A is for Alibi: Nichts zu verlieren - Sue Grafton - E-Book
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A is for Alibi: Nichts zu verlieren E-Book

Sue Grafton

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Beschreibung

Der Fall, mit dem alles begann – lernt die erste Hardboiled-Ermittlerin Amerikas kennen!»Mein Name ist Kinsey Millhone. Ich bin Privatdetektivin mit einer Lizenz vom Staat Kalifornien. Ich bin zweiunddreißig Jahre alt, zweimal geschieden, keine Kinder. Vorgestern habe ich jemanden getötet, und das liegt mir schwer auf der Seele.« Acht Jahre lang saß die junge Nikki wegen Mordes an ihrem Mann unschuldig im Gefängnis. Als sie endlich freikommt, wendet sie sich an die mit allen Wassern gewaschene Privatdetektivin Kinsey Millhone. Die Ermittlerin verspricht, den Cold Case neu aufzurollen – wohlwissend, dass nach acht Jahren jede noch so heiße Spur erkaltet ist. Doch schon bald erfährt sie, dass es in der malerischen südkalifornischen Küstenstadt Santa Teresa mehr als einen Menschen gibt, der den skrupellosen Anwalt tot sehen wollte. Als Kinsey endlich die wahren Umstände des Mordes erahnt, ist es bereits zu spät – denn da steht sie dem Mörder von Angesicht zu Angesicht gegenüber … »Die wohl überzeugendste gegenwärtige Krimi-Serie überhaupt.« Wall Street JournalDer Auftakt zu der »Alphabet«-Erfolgsreihe – ein packender Ermittlerkrimi für Fans der Bestsellerserien von Sara Paretsky und Patricia Cornwall. Als Hörbuch bei Saga Egmont erhältlich sowie als eBook bei dotbooks.Im zweiten Band muss Kinsey Millhone einen komplizierten Vermisstenfall entwirren … »Sehr gute Story mit sympathischer Heldin« – Amazon-Leser »Einfach spannend bis zum Schluss.« – Amazon-Leserin

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Seitenzahl: 382

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

Acht Jahre lang saß die junge Nikki wegen Mordes an ihrem Mann unschuldig im Gefängnis. Als sie endlich freikommt, wendet sie sich an die mit allen Wassern gewaschene Privatdetektivin Kinsey Millhone. Die Ermittlerin verspricht, den Cold Case neu aufzurollen – wohlwissend, dass nach acht Jahren jede noch so heiße Spur erkaltet ist. Doch schon bald erfährt sie, dass es in der malerischen südkalifornischen Küstenstadt Santa Teresa mehr als einen Menschen gibt, der den skrupellosen Anwalt tot sehen wollte. Als Kinsey endlich die wahren Umstände des Mordes erahnt, ist es bereits zu spät – denn da steht sie dem Mörder von Angesicht zu Angesicht gegenüber …

Über die Autorin:

Sue Grafton (1940–2017) war eine der erfolgreichsten Spannungsautorinnen Amerikas. Sie wurde in Kentucky geboren und verfasste Drehbücher, bevor sie ihren ersten Roman veröffentlichte. Ihre Bücher über die abgebrühte und einzelgängerische Privatdetektivin Kinsey Millhone wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und begeistern ein Millionenpublikum auf der ganzen Welt.

Die Website der Autorin: suegrafton.com

Die Autorin bei Facebook: facebook.com/SueGrafton

Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre »Alphabet«-Krimireihe um die eigenwillige Privatermittlerin Kinsey Millhone. Die ersten zwei Bände, »A is for Alibi: Nichts zu verlieren« und »B is for Burglar: In aller Stille« sind auch als Hörbücher bei Saga Egmont erhältlich.

***

eBook-Neuausgabe April 2025

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1982 unter dem Originaltitel »›A‹ Is for Alibi« bei Henry Holt, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1987 unter dem Titel »A wie Alibi« bei Ullstein sowie in einer Neuausgabe unter dem Titel »Nichts zu verlieren« bei Goldmann.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1982 by Sue Grafton

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1987 by Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt am Main – Berlin

Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von AdobeStock/2rogan, Sujid

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)

ISBN 978-3-98952-938-0

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Sue Grafton

A is for Alibi: Nichts zu verlieren

Kriminalroman - Ein Fall für Kinsey Millhone 1

Aus dem Amerikanischen von Malte Krutzsch

dotbooks.

Widmung

Für meinen Vater

Chip Grafton

der mich auf diesen Weg geführt hat

Kapitel 1

Mein Name ist Kinsey Millhone. Ich bin Privatdetektivin mit einer Lizenz vom Staat Kalifornien. Ich bin zweiunddreißig Jahre alt, zweimal geschieden keine Kinder. Vorgestern habe ich jemanden getötet, und das liegt mir schwer auf der Seele. Ich bin ein netter Mensch und habe viele Freunde. Mein Appartement ist klein, aber ich lebe gern auf engem Raum. Die meiste Zeit meines Lebens war ich in Wohnwagen zuhause, aber die sind neuerdings für meinen Geschmack zu perfekt geworden, deshalb bewohne ich jetzt ein Einzelzimmer, eine »Junggesellenbude«. Ich habe keine Haustiere. Ich habe keine Zimmerpflanzen. Ich bin viel unterwegs, und da lasse ich nicht gern etwas zurück. Abgesehen von den Gefahren meines Berufs war mein Leben immer alltäglich, ereignislos und gut. Jemanden getötet zu haben, gibt mir ein komisches Gefühl, und ich habe es noch nicht ganz verarbeitet. Ich habe schon vor der Polizei ausgesagt, habe das Protokoll Seite für Seite mit meinen Initialen versehen und anschließend unterschrieben. Einen ähnlichen Bericht habe ich für die Akten in meinem Büro aufgesetzt. Die Sprache in beiden Dokumenten ist neutral, die Wortwahl abstrakt und beide sagen letztlich nicht genug.

Nikki Fife kam vor drei Wochen in mein Büro. Ich verfüge über einen kleinen Winkel in einer großen Bürosuite, die der California Fidelity-Versicherung gehört, für die ich mal gearbeitet habe. Unsere Verbindungen sind jetzt eher locker. Ich übernehme eine bestimmte Anzahl von Nachforschungen für sie, als Entgelt für zwei Räume mit separatem Eingang und einem kleinen Balkon, der die Hauptstraße von Santa Teresa überblickt. Ich habe einen Antwortdienst, der Anrufe entgegennimmt, wenn ich fort bin, und ich führe meine Bücher selbst. Viel Geld verdiene ich nicht, aber ich komme zurecht.

Ich war den größten Teil des Morgens fort gewesen und fuhr nur am Büro vorbei, um meine Kamera zu holen. Nikki Fife stand auf dem Gang vor meiner Bürotür. Ich kannte sie eigentlich nicht, hatte aber vor acht Jahren ihrem Prozeß beigewohnt, als sie wegen Mordes an ihrem Mann Laurence verurteilt worden war, einem prominenten Scheidungsanwalt in der Stadt. Nikki war damals Ende Zwanzig gewesen, mit auffallenden, weißblonden Haaren, dunklen Augen und makelloser Haut. Ihr hageres Gesicht war jetzt etwas fülliger, wahrscheinlich infolge der Gefängniskost mit ihrem hohen Stärkegehalt, aber sie hatte immer noch das ätherische Aussehen, das seinerzeit die Mordanklage so abwegig hatte erscheinen lassen. Ihr Haar war in seinem natürlichen Ton nachgewachsen, ein so helles Braun, daß es nahezu farblos anmutete. Sie war vielleicht fünfunddreißig, sechsunddreißig, und die Jahre in der kalifornischen Frauenhaftanstalt hatten keine sichtbaren Spuren eingegraben.

