2 Kreta-Thriller: Gefangen im Urlaubsparadies & Das Ferienhaus mit Vergangenheit
Mirko Kukuk
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Mirko KukukKleinfeld 10221149 HamburgUmschlaggestaltung: © Copyright by Mirko
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[email protected] Unterstützung bei Text/Bild: GeminiAlle Rechte vorbehaltenDie in diesem Buch dargestellten Figuren und Ereignisse sind fiktiv. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder toten realen Personen ist zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt.
Inhalt
Titelseite
Impressum
1. Gefangen im Urlaubsparadise
Kapitel 1: Der Abschied vom Alltag
Kapitel 2: Erste Schatten im Paradies
Kapitel 3: Das leere Bungalow
Kapitel 4: Die unsichtbaren Mauern
Kapitel 5: Verborgenes Wissen
Kapitel 6: Die Wahrheit kommt ans Licht
Kapitel 7: Der Plan im Herzen des Labyrinths
Kapitel 8: Die raue See der Freiheit
Kapitel 9: Das Flüstern des Untergrunds
Kapitel 10: Echo aus der Tiefe
Kapitel 11: Der Sturm bricht los
Kapitel 12: Neue Horizonte
2. Das Ferienhaus mit Vergangenheit
Kapitel 1: Ankunft im Paradies (und die erste Irritation)
Kapitel 2: Seltsame Entdeckungen
Kapitel 3: Die Geschichte des Hauses
Kapitel 4: Der Schatten im Dorf
Kapitel 5: Die versteckte Kammer
Kapitel 6: Die Wahrheit im Tagebuch
Kapitel 7: Die Falle schnappt zu
Kapitel 8: Flucht durch die Olivenhaine
Kapitel 9: Verrat und unerwartete Hilfe
Kapitel 10: Das Rätsel von Ida
Kapitel 11: Die Welle der Wahrheit
Kapitel 12: Ein bittersüßer Abschied
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1. Gefangen im Urlaubsparadise
Kapitel 1: Der Abschied vom Alltag
Der kleine Vorortbahnhof lag unter einem Schleier aus Nieselregen, der die letzten Überbleibsel des deutschen Sommers hinwegzuwaschen schien. Emma zog ihren Rollkoffer näher an sich heran und versuchte, die kühle Nässe abzuschütteln, die sich bereits in ihre leichte Jacke fraß. Gegenüber von ihr, unter dem schützenden Vordach der Haltestelle, tippte Ben auf seinem Smartphone herum, das Gesicht im fahlen Licht des Bildschirms versunken. Ein Seufzer entwich ihr. Schon wieder. Selbst jetzt, nur Minuten bevor ihr langersehter Urlaub beginnen sollte, war er in seiner digitalen Welt gefangen.
„Alles in Ordnung, Schatz?“, fragte sie, ihre Stimme klang müder, als sie beabsichtigt hatte. Die letzten Wochen waren eine einzige, endlose Schleife aus überzogenen Arbeitszeiten, verpassten Abendessen und schweigenden Momenten im Wohnzimmer gewesen, in denen jeder von ihnen in seinen eigenen Gedanken versunken war. Ben war Softwareentwickler, immer am Puls der Zeit, immer online. Emma arbeitete in einer Marketingagentur, ständig unter Druck, kreativ zu sein und Deadlines einzuhalten. Der Alltag hatte sie aufgefressen, ihre Gespräche waren zu logistischen Absprachen verkümmert, ihre Berührungen zu flüchtigen Gesten.
Ben blickte auf, seine Augen, normalerweise so warm und voller Schalk, wirkten müde, fast leer. „Ja, ja, alles gut. Nur noch eine letzte E-Mail. Die neue Softwareversion… ich muss nur sicherstellen, dass die Übergabe reibungslos läuft, bevor ich offline bin.“ Er zwang sich zu einem Lächeln, das ihre Lippen kaum erreichte. „Danach bin ich ganz deiner. Versprochen. Kein Handy, kein Laptop, kein gar nichts. Nur wir und die Sonne.“
Emma erwiderte das Lächeln, aber die kleine Geste des Versprechens fühlte sich hohl an. Wie oft hatte er das schon gesagt? Dieser Urlaub, diese „digitale Entgiftung“ auf einer angeblich völlig abgelegenen Insel in Griechenland, war ihre letzte Hoffnung. Ein Freund hatte ihnen von diesem exklusiven Resort namens „Mare Serenitatis“ erzählt – das Meer der Gelassenheit. Keine Handysignale, kein WLAN in den Zimmern, nur Natur, Ruhe und angeblich die ultimative Entspannung. Für Emma klang es wie eine Flucht, ein notwendiges Entrinnen aus dem digitalen Hamsterrad, in dem sie beide gefangen waren. Für Ben war es ein notwendiges Übel, das er mit dem Gedanken an die volle Abschirmung von der Außenwelt zu rechtfertigen versuchte, um endlich zur Ruhe zu kommen.
