Adolf Hitler - Konrad Heiden - E-Book

Adolf Hitler E-Book

Konrad Heiden

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Beschreibung

Konrad Heidens vielgerühmte Biografie über Adolf Hitler. Der jüdische Journalist und Sozialdemokrat Konrad Heiden veröffentlichte zwischen 1935 und 1936 diese »erste bedeutende Hitler-Biografie« (Joachim Fest). Konrad Heiden, der als einer der schärfster Kritiker der Nationalsozialisten gilt, hat den Aufstieg Adolf Hitlers von Anfang an begleitet und schildert in seiner Biografie vor allem die persönliche Seite im Leben des Führers. Die schonungslose biografische und psychologische Durchleuchtung seiner Gestalt liefert den entscheidenden Schlüssel, um Hitlers politische Ziele und Ideen zu durchschauen und das entscheidende Verständnis dafür zu entwickeln, was für die Welt von Anfang an auf dem Spiel stand. Dementsprechend nennt der Historiker John Lukacs Heidens Biografie »die erste substanzielle Studie über Hitler«. Bevor das ganze Ausmaß des Schreckens bekannt war, das Hitler und die Nationalsozialisten über Europa bringen sollten, warnt Heiden bereits auf eindringliche Weise vor den Absichten dieses Mannes. Aus nächster Nähe beobachtet er die Auftritte des Demagogen, beschreibt detailgetreu und nicht selten mit sarkastischem Unterton die Wirkung auf die Zuhörer, arbeitet das Gewöhnliche und Spießbürgerliche, vor allem aber das Diabolische und Krankhafte an Hitlers Wesen heraus – und das lang vor der Katastrophe des Krieges und des Holocausts. Ausführlich widmet sich »Hitlers Feind Nr. 1« der Analyse des politischen Augenblicks und schildert Geschichte nicht aus der Rückwärtsbetrachtung, sondern während sie passiert. »Es hat kaum einen wortgewaltigeren, exakteren und entschiedeneren Gegner der Nazis gegeben.« die tageszeitung

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Adolf Hitler

Das Zeitalter der Verantwortungslosigkeit

Alle Rechte in deutscher Sprache vorbehalten

© 1936, 2011 by Europa Verlag AG Zürich

Covergestaltung und Satz: Christine Paxmann text • konzept • grafik

Coverbilder: © Ullsteinbild

Druck und Bindung: Aalexx Buchproduktion GmbH, Großburgwedel

eISBN: 978-3-905811-37-7

Konrad Heiden

Adolf Hitler

Ein Mann gegen Europa – Eine Biografie

Das Zeitalter der Verantwortungslosigkeit – Eine Biografie

VORWORT

von Lars Schultze-Kossack

Die Geschichte der Hitlerbiografie von Konrad Heiden ist eine Besondere. Der Historiker John Lukacs nennt Heidens Werk die »erste substanzielle Studie über Hitler«. Dennoch ist sie bis heute nahezu vergriffen, obwohl die Bücher 1936 und 1937 aus dem Europa Verlag gut verkauft wurden und eine hohe Auflage erzielten.

Die Publikationsgeschichte ist auch eng mit den Begriffen »Objektivität« und »Neutralität« verbunden. Erstens versucht der jüdische Autor Heiden seinen Biografien einen »Anschein von Objektivität« zu verleihen, was seinen Standpunkt als Kritiker und Mahner vor dem Dritten Reich bei einem großen Publikum dienen soll. Zweitens sieht sich der Schweizer Verlag des Autors im Zentrum einer Diskussion um die gefährdete Neutralität der Schweiz, durch die Veröffentlichung von Emigrantenliteratur von Juden und politischen Emigranten.

Wer war Konrad Heiden?

Konrad Heiden wurde 1901 in München geboren und verstarb 1966 in New York. Der jüdische Journalist und Schriftsteller war in der Zeit der Weimarer Republik SPD-Mitglied und einer der ersten publizistischen Beobachter der NS-Bewegung.

