4 Hufe + 1 Kussalarm - Chantal Schreiber - E-Book

4 Hufe + 1 Kussalarm E-Book

Chantal Schreiber

0,0
11,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Aus heiterem Himmel beschließen Maxis Eltern, aufs Land zu ziehen. Ohne ihre Tochter gefragt zu haben! Dabei stimmt sonst der Familienrat über jede Kleinigkeit ab. Höchst unwillig fügt Maxi sich ins Unvermeidliche. Die werden schon sehen, was sie davon haben - schlechte Laune inklusive! Doch das Landleben ist gar nicht so übel. Ringo, das Islandpferd, erobert Maxis Herz im Sturm. Und dann ist da noch Vic, dessen strahlend blaue Augen eine ganz besondere Wirkung auf sie haben … Neuausgabe von ISBN 978-522-18040-5. Reihe "Freche Mädchen - freche Bücher!"

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2010

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Autorenvita

Chantal Schreiber, in Wien geboren, hat ihr Sprachenstudium abgebrochen und war unter anderem Flugbegleiterin, Kellnerin und Fotomodell. Fazit: Viele Reisen und längere Auslandsaufenthalte (Griechenland, Spanien, Japan, Australien, USA), viele Freunde in vielen Ländern, viele Jobs, aber kein Beruf. Den fand sie schließlich als Drehbuchautorin fürs Kinderfernsehen und als Autorin von Jugendbüchern und Romanen. Mit Tochter Hannah teilt sie eine Wohnung in Wien, eine große Liebe (zu Darri, einem unwiderstehlichen Isländer-Wallach) und leider vermehrt auch ihre Schuhe.

Birgit Schössow gibt den frechen Mädchen ihr farbiges Gesicht. Illustratorin wollte sie schon als kleines freches Mädchen werden – und nun ist sie ein großes Mädchen – und immer noch frech!

Buchinfo

Aus heiterem Himmel beschließen Maxis Eltern, aufs Land zu ziehen. Ohne ihre Tochter gefragt zu haben! Dabei stimmt sonst der Familienrat über jede Kleinigkeit ab. Höchst unwillig fügt Maxi sich ins Unvermeidliche. Die werden schon sehen, was sie davon haben – schlechte Laune inklusive! Doch das Landleben ist gar nicht so übel. Ringo, das Islandpferd, erobert Maxis Herz im Sturm. Und dann ist da noch Vic, dessen strahlend blaue Augen eine ganz besondere Wirkung auf sie haben ...

Für Hannah & Darri

Überraschung ...!

»Nicht nur angesehen hat er mich, er hat mich angelächelt! Ich schwöre!« Maxi sprang aus der Straßenbahn, ihr Handy fest an das unter ihrer gehäkelten Lieblingsmütze – ein Beutestück von Tante Delias letztem London-Streifzug – versteckte Ohr gepresst. »Lara, bist du noch da? Noch ein solcher Blick und ich quatsche ihn an, was meinst du, vielleicht nach der nächsten Bandprobe?« Sie wartete die Antwort nicht ab, sondern ließ einen abgrundtiefen Schnaufer folgen, Marke megagenervt. »Mir fällt gerade ein, vor den Ferien ist ja gar keine Probe mehr, dafür dieser saublöde Mathetest! Was ist mit dem Typen eigentlich los, glaubt der, wir haben nichts anderes zu tun?« Maxi bremste abrupt vor einem Schaufenster und die ältere Dame, an der sie sich eben erst vorbeigedrängt hatte und die nun gezwungen war, auszuweichen, warf ihr einen missbilligenden Blick zu. Der war allerdings an Maxi verschwendet. Hundert Prozent ihrer Wahrnehmungsfähigkeit waren auf das schwarze, spitz zulaufende Objekt ihrer Begierde mit dem Vier-Zentimeter-Absatz konzentriert. »Meine Cowboystiefel sind endlich herabgesetzt!«, jubelte sie ins Telefon und erntete damit noch mehr missbilligende Blicke von anderen Passanten. »Heute muss echt mein Glückstag sein! Apropos Glückstag, da fällt mir ein, meine Eltern haben was von einer Überraschung gesagt, die sie für mich haben, und ich hoffe und bete, dass sie mir endlich das neue Handy gekauft haben! Ich meine, die Auflösung, die meine Kamera hat, ist echt eine Katastrophe! Und null Speicherplatz! Oder meine Mutter hat mitgekriegt, dass ich ohne diese Cowboystiefel nicht mehr leben kann, allerdings ... hey, Mama!« Maxi winkte ihrer Mutter, die gerade eingeparkt hatte und nun aus ihrem kleinen Cityflitzer stieg. »Ich muss Schluss machen, Lara. Ich ruf dich später noch mal an, o. k.?« Maxi steckte ihr Handy ein und lief auf ihre Mutter zu, die offenbar gerade die Wochenendeinkäufe gemacht hatte.

»War das Lara?«, fragte Stella Klauser und drückte ihrer Tochter einen vollgepackten Einkaufskorb in die Hand.

