16 kurze Horror Geschichten: Sechzehn Nächte des Grauens
Horror Kurzgeschichten für Erwachsene
Mirko Kukuk
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Mirko KukukKleinfeld 10221149 HamburgUmschlaggestaltung: © Copyright by Mirko
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[email protected] Unterstützung bei Text/Bild: GeminiDie in diesem Buch dargestellten Figuren und Ereignisse sind fiktiv. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder toten realen Personen ist zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt.
Inhalt
Titelseite
Impressum
Einleitung: Wo die Schatten lauern
1. Die Lichter in den Sümpfen
2. Das Labyrinth des Vergessens
3. Die Blutlinie
4. Die giftigen Schlangen
5. Der Kellerschacht
6. Der Schattenwolf
7. Der Fliegenfänger
8. Der Sand-Parasit
9. Die Stadt der lebenden Toten
10. Die hungrigen Fische
11. Das Flüstern der Wände
12. Der Vampir-Zirkus
13. Die verborgene Tür
14. Die Puppenmacherin
15. Die Schmetterlinge der Träume
16. Der ewige Nachtschatten
Epilog: Das Echo des Schreckens
Nachwort:
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Einleitung: Wo die Schatten lauern
Willkommen, wo die Grenzen zwischen Realität und Albtraum verschwimmen. Dies ist keine Sammlung von Heldengeschichten, in denen das Licht immer siegt. Stattdessen sind dies Geschichten von Protagonisten, die in die Abgründe des Horrors gezogen werden – sei es durch die unbarmherzigen Launen der Natur, uralte Flüche, die in der Zeit vergessen wurden, oder die unersättliche Gier des Menschen selbst.
Jede Seite dieser Sammlung führt Sie tiefer in das Unbekannte. Sie werden in die dunklen, nebligen Moore reisen, wo geheimnisvolle Lichter tanzen, die Seelen fordern. Sie werden die stillen Wände alter Landhäuser betreten, die nicht nur Geschichten, sondern auch das Echo ihrer Toten bewahren. Und Sie werden erfahren, was in den Laboren der Wissenschaft lauert, wenn die Neugier zu einer unheilvollen Obsession wird.
Von den geflüsterten Legenden der Vergangenheit bis zu den Schrecken, die in uns selbst schlummern, enthüllt jede Geschichte eine neue Facette der Furcht. Bereiten Sie sich darauf vor, sich von der Dunkelheit umarmen zu lassen und das Grauen zu entdecken, das in den kleinsten, unscheinbarsten Ecken lauert.
1. Die Lichter in den Sümpfen
Kapitel 1: Die Expedition
Die Luft hing schwer, feucht und stickig, durchtränkt vom Geruch modriger Erde, sumpfigen Wassers und des süßlichen Duftes blühender Wasserlilien. Ein Schleier aus Moskitos summte unaufhörlich um die Gesichter der vier Biologiestudenten, die sich mühsam durch den dichten Dschungel aus Zypressen und spanischem Moos kämpften. Ihre Stiefel versanken bei jedem Schritt knöcheltief im weichen, schlammigen Boden, das Geräusch des matschigen Sogs begleitete jeden ihrer Schritte. Sie waren hier, tief im unerforschten Herz des Blackwater Swamp, um eine seltene Spezies biolumineszenter Glühwürmchen zu studieren, deren Population angeblich so groß war, dass sie den ganzen Himmel erhellen konnte.
Dr. Eleanor Vance hatte ihnen von diesem Ort erzählt, mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Warnung in der Stimme. Sie war ihre Professorin und eine der wenigen, die sich je in dieses Gebiet vorgewagt hatte. "Es ist ein Ort der Schönheit und der Gefahr", hatte sie gesagt. "Bleibt zusammen, haltet die Augen offen und vertraut nicht allem, was ihr seht." Ihre Worte hallten in den Köpfen der Studenten nach, die nun in ihrer eigenen kleinen, schweißnassen Expedition gefangen waren.