Der Zug fuhr mit einem leisen Quietschen ein. Der Waggon war fast leer, und sie fanden leicht Plätze mit Blick auf die graue, vorbeiziehende Landschaft. Emma holte ein Buch heraus, aber ihre Gedanken wanderten ab. Sie erinnerte sich an die Begeisterung, mit der sie die Website des Mare Serenitatis studiert hatte. Die Bilder hatten paradiesische Ruhe versprochen: Privatstrände mit feinem Sand, kristallklares Wasser, luxuriöse Bungalows, die sich unauffällig in die Landschaft schmiegten. Dazu das Versprechen von frischer, lokaler Küche, Yoga bei Sonnenaufgang und Massagen unter freiem Himmel. Perfekt für ihre angeschlagene Beziehung.
Die Reise zum Flughafen in Frankfurt war ereignislos, der Flug nach Athen komfortabel, wenn auch ein wenig angespannt zwischen ihnen. Ben schien immer noch gedanklich bei seiner Arbeit zu sein, und Emma hatte das Gefühl, gegen eine unsichtbare Wand anzurenzen. In Athen hatten sie nur einen kurzen Aufenthalt, bevor ein kleinerer Anschlussflug sie nach Kreta bringen sollte.
„Kreta“, murmelte Emma, als sie im Flieger saßen, der sie nun der Insel näherbrachte. „Endlich ein bisschen Wärme.“
Ben lächelte gezwungen. „Ja, ich freue mich auch. Kein Internet, keine Anrufe… vielleicht können wir beide mal wieder richtig durchatmen.“ Er klang, als würde er sich selbst davon überzeugen wollen.
Der Flug war kurz. Als sie in Heraklion landeten, schlug ihnen die warme, salzige Luft entgegen, die nach Sonne und Meer duftete. Ein sofortiger Kontrast zum deutschen Nieselregen. Ein Fahrer des Resorts, ein älterer Grieche mit einem freundlichen, wettergegerbten Gesicht und dunklen, wachen Augen, erwartete sie bereits. Er trug ein Schild mit dem diskreten Logo des Mare Serenitatis: eine stilisierte Welle, die sich um einen Kreis schlang.
Die Fahrt vom Flughafen war lang. Ihr Fahrer, der kaum Englisch sprach, navigierte ihr klimatisiertes SUV geschickt durch die belebten Straßen Heraklions und dann hinaus in die ländlichere Gegend. Die Landschaft Kretas zog vorbei: Olivenhaine, die sich endlos über sanfte Hügel erstreckten, kleine, weiß getünchte Dörfer, die an Felsen klebten, und immer wieder der tiefe, azurblaue Glanz des Mittelmeers. Es war eine raue, ursprüngliche Schönheit, die Emma sofort in ihren Bann zog. Ben saß neben ihr und blickte ebenfalls aus dem Fenster, aber sie spürte, dass seine Gedanken noch weit weg waren.
Nach etwa anderthalb Stunden bog der Wagen von der Hauptstraße ab auf eine unbefestigte Piste, die sich steil und kurvig durch eine dichte Macchia schlängelte. Emma sah keine Anzeichen von anderen Gebäuden, nur dichte Vegetation und die karge Landschaft. „Ist das richtig?“, fragte sie unsicher.
Der Fahrer nickte und zeigte mit dem Finger nach vorne. „Mare Serenitatis. Fast da.“
Die Piste endete abrupt an einer kleinen, versteckten Bucht, die von hohen, ockerfarbenen Klippen umschlossen war. Ein wahres Naturjuwel. Das Wasser schimmerte in unglaublichen Türkis- und Blautönen, so klar, dass man den Grund erkennen konnte. Am Ende eines kleinen Holzstegs lag ein weiteres Boot, deutlich größer und luxuriöser als das, was sie erwartet hatten – eine elegante weiße Yacht. Dort wartete ein junger Mann in makelloser weißer Uniform, sein Lächeln war perfekt, fast zu perfekt.
„Willkommen auf Kreta! Und bald im Mare Serenitatis!“, begrüßte er sie mit einem Akzent, der nicht griechisch klang, eher osteuropäisch. „Ich bin Alek. Ich werde Sie zur Insel bringen.“ Er war übertrieben zuvorkommend, fast schon ein wenig steif.