»Ja«, antwortete Maxi. »Und übrigens ist das Kinderarbeit!«

»Ach nein! Und ich dachte, du wärst dreizehn und somit erwachsen! Jedenfalls beabsichtige ich, deine jugendliche Energie hemmungslos auszubeuten.« Stella grinste, klemmte Maxi noch einen Zehnerpack Toilettenpapier unter den Arm und beugte sich ins Auto, um einen Karton herauszuhieven, der nach Maxis Einschätzung etwa das halbe Kühlregal des Supermarkts enthielt. »War Lara heute nicht in der Schule?«, fragte Stella ihre Tochter.

»Wieso? Klar war sie da.«

Maxis Mutter hängte ihre Handtasche um, schob sich den Laptop-Bag unter den Arm, hob den Karton hoch und schlug mit einem genau dosierten Tritt ihre Autotür zu. »Und was gibt es dann fünfzehn Minuten, nachdem ihr euch getrennt habt, schon wieder so Wichtiges zu besprechen?«

Maxi verdrehte die Augen erneut, wandte sich ab und ging die paar Schritte zur Haustür voraus. »Ach, was die jungen Leute eben untereinander so reden«, meinte sie. »Komm endlich, Klopapier steht mir nämlich nicht!«

Maxi lehnte sich mit dem Rücken gegen die Haustür, drückte sie auf und ließ ihre schwer beladene Mutter zuerst durchgehen.

»Maxi, ich sag es dir nur ungern, aber der Großteil der Menschheit benutzt Klopapier. Womit putzt Brad seinen Pitt-Popo? Mit Klopapier! Womit pflegt Britney ihren Pop-Popo? Mit Klopapier!«

Frau Wagner, die im ersten Stock wohnte, kam ihnen auf der Treppe entgegen. Der Blick, den sie Stella zuwarf, hätte beim Anblick der Landung von Aliens auf ihrem Balkon auch nicht argwöhnischer ausfallen können.

»Mama, du bist peinlich!«, zischte Maxi.

Aber ihre Mutter war gerade ganz wunderbar in Fahrt. »Womit poliert Victoria ihren Posh-Popo?«, fragte sie und schenkte der Nachbarin, die versuchte, sich ohne Feindberührung an den beiden Klausers und ihren Einkäufen vorbeizudrücken, ein strahlendes Lächeln. »Mit Klopapier!«

Maxi seufzte abgrundtief. Warum war sie bloß die Einzige in der Familie mit einem gewissen Stilgefühl? Wahrscheinlich lag es daran, dass ihre Eltern in der Werbebranche arbeiteten – das überstand vermutlich keiner unbeschadet.

»Dein Job verdirbt dich«, erklärte Maxi ihrer Mutter.

»Mein Job kauft dir möglicherweise diese albernen Cowboystiefel, die seit heute verbilligt sind. Vorausgesetzt, du sperrst ganz schnell die Wohnungstür auf.«

Maxi ließ einen Freudenschrei los. »Ich liebe dich, du bist die beste Mutter der Welt!«, rief sie und brachte mit einem dicken Kuss auf die Wange ihrer Mutter das labile Laptop-Fresskarton-Handtaschen-Gleichgewicht in Gefahr.

»Obwohl ich so was Peinliches wie Klopapier verwende?«, fragte Stella, doch das hörte Maxi schon gar nicht mehr.

Sie sperrte die Tür auf und ließ die Umhängetasche mit ihren Schulsachen und das Klopapier zwei Zentimeter hinter der Schwelle fallen. Den Einkaufskorb setzte sie etwas vorsichtiger ab, um sich nicht so knapp vor der Cowboystiefel-Ziellinie den Unmut ihrer Mutter zuzuziehen. Dann zückte sie ihr Handy, wählte Laras Kurzwahl und während sie noch ihre Sneakers abstreifte, unter den Vorzimmerschrank kickte und die Häkelmütze von ihrer blonden Lockenmähne zog, sprudelte sie schon los. »Guess what, Lara, ich krieg meine Stiefel!«

»Dann hast du also noch nichts gesagt?«, fragte Nick Klauser seine Frau und ordnete zügig Joghurts, Milch- und Saftkartons ein. Der Kühlschrank war sein Revier, keiner konnte so schichten wie er.

»Nein, ich hab gedacht, wir sagen es ihr zusammen«, antwortete Stella und begann, angelegentlich mit dem Gemüsemesser eine Zucchini zu bearbeiten.

»Feigling«, grinste Nick.

»Was sagt ihr mir gemeinsam und warum ist Mama ein Feigling?« Maxis Gespräch mit Lara war ausnahmsweise kurz ausgefallen, weil ihre Freundin schon beim Mittagessen saß. Sie war ins Wohnzimmer gekommen, um nach ihrer Instant-Star-CD Ausschau zu halten, und hatte das Gespräch in der offenen Küche mitgehört. Jetzt schwang sie sich auf einen der Barhocker und blickte über die Theke ihre Eltern erwartungsvoll an. »Naaaaaaaaaa?«

Stella und Nick wechselten einen schnellen Blick. »Ich dachte eigentlich, dass wir nach dem Essen in Ruhe darüber ...«

»Ich weiß schon, worum es geht«, unterbrach Maxi fröhlich. »Die Überraschung, stimmt’s? Also macht euch keine Gedanken, wenn das Handy gerade nicht lieferbar ist, dann warte ich eben noch ein paar Tage. Oder Wochen.«

Nick Klauser zog die Augenbrauen hoch, Stella ließ einen Augenblick von der Zucchini ab und sah ihre Tochter verwirrt an.

