Das verschwundene Lächeln
Ein Liebesthriller auf Mallorca
Mirko Kukuk
Kapitel 1: Ankunft auf der Sonneninsel
Die erste Welle der Hitze schlug Leo entgegen, kaum dass er die gläsernen Türen des Flughafengebäudes in Palma durchschritten hatte. Es war nicht die drückende, feuchte Schwüle, die er von seinen Jobs in tropischen Gefilden kannte, sondern eine trockene, beinahe wohlige Wärme, die sich sofort auf die Haut legte und das Versprechen eines mediterranen Sommers in sich trug. Er atmete tief ein, und der Duft von Pinien, Salz und einer fernen Mandelblüte, die seltsamerweise immer noch in der Luft hing, erfüllte seine Lungen. Ein Lächeln huschte über Leos Lippen, das erste echte seit Wochen.
Leo Richter, 34, war ein Name, der in der Welt der Mode- und Lifestyle-Fotografie einen gewissen Klang hatte. Seine Bilder zierten Hochglanzmagazine, seine Kampagnen waren Gesprächsthemen, und sein Terminkalender war ein einziges, undurchdringliches Geflecht aus Flügen, Shootings und PR-Terminen. Doch hinter der Fassade des erfolgreichen Künstlers verbarg sich in letzter Zeit eine wachsende Leere. Die Perfektion seiner Arbeit stand im krassen Gegensatz zur zunehmenden Unordnung in seinem Inneren. Ein Burnout stand nicht zur Debatte – Leo war viel zu sehr Macher, um so etwas zuzugeben –, aber die Leichtigkeit, die seine besten Aufnahmen ausmachte, hatte er längst verloren.
Dieser Trip nach Mallorca sollte die Wende bringen. Offiziell war er hier für ein aufwändiges Shooting für eine spanische Luxus-Hotelkette, ein Job, der ihm eine beträchtliche Summe einbrachte und den er eigentlich hätte delegieren können. Inoffiziell war es seine Flucht. Flucht vor den immer gleichen Gesichtern in den Berliner Galerien, vor dem Echo seiner eigenen Erwartungen und vor der quälenden Stille seiner viel zu großen Loft-Wohnung.
Er zog seinen Rimowa-Koffer hinter sich her, der bemerkenswert leicht war, da die meiste Ausrüstung bereits vorab geschickt worden war. Ein Chauffeur mit einem kleinen Schild, auf dem "Richter" stand, erwartete ihn. „Señor Richter? Herzlich willkommen auf Mallorca“, sagte der Mann mit einem breiten, freundlichen Grinsen. Sein Akzent war sanft, nicht so hart wie das Castellano, das Leo aus Madrid kannte.
Die Fahrt vom Flughafen zur Villa, die das Set für die nächsten Tage sein sollte, war eine Wohltat. Der Wagen glitt durch die sanfte Hügellandschaft, vorbei an alten Olivenhainen und den ersten, noch grünen Weinreben. Die Sonne stand hoch am Himmel und ließ die kalkweißen Fincas leuchten, die verstreut in der Landschaft lagen. Leo ließ die Scheibe herunter und spürte den warmen Wind im Gesicht. Er knipste keine Fotos, nicht einmal mit dem Handy. Er genoss einfach nur den Moment, etwas, das ihm in letzter Zeit schwergefallen war.
Die Villa, ein extravaganter Bau oberhalb von Portals Nous, war beeindruckend. Infinity-Pool, Meerblick, genug Platz für eine ganze Filmcrew. Aber Leos erster Impuls war, der Enge des Luxus zu entfliehen. Nachdem er seine Tasche ins Schlafzimmer geworfen und eine schnelle Dusche genommen hatte, die den Staub des Reisens abwusch, schnappte er sich seine Leica M6 – nicht die digitale, sondern seine alte analoge Kamera, ein treuer Begleiter seit Studienzeiten – und verließ das Anwesen. Er brauchte Menschen, echtes Leben, jenseits der Hochglanzfassaden. Er brauchte Palma.
Die Altstadt von Palma war ein Labyrinth aus engen Gassen, die im Sommer Schatten spendeten und nach feuchtem Stein und Bougainvillea dufteten. Die Kathedrale La Seu thronte majestätisch über dem Hafen, ein stummer Wächter über Jahrhunderte von Geschichte. Leo ließ sich treiben, schoss hier und da ein paar Bilder – eine alte Frau, die auf einem Plastikhocker saß und Stickereien verkaufte, ein Vater, der sein Kind auf den Schultern trug, während es begeistert auf eine Eisdiele zeigte. Es waren die unscheinbaren Momente, die ihn fesselten, die das Leben jenseits der perfekten Inszenierung zeigten.
Er kam an einem kleinen Platz vorbei, auf dem sich Touristen und Einheimische mischten. Ein Straßenmusiker spielte melancholische Flamenco-Melodien auf seiner Gitarre. Und dann sah er sie.
