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Der zweite Fall für Amerikas taffste Privatermittlerin! Als die reiche Beverly Danziger die Privatdetektivin Kinsey Millhone damit beauftragt, ihre verschwundene Schwester zu finden, hat diese eigentlich wenig Lust auf einen Routinefall – aber bei einer Gage wie dieser stellt man keine weiteren Fragen. Ein Fehler, wie sich bald herausstellt: Die Ermittlerin stößt nicht nur auf immer mehr Ungereimtheiten – sie findet auch bald die Leiche einer Frau, die am Tag von Elaines Verschwinden ermordet wurde. Bloßer Zufall? Als Kinsey ihre Auftraggeberin zur Rede stellt, zieht diese sie kurzerhand vom Fall ab. Doch damit ist der Spürsinn der Ermittlerin erst recht geweckt … »Intelligent, temporeich und voller unvergesslicher Gestalten.« New York Times Book ReviewDer zweite Band einer der erfolgreichsten Krimiserien überhaupt, der unabhängig gelesen werden kann – ein packender Ermittlerkrimi für Fans der Bestsellerserien von Michael Connelly und Val McDermid. Als Hörbuch bei Saga Egmont erhältlich sowie als eBook bei dotbooks.In ihrem dritten Fall muss Kinsey Millhone das Unmögliche versuchen: Einem Klienten helfen, seine Erinnerungen wiederzuerlangen … »Das ist einer von Sue Graftons besten Romanen!« – Amazon-Leser »Ich konnte es nicht erwarten, das Buch zu beenden.« – Amazon-Leserin
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Seitenzahl: 411
Veröffentlichungsjahr: 2025
Über dieses Buch:
Als die reiche Beverly Danziger die Privatdetektivin Kinsey Millhone damit beauftragt, ihre verschwundene Schwester zu finden, hat diese eigentlich wenig Lust auf einen Routinefall – aber bei einer Gage wie dieser stellt man keine weiteren Fragen. Ein Fehler, wie sich bald herausstellt: Die Ermittlerin stößt nicht nur auf immer mehr Ungereimtheiten – sie findet auch bald die Leiche einer Frau, die am Tag von Elaines Verschwinden ermordet wurde. Bloßer Zufall? Als Kinsey ihre Auftraggeberin zur Rede stellt, zieht diese sie kurzerhand vom Fall ab. Doch damit ist der Spürsinn der Ermittlerin erst recht geweckt …
Über die Autorin:
Sue Grafton (1940–2017) war eine der erfolgreichsten Spannungsautorinnen Amerikas. Sie wurde in Kentucky geboren und verfasste Drehbücher, bevor sie ihren ersten Roman veröffentlichte. Ihre Bücher über die abgebrühte und einzelgängerische Privatdetektivin Kinsey Millhone wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und begeistern ein Millionenpublikum auf der ganzen Welt.
Die Website der Autorin: suegrafton.com/
Die Autorin bei Facebook: facebook.com/SueGrafton/
Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre »Alphabet«-Krimireihe um die eigenwillige Privatermittlerin Kinsey Millhone. Die ersten zwei Bände, »A is for Alibi: Nichts zu verlieren« und »B is for Burglar: In aller Stille« sind auch als Hörbücher bei Saga Egmont erhältlich.
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eBook-Neuausgabe Mai 2025
Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1985 unter dem Originaltitel »B Is for Burglar« bei Henry Holt, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1987 unter dem Titel »B wie Bruch« bei Ullstein sowie in einer Neuausgabe unter dem Titel »In aller Stille« bei Goldmann.
Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1985 by Sue Grafton
Copyright © der deutschen Erstausgabe 1987 by Ullstein GmbH, München
Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von AdobeStock/Chad McDermott
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)
ISBN 978-3-98952-947-2
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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!
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Sue Grafton
B is for Burglar: In aller Stille
Kriminalroman – Ein Fall für Kinsey Millhone 2
Aus dem Amerikanischen von Birgit Herrmann
dotbooks.
Widmung
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Epilog
Danksagung
Lesetipps
Für Steven,
der mich durchschaut
Wenn alles gelaufen ist, möchte man sich natürlich ohrfeigen für all das, was man nicht rechtzeitig gesehen hat. Vielleicht die Hätte-ich-das-geahnt-Schule der Privatdetektive. Mein Name ist Kinsey Millhone, und die meisten meiner Berichte beginnen auf die gleiche Weise. Ich fange an, indem ich erkläre, wer ich bin und was ich mache, als ob ich durch das Aufzählen der immer gleichen, wenigen grundlegenden Fakten all das begreifen könnte, was danach kommt.
Ein paar Stichworte zu meiner Person. Ich bin weiblich, zweiunddreißig Jahre alt, alleinstehend, selbstständig. Mit zwanzig ging ich zur Polizeiakademie und fing nach meiner Abschlussprüfung beim Santa Teresa Police Department an. Heute kann ich mich nicht einmal daran erinnern, wie ich mir den Job eigentlich vorgestellt hatte, bevor ich damit anfing. Ich muss vage idealistische Ahnungen von Recht und Ordnung gehabt haben – die Guten gegen die Schlechten. Und meine Rolle dabei sollte sein, hin und wieder vor Gericht zu erscheinen, wo man mich um eine Aussage bitten würde, was wozu gehörte. Meiner Ansicht nach sollten die Schlechten alle in den Knast wandern, damit wir Verbleibende sicher weiterleben konnten. Nach einer Weile war mir klar geworden, wie naiv ich war. Ich war frustriert von den Einschränkungen und frustriert, weil man weibliche Polizisten damals mit einer Mischung aus Neugier und Spott betrachtete. Ich wollte nicht den Rest meines Lebens damit verbringen, mich gegen »harmlose« Beleidigungen zu wehren oder immer wieder beweisen zu müssen, wie hart ich war. Ich verdiente nicht genug, um mich mit all diesem Kram herumzuschlagen, also stieg ich aus.
Zwei Jahre lang probierte ich ein ganzes Sortiment von Berufen aus, aber keiner hatte dieselbe Anziehungskraft. Was immer man an der Polizeiarbeit auszusetzen hat, sie bringt jedenfalls diesen fiebrig-kranken Nervenkitzel eines Lebens auf Messers Schneide mit sich. Ich war süchtig nach dem Adrenalinstoß, und ich konnte nicht mehr zurück zum Alltäglichen.
Schließlich kam ich zu einer kleinen Privatdetektivfirma, bei der ich zwei Jahre verbrachte, um das Geschäft zu lernen. Danach eröffnete ich mein eigenes Büro, ordnungsgemäß eingetragen und zugelassen. Ich habe es nun seit fünf Jahren, und es sichert mir einen bescheidenen Unterhalt. Heute bin ich klüger als früher und habe mehr Erfahrung, aber Tatsache bleibt, dass ich nie weiß, was als Nächstes geschehen wird, wenn sich wieder mal ein Klient mir gegenüber in den Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches setzt.
An jenem Morgen war ich gerade seit zwanzig Minuten im Büro gewesen. Ich hatte die Glastüren geöffnet, die zu dem im zweiten Stock gelegenen Balkon führten, um etwas frische Luft hereinzulassen, und ich hatte die Kaffeemaschine angestellt. Es war Juni in Santa Teresa: Das bedeutete kühlen Morgennebel und dunstige Nachmittage. Es war noch keine neun Uhr. Ich sortierte gerade die Post des vergangenen Tages, als ich ein Klopfen an der Tür hörte und eine Frau hereinrauschen sah.
»Oh, gut. Sie sind da«, begann sie. »Sie müssen Kinsey Mill- hone sein. Ich bin Beverly Danziger.«
Wir gaben uns die Hände, und sie setzte sich gleich und wühlte in ihrer Tasche. Sie fand eine Packung Filterzigaretten und klopfte sich eine heraus.
»Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, dass ich rauche«, sagte sie und zündete die Zigarette an, ohne auf eine Antwort zu warten. Sie inhalierte und löschte dann das Streichholz mit einem Mund voll Rauch, während sie vergeblich nach einem Aschenbecher suchte. Ich nahm einen von meinem Aktenschrank, wischte den Staub ab und reichte ihn ihr hinüber, wobei ich ihr gleichzeitig einen Kaffee anbot.
»Ja, gern, warum nicht?«, meinte sie mit einem Lachen. »Ich bin heute Morgen sowieso schon nervös, also kommt es darauf auch nicht mehr an. Ich bin gerade aus Los Angeles hier hochgefahren, mitten durch den Berufsverkehr. Puh!«
Während ich ihr einen Becher Kaffee eingoss, taxierte ich sie schnell. Nach meiner Schätzung war sie Ende Dreißig; klein, energisch, gepflegt. Ihre Haare waren glänzend schwarz und ziemlich glatt. Der Schnitt war gerade und perfekt gelegt, so dass er ihr schmales Gesicht wie eine Badekappe einrahmte. Sie hatte hellblaue Augen, schwarze Wimpern und einen klaren Teint mit nur einem Hauch von Rouge auf jedem Wangenknochen. Sie trug einen blassblauen Baumwollpullover mit rundem Halsausschnitt und einen blassblauen Popelinrock. Die Tasche, die sie bei sich hatte, war aus hochwertigem Leder, weich und biegsam, und hatte eine Menge kleiner Reißverschlusstaschen, die Gott weiß was enthielten. Ihre Nägel waren lang, spitz und zugefeilt und rosarot lackiert, und sie trug einen Trauring, der mit Rubinen gespickt war. Sie strahlte Selbstbewusstsein und ein gewisses sorgloses Gefühl für Stil aus, konservativ verpackt wie das Gratisgeschenkpapier eines Klasse-Kaufhauses.
Kopfschüttelnd lehnte sie das Angebot von Milch und Zucker ab, also gab ich Halbe-Halbe in meinen eigenen Becher und kam zur Sache.
»Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Ich hoffe, Sie können meine Schwester finden«, sagte sie.
Wieder durchsuchte sie ihre Handtasche. Sie nahm ihr Adressbuch, ein Füllhalter-Kugelschreiber-Set aus Rosenholz und einen schmalen weißen Briefumschlag heraus, den sie auf den Rand meines Schreibtisches legte. Ich habe selten jemanden in solcher Selbstvergessenheit gesehen, aber es wirkte nicht reizlos. Als ob sie sich dieser Wirkung bewusst wäre, lächelte sie schnell zu mir herüber. Sie öffnete das Adressbuch, drehte es in meine Richtung und deutete mit ihrem rosafarbenen Fingernagel auf eine der Eintragungen.
»Sie werden sich sicher die Adresse und die Telefonnummer notieren wollen«, meinte sie. »Sie heißt Elaine Boldt. Sie hat eine Eigentumswohnung in der Via Madrina, und das andere hier ist ihre Adresse in Florida. Sie verbringt etliche Monate im Jahr unten in Boca.«
Ich war irgendwie verwirrt, aber ich schrieb mir die Adressen auf, während sie ein offiziell aussehendes Dokument aus dem langen weißen Briefumschlag nahm. Sie las es sich kurz durch, als ob sich der Inhalt geändert haben könnte, seitdem sie ihn das letzte Mal gesehen hatte.
»Seit wann wird sie vermisst?«, fragte ich.
Beverly Danziger sah mich beunruhigt an. »Tja, ich weiß nicht, ob sie wirklich ›vermisst‹ wird. Ich weiß einfach nur nicht, wo sie steckt, und ich brauche ihre Unterschrift für diese Papiere. Ich weiß, es hört sich merkwürdig an. Sie hat nur auf ein Neuntel Anspruch, und möglicherweise kommen nicht mehr als zwei- oder dreitausend Dollar dabei heraus, aber das Geld kann so lange nicht verteilt werden, bis wir nicht ihre beglaubigte Unterschrift haben. Hier, sehen Sie selbst.«
Ich nahm das Dokument und las mir den Inhalt durch. Es war von einer Anwaltskanzlei in Columbus, Ohio, ausgestellt, und es war voller Anordnungen, Zuerkennungen, Einschränkungen und dergleichen mehr. Es lief darauf hinaus, dass ein Mann namens Sidney Rowan gestorben war und den verschiedenen aufgeführten Menschen Teile seines Vermögens hinterlassen hatte. Beverly Danziger wurde als dritte Partei genannt, mit einer Adresse in Los Angeles, und Elaine Boldt stand an vierter Stelle, mit einer Adresse hier in Santa Teresa.
»Sidney Rowan war eine Art Cousin von uns«, fuhr sie geschwätzig fort. »Ich glaube nicht, dass ich diesen Mann jemals getroffen habe, aber ich erhielt diese Benachrichtigung, und ich nehme an, Elaine hat ebenfalls eine bekommen. Ich unterschrieb den Vordruck und ließ ihn beglaubigen. Dann sandte ich ihn ab und dachte nicht weiter darüber nach. Aus dem ersten Brief können Sie ersehen, dass dies alles vor sechs Monaten geschah. Und dann, siehe da, rief mich in der letzten Woche der Anwalt an ... wie war doch gleich sein Name?«
Ich warf einen Blick auf das Schriftstück. »Wender«, sagte ich.
»Ach ja, richtig. Ich weiß gar nicht, warum ich das immer wieder verdränge. Na, jedenfalls rief mich Mr Wenders Büro an, um mir mitzuteilen, dass sie noch nichts von Elaine gehört hätten. Natürlich nahm ich an, dass sie wie üblich nach Florida gefahren sei und einfach vergessen hätte, sich ihre Post nachsenden zu lassen, also setzte ich mich mit der Hausmeisterin ihrer Wohnanlage hier in Verbindung. Sie hat seit Monaten nichts mehr von Elaine gehört. Also, anfangs schon noch, aber nicht mehr in letzter Zeit.«
»Haben Sie versucht, in Florida anzurufen?«
»Soweit ich weiß, hat der Anwalt es mehrere Male versucht. Offensichtlich lebt eine Freundin bei ihr, und Mr Wender hat seinen Namen und seine Telefonnummer bei ihr hinterlassen, aber Elaine rief nicht zurück. Tillie erging es ebenso.«
»Tillie?«
»Die Frau, die die Anlage hier führt, wo Elaine ihren ständigen Wohnsitz hat. Tillie hat immer die Post nachgesandt, und sie sagt, Elaine hat ihr normalerweise alle paar Wochen eine kleine Nachricht zukommen lassen, aber nun hat sie seit März nichts mehr von ihr gehört. Offen gesagt, das Ganze ist mehr ein Ärgernis als sonst etwas, aber ich habe nicht die Zeit, sie selbst aufzuspüren.« Beverly nahm einen letzten Zug von ihrer Zigarette und drückte sie dann mit einer Reihe klopfender Bewegungen aus.
Ich machte mir immer noch Notizen, doch vermutlich war mir die Skepsis anzusehen.
»Was ist? Gehört das nicht zu Ihrer Arbeit?«
»Doch, aber ich berechne dreißig Dollar die Stunde plus Spesen. Wenn es hier nur um zwei- oder dreitausend Dollar geht, frage ich mich, ob es Ihnen das wirklich wert ist.«
»Oh, ich habe allerdings vor, mich durch Elaines Anteil an dem Nachlass voll entschädigen zu lassen, da schließlich sie es ist, die diesen ganzen Ärger verursacht. Ich meine, es geht einfach nicht weiter, solange ihre Unterschrift nicht herbeigeschafft werden kann. Ich muss sagen, das ist mal wieder typisch für sie.«
»Angenommen, ich muss runter nach Florida fliegen, um sie zu suchen. Selbst wenn ich nur die Hälfte meines üblichen Stundenlohns für die Reisezeit berechne, würde es Sie ein Vermögen kosten. Hören Sie, Mrs Danziger –«
»Beverly, bitte.«
»Okay, Beverly. Ich möchte Sie in Ihrem Vorhaben nicht entmutigen, aber, ehrlich gesagt, es hört sich an, als könnten Sie das genauso gut selbst machen. Ich würde Ihnen sogar gerne ein paar Tipps geben.«
Beverly lächelte mich an, aber das Lächeln hatte eine gewisse Schärfe, und endlich wurde mir klar, dass sie daran gewöhnt war, ihre Vorstellungen durchzusetzen. Ihre Augen starrten wie aus Porzellanlasur und wirkten blau und starr wie Glas. Die schwarzen Wimpern zwinkerten mechanisch.