»Oder Monate ...?«, fragte Maxi, schon deutlich weniger fröhlich.

»Du meinst das Vierhundert-Euro-Handy aus dem Prospekt, den du dreimal hintereinander ganz unabsichtlich auf meinem Schreibtisch vergessen hast?«

Na endlich, dachte Maxi und nickte enthusiastisch. Ein Glück, dass ihre Mutter empfänglich für so dezente Signale war.

»Aber dein Handy funktioniert doch tadellos!«, schaltete ihr Vater sich ein.

»Deine alte Schreibmaschine funktioniert auch noch!«, gab Maxi zurück. »Trotzdem arbeitest du lieber auf dem coolen Apple!« Als ob es bei einem Handy nur darauf ankam, dass es funktionierte! Musste man den beiden denn wirklich alles erklären?

»Also ein Vierhundert-Euro-Handy ist momentan sicher nicht drin«, erklärte Nick, »weil wir ...« Er holte tief Luft. » ... weil wir nämlich ein paar größere Ausgaben haben werden.« Er warf seiner Frau einen Ich-hab-den-Anfang-gemacht-jetzt-bist-du-dran-Blick zu, den sie mit einem Na-klar-das-dicke-Ende-bleibt-wieder-an-mir-hängen-Blick erwiderte.

Maxi sah von einem zum anderen. »Größere Ausgaben? Was denn? Kriegen wir ein neues Auto?«

»Nein«, sagte Stella und holte tief Luft. »Wir kriegen ein neues ... Haus.«

»Ein neues Haus?« Maxi schaute verständnislos von einem zum anderen. »Was soll denn das heißen?«

»Das soll heißen, dass wir umziehen werden, Maximaus«, erklärte ihr Vater.

»Aber ihr habt doch immer gesagt, die Häuser in der Stadt sind viel zu teuer!«

»Sind sie auch«, antwortete Nick. »Darum ziehen wir auch in ein Haus auf dem Land!«

»Land?«, fragte Maxi fassungslos. »Du meinst sicher ›Land‹ wie ›Stadtrand‹!«

»Nein«, erklärte ihre Mutter unerwartet fest. »Wir meinen Land wie neunzig Kilometer südlich von hier. Land wie frische Luft und Wald und Wiese und Vogelgezwitscher.«

Mit jedem Wort, das ihre Mutter sagte, zeichnete sich das Entsetzen in Maxis Gesicht deutlicher ab. Das konnte doch nur, nein das musste ein böser Scherz sein! So etwas würden ihre Eltern nicht wirklich planen! Aber noch bevor sie etwas erwidern konnte, hatte ihr Vater den Faden aufgenommen und fuhr fort:

»Wir haben beschlossen, bei Linnart Creative aufzuhören, Maximaus. Wir wollen uns als Kreativteam selbstständig machen. Und damit haben wir die Freiheit, aus der Stadt wegzuziehen. Wenn alles klappt, werden wir ein paar Agenturkunden mitnehmen und da draußen hoffentlich noch viele dazugewinnen – vor allem im Tourismusbereich: Wellnesshotels und so.«

»Aber ...«, warf Maxi mit einer Spur von Hoffnung in der Stimme ein, » ... das dauert doch sicher ewig, bis man so ein Haus findet ... und bis dahin ...«

»Wir haben schon ein Haus gefunden«, unterbrach ihre Mutter sie. »Wir haben ja selbst nicht damit gerechnet, dass es so schnell geht, aber das Haus war wirklich ein absoluter Glücksfall, da mussten wir einfach zuschlagen!«

Dieser sogenannte Glücksfall bewirkte in Maxis Magen eine ähnliche Reaktion wie Linsensuppe: akuten Brechreiz.

»Das heißt ... ihr habt euch schon entschieden? Ohne mich zu fragen?«

Stella ging um die Theke herum auf ihre Tochter zu und legte den Arm um sie. »Schatz, es ist total schnell gegangen, wir mussten uns sofort entscheiden. Und du wirst sehen, es wird dir gefallen, es ist ganz toll dort, zu dem Haus gehört ein riesiger Garten und ein Stall und ...«

»Ein Stall?« Maxi stiegen Tränen der Wut in die Augen, sie riss sich von ihrer Mutter los und stampfte mit dem Fuß auf. »Was soll ich mit einem verdammten Stall? Ich muss weg aus der Stadt, weg von meinen Freunden, meiner Schule, noch dazu mitten im Schuljahr! Und mein Trost ist, dass es dort einen Stall gibt?«

»Maximaus ...«, versuchte ihr Vater sie zu beruhigen, doch Maxi schnitt ihm wütend das Wort ab. »Wann haben wir aufgehört, über alles abzustimmen, was in dieser Familie passiert? Wir stimmen ab, wohin wir in den Ferien fahren und was für ein Auto wir kaufen, wir stimmen sogar darüber ab, welche Nudeln wir zum Abendessen kochen – und wenn’s darum geht, wo wir wohnen ...«

»Wir haben abgestimmt, Maxi. Dein Vater und ich wollen das beide. Wir wollten immer aus der Stadt weg, das weißt du.«

Ja, natürlich wusste Maxi das. Aber es war nie mehr als eine vage Idee gewesen, einer dieser Pläne, die man ab und zu beim Abendessen erwähnt, die aber nie in die Tat umgesetzt werden. Sie hatte keine Sekunde ernsthaft damit gerechnet, dass das wirklich passieren würde.

