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Tanja Schumann war in den Jahren 1993 bis 1998 als eine der Comedians der Fernseh-Comedy-Serie "RTL Samstag Nacht" auch über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt geworden. Wöchentlich bereitete sie ihren Zuschauern mit den kultigen Sketchen in "Kentucky schreit ficken" oder auch als "Schreinemakers ihre Schwester" freudige Unterhaltung. Der Ausdruck "gefickt eingeschädelt" war nicht nur ein Klassiker der Sendung, er avancierte sogar zu einer Redewendung. Als die Serie nicht mehr fortgeführt wurde, war es um die sympathische Schauspielerin ruhig geworden. Man kannte sie bislang nur als Comedy-Besetzung, weshalb anderweitige Beauftragungen schwierig waren. Erst 2009 berichteten die Medien wieder über Tanja Schumann. Doch die Zeitungen und Fernsehsender berichteten nicht über ihre Künstlerkarriere. Sie zielten vielmehr darauf ab, dass Tanja in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. Denn Ende 2006 hatte sie Privatinsolvenz angemeldet, um für sich einen Ausweg zu finden. Denn sie war schlechten Beratern gefolgt, da sie ihnen vertraut hatte. Mit dem Jahr 2012 endete die 6 Jahre andauernde Zeit der Privatinsolvenz durch Beschluss des Amtsgerichts im Januar 2013. "Ohne meinen Mann hätte ich das nicht durchgestanden", sagt sie heute und erzählt, wie sie sich aus den Schulden herauskämpfte. Ihr Buch gewährt nicht nur Einblicke hinter die Kulissen des Showbiz neben einigen Anekdoten sondern soll auch als kleiner Insolvenzratgeber verstanden werden, um anderen Betroffenen Mut zu machen, die "6 Jahre Taschengeld" zu überstehen.
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Seitenzahl: 166
Veröffentlichungsjahr: 2014
Tanja Schumann
6 Jahre Taschengeld
(M)ein biografischer Insolvenzratgeber
© 2014 Tanja Schumann
Weitere Autoren: Dr. Eberhard Frohnecke, Stefan Burmeister
Umschlaggestaltung, Illustration:
Der Petersen GmbH & Co. KG; Agentur für Mediendesign;
www.der-petersen.com
Fotografien Buchumschlag: Oliver Reetz und Axel Emmert
Fotos Innenteil: Archiv der Autorin; Samstag Nacht Buch 1995 by RTL bzw. Pacific Productions Verlags- u. Produktions GmbH
Lektorat, Korrektorat u. Satz:
Angelika Fleckenstein; www.spotsrock.de
Herausgeber:
STB Marketing GmbH
Petersweg 7
22946 Großensee
www.stb-marketing.com
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN: 978-3-8495-7501-4
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich ge-schützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öf-fentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufbar.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Was geschah eigentlich nach „Samstag Nacht“?
Kindheit
Tanja geht zu Opa? Nein, zur Oper!
Abi geschafft – und nun?
Mit „Hobschie“ auf der Bühne?!
Massenszene auf einem Quadratmeter
Auf den Hund gekommen: Bella und Finja - meine ‚Schnecken‘
Auch ein Zwerg kann ganz groß rauskommen!
Meine Hauptrolle: Der Benjamini im off
Von Nonne bis Nutte, alles dabei
Ein spezieller Gruß von Rudis Wohnmobil
Sketchtechnische Bett-Geschichten
Statt „Willst du Rose kaufen?“: „Willst du Wohnung kaufen?“
Nach dreizehn Jahren: ‚Schrankwand‘ ade
Erfolg mit Quietschstimme und Endlossätzen
Theater: Back to the roots
Welches Schweinchen hätten‘s gerne?
Porsche on the Beach - der ganz besondere Tanz in den Mai
Brot – Busch – Schaf: Drei Freunde fürs Leben
Keine Mietgarantie?! - Also ab auf die Burg!
Ich drehe …, und zwar durch!
Vertrauen ist gut - Kontrolle wäre besser gewesen
Die Schlinge zieht sich zu
Weitermachen
Wie viel kostet eigentlich ein Bambi?