Da war Liam, der Anführer der Gruppe, ein Mann mit einem unerschütterlichen Optimismus und einer Karte in der Hand, die nur eine vage Vorstellung von der Sumpflandschaft gab. Neben ihm ging Clara, eine pragmatische junge Frau, die ihr Notizbuch wie einen Schutzschild vor sich hertrug und jede neue Pflanze und jedes Tier akribisch dokumentierte. Ihr folgten Ben, der Techniker, der seine teure Kameraausrüstung wie einen Schatz bewachte, und Maya, die jüngste und ängstlichste der Gruppe, deren Augen ständig in die dunklen Schatten am Rand des Pfades blickten.
Nach stundenlangem Marsch erreichten sie endlich eine kleine, erhabene Lichtung, die trocken genug war, um ihr Lager aufzuschlagen. Erschöpft ließen sie ihre schweren Rucksäcke fallen. Die untergehende Sonne malte den Himmel in Purpur- und Goldtönen, und der Sumpf erwachte mit den Geräuschen der Nacht. Frösche quakten, Grillen zirpten und aus der Ferne hörten sie das entfernte Heulen eines Alligators.
Sie schlugen zwei Zelte auf, entfachten ein kleines Feuer und bereiteten eine simple Mahlzeit aus getrocknetem Fleisch und Brot zu. Die Anspannung wich langsam der Müdigkeit, und die Gruppe begann, sich zu entspannen, während sie am Lagerfeuer saßen. Liam erzählte Witze, Clara diskutierte die wissenschaftlichen Aspekte ihrer Mission, und selbst Maya schien ihre Angst für einen Moment zu vergessen.
Als die letzte Glut des Lagerfeuers verlosch und die Nacht ihre tiefste Dunkelheit erreichte, kehrte eine unheimliche Stille ein. Ben, der noch seine Kamera einstellte, um Langzeitbelichtungen des Sternenhimmels zu machen, rief leise: "Hey, seht euch das an."
Die anderen blickten auf. Am fernen Horizont, tief im Sumpf, schimmerten kleine, pulsierende Lichter. Sie waren nicht statisch, sondern bewegten sich in einem langsamen, unaufhörlichen Tanz, wie tanzende Irrlichter in einer fernen Geisterstadt. "Das sind sie", flüsterte Clara, ihre Stimme zitterte vor Aufregung. "Die Glühwürmchen. Ich habe noch nie so viele auf einmal gesehen."
Die Lichter wurden mit jeder Minute heller, wuchsen von winzigen Pünktchen zu strahlenden Flecken. Sie schienen sich auszubreiten, eine ganze Galaxie aus Licht, die den Horizont erhellte. Die Gruppe starrte in Ehrfurcht. Das war es, wofür sie gekommen waren. Das war das Phänomen, von dem Dr. Vance ihnen erzählt hatte. Ein Naturschauspiel von unvorstellbarer Schönheit.
Doch als die Lichter sich weiter ausdehnten, bemerkte Maya etwas, das die anderen nicht sahen. Sie schienen sich nicht nur auszubreiten, sondern auch zu formieren. Sie bewegten sich mit einer unnatürlichen Koordination, die nicht dem Zufall ähnelte. Und dann, für einen kurzen, schrecklichen Moment, hatte Maya das Gefühl, dass die Lichter zurückstarrten. Sie fühlte sich beobachtet, nicht von unschuldigen Insekten, sondern von etwas, das intelligent und kalt war. Sie schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben. Es war nur die Aufregung. Es waren nur Glühwürmchen.
Die Gruppe beschloss, am nächsten Morgen tiefer in den Sumpf vorzudringen, um die genaue Quelle des Leuchtens zu finden. Sie legten sich in ihre Zelte, das pulsierende Licht noch immer am Horizont schimmernd, ein Leuchtfeuer der Hoffnung auf eine wissenschaftliche Entdeckung. Doch in der tiefsten Nacht, als der Sumpf in absoluter Stille lag und nur die fernen Lichter brannten, schlich sich ein kriechendes Gefühl der Angst in ihre Träume. Sie waren nicht allein. Und die Lichter waren keine Glühwürmchen. Sie waren eine Einladung. Eine Falle.
Kapitel 2: Die Verfolgung
Das Morgengrauen brachte eine dichte, nebelige Stille mit sich, die den Sumpf noch unheimlicher erscheinen ließ. Die Lichter waren verschwunden, zurück blieb nur die Erinnerung an ihr hypnotisches Pulsieren. Die Gruppe packte ihre Sachen mit einer neuen Dringlichkeit ein. Was gestern noch ein aufregendes wissenschaftliches Phänomen gewesen war, fühlte sich jetzt wie ein Lockruf an, eine unausgesprochene Einladung, die sie nicht ignorieren konnten.