»Elaine und ich stehen nicht auf bestem Fuße miteinander«, sagte sie ruhig. »Ich glaube, ich habe dieser Sache schon genug Zeit geopfert, aber ich habe Mr Wender versprochen, dass ich sie finde, damit der Nachlass geregelt werden kann. Er steht unter dem Druck der anderen Erben, und er übt diesen Druck wiederum auf mich aus. Ich kann Ihnen einen Vorschuss geben, wenn Sie möchten.«
Wieder wühlte sie in ihrer Tasche herum und kam diesmal mit einem Scheckbuch heraus. Sie öffnete den Rosenholzfüllhalter und sah mich an.
»Sind siebenhundertfünfzig Dollar genug?«
Ich griff in meine Schreibtischschublade. »Ich werde einen Vertrag aufsetzen.«
Ich ging mit dem Scheck zur Bank rüber und holte mein Auto vom Parkplatz hinter dem Büro. Dann fuhr ich zu Elaine Boldts Adresse in die Via Madrina. Es war nicht weit von der Stadtmitte entfernt.
Ich dachte, dies wäre eine Routinesache, die ich in ein oder zwei Tagen erledigt haben würde, und ich dachte mit Bedauern daran, dass ich wahrscheinlich die Hälfte des Geldes, das mir gutgeschrieben worden war, wieder zurückzahlen müsste. Nicht, dass ich besonders viel zu tun gehabt hätte – das Geschäft lief schlecht.
Die Umgebung, in der Elaine Boldt lebte, war eine Mischung aus bescheidenen 30er-Jahre-Bungalows und gelegentlichen Apartmentkomplexen. Noch überwogen die kleinen Holz- und Stuckhäuser, aber die Grundstücke wurden eins nach dem anderen für kommerzielle Zwecke umgewandelt. Heilpraktiker zogen ein und Zahnärzte, die zu einem Sonderpreis bereit waren, ihre Patienten in einen Dämmerschlaf zu versetzen, damit diese ihre Zähne schmerzfrei gereinigt bekommen konnten, KÜNSTLICHEGEBISSEINEINEMTAG – KREDIT. Es war beunruhigend. Was würden sie mit einem machen, wenn man die Rate für den oberen Gaumen nicht mehr bezahlen konnte? Die Gegend war noch weitgehend intakt – alte Rentner, die hartnäckig versuchten, ihre Hortensiensträucher aufzupäppeln –, aber Grundstücksgesellschaften würden schließlich alles niedermähen. Es gibt eine Menge Geld in Santa Teresa, und viel davon wird dafür geopfert, der Stadt einen bestimmten »Stil« zu erhalten. Es gibt keine blinkenden Neonlichtreklamen, keine Slums, keine rauchspeienden Industriebetriebe, die die Landschaft verschandeln können. Überall gibt es Stuck, rote Ziegeldächer, Kletterpflanzen, ächzende Balken, Lehmziegelmauern, gewölbte Fenster, Palmen, Balkone, Farne, Springbrunnen und blühende Blumen. Restaurationen im Überfluss. Alles ist merkwürdig verwirrend – so üppig und kultiviert, dass es einen für jeden anderen Ort verdirbt.
Als ich Mrs Boldts Adresse gefunden hatte, parkte ich meinen Wagen vor der Tür, schloss ihn ab und verbrachte ein paar Minuten damit, die Lokalitäten zu inspizieren. Die Wohnanlage war eine Kuriosität. Das Gebäude selbst war hufeisenförmig gebaut, mit weiten Ausläufern zur Straße hin; es war drei Etagen hoch und hatte eine Tiefgarage. Eine seltsame Mischung aus Moderne und nachgemachtem Spanisch. Rundbögen und Balkone zierten die Front, hohe schmiedeeiserne Tore führten in einen palmenbepflanzten Hof, doch die Seiten- und Rückwände des Gebäudes waren schmucklos und langweilig, als hätte der Architekt mediterranes Furnier auf eine kahle Sperrholzkiste geklebt und einen Rand roter Ziegel oben drauf gefügt, um ein ganzes Dach vorzutäuschen, wo es keins gab. Sogar die Palmen wirkten wie aus Pappe ausgeschnitten und mit Holzstäben aufrecht gehalten.
Ich durchquerte den Hof und gelangte in eine von Glas umgebene Vorhalle, in der sich auf der rechten Seite eine Reihe von Briefkästen und Klingeln befand. Zu meiner Linken konnte ich durch eine weitere Reihe von Glastüren, die offensichtlich verschlossen waren, einige Aufzugstüren und einen Notausgang sehen. Im Eingang hatte man kunstvoll einige riesige Topfpflanzen arrangiert. Geradeaus führte eine Tür in den Innenhof, in dem leuchtend gelbe Liegestühle um einen Swimming-Pool gruppiert waren. Ich las mir die Namen der Mieter durch, die auf Plastikprägestreifen neben jeder Türklingel standen. Es gab vierundzwanzig Wohnungen. Die Hausmeisterin, Tillie Ahlberg, bewohnte das Apartment Nr. 1. Eine »E. Boldt« stand neben Apartment 9, von dem ich annahm, dass es in der zweiten Etage lag.
Zuerst klingelte ich bei »E. Boldt«. Von mir aus hätte sie sich an der Gegensprechanlage melden können, und mein Job wäre erledigt gewesen. Es hatte schon seltsamere Dinge gegeben, und ich wollte mich nicht lächerlich machen, indem ich überall nach einer Dame suchte, die ebenso gut inzwischen zu Hause sein konnte. Es gab keine Reaktion, also versuchte ich es bei Tillie Ahlberg.
Zehn Sekunden später knisterte ihre Stimme in der Gegensprechanlage, als würde das Geräusch aus dem Weltraum übermittelt.
»Ja?«
Ich ging näher an die Anlage heran und erhob meine Stimme.
»Mrs Ahlberg? Mein Name ist Kinsey Millhone. Ich bin hier in der Stadt Privatdetektivin. Elaine Boldts Schwester hat mich gebeten, nach ihr zu suchen, und ich dachte, ich könnte vielleicht mit Ihnen sprechen.«
Einen Moment lang war es still, dann kam die zögernde Antwort.
»Nun, ja. Ich wollte eigentlich gerade gehen, aber ich denke, zehn Minuten werden nichts ausmachen. Ich wohne im Erdgeschoss. Kommen Sie durch die Tür rechts vom Aufzug, dann ist es am Ende des Flurs auf der linken Seite.« Der Türöffner summte, und ich drückte die Glastür auf.
Tillie Ahlberg hatte ihre Eingangstür angelehnt gelassen, während sie eine leichte Jacke, ihr Portemonnaie und einen zusammenklappbaren Einkaufswagen, der an einen Flurtisch angelehnt stand, zusammensuchte. Ich klopfte an den Türrahmen, und sie erschien zu meiner Linken. Ich erhaschte einen Blick auf den Kühlschrank und einen Teil der Arbeitsfläche.
