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September 1943: Klaus Deumlings Einheit, das Kampfgeschwader 100 „Wiking“, erhält einen brisanten Auftrag: Italien ist aus dem Krieg ausgeschieden und plant, seine Flotte in Malta an die Alliierten zu übergeben. „Wiking“ erhält den Befehl, den italienischen Verband auf der Überfahrt anzugreifen und seine Schiffe mit neuartigen Fernlenkbomben vom Typ Fritz X zu versenken. Klaus Deumling nimmt als junger Pilot an diesem Einsatz teil, der als spektakulärer Erfolg in die deutsche Militärgeschichte eingeht. Diese Biografie erzählt von Deumlings militärischem Werdegang als Bomberpilot im 2. Weltkrieg. Die im Buch beschriebenen Stationen seines Lebens sind: Die harte Ausbildung zum Kampfpiloten der Luftwaffe Die Übergabe der Fritz X an die Truppe Der aufsehenerregende Angriff auf die italienische Flotte und die Versenkung der Roma Das Chaos der letzten Kriegsmonate Die grauenvolle sowjetische Kriegsgefangenschaft D-Day-Experte Helmut Konrad von Keusgen hat Deumlings Geschichte nach zahllosen Gesprächen und akribischen Recherchen zu Papier gebracht. Seine Hingabe zu den Details und seine präzisen Beschreibungen zeichnen diese Biografie aus. Zahlreiche Originalfotografien und Abbildungen von Dokumenten liefern Ihnen zudem spannende Einblicke in das Leben Deumlings. Dieses vielschichtige Buch eröffnet verschiedene höchst interessante Blickwinkel: den des jungen Deutschen, der sich im Glauben an das Regime mit 17 Jahren freiwillig zur Luftwaffe meldet. Den des eifrigen Bomberpiloten, der den Einsatz der Fernlenkbombe Fritz X von der ersten Stunde an miterlebt. Und schließlich den des desillusionierten Soldaten im Chaos der letzten Kriegsmonate und dann in Kriegsgefangenschaft. Erfahren Sie zudem alles über die verworrene Vorgeschichte des Angriffes auf die Roma als Folge des „Doppelspiels“ der italienischen Führung.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
41 Sekunden bis zum Einschlag
Als Bomberpilot im Kampfgeschwader 100 Wiking mit der geheimen Fernlenkbombe Fritz X
Klaus Deumling
Diese Neuauflage obliegt dem Originaltext mit der alten deutschen Rechtschreibung.
Klaus Deumling 1942 als 18-jähriger Fliegeroffizier und im Jahr 2008 im Alter von 84 Jahren.
Dr. Klaus Deumling, geboren am 4. Februar 1924 in Pohlitz, heute Ortsteil von Bad Köstritz, Kreis Gera/Thüringen.
Bereits 1926 zogen die Eltern, der aus Schlesien stammende Vater und die in Berlin geborene Mutter, mit ihrem einzigen Kind nach Bielefeld, das die eigentliche Heimat des Klaus Deumling wurde. Dort besuchte er ab 1930 die Volksschule und ab 1934 das Ratsgymnasium. Neben Elternhaus und Schule prägten Jungvolk und Hitler-Jugend den jungen Klaus politisch. 1940 absolvierte er in Oerlinghausen bei Bielefeld die beiden Segelflugprüfungen A und B. Danach vertiefte sich sein Wunsch, Pilot der deutschen Luftwaffe zu werden. Anläßlich seines Einberufungsbescheids zum 15. Mai 1941 zum Fliegerausbildungsregiment 22, nach Güstrow, erhielt er mit drei weiteren Klassenkameraden bereits Ostern 1941 sein studierfähiges Abiturzeugnis .
Nach der militärischen Grundausbildung besuchte Klaus Deumling vom 1. Oktober 1941 an die Kriegschule in Berlin-Gatow, ab 1. Oktober 1942 die C-Schule in Fürstenwalde, und ab 15. Februar 1943 die Blindflugschule in Belgrad. Vom 15. April 1943 an war er Angehöriger des in Schwäbisch Hall stationierten Kampfgeschwaders 100, III. Gruppe, 7. Staffel, mit anschließendem Kriegseinsatz bis zum 8. April 1945, geriet am 17. Mai desselben Jahres in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er am 4. Juni 1948 entlassen wurde.
Am 1. August 1948 begann Klaus Deumling eine Berufsausbildung zum Industriekaufmann. Am 9. März 1951 heiratete er Hella Lehmann, die am 15. November 1957 die gemeinsame Tochter Kirsten zur Welt brachte. Seit dem 1. August 1955 war er als selbständiger Kaufmann tätig.
Ab dem Winter-Semester 1985 absolvierte Klaus Deumling für zwei Jahre ein Studium für Geschichte in Bielefeld. 1988 siedelte er nach Göttingen um. Am 12. Februar 1992 bestand er sein Magisterexamen, studierte daraufhin Volkskunde und promovierte am 4. Februar 1999.
Seit 2006 arbeitet Dr. Klaus Deumling ehrenamtlich im Luftfahrt-Museum in Hannover-Laatzen.
Die alte Villa in Pohlitz, in der Klaus Deumling 1924 geboren wurde, im Jahr 2000.
Gewidmet
meiner Erica, meiner Tochter Kirsten und den mit der Roma untergegangenen Soldaten
Ihre Zufriedenheit ist unser Ziel!