Hoch auf dem weißen Wagen - mit Schlagern ins Glück
Professionelles Management, aber total crazy
Sport ist Mord? – Ganz im Gegenteil!!!
Reeperbahn – du geile Meile
Nichts als Theater, aber davon ‘ne Menge!
Das alles, und noch viel mehr würde ich tun …
Nicht Hinfallen ist schlimm – nur Liegenbleiben!
Danksagung
Biographie Tanja Schumann
Das Insolvenzverfahren
Vorwort
In den 1990iger Jahren hatten viele Prominente und auch andere wohlhabende Bürger meist infolge vermeintlich geschickter Finanz- und Vorsorgeberatung in Immobilien der neuen Bundesländer investiert, die sich später als sog. Schrott-Immobilien herausstellten. Aber der Aufbruchsstimmung der ersten Zeit war nach Ausnutzung der damit einhergehenden vermeintlichen steuerlichen Vorteile der Schock gefolgt. Die Liegenschaften blieben weitestgehend unvermietet, weshalb auch die versprochenen Renditen mangels Mieteinnahmen ausgeblieben waren. Die das finanzierenden Banken verlangten dennoch weiterhin die Tilgung. Seinerzeit kannte die Rechtsprechung dieses Anlagemodell noch nicht. Erst in heutiger Zeit kann man sich erfolgreich dagegen wehren. Wenn die Banken nämlich institutionalisiert das gesamte Geschäft begleitet hatten, bleiben diese nach heutiger Rechtsprechung auf dem Schaden sitzen und nicht mehr, wie früher, der Kunde.
Das kam für Tanja Schumann, die wie viele ihrer Kollegen in solche Ost-Immobilien investiert hatte, aber leider zu spät. Im Jahr 2006 musste die sympathische Schauspielerin Privatinsolvenz anmelden. Mit Ablauf des Jahres 2012 und durch gerichtlichen Beschluss aus Januar 2013 endete für Tanja Schumann das sechs Jahre andauernde Verfahren der Privatinsolvenz, in der sie Monat für Monat gegenüber dem vom Gericht eingesetzten Insolvenzverwalter Rechenschaft über alle ihre Einkünfte und Besitztümer ablegen musste. Sogar der Verkauf ihres im Jahr 1994 erhaltenen Fernseh- und Medienpreises „Bambi“ war gefordert und durchsetzt worden.
Dieses Buch ist eine Autobiografie, die einen kleinen Einblick in die Glitzerwelt des Showbiz neben ein paar Anekdoten gewährt und zeigt, wie Tanja Schumann sich aus den Schulden wieder herausgekämpft hat.
Dieses Buch soll auch als kleiner Insolvenzratgeber verstanden werden, um anderen Betroffenen Mut zu machen, die „6 Jahre Taschengeld“ zu überstehen. Schließlich haben seit Einführung der Insolvenzordnung im Jahr 1999 in Deutschland bis Ende 2013 mehr als 1 Millionen Menschen von dem Privatinsolvenzverfahren Gebrauch gemacht. Dennoch haben zahlreiche Menschen nicht die Kraft, diesen Schritt ebenfalls zu gehen. Hierfür schließt dieses Buch mit hilfreichen Informationen, die den Verlauf einer Privatinsolvenz beschreiben, um den zahlreichen Menschen, die ebenfalls in eine solche oder ähnliche „Lebensfalle“ getappt sind, Mut zu machen, sich wieder zurück zu kämpfen.
Dr. Eberhard Frohnecke
Was geschah eigentlich nach „Samstag Nacht“?
Fürs Publikum bin ich bis heute ein RTL-Gesicht. Für RTL war ich allerdings mit dem Ende von „Samstag Nacht“ so ziemlich gestorben.
Es gab eine neue Geschäftsleitung: Thoma und Conrad gingen, und die Neuen wollten nichts Altes wieder aufwärmen. Man weiß das zwar alles vorher, trotzdem ist es ein wenig so, als wär‘ man grad gegen einen Feuermelder gelaufen und keinen interessiert‘s!