Tillie Ahlberg war etwa Mitte sechzig und hatte apricotfarben getöntes Haar in einer Dauerwelle, die aussah, als wäre sie gerade frisch gelegt worden. Die Locken waren wohl ein bisschen krauser geworden, als sie wollte, denn sie setzte sich eine gehäkelte Baumwollmütze auf. Sie war dabei, eine ungehorsame Strähne apricotfarbenen Haars zu verstecken, die wie bei Ronald McDonald immer noch herauslugte. Ihre Augen waren haselnussbraun, und eine puderige Schicht blassrötlicher Sommersprossen überzog ihr Gesicht. Sie trug einen formlosen Rock, Strümpfe und bequeme Schuhe, und sie sah aus, als wäre sie in der Lage, weite Strecken zu bewältigen, wenn sie wollte.
»Ich hoffe, ich war nicht unhöflich«, sagte sie freundlich. »Aber wenn ich morgens nicht als erstes einkaufen gehen kann, ist mir die Laune verdorben.«
»Es wird sowieso nicht lange dauern«, sagte ich. »Können Sie mir sagen, wann Sie zuletzt von Mrs Boldt gehört haben? Ist sie Miss oder Mrs.?«
»Mrs Sie ist Witwe, obwohl sie erst dreiundvierzig Jahre alt ist. Sie war mit einem Mann verheiratet, der eine Unternehmenskette unten im Süden hatte. Wenn ich richtig verstanden habe, starb er vor drei Jahren an einem Herzinfarkt und hinterließ ihr einen Haufen Geld. Daraufhin kaufte sie diese Wohnung. Bitte, wollen Sie sich nicht setzen?«
Tillie wandte sich nach rechts und führte mich in ein Wohnzimmer, das mit imitierten Antiquitäten möbliert war. Ein schwach goldfarbenes Licht drang durch die hellgelben Gardinen, und ich konnte noch die Reste des Frühstücks riechen: Schinken und Kaffee und etwas, das mit Zimt gewürzt gewesen war.
Nachdem sie klargestellt hatte, dass sie es eilig hatte, schien sie bereit, mir so viel Zeit zu opfern, wie ich brauchte. Sie setzte sich auf ein Sofa, und ich suchte mir einen hölzernen Schaukelstuhl aus.
»Soweit ich weiß, ist sie normalerweise um diese Zeit des Jahres in Florida«, sagte ich.
»Ja. Sie hat noch eine andere Eigentumswohnung dort unten. In Boca Raton, wo immer das ist. In der Nähe von Fort Lauderdale, glaube ich. Ich war selbst nie in Florida, deshalb sind diese Städte nichts als Namen für mich. Jedenfalls fährt sie normalerweise um den ersten Februar herum runter und kommt Ende Juli oder Anfang August zurück nach Kalifornien. Sie mag die Hitze, sagt sie.«
»Und Sie senden ihr solange die Post nach?«
Tillie nickte. »Ja, ungefähr einmal die Woche, in Bündeln, je nachdem, wie viel sich angesammelt hat. Und sie schickt mir dann alle paar Wochen eine Nachricht. Eine Postkarte, wissen Sie, auf die sie ein paar Grüße schreibt und wie das Wetter ist und ob ich jemanden in die Wohnung lassen soll, um die Vorhänge reinigen zu lassen oder so was. Dieses Jahr hat sie mir bis zum ersten März geschrieben, und seitdem habe ich kein Wort mehr von ihr gehört. Also, das sieht ihr überhaupt nicht ähnlich.«
»Haben Sie zufällig noch Postkarten?«
»Nein, ich habe sie alle weggeworfen, wie ich das immer tue. Ich sammele solche Dinge nicht. Es gibt so schon zu viel Papier, das sich irgendwo auf dieser Welt stapelt, wenn Sie mich fragen. Ich habe sie gelesen, zerrissen, und mir nie etwas dabei gedacht.«
»Sie hat nicht zufällig erwähnt, dass sie einen kleinen Ausflug oder so machen wollte?«
»Kein Wort. Natürlich geht mich das im Prinzip ja auch nichts an.«
»Wirkte sie besorgt?«
Tillie lächelte gequält. »Nun, es ist schwierig, auf einer Postkarte besorgt zu erscheinen, dafür gibt es nicht genug Platz. Auf mich wirkte sie okay.«
»Haben Sie eine Vermutung, wo sie sein könnte?«
»Keine. Ich kann nur sagen, dass es nicht ihre Art ist, nicht zu schreiben. Ich habe vier- oder fünfmal versucht, sie anzurufen. Einmal war irgendeine Freundin von ihr am Apparat, aber sie war sehr kurz angebunden, und danach tat sich gar nichts mehr.«
»Wer war diese Freundin? Jemand, den Sie kennen?«
»Nein, aber schließlich weiß ich auch nicht, wen sie in Boca kennt. Es hätte sonst wer sein können. Ich habe mir den Namen nicht gemerkt und würde mich auch nicht an ihn erinnern, wenn Sie ihn mir jetzt nennen würden.«
»Was ist mit der Post, die sie bekommt? Kommen ihre Rechnungen noch?«
Sie zuckte die Achseln. »Es sieht so aus. Ich habe nicht so sehr darauf geachtet. Ich sammele einfach alles, was kommt. Ich habe noch etwas da, das ich ihr schicken wollte, wenn Sie das sehen möchten.« Sie stand auf, ging durch den Raum zu einem Eichenschreibtisch und öffnete eine der Glastüren, indem sie den Schlüssel im Schloss herumdrehte. Sie nahm einen kleinen Stapel Briefumschläge heraus und sah ihn durch, dann gab sie ihn mir. »Das sind die Sachen, die sie normalerweise bekommt.«
Ich sah den Stapel ebenfalls schnell durch. Visa, MasterCard, Saks Fifth Avenue. Ein Pelzhändler namens Jacques mit einer Adresse in Boca Raton. Eine Rechnung von einem John Pickett, D. D. S., Inc., gleich um die Ecke von Arbol. Keine persönlichen Briefe.
»Bezahlt sie ihre Nebenkosten auch für das Apartment hier?«
»Ich habe die für diesen Monat schon nachgesandt.«
»Könnte sie verhaftet worden sein?«
Ein Lachen war die Antwort. »Aber nein. Sie nicht. So war sie einfach nicht. Sie hatte keinen Führerschein, wissen Sie, aber sie war bestimmt nicht der Typ, der als Fußgänger einen Strafzettel bekommt.«
»Unfall? Krankheit? Alkohol? Drogen?« Ich fühlte mich wie ein Arzt, der seinen Patienten bei der jährlichen Untersuchung befragt.
Tillie sah skeptisch aus. »Sie könnte in einem Krankenhaus liegen, aber sicher hätte sie uns das wissen lassen. Ich finde das Ganze äußerst merkwürdig, um ehrlich zu sein. Wenn ihre Schwester jetzt nicht bei Ihnen vorbeigekommen wäre, wäre ich vielleicht demnächst zur Polizei gegangen. Da stimmt einfach etwas nicht.«
»Aber es gibt eine Menge Erklärungen für ihre Abwesenheit«, meinte ich. »Sie ist erwachsen. Offensichtlich hat sie Geld und keine dringenden Geschäfte. Sie braucht wirklich niemanden über ihren Aufenthaltsort zu unterrichten, wenn sie nicht will. Sie könnte auf einer Kreuzfahrt sein, oder vielleicht hat sie sich einen Liebhaber genommen und sich mit ihm aus dem Staub gemacht. Vielleicht haben sie und ihre Freundin sich auf eine Vergnügungstour begeben. Es könnte ihr gar nicht klar sein, dass jemand versucht, sie zu erreichen.«
»Darum habe ich bisher nichts unternommen, aber irgendwie gefällt mir das nicht. Ich glaube nicht, dass sie gehen würde, ohne jemandem Bescheid zu sagen.«
»Nun, ich werde das untersuchen. Ich möchte Sie im Moment nicht länger aufhalten, aber ich würde später gern mal ihr Apartment sehen«, sagte ich. Ich stand auf, und Tillie erhob sich automatisch. Ich gab ihr die Hand und dankte für die Hilfe.