Liam schob die Karte beiseite, die er bis dahin wie eine Bibel behandelt hatte. "Wir müssen den Lichtern folgen", sagte er, seine Stimme fester, als er sich fühlte. "Sie müssen von einer massiven Kolonie ausgehen. Das könnte eine bahnbrechende Entdeckung sein." Clara nickte, ihre wissenschaftliche Neugier hatte die Vorsicht verdrängt. Ben hatte bereits seine Kamera- und Messgeräte bereit gemacht, und selbst Maya schien die Neugier über ihre Angst gestellt zu haben.
Sie verließen die Sicherheit ihrer kleinen Lichtung und tauchten tiefer in den Sumpf ein. Die Landschaft veränderte sich. Das Moos wurde dichter, die Zypressen stiegen wie knochige Skelette aus dem trüben Wasser. Die vertrauten Geräusche des Sumpfes verstummten nach und nach, ersetzt durch ein unheimliches, fast absolutes Schweigen. Der einzige Laut, der sie begleitete, war das ständige Sumpfen ihrer Stiefel im matschigen Boden.
Nach etwa einer Stunde entdeckte Clara den ersten Hinweis darauf, dass sie nicht die Ersten waren, die diesem Licht gefolgt waren. Halb im Schlamm versunken lag eine alte, rostige Taschenlampe. Sie hob sie auf, die Batterie war längst tot. Ein paar Schritte weiter fanden sie einen zerrissenen Rucksack, dessen Inhalt über das sumpfige Wasser verstreut war. Ein zerlesenes Buch über Sumpfökologie schwamm neben einer leeren Wasserflasche. Liam hob das Buch heraus, die Seiten waren durchgeweicht und unleserlich. "Jemand war vor uns hier", murmelte er, seine Stimme gedämpft.
Sie drangen weiter vor, die Atmosphäre wurde zunehmend beklemmender. Die Bäume schienen sich zu verengen, und die Schatten wurden länger und bedrohlicher, auch wenn die Sonne noch hoch stand. Sie fanden weitere Überreste: eine zersplitterte Kameraausrüstung, einen Kompass, dessen Nadel sich unaufhörlich im Kreis drehte, und dann, den schrecklichsten Fund von allen, eine zerrissene Jacke mit einem aufgenähten Namen: Dr. Vance.
Ein kalter Schock lief ihnen über den Rücken. Die gleiche Dr. Vance, die sie gewarnt hatte, hierher zu kommen. Die gleiche Dr. Vance, deren Expedition Jahre zuvor als "erfolgreich zurückgekehrt" gemeldet worden war, obwohl niemand sie je wiedergesehen hatte. Es war eine offene Lüge, ein Vertuschungsversuch, der sie nun direkt in das Herz des Sumpfes führte, in dem sie verschwunden war.
"Wir müssen zurück", flüsterte Maya, ihre Augen weit aufgerissen. "Das ist kein Ort für uns." Liam schüttelte den Kopf. "Wir können jetzt nicht umkehren. Wir sind so nah dran. Wir müssen herausfinden, was hier passiert ist."
Als die Dämmerung hereinbrach, sahen sie sie wieder. Die Lichter. Sie schimmerten nicht nur am Horizont, sondern umgaben sie nun in einem weiten Halbkreis. Sie schwebten zwischen den Bäumen, tanzten über dem Wasser und schienen sich ihnen mit einer unheimlichen Geschwindigkeit zu nähern. Plötzlich tauchte aus den Tiefen des Sumpfes ein einziges, gleißend helles Licht auf, größer und intensiver als alle anderen. Es bewegte sich mit unglaublicher Geschwindigkeit auf sie zu, so schnell, dass es nicht von einem Insekt stammen konnte.
Ben hob seine Kamera und versuchte, ein Foto zu machen, aber die Lichter waren zu schnell. Sie umkreisten ihn, zogen Muster in die Dunkelheit, und für einen Moment war er in einem schwindelerregenden Wirbel aus Licht und Schatten gefangen. Das gleißende Licht schoss plötzlich direkt an ihm vorbei und verschwand. Als es zurückkehrte, war es nicht allein.