Maxis Lippen zitterten. »Ihr könnt von mir aus machen, was ihr wollt«, sagte sie mit Mühe, während ihr die ersten Tränen über die Wangen liefen. »Aber ohne mich! Ich bleibe hier!« Damit drehte sie sich um und stampfte aus dem Zimmer.

»Lass sie erst mal, sie wird sich schon wieder beruhigen«, hörte sie noch die Stimme ihres Vaters.

»Werd ich nicht!«, brüllte Maxi zurück in Richtung Küche und knallte gleich darauf ihre Zimmertür hinter sich zu. Mit zitternden Fingern holte sie ihr Handy aus der Hosentasche und wählte erneut Laras Nummer: »Lara?«, schluchzte sie. »Kann ich zu dir ziehen?«

Als etwas später Stella Klauser an die Tür ihrer Tochter klopfte, bekam sie keine Antwort. Vorsichtig drückte sie die Klinke herunter und warf einen Blick in Maxis Zimmer. Zerwühltes Bett, unordentlicher Schreibtisch, chaotische Kuschelecke. Keine Maxi. In der Mitte des gelben Teppichs mit den bunten Strichmännchen saß Maxis Riesenteddybär, um den Hals ein Stück Schnur, an dem ein Zettel befestigt war. »ICH SCHLAFE BEI LARA«, stand da in fetten roten Buchstaben, und darunter, etwas kleiner: »Und zwar bis ihr zur Vernunft kommt.«

Maxi würde es ihren Eltern nicht leicht machen, so viel stand fest.

»Schau nur, das Wetter wird doch noch schön!« »Ist doch super hier draußen, oder?« »Und im Sommer erst, dann wirst du so froh sein, dass wir in Wieselberg wohnen ...!«

Maxi würdigte die Versuche ihrer Eltern, zu ihr Kontakt aufzunehmen, keiner Antwort. Sie saß auf der Rückbank der Trude, mit verschränkten Armen und verkniffenem Mund, und schmollte. Die Original-Trude, vulgo Regentrude, war kurz vor Maxis Geburt angeschafft worden und das erste Auto ihrer Eltern gewesen, das kein Cabrio war. Die aktuelle Trude war bereits Trude 3, aber der Name hatte sich gehalten. Maxi hatte ihr Fenster einen klitzekleinen Spalt geöffnet und war der Trude dankbar für das laute Vibrationsgeräusch, das sie dadurch erzeugte. So konnte sie die unternehmungslustige Stimmung ihrer Eltern besser ausblenden. Außerdem erfüllte es sie mit einer gewissen Genugtuung, dass ihr Vater kein Wort wegen des Fensters sagte – solche Geräusche machten ihn nämlich normalerweise vollkommen verrückt. Aber offenbar hatten beide ein zu schlechtes Gewissen ihr gegenüber, um deswegen den Mund aufzumachen. Und zwar vollkommen zu Recht, fand Maxi.

Nicht nur, dass sie sie heute Morgen gegen ihren Willen von Lara abgeholt hatten, sie schienen auch Margit und Alexander, Laras Eltern, irgendwie bequatscht zu haben, denn die beiden machten einen richtig erleichterten Eindruck, als Maxi sich verabschiedete. Und das machte ja wohl keinen Sinn, wo ihnen doch gerade die Chance auf eine wunderbare Ziehtochter entglitten war! Wo Maxi ihnen schon genau erklärt hatte, wie man die Wohnung umbauen musste, damit sie ihr eigenes Zimmer bekam, mit Verbindungstür zu dem von Lara! Es war alles schon bis ins kleinste Detail geplant gewesen. Sie und Lara hatten bis drei Uhr früh herumgetüftelt, was Margit zweimal veranlasst hatte, nachtgespenstartig in Laras Zimmer aufzutauchen, weil sie nicht schlafen konnte. Beim zweiten Mal hatte sie ein klitzekleines bisschen unentspannt gewirkt.

Maxi gähnte. Nun schien es nicht nur, als würde aus ihren Plänen, zu Lara zu ziehen, nichts werden, sie musste auch einen ganzen Samstag damit verbringen, aufs Land zu fahren und sich ihr zukünftiges »Zuhause« anzusehen.

Dabei hatte sie schon vor Tagen mit Lara und den Mädels für heute eine Shoppingtour verabredet. Nun gab es also kein gemeinschaftliches Stürmen von Umkleidekabinen, kein Make-up-Testen in der Kosmetikabteilung, keinen gemütlichen Chai Latte in ihrem neuen Lieblingscafé am Anfang der Fußgängerzone.

Dieses neue Haus verdarb ihr schon jetzt den Spaß am Leben – und sie wohnte noch nicht mal dort!