»Sammeln Sie doch bitte die Post, die demnächst noch kommt«, sagte ich. »Ich werde ein paar andere Möglichkeiten antesten, aber in ein oder zwei Tagen komme ich noch mal vorbei und lasse Sie wissen, was ich herausgefunden habe. Ich glaube nicht, dass es einen Grund zur Sorge gibt.«
»Das will ich nicht hoffen«, sagte Tillie. »Sie ist eine wunderbare Frau.«
Ich gab Tillie meine Karte, bevor wir zusammen das Haus verließen. Ich war immer noch nicht besorgt, aber meine Neugier war geweckt, und ich war begierig darauf, in diesem Fall weiterzukommen.
Auf dem Weg zurück zum Büro hielt ich an der Stadtbücherei. Ich ging zur Handbibliothek und besorgte mir das städtische Adressbuch von Boca Raton. Ich verglich die Anschrift, die ich von Elaine Boldt hatte, mit den dort aufgeführten Adressen. Tatsächlich, sie stand drin, und die Telefonnummer stimmte mit der überein, die man mir gegeben hatte. Ich notierte die Namen einiger anderer Eigentümer von benachbarten Wohnungen und schrieb mir einige Telefonnummern auf. Es schien, als gäbe es dort eine ganze Reihe von Gebäuden in demselben Komplex, und ich vermutete, dass es sich um eine ganze »Plangemeinde« handelte. Es gab ein Geschäft, eine Telefonnummer für den Tennisplatz, ein Kurhaus und einen Fitnessraum. Ich schrieb mir alles auf, um mir eine eventuelle Rückkehr zu ersparen.
Als ich das Büro erreicht hatte, legte ich eine Akte über Elaine Boldt an. Ich trug die Zeit, die ich bisher auf diesen Fall verwendet hatte, und die erlangten Informationen ein. Ich versuchte es mit der Telefonnummer in Florida und ließ das Telefon ungefähr dreißigmal ohne Erfolg klingeln. Dann rief ich das Geschäft der Boca-Raton-Wohnanlage an. Man gab mir den Namen des Hausmeisters in Elaine Boldts Gebäude, einen Roland Makowski, Apartment 101, der nach dem ersten Klingeln abnahm.
»Hier Makowski.«
Ich erklärte ihm so kurz wie möglich, wer ich war, und warum ich versuchte, Elaine Boldt zu erreichen.
»Sie ist dieses Jahr nicht runtergekommen«, sagte er. »Normalerweise ist sie um diese Zeit hier, aber ich vermute, dass sie ihre Pläne geändert hat.«
»Sind Sie sicher?«
»Na ja, ich habe sie nicht hier gesehen. Ich war tagein, tagaus oben und unten und rund um dieses Gebäude herum, und ich habe sie nicht einmal gesehen. Das ist alles, was ich weiß. Schätze, wenn sie hier ist, muss sie sich ständig an einem Ort aufhalten, wo ich nicht bin«, meinte er. »Ihre Freundin, Pat, ist hier, aber Mrs Boldt ist woanders hingefahren, wurde mir gesagt. Vielleicht kann sie Ihnen sagen, wohin. Ich habe sie gerade dabei erwischt, wie sie Handtücher über das Geländer hängte. Das ist hier nicht erlaubt. Die Balkone sind keine Wäscheständer, und das habe ich ihr gesagt. Sie war wohl sehr verärgert.«
»Können Sie mir ihren Nachnamen sagen?«
»Was?«
»Können Sie mir Pats Nachnamen sagen? Mrs Boldts Freundin.«
»Oh. Ja.«
Ich wartete einen Moment. »Ich habe Bleistift und Papier«, sagte ich.
»Oh. Sie heißt Usher. Sie wohnt zur Untermiete, sagt sie. Wie war Ihr Name noch gleich?«
Ich nannte ihm noch einmal meinen Namen und gab ihm meine Büronummer, für den Fall, dass er mich erreichen wollte. Es war keine zufrieden stellende Unterhaltung gewesen. Pat Usher schien die einzige Verbindung zu Elaine Boldts Aufenthaltsort zu sein, und ich fand es wichtig, so bald wie möglich mit ihr zu sprechen.
Ich versuchte es ein weiteres Mal mit Elaines Nummer in Florida und ließ das Telefon klingeln, bis mich das Geräusch nervte. Nichts. Sollte Pat Usher noch in dem Apartment sein, so weigerte sie sich konsequent, ans Telefon zu gehen.
Ich prüfte die Liste, die ich von den angrenzenden Apartments gemacht hatte, und versuchte es mit der Telefonnummer eines Robert Perreti, der offensichtlich direkt nebenan wohnte. Keine Reaktion. Ich versuchte es mit der Nummer des Nachbarn zur anderen Seite und ließ das Telefon pflichtbewusst zehnmal klingeln, wie die Telefongesellschaft es uns empfiehlt. Schließlich nahm jemand ab – eine sehr alte Person, der Stimme nach zu urteilen.
»Ja?« Sie hörte sich an, als wäre sie sehr schwach und würde im nächsten Moment anfangen zu weinen. Ich merkte, wie ich unbewusst lauter und sorgfältiger sprach, als hätte ich es mit einer Hörgeschädigten zu tun.
»Mrs Ochsner?«
»Ja.«
»Mein Name ist Kinsey Millhone. Ich rufe aus Kalifornien an und versuche, die Frau, die neben Ihnen im Apartment 315 wohnt, zu erreichen. Wissen Sie zufällig, ob sie da ist? Ich habe es gerade versucht, und ich ließ das Telefon ungefähr dreißigmal ohne Erfolg klingeln.«
»Haben Sie Probleme mit Ihrem Gehör?«, fragte sie mich. »Sie sprechen sehr laut, wissen Sie.«
Ich lachte und brachte meine Stimme wieder auf normale Lautstärke. »Tut mir leid«, meinte ich. »Ich war mir nicht sicher, wie gut Sie mich hören können.«
»Oh, ich kann sehr gut hören. Ich bin achtundachtzig Jahre alt und kann keinen Schritt ohne Hilfe machen, aber mit meinen Ohren ist alles in Ordnung. Ich habe jedes dieser dreißig Klingelzeichen durch die Wand mitgezählt, und ich dachte, ich werde verrückt, wenn es noch länger dauert.«
»Ist Pat Usher nicht zu Hause? Ich habe gerade mit dem Hausmeister gesprochen, und der meinte, sie sei da.«
»Allerdings, sie ist da. Ich weiß das, weil sie noch vor wenigen Sekunden eine Tür zugeschlagen hat. Was wollten Sie denn von ihr, wenn ich fragen darf?«
»Ja, eigentlich versuche ich, Elaine Boldt zu finden, aber wenn ich richtig verstanden habe, ist sie in diesem Jahr gar nicht runtergekommen. «
»Das stimmt, und ich war schrecklich enttäuscht. Sie ist Teil einer Bridge-Viererrunde, wenn Mrs Wink und Ida Rittenhouse hier sind, und wir verlassen uns auf sie. Seit letztes Jahr Weihnachten konnten wir keine Hand mehr spielen, und das ist Ida ziemlich auf die Laune geschlagen, wenn Sie die Wahrheit hören wollen.«
»Haben Sie eine Idee, wo Mrs Boldt sein könnte?«
»Nein, habe ich nicht, und ich nehme an, die Frau, die in ihrer Wohnung wohnt, ist auch dabei, auszuziehen. Die Bestimmungen dieser Wohnanlage erlauben keine Untermieter. Ich war überrascht, dass Elaine das zugelassen hat. Wir haben uns zigmal bei der Verwaltung beschwert, und ich glaube, Mr Makowski hat sie aufgefordert, die Wohnung zu räumen. Die Frau stellt sich natürlich stur und behauptet, die Absprache mit Elaine beinhalte auch den ganzen Monat Juni. Wenn Sie mit ihr selbst sprechen wollen, müssen Sie wohl bald hierherkommen. Ich sah, wie sie einige Kartons aus dem Getränkeladen hochbrachte, und ich glaube ... ja, ich sollte sagen, ich hoffe, sie ist dabei zu packen, während wir uns hier unterhalten.«
»Danke, vielleicht mache ich das. Sie waren mir eine große Hilfe. Wenn ich runterkommen sollte, schau ich bei Ihnen rein.«
»Sie spielen nicht zufällig Bridge, Liebes, oder? Seit sechs Monaten sind wir nun darauf angewiesen, nur Skat zu spielen, und Ida entwickelt ein ganz schön freches Mundwerk. Mrs Wink und ich können das nicht mehr sehr lange aushalten.«
»Nun ja, ich habe nie gespielt, aber vielleicht kann ich es versuchen«, sagte ich.
