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Visionen am Amazonas mein Leben mit Terence McKenna Autobiografischer Bericht über Kindheit und Leben des renommierten Ethnobotanikers Dennis McKenna, dem Bruder von Terence McKenna. Das Buch erzählt von der Beziehung der Brüder, die in den fünfziger und sechziger Jahren in einer Kleinstadt im Westen Colorados aufwuchsen und sich schon früh für veränderte Bewusstseinszustände und Ethnologie interessierten. Als sie 1971 zusammen mit Gleichgesinnten durch den kolumbianischen Amazonas zogen, nannten sie ihre Expeditionsgruppe 'The Brotherhood of the Screaming Abyss'. Der Summer of Love 1968 ist ebenso Thema wie die Erforschung von DMT, psychoaktiven Pilzen und anderen Substanzen, Begegnungen mit Schamanen und extraterrestrischen Wesen sowie Spielereien mit der DNA. Auch das von Terence entwickelte TimeWaveZero wird vorgestellt, eines der ersten Softwareprogramme zur Neudefinierung der Zeit. Dennis McKenna reflektiert in dem Band auf seine ureigene smarte und tiefgehende Art über die psychedelische Kultur, die damit verbundene Philosophie und über wissenschaftliche Innovationen. 'Seit dem Tod von Terence haben wir das erste Jahrzehnt einer neuen Ära erlebt, die allem Anschein nach so seltsam und beunruhigend, so hoffnungsvoll und verzweifelt sein wird wie keine andere Epoche, die die Menschheit bisher erlebt hat. Es hat mich gereizt, zurückzublicken, wie unsere persönliche Welt begann. Ich wollte den Weg zurückverfolgen, der uns von unserer Kindheit bis zu unseren unterschiedlichen Schicksalen führte, und dabei die Menschen und Ideen, die uns geprägt haben, noch einmal betrachten.' Dennis McKenna Deutsche Ausgabe der englischsprachigen Neuauflage von Synergetic Press (2023).
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Seitenzahl: 1055
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Dennis McKenna
Visionen am Amazonas – mein Leben mit Terence McKenna
Vorwort von Bruce Damer
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Herstellung:
Bookwire GmbH
Voltastraße 1
60468 Frankfurt am Main
Deutschland
Verlag:
Nachtschatten Verlag AG
Kronengasse 11
4500 Solothurn
Schweiz
IMPRESSUM
Dennis McKenna
Abenteuer am Rande des Unfassbaren
Visionen am Amazonas – mein Leben mit Terence McKenna
Nachtschatten Verlag AG
Kronengasse 11
CH-4500 Solothurn
www.nachtschatten.ch
© 2012 Dennis McKenna
© 2023 Synergetic Press
© 2025 Nachtschatten Verlag
Der Nachtschatten Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2021 bis 2025 unterstützt.
Übersetzung: Felix Garbe, Tilman Frick (Vorworte und Einleitung)
Lektorat/Korrektorat: Markus Berger
Grafik/Layout: Raphaël Picard
Umschlaggestaltung: Nina Seiler
Druck: Printed in EU
ISBN: 978-3-03788-665-6
eISBN: 978-3-03788-708-0
Auslieferung EU:
Agorando Technologies GmbH
An der Südspitze 1–12
D-04571 Rötha
Alle Rechte der Verbreitung durch Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, elektronische digitale Medien und auszugsweiser Nachdruck sind nur mit Genehmigung des Verlags erlaubt.
Für unsere Mutter und unseren Vater,Hazelle und Joe McKenna, die uns immer geliebt haben.
Die Vergangenheit ist niemals tot.Sie ist nicht einmal Vergangenheit.
—William Faulkner
Vorwort
Vorwort zur ersten Ausgabe
Einleitung
Einleitung der ersten Ausgabe
Teil I: Anfänge
1Anfänge
2Drei Schwestern
3Wurzeln und Kriege
4Terry und Denny
5Happy Day Rides
6Die Nobody People
7Der Sammler
8Fliegen, Fischen und Jagen
9Ein Abschied vom all dem
10 Das größere Ganze
11 Erste Liebschaften: 1962
12 Der Kalifornien-Kreuzzug
13 Das Experimental College: 1965
14 Cannabis: 1966
15 Der Tutor
16 Psychedelische Bildung
17 Die Vermessung der inneren Welt: Carl Jung
18 Die Stufenleiter der Ekstase: Mircea Eliade
19 Sommer der Liebe: 1967
20 Die Entdeckung des Geheimnisses
21 Die Revanche der Kiffer
22 Mein Datura-Missgeschick
23 Flucht aus Mordor: 1968
24 Die Kirchwiesenbande
25 Schon wieder erwischt: 1969
26 Mädchen mit Pistole: 1970
Teil II: In den Abgrund
27 Die Bruderschaft bildet sich
28 Der Tod unserer Mutter
29 Ein schmaler Durchgang: 1971
30 Am Rande des Abgrunds
31 Das Experiment in La Chorrera
32 Warten auf den Stein
33 Der Kirchturm und ein UFO
34 Überlegungen zu La Chorrera
Teil III: Unsichtbare Landschaften
35 Unsichtbare Landschaften
36 Die Timewave
37 Ein Treffen mit dem Meister
38 Spaß mit Pilzen: 1975
39 Ein Labor im Paradies
40 Im Schützengraben
41 Eine Begegnung mit Ayahuasca
42 Der Fluss der Gifte
43 Das Erwachsensein und seine Opfer
44 Die Pflanzenlehrer: 1985
45 Der ewige Postdoc
46 Klettern an der Liane: 1991
47 Neu in der Stadt
48 Der Barde bei Licht und Schatten
49 Eine verzweifelte Situation
50 Ins Feuer
Epilog
Nachwort
Danksagungen
Bibliographie
Anhang
Der Autor
Wenn Geografie auf das Schicksal Einfluss nehmen kann, dann ist das Titelfoto dieses Buches, das die jugendlichen Denny und Terry McKenna zeigt – aufgenommen bei einem Besuch des Black Canyon im Gunnison National Park –, ein Hinweis auf den künftigen Lebensweg der beiden Brüder. Ein größerer, verträumter Terence lehnt sich an seinen Bruder, welcher das Fernglas, das Terence immer noch um den Hals trägt, genommen hat und über den Abgrund späht. Man kann sich ihren Austausch vorstellen – Terence genießt die Szenerie, schwelgt in Poesie und quasselt von der Realität des Größten, was sie wahrscheinlich bis zu diesem Zeitpunkt je gesehen haben. Dennis nimmt alles auf, analysiert die Interpretation seines Bruders, greift dann aber zum Fernglas, um sich selbst ein Bild zu machen, ähnlich ehrfürchtig, aber auf der Suche nach Einzelheiten.
Schon in diesem frühen Alter kristallisierten sich die unterschiedlichen Wege von Forschung und Lebensstil der Brüder heraus: Terence suchte die entlegensten Orte und kehrte zurück, um deren Geschichte zu erzählen, während Dennis aus denselben Gefilden mit Proben zurückkehrte, um deren katalytische Magie zu entschlüsseln. Terences 20-jährige »Erzählreise«, von den späten 70er Jahren bis zu seinem letzten öffentlichen Auftritt beim AllChemical-Arts-Treffen auf Hawaii, diente dazu, die psychedelische Erfahrung für die nächste Generation dezidiert aufzuwerten und diese auf das aufkommende digitale Zeitalter vorzubereiten. Dennis widmete sich sein Leben lang der Ethnopharmakologie, um die Wirkung der Pflanzen zu erforschen und deren indigenen Gebrauch um eine moderne und transformative Dimension zu erweitern, die für die Zukunft unserer Welt von Nutzen sein kann.
Zum Abschluss der 55. Jahrestagung zur Würdigung und Erweiterung der bahnbrechenden Konferenz von 1967 mit dem Titel Ethnopharmacologic Search for Psychoactive Plants, fragte mich Dennis: »Wie ist das alles gelaufen?« Bevor ich antwortete, erinnerte ich mich an die Zeit, als er und ich uns zum ersten Mal persönlich trafen, auf einem Boot in der Bucht von San Francisco, während einer Fahrt im Rahmen der MAPS Psychedelic Science Conference 2013. Dennis und ich hatten gerade eine zweijährige Zusammenarbeit absolviert, bei der wir uns über viele Aspekte des Lebens und Vermächtnisses seines Bruders austauschten. Die erste Ausgabe dieses Buches wurde zu dieser Zeit geschrieben und veröffentlicht, und um Terences Leben zu feiern, organisierte ich zwei retrospektive Veranstaltungen, eine in Sierra Madre, Kalifornien, und die andere im Esalen-Institut in Big Sur, beides Orte, die große Bedeutung für ihn hatten.
Meine persönliche Zeit mit Terence fand in den letzten Jahren der 1990er Jahre statt und konzentrierte sich darauf, ihn in das Medium der virtuellen Welten einzuführen, einer Art unsichtbarer Landschaft, die durch die Sprache des Programmiercodes geschaffen wird. Terence war fasziniert von dieser neuen Form des Cyberspace, dem ersten Schritt hin zu einem echten »Metaversum«. Eine zeitlang tauschten wir die Rollen, und während Terence in seinem Avatar »Zone Ghost« die von Tryptaminen inspirierten digitalen Welten erkundete, reiste ich in meine erste bepilzte Erfahrung des »Entheospace«. Wir trafen uns dann in seinem Haus auf Hawaii mit seinem Sohn Finn, um ein virtuelles AllChemical-Powwow mit seiner Fangemeinde zu veranstalten und unsere Notizen zu vergleichen. Terence erzählte, dass diese neuen Welten des Cyberspace »DMT nicht unähnlich sind«. Während wir uns freudig in dieser Erfahrung der technischen Neuheiten sonnten, ahnten wir nicht, dass er bald seine eigene Version einer Singularität erleben würde, er verstarb etwas mehr als ein Jahr später im April 2000. Fünf Jahre darauf habe ich zugestimmt, ihn sozusagen (digital) zurückzuholen und arbeitete mit einer Gruppe von engagierten Menschen zusammen, um seine Vorträge von Hunderten von Kassetten zu retten und seine Stimme auf das damals aufkommende Podcast-Medium zu übertragen. So wurde ich zu einem Schüler von Terence und seinem Werk, und als Dennis und ich uns kennenlernten, bot er mir freundlicherweise an, frühe Entwürfe dieses Buches zu begutachten.