Die Lichter formierten sich. Sie begannen, sich in seltsamen, fast geometrischen Mustern zu bewegen, als würden sie eine unsichtbare Form nachzeichnen. Sie tanzten in einer perfekten Symmetrie, die nicht von der Natur stammen konnte. Liam zückte seine Karte, aber es war sinnlos. Sie waren umzingelt, eingeschlossen in einem Käfig aus Licht.
"Es sind keine Glühwürmchen", sagte Clara leise. "Das sind keine Insekten." "Was sind sie dann?", fragte Ben, seine Stimme bebte vor Angst. Maya schrie plötzlich auf und zeigte in die dunklen Tiefen des Sumpfes. Dort, wo die Lichter am dichtesten waren, formten sie etwas. Ein leuchtender Umriss, der sich langsam aus dem Sumpf zu erheben schien. Ein Wesen aus reinem Licht. Es hatte die vage Form eines Mannes, aber mit zu langen Gliedmaßen und einem Kopf, der nur aus einem gleißenden, pulsierenden Lichtschleier bestand. Es schwamm nicht, es schwebte über dem Wasser, und seine Leuchtkraft war so intensiv, dass die Dunkelheit um es herum zu pulsieren schien.
Die Gruppe starrte wie erstarrt. Das Leuchtwesen hob einen langen, lichtdurchfluteten Arm und winkte ihnen zu. Es war nicht einladend. Es war eine Geste der Eroberung. Eine Ankündigung. Das Licht, dem sie gefolgt waren, war die Falle gewesen. Und nun war die Falle zugeschnappt.
Kapitel 3: Das Leuchten der Lügen
Das Leuchtwesen kam näher, schwebte über dem Sumpfwasser mit einer anmutigen, unmenschlichen Bewegung. Seine Konturen waren unbeständig, ein Wirbel aus Licht und Dunkelheit, der sich ständig veränderte. Überall um sie herum schwebten die kleineren Lichter, pulsierten im Einklang mit dem größeren Wesen. Sie waren nicht mehr weit entfernt. Der kalte Geruch von verbranntem Ozon hing in der Luft.
Liam hob seine Hand, als würde er versuchen, das Wesen zu stoppen. "Bleibt stehen!", rief er, aber seine Stimme war nur ein schwacher Flüsterton im Angesicht dieser überirdischen Präsenz. "Wir wollen nichts Böses."
Die Kreatur ignorierte ihn. Einer ihrer "Arme" streckte sich aus, nicht fest und greifbar, sondern ein Strom aus reinem, gleißendem Licht, das direkt auf Clara zielte. Sie zuckte zusammen, als der Lichtstrahl sie berührte. Es war nicht schmerzhaft, aber es war überwältigend. Eine Welle von Erinnerungen durchflutete sie: die Bibliothek ihrer Kindheit, der Geruch alter Bücher, der Moment, als sie zum ersten Mal ein Mikroskop benutzte. All die kleinen, freudigen Momente ihres Lebens. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, ihre Augen wurden glasig. Sie schien in einem Traum gefangen zu sein.
"Clara!", rief Ben, versuchte, sie zu packen, aber seine Hände glitten an ihrem Arm ab, als wäre er durchscheinend.
Das Leuchtwesen schwebte näher. Ein pulsierendes, strahlendes Licht breitete sich von seinem Zentrum aus. Es war kein grelles, sondern ein einladendes Licht. Und als es Clara umhüllte, begann ihr Körper zu leuchten. Die Linien ihrer Silhouette verschwammen, und das Licht um sie herum schien sich zu intensivieren. Ihr Körper fing an, sich aufzulösen, nicht in Fleisch und Blut, sondern in reines, schimmerndes Licht. Ihre menschliche Form zerfloss in dem gleißenden Schein des Wesens.
Liam schrie, während Clara langsam zu einem leuchtenden Wirbel wurde, der sich in die Kreatur hineinsog. Der Anblick war gleichzeitig schrecklich und faszinierend, wie ein brennendes, sterbendes Feuerwerk. Als der letzte Funke von Clara verschwunden war, pulsierte das Wesen triumphierend, sein Licht schien nun noch heller.
