Kreta-Thriller: Der Minotaurus-Schatten auf Kreta
Mirko Kukuk
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Texte: © Copyright by Mirko KukukUmschlaggestaltung: © Copyright by Mirko KukukMirko KukukKleinfeld 10221149
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[email protected] Unterstützung bei Text/Bild: GeminiAlle Rechte vorbehaltenDie in diesem Buch dargestellten Figuren und Ereignisse sind fiktiv. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder toten realen Personen ist zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt.
Inhalt
Titelseite
Impressum
Kapitel 1: Ankunft im Paradies
Kapitel 2: Erste Schatten
Kapitel 3: Das Zeichen
Kapitel 4: Der Unbekannte
Kapitel 5: Toms Albträume
Kapitel 6: Die Warnung
Kapitel 7: Die Verfolgung
Kapitel 8: Der Kult enthüllt sich
Kapitel 9: Toms Wandel
Kapitel 10: Flucht ins Labyrinth
Kapitel 11: Konfrontation im Herzen des Schattens
Kapitel 12: Die Dämmerung
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Kapitel 1: Ankunft im Paradies
Der Duft von Thymian und Salz hing wie ein unsichtbarer Schleier in der heißen kretischen Luft, mischte sich mit dem fernen Summen der Zikaden. Sarah zog einen tiefen Atemzug ein, der mehr nach Freiheit roch als nach Flugzeugessen und Flughafenstress. Ihr Blick schweifte über die zerklüfteten Hügel, gesprenkelt mit knorrigen Olivenbäumen und leuchtend lila Bougainvillea, die sich bis zum azurblauen Mittelmeer erstreckten. Ein kleines Lächeln, das erste echte seit Wochen, spielte um ihre Lippen. Endlich. Endlich waren sie hier.
Neben ihr auf dem Beifahrersitz des klapprigen Mietwagens stieß Tom einen genervten Seufzer aus, der so typisch für sein vierzehnjähriges Ich war, dass Sarah fast lachen musste. Er starrte missmutig aus dem Fenster, seine Kopfhörer fest auf den Ohren, wie ein Schutzschild gegen die Welt – oder zumindest gegen seine Mutter. „Sind wir bald da?“, murmelte er, ohne sie anzusehen. Seine Stimme war belegt, ein Echo der langen Reise und seiner generellen Unzufriedenheit, Zeit mit ihr verbringen zu müssen, anstatt mit seinen Freunden online zu zocken.
„Gleich, mein Schatz“, antwortete Sarah sanft, während sie das GPS-Gerät auf dem Armaturenbrett überprüfte. Die Straße war schmal und kurvig geworden, ein staubiger Pfad, der sich wie ein braunes Band durch die grüne Landschaft zog. Der Empfang war hier draußen, fernab der Touristenhochburgen an der Küste, spärlich. „Laut Karte sind es nur noch ein paar Minuten. Das Navi spinnt ein bisschen, aber wir sind auf dem richtigen Weg.“
Sie hatte sich bewusst für diese Abgeschiedenheit entschieden. Keine überfüllten Strände, keine lärmenden Bars, keine All-Inclusive-Anlagen. Nur sie, Tom und die Stille. Seit der Scheidung war ihre Beziehung zu Tom schwierig geworden. Er war ein stiller, nachdenklicher Junge, der sich in seine eigene Welt zurückzog. Sarah hoffte, dass diese Auszeit, dieses gemeinsame Abenteuer, die Distanz zwischen ihnen überbrücken könnte. Sie sehnte sich nach dem Jungen, der früher mit leuchtenden Augen ihre Geschichten über alte Zivilisationen gehört hatte.
Das Auto holperte über eine letzte Anhöhe, und dann lag sie vor ihnen: die Villa. Sie war nicht opulent oder modern, sondern schien organisch aus dem kretischen Boden gewachsen zu sein. Aus groben Natursteinen gebaut, mit einem roten Ziegeldach, das in der Nachmittagssonne glühte, und Fensterläden in einem verblassten Meeresblau. Umgeben von einem üppigen, aber wild wuchernden Garten voller Oleander und Feigenbäumen, thronte sie majestätisch auf einem kleinen Hügel. Vom Balkon aus musste man einen atemberaubenden Blick auf das Ägäische Meer haben, das sich in der Ferne wie ein geschmolzenes Lapislazuli erstreckte.