Ich sagte erst mal nichts; sperrte nur die Tür auf und ließ sie herein.

»Sie wissen, wer ich bin«, begann sie.

»Ich habe ein paarmal für Ihren Mann gearbeitet.«

Sie musterte mich sorgfältig. »Sonst nichts?«

Ich wußte, was sie meinte. »Ich bin auch im Gericht gewesen, als Sie angeklagt waren«, sagte ich. »Aber wenn Sie fragen, ob ich persönlich was mit ihm hatte, ist die Antwort nein. Er war nicht mein Typ. Nichts für ungut. Möchten Sie Kaffee?«

Sie nickte und entspannte sich fast unmerklich. Ich zog die Kaffeekanne aus dem unteren Teil des Karteischranks und füllte sie mit Wasser aus dem Sparkletts-Behälter hinter der Tür. Es gefiel mir, daß sie nichts gegen die Umstände sagte, die ich mir machte. Ich legte eine Filtertüte ein, tat gemahlenen Kaffee hinein und schaltete die Maschine an. Das Gurgeln war beruhigend wie die Pumpe eines Aquariums.

Nikki saß ganz still, fast als wären ihre Gefühle unbeteiligt. Sie zeigte keine nervösen Regungen, rauchte nicht und zerwühlte auch nicht ihr Haar. Ich setzte mich in meinen Drehstuhl.

»Wann sind Sie rausgekommen?«

»Vor einer Woche.«

»Wie fühlte sich die Freiheit an?«

Sie zuckte die Achseln. »Gut, denke ich, aber überleben kann ich auch auf die andere Art. Besser, als man meinen sollte.«

Ich nahm eine Tüte Sahne aus dem kleinen Kühlschrank zu meiner Rechten. Da stehen meine sauberen Becher drauf, und ich drehte zwei für uns um und füllte sie, als der Kaffee fertig war. Nikki nahm ihren mit einem leisen Dankeschön.

»Vielleicht kennen Sie den Spruch ja schon«, fuhr sie fort, »aber ich habe Laurence nicht umgebracht, und ich möchte, daß Sie herausfinden, wer es getan hat.«

»Und damit warten Sie so lange? Sie hätten doch vom Gefängnis aus eine Untersuchung veranlassen können und sich vielleicht ein paar Jährchen erspart.«

Sie lächelte schwach. »Ich behaupte seit Jahren, daß ich unschuldig bin. Wer glaubt mir denn? Im Augenblick der Anklage habe ich meine Glaubwürdigkeit verloren. Die möchte ich zurück. Und ich möchte wissen, wer mich reingelegt hat.«

Ihre Augen waren mir dunkel vorgekommen, aber jetzt konnte ich sehen, daß sie metallisch grau waren. Ihr Blick war kalt, verflacht, als ob sich ein inneres Licht trübte. Sie schien eine Frau ohne viel Hoffnung zu sein. Ich selbst hatte sie nie für schuldig gehalten, aber ich wußte nicht mehr, was mich davon so überzeugt hatte. Sie wirkte leidenschaftslos, und ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie auf irgendetwas genügend Wert legte, um dafür zu töten.

»Erzählen Sie mal?«

Sie nahm einen Schluck Kaffee und stellte den Becher dann auf den Rand meines Schreibtisches.

»Ich war vier Jahre mit Laurence verheiratet, sogar eine Idee länger. Nach den ersten sechs Monaten ging er fremd. Ich weiß nicht, warum das so ein Schlag für mich gewesen ist. Eigentlich bin ich genau auf diese Art an ihn geraten ... als er noch mit seiner ersten Frau zusammen war und sie mit mir betrog. Eine Geliebte zu sein, das hat wohl auch etwas Egoistisches. Jedenfalls hätte ich nie damit gerechnet, selbst einmal die Betrogene zu sein, und es gefiel mir nicht besonders.«

»Nach Ansicht des Staatsanwalts haben Sie ihn deswegen umgebracht.«

»Schauen Sie, die brauchten einen Schuldspruch. Das war ich«, sagte sie mit dem ersten Anzeichen von Energie. »Ich habe die letzten acht Jahre unter Mörderinnen der einen oder anderen Sorte verbracht, und glauben Sie mir, das Motiv, das sie treibt, ist nicht Apathie. Man bringt Leute um, die man haßt, oder man tötet im Zorn oder um abzurechnen, aber man bringt nicht jemand um, der einem gleichgültig ist. Zu der Zeit, als Laurence starb, war er mir völlig schnuppe. Meine Liebe hörte schon auf, als ich zum ersten Mal hinter die anderen Frauen kam. Ich brauchte halt eine Weile, um damit fertig zu werden ...«

»Und darum ging es in dem Tagebuch?« fragte ich.

»Klar wollte ich es anfangs genau wissen. Ich habe jeden einzelnen Seitensprung genau verfolgt. Ich habe Telefongespräche mitgehört. Ich bin ihm durch die Stadt nachspaziert. Dann wurde er allmählich vorsichtiger mit der ganzen Sache, und ich verlor allmählich das Interesse. Es war mir scheißegal.«

Ihre Wangen hatten sich gerötet, und ich ließ ihr einen Augenblick Zeit, um sich zu fassen. »Ich weiß, es sah so aus, als hätte ich ihn aus Eifersucht oder aus Wut umgebracht, aber das berührte mich alles nicht. Zu der Zeit, als er starb, wollte ich nur noch in meinem eigenen Leben vorankommen. Ich wollte wieder auf die Schule gehen, mich um meine Angelegenheiten kümmern. Er ging seinen Weg, und ich ging meinen ...« Ihre Stimme verklang.

»Was glauben Sie, wer ihn umgebracht hat?«

»Ich glaube, eine Menge Leute wollten’s gerne. Ob sie es getan haben oder nicht, ist eine andere Sache. Ich könnte ein paar kluge Vermutungen anstellen, aber ich habe keine Beweise. Deswegen bin ich ja hier.«

»Warum kommen Sie gerade zu mir?«

Wieder errötete sie leicht. »Ich habe es bei den zwei großen Agenturen in der Stadt versucht, und sie haben abgelehnt. In Laurences altem Rolodex stieß ich auf Ihren Namen. Ich dachte, es läge eine gewisse Ironie darin, jemanden zu engagieren, den er selbst mal engagiert hat. Aber erkundigt habe ich mich auch. Bei Con Dolan von der Mordkommission.«

Ich krauste die Stirn. »Das war doch sein Fall, oder?«

Nikki nickte. »Allerdings. Er sagte, Sie hätten ein gutes Gedächtnis. Ich hab’s nicht gern, wenn ich alles von ganz vorn erklären muß.«

»Was ist mit Dolan? Hält er Sie für unschuldig?«

»Das bezweifle ich, aber andererseits habe ich meine Zeit abgesessen, also was geht’s ihn an?«

Ich musterte sie einen Augenblick. Sie war direkt und was sie sagte, hatte Hand und Fuß. Laurence Fife war ein schwieriger Mann gewesen. Ich hatte ihn selbst nicht sonderlich gemocht. Wenn sie zu Recht verurteilt worden war, leuchtete mir nicht ein, warum sie das alles jetzt wieder aufrühren sollte. Ihre Höllenfahrt war vorbei, und ihre sogenannte Schuld gegenüber der Gesellschaft war bis auf die Bewährungsfrist, die sie noch hatte, getilgt.