Unter dem Pseudonym Klaus Bredow veröffentlichte er die Schriften »Hitler rast« (1934) und »Sind die Nazis Sozialisten? « (1934),1 die die Saarabstimmung 2 beeinflussen sollten.

Konrad Heiden beobachtete als Journalist seit Beginn der 1920er Jahre die politische Szene in München und erlebte ab 1921 Hitlers Anfänge mit. Dabei war Heiden durchaus früh fasziniert von Adolf Hitler und gleichzeitig zutiefst erschüttert über den wachsenden Erfolg der nationalsozialistischen Bewegung. Wenn er also im Vorwort zu seiner Hitler-Biografie schreibt, dass Hitler weder »ein Uebermensch« noch ein »Popanz«, sondern »ein sehr interessanter Zeitgenosse, und zahlenmäßig betrachtet, der größte Massenerschütterer der Weltgeschichte,« ist, so zeichnet dies nur unwesentlich den persönlichen Einsatz nach, den Konrad Heiden schon früh in die Erforschung der Person Hitler investiert hat.

Konrad Heiden war bereits auf den ersten Veranstaltungen der Nationalsozialisten, beobachtete Adolf Hitler ab 1921 aus unmittelbarer Nähe und berichtete über ihn in der Zeitung. Welchen Gefahren er sich damals bereits aussetzte, darüber ist leider wenig bekannt, aber es ist schon zu vermuten, dass Heiden mit enormem Mut und Geschick seine »Beobachtungen aus der Nähe«, wie er es nennt, vornahm und sich nicht scheute, auch in den Wirtshäusern und Hinterzimmern, in denen Hitler zuerst auftrat, aufzutauchen.

Einzigartig bleibt dabei die Unmenge von Materialien, Quellen und Zeitzeugenaussagen, die Heiden bereits so früh zu einem umfassenden biografischen Werk über Adolf Hitler und den Nationalsozialismus gesammelt hat. Nahezu alle Biografen Hitlers, ob von Joachim Fest3 oder von Ian Kershaw4, bedienen sich in ihren Werken über Hitler der Biografie Konrad Heidens, der schon frühzeitig begann, Hitler zu beobachten und analysieren. Die Weltanschauung der Nationalsozialisten brachte er auf die Formel: »Marsch ohne Ziel, Taumel und Rausch, Glauben ohne Gott«.

Konrad Heidens Vater war Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). Für die Partei war er als Arbeitersekretär und Stadtverordneter in Frankfurt am Main tätig. Die Mutter Heidens stammte aus einer angesehenen jüdischen Familie. Die Jugend verbrachte er in Frankfurt am Main, wo er die Mittelschule und das Gymnasium bis 1919 besuchte. 1920 ging er nach München und studierte dort Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Während seines Studiums, das er 1923 abschloss, wurde er 1922 vom Vorsitzenden der Republikanischen Studentenunion gewählt. Nach seinem Studium entschied sich Heiden aber gegen eine Wirtschafts- oder juristische Karriere und wurde hauptberuflich Journalist.

Von 1923 bis 1930 berichtete er als Korrespondent der Frankfurter Zeitung aus München. Parallel dazu schrieb er auch für die Vossische Zeitung. 1930 organisierte Heiden in Berlin einen Pressedienst, der sich intensiv mit der damaligen nationalsozialistischen Propaganda beschäftigte. In den Jahren 1930 bis 1932 gehörte er zur Redaktion der Frankfurter Zeitung in Berlin. Danach war er als freier Journalist tätig. 1932 erschien Heidens erstes Buch: »Die Geschichte des Nationalsozialismus – Die Karriere einer Idee« im Rowohlt Verlag. Das Buch erreichte zunächst eine Auflage von 5.000 Exemplaren und wurde dann im Europa Verlag Zürich nach 1933 und wieder 1935 publiziert. Als gut recherchierte Kampfschrift hat das Werk eine breite internationale Wirkung und verärgerte die Nationalsozialisten.