»Ein Penny pro Punkt«, sagte sie unvermittelt, und ich musste lachen. Ich rief bei Tillie an. Sie klang außer Atem, als ob sie zum Telefon gerannt wäre.
»Hi, Tillie«, sagte ich. »Ich bin’s noch mal, Kinsey.«
»Ich bin gerade vom Markt zurückgekommen«, keuchte sie. »Warten Sie, bis ich wieder Luft bekomme. Puh! Was kann ich für Sie tun?«
»Ich denke, ich sollte mich ein bisschen beeilen und einen Blick auf Elaines Apartment werfen.«
»Warum? Was ist passiert?«
»Nun, die Leute in Florida sagen, sie sei nicht da, also hoffe ich, dass wir herausfinden, wohin sie sonst gefahren sein könnte. Wenn ich gleich noch mal komme, können Sie mich hineinlassen?«
»Ich denke schon. Ich habe nichts vor, außer die Lebensmittel auszuladen, und das dauert höchstens ein paar Minuten.«
Als ich wieder an der Wohnanlage war, meldete ich mich über die Gegensprechanlage bei ihr. Sie ließ mich hinein und empfing mich dann an der Aufzugtür mit dem Schlüssel zu Elaines Apartment. Während wir in den zweiten Stock hinauffuhren, klärte ich sie über die Details meines Gesprächs mit Elaines Hausmeister in Florida auf.
»Sie meinen, niemand da unten hat sie überhaupt gesehen? Ja, dann stimmt etwas nicht«, sagte sie. »Ganz bestimmt. Ich weiß, dass sie weggefahren ist, und ich weiß, dass sie auf jeden Fall vorhatte, nach Florida zu fliegen. Ich sah aus dem Fenster, wie das Taxi kam, hupte und sie einstieg. Sie hatte ihren guten Pelzmantel und die dazu passende Pelzkappe an. Sie reiste bei Nacht, was sie eigentlich nicht mochte, aber sie fühlte sich nicht gut und dachte, eine Klimaveränderung könnte helfen.«
»Sie war krank?«
»Nun ja. Ihre Nebenhöhlen waren verstopft, und sie hatte diese schreckliche Kopfgrippe oder Allergie oder was auch immer. Ich will ja nichts sagen, aber sie war ein bisschen hypochondrisch veranlagt. Sie rief mich an und sagte, sie habe sich entschlossen, sofort hinunterzufahren, beinahe auf der Stelle. Eigentlich sollte es erst zwei Wochen später losgehen, aber der Arzt hatte gesagt, es könnte ihr guttun, und ich glaube, sie buchte den ersten Flug, den sie bekommen konnte.«
»Wissen Sie, ob sie ein Reisebüro in Anspruch genommen hat?«
»Ich bin ziemlich sicher, dass sie es getan hat. Wahrscheinlich eines in der Nähe. Da sie kein Auto fuhr, bevorzugte sie Geschäfte, die sie zu Fuß erreichen konnte, wenn es ging. Wir sind da.«
Tillie war vor Apartment 9 stehen geblieben, das im zweiten Stock, direkt über ihrem eigenen, lag. Sie schloss die Tür auf und folgte mir hinein.
Das Apartment war dunkel, die Vorhänge zugezogen, die Luft trocken und unbewegt. Tillie durchquerte das Wohnzimmer und öffnete die Vorhänge.
»War jemand in der Wohnung, seitdem sie gefahren ist?«, fragte ich. »Reinigungsfrau? Handwerker?«
»Nicht dass ich wüsste.«
Wir schienen beide unsere Bibliothekslautstärke zu benutzen, denn es hat etwas Beunruhigendes an sich, in einer fremden Wohnung zu sein, wenn man nicht sollte. Ich fühlte, wie mir ein feiner Stromstoß durchs Mark schoss.
Wir machten schnell eine Runde durch die Wohnung, und Tillie meinte, ihr schiene alles normal zu sein. Nichts Besonderes. Nichts am falschen Platz. Sie ging dann, und ich sah mich allein um und nahm mir die Zeit, es gründlich zu tun.
Es war eine Eckwohnung, zweiter Stock Vorderseite, mit Fenstern an zwei Wänden. Ich nahm mir eine Minute Zeit, um auf die Straße zu sehen. Es fuhren keine Autos vorbei. Ein Junge mit Irokesenschnitt lehnte an einem geparkten Wagen direkt unter mir. Die Seiten seines Kopfes waren so kurz geschoren, als stünde er vor seiner Hinrichtung, und der verbliebene Streifen Haar stand hoch wie trockenes Gras auf dem Mittelstreifen eines Highway. Es war in einer Rosaschattierung getönt, die ich nicht mehr gesehen hatte, seitdem Hot Pants aus der Mode waren. Er sah aus wie sechzehn oder siebzehn und trug eine leuchtend rote Fallschirmjägerhose, die in seine Kampfstiefel gesteckt war, und ein oranges Army-Hemd mit einer Aufschrift auf der Brust, die ich von hier aus nicht lesen konnte. Ich beobachtete, wie er sich einen Joint drehte und ihn anzündete.
Ich ging zu den Seitenfenstern, von denen aus man auf die ebenerdigen Fenster des kleinen Holzhauses nebenan sehen konnte. Das Dach war von einem Feuer zerstört, und die Dachbalken des Hauses waren porös wie die zerbrechlichen Gräten eines zu lange gekochten Fisches. Die Tür war mit Brettern vernagelt, die Scheiben aus den Fenstern herausgebrochen, offensichtlich durch die Hitze. Ein zu VERKAUFEN-Schild war in das tote Gras gerammt worden wie ein zerbrechlicher Grabstein. Keine besonders schöne Aussicht für eine Eigentumswohnung, die Elaine nach meiner Schätzung über hunderttausend Dollar gekostet haben musste. Ich zuckte die Achseln und ging in die Küche.
Arbeitsfläche und Küchengeräte glänzten. Der Fußboden war unverkennbar gewischt und gewachst worden. Die Schränke waren ordentlich gefüllt mit Lebensmitteln in Dosen, einschließlich etwas Katzenfutter. Der Kühlschrank war leer, mit Ausnahme der üblichen Tür voll mit Oliven und Mixed Pickles und Senf und Marmelade. Der elektrische Herd war nicht mehr angeschlossen, die Schnur hing vor dem Zifferblatt der Uhr, auf der es 8.20 Uhr war. Eine leere braune Papiertüte war in den Plastikabfalleimer unter dem Waschbecken gesteckt und sorgfältig über dessen Rand gestülpt worden. Es sah so aus, als ob Elaine Boldt die Wohnung systematisch für eine lange Abwesenheit vorbereitet hatte.