Maxi sah sich um. Wiese. Feld. Wald. Bauernhof. Wiese. Die Shoppingmöglichkeiten hier draußen erschöpften sich wohl darin, beim nächsten Bauern kuhwarme Milch zu holen. Maxi verzog angesichts der Vorstellung angewidert das Gesicht.

Ihre Mutter schien ihre Gedanken gelesen zu haben. »Wir kommen nicht allzu spät zurück«, meinte sie. »Es bleibt bestimmt noch Zeit, die Cowboystiefel zu besorgen!«

Nick nahm für einen Moment den Blick von der Straße und warf Stella mit hochgehobenen Augenbrauen einen Du-bestichst-sie-mit-Schuhen-Blick zu, den sie mit einem giftigen Nur-zu-wenn-dir-was-Besseres-einfällt-Blick beantwortete.

Maxi starrte konzentriert zum Fenster hinaus, um das kleine Grinsen zu verstecken, das sich gegen ihren Willen in ihr Gesicht schlich. Doch dann fiel ihr die kurze Unterhaltung zwischen Margit und ihrer Mutter wieder ein und das Grinsen verschwand so schnell, wie es gekommen war.

Margit: »Wann wollt ihr denn übersiedeln?«

Stella: »Gleich während der Osterferien. Das Haus gehört ab dem Ersten uns.«

Margit: »Verstehe. Da habt ihr sicher einiges an Ausgaben. Und dazu noch die teure Miete ...«

Stella: »Genau. Darum können wir nicht bis zum Sommer warten. Wäre natürlich leichter gewesen, wegen der Schule ...«

Margit: »Wer weiß, vielleicht ist es sogar besser so. Kurz und schmerzlos.«

Stella: »So eine Chance kommt nicht so oft. Es ist unser Traumhaus.«

Margit: »Dann war das sicher richtig. Mach dir nicht zu viele Gedanken. Die Mädchen können ja chatten, e-mailen und telefonieren. Und Maxi kann uns jederzeit besuchen.«

Stella: »Lara ist natürlich auch immer willkommen! Es muss sich nichts ändern zwischen den beiden.«

Bla. Bla. Bla. Alles würde sich ändern. Noch zwei Wochen bis zu den Ferien und dann würde nichts mehr so sein wie früher. Gerade jetzt musste das passieren! Gerade jetzt, wo Tino sie endlich bemerkt hatte! Neulich, als sie mit Lara vom Cheerleader-Training gekommen war, hatte er ihr nachgeschaut, und als Lara und sie während der Bandprobe im Turnsaal die Deko für das Schulfest durchgecheckt hatten, da hatte er in ihre Richtung gesungen, jede Wette. Und gestern noch dieser Blick, den er ihr zugeworfen hatte, so ein suchender Blick und dann ein richtig süßes Lächeln ... kein Wunder, er war ja auch der süßeste Junge der Schule. Und wenn er sang und Gitarre spielte und ihm dabei die dunkelblonden Haare ins Gesicht fielen ...

Mist, verdammter! In drei Wochen würde sie in diesem Dorf am Ende der Welt sitzen. Keine Lara, kein Cheerleading, keine Schulband, kein Tino. Wie Heidi in ihrer Berghütte würde sie dort draußen versauern. Nur, dass die besser dran war: Die hatte wenigstens den Geißenpeter.

Maxi seufzte abgrundtief, kramte die Earplugs ihres iPod aus der Jackentasche und ließ sich von Rihanna einlullen.

»Maximaus, wir sind da!«

Maxi fuhr hoch und schlug sich den Kopf an der Scheibe an. »Das fängt ja gut an«, knurrte sie und rieb sich die lädierte Stelle. Sie warf einen misstrauischen Blick durch das Autofenster. Sie hatten an der Schmalseite des Hauses geparkt. Es schien ziemlich groß zu sein, einstöckig, unten weiß getüncht, oben dunkles Holz. Kleine, grün gestrichene Fenster, vor denen im Sommer sicher Blumenkästen hingen. Ein paar Stufen führten zu einer Terrasse, von der aus man den großen, halb verwilderten Garten überblicken konnte. Krokusse und der erste Löwenzahn leuchteten aus dem jungen Gras. Überall Büsche und Bäume, unmittelbare Nachbarn waren nicht zu sehen. Kein Wunder, dass ihre Eltern darauf abgefahren waren. Es war genau die Art Haus, bei der sie auf viel zu langen Spaziergängen, zu denen sie Maxi viel zu oft mitgeschleift hatten, in viel zu heftiges Entzücken ausgebrochen waren.

Ihre Mutter stand vor dem Haus wie ein kleines Mädchen vor dem funkelnden Weihnachtsbaum und strahlte. Beinahe spürte Maxi so was wie den Anflug eines schlechten Gewissens, dass sie ihren Eltern die Freude an diesem Abenteuer verdarb. Immerhin war es für sie offenbar die Erfüllung eines Traums.