»Lassen Sie mich drüber nachdenken«, sagte ich. »Ich kann mich aber heute noch mit Ihnen in Verbindung setzen und Ihnen Bescheid geben.«

»Dafür wäre ich dankbar. Geld habe ich. Was immer es kostet.«

»Ich möchte nicht dafür bezahlt werden, daß ich alte Geschichten aufwärme, Mrs. Fife. Selbst wenn wir herausfinden, wer der Täter war, müssen wir dafür sorgen, daß es hieb- und stichfest ist, und das könnte schwer sein nach der ganzen Zeit. Ich würde gern erst die Akten durchgehen und mal abwarten, wie das aussieht.«

Sie nahm einen Schnellhefter aus ihrer großen Ledertasche. »Ich habe ein paar Zeitungsausschnitte dabei. Die kann ich Ihnen dalassen, wenn Sie wollen. Hier ist die Nummer, unter der ich zu erreichen bin.«

Wir gaben uns die Hand. Ihre war kühl und dünn, aber ihr Griff war fest. »Nennen Sie mich Nikki. Bitte.«

»Wir bleiben in Verbindung«, sagte ich.

Ich mußte wegen eines Versicherungsanspruchs Fotos von einem Riß in irgendeinem Bürgersteig machen, deshalb verließ ich das Büro kurz nach ihr und fuhr mit meinem VW über den Freeway. Ich hab’s gern voll im Auto, und diesmal war es vollgestopft mit Ordnern und Gesetzbüchern, einer Aktentasche, in der ich meine kleine Automatic aufbewahre, Pappkisten und einem Karton Motoröl, den mir ein Klient geschenkt hatte. Er war zwei Schwindlern zum Opfer gefallen, die ihm »erlaubt« hatten, zwei Tausender in ihre Ölgesellschaft zu investieren. Echtes Motoröl war es schon, aber nicht ihr eigenes; bloß ein billiges von Sears, mit neuen Etiketten überklebt. Ich hatte eineinhalb Tage gebraucht, um die Scheichs aufzuspüren. Außer dem Gerümpel habe ich auch einen gepackten Koffer hintendrin, für Gott weiß welche Notlage. Ich würde für niemanden arbeiten, der mich so schnell braucht. Es gibt mir einfach ein Gefühl der Sicherheit, ein Nachthemd, Zahnbürste und frische Unterwäsche zur Hand zu haben. Vermutlich habe ich so meine kleinen Macken. Der VW ist ein 68er, eins von diesen undefinierbar beigen Modellen mit etlichen Beulen. Er müßte überholt werden, aber ich habe nie Zeit.

Im Fahren dachte ich über Nikki nach. Ich hatte den Schnellhefter voller Zeitungsausschnitte auf den Nebensitz geworfen, aber eigentlich brauchte ich sie mir nicht anzusehen. Laurence Fife hatte eine Menge Scheidungsfälle bearbeitet und am Gericht den Ruf eines scharfen Hundes gehabt. Er war kalt, methodisch und skrupellos, kein Vorteil entging ihm. In Kalifornien, wie in vielen anderen Staaten auch, gibt es als Scheidungsgrund nur unversöhnliche Differenzen oder unheilbare Geisteskrankheit, wodurch die erfundenen Ehebruchsvorwürfe entfallen, die einst die Hauptstütze von Scheidungsanwälten und Privatdetektiven waren. Geblieben ist die Frage der Güterregelung und des Sorgerechts – Geld und Kinder –, und Laurence Fife konnte für seine Klienten so gut wie alles herausholen. Die meisten waren Frauen. Außergerichtlich stand er im Ruf eines Scharfmachers anderer Art, und man munkelte, er habe in der schwierigen Phase zwischen vorläufigem und endgültigem Scheidungsurteil so manches gebrochene Herz geheilt.

Ich hatte ihn als klug, fast humorlos, aber sorgfältig empfunden; ein Mann, für den zu arbeiten leicht war, da er klare Anweisungen gab und im Voraus zahlte. Eine Menge Leute haßten ihn offenbar: Männer, weil er sie schröpfte, Frauen, weil er ihr Vertrauen mißbrauchte. Er war neununddreißig, als er starb. Daß Nikki angeklagt, vor Gericht gestellt und verurteilt wurde, war einfach Pech. Abgesehen von Fällen, hinter denen offensichtlich ein blutrünstiger Irrer steckt, glaubt die Polizei gern, daß Morde von denjenigen verübt werden, die wir kennen und lieben, und meistens hat sie recht damit – ein schauriger Gedanke, wenn man sich mit einer fünfköpfigen Familie zu Tisch setzt. All diese potentiellen Mörder, die in ihren Tellern stochern.

Soweit ich mich erinnern konnte, hatte Laurence Fife am Abend seiner Ermordung mit Charlie Scorsoni, seinem Sozius, ein paar Gläser getrunken. Nikki war auf einem Treffen ihres College-Clubs. Sie kehrte vor Laurence zurück, der gegen Mitternacht kam. Er mußte Medikamente gegen zahlreiche Allergien einnehmen, und bevor er schlafen ging, schluckte er seine gewohnte Kapsel. Innerhalb zwei Stunden wachte er auf – Übelkeit, Erbrechen, er wand sich in heftigen Magenkrämpfen. Bis zum Morgen war er tot. Eine Autopsie und Laboruntersuchungen ergaben, daß er an der Einnahme von Oleander gestorben war, der, zu feinem Pulver gemahlen, mit der Arznei in der Kapsel, die er schluckte, vertauscht worden war: kein Meisterstreich, aber sehr wirkungsvoll. Oleander ist ein verbreiteter Strauch in Kalifornien. Einer stand sogar im Hintergarten der Fifes. Nikkis Fingerabdrücke fanden sich auf der Arzneiflasche, neben denen ihres Mannes. Ein Tagebuch wurde unter ihrer Habe entdeckt; bestimmte Eintragungen belegten, daß sie hinter seine Seitensprünge gekommen war, daß sie deswegen erbittert und verletzt war und an Scheidung dachte. Der Staatsanwalt konnte mühelos ins Feld führen, daß sich niemand ungestraft von Laurence Fife scheiden ließ. Seine erste Ehe war geschieden worden, und obwohl ein anderer Anwalt ihn in diesem Prozeß vertreten hatte, war sein Einfluß dabei unverkennbar. Er erhielt das Sorgerecht für seine Kinder, und er schaffte es, finanziell am besten wegzukommen. Der Staat Kalifornien ist gewissenhaft bei der Vermögensteilung, aber Laurence Fife hatte so eine Art, Beträge zu lavieren, daß sogar eine Fifty-fifty-Teilung ihm den Löwenanteil brachte. Es sah so aus, als hätte Nikki Fife wohlweislich darauf verzichtet, sich legal von ihm zu befreien, und auf andere Wege gesonnen.

Sie hatte ein Motiv. Sie hatte die Gelegenheit. Die Anklagekammer vernahm Zeugen und eröffnete das Hauptverfahren. Als sie erst einmal vor Gericht stand, handelte es sich einfach darum, wer zwölf Bürger wovon überzeugen konnte. Offenbar hatte der Staatsanwalt seine Hausaufgaben gemacht. Nikki holte sich Wilfred Brentnell aus Los Angeles: ein Spitzenverteidiger mit dem Ruf des Schutzheiligen für hoffnungslose Fälle. In gewisser Hinsicht war das fast ein Schuldbekenntnis. Der ganze Prozeß erregte Aufsehen. Nikki war jung. Sie war hübsch. Sie war reich geboren. Die Öffentlichkeit war neugierig, und die Stadt war klein. Großer Appetit und ein gefundenes Fressen.