Als ich eine Interpretation von Terences Lebensgeschichte für diverse Veranstaltungen, die ich 2012 organisierte, zusammenstellte, wurde mir nicht nur das ganze Ausmaß seines Einflusses auf die psychedelische Kultur bewusst, ich entdeckte darüber hinaus auch Hinweise auf das Leiden in seinem späteren Leben, herbeigeführt durch die zunehmenden Widersprüchlichkeiten seines Weges und seiner Botschaft. Diese entstanden aus den Herausforderungen, ein Sprecher des Unaussprechlichen zu werden, ein Weiser auf der Bühne, der sich einem zermürbenden Zeitplan verpflichtet hatte. Ich und andere, die ihm damals nahestanden, bemerkten in den 1990er Jahren, dass Terences Geschichten und Visionen immer weiter ausuferten. Das von ihm errechnete und propagierte Datum für die angebliche kosmische Flucht (oder Rettung) der Menschheit im Jahr 2012 war besonders seltsam, und ich habe ihn damals tatsächlich in Frage gestellt. Vielleicht verleitet der Käfig des Ruhms den Singvogel in seinem Inneren dazu, immer schöner zu singen, und so könnte Terence zu dem Schluss gekommen sein, dass er, um sein Publikum zu halten, diesem Ruf folgen musste.
Es wurden Berichte bekannt, dass Terence in dieser Zeit weitgehend aufgehört hatte, jene Substanzen zu verwenden, die er einer heranwachsenden Generation bekanntmachte. Dies führte zu Unstimmigkeiten, die meiner Meinung nach während unserer Veranstaltungen aufgedeckt und aufgearbeitet werden mussten. Die Spannungen zwischen Terence und seinem Bruder waren gewachsen – teilweise aufgrund von Meinungsverschiedenheiten über Terences zügellosen Seemannsgarn – und führten schließlich zu einer vollständigen Trennung ihrer Wege. Wie Sie in diesem Buch lesen werden, vereinten sich die Brüder erst in den Monaten vor Terences Tod wieder. Als ich im Juni 2012 in Esalen eine Gruppe enger Freunde zusammenrief, um Terences Leben zu feiern, haben wir gemeinsam diese Offenbarungen verarbeitet. Wir spürten, dass es an der Zeit war, einige von Terences stärkeren öffentlichkeitswirksamen Zaubern sanft zu entzaubern und denjenigen etwas zu warnen, die sich nach einem Kontakt mit »Maschinenelfen« sehnen und dafür fünf bis sieben getrocknete Gramm in stiller Dunkelheit zu sich nehmen. Wir hatten den Eindruck, dass Terence damit von den Ungereimtheiten seines späteren Lebens befreit war, und hießen ihn wieder willkommen. Wir liebten und akzeptierten ihn, jetzt vielleicht nur ein bisschen mehr »fully baked« (stoned).
Seit diesem Moment, auf dem Boot in der Bucht, haben Dennis und ich bei Ritualen im Heiligen Tal in Peru zusammengesessen, Kokablätter in Machu Picchu gekaut, Lagerfeuergespräche und Zoom-Sitzungen abgehalten und viele unserer Aufzeichnungen verglichen. Ich hatte das Vergnügen, Dennis besser kennenzulernen als seinen (damals) berühmteren Bruder, und ich habe festgestellt, dass er eine feine Seele mit einem aufrichtigen, freundlichen und sanften Wesen, aber auch einem scharfen wissenschaftlichen Verstand ist. Er ist nun ein älterer Herr, der für uns alle durch sein einzigartiges Fernglas in die Zukunft blickt. Um also abschließend Dennis Frage »Wie ist das alles gelaufen?« zu beantworten, kann ich jetzt vollständiger antworten mit, wie ich hoffe, angemessener Sensibilität für die komplexe Verflechtung dieser beiden außergewöhnlichen Leben:
»Es scheint mir, dass Terences Voträge und Texte über den Hyperraum notwendig waren, und dein Bruder hat diese Rolle hervorragend ausgefüllt. Es stellte sich auch für ihn als Herausforderung heraus, aber wir haben das gemeinsam enthüllt und geheilt. Dein Weg war anders und tritt heute in den Vordergrund, in der Wissenschaft, bei Treffen wie diesem, und beim Aufbau von Gemeinschaften. Dies ist die Arbeit von heute, und du hast einen großartigen Beitrag dazu geleistet.«
Ich danke euch, Dennis und Terence! Mit eurer Bruderschaft und all ihren Höhen und Tiefen haben zwei Jungen den Abgrund betreten und den Weg für unzählige andere bereitet, die ihre ersten Reisen entlang der Klippe des psychedelischen Abgrunds unternehmen, um ihre eigenen Geschichten erzählen zu können. Auch künftige Generationen werden diese außergewöhnlichen geistigen und seelischen Zustände erleben und ihr eigenes Schicksal neu ausrichten, immer in Dankbarkeit für dein Wirken.
—Bruce Damer
Boulder Creek
Juli 2022
Als Dennis mich bat, ein Vorwort für dieses Buch zu schreiben, war ich überrascht und erfreut. Es war mir nie in den Sinn gekommen, dass ein solches Buch überhaupt ein Vorwort benötigt. Dennis ist ein angesehener Forscher und Denker, und viele von uns haben seine wissenschaftlichen Arbeiten gelesen oder mit Vergnügen seinen interdisziplinären Vorlesungen gelauscht, die Ethnobotanik, Psychopharmakologie, Geschichte und philosophische Überlegungen verbinden. Aber dies ist kein akademisches Buch. Es ist der lang erwartete Bericht über seine lebenslange Beziehung zu seinem älteren Bruder Terence, dem großen Erzähler von weitreichenden philosophischen und eschatologischen Ideen. Mit anderen Worten haben wir das Privileg, hinter die Kulissen zu schauen und einen Blick in das Privatleben dieser beiden außergewöhnlichen Brüder zu werfen. In das Leben des Dichters und Wissenschaftlers, der öffentlichen Figur und des eher zurückhaltenden Ideengebers, der uns aus dem unsichtbaren und doch allgegenwärtigen World Wide Web verfolgt (seine Worte sind immer noch frisch und zwölf Jahre nach seinem Tod sogar noch aktueller). Dennis weilt nach wie vor unter uns, weise und mit einem ausgeprägten Sinn für Humor. Wie sein Bruder ist auch Dennis ein Lehrer, von dem wir noch viel zu lernen haben.
Ich hatte das große Glück, Terence Ende 1971 in meiner Heimat Kolumbien zu treffen, als wir beide noch jung waren. Es war der Beginn einer Freundschaft, die bis zu seinem Tod im Jahr 2000 andauerte. Ich lernte Dennis 1981 kennen, obwohl ich ihn in gewisser Weise schon vorher kannte, denn Terence sprach häufig von seinem Bruder und beschrieb ihn als Genie und Quelle der Ideen, die ihn fesselten.
Als Terence und ich uns kennenlernten, war ich im Urlaub und besuchte meine Familie in Florencia, einer kleinen Grenzstadt, die zwischen den Flanken der Cordillera Oriental, dem östlichen Gebirgszug der Anden, und dem Amazonas-Regenwald liegt. Ich hatte gerade mein fünfjähriges Studium an der Universidad Complutense in Madrid abgeschlossen und wollte zwei Monate später nach Europa zurückkehren. Zu Beginn desselben Jahres hatten Terence, Dennis und einige Freunde, auf einer Reise im kolumbianischen Amazonasgebiet ein Experiment durchgeführt, das sie das »Experiment von La Chorrera« nannten, welches Terence später in seinem Buch Wahre Halluzinationen beschrieb.
Terence war ein begeisterter und aufbrausender Denker, ich war ein eifriger Zuhörer und Gesprächspartner. Terence und seine damalige Begleiterin, die in diesem Buch »Ev« genannt wird, zogen mit mir in die »Villa Gloria«, ein pompöser Name für ein einfaches Landhaus aus Holz, das meinen Eltern gehörte. Ein paar Kilometer außerhalb von Florencia gelegen, mit einem Wasserhahn und ohne Strom, bot der Ort die richtige Abgeschiedenheit für Arbeit und Experimente. Terence begann zu schreiben, was später zu The Invisible Landscape wurde, mit seinem Bruder Dennis als Co-Autor, während ich in die Welt von Carl Jung, Mircea Eliade, Alfred North Whitehead, James Joyce und Carlos Castaneda eingeführt wurde. Ich hatte mein erstes Yajé-Erlebnis in Villa Gloria, mit einem von Don Apolinar Yacanamijoy zubereiteteten Trank, einem Ingano-Schamanen, den ich seit meiner Kindheit kannte, allerdings war ich zu dieser Zeit nicht über die indigene Verwendung dieser Substanz informiert.