Für einen Moment schien selbst Tom beeindruckt zu sein. Er nahm die Kopfhörer ab und musterte das Haus mit einer Mischung aus Neugier und zaghaftem Staunen. „Cool“, murmelte er, und Sarahs Herz machte einen kleinen Sprung. Ein Fortschritt.
Sie parkte den Wagen im Schatten einer knorrigen Olive und stieg aus. Die Hitze war drückend, doch eine sanfte Brise brachte Erleichterung. Mit dem Schlüssel in der Hand stieg sie die wenigen Stufen zur alten Holztür hinauf. Ein leichter Modergeruch mischte sich mit dem süßen Duft von Jasmin, als sie die Tür öffnete.
Das Innere der Villa war kühl und schattig, eine willkommene Abwechslung zur gleißenden Sonne draußen. Der Hauptraum war geräumig und einfach eingerichtet, mit schweren Holzmöbeln und lokalen Keramiken. Ein offener Kamin dominierte eine Wand, und von den dicken Steinmauern ging eine angenehme Kühle aus. Die Fenster waren klein und tief eingelassen, wie Augen, die auf die Landschaft blickten.
„Such dir ein Zimmer aus, Tom“, sagte Sarah, während sie die Koffer auf den Boden stellte und die Fensterläden öffnete, um Licht hereinzulassen. Goldene Sonnenstrahlen tanzten durch den Raum, beleuchteten Staubpartikel in der Luft und wärmten die kühlen Steinböden.
Tom ging wortlos die Treppe hinauf, die in den oberen Stock führte. Nach ein paar Minuten rief er: „Ich hab das Zimmer mit dem Balkon! Es ist voll krass!“ Ein echtes Lächeln, dachte Sarah. Das klang schon besser.
Während sie die Koffer auspackte und Lebensmittel in die kleine, aber funktionale Küche räumte, hörte sie Tom oben herumtappen. Dann wurde es still. Sie fand ihn schließlich auf dem Balkon seines Zimmers, nicht mit seinem Handy beschäftigt, sondern in ein altes, zerlesenes Buch vertieft, das sie in einem Regal im Wohnzimmer gefunden hatte. Es war ein Reiseführer über die minoische Zivilisation, offensichtlich von einem früheren Mieter zurückgelassen.
„Was liest du denn da so gebannt?“, fragte Sarah und lehnte sich an den Türrahmen.
Tom hob den Blick, seine Augen waren ungewohnt wach und interessiert. „Das hier ist ja viel älter als die Römer oder so. Und hier steht was vom Labyrinth und dem Minotaurus. Die haben hier wirklich einen Stiermensch in so ein riesiges Labyrinth gesperrt?“
Sarah lächelte. „Das ist eine Legende, mein Schatz. Die Minoer waren ein faszinierendes Volk. Sie hatten eine hoch entwickelte Kultur, lange bevor die Griechen oder Römer kamen. Und der Minotaurus war angeblich das Kind eines Stiers und einer Königin, das im Labyrinth unter dem Palast von Knossos gefangen gehalten wurde.“ Sie spürte eine leichte Begeisterung in sich aufsteigen, die sie lange nicht gefühlt hatte. Das war ihre Welt, die Archäologie, die alten Geschichten.
„Und das Labyrinth war so riesig, dass niemand rausgefunden hat? Und der hat Menschen gefressen?“, fragte Tom, seine Augen weit vor Faszination.
„So geht die Legende“, bestätigte Sarah. „Es war eine Metapher für die Komplexität des Palastes und vielleicht auch für die Geheimnisse, die die Minoer hüteten. Man weiß nicht genau, ob es wirklich ein riesiges Labyrinth gab oder ob es eher ein komplexes Gebäude war.“
Tom blätterte weiter in dem Buch, seine Stirn in Falten gelegt. „Hier steht, dass Knossos nicht der einzige Palast war. Und hier, in der Nähe, soll auch eine kleinere archäologische Stätte sein, die nicht so bekannt ist.“ Er zeigte auf eine vergilbte Karte im Buch. „Die ist nur ein paar Kilometer von hier entfernt.“
Sarah nickte. „Das stimmt. Ich hab das auch gelesen. Eine weniger erforschte Ausgrabungsstätte, angeblich viel älter als Knossos, aber nicht so gut erhalten. Ich dachte, wir könnten morgen mal dorthin fahren, wenn du Lust hast.“
Tom zögerte kurz. „Klar“, sagte er dann, immer noch mit seinen Augen am Buch klebend. „Vielleicht gibt’s da ja noch mehr Labyrinthe.“
Ein kleiner, wohliger Schauer lief Sarah über den Rücken. Die Faszination ihres Sohnes war spürbar, fast greifbar. Aber das Thema war auch unheimlich. Doch sie schob den Gedanken beiseite. Es war Urlaub. Sie waren sicher. Die Mythen waren nur Geschichten.