Kapitel 2

Santa Teresa ist eine südkalifornische Stadt mit achtzigtausend Einwohnern, kunstvoll angelegt zwischen den Sierra Madres und dem Pazifik – ein Zufluchtsort für die unrettbar Reichen. Die öffentlichen Gebäude sehen aus wie alte spanische Missionen, die Wohnhäuser sehen aus wie auf Illustriertenfotos, den Palmen sind die unansehnlichen braunen Fransen weggestutzt, und die Marina ist das perfekte Ansichtskartenbild, mit den blaugrauen Hügeln als Hintergrund und weißen Booten, die im Sonnenschein tanzen. Die Innenstadt besteht hauptsächlich aus ein- bis zweistöckigen Bauten aus weißem Stuck und roten Fliesen, mit weiten, weichen Bögen und Gitterwerk, um das sich leuchtend purpurne Bougainvillea rankt. Selbst die Fertigbungalows der Armen könnte man kaum als fad bezeichnen.

Die Polizeiverwaltung liegt nahe der Stadtmitte in einer Nebenstraße, gesäumt von pfefferminzgrünen Häusern mit niedrigen Steinmauern und Jacarandabäumen, von denen blaßlila Blüten tropfen. In Südkalifornien besteht der Winter aus bedecktem Himmel, und er wird nicht durch den Herbst angekündigt, sondern durch Brände. Nach der Feuersaison kommen die Erdrutsche. Danach ist dann der Status quo wiederhergestellt, und alles geht seinen gewohnten Gang. Jetzt war es Mai.

Nachdem ich die Filmrolle zum Entwickeln abgegeben hatte, fuhr ich zum Mordderzernat, um mit Lieutenant Dolan zu sprechen. Con ist Ende Fünfzig, ihn umgibt die Aura des Ungepflegten: Säcke unter den Augen, graue Stoppeln oder jedenfalls ihr Anschein, ein hamsterbackiges Gesicht und Haare, die oben mittels irgendeines Herrenkosmetikums über eine blanke Stelle gekämmt worden sind. Er sieht aus, als würde er nach Thunderbird riechen, unter Brücken herumlungern und sich auf die eigenen Schuhe erbrechen. Was nicht bedeutet, daß er nicht sehr auf Draht ist. Con ist zehnmal schlauer als der Durchschnittsdieb. Mit Mördern läuft er ungefähr Kopf an Kopf. Meistens erwischt er sie, und nur gelegentlich vertut er sich. Wenige Leute können ihn überlisten, und ich bin mir nicht sicher, woran das liegt, abgesehen von seiner Konzentrationsfähigkeit, die enorm, und seinem Gedächtnis, das klar und unbarmherzig ist. Er wußte, warum ich dort war, und winkte mich wortlos nach hinten in sein Büro.

Was Con Dolan ein Büro nennt, genügt anderswo gerade einer Sekretärin. Er mag nicht ausgeschlossen sein und legt keinen sonderlichen Wert auf Ungestörtheit. Er erledigt seine Arbeit gern zurückgekippt in seinem Stuhl, die Aufmerksamkeit halb auf das gerichtet, was um ihn herum vorgeht. So schnappt er eine Menge Informationen auf, und das erspart ihm überflüssige Gespräche mit seinen Leuten. Er weiß, wann seine Beamten kommen und gehen, er weiß, wer zur Vernehmung geholt worden ist, und er weiß, wann und wieso Berichte unpünktlich geliefert werden.

»Was kann ich für Sie tun?« sagte er, aber sein Tonfall ließ keine überschäumende Hilfsbereitschaft erkennen.

»Ich würde mir gern die Akten über Laurence Fife ansehen.«

Kaum wahrnehmbar zog er eine Braue hoch. »Das verstößt gegen die polizeilichen Grundsätze. Wir haben keine Bücherei hier.«

»Ich wollte sie ja nicht mitnehmen. Ich möchte nur reinsehen. Bei anderer Gelegenheit haben Sie mir das doch auch erlaubt.«

»Einmal.«

»Ich habe Ihnen schon mehr als einmal Informationen geliefert, und das wissen Sie«, sagte ich. »Was gibt’s denn zu zögern?«

»Der Fall ist abgeschlossen.«

»Dann sollten Sie keine Bedenken haben. Es ist ja wohl kein Eindringen in jemandes Privatsphäre.«

Sein Lächeln darauf war dünn und humorlos, und er spielte lässig mit seinem Bleistift, während er, so nahm ich an, die Macht genoß, mich abblitzen zu lassen. »Sie hat ihn umgebracht, Kinsey. Das ist die ganze Geschichte.«

»Sie sagten ihr, sie solle sich mit mir in Verbindung setzen. Wozu die Mühe, wenn Sie nicht selber Zweifel haben?«

»Meine Zweifel haben nichts mit Laurence Fife zu tun«, sagte er.

»Sondern?«

»Da steckt mehr dahinter«, wich er aus. »Vielleicht möchten wir das schützen, was wir haben.«

»Hüten ›wir‹ etwa Geheimnisse?«

»Oh, ich habe mehr Geheimnisse, als Sie sich träumen lassen«, meinte er.

»Ich auch«, sagte ich. »Nur, warum diese Spielchen?«

Er warf mir einen Blick zu, der Ärger sein konnte, aber auch etwas anderes. Der Mann ist schwer zu durchschauen. »Sie wissen, wie ich zu Leuten wie Ihnen stehe.«

»Also, soweit es mich betrifft, ziehen wir am gleichen Strang«, sagte ich. »Ich bin ehrlich zu Ihnen. Ich weiß nicht, was Sie an den anderen Privatdetektiven in der Stadt zu mäkeln haben, aber ich komme Ihnen nicht in die Quere, und ich habe nur Respekt für die Arbeit, die Sie tun. Ich verstehe nicht, wieso wir nicht Zusammenarbeiten können.«

Er starrte mich einen Augenblick an, sein Mund verzog sich resigniert. »Sie könnten mehr aus mir rausholen, wenn Sie lernen würden zu flirten«, sagte er unwillig.

»Könnte ich nicht. Für Sie sind Frauen doch eine Strafe. Wenn ich flirte, würden Sie mir den Kopf tätscheln und mich rausschicken.«

Das lockte ihn zwar nicht aus der Reserve, aber er streckte den Arm aus, griff zum Telefon und wählte Erkennungsdienst und Archiv.

»Hier ist Dolan. Emerald soll mir die Akten über Laurence Fife bringen.« Er legte auf, lehnte sich wieder zurück und sah mich an mit einer Mischung aus Nachdenklichkeit und Mißfallen.