Zwei Jahre später, 1973, waren Terence und ich in Berkeley. Dies war ein entscheidender Sommer für mich, denn ich entdeckte, auch dank ihm, eine Fülle ethnobotanischer Studien der großen Pioniere auf diesem Gebiet: Richard Evans Schultes, Gerardo Reichel-Dolmatoff, R. Gordon Wasson, Peter Furst, Johannes Wilbert, Michael Harner und andere, mit dem Privileg, sie in meinem späteren Leben, zu verschiedenen Zeitpunkten, kennenzulernen. Abends, wenn wir nicht gerade die Watergate-Anhörungen auf einem alten Fernseher verfolgten, unterhielt Terence seine Freunde mit seiner Eloquenz, seinem innovativen Denken in verschiedenen Disziplinen und mit seiner großen Begabung als Geschichtenerzähler. Sein Vorhaben war kein kleines: Nur »das große Ganze« würde ihm genügen. Es gab nie einen geistlosen Moment in seiner Gesellschaft und ich akzeptierte, wenn auch naiv und unkritisch, praktisch alles, was er sagte. Ich erwartete sogar das Ende der Zeit am 21. Dezember 1973, bevor er in seinem Buch Timewatch die letzte Neuerung in seinem »Timewave Zero«-Modell überarbeitete und das Datum auf den 21. Dezember 2012 legte, ein Datum, das mit dem Ende der gegenwärtigen Ära in Übereinstimmung mit einem Maya-Kalender zusammenfällt. Die Monate, die ich mit Terence in der Villa Gloria und in Berkeley verbrachte, waren vielleicht die interessantesten in meinem Leben. Diese außergewöhnlichen Gespräche katapultierten mich in Jahre leidenschaftlicher interdisziplinärer Forschung, die meinen Enthusiasmus dämpfte und mir eine solidere Grundlage gab, von der aus ich arbeiten konnte, ohne dass die Bewunderung, die ich für ihn empfand, jemals nachgelassen hätte.
Im Jahr 1980 sollte Terence erneut eine entscheidende Rolle in meinem Leben spielen. Ich besuchte ihn und seine Frau, Kat Harrison, in ihrem Haus in Sebastopol, Kalifornien. Terence hatte von Don Emilio Andrade Gómez erzählt, einem Ayahuasquero, den er nie getroffen hatte und der in der Nähe von Iquitos, Peru, lebte. Don Emilio wurde bald einer meiner besten Freunde und Mentoren. Er war derjenige, der mich in das Konzept der Pflanzen als Lehrer einführte und Ayahuasca als einen der Doctores bezeichnete, von denen man lernen kann. Er eröffnete mir auch die Welt der Ayahuasca-vegetalista-Traditionen, wie sie von der Mestizo-Bevölkerung des peruanischen Amazonas praktiziert werden.
Seit wir uns kennengelernt haben, ist meine Arbeitsbeziehung zu Dennis noch enger als die Freundschaft zu seinem Bruder, da ich Terence nur sporadisch während der Jahre sah, in denen sein Ruhm seinen Höhepunkt erreichte. Dennis und ich haben Feldforschung betrieben, sind gereist und haben zusammen veröffentlicht. Wir übernachteten in luxuriösen Hotels auf Konferenzen in verschiedenen Ländern sowie in bescheidenen Posadas im Amazonas. Ich habe ihn in jeder Stadt besucht, in der er und seine Frau Sheila gelebt haben. Und vor allem haben Dennis und ich gemeinsam große geistige Abenteuer erlebt, durch unser gemeinsames Interesse für psychoaktive Pflanzen und veränderte Bewusstseinszustände.
1985 lud ich ihn zur Teilnahme am ersten internationalen und interdisziplinären Symposium über Ayahuasca ein, dass ich in Bogotá im Rahmen des 45. Internationalen Kongresses der Amerikanisten organisierte, einer akademischen Konferenz, die alle zwei Jahre stattfindet, abwechselnd in Europa und Amerika. Nach der Veranstaltung flog ich nach Pucallpa, Peru, wo Dennis mich mit dem Künstler Pablo Amaringo bekannt machte, mit dem ich mehrere Jahre lang zusammenarbeitete. Unser Buch »Ayahuasca-Visions: The Religious Iconography of a Peruvian Shaman«, das 1991 erstmals veröffentlicht wurde, erforscht die Komplexität und Raffinesse der peruanischen Mestizo-Ayahuasca-Tradition. Im Jahr 1988 gründeten Pablo und ich die Usko-Ayar Amazonas-Malschule, die einen nachhaltigen Einfluss auf die Kunstszene im peruanischen Amazonasgebiet haben sollte. Zur Zeit meines Rücktritts, 1995, war die Schule auf etwa 300 Schüler angewachsen, welche alle sowohl den Unterricht als auch das Kunstmaterial kostenlos erhielten. In den letzten zehn Jahren war Dennis einer der Hauptdozenten des Wasiwaska Research Centers für das Studium der auf die Psyche wirkenden Pflanzen, der visionären Kunst und des Bewusstseins, einer kleinen Bildungseinrichtung, die meine Frau Adriana Rosa und ich in Südbrasilien gegründet haben. Dennis kommt immer mit neuen Ideen und einer intellektuellen Neugierde, die mit der Zeit gewachsen ist. Seine Präsenz wird immer wichtiger in der transkulturellen und interdisziplinären globalen Gemeinschaft, die sich mit den großen Fragen von Temporalität, Realität und Bewusstsein beschäftigt.
Es war ein wahrer Genuss für mich, Abenteuer am Rand des Unfassbaren zu lesen. Ich hatte Terence und Dennis gehört, wie sie hier und da Fragmente ihrer Geschichten erzählten, aber das ist nicht vergleichbar mit dieser durchgehenden chronologischen Erzählung, die auf den nachfolgenden Seiten präsentiert wird. Ich gewann neue Einblicke in die Hintergründe und die Entwicklung der Brüder. Dennis Erzählung ist lebendig, oft humorvoll und zuweilen brutal aufrichtig. Er gibt seine unverblümte Meinung über Menschen und Ereignisse preis und teilt scharfsinnige Beobachtungen über politische, ethische und transzendentale Fragen. Dieses Buch ist nicht nur ein biographischer Bericht, sondern auch ein Porträt der Gegenkultur der 1960er, 70er und 80er Jahre in bestimmten Regionen der Vereinigten Staaten, einer Ära mit globalen Auswirkungen, die von Teilen der heutigen Jugend, in Zeiten der globalen Krise und des erneuten Interesses an veränderten Bewusstseinszuständen und alternativen Weltanschauungen, aufmerksam verfolgt wird. Beim Lesen dieses Buches habe ich viel gelernt, was ich über das Leben meiner beiden großen Freunde nicht wusste. Darüber hinaus hatte ich die Gelegenheit, die Zeit meiner Generation erneut zu erleben und zu reflektieren.
Dennis hat mich davon überzeugt, dieses Vorwort zu schreiben, indem er betonte, dass ich schon zu Anfang von Terences Karriere als Poet in seinem Dunstkreis weilte – und auch am Ende. Im Sommer 1999 beschlossen Dennis und ich, einige Tage mit Terence auf Hawaii zu verbringen. Sein Hirntumor war diagnostiziert worden, und er überlegte, welche Maßnahmen er ergreifen sollte, während er sich mit seinen Gefühlen auseinandersetzen musste. Dennis und ich hätten gerne die gesamte elektronische Kommunikation eingestellt und mit den Mitteln, denen wir unser Leben gewidmet haben, für Terences Genesung zu sorgen. Sehr zu unserem Leidwesen arbeitete Terence aber weiter mit Hochdruck an den Vorbereitungen für die spätere AllChemical-Arts-Conference, welche dem Thema Psychedelika und Kreativität gewidmet war und im September desselben Jahres auf Hawaii stattfand. Am 20. März 2000, im Anschluss an eine Konferenz mit dem Titel »Ayahuasca: Amazonischer Schamanismus, Wissenschaft und Spiritualität«, die von Ralph Metzner in San Francisco organisiert worden war, besuchten Dennis und ich Terence, welcher die letzten Wochen seines Lebens im Haus von Freunden in Kalifornien verbrachte. Er saß im Rollstuhl und konnte kaum sprechen. Irgendwann sagte er: »Ich habe Halluzinationen.« Dennis fragte: »Meinst du psychedelische Halluzinationen?« Er antwortete: »Was sind psychedelische Halluzinationen?« Am Ende unseres Besuchs umarmte ich Terence und dankte ihm für alles, was er mir gegeben hatte. Als ich ging, nur ein paar Schritte von ihm entfernt, sagte er plötzlich mit schwacher Stimme: »Buena suerte«. Ich wusste, dass ich ihn nicht wiedersehen würde. Ich war zurück zuhause in Brasilien, als am 3. April das Telefon klingelte. Es war Dennis. Er weinte, als er mir sagte, dass Terence gerade gestorben war. Später ging ich nach draußen, um den Himmel zu betrachten. Wie Dennis es ausdrückte, reiste Terence zu diesem Zeitpunkt die genetische Leiter hinauf und hinunter, wurde zu seinen Eltern und seinen Kindern zur selben Zeit. Vielleicht wartet er jetzt auf uns – im Mysterium der Ewigkeit.