„Halloo, ich war doch gestern noch …“ Eben! Die Betonung liegt auf „gestern“! Da helfen auch alte Seilschaften nicht, insbesondere dann, wenn man gar keine gemacht hat, wie ich! Dabei hätte es Gelegenheiten genug gegeben .
Nach den „Samstag Nacht“-Aufzeichnungen am Freitagabend gab es beispielsweise immer noch ein kleines Fest für Crew und Gäste. Ok, das Büfett war meist schon leergefuttert, wenn wir Akteure erschienen, denn wir mussten uns erst umziehen und unsere Fans mit Autogrammen versorgen. Das war manchmal ganz schön anstrengend. Einige meiner Kollegen konnten der Autogrammjägermeute geschickt entgehen, und zwar über einen Schleichweg. Für mich war das aber nie eine Option! Ich hab mir lieber frühzeitig vom Koch eine Portion Krabben beiseite stellen lassen und war für die Fans da. Ich bin der Ansicht, das bin ich denen, die mich zu dem machen, was ich in der Öffentlichkeit bin, mindestens schuldig, auch, wenn ich manchmal müde und abgespannt bin. Aber das muss ja jeder für sich entscheiden.
Auf diesen Feiern habe ich meistens mit den Kollegen von der Maske, Garderobe und Kamera zusammengesessen. Vielleicht hätte ich mich stattdessen mehr an die „Offiziellen“ aus dem Hause RTL hängen sollen oder an eventuell einflussreiche Gäste …, Sie wissen sicher, was ich meine … Aber das war noch nie mein Ding, mich irgendjemandem an den Hals oder auf den Schoß zu werfen. Natürlich hätte es auch einen kommunikativen Mittelweg gegeben, zwischen „gar nicht reden“ und „an den Hals werfen“. Aber da steht mir ein wenig mein Naturell weg: ganz oder gar nicht! Schwarz oder weiß, voll oder leer, hopp oder top …
Aber ich merke, dass ich gerade etwas abschweife. Was ich sagen wollte, ist, dass ich zu Zeiten von „Samstag Nacht“ einfach zu wenig Kontakte geknüpft und gepflegt habe, die mir hinterher arbeitstechnisch von Nutzen hätten sein können.
Eine vernünftige Agentur hatte ich leider auch nicht hinter mir, und so verstrich meine ‚heißeste Zeit‘, besser gesagt: die Zeit, in der das Eisen meiner Karriere am heißesten war. Ich hätte das Feuer darunter schüren müssen, tat ich aber nicht. „Jeder ist seines Glückes Schmied“, dieser Spruch hat wahrlich seine Berechtigung!
Ich war also kein guter Schmied und wusste in der Zeit nach „Samstag Nacht“ noch nicht mal, wen ich anrufen sollte, um kurz „Hallo“ zu sagen, und wenn mich tatsächlich jemand gefragt hätte: „Hey, kann ich was für dich tun?“, hätte ich vermutlich geantwortet: „Ja, klar, bring mir ein Seil und einen wackeligen Hocker mit drei Beinen!“ (Nein, das hätte ich natürlich nicht ganz ernst gemeint.)
Direkt nach „Samstag Nacht“ ging‘s mir erstmal nicht schlecht, hatte ich doch mehr Zeit, andere Dinge zu tun, die länger brachgelegen hatten, wie Theaterspielen oder das Synchronisieren.
Es war nur blöd, dass der Synchronmarkt in Hamburg gerade zusammenbrach, weil so viele Produktionen nach Berlin abwanderten, wo es durch die Wiedervereinigung eine Schwemme von Sprechern gab, die sich gagenmäßig reihenweise unterboten. Allein drei Studios in Hamburg, in denen ich gesprochen habe, mussten dichtmachen. (Und das lag nicht etwa an meinen Fähigkeiten.)