Ben stürmte auf die Kreatur zu, seine Verzweiflung verwandelte sich in blinde Wut. Er riss seinen Rucksack auf und holte ein Notfallfackel hervor, zündete sie an. Das helle, scharfe Licht der Fackel traf auf die pulsierende Oberfläche des Wesens. Für einen Moment schien es, als würde es zurückzucken. Ein widerliches, zischendes Geräusch war zu hören, als würde Licht Wasser treffen. Aber dann zuckte ein weiterer Lichtstrahl aus dem Wesen heraus, traf Ben direkt ins Gesicht.
Auch Ben stand still, sein Mund formte sich zu einem leisen, erstaunten "Oh". Er erlebte seine eigenen glücklichen Erinnerungen, seine Kindheit mit seinem Großvater, der ihm die erste Kamera schenkte, und die Freude, als er sein erstes Foto entwickelte. Er war hypnotisiert. Auch sein Körper begann zu leuchten, seine Muskeln und Knochen lösten sich in einem Schimmer aus goldenem Licht auf, bevor er ganz von der Kreatur aufgesogen wurde.
Nur noch Liam und Maya blieben übrig. Sie standen in einem schmalen Korridor zwischen den Bäumen und versuchten, der Kreatur auszuweichen, die sie nun wie Raubtiere verfolgte. "Wir müssen die Augen schließen!", rief Liam, aber es war zu spät. Ein kleiner Funke, ein winziges Glühen, trennte sich von der Kreatur und schwebte vor Mayas Augen. Es formte sich zu einem Bild: ihre Mutter, die sie in den Arm nahm. Ein Bild, das sie seit dem frühen Tod ihrer Mutter so schmerzhaft vermisste.
Maya zögerte, eine Träne lief über ihre Wange. Es fühlte sich an, als wäre ihre Mutter bei ihr.
Doch Liam handelte geistesgegenwärtig. Er packte Maya am Arm und riss sie mit sich, um sie von dem Lichtfleck wegzuziehen. "Es ist nicht echt!", schrie er. "Es ist nur eine Lüge, eine Illusion!"
Die Kreatur schwebte direkt vor ihnen und sendete einen Strom aus blendendem Licht aus, der auf sie zutraf. Liam schloss seine Augen fest. Er spürte, wie das Licht seine Haut wärmte. Es fühlte sich an wie eine Umarmung, wie das Ende einer langen Reise. Er erinnerte sich an seine erste Liebe und das Gefühl, unbesiegbar zu sein, und an den Stolz seiner Eltern, als er die Zusage für die Universität bekam.
Aber dann erinnerte er sich an Dr. Vance, die leere Hülle ihrer Kleidung, die er im Sumpf gefunden hatte, und an Clara und Ben, die in einem grausamen Leuchten verschwunden waren. Das waren keine Träume. Das war die schreckliche Realität. Das Leuchten waren Lügen, eine Falle. Die Kreatur saugte nicht nur die Körper ihrer Opfer auf, sondern auch ihre glücklichsten Erinnerungen, ihre Träume, um sie gegen sie selbst einzusetzen.
Liam stieß Maya von sich, riss seine Augen auf und sah das Ding vor sich. "Ihr habt unsere Freunde", brüllte er. "Aber uns nicht! Ihr werdet uns nicht kriegen!"
Er drehte sich um, rannte in die einzige Richtung, in die sie noch konnten – tiefer in den Sumpf, weg von dem Licht, in die Schwärze und die unbekannten Gefahren der Dunkelheit, weg von der trügerischen Schönheit der Lichter, die sie in diese Falle gelockt hatten. Das Leuchtwesen schien verwirrt, es pulsierte, sendete leuchtende Arme aus, die sie verfolgten.
Aber die Dunkelheit war ihr einziges Heilmittel. Die Lichter der Kreatur konnten in der absoluten Dunkelheit nichts ausrichten. Mit jedem Schritt in die Finsternis, dem Sumpfgeruch und der Angst, die sie umgab, schienen die Lichter der Kreatur weiter zu verblassen, bis sie nur noch ein ferner, pulsierender Glanz am Horizont waren.
Sie rannten weiter, ihre Lungen brannten. Sie hatten ihre Freunde und die Hoffnung auf ihre bahnbrechende Entdeckung verloren, aber sie hatten eine schreckliche Wahrheit gefunden. Im Blackwater Swamp lauerte etwas, das seine Beute mit dem schönsten, reinigendsten Licht anlockte, um dann ihre Erinnerungen und ihre Körper zu stehlen und sie zu einem Teil seiner selbst zu machen.