—Luis Eduardo Luna
Wasiwaska Florianópolis, Brasilien
August, 2012
Seit der Veröffentlichung meines Buches vor nunmehr zehn Jahren, ist viel Zeit vergangen. Die meisten der darin geschilderten Ereignisse sind sogar noch früher passiert – das Buch endet im Jahr 2000, dem Jahr, in dem mein Bruder verstarb, mit nur wenigen Anspielungen auf spätere Ereignisse. In vielerlei Hinsicht wirkt es jetzt ziemlich veraltet, eine Geschichte aus einer längst vergangenen Ära. Und doch hat es die Prüfung der Zeit bestanden und erweckt diese längst vergangenen Jahre. Ein Zitat von William Faulkner lautet: »Die Vergangenheit ist nie tot; sie ist nicht einmal vergangen.« Wie wahr das ist! Aber mein Leben – und die Ereignisse in der Welt – sind vom unerbittlichen Fluss der Zeit getragen worden, seit dem Tod meines Bruders und seit der Veröffentlichung meiner Memoiren. Zehn Jahre später denke ich aus der Gegenwart heraus erneut über die vergangenen Jahre nach und blicke gleichzeitig in eine düstere Zukunft, wie weit ich auf diesem Weg auch noch gehen werde. Aus diesem Grund freue ich mich, dass meine Freunde bei Synergetic Press meinen Vorschlag, eine zweite Edition zu veröffentlichen, begeistert aufgenommen haben, die Sie nun in den Händen halten. Ich habe der Versuchung widerstanden, das ursprüngliche Manuskript zu überarbeiten; es bleibt, wie es im Herbst 2012 fertiggestellt wurde. Für diese neue Ausgabe habe ich dieses Vorwort und ein zusätzliches Kapitel hinzugefügt – einen Blick in die Vergangenheit, einige Überlegungen zu der besonderen historischen Situation, in der wir uns befinden, und einige Spekulationen über den Weg, der vor uns liegt. Hoffentlich wird es ein langer Weg sein, aber wie dem auch sei, ich freue mich, diese Reise erneut mit Ihnen, meinen lieben Lesern, teilen zu können.
Für diejenigen, die das miterlebt haben, was manchmal als die psychedelische Revolution bezeichnet wird, ist Terence McKenna eine Legende. Einst als »der Timothy Leary der Intellektuellen« bezeichnet, erlangte Terence den Status eines radikalen Philosophen, Futuristen, Kulturkritikers und Geschichtenerzählers. Seine unorthodoxen Ideen über die evolutionären und kulturellen Auswirkungen von psychedelischen Drogen schockierten viele und fanden bei vielen anderen Anklang. Im Jahr 1971 begaben wir uns auf eine Expedition in den Amazonas, um das wahre Geheimnis hinter der psychedelischen Erfahrung aufzudecken. Wie in seinem Buch Wahre Halluzinationen beschrieben, ist diese Reise zum Stoff eines zeitgenössischen Mythos geworden. Unsere Abenteuer inspirierten viele von Terences unorthodoxen Ideen über die Zeit und die Natur der Geschichte, die wiederum zu einem fruchtbaren Boden für bestimmte apokalyptische Überzeugungen über das Jahr 2012 wurden.
Terence starb im Jahr 2000, ohne je zu erfahren, ob seine Vorhersagen über das Ende der Welt, in seinem Sinne, wahr waren. Seitdem hat er eine Art virtueller Unsterblichkeit erlangt, seine Stimme und sein Bild sind so nah wie ein Mausklick. Wie ein Geist spukt er durch das Internet, ein sprechender Kopf auf YouTube, der wortgewandte Prophet einer Endzeit, die er nicht mehr erlebt hat. Zusätzlich zu Wahre Halluzinationen hat Terence mehrere Bücher verfasst oder mitverfasst, darunter Speisen der Götter, The Archaic Revival, The Evolutionary Mind, The Invisible Landscape und weitere. Seine weitreichenden Gedanken und Beobachtungen sind immernoch so frisch und aktuell, als wären sie gestern geäußert worden. Er lebt weiter als der geliebte Familienvater einer jüngeren Generation von psychedelischen Suchern, obwohl die meisten noch in den Windeln steckten, als Terence auf dem Höhepunkt seiner Karriere war.
Als Terences jüngerer Bruder und einziges Geschwisterchen wuchs ich mit ihm in den 1950er und 60er Jahren in einer kleinen Stadt im Westen Colorados auf. Auf unserer Reise durch den kolumbianischen Amazonas 1971, zusammen mit ein paar anderen Gleichgesinnten, nannten wir unsere Schar »The Brotherhood of the Screaming Abyss«. Selbst an der Schwelle zur Entdeckung der Geheimnisse der Existenz gelang es meinem Bruder und mir, einen Sinn für Humor zu behalten. Es half, dass wir Iren waren. Wir wussten nicht, was wir suchten, außer der Überzeugung, dass es eine tiefe Erkenntnis war, und dass sie uns und alles für immer verändern würde. Wir hatten Recht in beiden Punkten, wenn auch nicht so, wie wir es uns vorgestellt hatten.
Terence war damals 24, ich war erst 20. 1975 schrieben wir gemeinsam The Invisible Landscape, unser erster Versuch, eine rationale Erklärung für das zu finden, was uns auf dieser Reise widerfahren war. 1993 schilderte Terence unsere Erlebnisse in Wahre Halluzinationen direkter, jedoch immer noch wichtige Elemente auslassend oder fehlend. Was seitdem als »das Experiment in La Chorrera« in die Annalen der Psychedelik eingegangen ist, war für uns beide ein entscheidender Moment. Die seltsamen Ereignisse, die uns in jenem urzeitlichen Regenwald ereilten, verfolgten Terence bis an sein Lebensende, und sicher wird das Gleiche eines Tages auch von mir gesagt werden.
Als Terences Bruder habe ich ihm geholfen, viele »seiner« Ideen zu kreieren und zu entwickeln. Unsere Abenteuer – intellektuelle und andere – erstreckten sich über die turbulenten Jahrzehnte des späten 20. Jahrhunderts. Angetrieben von einer gemeinsamen Leidenschaft für Neues und der Sehnsucht nach Antworten auf die ultimativen Fragen, reisten wir an die Enden der Welt und erkundeten die Grenzen der psychedelischen Erfahrung. Die Suche, die uns beide schon in jungen Jahren erfasste, war die Suche nach Einblicken in die erstaunlichen Geheimnisse von Zeit, Geist und der unwahrscheinlichen Realität der Existenz.
Während unsere Leben zwar so miteinander verwoben waren, wie es nur das Leben von Brüdern sein kann, gingen wir nach den Ereignissen in La Chorrera später getrennte Wege. Terence wurde zum Sprecher der fremden Dimensionen, die durch Psychedelika erreicht werden, ein Philosoph des Unaussprechlichen, ein geliebter und manchmal geschmähter Poet der Wunder und gelegentlichen Schrecken, die in den Tiefen des menschlichen Bewusstseins warten. Aus freien Stücken und aus Neigung blieb ich im Hintergrund und verfolgte eine wissenschaftliche Karriere in Disziplinen, die von Ethnopharmakologie und Ethnobotanik, bis hin zu den Neurowissenschaften reichten.
Seit Terences Tod haben wir das erste Jahrzehnt einer neuen Ära miterlebt, die allen ersten Anzeichen nach so seltsam und beunruhigend sein wird, so voller Hoffnung und Verzweiflung, wie jede Zeit, die die Menschheit bisher erlebt hat. Je näher ich dem von ihm vorhergesagten Enddatum für die Welt komme, desto mehr fühle ich zurückblickend, wie unsere persönliche Welt begann. Ich wollte die Reise zurückverfolgen, die uns von der Kindheit bis zu unseren getrennten Schicksalen führte, und dabei die Menschen und Ideen, die uns geprägt haben, noch einmal betrachten. Sicherlich waren unsere Leben dazu bestimmt, in vielerlei Hinsicht einzigartig zu sein, wie alle Leben, und doch habe ich auch erkannt, wie sehr Terence und ich die Erzeugnisse unserer Zeit und ihrer Träume waren. Meine Hoffnung ist, dass viele andere ihre eigenen Erfahrungen in denen, die uns widerfahren sind, wiedererkennen. Dies ist unsere Geschichte.
Der »schreiende Abgrund«, Black Canyon, Gunnison River, Colorado.
In vielerlei Hinsicht geht es in diesem Buch um Zeit. Seine ganze Struktur beruht auf einem bestimmten Verständnis von Zeit, das der in unserer Kultur vorherrschenden Auffassung, dem anerzogenen Konzept zeitlichen Empfindens entspricht. Aus jüdisch-christlicher Sicht ist die Zeit ein linearer Pfeil mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende. Ob uns das gefällt oder nicht, ob sie »wahr« ist oder nicht, diese lineare Zeitauffassung durchdringt die westliche Weltanschauung. Sie hat gewiss auch die Vorstellung von Zeit beeinflusst, wie sie Terence und ich während unseres Aufwachsens hatten. Hätten wir in einer Kultur gelebt, die die Zeit als zyklisch ansieht, hätte diese Geschichte sicherlich ganz anders enden können oder wäre überhaupt nicht erzählt worden. Ich werde noch viel von Mittelteilen und Enden erzählen, aber jetzt wollen wir uns erst einmal den Anfängen widmen.
Ich sage »Anfänge«, weil es schwer ist, einen einzelnen Ausgangspunkt für dieses Buch zu bestimmen. Im engeren Sinne begann das Projekt im Frühjahr 2011, nachdem ich beschlossen hatte, es in Angriff zu nehmen, und nun die ersten Schritte unternahm, um es zu verwirklichen. Die Geschichte, die ich erzählen wollte und musste, wurde im Untertitel des Buches zusammengefasst: »Mein Leben mit Terence McKenna«. Ich wusste natürlich, dass viele derjenigen, die mit Terences Werk vertraut waren, auch schon einmal von mir gehört oder gelesen hatten. Terence war eine umstrittene und charismatische Lichtgestalt, ein berühmter Erzähler großer Geschichten, und als sein Bruder spielte ich eine Rolle in jener Geschichte, die er – der irische Barde der Psychedelika – immer wieder erzählte. Aber das war Terences Erzählung, nicht meine. Es gibt eine andere Version der Ereignisse und die kenne nur ich.