Ich verließ die Küche und schlenderte in den Flur. Der Grundschnitt war offenbar ein Duplikat von Tillies Apartment darunter. Ich ging durch einen kleinen Korridor und warf einen Blick zu meiner rechten in ein kleines Bad mit einem Waschbecken, das wie eine versenkte Marmormuschel geformt war, und vergoldeten Armaturen und goldgepunkteten Spiegelkacheln an einer Wand. Der kleine geflochtene Papierkorb unter dem Waschbecken war leer bis auf ein feines, graubraunes Haarbüschel, das an einer Seite hängen geblieben war, wie ein kleiner Haarknäuel, der entsteht, wenn man eine Bürste säubert.
Dem Badezimmer gegenüber befand sich ein kleiner Raum, in dem ein Schreibtisch, ein Fernseher, ein Sessel und eine Liege standen. Die Schreibtischschubladen enthielten das übliche Sortiment von Kugelschreibern, Büroklammern, Notizzetteln und Mappen. Im Moment sah ich keinen Anlass, diese Sachen genauer zu untersuchen. Zufällig sah ich ihren Sozialversicherungsausweis und notierte mir ihre Mitgliedsnummer. Dann verließ ich den kleinen Raum und ging in das große Schlafzimmer, an das ein Bad grenzte.
Durch die zugezogenen Vorhänge wirkte das Schlafzimmer düster, aber auch hier schien alles in Ordnung zu sein. Auf der rechten Seite befand sich ein begehbarer Wandschrank, der groß genug war, um ihn unterzuvermieten. Einige der Kleiderbügel waren leer, und in den Sachen, die auf den Regalbrettern gestapelt waren, konnte ich Lücken entdecken, wo sie vermutlich etwas eingepackt hatte. In einer Ecke war noch ein kleiner Koffer verstaut, eines dieser teuren Designermodelle, auf denen in Schnörkelschrift ein fremder Name steht.
Wahllos durchsuchte ich Wäscheschubladen. In einigen befanden sich noch Wollpullover in den Plastiktaschen einer chemischen Reinigung. Andere waren bis auf ein oder zwei zurückgelassene Duftkissen leer. Unterwäsche. Etwas Modeschmuck.
Das große Bad war geräumig und ordentlich, und das Medizinschränkchen war ausgeräumt, mit Ausnahme von ein paar rezeptfreien Medikamenten. Ich ging zur Tür zurück, blieb einen Moment lang stehen und betrachtete das Schlafzimmer. Nichts wies hin auf ein Verbrechen oder ein übereiltes Verschwinden, einen Einbruch, Vandalismus, Krankheit, Selbstmord, Trunkenheit, Drogenmissbrauch, geistige Verwirrtheit oder einen kürzlichen Besucher. Sogar die feine Schicht Hausstaub auf den glänzenden Oberflächen der Möbel schien unberührt zu sein.
Ich ging und verschloss die Tür hinter mir. Ich fuhr mit dem Aufzug runter zu Tillie und fragte sie, ob sie ein Foto von Elaine habe.
»Nicht dass ich wüsste«, meinte sie, »aber ich kann sie Ihnen beschreiben, wenn Sie möchten. Sie ist ungefähr so groß wie ich, das heißt so ein Meter achtundsechzig, und zirka hundertundzwanzig Pfund schwer. Sie hat blond gesträhnte Haare, die sie hinter die Ohren kämmt. Blaue Augen.« Tillie hielt inne. »Oh, warten Sie, vielleicht habe ich doch ein Foto. Mir fällt gerade eins ein. Einen Moment.«
Sie verschwand Richtung Arbeitszimmer und kam kurz darauf mit einem Polaroid-Schnappschuss wieder, den sie mir gab. Das Foto hatte einen Stich ins Orange und fühlte sich klebrig an. Die Aufnahme war aus ungefähr sieben Metern Entfernung gemacht worden und zeigte zwei in einem Hof stehende Frauen in voller Größe. Sofort tippte ich darauf, dass die linke Elaine sein musste, glücklich lächelnd, herausgeputzt und elegant, in einer gut geschnittenen Leinenhose. Die andere Frau war mollig um die Hüften, trug ein Brillengestell aus Plastik und eine Frisur, die aussah, als könnte sie unversehrt abgenommen werden. Sie schien Mitte vierzig zu sein und blinzelte verlegen in die Sonne.
»Das wurde im letzten Herbst aufgenommen«, sagte Tillie. »Die Frau links ist Elaine.«
»Wer ist die andere Frau?«
»Marty Grice, eine unserer Nachbarinnen. Also, das ist eine schreckliche Geschichte. Sie starb ... oh, Mensch, ich glaube schon vor sechs Monaten. Mir kommt es noch gar nicht so lange vor.«
»Was ist ihr zugestoßen?«
»Tja, man glaubt, sie hat einen Einbrecher überrascht. Ich nehme an, er brachte sie auf der Stelle um und versuchte dann, das Haus niederzubrennen, um alles zu vertuschen. Es war grauenhaft. Vielleicht haben Sie etwas darüber in der Zeitung gelesen.«
Ich schüttelte den Kopf. Es gibt oft Zeiten, in denen ich überhaupt keine Zeitung lese, aber mir fiel das Nachbarhaus mit seinem verkohlten Dach und den herausgebrochenen Fenstern ein. »Das tut mir leid«, sagte ich. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich das Foto vorläufig behalte?«
»Nein, bitte.«
Ich sah es mir noch einmal an. Die Vorstellung war etwas beunruhigend, dass hier ein Augenblick vor nicht allzu langer Zeit eingefangen worden war, in dem beide Frauen so sorglos gelächelt hatten und nicht ahnten, dass ihnen etwas Bedrohliches bevorstand. Jetzt war die eine tot, und die andere wurde vermisst. Mir gefiel diese Kombination überhaupt nicht.
»Waren Elaine und diese Frau gut befreundet?«, fragte ich.
»Nicht richtig. Sie spielten ab und zu Bridge zusammen, aber ansonsten verkehrten sie nicht miteinander. Elaine ist den meisten Menschen gegenüber ein bisschen unnahbar. In der Tat war Marty wegen Elaines Art öfter etwas eingeschnappt. Nicht, dass sie mir jemals viel erzählt hätte, aber ich kann mich erinnern, dass sie von Zeit zu Zeit ein bisschen gehässig wurde. Elaine gönnt sich einiges – darüber besteht kein Zweifel –, und sie ist ein bisschen unsensibel gegenüber einigen Leuten, die sich nicht so ein feines Leben wie sie leisten können. Ihr Pelzmantel ist so ein Beispiel. Sie wusste, dass Leonard und Marty in finanziellen Schwierigkeiten steckten, aber sie musste diesen Mantel jedes Mal tragen, wenn sie zum Bridgespiel rüberging. Für Marty war das natürlich ein rotes Tuch.«
»Ist das derselbe Mantel, den sie trug, als Sie sie das letzte Mal sahen?«
»Ja, genau. Ein Zwölftausend-Dollar-Luchsfellmantel mit passendem Hut.«
»Toll«, bemerkte ich.
»Oh ja, er ist wunderschön. Ich würde meine Eckzähne für solch einen Mantel hergeben.«
»Fällt Ihnen sonst noch etwas zu ihrer Abreise an jenem Abend ein?«
»Kann ich nicht sagen. Sie trug irgendwelches Gepäck – ich nehme an, einen fahrbaren Koffer –, und der Taxifahrer brachte den Rest herunter.«
»Können Sie sich an das Taxiunternehmen erinnern?«
»Ich habe damals wirklich nicht so genau hingesehen, aber normalerweise bestellte sie einen Wagen von City Cab oder Green Stripe, manchmal auch Tipp Top, obwohl sie die nicht besonders mochte. Ich wollte, ich könnte Ihnen mehr sagen. Ich meine, wenn sie hier losgefahren ist, um nach Florida zu fliegen, dort aber nie angekommen ist, wo ist sie geblieben?«
»Genau das will ich herausfinden«, erwiderte ich.
Ich schenkte Tillie ein beruhigend gemeintes Lächeln, aber ich fühlte mich nicht wohl.