Im Exil

1933 musste Konrad Heiden ins Exil gehen und hielt sich zunächst illegal im Saarland auf. Vom Juni bis Dezember 1933 war er in Zürich, bis Januar 1935 in Saarbrücken. In seiner Zeit in Zürich lernte er auch seinen Schweizer Verleger Emil Oprecht kennen, der ab 1934 seine Bücher in deutscher Sprache publizierte. Heiden musste in der Zeit unter extremen Nöten und Entbehrungen gelitten haben. Die Ehefrau Oprechts, Emmie, berichtete später, dass Heiden sogar im tiefsten Dezember tagsüber mit einem Koffer auf einer Parkbank in Zürich die Zeit verbrachte und dass er außer diesem Koffer keine Habseligkeiten bei sich hatte, von Geld ganz zu schweigen. Erst 1937 wurde Heiden aus Deutschland ausgebürgert und sein Vermögen beschlagnahmt. Es ist aber anzunehmen, dass er seit 1934 bereits nicht mehr an sein Vermögen herankam.

Konrad Heiden hielt sich oft in den Räumlichkeiten der Buchhandlung Oprecht auf, wo ihm nicht nur ein Getränk serviert wurde, sondern er sich auch intensiv mit Emil Oprecht austauschte. Außer dass Oprecht seinen Autor mit Geld versorgte, führte er ihn auch in die Gesellschaft des nahegelegen Café Odeons ein, in dem sich zu der Zeit nicht nur eben viele Künstler, sondern auch viele Emigranten wiederfanden. Im Café Odeon am Bellevue/Ecke Rämistrasse hatte Emil Oprecht immer einen reservierten Tisch an der Rämistrassenseite, an dem er mit seiner Frau zu Mittag aß und dort schwarzen Kaffee trank. Im Juni 1933 saß er dort auch häufiger mit Konrad Heiden, besprach seine Pläne mit dem Autor.5 Heiden traf dort auf Thomas Mann und Heinrich Mann6, mit denen er auch Mitglied im »Freundeskreis Carl von Ossietzky« war. 1933 bis 1936 war er dort Mitglied, zusammen mit rund zwanzig Emigranten und nichtdeutschen Helfern, u.a. Albert Einstein und Wickham Steed. Sie richteten Appelle an das Nazi-Regime, in denen sie die Entlassung Ossietzkys aus der Haft im Konzentrationslager verlangten und reichten beim norwegischen Nobelpreiskomitee den Vorschlag ein, Ossietzky den Friedensnobelpreis7 zu verleihen. Im Rahmen dieser Kampagne entstand eine kleine Broschüre, in der Prominente unterstützende Beiträge schrieben. Konrad Heiden steuerte den Beitrag »Friedenspreis – Charakterpreis« bei.

Heiden verließ im Dezember 1933 Zürich und ging nach Saarbrücken. Dort war er Mitredakteur der Zeitschrift Deutsche Freiheit. Nach der Saarabstimmung am 13. Januar 1935 floh er nach Frankreich. Bis Mai 1940 hielt er sich in Paris auf. Er war Chefredakteur der bedeutenden Exilzeitschrift »Das neue Tagebuch«, herausgegeben von Leopold Schwarzschild.

Der Autor Konrad Heiden im Europa Verlag

1934 veröffentlichte Konrad Heiden sein zweites Buch Geburt des Dritten Reiches im Europa Verlag bei Emil Oprecht, der 1933 den Verlag gegründet hatte.

1936 bis 1937 erschienen im Europa Verlag in Zürich eine zweibändige Ausgabe der Hitlerbiografie, zeitgleich mit der englischen und französischen Ausgabe.