Ich hab ja neben meiner Musicalausbildung damals noch Sport an der Uni Hamburg studiert und war fast fünfzehn Jahre (auch noch zu Anfangszeiten von „Samstag Nacht“) aktiv als Fitnesstrainerin tätig. Sport und Tanz haben immer eine große Rolle in meinem Leben gespielt, und so machte ich später noch eine Zusatzausbildung zum „Personal Trainer“. Leider bekam das eine Tageszeitung mit (die mit den vier roten Buchstaben) und schrieb sofort etwas wie: „Jetzt dreht Tanja Schumann dem TV den Rücken und wird wieder Hüpftante!“
Super! Da hätte ich doch gleich eine Rundmail an alle Fernsehschaffenden rausschicken können: „Streicht mich aus euren Köpfen, ich wandere aus!“ Wäre ungefähr aufs Gleiche rausgekommen! Wenn erstmal Dinge über einen in der Zeitung stehen, kann man so viel dementieren, wie man will, das bringt gar nix.
Wenn ich damals schon meinen Mann an meiner Seite gehabt hätte, wäre die Geschichte sicher anders gelaufen, ich bin 100 pro davon überzeugt! Doch „hätte“ und „wenn“ sind ja völlig uninteressant.
Dann nahte obendrein mein 40. Geburtstag! Mir ging‘s schon Monate vorher nicht gut! Auf den 30. hatte ich mich damals gefreut und kann bis heute die Frauen nicht verstehen, die damit Probleme haben! Aber eine Vier am Anfang der Jahre stehen zu haben, die ich auf Erden wandelte, erschien mir geradezu fürchterlich! Nein, ich korrigiere: die Inquisition war fürchterlich, Vierzig zu werden schien mir die Hölle zu sein! Nach Murphys Gesetz der „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“ wurde dieser Tag auch tatsächlich zu dem von mir erwarteten Desaster.
Mit dem Wetter ging es schon los. Ich habe Anfang Juli Geburtstag und da ist eigentlich immer recht schönes Wetter. Aber wie gesagt, eigentlich … An diesem von mir hochgefürchteten Tag begann es früh, zu regnen und hörte nicht mehr auf. Der Geburtstag fiel auf einen Mittwoch, und meine beiden besten Freundinnen konnten aus beruflichen Gründen nicht in Hamburg sein. Privat befand ich mich in einer Art „nichts Halbes, nichts Ganzes“- Beziehung, was nicht tröstlich war und gar nicht glücklich stimmte (hatte ich anfangs erwähnt, für mich gelte „ganz oder gar nicht“?! So kann man sich irren…).
Wenn ich mich heute erinnere, kann ich kaum noch nachvollziehen, dass mich diese Umstände zum Vierzigsten derart traurig machten.
Aber, Moment mal! Ich komme ja „von Höckschen aufs Stöckschen“… Am besten fange ich mal ganz von vorne an.
Kindheit
Ich wurde als drittes Kind (aber erstes Mädchen!) meiner Eltern geboren. Man hat, so denke ich, die „Prinzessinnen“-Rolle sofort inne. Jedenfalls freuten sich alle sehr über meine Ankunft, war ich doch auch die erste Enkelin meiner Oma.
Mein Vater arbeitete als Eisenbahner im gehobenen Dienst, meine Mutter kümmerte sich um meine Brüder und mich. Zwar war ich nie in einem Kindergarten, aber wir hatten viele Kinder in der Nachbarschaft, mit denen ich spielen konnte!
Schon früh begann ich damit, mich zur Musik zu bewegen. Von meiner Mutter weiß ich, dass ich, wenn Freddy Quinn im Fernsehen sang – damals noch in schwarz-weiß, und Mitte der 60er Jahre war er ein richtig großer Star - immer am Hüpfen war. Dazu rief ich: „Hobschi, sing! Hobschi, sing!“ Bis heute ist nicht geklärt, warum Freddy für mich „Hobschi“ hieß. Dass ich zwanzig Jahre später mit diesem Mann einmal auf der Bühne stehen sollte bei meinem ersten Engagement als Musicaltänzerin, war damals so unvorstellbar, wie die Reisen zum Mond.