Blöderweise ist es für mich ein Albtraum, dachte sie gleich darauf, und damit war das mit dem schlechten Gewissen wieder erledigt. Missmutig stakste sie hinter ihrer Mutter her, die ein paar Schritte in die Wiese gegangen war, um aus etwas Entfernung Terrasse und Haus anzuhimmeln. Es war kühl für Ende März und sie steckte fröstelnd die Hände in die Taschen ihrer neuen Jacke – samtig, kuschelig und vor allem: naturweiß, ihre neue Lieblingsfarbe. Ihre Mutter hatte zwar rumgemotzt, das sei soooo unpraktisch und ob sie nicht lieber was Olivgrünes wollte? Gerade eben war sie doch auf Olivgrün noch total versessen gewesen.

Wie sollte man seiner Mutter erklären, dass Naturweiß sozusagen das Olivgrün dieser Saison war und Olivgrün dafür aber so was von vorbei! Sie hatte Stella die letzten drei Ausgaben von Bravo Girl vorgelegt. Darin konnte man Kate Moss, Mischa Barton und noch ein paar andere It-Girls in weißen, kuscheligen Jacken sehen. »Alles klar«, hatte ihre Mutter gemeint und dabei nur minimal die Augen verdreht. Und am nächsten Tag hatte Maxi die neue Jacke.

»Ah, da sind ja die Herrschaften!« Ein stämmiger, grauhaariger Mann in verwaschener, blauer Arbeitskleidung stand plötzlich vor ihnen und grinste breit.

»Herr Köberl!« Stella lief auf den Mann zu und schüttelte ihm die Hand. »Schön, dass Sie gerade da sind!«

Nick und der Grauhaarige tauschten einen dieser männlichen Händedrucke, bei denen man einander stumm und ernst ins Auge blickte. Pathetisch, dachte Maxi. Sind wir in Wieselberg oder im Wilden Westen?

»Wir haben unsere Tochter mitgebracht, damit sie das Haus kennenlernt.« Stella streckte eine Hand nach Maxi aus, die sich zögernd näherte, und zog sie zu sich. »Meine Tochter Maxi. Das ist Herr Köberl, der uns das Haus verkauft hat. Er kümmert sich um ...« Sie brach ab, zwinkerte Herrn Köberl verschwörerisch zu und fuhr fort: »Am besten, wir reden nicht lange, sondern ich zeige ihr gleich, worum sie sich kümmern, in Ordnung?«

Herrn Köberls Grinsen wurde noch ein Stückchen breiter. Er erwiderte das Zwinkern mit einem vielsagenden Heben der Augenbrauen, ging einen Schritt zur Seite und machte den Weg frei. Während Nick Klauser offenbar noch wichtige und ernsthafte Dinge mit dem Vorbesitzer des Hauses zu besprechen hatte, ging Stella an der Hausmauer entlang über den Kiesweg voraus. Unauffällig wischte Maxi die Hand, mit der sie die von Herrn Köberl geschüttelt hatte, an ihren Jeans ab, bevor sie sie wieder in die Tasche ihrer weißen Flauschjacke steckte.

Hatten sie das Haus zunächst vom Garten aus betrachtet, gingen sie nun an der innen liegenden Hofseite den längeren Schenkel des »L« entlang. Der kürzere L-Teil war der viel gerühmte Stall. Die große, eingezäunte Wiese vis-à-vis vom Hauseingang schien eine Art Weide oder Koppel zu sein. Dahinter war ein ebenfalls umzäuntes, sandbestreutes Viereck. Maxi verspürte plötzlich so was wie eine düstere Vorahnung, gepaart mit einem deutlichen Fluchtreflex. Aber für eine Flucht war es eindeutig zu spät. Ihre Mutter nahm sie an der Hand und zog sie durch die offen stehende, schwere Holzschiebetür ins Halbdunkel des Stalls. Ihre Vorahnung bestätigte sich.

»Was sagst du, Maxi?«, fragte ihre Mutter mit vor Begeisterung bebender Stimme. »Du wirst dein eigenes Pferd haben!«

»Das ist ein Pferd?« Ehrlich verblüfft betrachtete Maxi das struppige, schmutzig braune Tier, das in der mittleren Box stand. »Ich hab schon größere Hunde gesehen!«

Stella warf ihr einen strafenden Blick zu. »Das ist ein Isländer!« Sie schob den großen metallenen Riegel zur Seite, ging in die Box und streichelte den Hals des angeblichen Pferdes. »Stimmt’s, Ringo?«, fragte sie schmeichelnd. »Ein schöner, großer, prächtiger Isländer bist du, hab ich recht, mein Süßer? Hab ich recht, mein Schöner?«

»Mama, wenn du recht hast und das ist tatsächlich ein Pferd, dann wird es dir nicht antworten, weil es nämlich nicht sprechen kann.«

»Ach komm, jetzt sei nicht so! Gib schon zu, dass er süß ist!« Als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan, hakte Stella einen an der Holzwand hängenden Führstrick in das Halfter des struppigen kleinen Pferdes ein. Dann führte sie es vor die Box, sodass Maxi es besser begutachten konnte. Das Fell schien ungleichmäßig gefärbt zu sein, teils beige, teils braun. Der schmutzige Einschlag stellte sich auf den zweiten Blick nicht als farbliche Eigenheit, sondern tatsächlich als Schmutz heraus, genauer gesagt: als getrockneter Schlamm.