Liebe Leser, liebe Leserinnen,
zunächst möchten wir uns herzlich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie dieses Buch erworben haben. Wir sind ein kleines Familienunternehmen aus Duisburg und freuen uns riesig über jeden einzelnen Verkauf!
Mit unserem Label EK-2 Militär möchten wir militärische und militärgeschichtliche Themen sichtbarer machen und Leserinnen und Leser begeistern.
Vor allem aber möchten wir, dass jedes unserer Bücher Ihnen ein einzigartiges und erfreuliches Leseerlebnis bietet. Daher liegt uns Ihre Meinung ganz besonders am Herzen!
Wir freuen uns über Ihr Feedback zu unserem Buch. Haben Sie Anmerkungen? Kritik? Bitte lassen Sie es uns wissen. Ihre Rückmeldung ist wertvoll für uns, damit wir in Zukunft noch bessere Bücher für Sie machen können.
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Jill & Heiko von EK-2 Publishing
Vorwort
Das Kampfgeschwader 100 Wiking vor meiner Zeit
Idealen folgen…
Die militärische Grundausbildung
Ein Jahr Luftkriegschule
C-Schule in Fürstenwalde
Blindflugschule Belgrad
Endlich am Ziel
Verlegung nach Istres
Der 9. September 1943 und seine Vorgeschichte
Verlegung nach Eggebeck
Wieder in Toulouse
Zur II. Gruppe nach Aalborg/Dänemark
Letzte Versetzung und Kriegsende
Kriegsgefangenschaft
Rückkehr ins Leben
Nachtrag
Bildnachweis
Danksagungen
Anhang
Impressum
Vorwort
Seit zwei Jahren bin ich, mit heute 84 Jahren, als ehrenamtlicher Mitarbeiter im Luftfahrt-Museum Hannover-Laatzen tätig. An jedem Samstag stehe ich von 10:00 Uhr bis 17:00 Uhr für Besucherbetreuung und Führungen (dafür gelegentlich auch an anderen Tagen) zur Verfügung. Seit langem schon hatte ich bis dahin mit den Kriegs- und Nachkriegserlebnissen vollkommen abgeschlossen. Doch während meiner Tätigkeit in diesem Museum erschien nun alles, was ich im Lauf der Zeit verdrängt hatte, wieder sehr plastisch vor meinen Augen. Die Ereignisse lebten plötzlich wieder derart vor mir auf, als wären sie gerade erst gestern geschehen. Bisher war ich mit den Erlebnissen immer etwas isoliert geblieben, hatte kaum Interessenten für mündliche Berichte und einen Meinungsaustausch, und so waren die Dinge immer mehr in einem nie ergründbaren Nebel meines Bewußtseins untergegangen – worüber ich mir eigentlich auch niemals Gedanken gemacht hatte. Während meiner Tätigkeit im Luftfahrt-Museum traf ich dann allerdings mit vielen interessierten Menschen zusammen, sah die historischen Flugzeuge und spürte immer mehr, daß die Erinnerung nur verdrängt und keineswegs erloschen war. Während unzähliger Gespräche wurde mir immer klarer, wie groß das Interesse der Museumsbesucher ist, mit einem kompetenten Zeitzeugen zu sprechen. Unter den vielen Menschen, die ich bisher führen und auch begeistern konnte, erlebte ich eines Tages eine für mich ganz besondere Begegnung:
Am 6. Oktober 2007 hatte ich das große Glück, eine höchst interessierte Gruppe führen zu können, die sich aus 28 Personen internationaler Herkunft zusammensetzte und von der ich zunächst gar nicht wußte, wen ich da vor mir hatte. Schon während meiner Führung bemerkte ich, daß der berühmte „Funke“ von und zu dieser Gruppe übergesprungen war, denn ihr Leiter sowie alle Personen standen bald im regen Gespräch mit mir – besonders, als die Gesellschaft auf mehrfaches Hinterfragen detaillierte Einzelheiten über mein Fliegerleben erfahren hatte. Nach Beendigung der Führung spürte ich die bei allen entstandene Begeisterung und ein offensichtlich noch größeres Interesse an der Historie der Luftfahrt.
Der sympathische Leiter dieser Gruppe sagte mir bei der Verabschiedung anerkennend: „Sie sind ein toller Typ…“
„Danke, Sie aber auch“, antwortete ich aufrichtig und aus dem Eindruck, den ich durch das intensive Gespräch mit ihm gewonnen hatte.
Beim Austauschen weiterer Einzelheiten erfuhr ich nun, daß mir der international bekannte D-Day-Experte und Autor etlicher themenbezogener Bücher, Helmut Konrad Freiherr von Keusgen, gegenüberstand. Er hatte für eine Gruppe von 28 D-Day-Interessenten, die speziell zu diesem Anlaß aus vielen Ländern Europas angereist waren, diesen Museumsbesuch im Rahmenprogramm der Feierlichkeiten anläßlich des 10-jährigen Jubiläums des H.E.K.Creativ Verlags arrangiert.