Auf jeden Fall hatte ich schon als Zwei-, Dreijährige einen großen Bewegungsdrang und zeigte meine Liebe zur Musik. Zur Mittagsstunde legte meine Mutter mich ins Bett, schloss die Tür und ging davon aus, dass ich schlafen würde. Aber nur so lange, bis der Anruf von den Nachbarn kam, die meine Mutter darüber unterrichteten, dass ich gerade auf der Fensterbank herumturnen würde. Natürlich hinter dem geschlossenen Fenster, aber vor der Gardine - zur Unterhaltung der Nachbarn! Vielleicht waren das ja schon meine ersten Versuche für die spätere Bühnenkarriere?
Jedenfalls ging ich im Alter von vier Jahren in einen Gymnastikverein und mit sechs dann in die Ballettschule der Hamburgischen Staatsoper.
Ein halbes Jahr vorher, ich war eben Sechs geworden, wurde ich eingeschult. Endlich! Ich hatte meine Brüder immer beneidet, wenn sie morgens zur Schule gingen. Endlich durfte ich auch dorthin, nachdem ich einen Schultest bestanden hatte, der mir die Schulreife bestätigte. Und ich war stolz, zwei ältere Brüder auf der Schule zu haben, die mich beschützen würden, wenn mich blöde Jungs piesackten … Tja, da hatte ich mich aber gewaltig geirrt! Anstatt die Jungs für mich zu verhauen, haben die beiden leider mit ihnen paktiert. Also lernte ich, mir selbst zu helfen. Ich hab‘s ja auch überlebt, also kann es nicht so schlimm gewesen sein.
Meine „quergestreiften“ Brüder, Mutter und ich …, so lieb wie hier waren die Jungs in der Schule nicht immer mit mir.
Gleichwohl bin ich gerne zur Schule gegangen, zumindest in meiner Erinnerung. Auch lernte ich Blockflöte spielen, wie die meisten Kinder meiner Altersklasse.
Dann kamen Weihnachten und Silvester. Mein Vater klagte über Magenschmerzen und der Arzt verschrieb ihm eine „Rollkur“. Am 11. Februar 1969 starb mein Vater an Krebs, und meine Mutter saß im Alter von nur dreiunddreißig Jahren mit drei kleinen Kindern, ohne Job und Führerschein allein da.
Klein-Tanja mit ihrem Vater
Jahrelang habe ich noch gehofft, dass es an der Tür klingelt und mein Vater wieder da sein würde. Für eine Kinderseele ist die Endgültigkeit des Todes nur schwer zu begreifen.
Das Leben ging weiter. Meine Mutter fand eine Halbtagstätigkeit in einer großen Bank, in der sie dann später ganztags bis zur Rente in der Anlageberatung und anderen Abteilungen tätig war. Sie machte sogar noch den Führerschein. Das erste Auto war ein weißer VW-Käfer, genannt ‚Rudi‘, mit dem Kennzeichen HH-UD 809. (Komisch, an was man sich manchmal so erinnert?!)
Trotzdem fuhren wir, wenn es im Sommer in den Urlaub nach Österreich ging, mit der Bahn, da wir durch die Tätigkeit meines Vaters eine Anzahl von Freifahrten erster Klasse durchs Bundesgebiet hatten.
Tanja geht zu Opa? Nein, zur Oper!
Nach der Blockflöte kamen die Gitarre und der Kinderchor der Gemeinde, und zweimal in der Woche ging‘s zum Ballettunterricht. Meine Lehrerin hieß Isabella Vernici, und ich habe ihren Unterricht geliebt.
Umgezogen haben wir uns in den Garderoben der Hamburgischen Staatsoper, und danach wurden wir von Frau Manzau abgeholt, die uns zum Ballettsaal führte. Frau Manzau war also für die Elevinnen aller Altersklassen zuständig, auch, was die Besetzung für kleine Rollen in Opern und Balletten betraf. Sie fragte meine Mutter schon sehr bald, ob ich nicht Lust hätte, im ersten Akt des „Barbier von Sevilla“ als „Volk“ mitzuwirken. Ich hatte zwar schon im Gymnastikverein auf einer Bühne rumgeturnt, aber eine Bühne wie die der Hamburgischen Staatsoper war eine viel größere Nummer! Haupt- und Generalprobe fanden vormittags statt, und so bekam ich ganz offiziell schulfrei dafür.