Nachdem ich die Entscheidung getroffen hatte, meine Seite unserer Geschichte zu erzählen, musste ich zuerst einen Weg finden, das umzusetzen. Frühere Erfahrungen hatten mich gelehrt, dass Autoren meist nicht sonderlich gut für ihre Mühen entlohnt werden. Aus rein finanziellen Gründen entschied ich mich daher für einen alternativen Ansatz, der meinen Ertrag maximieren würde. Irgendwie musste ich die Mittel auftreiben, um das Buch im Selbstverlag zu veröffentlichen und die Zeit zu kaufen, die ich für diese Aufgabe brauchen würde. »Zeit ist Geld«, erinnerte uns unser Vater oft, und er hatte tatsächlich Recht damit! Nachdem ich mich mit einer Reihe von Leuten aus der Verlagsbranche beraten hatte, wandte ich mich dem Crowdfunding zu, einer neuartigen Fundraising-Strategie, für die das Unternehmen Kickstarter das beste Beispiel ist. Und es hat funktioniert – weit besser, als ich es mir je hätte träumen lassen. Meine Kampagne sollte Kickstarter-Geschichte schreiben: Nie zuvor war mehr Geld für ein Buchprojekt gesammelt worden. Das Zeitfenster für die Spendensammlung schloss am 6. Juni 2011. Die folgenden Zeilen schrieb ich wenige Tage später und sie spiegeln mein Hochgefühl – aber auch meine Angst – wider, nachdem ich begriff, dass mir soeben die Mittel zur Umsetzung meiner Aufgabe in den Schoß gefallen waren:
Nun, hier bin ich. Dies sind die ersten Worte, die ich zu Papier gebracht habe für das Buch, was mein Hauptwerk werden soll: The Brotherhood of the Screaming Abyss. Nach einer erfolgreichen Kickstarter-Kampagne verfüge ich nun über die nötigen Mittel, um das Buch selbst zu verlegen und (hoffentlich) auch, um die Zeit freizuschaufeln, um diesen Wälzer zu schreiben. Und die Zeit ist knapp! Während des Kickstarter-Aufrufs habe ich die Tiefen der sozialen Medien ergründet und mich in zahlreichen Podcasts, auf Webseiten und Webinaren »präsentiert«. Auf diesem Weg habe ich einen großen Kreis von Freunden entdeckt, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie habe. Diese Freunde haben mir gezeigt, dass sie große Zuversicht in dieses Projekt haben, aber auch große Erwartungen: Sie erwarten, dass ich sie erfülle!
Im Moment sitze ich an meinem Küchentisch mit diesem mulmigen Gefühl von »uh-oh«, das einen überkommt, wenn man ein neues Projekt beginnt, das vermutlich nun über Monate alles in Anspruch nehmen wird und streckenweise sogar emotional traumatisch sein kann. Jetzt also an die Arbeit! Ich melde mich in ein paar Tagen wieder, wenn ich angefangen habe zu schreiben, und werde berichten, wie es läuft.
Aus Tagen wurden Wochen und dann Monate. Bis Anfang September hielten mich verschiedene Verpflichtungen davon ab, ernsthaft zu beginnen. Im Sommer war ich nach Kalifornien gereist, um an einer Hochzeit der Familie teilzunehmen, und im Oktober war ich wieder unterwegs, diesmal in Colorado, wo mich der 97. Geburtstag einer geliebten Tante an viele Orte meiner Kindheit am Western Slope zurückbrachte. Was ich zunächst für Unterbrechungen hielt, war in Wahrheit bereits Teil meines Prozesses. Es waren Gelegenheiten, darüber nachzudenken, worum und um wen es in meiner Geschichte eigentlich ging.
Die längste Unterbrechung, im August desselben Jahres, war eine Reise nach Iquitos in Peru. Ich wurde für einen dreiwöchigen Intensivkurs im Dschungel für 14 Pharmaziestudent/innen dorthin gerufen, die meisten von der University of Missouri in Kansas City. Die Bezeichnung »Kurs im Dschungel« war etwas übertrieben; ein Großteil des Kurses fand in und um das schmutzige, laute, chaotische, lebhafte Iquitos statt, mit gelegentlichen Tagesausflügen in den umliegenden Urwald. Die Student/innen hatten ein gemütliches B&B, in das sie jeden Abend zurückkehren konnten, einen Swimmingpool, gutes Essen, Wi-Fi und stabilen Empfang für die allgegenwärtigen iPhones und iPads. Nicht gerade ein Sprung ins kalte Wasser. Am Ende verbrachten wir noch drei Tage in einem Camp am Napo-Fluss nördlich von Iquitos. Alles in allem war es eine angenehme Arbeit und das Honorar für ein paar Vorträge zu gut, um es abzulehnen.
Iquitos und ich kennen uns schon lange. Ich hatte die Stadt zum ersten Mal 1981 als Doktorand der University of British Columbia besucht, im Rahmen der Feldforschung für meine Doktorarbeit. Aber schon dieser erste Besuch fühlte sich an wie eine Art Rückkehr, ein Aufleben meiner ersten Amazonas-Reise mit Terence fast genau ein Jahrzehnt zuvor. Mein Bruder begleitete mich auch eine gewisse Zeit auf dieser zweiten Expedition, die einen weiteren entscheidenden Punkt in unserem Leben markieren sollte. Hier schloss sich das Kapitel, das mit unserer Reise nach La Chorrera begonnen hatte, und ein neues wurde eröffnet. Auch wenn wir uns auch weiterhin nahe standen, liefen unsere Leben von diesem Moment an nebeneinander her. Terence sollte nie wieder nach Südamerika reisen, während ich immer wieder Gründe fand, dorthin zurückzukehren.
Als ich 1981 in Iquitos eintraf, machte die Stadt zunächst einen recht guten Eindruck auf mich. Ich kam gerade aus Pucallpa, einer Grenzstadt im Süden, wo ich einen Monat lang unter Bedingungen gelebt hatte, die selbst unter den damaligen Umstände als primitiv bezeichnet werden konnten. Iquitos war im Vergleich dazu der Inbegriff von Zivilisation, auch wenn die Stadt ganze 2.000 Meilen tief im Amazonas lag (und damit der am weitesten vom Atlantik entfernte größere Hafen war). Was mich in die Stadt trieb, war die Aussicht auf ein billiges Hotelzimmer, eine kalte Dusche (damals gab es noch kein Warmwasser) und ein noch kälteres Bier.
Iquitos hat sich seither stark verändert, vor allem durch den Zustrom von immer mehr Ayahuasca-Touristen aus aller Welt. Ich nehme an, dass meine Forschungen auf dem Gebiet der Ethnopharmakologie das Interesse an diesem psychedelischen Gebräu mit genährt haben, sodass ich einen kleinen Teil des Verdiensts für das neue Iquitos trage –, aber auch der Schuld, je nachdem, wie man es sieht. 1981 war Iquitos charmant, ein verschlafenes Dörfchen mit vielleicht 50.000 Seelen – nicht die hämmernde, lärmende Stadt mit 400.000 Einwohnern, die mich 2011 erwartete. Es gab damals noch überhaupt keine dreirädrigen Motocarros – heute der Fluch von Iquitos – und nur eine Handvoll Autos. Viele der Persönlichkeiten, die auf dem Feld der Botanik zu Rang und Namen gekommen waren – Richard Evans Schultes, Timothy Plowman, Alwyn Gentry, Nicole Maxwell, Gunther Schaper, Neil Towers – waren mit der Stadt vertraut, und ich schätze mich glücklich, einige von ihnen kennengelernt zu haben. Wie für sie, so spielte Iquitos auch für mich eine prägende Rolle auf meiner wissenschaftlichen Laufbahn.
Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich dorthin zurückgekehrt bin. Einer der Gründe für meine vielen Besuche war und ist mein Interesse am Mestizo-Schamanismus, der in der Gegend um Iquitos blüht und gedeiht. Die Stadt ist zum einen das Tor zum oberen Amazonas, zum anderen ein Zentrum für die vielen indigenen Völker, die im Laufe der Jahrzehnte gezwungen waren, ihr angestammtes Land zu verlassen. So ist die Stadt zu einer Sammelstelle für kulturelles Wissen geworden, besonders, was Pflanzen und deren medizinische Verwendung betrifft.
Ein weiterer Grund für meine Reisen nach Iquitos ist meine Freundschaft mit Juan Ruiz Macedo, einem bemerkenswerten Botaniker, der die Pflanzenwelt der Region so gut kennt wie kein anderer. Juan ist heute Kurator des Herbarium Amazonense an der Universidad Nacional de la Amazonía Peruana. Anfang der 1980er Jahre arbeitete er unter dem damaligen Kurator des Herbariums, Franklin Ayala, seinem Mentor und Doktorvater. Diesem überreichte ich bei meiner Ankunft in Peru ein Empfehlungsschreiben meines Doktorvater Neil Towers und er übertrug dem armen Juan die undankbare Aufgabe, eine kleine Gruppe von ziemlich ahnungslosen Nerds aus den USA in den Dschungel am Río Ampiyacu, dem »Fluss der Gifte«, zu führen. Das ist eine andere Geschichte, zu der wir später noch kommen werden. Als Ayala irgendwann zurücktrat, um sich einer umfangreichen Studie der Pflanzen des peruanischen Amazonas zu widmen, erwies sich Juan als würdiger Nachfolger und wir haben in den letzten Jahren im Rahmen verschiedener Projekte zusammengearbeitet.