Herr von Keusgen lud mich zu einem wunderbaren Abendessen und einem langen, persönlichen Gespräch auf das Keusgen-Anwesen in Schloß Ricklingen ein, schenkte mir einige seiner brillant erarbeiteten Bücher und regte im Verlauf dieses höchst interessanten Abends an, ob ich nicht vielleicht schriftlich über meine ungewöhnlichen Kriegserlebnisse berichten wollte – besonders über die spektakuläre Versenkung des italienischen Flaggschiffs des Admirals Bergamini, der Roma. Hiermit stieß er in mir unvermittelt eine Tür auf, von der ich glaubte, daß sie für mich gar nicht mehr existierte. Ich dachte dann einige Zeit über die Herausforderung nach, meine Erlebnisse von 1941 bis 1948 in Form einer Autobiographie niederzuschreiben, und kam zu einem positiven Entschluß. So möchte ich dem interessierten Leser nun nachfolgend meine gesamte militärische Laufbahn und die Wechselbäder von Erfolgen, mit euphorischer Begeisterung einerseits und maßloser Enttäuschung sowie Niedergeschlagenheit andererseits, darstellen.
Anläßlich der Entstehung dieses Buches bekam ich dann mehrfach Gelegenheit, festzustellen, daß es eine wahre Freude ist, mit Herrn von Keusgen als äußerst professionellem Schriftsteller und Kenner vieler spezifischer historischer Ereignisse zusammenzuarbeiten und möchte mich hiermit ganz nachdrücklich bei ihm bedanken!
Im Luftfahrt-Museum in Hannover-Laatzen noch einmal in die Vergangenheit zurückgekehrt… Mit diesem Flugzeugtypen, einer FW 44 (Focke Wulf) Stieglitz, hatte ich im Dezember 1941 meinen ersten Alleinflug absolviert.
Idealen folgen…
Als ich im Herbst 1940 im Ratsgymnasium in Bielefeld im Alter von 16 Jahren die Schulbank drückte, faszinierten mich die Erfolge unserer Luftwaffe in der Schlacht um England. Täglich gingen neue Nachrichten über die bekannten Jagdflieger-Idole Galland und Mölders und ständig neuer Fliegerhelden ein. Adolf Galland und Werner Mölders waren im Herbst 1940 die ersten beiden Jagdflieger-Asse, die während der Luftschlacht um England durch überragende Abschußzahlen auf sich aufmerksam machten und als erste Piloten das Ritterkreuz erhielten. Die Erfolge der beiden Jagdflieger hielten an, und ihnen wurde in relativ kurzen Abständen das Eichenlaub zum Ritterkreuz, das Eichenlaub mit Schwertern, dann das Eichenlaub mit Schwertern und Brillanten verliehen. Was mich aber noch mehr in seinen Bann zog, waren die im Verband fliegenden Bomber, die gegen England flogen – was immer wieder in den Wochenschauen der Kinos vorgeführt wurde. Man zeigte uns auch sehr häufig Aufnahmen, wie die Besatzungen in den Flugzeugen arbeiteten und wie die Piloten ihre Maschinen steuerten. Alles das ergriff mich als jungen Menschen dermaßen, daß in mir der geradezu unbändige Wunsch reifte, auch einmal einen solchen Bomber fliegen zu können.
Im weiteren Verlauf des Krieges mit seinen immer neuen deutschen Erfolgen wurde bei mir aus dem Wunsch eine Vision. In den Bielefelder Tageszeitungen erschienen nun wiederholt Anzeigen, in denen Bewerber für die aktive Offizierslaufbahn und Pilotenausbildung bei der Luftwaffe gesucht wurden. Hier wollte ich mich schnellstens bewerben, benötigte dazu aber die Genehmigung meiner Eltern. Doch die konnten sich nur sehr schwer mit dem Gedanken abfinden, ihr einziges Kind vielleicht schon früh bei einer so lebensgefährlichen Aufgabe zu verlieren, denn ich hatte gerade erst am 2. Februar 1940 mein 16. Lebensjahr vollendet. Meine im höchsten Maße besorgte Mutter war gänzlich gegen meinen Wunsch, Pilot zu werden. Mein Vater hingegen sah die Angelegenheit realistischer. Er wußte genau, daß ich ohnehin in Kürze zum Kriegsdienst eingezogen werden würde und befürwortete deshalb, daß ich diesen Dienst bei jener Waffengattung ableisten sollte, die auch meinen Vorstellungen entsprach. Nach etlichen hitzigen Diskussionen meiner Eltern konnte mein Vater meine Mutter dann aber doch überzeugen, und beide waren letztlich einer Meinung und somit einverstanden. In meiner Schulklasse waren wir vier Jugendliche, die alle dasselbe Interesse hatten und denselben Wunsch hegten. Die anderen drei Klassenkameraden waren, weil sie eine Klasse wiederholt hatten, ein Jahr älter als ich, was damals viel ausmachte.