Der Transfer auf die Insel war kurz, aber atemberaubend. Die Yacht glitt sanft über das spiegelglatte Wasser. Emma schloss die Augen und atmete tief ein. Der Duft des Meeres, die Wärme der Sonne auf ihrer Haut – es war genau das, was sie gebraucht hatten. Ben hatte tatsächlich sein Handy weggepackt und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. Ein kleiner Hoffnungsschimmer keimte in Emma auf. Vielleicht würde es doch noch etwas werden mit ihnen.
Als sie sich der Insel näherten, sahen sie das Resort. Es war keine riesige Hotelanlage, sondern eine Ansammlung von eleganten, in den Hang gebauten Bungalows, die sich fast unsichtbar in die grüne Vegetation und die Felsen einfügten. Sie waren aus hellem Stein und dunklem Holz gebaut und passten perfekt in die Umgebung. Kein greller Pool, keine laute Musik – nur die sanfte Brandung und das Zwitschern der Vögel. Es wirkte exklusiv, ja, aber auch ein wenig… abgeschottet.
Alek legte die Yacht an einem kleinen, privaten Anlegekai an. Dort wurden sie von einem kleinen Empfangsteam in weißen Uniformen begrüßt. Angeführt wurde es von einer eleganten, streng wirkenden Frau mittleren Alters, die sich als Elara vorstellte, die stellvertretende Managerin des Resorts. Ihre blonden Haare waren perfekt zu einem Dutt gebunden, ihr Lächeln war professionell, aber ihre Augen waren wach und taxierend.
„Willkommen im Mare Serenitatis, Herr und Frau König!“, sagte Elara mit einer Stimme, die wie Seide klang, aber eine unterschwellige Härte besaß. „Wir haben Sie bereits erwartet. Ich hoffe, Ihre Reise war angenehm.“
Emma war überrascht. „Es ist Fischer“, korrigierte sie sanft. „Emma und Ben Fischer.“
Elara lächelte, ihre Augen huschten kurz zu einem kleinen Tablet in ihrer Hand. „Ah, mein Fehler. Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Die Datenmengen der Anreisen können manchmal… verwirrend sein.“ Sie nickte dem Personal zu, das bereits ihr Gepäck in Empfang nahm. „Bitte folgen Sie mir. Wir bringen Sie direkt in Ihren Bungalow.“
Der kleine Fehler in ihrem Namen war nur eine Kleinigkeit, aber Emma bemerkte ihn. Und sie bemerkte auch, dass Alek, der Yachtführer, der noch eben so freundlich war, kurz die Augenbrauen zusammenzog, als Emma ihren Namen korrigierte. Ein winziges Detail, das sie sofort wieder losließ, als sie dem atemberaubenden Blick auf die Bucht folgte.
Ihr Bungalow war eine Oase der Ruhe und des Luxus. Eine private Terrasse mit Meerblick, ein kleiner Infinity-Pool, der sich nahtlos in den Horizont zu erstrecken schien. Das Innere war minimalistisch, aber geschmackvoll eingerichtet, mit natürlichen Materialien und warmen Farben. Keine Spur von einem Fernseher oder Radio, geschweige denn von einem Telefon. Nur ein kleines Tablet auf dem Nachttisch, das als „Gästeservice-Terminal“ dienen sollte.
„Hier können Sie alle Informationen über das Resort abrufen, Spa-Termine buchen oder den Zimmerservice kontaktieren“, erklärte Elara. „Und natürlich auch Notrufe tätigen, falls nötig. Ihre Verbindung zur Außenwelt ist gesperrt, um die volle Entspannung zu gewährleisten. Das ist unser Konzept: völlige Abgeschiedenheit, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.“
Ben nickte zustimmend. „Perfekt. Genau das, was wir brauchen.“
Elara nickte und verabschiedete sich mit einem weiteren perfekten Lächeln. Als die Tür sich hinter ihr schloss, ließ Emma ihren Koffer fallen und stürmte auf die Terrasse. Der Blick war atemberaubend. Der Ozean erstreckte sich endlos vor ihnen, die Sonne tauchte die Wellen in ein glitzerndes Türkis.
„Das ist es, Ben! Das ist es!“, rief sie, ihre Stimme erfüllt von echter Freude. „Keine E-Mails, keine Meetings, kein gar nichts. Nur wir. Und das Meer.“ Sie breitete die Arme aus, als wollte sie die ganze Weite umarmen.