Aber mit der Zeit hat Iquitos für mich viel von seinem ehemaligen Charme verloren. Als ich 2011 zurückkam, fand ich die Straßen in der ganzen Stadt aufgerissen für ein umfangreiches Abwassersanierungsprojekt, das auch zweifellos dringend nötig war. Zusätzlich zu den üblichen überfüllten Bürgersteigen voller (oft) klaffender Löcher, standen nun überall Baumaschinen und Betonblöcke herum, und es war wichtiger denn je, die Augen weit offen zu halten. Doch die größte Plage waren noch immer die Motocarros, die im Laufe der Jahre zu einer Art Nahverkehrssystem der Stadt geworden sind – allerdings mit gravierenden Folgen. Zwar kommt man nun für dreißig bis sechzig Cent in etwa 20 Minuten an jeden Punkt der Stadt, aber die Fahrzeuge sind laut, schmutzig und vermehren sich immer weiter. Ich habe oft überlegt, dass Iquitos mit ein wenig internationaler Unterstützung zu einem »grünen« Modell für den zukünftigen Nahverkehr in Entwicklungsländern werden könnte, indem man diese kleinen Kohlenstoffgeneratoren durch elektrische Alternativen ersetzt. Das Ergebnis wäre eine echte Neuheit: ein saubereres, leises Transportsystem für die ganze Bevölkerung. Aber ich mache mir keine Illusionen, dass so etwas demnächst umgesetzt wird – oder es überhaupt jemals dazu kommt. Iquitos verlottert seit den glorreichen Tagen des Kautschukbooms im Amazonas um die Jahrhundertwende. Das waren die Zeiten des großen Reichtums, als man die Eingeborenen der Region versklavte und sie zwang, den umliegenden Dschungel auszubeuten. Die damalige Oberschicht führte unter den Kautschukbaronen im alten Iquitos ein fast obszön üppiges Leben, während dem Rest nur harte Arbeit und Entbehrung blieb – was im neuen Iquitos vielleicht gar nicht so viel anders ist, wenn ich es mir recht überlege.
Die Stadt hat etwas an sich, das mich zermürbt. Und als ich dieses Mal zurückkehrte, überwältigten mich der Lärm der Motocarros und der Lautsprecher aus den Elektronikgeschäften, der Staub, die Abgase, die drückende Hitze, die visuellen Eindrücke, die Gerüche und der schiere Wahnsinn dieser Stadt schneller als je zuvor. Dieselben Reize, die Iquitos anfangs aufregend und exotisch wirken ließen, verengten bald mein Blickfeld und lösten in mir das Verlangen aus, mich zurückzuziehen. Dabei war mein Besuch im Jahr 2011, verglichen mit meinen früheren Aufenthalten, sehr bequem; ich hatte sogar eine eigene Wohnung. Aber ich war empfindlicher geworden. Das Alter hatte mich eingeholt.
Nachdem sich meine Studenten nach Cuzco und Machu Picchu aufgemacht hatten, half ich der Ethnobotanikerin Kathleen Harrison beim Einzug in die Wohnung direkt neben mir. Kat ist die frühere Frau meines Bruders und die Mutter ihrer beiden erwachsenen Kinder. Wir arbeiteten ein paar Tage zusammen im Herbarium, dann verließ ich Iquitos und dachte bei mir, dass ich schon einen verdammt guten Grund bräuchte, um jemals zurückzukehren.
Ursprünglich hatte ich geplant, von Peru aus direkt zum Burning-Man-Festival in Nevada zu reisen. Es wäre mein erster Besuch dort gewesen, aber wie so oft mischte sich das Schicksal ein, diesmal in Form einiger quälender gesundheitlicher Probleme. Es schien mir jedenfalls keine gute Idee zu sein, vier Tage in der Wüste ohne Wasser und mit primitiven Toiletten zu verbringen. Stattdessen kehrte ich nach Minnesota zurück und stürzte mich endlich in mein Buchprojekt, nachdem ich bereits aller Welt erzählt hatte, dass ich es auch wirklich umsetzen würde. Heute, am 10. Mai 2012, habe ich nach acht Monaten Arbeit einen Entwurf abgeschlossen. Und jetzt, da ich das geschafft habe, hat sich meine Perspektive von »Kann ich es schaffen?« zu »Ich habe es geschafft« geändert. Wer sich schon einmal mit einem ähnlichen Schaffensprozess abgemüht hat, wird die Bedeutung dieser Veränderung verstehen. Es bleibt noch viel zu tun, aber der härteste Teil ist vorbei – was mitunter dazu führt, dass ich wieder besser schlafe.
Aber gleichzeitig kommt mein bequemes Schriftstellerleben bald zu einem Ende. Wie es der Zufall will, stehe ich kurz vor einer sechswöchigen Reise nach Peru, wo ich zunächst einen Kurs für eine Gruppe von Pharmaziestudenten halten werde, in Iquitos. Ich sagte ja, dass ich einen guten Grund brauchen würde, um zurückzukehren und irgendwo in mir wusste ich wohl schon damals, dass ich einen finden würde. Ich werde also wieder einmal die Fötusstellung einnehmen, die moderne Flugreisen einem abverlangen, mich in einen nebligen Dämmerzustand versetzen und mich durch das unbequeme Wurmloch quetschen, hinüber in jenes seltsame Paralleluniversum, das mein Schicksal so entscheidend geprägt hat.
Das wäre also eine mögliche Antwort auf die Frage, wo dieses Buch seinen Anfang nahm. Ein anderer, weit wichtigerer Ausgangspunkt liegt viel weiter zurück – oder sogar viel, viel weiter, je nachdem, wo man mit dem Zählen beginnt. Wir könnten mit dem Urknall beginnen und dem Ausdehnen des kosmischen Samens zu dem Universum, wie wir es heute kennen, mit all seinen Sternen, Galaxien und Planeten. Zwar haben wir nur die unbestimmtesten Vorstellungen davon, wie wir hierher gekommen sind, und so gut wie überhaupt keine Ahnung, warum, oder ob es überhaupt ein Warum gibt, aber ohne dieses ursprüngliche Ereignis hätte es keine Welt gegeben, in der unsere oder eine andere Geschichte spielen könnte. Ganz so weit werde ich in meiner Erzählung nicht zurückgehen. Aber ich möchte doch meine Dankbarkeit ausdrücken für dieses wunderbare und unwahrscheinliche Universum – wer oder was auch immer es erschaffen hat –, das allen Seelen eine Bühne bietet, auf der sie ihre ganz eigenen Geschichten ausleben können.
Anstatt die gesamte Schöpfungsgeschichte zu erzählen, konzentriere ich mich auf die meines Bruders und meiner Wenigkeit. Unsere Familiengeschichte beginnt mit unseren Vorfahren, ohne die es uns nie gegeben hätte. Und wie jede andere persönliche Geschichte lässt sich auch die unsere bis in den Mutterleib zurückverfolgen. Jedes menschliche Leben begann bisher mit der Vermischung von Genen zwischen einem Mann und einer Frau. Mit etwas Zeit und Glück entwickelt sich der daraus hervorgehende Embryo zu einem lebensfähigen Säugling, der schließlich auf die Welt kommt und seine ganz eigene, einzigartige Reise durch die lineare Zeit antritt. Manche von ihnen hinterlassen Spuren im Kontinuum, die den Lauf der Dinge verändern. In naher Zukunft wird es vielleicht möglich sein, durch Technologien wie das Klonen Menschen auch auf andere Weise zur Welt kommen zu lassen, aber das Heranwachsen außerhalb eines lebenden Mutterleibs, wie es sich Aldous Huxley in seinem Roman Brave New World vorgestellt hat, scheint noch in weiter Ferne zu liegen. Ich für meinen Teil hoffe, dass wir diese Fähigkeit überhaupt nie erreichen, auch wenn es beinahe unvermeidlich scheint. Eines ist jedenfalls gewiss: Die durch einen solchen Prozess erschaffenen Wesen werden nicht menschlich sein, oder zumindest nicht ganz.
Für den Moment bleibt es zumindest noch dabei, dass jeder Mensch das Ergebnis der Vereinigung zweier einzigartiger Menschen ist, einer Frau und eines Mannes. Daher meine ich, dass man überhaupt nicht über Anfänge sprechen kann, ohne die beiden Menschen zu betrachten, deren gemeinsame Gene das Leben eines bestimmten Menschen begründet haben. Das trifft mit Sicherheit auf Terence und mich zu: Zwei unterschiedliche Wesen, die von derselben Mutter zu verschiedenen Zeitpunkten ihres Lebens geboren wurden. Ich bin sicher, es gab Zeiten, in denen sich beide unsere Eltern fragten, ob sie irgendwie vom natürlichen Lauf der Dinge abgewichen waren und die wahrhaftige Brut Satans zur Welt gebracht hatten. Ich nehme an, dass dieser Gedanke jedem einmal kommt, dem anspruchsvolle, rebellische Kindern gegeben werden, die von der ersten Sekunde an fest entschlossen scheinen, die Fähigkeiten (und die Geduld) ihrer Eltern auf die äußerste Probe zu stellen. Terence und ich waren (und sind) ganz gewiss Menschen – in vielerlei Hinsicht wohl nur allzu menschlich. Meinen schon lange verstorbenen Eltern kann ich nur eine verspätete Entschuldigung für all den Kummer anbieten, den wir ihnen bereitet haben; und ich bitte den Leser, diese Entschuldigung mit Nachsicht und in ihrem Namen anzunehmen. Es scheint angebracht, auf ihre Familien zurückzublicken und auf das Leben, das sie führten, bevor wir kamen und alles durcheinander brachten.
Es war die Aussicht auf Reichtum, die, auf die eine oder andere Weise, all meine Vorfahren nach Colorado lockte. Die Familie meiner Mutter machte ihr Geld mit Obstplantagen; die meines Vaters kam wegen des Erzes, das aus dem Gestein abgebaut wurde. Man könnte sagen, dass die Mission, zu der Terence und ich uns später aufmachten, beide diese Stränge verwob: Die Suche nach einem modernen Pendant zum Stein der Weisen in den Molekülen von Pilzen und Pflanzen. Vielleicht setzten wir durch unsere Reise die Wanderung unserer Vorfahren gen Westen fort, hinein in eine neue Dimension.