Sie saß vor einer hohen, verwitterten Steinmauer, deren rötlicher Putz an vielen Stellen abbröckelte und den Blick auf das darunterliegende Gestein freigab. Auf dem Boden vor ihr breitete sich eine Leinwand aus, die in leuchtenden, beinahe explosiven Farben erstrahlte. Es war abstrakt, aber dennoch voller Bewegung und Energie, als ob die Farben selbst tanzten. Sie war barfuß, ihre Zehen waren mit Farbflecken übersät, und ihre langen, dunklen Haare waren zu einem lockeren Zopf geflochten, der über ihre Schulter fiel. Ein paar einzelne Strähnen hatten sich gelöst und tanzten im leichten Wind um ihr Gesicht.
Ihre Hände, ebenfalls mit Farbe beschmiert, bewegten sich schnell und flüssig über die Leinwand. Sie malte mit einer Intensität, die Leo sofort in den Bann zog. Sie trug ein einfaches, leinenes Kleid, das ihre schlanke Figur umspielte. Ihr Blick war konzentriert, beinahe tranceartig, auf ihr Werk gerichtet. Man konnte spüren, wie die Farben durch sie hindurchflossen, wie sie alles um sich herum ausblendete.
Leo hob unwillkürlich seine Leica. Er war vorsichtig, wollte sie nicht stören. Er liebte diese Momente, in denen Menschen so tief in etwas versunken waren, dass sie ihre Umgebung vergaßen. Es waren die reinsten, unverfälschtesten Aufnahmen. Er drückte auf den Auslöser, das leise Klicken der Kamera war kaum zu hören.
Sie zuckte zusammen. Nicht erschrocken, eher überrascht. Ihr Blick, der eben noch so intensiv auf die Leinwand gerichtet war, hob sich und traf seine Augen. Es war ein Blick, der tief ging, der ihn nicht nur sah, sondern zu durchdringen schien. Ihre Augen waren eine Mischung aus dunklem Braun und einem Hauch von Grün, umrahmt von langen Wimpern, und in ihnen spiegelte sich eine seltsame Mischung aus Verletzlichkeit und unbeugsamer Stärke wider. Ein winziges, schüchternes Lächeln huschte über ihre Lippen, doch es erreichte ihre Augen nicht ganz. Es war, als ob ein kleiner Schatten darin tanzte.
Leo, der normalerweise in solchen Situationen die Ruhe selbst war, spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Er hatte sie ertappt. Er senkte die Kamera und nickte entschuldigend. Sie nickte ebenfalls, ihr Lächeln wurde eine Spur deutlicher, aber immer noch flüchtig. Sie sprach nicht. Er sprach nicht. Es war ein kurzer, intensiver Moment der Stille, in dem sich ihre Blicke festhielten, eine unsichtbare Verbindung knüpften, die mehr sagte als tausend Worte.
Dann senkte sie ihren Blick wieder auf die Leinwand, und ihre Hände begannen erneut zu tanzen. Leo wusste, dass er bleiben und sie beobachten könnte, aber er wollte diesen Zauber nicht brechen. Er schoss kein weiteres Bild. Stattdessen ging er langsam weiter, aber ihr Bild, ihre Aura, hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt. Er wusste ihren Namen nicht, woher sie kam oder was ihre Geschichte war. Aber er wusste, dass er sie wiedersehen wollte. Dieses kurze Aufeinandertreffen hatte etwas in ihm ausgelöst, das lange geschlummert hatte: Neugierde, Faszination, und ein Gefühl, das er fast vergessen hatte – das aufregende Kribbeln des Unbekannten.
Mallorca hatte ihn empfangen, nicht nur mit Wärme und Licht, sondern auch mit einem Rätsel in Form einer Künstlerin mit den Augen einer alten Seele und einem Lächeln, das etwas verbarg. Und Leo, der sich eigentlich nur erholen wollte, spürte plötzlich eine unerwartete, unwiderstehliche Anziehung, die weit über das Professionelle hinausging.
Kapitel 2: Die erste Begegnung
Die Tage nach der Begegnung mit der Künstlerin in Palma waren für Leo eine eigentümliche Mischung aus professioneller Disziplin und schwelgender Ablenkung. Er arbeitete hochkonzentriert, wie es sein Ruf verlangte. Das Team war effizient, die Models professionell, und die mallorquinische Sonne lieferte das perfekte Licht für die luxuriösen Hotel-Settings. Doch zwischen den Takes, wenn die Assistenten Objektive wechselten oder das Make-up nachgebessert wurde, schweiften Leos Gedanken immer wieder ab. Er sah nicht die gestylten Models vor sich, sondern Elenas farbverschmierte Hände, ihren intensiven Blick, das flüchtige Lächeln. Wer war sie? Und würde er sie wiederfinden?