Am Abend aßen sie auf der Terrasse. Die Sonne war als roter Ball im Meer versunken, und der Himmel färbte sich in tiefem Violett. Grillen zirpten in der Ferne, und der Wind raschelte leise in den Olivenbäumen. Es war magisch.
Als sie die Lichter löschten und ins Bett gingen, war Sarah erschöpft, aber glücklich. Sie hörte Toms gleichmäßigen Atem aus dem Nachbarzimmer. Alles schien perfekt. Sie hatte ein gutes Gefühl, dass dieser Urlaub der Neuanfang sein würde, den sie beide brauchten. Doch noch während der Gedanke ihren Geist durchzog, schien ein leiser, fast unhörbarer Windstoß durch die geöffneten Fensterläden zu streichen, der einen Hauch von etwas Uraltem und Unerklärlichem mit sich trug. Und tief unten, in den Eingeweiden der Insel, schien etwas zu schlummern, das gerade erst zu erwachen begann.
Kapitel 2: Erste Schatten
Die Morgensonne kroch langsam über die kretischen Hügel, malte goldene Streifen auf die Steinmauern der Villa und weckte Sarah sanft aus dem Schlaf. Für einen Moment lag sie einfach da, lauschte dem friedlichen Zirpen der Zikaden, die nun lauter zu werden schienen, und atmete den frischen Duft von Pinien und Salbei ein, der durch das offene Fenster wehte. Es war ein perfekter Morgen, der die Versprechungen des Vortages zu halten schien.
Sie stand auf, schlüpfte in leichte Kleidung und machte sich einen Kaffee. Tom schlief noch tief und fest, und Sarah genoss die seltene Ruhe. Sie setzte sich auf die Terrasse, den Blick über das weite Tal schweifend, das sich bis zum Meer erstreckte. Die Welt fühlte sich weit weg an, die Sorgen des Alltags in Deutschland schienen hier nur ferne Echos zu sein. Sie atmete tief durch und spürte, wie eine leichte, unbekannte Anspannung von ihren Schultern fiel.
Doch die Idylle sollte nicht lange währen. Während sie ihren Kaffee trank, fiel ihr Blick auf etwas Seltsames am Rande der alten Steintreppe, die von der Terrasse in den Garten führte. Es war ein kleines, grob geformtes Objekt, das im Morgengrauen fast mit den grauen Steinen verschmolz. Neugierig stand sie auf und ging näher heran.
Es war eine Art Stein, unförmig und unregelmäßig, aber mit einer klaren, stilisierten Form von zwei nach oben zeigenden Hörnern versehen. Es sah aus wie das Fragment einer kleinen Stierfigur. War es ein Souvenir, das ein früherer Mieter verloren hatte? Oder ein alter Spielzeug von einem der Bauernkinder aus der Gegend? Sarah hob es auf. Die Oberfläche war rau und kühl, und sie spürte eine unerklärliche Schwere darin. Sie zuckte die Achseln und legte es auf den kleinen Steintisch neben ihrem Kaffeebecher. Wahrscheinlich nichts Besonderes.
Nach dem Frühstück, bei dem Tom immer noch ungewohnt wortkarg war, aber seine Nase nicht im Handy, sondern wieder im Minoer-Buch vergraben hatte, schlug Sarah vor, die nahegelegene archäologische Stätte zu erkunden. „Die ist nicht so bekannt“, erklärte sie, „vielleicht entdecken wir ja unser eigenes kleines Geheimnis.“
Tom stimmte überraschend schnell zu. „Vielleicht gibt’s da ja Überreste von einem Labyrinth“, murmelte er, seine Augen leuchteten.