»Er wälzt sich gern«, erklärte Stella, die wieder einmal Maxis Gedanken erraten zu haben schien. Unter den langen, borstigen Stirnfransen schauten zwei glänzende, dunkle Augen in Maxis Richtung.

»Ja, klar ist er süß, irgendwie«, sagte Maxi.

»Na eben.« Stella streichelte die Nüstern des Pferdes.

»Wenn man übergroße Wildschweine mit Hippiefrisur mag«, fuhr Maxi fort.

Ihre Mutter schien den letzten Satz nicht gehört zu haben. »Ringo ist sein Rufname, nach Ringo Starr. Die Tochter von Herrn Köberl ist Beatles-Fan.« Stella strich liebevoll Ringos Stirnhaare links und rechts zur Seite. »Aber als Isländer hat er natürlich auch einen isländischen Zuchtnamen«, fügte sie stolz hinzu. »Eigentlich heißt er Darri, das bedeutet ›Speer‹ auf Isländisch!«

»Ach«, meinte Maxi naserümpfend, »und was bedeutet ›Schmutzfänger‹ auf Isländisch?«

Stella kam nicht mehr dazu, das kleine Pferd in Schutz zu nehmen, denn Ringo hatte offenbar selbst beschlossen, dass es ihm reichte. Er wandte Maxi unmissverständlich sein Hinterteil zu und schlug mit dem Schweif, als wollte er eine lästige Fliege verscheuchen. Maxi quietschte auf und wich zurück, aber zu spät: Ringos Schweif hatte bereits eine deutliche Spur auf ihrer weißen Jacke hinterlassen und ihre Nase ließ keinen Zweifel daran, welchen Ursprungs die bräunliche Färbung war. »Scheiße!«, rief sie, ging noch zwei Schritte zurück, bis sie mit dem Rücken an die zweite Box gelehnt stand, und blickte entsetzt an sich herab.

»In der Tat«, antwortete ihre Mutter gelassen, und Maxi konnte deutlich sehen, dass sie in dieser Sache für das Pferd Partei ergriffen hatte.

»Ich hab die Jacke gerade erst zweimal angehabt!«, heulte Maxi los. »Und ich ... aua!!« Etwas hatte ihr von hinten einen festen Stups gegeben. Sie wandte sich erschrocken um und stand Aug in Aug mit einem schwarz-weiß gefleckten Ziegenbock, der seine Vorderbeine gegen die Tür der zweiten Box gestemmt hatte. Der Knuff war offenbar mit den zwei geschwungenen Hörnern auf seiner Stirn erfolgt. Erschrocken wich Maxi wieder in die andere Richtung zurück. Großer Irrtum, denn dort stand immer noch Ringo, der neuerlich mit dem Schweif schlug. Maxi schrie wieder auf und sah über ihre Schulter. Jetzt passte die Rückseite ihrer Jacke farblich zur Vorderseite. Sie kniff den Mund zusammen, um nicht vor Wut loszuheulen, und ging auf Sicherheitsabstand zu beiden Tieren.

»Ja, und das hier ist Rambo. Warum er so heißt, hast du ja gerade gemerkt. Er und Ringo sind Kumpels.«

In diesem Moment kam Nick durch die Tür, musterte sie amüsiert und meinte: »Mein Kind hat Kacke auf der Jacke!«

Maxi starrte ihren Vater einen Moment lang an und stampfte dann wortlos an ihm vorbei, die Mauer entlang zurück zur Vorderseite des Hauses. Sie setzte sich ins Auto, schlug die Tür hinter sich zu und heulte los.

Zwei Minuten später kam Stella nach, setzte sich auf den Fahrersitz und starrte wortlos durch die Windschutzscheibe in den verwilderten Garten, bis Maxi sich beruhigt hatte. Schließlich kamen nur noch vereinzelte Schniefer.

»Kannst du nicht versuchen, die guten Seiten zu sehen?«, fragte Stella schließlich. »Nicht jede Veränderung muss zwangsläufig schlecht sein, oder?«

»Nein, nicht jede.« Maxi verschränkte die Arme vor der Brust.

»Schau, Maximaus, es wird auf jeden Fall passieren, das kannst du nicht mehr ändern. Und du hast hier vieles, worum dich eine Menge Mädchen beneiden würden ...«

»Ja, alle Dreizehnjährigen, die ich kenne, stehen unheimlich auf Dreck und einsame Bauernhöfe.«

»Das Dorf ist nicht so klein, wie du denkst. Es gibt eine Menge Kids in deinem Alter. Und du hast dein eigenes Pferd!«

»Was soll ich denn mit einem Pferd? Ich kann ja noch nicht mal reiten!«

»Du kannst es lernen.« Stella hatte offensichtlich an alles gedacht. »Carolin, das Mädchen, das bisher auf Ringo geritten ist, kann dir Stunden geben. Ich hab schon mit ihr gesprochen. Dafür darf sie ihn sich weiterhin ausborgen. Na, was sagst du?«

Maxi sah ihre Mutter an. Was war nur plötzlich mit der Frau los? Mit wem verwechselte sie sie? Sie kannte sie seit ihrer Geburt. Sie wusste, dass Maxi ein Jazzdance-Cheerleading-Karaoke-Girl war und nicht eines dieser Wald- und Wiesenhühner, die den lieben langen Tag in Gummistiefeln und Dirndlkleidern umherstreiften und Kälbchen kraulten. Wahrscheinlich war es dieser verdammte Job. Kein Wunder, wenn ein Mensch, der ständig Werbesprüche für Romantikhotels erfinden musste, irgendwie den Draht zur Realität verlor!