Der erste Band Adolf Hitler – Das Leben eines Diktators – Das Zeitalter der Verantwortungslosigkeit und der zweite Band Adolf Hitler – Ein Mann gegen Europa. Beide Bände kamen zusammen damals auf eine Auflage von weit über 50.000 Exemplaren. Programmatisch stand die Auseinandersetzung mit dem aufstrebenden Dritten Reich und seinem charismatischem Führer im Vordergrund. Der Verleger Emil Oprecht formulierte es so:

»Vor allem aber schildert der Verfasser das persönliche Leben Adolf Hitlers. Die schonungslose biografische und psychologische Durchleuchtung seiner Gestalt allein gibt den Schlüssel für seine politischen Ziele, seine Ideen und damit erst das entscheidende Verständnis für das, was für die Welt auf dem Spiel steht. «

Heidens Buch setzte sich, was aus heutiger Sicht merkwürdig klingen mag, bereits im Jahr 1936 zentral mit der Biografie Adolf Hitlers auseinander. Mit seiner Kindheit, mit seiner Jugend, mit seiner Militärzeit und mit seinem Werdegang als Politiker. Dafür benutzt er ganz unterschiedliche Quellen. Dokumente, die ihm zugespielt wurden oder einfach nur Artikel aus Zeitungen und anderen Publikationen. Auch verwendet er viele persönliche Informationen, die ihm die unterschiedlichsten Gewährsmänner zukommen ließen. Diese taten dies meist anonym, da sie um die Gefahren und Brisanz ihrer Position wussten. Vor allem arbeitet Heiden in seiner Hitler-Biografie aber mit seinen persönlichen Materialien und Erfahrungen, die er über die Jahre, zum Großteil auch durch persönliche Studien vorort, zusammengetragen hat.

Konrad Heidens besonderer Verdienst besteht also zunächst im Zusammentragen dieser Fülle von Materialien und der kohärenten und sehr populären Darstellung der biografischen Daten über Adolf Hitler. Gekonnt versteht es Heiden auch, das ihm zur Verfügung stehende Material spannend aufzuarbeiten und er steht damit auch in einer fast vergessenen Tradition von populären Sachbüchern, die sich zum Ziel gesetzt hatten, wissenschaftliche und zeitgeschichtliche Ereignisse für das breite Publikum aufzuschreiben. Damit entstammt Heiden einer literarischen Tradition, die vor allem in den 1920er Jahren mit Autoren wie dem Dresdner Kriminalpsychologen Erich Wulffen, dem Kinderpsychologen Eduard Spanger oder August Forel, auszeichnete, die damals sehr hohe Auflagen erreichten, aber heute fast vergessen sind. In den 1950er Jahren sind die sehr erfolgreich Autoren Curt Riess oder Will Berthold in diese Tradition einzuordnen.

Die Nationalsozialisten ärgerten sich sehr über den Erfolg des Autors Konrad Heiden in der Schweiz. In seinen Büchern spiegelte sich somit nicht nur der Geist des Widerstands gegen das Dritte Reich, sondern die hohe Anzahl der verkauften Exemplare zeigte gerade die große Anzahl an Lesern und damit vermeintlichen Gegnern Hitlers, die Heiden mit seinen Büchern erreichte. Gleich nach Erscheinen schrieb der deutsche Gesandte in Bern, Ernst von Weizsäcker, nach Berlin und warnte vor den Büchern aus dem Europa Verlag. Mit fast denselben Worten hatte einige Monate zuvor das Zürcher Generalkonsulat die sorgfältige und objektive Arbeit Konrad Heidens im ersten Band seines Hitlerbuches »anerkannt«:

»Das Buch ist gefährlich und wird, da der Verfasser stets versteht, sich den Anschein der Objektivität zu geben, in weiten hiesigen Kreisen, insbesondere bei den Intellektuellen eine für uns ungünstige Wirkung hervorrufen.«8

»Objektivität ist nicht Standpunktlosigkeit« (Konrad Heiden)