Ben kam zu ihr, legte einen Arm um ihre Taille und zog sie an sich. „Du hast Recht. Das ist unglaublich.“ Er küsste ihren Scheitel. Für einen Moment fühlte es sich an wie früher. Der Stress, die Distanz, die Anspannung – alles schien mit der Yacht am Kai verschwunden zu sein.
Sie verbrachten den Rest des Nachmittags damit, das Resort zu erkunden. Es war kleiner, als es auf den Fotos gewirkt hatte, aber makellos gepflegt. Es gab einen Hauptpool mit einer Bar, ein feines Restaurant und einen Spa-Bereich. Die Wege waren von duftenden Blumen und Kräutern gesäumt, das Licht war weich und einladend. Überall begegneten ihnen andere Gäste, die meisten Paare, einige wenige Einzelpersonen. Alle wirkten entspannt, fast tranceartig glücklich. Sie lächelten freundlich, grüßten kurz und widmeten sich dann wieder ihren Büchern oder dem Blick aufs Meer.
Emma bemerkte jedoch einige Dinge, die sie leicht irritierten. Das Personal schien immer präsent zu sein, aber nie aufdringlich. Sie tauchten überall auf, schienen jede Bewegung zu registrieren, ohne dass man sich beobachtet fühlte. Einmal, als Ben kurz ein Nickerchen auf einer Liege machte, sah Emma, wie ein Gärtner, der eigentlich Rosen schnitt, seinen Blick immer wieder zu ihnen herüberhuschen ließ. Oder die junge Frau, die im Restaurant bediente und die auf eine Frage nach dem morgigen Wetter nur ein einstudiertes Lächeln erwiderte, ohne wirklich zu antworten.
Am Abend aßen sie im eleganten Restaurant, das nur wenige Tische hatte. Die Beleuchtung war gedämpft, leise, entspannende Lounge-Musik spielte im Hintergrund. Das Essen war exquisite kretische Küche, frisch und köstlich. Emma genoss jeden Bissen. Ben, zu ihrer Freude, schien ebenfalls zur Ruhe zu kommen. Er lachte, erzählte Witze, und ihre Hände fanden sich unter dem Tisch.
Doch als Emma zur Toilette ging, stieß sie im Flur auf ein anderes Paar, das sie zuvor am Pool gesehen hatte. Sie stritten sich leise, aber ihre Stimmen waren scharf. Die Frau flüsterte mit Tränen in den Augen: „Ich kann das nicht mehr! Ich will hier weg!“ Der Mann packte sie grob am Arm. „Hör auf! Du weißt, was passiert, wenn du redest!“ Als sie Emma sahen, verstummten sie abrupt. Der Mann zog die Frau hinter eine Säule, als wäre nichts gewesen. Doch Emmas Herz begann schneller zu schlagen. Was war das gewesen? Eine Ehekrise? Oder etwas anderes?
Sie versuchte, den Vorfall zu ignorieren, als sie zu Ben zurückkehrte. Doch die perfekte Fassade des Paradieses hatte einen winzigen Riss bekommen. Ein Gefühl der Ungereimtheit schlich sich in ihr Bewusstsein.
Zurück in ihrem Bungalow, der in der Dunkelheit nur vom sanften Plätschern ihres Privatpools erhellt wurde, stürmte Emma auf die Terrasse. Der Mond stand hoch am Himmel und warf silbernes Licht auf das Meer.
„Ben, ich… ich habe gerade etwas Merkwürdiges gesehen“, begann sie. Sie erzählte ihm von dem streitenden Paar. „Die wirkten nicht wie ein normales Paar. Und sie hatten Angst.“
Ben, der bereits im Bad war, um sich bettfertig zu machen, kam heraus, das Handtuch um die Hüften. „Ach, Emma. Das ist der Stress, der von uns abfällt. Die Leute hier kommen, um abzuschalten. Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Lass uns das nicht unseren Urlaub ruinieren. Hier ist alles perfekt.“ Er umarmte sie von hinten, seine Lippen an ihrem Hals. „Lass uns einfach die Ruhe genießen. Morgen ist ein neuer Tag.“
Emma nickte, widerwillig. Er hatte Recht. Sie waren hier, um sich zu erholen, nicht um Detektiv zu spielen. Sie drängte die aufkommenden Zweifel beiseite. Doch als sie später im Bett lag, konnte sie nicht einschlafen. Die Geräusche der Insel waren so anders als die der Stadt. Das Rauschen der Wellen, das Zirpen der Grillen – aber auch ein leises, entferntes Klicken, das sie nicht zuordnen konnte. Es war wie das Geräusch einer Kamera, die ein Bild aufnimmt. Oder einer Tür, die sich leise schließt. Sie schob es auf ihre überreizten Nerven und schloss die Augen.