Liam und Maya rannten bis in die Morgendämmerung, in der Hoffnung, den Weg zurückzufinden. Sie hofften, dass jemand ihnen glauben würde, wenn sie die Geschichte über die Lichter in den Sümpfen erzählen. Und sie hofften, dass niemand jemals wieder dieser wunderschönen, tödlichen Verführung folgen würde.
2. Das Labyrinth des Vergessens
Kapitel 1: Der Garten
Andreas war ein Mann, dessen Leben den Pflanzen gewidmet war. Er war ein Gärtner, der mit der Erde sprach und die Seele der Natur verstand. Seine Hände waren von der Erde gezeichnet, seine Haut von der Sonne gegerbt. Er lebte in einer kleinen, rustikalen Hütte, umgeben von einem Garten, den er mit seinen eigenen Händen kultiviert hatte. Er war glücklich, aber er war auch allein. Doch eine Nachricht änderte alles. Sein alter, ihm unbekannter Großonkel war gestorben, und Andreas hatte sein Anwesen geerbt. Es war ein riesiges Stück Land, so weit entfernt von der Zivilisation, dass die einzigen Geräusche, die er hörte, die Geräusche des Waldes waren. Auf dem Grundstück befand sich ein alter, mysteriöser Garten, in dessen Mitte ein riesiges Labyrinth aus hohen, alten Hecken stand.
Das Labyrinth, das sich vor ihm erstreckte, war so groß, dass es den Himmel zu berühren schien. Die Hecken waren so dicht, dass er den Weg nicht sehen konnte. Die Luft roch nach altem Holz, feuchter Erde und einem undefinierbaren Duft – einem Hauch von altem Blut und Rosen. Es war ein Erbe, das er nicht erwartet hatte, ein Erbe, das sein Leben für immer verändern würde.
Die ersten Wochen waren eine Welle der Euphorie. Andreas, der eine Leidenschaft für alte Gärten hatte, war fasziniert. Er verbrachte seine Tage damit, das Labyrinth zu studieren. Er versuchte, es zu kartieren, seine Wege zu verstehen, seine Geheimnisse zu entschlüsseln. Doch das Labyrinth war ein lebendiges Wesen. Es veränderte sich. Jedes Mal, wenn er das Labyrinth betrat, waren die Wege anders. Die Hecken, die er gestern gesehen hatte, waren heute verschwunden. Die Pfade, die er heute fand, waren morgen verschwunden. Das Labyrinth war ein sich ständig veränderndes Puzzle, ein Puzzle, das er nicht lösen konnte.
Andreas, gefangen in seiner Faszination, vergaß Essen und Schlaf. Er war so sehr in seine Arbeit vertieft, dass er die Welt um sich herum kaum bemerkte. Er merkte nicht, dass er von dem Labyrinth manipuliert wurde.
In der Nacht, als er zu erschöpft war, um weiterzuarbeiten, hörte er ein Geräusch. Es war ein Flüstern. Es kam aus dem Labyrinth, ein leises, unheimliches Geräusch, das so leise war, dass er dachte, er würde es sich einbilden. Er hörte es, wenn er schlief, wenn er aß, wenn er lachte. Das Flüstern war überall. Es war, als würde das Labyrinth atmen.
Mit der Zeit wurden die Geräusche lauter, klarer. Es waren nicht nur Geräusche, sondern Stimmen. Die Stimmen waren so leise, dass er sie kaum verstehen konnte. Es waren die Stimmen von Männern, von Frauen, von Kindern. Sie sprachen in alten Dialekten, in Sprachen, die er nicht verstand. Sie sprachen über Dinge, die er nicht kannte, über Orte, die er nie gesehen hatte. Andreas, der fassungslos war, wusste, dass er nicht träumte. Er wusste, dass das Labyrinth nicht nur ein Garten war. Es war ein Gefängnis, ein Ort, an dem die Seelen der Verstorbenen gefangen waren. Die Stimmen, die er hörte, waren die Seelen, die versuchten, ihn zu warnen.
Kapitel 2: Die Verlorenen