In keiner dieser Stellungnahmen wird begründet, weshalb die fraglichen Publikationen nicht mit wirklicher, sondern nur mit dem »Anschein« von Objektivität und Sachkenntnis geschrieben seien. Immerhin genügte offenbar allein schon dieser Anschein, um dem jeweiligen Buch besondere Gefährlichkeit für das Dritte Reich beizumessen. Auch gegenüber dem Eidgenössischen politischen Departement, wo von deutscher Seite gegen die genannten wie auch gegen nahezu alle politischen Schriften aus dem Europa Verlag und dem Verlag Oprecht, protestiert wurde, konnte der Nachweis unsachlicher, objektiv falscher Behauptungen nicht erbracht werden. Solch ein Nachweis hätte nämlich zum angestrebten Verbot der Emigrantenschriften führen können.

Die Darstellungsweise der Objektivität war für den Verlag damit von zentraler, auch wirtschaftlicher, Bedeutung und wurde in dem Buch von Konrad Heiden durch immer wieder aktualisierte Vorwörter für die jeweilige Auflage geschickt vom Verlag inszeniert. Hier wird immer wieder auf seine langjährigen journalistischen Recherchen, seine deutschen Informanten im Besonderen und auf die Menge von Originaldokumenten verwiesen, die er auch im Anhang abdrucken lässt.

In dem Buch Walter Korodis, eine Darstellung über die Ereignisse um den Reichtagsbrand und den »Röhm-Putsch«, erzielte der Verlag dieses zum Beispiel dadurch, dass der Verleger Emil Oprecht dem Buch ein juristisches Gutachten voranstellte, welches die bisherige Tätigkeit des Autors im Dritten Reich beleuchtete und dem Buch so die »Objektivität« verlieh, die benötigt wurde. Korodi publizierte das Buch »Ich kann nicht länger schweigen«, 1936 unter Pseudonym. Walter Korodi war bis zu seiner Emigration Leiter der »nationalen Abwehrstelle gegen kommunistische Umtriebe« gewesen und musste sich, auch aus Sorge um seine in Deutschland verbliebenen Angehörigen, ein Pseudonym für sein Buch wählen.

Die zwei Bände von Konrad Heiden sind ein besonderes Zeugnis des Widerstands und in ihrer Art einzigartig. Erstens als zeitgenössisches Dokument der Zeit vor der Machtergreifung Hitlers und dann nach der Machtübernahme 1933 und der Zeit bis 1936. Zweitens als Werk mit ungeheurer politischer Stoßkraft, was seiner Zeit weit voraus war und die politischen Ziele Hitlers für jedermann offen legte.

»Dieses Buch verdankt seine Entstehung dem Bedürfnis auszusprechen, was ist.«, schreibt Heiden als ersten Satz des Vorwortes des ersten Bandes.

Diese beiden Bücher lassen also keine Zweifel daran, worum es geht und was mit Hitlers Machtübernahme auf dem Spiel für Europa und die Welt steht. Die Idee eines friedlichen Europas war spätestens mit dem Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund in Gefahr und keiner, der diese Bücher damals gelesen hatte, konnte nach der Lektüre behaupten, dass er nichts von Hitlers Absichten, seinen Zielen und seinen Ideen gewusst habe. Das deutsche Zürcher Konsulat berichtete ans Auswärtige Amt in Berlin, aufgrund der »Hetze, die mit angeblichen politischen und kulturellen Eroberungsgelüsten Deutschlands getrieben worden ist«, sei »eine Angstpsychose entstanden, für die die Schweizer selbst das Schlagwort geistige Landesverteidigung geprägt« hätten. Die kulturelle Verbundenheit mit Deutschland gehe verloren, der Schweiz drohe eine »Provinzialisierung des Geisteslebens«.