Bühne und Tanz – meine frühe Leidenschaft nimmt Fahrt auf
Im Alter von sieben Jahren erhielt ich meine erste „Solo“-Rolle, und zwar Der „kleine Mohr“ im „Rosenkavalier“. Ich wurde im Programmheft sogar namentlich erwähnt! Darauf war ich stolz wie Bolle, und es hat einfach nur riesig Spaß gemacht, obwohl der „kleine Mohr“ seinen letzten Auftritt ganz am Ende der Aufführung hatte (ich musste ein „verlorenes“ Taschentuch finden und freudestrahlend von der Bühne laufen). Da mein Gesicht, Hals und Hände schwarz geschminkt waren, brauchte ich recht viel Zeit zum Abschminken, sodass ich für ein doch noch kleines Kind sehr spät ins Bett kam. Aber der „Rosenkavalier“ lief nur an wenigen Tagen im Monat, und ich habe mir die Rolle mit einer Freundin geteilt. Insofern waren die späten Zu-Bett-geh-Zeiten in der Kindheit doch sehr überschaubar. Von der Gage habe ich dann meine Ballettstunden finanziert.
In der Inszenierung von „La Boheme“ habe ich mindestens drei verschiedene Kostüme durchlaufen. Es war eine sehr klassische Inszenierung, die über viele Jahre hinweg lief. Ich wuchs aus dem einen Kostüm heraus und in das nächste hinein.
Ich kann mich noch erinnern, dass ich als Jugendliche mal zwanzig Aufführungen im Monat hatte. Es standen so viele Opern auf dem Spielplan, dass ich wirklich gefordert war. Danach fuhr ich dann meist mit der U-Bahn nach Hause. Doch das alles war für mich nie eine Last, ganz im Gegenteil. Immerhin durfte ich Peter Hoffmann im „Lohengrin“ anziehen, stand mit Placido Domingo in „Carmen“ auf der Bühne. Auch Luciano Pavarotti und José Carreras nicht nur live zu erleben, sondern sogar Teil der Produktion zu sein, war ein schönes Erlebnis. Im Nachhinein weiß ich diese Erfahrungen und Erinnerungen noch viel mehr zu schätzen!
Erste „Solo“-Rolle für mich: der „kleine Mohr“ im Rosenkavalier. Ich war sooo stolz!
Sowohl auf das Festival nach Edinburgh als auch zur Einweihung der Semperoper - noch in der damaligen DDR - durfte ich mitreisen. Es wurde eine recht moderne Inszenierung von „Die Zauberflöte“ gegeben, und ich spielte ein Tier, um genauer zu sein ein Schwein auf High-Heels. Es gab einige Tierrollen, die aber alle auf zwei Beinen gingen und sich vor Beginn der Oper ins Publikum mischten. Zum Glück hatte ich eine Kopfmaske auf, die mich zwar in meiner Sicht relativ einschränkte, aber mich auch inkognito laufen ließ, denn so richtig gern hatte ich die „Schweinerolle“ nicht. Ohne diese wäre ich allerdings nicht in der Semperoper gelandet.
Aber es gab ja noch so viele andere schöne Rollen. Zuerst waren es ja „nur“ Kinderrollen, aber später, als Jugendliche bzw. junge Frau trug ich z.B. im Maskenball ein Kleid mit Reifrock und durfte alte Gesellschaftstänze tanzen. Die Ballette „Schwanensee“ und „Dornröschen“ hatten auch sensationelle Kostüme. Feinster Zwirn und alles maßgeschneidert. Es war toll! „Othello“, „Rigoletto“, „Manon Lescaut“, „Hänsel und Gretel“, „Die Fledermaus“ … die Liste könnte ich endlos weiterführen. In zwanzig Jahren Bewegungschor kommen schon einige Rollen zusammen, in die ich schlüpfte.
Mit Schminken, Verkleiden, Musik und Tanz bin ich also aufgewachsen. Da könnte man glauben, dass ich mich schon früh für die Bretter, die die Welt bedeuten, entschieden hätte. Aber nein, das war mein Hobby, meine Leidenschaft.