Für eine erfolgreiche Bewerbung mußte ich akribisch sämtliche Unterlagen lückenlos einreichen. Für den Familienstammbaum, den Arier-Nachweis und die vielen Unterschriften benötigte ich die Mithilfe meiner Eltern. Es setzte bei uns zuhause eine große Sucherei ein, viele Unterlagen wurden bis zur noch nicht weit zurückliegenden Konfirmation zusammengetragen – aber dafür hatte man keinen Arier-Nachweis benötigt, der jetzt am schwierigsten lückenlos zu beschaffen war. Irgendwann war die Bewerbung fertig und konnte endlich eingereicht werden. Jetzt erst begann die große Spannung. Meine Schulzeugnisse waren nicht gerade Spitze, aber ein guter Durchschnitt bei einem glatten Schulverlauf. Ich machte mir somit große Hoffnungen, bei der Pilotenschule angenommen zu werden. Trotzdem zehrten das Warten und die Ungewißheit weiterhin an meinen Nerven…
Eines Tages, Anfang 1941, kam die erlösende Nachricht, mit der ich zur Eignungsprüfung nach Hannover, in die Escherstraße 12, zur Annahmestelle für Offiziersbewerber der deutschen Luftwaffe, eingeladen wurde. Ich empfand große Freude über den Erfolg meiner ersten Etappe. Doch die Zeit arbeitete gegen mich, denn mit dem Verstreichen der Wochen und Monate schwand das Gefühl der Freude, und eine beklemmende Ungewißheit über das weitere Geschehen erweckte in mir ernste Sorgen, denn der Termin für Hannover lag ja noch in weiter Ferne – wenn er doch endlich kommen würde! Als er sich dann aber näherte, wuchs mit jedem Tag die Sorge, was mich dort wohl erwarten würde. Ich hatte die ganze Zeit lang keine Gelegenheit gehabt, mit jemandem zu sprechen, der diese 3-tägige Prüfung selbst miterlebt hatte.
In der zweiten Februar-Hälfte war es dann endlich so weit. Ich fuhr allein mit dem Zug dorthin, denn meine drei Klassenkameraden hatten andere Termine genannt bekommen. In der Prüfungsstelle wurde ich freundlich begrüßt und in einen Warteraum geführt, in dem bereits fünf weitere Bewerber saßen. Hier fiel eine erste schwere Last von mir. Die Gespräche mit den anderen Probanten stärkten mein Selbstbewußtsein und erzeugten eine gewisse Gelassenheit.
In den nächsten Tagen wurden wir in Literatur, Allgemeinbildung, Kommandosprache, Turnen und Tischsitten, vor allem aber am Reaktionsprüfgerät getestet. Danach gab es für mich nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, wie ich wohl abgeschnitten hatte. Nur beim Turnen, das ich wegen meiner Größe eigentlich am schlechtesten konnte, wußte ich, daß ich mit einer tadellosen Schwungstemme und Grätsche am Reck sehr eindrucksvoll war.
Nach drei Tagen durften wir ohne ein erklärtes Resultat oder irgendeine Entscheidung wieder abreisen – mit dem Hinweis, daß wir über das Prüfergebnis schriftlich benachrichtigt werden würden. Ich befand mich im Grunde in derselben Situation, wie vor dem Eignungstest in Hannover, und die Spannung wurde fast unerträglich.
Erst Ende März 1941 erhielt ich das erlösende Schreiben. Ich wurde für den 15. Mai 1941, gerade erst 17-jährig, zum Fliegerausbildungsregiment 22 nach Güstrow in Mecklenburg einberufen. Der Reichsarbeitsdienst wurde uns freiwilligen Offiziersbewerbern erspart. Das Mindestalter für unsere Einberufung betrug 17 Jahre. Wir hatten das Glück, daß unser Schuldirektor unsere Pläne derart unterstützte, indem er uns bereits Ostern 1941, ein Jahr vor dem regulären Abitur, das Zeugnis ausstellte, das ein Studium ermöglichte. Meine drei Klassenkameraden wurden in andere Orte eingezogen – und kamen alle bereits bei ihrer Flugzeugführerausbildung ums Leben. Mir ging diese Nachricht sehr nahe, und ich beschäftigte mich daraufhin mit der brennenden Frage, wie hoch eigentlich der Verlust an Menschen schon während dieser Flugausbildung war. Wenige Monate später sollte ich erfahren, wie schnell so etwas geschehen kann, denn ich wäre während meiner Ausbildung beinahe selbst tödlich verunglückt…
Die militärische Grundausbildung
Am 15. Mai 1941 traf ich in Güstrow ein. Ich hatte einen leeren Pappkarton mitgebracht, in dem ich dann, nachdem ich meine Uniform erhalten hatte, meine Zivilkleidung wieder nach Hause zurückschicken konnte. Die Aushändigung meiner Uniform hatte nichts Erhabenes, denn man warf sie mir in der Bekleidungskammer einfach nur in die Arme.
Die reguläre Ausbildung hatte bereits am l. Mai begonnen, so daß wir Offiziersbewerber zu zweit auf bereits bestehende, feste Stubengemeinschaften zu jeweils 10 Soldaten mit 2-etagigen Holzbetten aufgeteilt wurden. Hier erfolgte der Empfang mehr mit demoralisierendem Hohn als mit Sympathie. Die bereits dienenden Soldaten standen den jungen Offiziersanwärtern immer sehr skeptisch gegenüber. Sie mochten sie nicht, weil sie meinten, daß die angehenden Offiziere sich für etwas Besseres hielten. Hier bot sich ihnen die letzte Gelegenheit, sie noch einmal ordentlich zu schikanieren.