Auf der Suche nach Hinweisen auf unser seltsames Schicksal wandte ich mich der Vergangenheit unserer Familie zu. In jeder Familie gibt es bestimmte Typen und Eigenheiten, die scheinbar über Generationen hinweg immer wieder auftauchen. Dabei spielen gewiss die Gene und die Erziehung eine große Rolle, aber wohl auch noch andere Mechanismen, die zwar niemand wirklich versteht, von denen aber zumindest die Geschichtenerzähler wissen. Ich kann heute sagen, dass mein Bruder nicht der erste eigensinnige Teenager in unserer Familie war, der von zuhause weglief, und auch nicht der Erste, der glaubte, in Kalifornien sein Glück zu finden. Er war auch nicht der Erste, der gut mit Worten umgehen konnte, der Bücher liebte oder den das schreckliche Unglück eines frühen Todes ereilte. Terences Büchersammlung wurde zweimal durch Feuer vernichtet, und beide Male wurde ein anschauliches Zeugnis seines Wesens zerstört, aber selbst das war in gewissem Sinne nicht beispiellos in der Geschichte unserer Familie.
Wenn man den Familiengeschichten trauen kann, ereilte Teresa Aurelia Balena, die am 2. August 1886 in Salerno, Italien, geboren wurde, ein ähnliches Schicksal. Die Herkunft meiner Großmutter mütterlicherseits war ein Rätsel, sogar für sie selbst. Teresas Eltern starben, als sie noch sehr jung war, und ließen sie allein in einem Waisenhaus zurück. Alle Hinweise auf ihre Vergangenheit gingen verloren, als ein Feuer das Waisenhaus zerstörte und ihre Papiere mit sich riss. Ob sie vor ihrer Ankunft in Amerika adoptiert worden war, oder ob sie auf andere Weise dort landete, ist unklar. Möglicherweise wurde sie von den »Waisenzügen« aufgesammelt, die ab 1854 über Jahrzehnte hinweg etwa 200.000 Waisen- und Straßenkinder aus den großen Städten des Ostens in den Westen brachten, um sie in den Ortschaften entlang der Strecke zu verteilen. Auch wenn dies manchmal als schändliche Praxis dargestellt wurde, die viele Kinder praktisch in die Knechtschaft zwang, gab es auch viele, die davon profitierten. Einiges deutet darauf hin, dass Honey, wie sie genannt wurde, anfangs nicht zu den Glücklichen gehörte. Mit 15 oder 16 Jahren lief sie von ihrer Pflegefamilie weg, offenbar, um Misshandlungen zu entkommen. Ihr Glück wendete sich, als sie schließlich nach Riverside in Kalifornien kam, wo sich eine warmherzige Frau mit ihr anfreundete und ihr ein gutes Zuhause gab.
Honey war 25 Jahre alt, als sie 1911 Joseph Kemp aus Colorado kennenlernte, der nach Südkalifornien gekommen war, um auf den Zitrusplantagen einen Erntejob zu finden. Joseph, mein Großvater, war 13 Jahre älter als Honey und ein Witwer mit vier Kindern. Man darf es vielleicht als einen ersten Beweis seiner Redegewandtheit betrachten, dass er auszog, um Obst zu pflücken, aber mit einer neuen Verlobten zurückkehrte. Nach ihrer Heirat im Jahr 1912 zog das Paar nach Paonia, einer Stadt im North Fork Valley am westlichen Rand der Rocky Mountains, wo Joseph bereits ein Haus besaß. Zu dieser Zeit war mein Großvater Obstbauer in diesem hoch gelegenen, gemäßigten Eden, dessen Plantagen weithin bekannt waren, seit europäische Siedler in den 1880er Jahren die ansässigen Utes von dort vertrieben hatten. Bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein waren die beiden wichtigsten Produkte der Region Kirschen und Kohle. Unsere Mutter Hazelle, oder Hadie, wie sie genannt wurde, war Honeys erstes Kind und wurde am 4. Juni 1913 geboren. Eine weitere Tochter, Mayme, wurde 1914 geboren, gefolgt von Tress im Jahr 1921 und einem Sohn, Harold, im Jahr 1925. Honey starb 1947, einige Jahre vor meiner Geburt, an einem Herzinfarkt. Man hat sie mir stets als außergewöhnlich freundlich und ehrbar beschrieben, und ich bedaure, dass ich sie nie kennengelernt habe. Dafür waren alle ihre vier Kinder wichtige Teile der Welt, in der mein Bruder und ich aufwuchsen. Das Gleiche gilt für Murrie und Clare, die beiden mittleren Kinder aus der ersten Familie unseres Großvaters. John und Margie, der Jüngste und der Älteste, waren, soweit ich mich erinnere, nur selten zugegen.
Alles in allem hat unser Großvater acht Kinder gezeugt und großgezogen, vier mit jeder seiner beiden Ehefrauen, und als ich dazustieß, war er unter seinen Nachkommen als Dad Kemp bekannt. Dabei war sein eigener Start ins Leben keineswegs ein leichter gewesen. Er kam am 9. Dezember 1873 in Janesville, Wisconsin, als Frühgeburt zur Welt, und seine Mutter, Nancy Narcissa Luce Kemp, musste das Ofenfach ihres Küchenherds zu einem Inkubator umfunktionieren, was scheinbar tatsächlich funktionierte. Dad Kemp lebte dann bis zu seinem Tod im Alter von 86 Jahren ein robustes Leben. Er wurde Zeuge zweier Weltkriege, des Koreakriegs, der Weltwirtschaftskrise, der Prohibition und ihrer Aufhebung, und der Einführung neuer Technologien – vom Automobil über das elektrische Licht bis hin zu Radio, Fernsehen und Sputnik. 1900 heiratete er seine erste Frau, Margaret Lucretia (Lu) Hossak, die jedoch neun Jahre später bei der Geburt ihres vierten Kindes, Margie, starb. Es gibt Gerüchte, die besagen, dass Lus Mutter ihren Ehemann im Schlaf ermordet haben soll, weil er sie immer wieder misshandelte. Wenn diese Geschichte stimmt, ist das vermutlich die einzige echte Leiche im Keller unserer Familie.
Nachdem er mit Honey, seiner zweiten Frau, nach Paonia zurückgekehrt war, übte unser Großvater verschiedene Tätigkeiten aus, zunächst in der örtlichen Obstindustrie. Später war er Stadtschreiber von Paonia und Buchhalter bei der örtlichen Elektrizitätsgesellschaft, bis der grüne Star ihm in seinen späten 50ern das Augenlicht raubte. Sein Einfluss auf uns, seine Enkelkinder, war tiefgreifend und nachhaltig. Ich kannte ihn nur die letzten zehn Jahre seines Lebens, aber selbst im Alter war er noch eine besondere Persönlichkeit, und viele der Eigenheiten, die Terence und ich gemein hatten, lassen sich letztlich auf diesen Mann zurückführen. Er liebte die Sprache, das Reden wie das Schreiben, und das ist sicherlich ein Grund dafür, warum Terence und ich schon früh zu begeisterten Lesern wurden und stets unsere Freude an Büchern und Sprache und all ihren Möglichkeiten hatten. Er hatte etwas von einem irischen Barden an sich, auch wenn er gar kein Ire war. Ich erinnere mich, dass er nur selten ausging, aber stets einen weißen Stock benutzte, wenn er doch einmal das Haus verließ. Meistens fand ich ihn jedoch in einem Schaukelstuhl vor dem winzigen Ofen in seinem Wohnzimmer sitzen, immer bereit, eine Geschichte über sein Leben in der Prärie der Pionierzeit zum Besten zu geben. Er schien einen endlosen Vorrat an Geschichten zu haben und freute sich immer, wenn er sie einem aufmerksamen und faszinierten Enkel erzählen konnte.
Unser Großvater war berühmt für seine farbenfrohe Ausdrucksweise – und dafür, dass er neue Fantasie-Ausdrücke kreierte. Zum Beispiel nannte er etwas Neues oder Ungewöhnliches einen »fustilarian fizgig from Zimmerman«. Ein Sommerregen war ein »frog strangler« und eine köstliche Mahlzeit war »larrupin«. Ich habe keine Ahnung, woher diese Ausdrücke stammen, aber sie haben sich in unserer Familie bis heute gehalten. Tatsächlich waren seine fustilarian fizgigs from Zimmerman vielleicht meine erste Begegnung mit der Vorstellung von etwas Unverständlichem und Fremdem aus einer anderen Dimension oder einem fernen Ort. Unnötig zu erwähnen, dass dieses Konzept sehr nützlich wurde, als wir später anfingen, uns mit DMT und anderen Psychedelika zu beschäftigen. Die Wesen, die man auf DMT sieht, waren und sind Fustilarian Fizgigs von irgendwoher (wenn auch nur im eigenen Bewusstsein) und diese Bezeichnung ist mindestens so treffend wie Terences spätere Beschreibungen als »singing elf machines« (singende Elfenmaschinen) oder »bejeweled hyperdimensional basketballs« (mit Juwelen besetzte, hyperdimensionale Basketbälle).
Auch auf unsere Mutter Hadie, eine kluge und belesene Frau, hatte die Liebe ihres Vaters zu Büchern und Worten sicherlich einen gewissen Einfluss gehabt. Sie war ein Kleinstadtmädchen; tatsächlich war sie nur einen halben Block von unserem Haus entfernt aufgewachsen. Alle drei Kemp-Schwestern waren für ihre Schönheit bekannt und konnten ausgehen, mit wem sie wollten, auch wenn »ausgehen« damals wahrscheinlich etwas anderes meinte als heute. Gelegentlich konkurrierten Hadie und Mayme, die in etwa gleich alt waren, um Verehrer. Mayme war außergewöhnlich intelligent und übersprang sogar ein Schuljahr, sodass beide Schwestern 1931 gemeinsam die Paonia High School abschlossen. Nach dem Abschluss besuchte unsere Mutter eine Handelsschule in Grand Junction, etwa 70 Meilen westlich von Paonia und Mayme folgte ihr später dorthin. Eine solche Ausbildung war einer der wenigen Wege, die intelligenten jungen Frauen damals offen standen.