Umso erstaunlicher erscheint es heute, dass Heidens Bücher, obwohl Heiden »der Historiker des Nationalsozialismus« (FAZ) geworden war, bis zum Jahr 2007 in deutscher Sprache nicht mehr veröffentlicht wurden. Weder deutsche noch österreichische noch schweizer Verlage haben die Bücher bis zur Wiederbelebung des Europa Verlags Zürich, veröffentlichen wollen. Siebzig Jahre sind diese erstaunlichen Bücher vom Büchermarkt verschwunden gewesen, auch wenn man nach der Lektüre der großen Hitlerbiografien von Joachim Fest oder Ian Kershaw durchaus das Gefühl vermittelt bekommt, dass Heidens Werk und Geist hier und da Einfluss war. Heidens Verdienst bleibt un-bestritten; die besondere und umfangreiche Aufarbeitung der Biografie Adolf Hitlers beginnend mit seiner Kindheit, hin zu seiner Zeit im Ersten Weltkrieg bis zur Entwicklung vom Kneipen- und Stammtischredner Anfang der 1920er Jahre zum gefürchtesten Diktator Europas.

Dass ausgerechnet der Europa Verlag Zürich diese beiden Bücher 1936 und 1937 in der Schweiz zuletzt veröffentlichte, ist dennoch kein Zufall. Aus dem Berner Bundesrat gab es immer wieder Bestrebungen und Ermahnungen, die die Sorge um die Neutralität der Schweiz zum Thema hatten. Die Zunahme von kritischer Emigrantenliteratur wurde nicht gerne gesehen9. Deshalb war der Europa Verlag, der sich programmatisch mit seinen Autoren als Verlag im Geiste des Widerstands gegen das Dritte Reich in Deutschland aufstellte, in der schweizer Tages- und Kulturpolitik immer wieder Thema heftiger Diskussion aus Sorge um die Neutralität.10

Der Verleger Konrad Heidens

Emil Oprecht war Eigentümer der Buchhandlung Oprecht an der Rämistrasse 5 in Zürich. 1933 gründete er den Europa Verlag und den Verlag Oprecht. 1938 gründete er gemeinsam mit Knut Hirschfeld und weiteren Freunden die »Neue Schauspiel AG«, welche daraufhin das Zürcher Schauspielhaus übernahm. Während des Zweiten Weltkriegs wurden Emil Oprecht und seine Frau Emmie zu Rettern zahlreicher Verfolgter, indem sie Geld beschafften und ihr weit verzweigtes Beziehungsnetz einsetzten. Die Bücher des Europa Verlags sind so für viele Menschen Erinnerungen und Zeugnisse an eine Zeit geworden, in der Bücher von Emigranten über ihre politischen Vorstellungen und das, was für Europa auf dem Spiel stand, informierten.

Die Liste der Autoren des Verlags klingen auch heute noch beeindruckend: Albert Einstein, Thomas Mann, Golo Mann, Else Lasker-Schüler, Arthur Koestler, Ignazio Silone, Carlo Levi, Willy Brandt, José Ortega y Gasset, Konrad Heiden, B. Traven, Friedrich Dürrenmatt, Bertrand Russell, Winston Churchill, u. v. a.

Oprecht bezog auch in der Schweiz eindeutig Stellung und sah die Hauptaufgabe eines schweizerischen Verlags, »die ihm zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um die geistige und kulturelle Eigenart, Freiheit und Unabhängigkeit der Schweiz zu schützen und die damit die besten schweizerischen Traditionen fortzusetzen«. Gerade deshalb habe er es »vor allem in den letzten Jahren für eine wichtige Aufgabe gehalten, dem wertvollen deutschen Buch, das innerhalb Deutschlands nicht mehr erscheinen konnte,« eine Plattform zu bieten …

»Damit ist ausgesprochen, dass ich geistige Autarkie ablehne, ja für ein Unglück halte. Wir müssen Geistesrichtungen, die nicht zu uns passen, ausschalten, aber wir dürfen unsere Ohren dem Guten, das aus der Welt zu uns kommt, nicht verschließen. Die Pflege des einheimischen Schrifttums ist demnach keine Spezialaufgabe, sondern im Allgemeinen als selbstverständlich enthalten, ebenso wie die Herausgabe von freiheitlicher Gesinnung von Nicht-Schweizern.«11