Innerhalb der sogenannten Stube hatte sich der Stubengefreite, der bereits ein kleiner Gott war, mit einem Vorhang eine kleine Ecke abgeteilt. Plötzlich flogen Stiefel über den Vorhang in die Stube und der Stubengefreite rief einen Namen für denjenigen Rekruten, der die Stiefel zu putzen hatte. Natürlich hatte auch einer der Neuen am ersten Abend Stubendienst, so mußte ich die Stube an diesem Abend beim UvD (Unteroffizier vom Dienst) während seines Durchgangs abmelden. Der UvD fand in einem der Spinde in einer Tasse noch einen Kaffee-Rest, den er mir unvermittelt ins Gesicht schüttete, worüber ich mich natürlich hätte beschweren können. Aber wer beschwert sich gleich am ersten Tag, wenn er Offizier werden will…? Nicht aufmüpfige Duckmäuserei sondern Disziplin und Selbstbeherrschung waren gefragt, wenn man diese schikanöse und bis an die Grenze der körperlichen Leistungsfähigkeit gehende Grundausbildung, die aus Exerzieren, Unterricht, Reinigungsarbeiten, Ausmärschen, Schießen und ständigen Appellen bestand, überstehen wollte.
Bei diesem enttäuschenden Beginn meiner Ausbildung hatte ich überaus große Schwierigkeiten, alles durchzustehen. Von einem akklimatisierenden Einleben konnte absolut keine Rede sein. Der drastische Unterschied für einen jungen Menschen von höherer Schule und aus gutem Elternhaus in diese erschreckende Drillhorde, die keinerlei Spielraum für ein individuelles Eigenleben zuließ, war dramatisch. Wie leicht man in diesem Metier anecken konnte, erlebte ich schon bald:
Eines Tages sprach ich einen Unteroffizier mit Sie an, worauf er ärgerlich entgegnete: „Sie ist eine Hure, die vorm Bahnhof steht und Pariser verkauft!“
Der Herr wollte in der Dritten Person angesprochen werden. Es mußte heißen: „Haben Herr Unteroffizier…“
Ich hatte große Schwierigkeiten, mich an diese antiquierte und unterwürfige Anrede zu gewöhnen.
Unter der Leitung von Leutnant Peltner fand kurz darauf für die ganze Kompanie Offiziersunterricht mit dem Thema Festnahme und Waffengebrauch statt. Während dieses Unterrichts meldete ich mich zu Wort, um ebenfalls etwas zu diesem Thema beizutragen. Der Leutnant ließ mich gar nicht erst ausreden, sondern verwies mich aus dem Unterrichtsraum. (Bis heute ist mir unverständlich geblieben, was ihn derart aufgeregt hatte, mich hinauszuweisen). Ich ging in meine Stube und wartete ängstlich, was nun wohl folgen würde. Man mußte nicht selten mit derart frustrierenden Aktionen fertig werden. Diese hatte jedoch keinerlei weitere Folgen. Nur Feldwebel Mischke sprach mir ein paar tröstende Worte zu. Bei mir kam unter diesen Umständen etwas Heimweh auf, das aber schnell wieder verflog, wenn ich an meine Schule dachte, denn dorthin wollte ich auf gar keinen Fall zurück.
In dieser Art verlief die Grundausbildung in den nächsten Wochen, bis das ganze Ausbildungsregiment Mitte Juni 1941 in einem äußerst umfangreichen Eisenbahntransport nach Gent in Belgien verlegt wurde. Während des Transports sah ich erstmals die von Bomben stark zerstörten Städte Essen und Köln – ein Anblick, der mich tief beeindruckte. Ich hatte vorher schon von den gewaltigen Zerstörungen durch Bombenangriffe im Radio gehört, es nun aber in ihren ganzen dramatischen Ausmaßen zu sehen, war gleichermaßen überwältigend wie bedrückend, denn es kamen mir schon jetzt ernste Gedanken, was uns in diesem Krieg noch alles bevorstehen könnte…
Als wir die zerbombten Städte hinter uns gelassen hatten, wurden wir wieder lockerer, denn die langweilige Bahnfahrt war eine sehr angenehme Unterbrechung unseres harten Drills. Beim Ausladen in Gent fiel ich gleich wieder bei unserem Leutnant Peltner auf. Er beanstandete, daß er mich immer wieder beim Gehen beobachte, ohne dabei etwas zu tragen. Sachlich erklärte ich ihm, daß ich ein Teil, das ich ausgeladen hatte, wohl nicht wieder in den Waggon zurücktragen könnte, und so ergäbe es sich, daß ich immer eine Strecke „leer“ gehen müsse. Diese Aussage brachte mir einen scharfen Verweis ein. Sowohl eindrucksvoll wie nachhaltig hatte ich nun erfahren, daß man sich mit einem Vorgesetzten niemals in eine Diskussion einlassen durfte.
Die Aversion dieses Leutnants gegen mich wurde durch ständige kleinere oder größere Schikanen zunehmend bedrückend. Glücklicherweise mochte mich Feldwebel Mischke, der mir half, das schikanöse Verhalten meines Vorgesetzten die nächsten Wochen zu überstehen. Bei allen Widrigkeiten, die ich mit Leutnant Peltner zu durchstehen hatte, stand gelegentlich auch das Glück auf meiner Seite.