Trotz ihrer bescheidenen Herkunft war unsere Mutter eine bemerkenswerte Frau, die nicht ihr ganzes Leben im abgeschiedenen Paonia verbrachte. Nach dem Abschluss ihrer Ausbildung zog sie nach Delta und nahm dort eine Stelle im Büro des Schriftführers und Protokollanten an. In der Pension, in der sie damals wohnte, war auch ein gewisser Joe McKenna untergekommen, der kürzlich aus Salida in Colorado gekommen war, um als Schuhverkäufer zu arbeiten. Nach langen Werben heirateten unsere Eltern am 10. Juni 1937, und noch im selben Jahr absolvierte unser Vater seine Pilotenprüfung. Joe war fasziniert vom Fliegen und generell ein abenteuerlustiger Typ. Zwei Jahre später mietete er ein Flugzeug und flog unsere Mutter zu einem Elks-Treffen in Chicago. Auf dem Rückweg ging ihnen das Benzin aus und sie mussten irgendwo in Kansas in einem Maisfeld notlanden, was die Reise zu einem größeren Abenteuer machte, als sie geplant hatten. Unsere Eltern zogen schließlich nach Oakland in Kalifornien, wo unser Vater wieder eine zeitlang Schuhe verkaufte. Nachdem die Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg eintraten, meldete er sich zur Armee, entschied sich für die Flugschule und wartete auf seine Einberufung. Er fand schließlich einen besseren, wenn auch gefährlicheren Job, als Stahlarbeiter in den Kaiser-Werften im nahe gelegenen Richmond, wo viele der neuen Frachtschiffe, die so genannten Liberty-Schiffe, wie am Fließband gebaut wurden. Ihre gemeinsame Zeit in Kalifornien endete 1943 abrupt mit dem Einzug meines Vater in die Armee. Aus seinem Traum, als Pilot zu dienen, wurde jedoch nichts. Zugunsten anderer Kadetten mit höherer Priorität wurde er übergangen und zur Flugausbildung geschickt. Nachdem er diese abgeschlossen hatte, meldete er sich im Rang eines technischen Unteroffiziers zum aktiven Dienst und ging nach England, um in der 615. Bombardierungsstaffel zu dienen. Im August 1944 war er Bordschütze und Ingenieur auf einem B-17-Bomber, der über Europa und Deutschland seine Kreise zog.
Zur selben Zeit arbeitete unsere Mutter in Oakland als persönliche Assistentin (der Begriff lautete damals »Sekretärin«) von Henry J. Kaiser, einem der bekanntesten Industriellen der damaligen Zeit, der bis heute als Gründer von Kaiser Aluminium, Kaiser Steel, der Krankenhaus-Kette Kaiser Permanente und der philanthropischen Kaiser Family Foundation in Erinnerung geblieben ist. Wie genau es dazu gekommen war, dass sie in Kaisers Büro und manchmal buchstäblich auf seinem Schoß gelandet war, weiß ich nicht genau, aber ich stelle mir vor, dass die hübsche junge Frau ihm bei einer Firmenveranstaltung für die Werftarbeiter aufgefallen sein muss. Diskrete Nachforschungen dürften schnell ergeben haben, dass sie frisch von der Handelsschule kam und in allen Künsten des Sekretariats – Tippen, Diktieren, Abheften – hervorragend ausgebildet war. Zudem sah sie sehr gut aus und der alte Henry J. muss wohl gedacht haben, dass sie genau das war, was er brauchte, um seinem Büro ein wenig Klasse zu verleihen – ganz zu schweigen von einer effizienten Assistentin. Ich habe keine Ahnung, ob es jemals ein richtiges Techtelmechtel zwischen den beiden gab; ich glaube es zwar nicht, aber ich erinnere mich, dass Dad sie manchmal damit aufgezogen hat. Tatsächlich glaube ich, dass meine Eltern so verliebt und voneinander entzückt waren, dass es für Eifersucht überhaupt keinen Platz gab. Dad hatte großes Glück mit unserer Mutter und das wusste er auch; die beiden liebten sich bis zu dem Tag, an dem meine Mutter starb.
Nachdem er seine Kampfeinsätze in Europa überlebt hatte, kehrte unser Vater zurück und wurde (soweit ich weiß) Ausbilder auf dem Army Air Field in Charleston, South Carolina. Kurz nach Kriegsende schied er aus dem Dienst aus, und meine Eltern wollten anschließend gemeinsam zurück nach Kalifornien fahren, wo die Stelle bei Kaiser auf meine Mutter wartete und mein Vater bei einer Versicherungsgesellschaft in San Francisco anfangen sollte. Auf ihrer Reise wollten sie auch einen kurzen Stopp in Paonia einlegen, doch als sie dort eintrafen, beschlossen die beiden ganz spontan, sich dort niederzulassen. Sie zogen vorübergehend im Elternhaus unserer Mutter ein, bei Dad Kemp, bis sie ihr eigenes Haus bauen konnten.
In Paonia zu bleiben war aus meiner Sicht entweder die beste oder die schlechteste Entscheidung ihres Lebens. Ich habe mir oft vorgestellt, wie anders unser Leben verlaufen wäre, hätten sie an ihrem Plan festgehalten und sich in der Bay Area niedergelassen. Im Nachhinein würde ich sagen, dass es wahrscheinlich eine glückliche Fügung war, dass wir in Paonia aufwachsen konnten. Mit der Zeit habe ich zu schätzen gelernt, was für ein besonderer Ort Paonia damals war und noch immer ist, auch wenn Terence und ich es in unserer Jugend aus tiefstem Herzen hassten. Wir wünschten uns nichts sehnlicher, als von dort zu fliehen, was uns schließlich auch gelang, jedem auf seine Weise. Heute könnte ich mir vorstellen, ähnliche Anstrengungen zu unternehmen, um wieder dorthin zurückzukehren, obwohl die Umstände des Lebens es ziemlich unwahrscheinlich machen, dass es jemals dazu kommen wird.
Dass unsere Eltern so plötzlich beschlossen, sich niederzulassen, hatte auch damit zu tun, dass Mayme und ihr Mann diesen Schritt bereits gegangen waren. Mayme war eine Stubenhockerin und eher schüchtern und weniger abenteuerlustig als ihre ältere Schwester. Nach ihrer kaufmännischen Ausbildung in Grand Junction war sie nach Paonia zurückgekehrt und hatte eine Stelle bei der Oliver Coal Company angenommen, wo sie ihren späteren Mann, den Bergarbeiter Joe Abseck, kennenlernte. Mayme führte einen geordneten Haushalt und ein geordnetes Leben. In dieser Zeit erwartete man von Frauen, dass sie ganz darin aufgingen, Kinder großzuziehen und den Haushalt zu führen. Die meisten Männer wären wohl überrascht, wenn nicht gar beleidigt gewesen, wenn ihnen eine junge Frau von höheren Ambitionen erzählt hätte. Doch meine Mutter und ihre Schwestern waren allesamt kluge Frauen – klug genug, vermute ich, um ihre Männer in dem Glauben zu lassen, dass sie als Ehemänner das Sagen hatten.
Joe und Hadie McKenna während des Zweiten Weltkriegs.
Als Mayme 1934 Joe Abseck heiratete, wurden mein Vater und er schnell Freunde. Ich vermute, dass sie sich auch deshalb so gut verstanden, weil sie je eines der beiden hübschesten Mädchen der Stadt abbekommen hatten. Zweifellos waren viele der jungen Männer Paonias enttäuscht, als Mayme als erste der Kemp-Schwestern aus dem Verkehr gezogen wurde. 1941 zog Joe nach Utah, um als Flugzeuginspektor zu arbeiten. Mayme blieb noch drei Jahre bei der Kohlegesellschaft, bis sie, zusammen mit ihren beiden Töchtern, eineiigen Zwillingen, zu Joe nach Utah zog. Nach dem Krieg kehrten sie alle nach Paonia zurück – und sollten nie wieder von dort weggehen. Die Frage war nur, wie man in der überschaubaren lokalen Wirtschaft seinen Lebensunterhalt verdienen konnte. Joe und sein jüngerer Bruder George beschlossen, ein Geschäft für Elektrogeräte und Reparaturen zu gründen. Als meine Eltern ihren verhängnisvollen Zwischenstopp in Paonia machten, drängten die Absecks meinen Vater, in ihr Geschäft einzusteigen. Das neue Unternehmen ergab Sinn: Das Baugewerbe boomte im ganzen Land, da gerade eine Welle von Soldaten zurückkehrte, die alle den Krieg vergessen, sich niederlassen, ein Haus bauen, eine Familie gründen und den amerikanischen Traum leben wollten. Und für meine Eltern war die Aussicht auf ein »normales« Leben in einer ruhigen Kleinstadt in Colorado am Ende wohl reizvoller als die Verlockungen der aufregenden Großstadt an der Küste. Mein Vater sagte zu.
Dies war die Geburtsstunde von A&M Electric (in: Abseck und McKenna) und unter diesem Namen florierte das Unternehmen bis zu seinem Verkauf einige Jahrzehnte später. Zu dem Zeitpunkt war mein Vater, der von ständiger Unruhe geplagt war, bereits lange ausgestiegen. Nach ein paar Jahren bei A&M begann