»Ich habe mir als Kind immer ein Pferd gewünscht«, fuhr ihre Mutter fort. »Aber mitten in der Stadt ging das nicht, außerdem hätten wir es uns nicht leisten können. Ich fand den Gedanken so schön, dass du jetzt ein Pferd haben wirst!«

»Aber ich bin nicht du!«, platzte es aus Maxi heraus. »Ich wünsch mir ganz andere Sachen!«

»Ja«, meinte Stella traurig. »Ein Vierhundert-Euro-Handy zum Beispiel. Und das ist einer der Gründe, warum diese Veränderung dir sicher guttun wird.« Und damit stieg sie aus dem Auto und verschwand im Haus.

»Das ist so unfair!«, hätte Maxi am liebsten gebrüllt. Aber sie ließ es bleiben. Sie kannte ihre Mutter gut genug, um zu wissen, wann Sturheit sinnvoll war und wann sie absolut nichts brachte. Ihre Eltern wollten unbedingt aufs Land ziehen? Na bitte schön! Sollten sie doch! Wahrscheinlich mussten sie es ausprobieren, um zu erkennen, dass dieses Hinterwäldlerdasein nichts für sie war. Und zum Glück hatten sie eine Tochter, die dafür sorgen würde, dass diese Erkenntnis möglichst schnell kam.

Abgestürzt

 

 

»Nur acht von vierzig möglichen Punkten, das ist sogar für dich ein Tiefpunkt.« Herr Lenau hatte Maxi nach der Mathestunde abgefangen. Er stand gegen das Lehrerpult gelehnt und sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Du solltest dir vielleicht doch überlegen, ob du nicht bei einem der Oberstufenschüler Nachhilfe nehmen willst. Ich kann das gern vermitteln.«

»Wir ziehen aufs Land«, antwortet Maxi mit einem Achselzucken. »Wahrscheinlich muss ich in der Dorfschule sowieso nur Äpfel und Birnen zählen.« Und außerdem ist meine Mathenote so ziemlich das Letzte, was mich momentan interessiert, beendete sie den Satz im Kopf.

Herrn Lenaus Augenbrauen veränderten ihre Position und rückten jetzt über seiner Nasenwurzel bedrohlich nahe zusammen. »Der Lehrplan ist im Wesentlichen überall derselbe. Da würde ich mir also keine allzu großen Hoffnungen machen.«

Meine Hoffnungen, was das Kuhdorf angeht, sind bestimmt nicht allzu groß, dachte Maxi und beobachtete fasziniert das Augenbrauenballett auf Herrn Lenaus Stirn. Jetzt hob sich die linke in einem großen erstaunten Bogen, während die rechte ungerührt wartend unten verharrte. »Alles o.k. mit dir?«, fragte der Mathelehrer. »Ist sicher nicht ganz einfach, so eine Umstellung, noch dazu mitten im Schuljahr.« Maxi senkte den Blick und starrte auf die Spitzen ihrer neuen schwarzen Cowboystiefel. Wenn sie jetzt auch nur ein Wort sagte, würde sie losheulen. Sie biss sich auf die Unterlippe.

»Na schön«, seufzte Herr Lenau, »ich werde bei der Zwischenbenotung berücksichtigen, dass du dich gerade in einer Ausnahmesituation befindest. Aber du wirst nicht darum herumkommen, dich irgendwann mit dem Stoff zu beschäftigen. Ich wünsch dir alles Gute.«

»Danke«, murmelte Maxi und ging, ohne den Mathelehrer noch mal anzusehen, aus der Klasse. Sie steuerte auf den Pausenhof zu, auf der Suche nach Lara, und entdeckte sie schließlich hinter dem großen Kastanienbaum. Er wurde von Pärchen gern als Pausentreffpunkt genutzt und deshalb allgemein »Knutsch-Kastanie« genannt. Sie lehnte an der Hofmauer und schien zu simsen oder irgendein Handy-Spiel zu spielen. »Hey! Na, du hast dich ja gut versteckt!« Mit einem ertappten Ausdruck in den Augen fuhr Lara hoch, klappte das Handy zu und ließ es in ihrer Jackentasche verschwinden.

»Was denn? Seit wann haben wir SMS-Geheimnisse voreinander?«

Lara verzog das Gesicht. »Haben wir nicht«, meinte sie, zog die Hand zögernd wieder aus ihrer Tasche und öffnete sie unter Maxis Nase. »Aber wo du ohnehin schon so schlecht drauf bist, wollte ich dir das hier nicht zeigen ...«

»Mein Handy!«, rief Maxi und griff so gierig danach, dass Lara ihre Hand unwillkürlich zurückzog. Das war genau das Handy, das Maxi sich so sehnlich wünschte. Silber und pink, mit der Superkamera und ...