»Ich höre besser keine Klagen darüber, wie Sie die Sache angehen. Wenn ich auch nur einen einzigen Anruf erhalte – und ich rede von einem Zeugen, der sich belästigt fühlt, oder sonst jemand, einschließlich meiner Leute oder sonst jemandes Leute –, sind Sie dran. Haben Sie kapiert?«

Ich hob gehorsam drei Finger an die Schläfe. »Pfadfinderschwur.«

»Wann waren Sie denn ein Pfadfinder?«

»Na ja, ich war mal fast ’ne Woche lang ein Wölfling«, sagte ich sanft. »Wir mußten zum Muttertag Rosen auf ein Taschentuch malen, und weil ich das blöd fand, bin ich abgehauen.«

Er lächelte nicht. »Sie können Lieutenant Beckers Büro benutzen«, sagte er, als die Akten gebracht wurden. »Und setzen Sie sich nicht in die Nesseln.«

Ich ging in Beckers Büro. Es nahm zwei Stunden in Anspruch, die Papiermassen durchzusehen, aber Cons Zurückhaltung wurde mir verständlicher, denn nahezu das Erste, was ans Licht kam, war eine Reihe von Fernschreiben der Westend-Polizei von Los Angeles über einen zweiten Mord. Zuerst dachte ich, es wäre ein Irrtum – Unterlagen zu einem zweiten Fall wären versehentlich in der falschen Akte gelandet. Aber die Einzelheiten knisterten fast auf dem Papier, und ihre tiefere Bedeutung ließ mein Herz heftig klopfen. Eine Buchhalterin namens Libby Glass, weiß, vierundzwanzig, war vier Tage nach dem Tod von Laurence Fife an der Einnahme von gemahlenem Oleander gestorben. Sie hatte für Haycraft und McNiece gearbeitet, eine Treuhandgesellschaft, die die Interessen von Laurence Fifes Anwaltskanzlei vertrat. Was, zum Teufel, sollte das nun wieder?

Ich blätterte Kopien von Untersuchungsberichten durch, versuchte mir die Geschichte aus kurzen Aktennotizen und handschriftlichen Resümees von Telefongesprächen zusammenzureimen, die in rascher Folge zwischen der Polizei von Santa Teresa und West Los Angeles hin und her gegangen waren. Eine Notiz besagte, daß Libbys Wohnungsschlüssel an dem Schlüsselring in Laurence Fifes Büroschreibtisch gefunden worden war. Eine langatmige Vernehmung ihrer Eltern fügte nichts hinzu. Es gab auch eine Vernehmung eines mürrisch klingenden Exfreunds namens Lyle Abernathy, der überzeugt schien, daß sie eine Romanze mit einem »gewissen, nicht namentlich genannten Anwalt aus Santa Teresa« hatte, aber etwas Genaueres wußte kaum jemand zu sagen. Trotzdem war die Verbindung schon ominös, und es sah aus, als hätte Nikki in ihrer angeblichen rasenden Eifersucht den Gegenstand der Tändelei ihres Gatten ebenso gerichtet wie den Mann selbst. Nur gab es keinen Beweis dafür.

Ich machte mir Notizen, kritzelte zuletzt bekannte Adressen und Telefonnummern auf, falls sie nach all den Jahren noch etwas nützten, dann schob ich meinen Stuhl zurück und ging zur Tür. Con sprach gerade mit Lieutenant Becker, aber er muß gewußt haben, was ich wollte, denn er ließ Becker mit einer Entschuldigung stehen, offenbar überzeugt, daß ich das Wesentliche erfaßt hatte. Ich lehnte mich an den Türpfosten und wartete. Er kam in schönster Gemütsruhe herüber.

»Würden Sie mir mal sagen, was es damit auf sich hat?«

Sein Gesicht war nachdenklich, jedoch mit einem Anflug von Bitterkeit. »Wir konnten es nicht mit reinbringen«, sagte er knapp.

»Sie glauben, daß Nikki sie auch umgebracht hat?«

»Ich würde eine Wette darauf eingehen«, schnappte er.

»Der Staatsanwalt hat es anscheinend nicht so gesehen.«

Er zuckte die Achseln, schob die Hände in die Hosentaschen. »Ich kann das kalifornische Beweisrecht genausogut lesen wie jeder andere. Sie haben meine Hunde zurückgepfiffen.«

»Das Zeug in der Akte waren bloß Indizien«, sagte ich.

»Eben.«

Ich hielt den Mund und blickte starr auf eine Reihe Fenster, die dringend geputzt werden mußten. Mir gefiel diese kleine Wende überhaupt nicht, und er schien das zu wissen. Er verlagerte sein Gewicht.

»Ich denke, ich hätte sie festnageln können, aber der Staatsanwalt hatte es mächtig eilig und wollte seinen Fall nicht gefährden. Schlechte Politik. Deswegen hat es Sie ja auch nicht bei der Polizei gehalten, Kinsey. Arbeit mit einer Leine um den Hals.«

»Davon halte ich immer noch nichts«, sagte ich.

»Vielleicht helfe ich Ihnen deshalb«, meinte er und sah dabei ganz listig aus den Augen.

»Was ist mit der Nachuntersuchung?«

»Oh, die ist gelaufen. Wir haben über Monate an dem Libby- Glass-Aspekt gearbeitet. Ebenso die Polizei von West L. A. Es hat nie was gebracht. Keine Zeugen. Keine Informanten. Keine Fingerabdrücke, die Nikki Fife am Tatort platziert hätte. Wir konnten noch nicht einmal nachweisen, daß sie Libby Glass kannte.«

»Meinen Sie, ich helfe Ihnen jetzt, Ihren Fall durchzubringen?«

»Na ja, das kann ich nicht beurteilen«, sagte er. »Vielleicht. Ob Sie’s glauben oder nicht, ich halte Sie für keinen schlechten Ermittler. Noch jung und manchmal auf dem Holzweg, aber immerhin grundsätzlich ehrlich. Wenn Sie Beweismaterial ausgraben, das auf Nikki deutet, würden Sie das doch nicht zurückhalten, oder?«

»Wenn sie es war.«

»War sie es nicht, dann sind Sie alle Sorgen los.«

»Con, wenn Nikki Fife etwas zu verbergen hat, warum sollte sie die ganze Geschichte dann noch mal aufbringen? So blöd kann sie doch nicht sein. Was hätte sie davon?«

»Sagen Sie’s mir.«

»Hören Sie«, sagte ich, »ich glaube noch nicht einmal, daß sie Laurence umgebracht hat, da dürfte es Ihnen äußerst schwerfallen, mir einzureden, daß sie auch noch jemand anders auf dem Gewissen hat.«

Das Telefon klingelte zwei Tische weiter, und Lieutenant Bekker hob einen Finger und sah zu Con herüber. Der schenkte mir ein flüchtiges Lächeln, als er fortging.

»Viel Vergnügen«, sagte er.

Ich überflog die Akte noch einmal schnell, um sicherzugehen, daß ich nichts übersehen hatte, dann schloß ich sie und ließ sie auf dem Schreibtisch zurück. Er war wieder mit Becker ins Gespräch vertieft, als ich an den beiden vorbeikam, und keiner von beiden sah zu mir auf. Mich bedrückte der Gedanke an Libby Glass, aber er nahm mich auch gefangen. Vielleicht würde das doch mehr werden als ein Wiederaufwärmen alter Geschichten, vielleicht gab es doch mehr aufzudecken als eine Spur, die seit acht Jahren kalt war.

Bis ich zurück ins Büro kam, war es Viertel nach vier, und ich brauchte einen Drink. Ich holte eine Flasche Chablis aus meinem kleinen Kühlschrank und setzte den Korkenzieher an. Die beiden Becher standen noch auf dem Schreibtisch. Ich spülte sie aus und füllte meinen mit so trockenem Wein, daß mich beim Kosten ein ganz leiser Schauer überlief. Ich ging auf den Balkon und sah vom ersten Stock hinunter auf State Street, die mitten durch das Zentrum von Santa Teresa verläuft, schließlich einen großen Bogen nach links macht und in eine Straße mit anderem Namen übergeht. Auch von hier aus sah man überall spanische Fliesen und Stuckbögen und üppige Bougainvillea. Santa Teresa ist die einzige Stadt, von der ich je gehört habe, die ihre Hauptstraße verschmälert hat, die Bäume gepflanzt hat, anstatt sie auszureißen, und raffinierte Telefonzellen gebaut hat, die aussehen wie kleine Beichtstühle. Ich stützte mich auf das hüfthohe Geländer und schlürfte meinen Wein. Ich konnte das Meer riechen und schloß alles Denken aus, während ich die Fußgänger unten beobachtete. Ich wußte bereits, daß ich für Nikki arbeiten würde, aber ich brauchte diese wenigen Augenblicke für mich, ehe ich meine Aufmerksamkeit der bevorstehenden Aufgabe zuwandte.