Zufällig war mein Vater, im Rang eines Leutnants, nur 14 Kilometer von Gent, in Oudenarde, stationiert. Er besuchte mich während meiner schweren Mittelohrentzündung (Trommelfelldurchstoß) in Gent. Ich erzählte ihm von den Schikanen des Leutnants Peltner, und mein Vater sprach mit ihm. Der Leutnant behauptete, ich hätte mich beim Ausladen vor der Arbeit gedrückt – was aber nicht der Wahrheit entsprach. Nach meiner Rückkehr aus dem Krankenrevier habe ich Leutnant Peltner nie wieder gesehen. Er war noch während meiner Krankheit vom Regiments-Kommandeur abgelöst worden, weil er seine Soldaten bei 30° Wärme einen 10-Kilometer-Lauf hatte durchführen lassen. Für mich war das eine glückliche Wendung. Es ist mir auch noch in sehr angenehmer Erinnerung, daß ich meinen Vater einmal in Oudenarde besuchen durfte. Ich wurde mit einem Auto abgeholt und wieder zurückgebracht.
Wir waren eine Woche in den Baracken des Waldlagers Mariakerk bei Gent, als morgens im Radio über das ganze Lager hinweg laute heroische Musik erklang. Wir erfuhren sehr bald den Anlaß zu so viel Euphorie: Deutschland hatte ohne Kriegserklärung Rußland überfallen und befand sich mit einer gewaltigen Streitmacht im stetigen Vormarsch ins Landesinnere. Es kamen mir sehr zwiespältige Gedanken. Wie sollten wir mit unseren Soldaten diesen gewaltigen Raum bewältigen? Geblendet von den bisherigen Erfolgen, lebten wir noch in dem naiven Glauben, daß unser „Führer“ genau wußte, was er tat. Dieses bedingungslose Vertrauen bei der Masse der Deutschen trieb uns weiter ins Unglück.
Während dieser Zeit in Gent wurden wir Fahnenjunker des ganzen Regiments mehrfach zu einer Spezialveranstaltung unter Major Dierich zusammengezogen. Diese „Regierungserklärungen“, wie Dierich sie nannte, sollten uns auf einen Speziallehrgang im Rahmen der Grundausbildung in einer vom ihm geführten Fahnenjunker-Kompanie vorbereiten. Schon während dieser „Regierungserklärungen“, die mit sehr viel Nachdruck und in einschüchternder Kommandosprache durchgeführt wurden, konnte einem ernste Sorge bereiten, was uns bei diesem 12-wöchigen Durchhalte-Lehrgang wohl alles bevorstehen werde.
Dieser „Auslese-Lehrgang“ begann am 15. Juli 1941 und war in seiner besonders schikanösen Art deshalb veranstaltet worden, um uns Fahnenjunker auf die Offizierseignung hin zu prüfen. Es gab nur Kadavergehorsam, keinerlei Widerworte, und jeder Gang außerhalb der Stube mußte ausschließlich im Laufschritt ausgeführt werden. Hier spürten wir sehr schnell, was uns auf diesem Lehrgang erwarten würde. Offiziere und Unteroffiziere waren harte, kompromißlose Vorgesetzte, deren Härte oft an Unmenschlichkeit grenzte. (Erst während der späteren militärischen Ereignisse erkannte man den Sinn dieser harten Ausbildung für Offiziere.)
Unser Leutnant Simon stellte sich mehrfach vor die Kompanie und schrie aus voller Kehle: „Fahnenjunker sind zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl und flink wie die Windhunde!“
Sah er einen Fahnenjunker, der sich normal gehend über den Kasernenhof bewegte, schrie er ihn an: „Laufen Sie!“
Eines Tages ließ Major Dierich die Kompanie antreten und verkündete uns, die wir im Stillgestanden zuhören mußten: „Ich bestrafe hiermit den Fahnenjunker-Flieger Schwab mit drei Tagen Arrest, weil er in einem Brief an seine Eltern die Launen seines Kompaniechefs mit April-Wetter verglich“.
Dem Kompaniechef war es gemäß der Vorschriften zwar verboten, die Post seiner Soldaten zu öffnen, aber die Geheimhaltungspflicht ließ diesbezüglich Spielräume zu. Dieses Öffnen der Post war eine weitere gemeine Schikane, denn es gab hier für uns keinerlei zu verratende Geheimnisse. Hätte aber irgendwer Major Dierich wegen seiner Verletzung des Postgeheimnisses zur Rechenschaft ziehen lassen, konnte Dierich sich auf eine pflichtgemäße Überprüfung und somit Wahrung der militärischen Geheimhaltung berufen und wäre rehabilitiert gewesen – und die ihn denunzierende Person niemals Offizier geworden.
Der Tagesablauf in dieser Elite-Kompanie war natürlich erheblich anspruchsvoller und anstrengender, um nicht zu sagen schikanöser, als bei der vorausgegangenen Grundausbildung. Wecken war grundsätzlich um 5:00 Uhr; und freitags, wegen des Schießdienstes, schon um 4:00 Uhr. Der Dienst begann mit einem langwierigen Frühsport – natürlich vor dem Frühstück. Anschließend fand irgendein Appell statt (Waffenappell, Bekleidungsappell, Stubenappell oder Spindappell). Vormittags ging es dann zum Exerzieren mit Geländeübungen – ein Grauen für jeden Fahnenjunker. Der Exerzier- und Geländedienst war reine Schleiferei bis zur Erschöpfung. Alles geschah im Laufschritt und mit ständigem Wechsel zwischen Hinlegen und Aufspringen. Wer nicht durchhalten konnte, wurde diffamiert und, wenn er noch einmal „schlapp machte“, ihm die Eignung zum Offizier, abgesprochen.