Meine Kindheit verlief insgesamt recht wohlbehütet; meine Mutter hielt das Zepter in den Händen und es wurde nicht unbedingt viel diskutiert, sondern brav ausgeführt, was Mutti sagte. Bei drei Kindern kann man vielleicht auch nicht lange diskutieren?
Blödsinn haben wir natürlich trotzdem gemacht, und ich erinnere mich daran, dass ich gerne mit meinen Brüdern auf deren Betten herumhüpfte. Dabei sprang ich leider einmal daneben und biss mir schwer auf die Zunge. Das musste tatsächlich genäht werden und der Arzt sagte, ich würde wohl Zeit meines Lebens entweder lispeln oder eventuell einen Sprachfehler behalten! Zum Glück hat sich seine Prognose nicht bestätigt, und wenn ich heute mal undeutlich sprechen sollte, hat das mit meiner kleinen Zungen-OP rein gar nichts zu tun …
Abi geschafft – und nun?
Ich bestand mein Abitur mit Note 1,6. Darauf bin ich schon ein bisschen stolz, vielleicht sogar ein bisschen mehr als das. Musik, Biologie, Erdkunde und Sport waren meine Prüfungsfächer Sport hieß für mich Jazzdance als theoretische und praktische Prüfung. Und das große Latinum hatte ich in der Tasche. Von dem sind aber heute bedauerlicherweise nur noch kärgliche Rudimente vorhanden.
Mit diesem Notendurchschnitt hatte ich dann die Qual der Wahl! Medizin, so wie bei meinem Bruder Roman, war keine Option für mich. Geht schon damit los, dass ich kein Blut sehen kann. Und wenn beim Arztbesuch die Helferin vor der Blutabnahme zu mir sagt: „Machen Sie mal ‘ne Faust“, lege ich mich gleich in die Waagerechte.
Ich war und bin es noch, vielseitig interessiert und begeisterungsfähig (neugierig ist heute meist ein negativ besetztes Adjektiv). Sprachen, Reisen, Sport, Geschichte, Recht, ach, es gibt so viele spannende Themen! Was tun?!
Für meine Mutter war klar: wenn ich es nicht bei John Neumeier1 schaffen würde, bräuchte ich gar nicht erst in Richtung Tanz denken. Als ich ungefähr dreizehn, vierzehn Jahre alt war, kam John Neumeier nach Hamburg und übernahm das Ballett. Er gründete sein eigenes Ballettinternat und startete die Ausbildung mit ganz jungen Kindern.
So habe ich in diesem Alter verschiedene andere Ballettschulen besucht. Es hatte sich längst gezeigt, dass ich eine große Leidenschaft für das klassische Ballett hegte, aber leider nicht wirklich gute genetische Anlagen dafür besaß. Drehen, Springen - kein Problem. Power war genug vorhanden, aber „hohe Beine“ (also die Fähigkeit mühelos in den Spagat zu gehen) oder ein hoher Spann, der für den Spitzentanz nicht nur von Vorteil, sondern geradezu Voraussetzung ist, waren mir nicht gegeben. Stattdessen hatte ich zunehmend Freude an Jazzdance (Hip Hop u.ä. gab es ja noch nicht, nicht mal Aerobic!), und ich hatte Glück, dass ich das an meinem Gymnasium als viertes Abi-Prüfungsfach wählen konnte.
Mit kurzen Umwegen über Pharmazie, Biologie und Sport fürs höhere Lehramt landete ich schließlich beim Diplomsport, als neu eingerichtetes Fach an der Uni in Hamburg. Parallel dazu führte mich meine Tanzleidenschaft zum „Studio Ullmann“, in dem ich beim freien Balletttraining mittrainierte. Dort erfuhr ich, dass sie gerade mit einer neuen Ausbildung zum Musicaltänzer/in starteten und ich beschloss sofort: Da mach ich mit!
Die Ausbildung umfasste neben klassischem Ballett auch Modern, Steppen, Fechten, Schauspiel. Nur der Gesang fehlte, der musste noch in Eigenregie organisiert (und bezahlt) werden.