Um fünf fuhr ich nach Hause und verständigte, bevor ich ging, den Auftragsdienst.

Von allen Orten, wo ich in Santa Teresa gewohnt habe, ist mein gegenwärtiges Plätzchen das beste. Es liegt in einer anspruchslosen Straße parallel zu dem breiten Boulevard, der entlang dem Strand verläuft. Die meisten Häuser in der Nachbarschaft gehören Rentnern, deren Erinnerung an die Stadt zurückreicht bis zu den Tagen, als sie noch ganz aus Zitrushainen und Kurhotels bestand. Mein Vermieter, Henry Pitts, ist ein ehemaliger Bäckermeister, der jetzt, mit einundachtzig Jahren, davon lebt, daß er abscheulich schwierige Kreuzworträtsel erfindet, die er gerne an mir ausprobiert. Gewöhnlich bäckt er auch noch Riesenschübe Brot, die er in einem alten Shaker-Trog auf der Sonnenterrasse nahe meinem Zimmer aufgehen läßt. Henry liefert Brot und andere Backwaren im Austausch gegen seine Mahlzeiten an ein nahe gelegenes Restaurant, und neuerdings ist er auch sehr gewieft in der Kunst, Gutscheine auszuschneiden. An einem guten Tag, behauptet er, kann er für fünfzig Dollar Lebensmittel kaufen, indem er nur 6 Dollar 98 ausgibt. Irgendwie scheinen diese Einkaufstrips jedes Mal Strumpfhosen abzuwerfen, und die schenkt er mir. Ich bin halb verliebt in Henry Pitts.

Das Zimmer selbst ist fünf Meter im Quadrat, ausgestattet als Wohnzimmer mit Schlafzimmer, Küche, Bad, Kleiderkammer und Waschgelegenheit. Ursprünglich war es einmal Henrys Garage, und ich bin bloß froh, daß es keinerlei Stuck, rote spanische Fliesen oder Kletterpflanzen aufweist. Es besteht aus Aluminiumwänden und anderen absolut künstlichen Materialien, die wetterfest sind und nie einen Anstrich brauchen. Die Architektur ist völlig unscheinbar. In diese gemütliche Höhle ziehe ich mich meistens nach Feierabend zurück, und von hier aus rief ich auch Nikki an und verabredete mich mit ihr auf einen Drink.

Kapitel 3

Wenn ich mich herumtreibe, dann meistens in einer benachbarten Kneipe, die Rosie’s heißt. Das ist so ein Ort, wo man erst nachsieht, ob der Stuhl abgewischt werden muß, bevor man sich hinsetzt. In den Plastiksitzen sind kleine Risse, die Fädchen an der Unterseite von Nylonstrümpfen ziehen, und die Tische haben schwarze Formicaplatten mit handgravierten Worten wie »Hi«. Links über der Bar hängt ein staubiger Schwertfisch, und wenn die Leute sich betrinken, läßt sie Rosie mit Gummipfeilen aus einem Spielzeuggewehr darauf schießen, wodurch sie Aggressionen ablenkt, die sich sonst in bösen Kneipenschlägereien entladen könnten.

Das Lokal gefällt mir aus verschiedenen Gründen. Es ist nicht nur in der Nähe meiner Wohnung, sondern es zieht auch nie Touristen an; das heißt, es ist meistens halb leer und eignet sich vorzüglich für Gespräche unter vier Augen. Außerdem ist Rosies Küche originell, eine Art Kochen auf Teufel komm raus mit ungarischem Touch. Bei Rosie tauscht Henry Pitts auch die Backwaren ein, so daß ich obendrein noch sein Brot und seine Pasteten zu essen bekomme. Rosie ist in den Sechzigern, mit einer Nase, die fast ihre Oberlippe berührt, einer niedrigen Stirn und gefärbten Haaren in einem bemerkenswerten Rostbraun, das der Farbe von billigen Redwoodmöbeln gleicht. Dazu macht sie raffinierte Sachen mit einem Augenbrauenstift, die ihre Augen klein und argwöhnisch erscheinen lassen.

Als Nikki an diesem Abend eintraf, überblickte sie erst einmal zögernd das Lokal. Dann entdeckte sie mich und kam zwischen den leeren Tischen hindurch zu der Nische, wo ich immer sitze. Sie rutschte auf den Platz mir gegenüber und schlüpfte aus ihrer Jacke. Rosie schlenderte herbei und musterte Nikki mit Unbehagen. Rosie ist überzeugt daß ich mit Mafiatypen und Drogenfreaks verkehre, und wahrscheinlich versuchte sie festzustellen, in welche Kategorie Nikki Fife paßte.

»Ihr wollt also was essen, oder wie?« kam Rosie gleich zur Sache.

Ich warf Nikki einen Blick zu. »Hatten Sie schon Abendbrot?«

Sie schüttelte den Kopf. Rosies Augen wanderten von Nikki zu mir, als müßte ich für eine Taubstumme dolmetschen.

»Was gibt’s denn heute abend?«

»Ich hab Gulasch. Gewürfeltes Kalbfleisch, massig Zwiebeln, Paprika, Tomatenpüree. Das schmeckt. Da schnallst du ab. Es ist der beste Schmortopf, den ich mache. Henrys Brötchen und alles, und ’ne Platte mit gutem Weichkäse und ’n paar Gurken bringe ich auch noch.«

Sie notierte schon die Bestellung, während sie sprach, so daß es keiner besonderen Zustimmung von unserer Seite bedurfte. »Dazu trinkt ihr Wein. Ich such den passenden aus.«

Als Rosie fort war, gab ich die Informationen über den Mord an Libby Glass weiter, die ich den Akten entnommen hatte, einschließlich der Telefongespräche, die zu Laurences Privatanschluß zurückverfolgt worden waren.

