem ich übrigens nie wieder putzen werde. Der hat diesen kleinen Wurm einfach allein zu Hause gelassen und ist für ein paar Tage in den Urlaub gefahren. Ich habe den Hund eben aus der Wohnung geholt. Der hat seit Tagen nix mehr in seinem Napf gehabt und hat die Tapeten an den Wänden abgefressen. Der Typ kann froh sein, dass der Hund noch lebt, sonst hätte ich ihm seine Eier abgeschnitten.“
„FRIEDEL!“
„Ach, ist doch wahr! Wie kann man nur ein Lebewesen so behandeln? Bei so was kommt mir die Galle hoch!“
„Und was machen wir jetzt?“
„Na, wir päppeln den wieder auf und behalten den. Der geht nicht mehr zu diesem Affenarsch zurück!“
„Ja, aber was sollen wir denn mit einem Dackel?“
„Hermann, wir sind ein Ehepaar mittleren Alters, unser Sohn ist seit Jahren aus dem Haus und wir haben einen Schrebergarten. Mit Gartenzwergen! Dass wir nicht schon längst einen Dackel haben, ist eigentlich ein Unding. Die einzige Frage ist jetzt noch: Wie nennen wir ihn? Der ist ja nur noch Kopf und Schnauze!“
„Na, dann nenn ihn doch Schnauzi.“
Friedel schaute den kleinen Dackel an: „Hallo Schnauzi.“ Sie küsste den Hund auf sein kleines Köpfchen und Schnauzi war getauft.
Hermann stand auf und sagte laut: „Na, dann komm mal mit, Schnauzi. Wir schauen mal, was der Papa dir zum Essen geben kann.“