Angeblich waren die Kameraden nicht in der Lage, den inneren Schweinehund zu überwinden. Diesen inneren Schweinehund mußte ich täglich in doppelter Hinsicht bekämpfen. Einmal, um den Strapazen standzuhalten und nicht „schlapp zu machen“, zweitens, den Vorgesetzten nicht anzugehen, wenn ich ihn im Schweiße meines Angesichts, grinsend, den Daumen nach unten oder nach oben haltend, vor mir stehen sah (Daumen nach unten, bedeutete hinlegen, und nach oben, aufstehen). Die Vorgesetzten waren selbst zu bequem, die Kommandos auszurufen, und bedienten sich dieser aufreizenden Zeichensprache, die uns empörte und wütend machte. (Ich hatte nie geglaubt, daß in einem Fliegerausbildungsregiment eine derartige Schleiferei jemals möglich sein könnte.) Freitags erfolgte nach einem langen, beschwerlichen Anmarsch der Schießdienst, wobei schlechte Schießergebnisse immer irgendwelche negativen Konsequenzen nach sich zogen. Ganz besonders gefürchtet waren die sogenannten „Maskenbälle“, die bei keiner Grundausbildung fehlten.
So wurden wir des nachts plötzlich geweckt, und der Unteroffizier schrie in den langen, hallenden Flur: „In zwei Minuten im Ausgehanzug antreten!“
Als wir dann alle im Flur angetreten waren, ging er in die Stuben und kontrollierte die Spinde. War einer nicht verschlossen, kippte er ihn so steil nach vorne, daß sämtliche Dinge herausfielen.
Dann hieß es: „Im Drillichanzug antreten!“
Kurz darauf: “Feldmarschmäßig antreten!“
Bei jeder Aktion erfolgte die Kontrolle unserer Spinde. Unter diesen extremen Bedingungen wurden uns die 12 Wochen sehr lang, und wir sehnten das Ende herbei. Als Ausgleich für diese unmenschliche Schinderei führte Major Dierich mit uns drei unvergeßliche Exkursionen durch – nach Brügge, zu den Schlachtfeldern von 1914/18, und als krönender Abschluß, drei Tage nach Paris. Jedoch durften einige Kameraden, die unangenehm aufgefallen waren, nicht mitreisen. Obwohl noch nachhaltig benommen von der harten Ausbildung, haben wir diese unerwarteten Ausflüge dennoch sehr genossen. In Paris bekamen wir jungen Männer auch etwas zu sehen, das für uns völlig neu war…
Am 30. September 1941 wurden die Angehörigen der gesamten Kompanie per Bahn zu den Luftkriegschulen Berlin-Gatow, Werder/ Havel bei Potsdam und Fürstenfeldbruck bei München verlegt. Ich war froh, diese fürchterlichen Wochen erfolgreich überstanden zu haben. Es gab allerdings auch Kameraden, die nicht so glücklich waren, denn sie hatten den Lehrgang nicht bestanden, und für sie war die ganze Schin-derei umsonst gewesen. (Was später aus ihnen wurde, habe ich niemals erfahren.)
Bei unserer Abfahrt stand Major Dierich salutierend und mit Tränen in den Augen am Bahnsteig. Wie er sagte, hatte er nie zuvor eine derart disziplinierte Truppe gehabt. Wenn diese Kompanie, der Major Dierich hoch zu Roß voranritt, im Paradeschritt durch Gent marschierte, wurden die Fenster aufgerissen, und die Bevölkerung sah uns zu. Obwohl wir hier als Besatzer eines neutralen Landes nicht gern gesehen waren, schien es wie ein Wunder, daß unsere Truppe eine derartige Begeisterung auslösen konnte. Trotz aller Schinderei waren wir stolz, einer solchen Kompanie angehört zu haben – wir waren aber auch erleichtert, daß der bis an die Leistungsgrenze gehende Drill nun ein Ende hatte. Als stolzer, zum Fahnenjunker-Gefreiten beförderter Luftwaffensoldat verließ ich Gent und freute mich auf die Luftkriegschule 2 in Berlin-Gatow. Nach Berlin zu kommen, war für mich eine besondere Freude, denn meine Mutter war Berlinerin, und wir hatten dadurch eine enge Beziehung zu dieser Stadt, was ich dann während des Kriegsschuljahres als sehr begünstigend empfand.