Ich fuhr zurück zum Büro und überschlug kurz die Kosten, die mir bisher entstanden waren; ungefähr fünfundsiebzig Dollar für die Zeit bei Tillie und die Zeit, die für die Untersuchung von Elaines Apartment draufgegangen war, plus der Zeit in der Bücherei und am Telefon und die Ferngesprächsgebühren. Ich kannte Privatdetektive, die ihre gesamten Nachforschungen vom Telefon aus führten, aber ich finde das nicht sehr klug. Solange man sich mit den Leuten nicht von Angesicht zu Angesicht beschäftigt, gibt es zu viele Dinge, die man übersehen kann und zu viele Möglichkeiten, getäuscht zu werden.
Ich rief ein Reisebüro an und buchte einen Flug nach Miami und zurück. Er kostete mich neunundneunzig Dollar einfach, dafür musste ich mitten in der Nacht fliegen und durfte weder essen und trinken noch zum Klo gehen. Außerdem ließ ich mir am anderen Ende einen billigen Mietwagen reservieren.
Mein Flugzeug würde erst in etlichen Stunden starten, also fuhr ich nach Hause, absolvierte eine Jogging-Runde von drei Meilen und steckte mir dann Zahnbürste und Zahnpasta in die Tasche und nannte das »Packen«. Später würde ich Elaines Reisebüro ausfindig machen müssen, um in Erfahrung zu bringen, welche Fluggesellschaft sie in Anspruch genommen hatte, und ob sie vielleicht einen Weiterflug nach Mexiko oder in die Karibik gebucht hatte. In der Zwischenzeit hoffte ich, Elaines Freundin in Florida zu erwischen, bevor sie sich aus dem Staub gemacht und mir meine einzige Verbindung zu Elaines Aufenthaltsort genommen hatte.
Es war noch dunkel, als das Flugzeug um 4.45 Uhr in Miami landete. Um diese Zeit war der Flughafen nur wenig bevölkert, und die Beleuchtung war gedämpft wie in einer Leichenhalle. In der Gepäckaufbewahrungszone waren Haufen verlassener Koffer in dunklen Schränken mit Glastüren aufeinandergestapelt. Alle Flughafengeschäfte waren geschlossen. Hier und da schliefen Reisende auf den harten Plastikstühlen, den Kopf auf vollgestopfte Baumwollschlafsäcke gebettet, verbeulte Jacken über die Schultern gelegt. Über Lautsprecher wurde ein Passagier zum Informationsschalter gerufen, aber der Name war so verzerrt, dass niemand reagieren würde. Ich hatte im Flugzeug nur eine knappe Stunde schlafen können und fühlte mich zerknittert und missgelaunt.
Ich holte meinen Mietwagen ab, kaufte eine Straßenkarte und war gegen 5.15 Uhr auf der US 1 Richtung Norden unterwegs. Zwanzig Minuten bis Fort Lauderdale, noch mal fünfzehn bis Boca Raton. Die Morgendämmerung verwandelte den Himmel in ein transparentes Grau, und die Wolken waren aufeinandergestapelt wie Blumenkohlköpfe auf einem Marktstand. Das Land zu beiden Seiten des Highway war flach; weißer Sand kroch bis zum Straßenrand hoch. Seegrasbüschel und Zypressen hoben sich gegen den Horizont ab, und Spanisches Moos hing wie zerrissene Lumpen von den Bäumen. Die Luft war bereits feucht und mild, und die orangefarbenen Streifen der aufgehenden Sonne verkündeten einen heißen Tag. Um Zeit totzuschlagen, hielt ich an einem Imbissstand und aß ein braunes und gelbes Zeug, das ich mit einer Tüte Orangensaft hinunterspülte. Das Ganze schmeckte wie Astronautennahrung.
Als ich die Siedlung erreichte, in der Elaine Boldt ihre Eigentumswohnung hatte, war es fast sieben Uhr, und die Sprinkleranlage verteilte ihre Wasserstrahlen über dem kurz geschorenen Rasen. Ich sah sechs oder sieben Gebäude aus Gussbeton, von denen jedes drei Stockwerke hoch war. Überdachte Veranden unterstrichen die niedrigen, sauberen Reihen; Hibiskussträucher fügten knallrote und rosafarbene Farbtupfer hinzu. Ich fuhr kreuz und quer durch die Siedlung und kam langsam über die breiten Straßen bis zum Tennisplatz. Jedes Gebäude schien seinen eigenen Swimming-Pool zu haben, und es hatten sich bereits Leute auf den Plastikliegen ausgestreckt, um sich zu sonnen. Ich fand die Hausnummer, die ich suchte, und fuhr auf einen kleinen Parkplatz vor dem Haus. Das Apartment des Hausmeisters war im Erdgeschoss, die Eingangstür stand offen. Das Fliegengitter schützte vor einem Angriff der großen Insekten Floridas, die schon warnende Geräusche im Gras machten.
Ich klopfte an den Aluminiumrahmen.
»Ich bin direkt vor Ihnen.« Eine Frauenstimme aus peinlicher Nähe.
Ich schirmte meine Augen mit der Hand von der Sonne ab, damit ich erkennen konnte, mit wem hinter dieser Gittertür ich sprach.
»Ist Mr Makowski da?«
Langsam konnte ich durch die Tür die Konturen der Frau ausmachen, wobei ich sah, dass sich ihr Gesicht auf der Höhe meiner Knie befand.
»Moment. Ich habe gerade meine Sit-ups gemacht, und jetzt kann ich nicht aufstehen. Mein Gott, tut das weh.« Sie zog sich in eine kniende Position, wobei sie sich an einem Stuhl festhielt. »Makowski ist in 208, um die Toilette zu reparieren. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich versuche, Elaine Boldt zu erreichen. Haben Sie eine Ahnung, wo sie sein könnte?«
»Die Privatdetektivin, die aus Kalifornien angerufen hat?«
»Ja, das bin ich. Ich dachte, ich sollte mal mit jemandem hier unten reden, um zu sehen, ob ich ihr hier auf die Spur komme. Hat sie eine Nachsendeadresse hinterlassen?«
»Nee. Ich wollte, ich könnte Ihnen behilflich sein, aber ich weiß nicht viel mehr als Sie. So, kommen Sie herein.« Sie kam schwankend auf die Beine und hielt die Gittertür auf. »Ich bin Charmaine Makowski, beziehungsweise, was von ihr übrig geblieben ist. Treiben Sie Sport?«
»Na ja, ich jogge, aber das ist fast schon alles«, sagte ich.
»Gut so. Machen Sie niemals Kniebeugen, wenn ich Ihnen raten darf. Ich mache hundert pro Tag, und es tut jedes Mal weh.« Sie war immer noch außer Atem, und ihre Wangen waren von der Anstrengung rosa getönt. Sie war Ende vierzig und trug einen leuchtend gelben Jogginganzug, unter dem sich ihr von einer Schwangerschaft gewölbter Bauch abzeichnete. Sie sah aus wie eine reife Florida-Grapefruit.
»Sie haben es erraten«, lachte sie. »Noch einer dieser kleinen Späße des Lebens. Ich dachte, es wäre ein Tumor, bis es anfing, sich zu bewegen. Schon mal gesehen?«
Sie zeigte auf eine Beule genau unterhalb ihrer Taille. »So sieht ein Bauchnabel aus, der nach außen getreten ist. Es ist peinlich. Makowski und ich dachten, wir könnten keine Kinder bekommen. Ich bin fast fünfzig, und er ist fünfundsechzig. O verdammt, was macht das schon für einen Unterschied? Besser als die Wechseljahre, denke ich. Haben Sie mit dieser Frau in 315 gesprochen? Ihr Name ist Pat Usher, aber das wissen Sie vermutlich schon. Sie behauptet, Elaine habe an sie untervermietet, aber ich bezweifle das.«
»Wie bitte? Mrs Boldt hat nie mit Ihnen über dieses Arrangement gesprochen?«