»Wußten Sie von ihr?«

Nikki schüttelte den Kopf. »Ich habe zwar den Namen gehört, aber nur durch meinen Anwalt, glaube ich, irgendwann während des Prozesses. Jetzt weiß ich nicht mal mehr, um was es ging.«

»Sie haben Laurence nie von ihr sprechen hören? Niemals ihren Namen irgendwo gesehen?«

»Keine kleinen Liebesbriefe, falls Sie das meinen. In diesen Dingen war er peinlich genau. Er wurde mal in einer Scheidungsklage namentlich als Verfasser einiger Briefe genannt, und seitdem hat er Persönliches nur selten zu Papier gebracht. Ich wußte meistens, wenn er mit jemand was hatte, aber nie anhand von mysteriösen Zetteln, die er liegen ließ, oder Telefonnummern auf Streichholzschachteln und dergleichen.«

Darüber dachte ich einen Augenblick nach. »Aber was ist mit Telefonrechnungen? Warum ließ er die herumliegen?«

»Hat er nicht getan«, sagte Nikki. »Alle Rechnungen gingen an die Treuhandgesellschaft in Los Angeles.«

»Und Libby Glass hat die Bücher betreut?«

»Es scheint so.«

»Dann hat er sie vielleicht geschäftlich angerufen.«

Nikki zuckte mit den Achseln. Sie war etwas weniger abwesend als beim ersten Mal, aber ich hatte immer noch das Gefühl, daß sie einen Schritt von allem Geschehen entfernt war. »Mit irgendjemandem hatte er eine Affäre.«

»Woher wissen Sie das?«

»Die Zeiten, wann er heimkam. Der Ausdruck in seinem Gesicht.« Sie zögerte, dachte anscheinend nach. »Manchmal roch er nach der Seife von jemand anders. Schließlich hielt ich ihm das vor, und danach hat er sich in seinem Büro eine Dusche anbringen lassen und dort die gleiche Seife benutzt, die wir zuhause nahmen.«

»Traf er sich im Büro mit Frauen?«

»Fragen Sie seinen Partner«, sagte sie mit einem winzigen Anflug von Bitterkeit. »Vielleicht hat er sie gleich auf der Bürocouch gevögelt, ich weiß es nicht. Jedenfalls, da waren so kleine Sachen. Jetzt klingt das albern, aber einmal kam er heim und sein Socken war linksgedreht. Es war Sommer, und er sagte, er wäre Tennis spielen gewesen. Er trug Tennis-Shorts und hatte sich auch wirklich ins Schwitzen gebracht, aber nicht auf einem Tennisplatz. Da habe ich ihn echt zerfetzt.«

»Aber was sagte er denn, wenn Sie ihn zur Rede stellten?«

»Manchmal gab er’s zu. Warum auch nicht? Ich hatte ja keine Beweise, und Ehebruch ist ohnehin in diesem Staat kein Scheidungsgrund.«

Rosie erschien mit dem Wein und zwei Papierservietten, die um Besteck gewickelt waren. Nikki und ich waren still, bis sie sich wieder entfernt hatte.

»Warum sind Sie mit ihm verheiratet geblieben, wenn er so ein Schuft war?«

»Feigheit wahrscheinlich«, sagte sie. »Ich hätte mich eventuell von ihm scheiden lassen, aber es stand viel auf dem Spiel für mich.«

»Ihr Sohn?«

»Ja.« Ihr Kinn hob sich etwas, ich wußte nicht genau, ob aus Stolz oder Abwehr. »Er heißt Colin«, sagte sie. »Er ist zwölf. Ich habe ihn in einem Internat oben bei Monterey untergebracht.«

»Laurences Kinder lebten damals auch bei Ihnen, ja?«

»Das ist richtig. Ein Junge und ein Mädchen, beide im Schulalter.«

»Wo sind sie jetzt?«

»Ich habe keine Ahnung. Seine Exfrau ist hier in der Stadt. Sie könnten sich bei ihr erkundigen, wenn Sie neugierig sind. Ich höre nichts von ihnen.«

»Haben sie Sie für seinen Tod verantwortlich gemacht?«

Sie beugte sich impulsiv vor. »Alle haben mich verantwortlich gemacht. Alle hielten mich für schuldig. Und jetzt nehme ich an, daß Con Dolan meint, ich hätte auch Libby Glass umgebracht. Wollten Sie darauf nicht hinaus?«

»Wen kümmert’s, was Dolan meint? Ich glaube nicht, daß Sie es getan haben, und ich bin diejenige, die an dieser Sache arbeiten wird. Apropos. Wir sollten noch das Finanzielle regeln. Ich nehme dreißig Dollar die Stunde plus Kilometergeld. Ich hätte gern mindestens einen Tausender vorweg. Ich werde Ihnen wöchentlich eine Abrechnung schicken, mit genauen Angaben darüber, wieviel Zeit ich worauf verwendet habe. Außerdem sollten Sie wissen, daß meine Dienste nicht exklusiv sind. Manchmal bearbeite ich mehr als einen Fall gleichzeitig.«

Nikki griff bereits in ihre Handtasche. Sie zog ein Scheckbuch und einen Stift hervor. Obwohl ich ihn verkehrt herum betrachtete, konnte ich sehen, daß sie den Scheck über 5000 Dollar ausstellte. Ich bewunderte die Sorglosigkeit, mit der sie ihn unterschrieb. Sie brauchte noch nicht einmal erst ihren Kontostand zu prüfen. Sie schob ihn mir über den Tisch zu, und ich tat ihn in meine Brieftasche, als erledigte ich solche Dinge ganz so nebenbei wie sie.

Rosie tauchte wieder auf, diesmal mit unserem Dinner. Sie stellte vor jede von uns einen Teller hin und blieb dann stehen, bis wir anfingen zu essen. »Mmm, Rosie, das ist wunderbar«, sagte ich.

Sie wackelte leicht auf der Stelle, wich aber keinen Zentimeter.

»Vielleicht schmeckt es deiner Freundin nicht«, sagte sie und sah mich anstatt Nikki.

»Fabelhaft«, murmelte Nikki. »Doch, wirklich.«

»Sie ist begeistert«, sagte ich. Rosies Blick schweifte zu dem Gesicht von Nikki, und schließlich schien sie überzeugt daß Nikkis Wertschätzung des Menüs der meinen nicht nachstand.

Ich ließ der Unterhaltung freien Lauf, während wir aßen. Zwischen dem guten Essen und dem Wein schien Nikki ihre Abwehrhaltung aufzugeben. Unter der kühlen, unberührten Fassade wurden Lebenszeichen sichtbar, als ob sie gerade aus einem Bann erwachte, der sie jahrelang hatte erstarren lassen.

»Was meinen Sie, wo ich anfangen sollte?« fragte ich.

»Also, ich weiß nicht. Damals war ich immer neugierig auf seine Sekretärin. Sie hieß Sharon Napier. Sie arbeitete schon für ihn, als er und ich uns kennenlernten, aber irgendetwas mit ihr stimmte nicht, Irgendwas an ihrer Art.«

»Hatte sie ein Verhältnis mit ihm?«

»Das glaub ich nicht. Ich weiß wirklich nicht, was es war. Ich könnte mich fast dafür verbürgen, daß sie sexuell keinen Draht zueinander hatten, aber irgendetwas lief da ab. Sie war manchmal sarkastisch zu ihm, und das ließ sich Laurence von keinem gefallen. Als ich sie zum ersten Mal so reden hörte, dachte ich, Laurence staucht sie zusammen, aber er zuckte mit keiner Wimper. Sie ließ sich nie was von ihm sagen, machte keine Überstunden, kam nicht an Wochenenden, wenn ihm ein großer Fall bevorstand. Er hat sich auch nie über sie beklagt sondern sich einfach eine Aushilfe geholt, wenn es nötig war. Das sah ihm nicht ähnlich, aber als ich ihn darauf mal ansprach, führte er sich auf, als wäre ich verrückt, als deutete ich da grundlos irgendwelche Sachen hinein. Sie war übrigens zum Anbeißen, nicht gerade der Typ der grauen Büromaus.«

»Haben Sie eine Ahnung, wo sie jetzt ist?«

Nikki schüttelte den Kopf. »Sie wohnte oben in der Rivera, aber da ist sie weg. Wenigstens steht sie nicht im Telefonbuch.«

Ich notierte ihre zuletzt bekannte Adresse. »Sie haben sie vermutlich nicht näher gekannt?«

Nikki zuckte die Achseln. »Wir tauschten die üblichen Floskeln, wenn ich im Büro anrief, aber das war Formsache.«