Ein Jahr Luftkriegschule
In Gatow, am Stadtrand von Berlin, auf der Westseite des Wannsees, lag die Luftkriegschule 2 mit ihren hübschen Gebäuden, die von Generalmajor Funcke geleitet wurde. Hier vollzog sich ebenfalls alles streng militärisch, aber etwas ruhiger. Es erwartete uns eine völlig neue Welt. In Aufsichten (Züge) eingeteilt, erhielten wir eine umfassende Ausbildung zum Offizier und Flugzeugführer bis zum Kunst- und B2-Flugschein. Die Bezeichnung Aufsicht, statt normalerweise Zug, wurde für die Kriegsschule deshalb gewählt, weil man diese Ausbildungsstätte ausschließlich für Offiziere von den regulären Truppengliederungsbezeichnungen abgrenzen wollte. Der Begriff Aufsicht sagte bezüglich der Spezialausbildung zum Offizier auch viel mehr aus als Zug. Schließlich wurde eine Aufsicht meistens von einem Hauptmann geführt, was dienstgradmäßig dem erhöhten Anspruch dieser Ausbildungseinheit entsprach, denn bei einem Zug wäre es ein Leutnant gewesen. Meine Aufsicht wurde von Hauptmann Vosskamp geführt. Die militärische Weiterbildung erfolgte hier ohne Schikanen und Schinderei und nur mit Anstrengungen im lediglich erforderlichen Rahmen. Der Exerzier- und Schießdienst waren für mich lästige militärische Notwendigkeiten. Mein ganzes Sinnen galt ausschließlich dem Flugdienst. Jetzt hatte ich fünf lange Monate dieser menschenverachtenden Grundausbildung überstanden und wollte nun endlich mit dem beginnen, weshalb ich überhaupt hierher gegangen war…
Vor Beginn der fliegerischen Ausbildung wurden wir über die einzelnen Ausbildungsstufen informiert. Die fliegerische Ausbildung auf der Kriegsschule war die sogenannte A/B-Ausbildung. Diese Bezeichnung basierte auf den einzelnen Ausbildungsstufen während des Kriegsschuljahrs. Die einzelnen Klassen waren die A1-, A2-, B1-, B2- und die Kunstflug-Scheine 1 und 2. Die Klassenunterschiede ergaben sich bei A/B aus der Größe und des Gewichts der Schulflugzeuge. Nun konnte ich es kaum noch erwarten, daß die Flugausbildung endlich begann.
Eines Tages war es dann so weit: Wir wurden zum Flugplatz gefahren und unseren Fluglehrern zugeteilt. Ich kam zu Oberfeldwebel Köppler, ein gesetzter Herr in mittleren Jahren. Köppler wies uns am Boden kurz ein, wie wir uns während der Schulflüge und auf dem Platz zu verhalten hätten, dann begann schon bald die so lange ersehnte Praxis. Köppler startete mit mir zu einer ersten Platzrunde. Er saß vorn, ich hinten. Wir flogen mit dem Doppeldecker-Flugzeugtyp FW (Focke-Wulf) 44 (A2), in Fachkreisen nur Stieglitz genannt. Neben dem besonderen Eindruck eines Erstflugs war es für mich ohnehin ein völlig neues, ungewohntes Gefühl. Aufmerksam blickte ich nach unten, suchte und suchte, konnte aber den Flugplatz nicht wiederfinden. Das kann ja heiter werden, dachte ich, wenn ein Flieger seinen Start- und Landeplatz nicht wiederfinden kann, merkte aber bald, daß es sich hier nur um typische Anfangsschwierigkeiten handelte, die mit zunehmender Übung immer mehr verflogen. Der Stieglitz hatte als A2-Maschine der leichten Klasse einen Siemens-7-Zylinder-Sternmotor.
Neben der Bücker-Jungmann mit Reihenmotor war der Stieglitz das typische Flugzeugmodell für den Anfänger der A/B-Schulung. Oberfeldwebel Köppler und ich flogen, sofern es das Wetter zuließ, fast drei Monate lang, Platzrunde für Platzrunde, wobei ich immer mehr Gefühl für die Fliegerei erlangte und mich zunehmend sicherer fühlte.
Die Platzrunde war die einfachste und effektivste Übungsmethode. Ich startete, ging auf etwa 200 Meter Höhe, flog eine 90°-Linkskurve, dann ein kleines Stück geradeaus und wieder eine 90°-Linkskurve (Gegenkurs zum Startkurs), nach einem etwas längeren Geradeausflug wieder eine 90°-Linkskurve, ein kleines Stück geradeaus und dann die letzte 90°-Linkskurve. Nun war ich auf Landeanflugkurs. Nach 20 Platzrunden hob der Lehrer gelegentlich während des Flugs seine Arme, was für mich bedeutete, daß ich jetzt die Maschine allein in der Luft zu steuern hatte. Wenn das mehrmals nicht korrekt ausgeführt wurde, weil mich zunächst ein Schreck durchfuhr, da nun ganz unerwartet die Maschine von mir allein gesteuert werden sollte, jagte der Lehrer mich nach der Landung schon mal am Platzrand aus dem Flugzeug und ließ mich in der schweren Winterfellkombination zu Fuß zum Startplatz zurücklaufen. Die Fluglehrer konnten es (verständlicherweise) nicht ertragen, wenn sich ein Flugschüler übermäßig ungeschickt verhielt. Viel schwieriger wurde es dann, als ich nach annähernd fünfzig Starts mit meinem Lehrer die Landung immer häufiger allein durchführen mußte. Da gab es natürlich auch manche „Holperlandung“. Manchmal mußte der Lehrer sogar kurz vor dem Aufsetzen selbst eingreifen. So sehr ich mich auf die fliegerische Ausbildung gefreut hatte, stellte ich nun fest, daß ich mich in einem ständigen Konflikt zwischen Erfolg, Mißerfolg und Leistungsdruck befand. Was sich während der Grundausbildung als physisches Problem auswirkte, wurde hier zu psychischen Problemen. Die Freude am Fliegen blieb dennoch uneingeschränkt, aber sie war durchsetzt von der ständigen Sorge darüber, ob ich auch allen Anforderungen gerecht werden konnte…
Jeder Schüler benötigte seine Zeit, bis der Lehrer ihn für alleinflugfähig hielt, was dann endlich nach etwa sechzig Starts der Fall war.