Das Paradies hatte seine Pforten geöffnet. Doch Emma wusste noch nicht, dass sie damit auch in eine Falle getreten war.
Kapitel 2: Erste Schatten im Paradies
Der nächste Morgen brach mit einer Pracht an, die jede verbliebene Sorge in Emma fast vergessen ließ. Die Sonne flutete das Bungalow, tauchte den Raum in goldenes Licht und ließ das Türkis des Privatpools auf der Terrasse verführerisch leuchten. Ben lag noch schlafend neben ihr, sein Atem ging ruhig und gleichmäßig. Für einen Moment schien alles perfekt, der Albtraum der letzten Nacht, der kurze Streit im Flur des Restaurants, nur ein müdes Hirngespinst. Emma stand auf, zog sich ihren Bikini an und glitt ins kühle Wasser, die Stille war wohltuend, nur unterbrochen vom sanften Plätschern ihrer Bewegungen.
Nach einem opulenten Frühstück im Hauptrestaurant, das mit einer Fülle an frischen Früchten, kretischem Joghurt und duftendem Gebäck aufwartete, beschlossen sie, den Tag am Hauptpool zu verbringen. Die Atmosphäre dort war entspannter als erwartet; keine laute Musik, keine aufdringlichen Animateure. Stattdessen lagen die Gäste auf bequemen Liegen, lasen Bücher, dösten in der Sonne oder unterhielten sich leise. Es war eine Oase der Ruhe, fast schon zu ruhig.
Emma begann, die anderen Paare genauer zu beobachten, während Ben sich in seinem Buch verlor. Da war das ältere Ehepaar aus England, Mr. und Mrs. Davies, die sie am Vortag kurz kennengelernt hatten. Sie saßen immer noch am selben Tisch wie gestern, schweigend, aber mit einem seltsam leeren Lächeln auf den Gesichtern. Mrs. Davies kicherte ab und zu leise vor sich hin, ohne ersichtlichen Grund. Emma erinnerte sich an ihre anfängliche Einschätzung: zu glücklich, fast schon roboterhaft.
Ein anderes Paar, das am Vortag noch lautstark am Pool geturtelt hatte, saß nun auffällig distanziert voneinander. Der Mann starrte ins Leere, die Frau spielte nervös mit den Fingern. Auf ihrem Arm bemerkte Emma ein kleines, fast unsichtbares Tattoo – ein winziger, stilisierter Kreis, der eine Welle umschloss, ähnlich dem Logo des Resorts, aber in einem dunkleren, unheilvolleren Design. Nur eine kleine Spielerei, dachte Emma, aber es passte zu dem Gefühl der unterschwelligen Ungereimtheit.
Plötzlich spürte Emma einen kühlen Schatten über sich. Herr Lysander, der Resort-Manager, stand vor ihnen, sein makelloses Lächeln noch breiter als gestern. „Ich hoffe, Sie genießen Ihre ersten Stunden im Paradies, Herr und Frau Fischer?“, fragte er mit seiner seidigen Stimme.
„Absolut“, antwortete Ben, der sein Buch weggelegt hatte. „Es ist genau das, was wir gebraucht haben. Völlige Ruhe.“
„Exzellent“, erwiderte Lysander, seine Augen huschten kurz über Emma. „Unsere Philosophie ist es, unseren Gästen eine vollkommene Auszeit zu ermöglichen. Eine digitale Entgiftung in ihrer reinsten Form. Keine Ablenkungen, keine störenden Einflüsse von außen. Nur Sie selbst und die heilende Kraft der Natur.“ Seine Betonung auf „heilend“ und „Natur“ wirkte auf Emma seltsam übertrieben.
„Ich habe da mal eine Frage“, begann Emma und spürte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete. „Das Ehepaar, Mr. und Mrs. Davies… ich habe gehört, sie sind abgereist? Das ging ja sehr schnell.“
Lysanders Lächeln blieb unverändert, doch seine Augen blitzten kurz auf. „Ah, die Davies. Ja, eine etwas spontane Abreise. Ein kleiner Familiennotfall zu Hause, wie es manchmal vorkommt. Sie mussten leider früher abreisen, als geplant. Aber sie versicherten uns, dass sie unseren Service sehr geschätzt haben.“ Seine Erklärung klang einstudiert, zu glatt.