»Wie steht’s mit Bekannten von ihr, in welchen Kreisen könnte sie verkehren?«

»Ich weiß nicht. Meines Erachtens hat sie weit über ihre Verhältnisse gelebt. Sie verreiste bei jeder Gelegenheit und war viel besser angezogen als ich damals.«

»Sie hat doch bei dem Prozeß ausgesagt nicht?«

»Ja, leider. Sie konnte ein paar häßliche Auseinandersetzungen bezeugen, die ich mit ihm hatte, und das half wenig.«

»Gut, es lohnt sich, dem nachzugehen«, sagte ich. »Ich will sehen, ob ich mehr über sie in Erfahrung bringe. Gibt es über ihn noch etwas? Steckte er in irgendwelchen Zwistigkeiten, als er starb? Eine private Feindschaft oder ein großer Rechtsstreit?«

»Nicht, daß ich wüßte. Er steckte immer mitten in was Großem.«

»Gut, ich denke, der erste Schritt wäre, mit Charlie Scorsoni zu sprechen und zu hören, was er zu sagen hat. Danach sehen wir dann weiter.«

Ich legte Geld für die Dinnerrechnung auf den Tisch, und wir gingen zusammen hinaus. Nikkis Wagen parkte ganz in der Nähe, ein dunkelgrünes Oldsmobile, zehn Jahre hinter der Zeit. Ich wartete, bis sie losgefahren war, und ging zu Fuß den halben Block zu meiner Wohnung.

Als ich hereinkam, goß ich mir ein Glas Wein ein und setzte mich hin, um die Informationen zu ordnen, die ich bisher gesammelt hatte. Mein System besteht darin, Details auf DIN-A-6 Karteikarten zu übertragen. Die meisten meiner Notizen drehen sich um Zeugen: wer sie sind, wie sie mit den Ermittlungen Zusammenhängen, Gesprächstermine, Auswertungen. Einige Karten enthalten Hintergrundinformation, die ich brauche, und auf einigen sind juristische Formalitäten aufgeführt. Die Karten sind eine wirksame Methode zur Datenspeicherung für meine schriftlichen Berichte. Ich hefte sie an ein großes Pinbrett über meinem Schreibtisch und starre sie an, erzähle mir die Geschichte so, wie ich sie vor mir habe. Erstaunliche Widersprüche treten zutage, unverhoffte Lücken, Fragen, die ich übersehen habe.

Ich hatte nicht viele Karten zu Nikki Fife und unternahm keinen Versuch, die vorhandenen Informationen abzuschätzen. Ich wollte nicht schon zu früh eine Hypothese aufstellen, aus Angst, sie würde den ganzen Verlauf der Ermittlungen beeinflussen. Klar schien, daß es hier um einen Mord ging, bei dem ein Alibi wenig oder gar nichts besagte. Wenn man sich die Mühe nimmt, die Arznei in jemandes Antihistaminkapseln mit Gift zu vertauschen, kann man anschließend die Hände in den Schoß legen und abwarten. Sofern man nicht riskieren will, andere Mitglieder des Haushalts auszurotten, muß man sicher sein, daß nur das auserwählte Opfer die betreffende Medizin nimmt, aber es gibt reichlich Pillen, die diese Bedingung erfüllen: Mittel für den Blutdruck, Antibiotika, vielleicht sogar Schlaftabletten. Es spielt keine große Rolle, solange man an die Bestände herankommt. Das Opfer braucht vielleicht zwei Tage oder auch zwei Wochen, aber schließlich wird es die richtige Pille erwischen, und man kann wahrscheinlich sogar ganz annehmbar Überraschung und Trauer vortäuschen. Der Plan hat den zusätzlichen Vorteil, daß man nicht an Ort und Stelle sein muß, um den Auserwählten zu erschießen, totzuschlagen, niederzustechen oder ihm die Luft abzudrehen. Auch wenn der Antrieb zum Mord überwältigend ist, wird es (so sollte man meinen) ziemlich widerwärtig sein, mit anzusehen, wie jemandem die Augen herausquellen, und sich seine bzw. ihre letzten Schreie anzuhören. Außerdem besteht bei allzu persönlichem Einsatz immer die enervierende Möglichkeit daß der Spieß umgedreht wird und man selbst im Leichenschauhaus landet.

Von der Methode her war diese kleine Oleandernummer gar nicht schlecht. In Santa Teresa wächst der Strauch überall, manchmal drei Meter hoch mit rosa oder weißen Blüten und hübschen, schmalen Blättern. Da braucht man sich nicht mit etwas so Verräterischem abzugeben wie etwa dem Erwerb von Rattengift in einer Stadt, in der es klarerweise keine Ratten gibt, und man muß sich keinen falschen Schnurrbart ankleben, bevor man in der Eisenwarenhandlung um die Ecke nach einem Unkrautvertilgungsmittel fragt, das keinen bitteren Nachgeschmack hat. Kurz die Methode, mit der Laurence Fife und offenbar auch Libby Glass umgebracht wurden, war billig, einfach und bequem. Ein paar Fragen hatte ich dennoch, und die notierte ich mir, bevor ich das Licht ausdrehte. Es war weit nach Mitternacht, als ich einschlief.

Kapitel 4

Ich fuhr zeitig ins Büro, um das Exposé für Nikkis Akte zu tippen, in dem ich kurz darauf hinwies, wozu ich engagiert worden war und daß ich einen Scheck über 5000 Dollar als Vorschuß erhalten hatte. Dann rief ich Charlie Scorsonis Büro an. Seine Sekretärin sagte, er sei gegen Mitte des Nachmittags vorübergehend frei, also vereinbarte ich einen Termin für Viertel nach drei und verwandte den Rest des Morgens auf Hintergrundforschung. Wenn man zum ersten Mal jemand befragt, ist es immer nützlich, ein paar Informationen in petto zu haben. Ein Besuch bei der Kreisverwaltung, bei der Auskunftei und im Zeitungsarchiv lieferte mir genügend Fakten, um eine grobe Skizze des früheren Sozius von Laurence Fife zu entwerfen. Charlie Scorsoni war offenbar ledig, besaß ein eigenes Haus, zahlte seine Rechnungen pünktlich, trat hin und wieder als Versammlungsredner für eine ehrenwerte Sache ein – kurz, er war ein ziemlich konservativer Mann mittleren Alters, der weder spielte noch an der Börse spekulierte und sich in keiner Weise gefährdete. Ich hatte ihn verschiedentlich bei dem Prozeß gesehen und ihn als etwas übergewichtig in Erinnerung. Sein jetziges Büro war von meinem aus zu Fuß erreichbar.

Das Gebäude selbst sah aus wie eine Maurenfestung: zwei Stockwerke aus Adobeziegeln mit zwei Fuß tiefen Fenstersimsen, in die schmiedeeiserne Gitter eingelassen waren, und ein Eckturm, der wahrscheinlich die Toiletten und Besen beherbergte. Scorsoni und Powers, Rechtsanwälte, saßen im Oberstock. Ich stieß eine massive Tür aus geschnitztem Holz auf und befand mich in einem kleinen Empfangsraum, dessen Teppichboden weich wie Moos unter den Füßen war und auch ungefähr den gleichen Farbton hatte. An den weißen Wänden hingen abstrakte Aquarelle in verschiedenen zarten Variationen, und hier und dort waren Pflanzen; zwei dicke Sofas aus spargelgrünem Breitkord standen im rechten Winkel zueinander unter einer Reihe schmaler Fenster.