Emil Oprechts verlegerischer Mut ist dabei keinesfalls zu unterschätzen. Es waren Konflikte mit Behörden des Dritten Reiches, die seinen Verlag aus dem Börsenverein des deutschen Buchhandels ausschlossen und die Buchhandlung an der Rämistrasse kommerziell schädig-ten. Während des Krieges setzten die Nationalsozialisten sogar ein Kopfgeld auf ihn aus. Auch gab es ständige Konflikte mit den schweizerischen Parteigängern Hitlers, die sich in den antisemitischen und »faschistischen« Fronten zusammengeschlossen hatten und jahrelang – bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs – ihr publizistisches Sperrfeuer gegen Oprecht, seinen Verlag, seine Autoren, die Juden im Allgemeinen und die Emigranten schossen. Die schweizerischen Behörden erschwerten seine verlegerische Tätigkeit. Sie drohten bereits vor Kriegsbeginn mit Repressalien und die Zensurstelle machte die Arbeit während des Krieges teilweise unmöglich. Im Fall Konrad Heiden wissen wir bis heute nicht genau, wie und wie viel die Zensurstelle in den Text eingegriffen hat. Allerdings fällt auf, dass mit Beginn des Zweiten Weltkriegs der Europa Verlag die beiden Bände nicht mehr neu aufgelegt hat.

Die Flucht in die Vereinigten Staaten

Im Januar 1937 wurde Konrad Heiden aus Deutschland ausgebürgert. Sein Vermögen wurde vom Dritten Reich beschlagnahmt. 1939 erschien bei Starling Press, New York, sein Buch »The New Inquisition«, gleichzeitig erschien das Buch in Frankreich unter dem Titel »Les Vepres Hitleriensis«. In diesem Buch beschreibt Heiden die Novemberprogrome von 1938. Leider ist das Buch bisher nicht in Deutscher Sprache erschienen. Ein deutschsprachiges Typoskript mit dem Titel »Nächtlicher Eid« befindet sich aber im Archiv des Europa Verlags in Zürich. 1937 erschien weiter im Querido Verlag in den Niederlanden sein Buch »Europäisches Schicksal«. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde Heiden in Frankreich interniert. Diese Situation gestaltete sich für Heiden wie auch für die anderen internierten Emigranten als prekär. Das Deutsche Reich verlangte die Auslieferung der Emigranten, die wiederum auf das lebenswichtige Visum in die USA warteten. Man tat in Amerika unterdessen alles, um die von der »Auslieferung auf Verlangen« bedrohten Flüchtlinge aus Frankreich zu befreien. »Unser Haus ist zu einem Rettungsbureau für Gefährdete, um Hilfe Rufende, Untergehende geworden. Der Erfolg kommt der Mühe nicht gleich.«12, schrieb Thomas Mann am 10. August 1940 an Alexander M. Frey.

Die Beschaffung der Visa war die wichtigste, die dauerhafteste Hilfe: Allerdings bedurfte es dazu teilweise zeitraubender administrativer Vorarbeiten, denn für die Gewährung einer Einreiserlaubnis waren zwei verschiedene Affidavits nötig. Das finanzielle Affidavit sollte den Lebensunterhalt des in die Vereinigten Staaten Geflohenen si-cherstellen; das moralische Affidavit, das nur von einem amerikanischen Staatsbürger geleistet werden konnte, enthielt die Garantie, dass der Gesuchsteller den Vereinigten Staaten und ihren Einrichtungen nicht feindlich gesinnt sei.

Als die deutsche Wehrmacht 1940 im Frühsommer die französische Armee überrannt hatte, ließ man Konrad Heiden in Frankreich aus dem Internierungslager frei. Die Lage spitzte sich nun für Heiden zu. Erhalt oder Nichterhalt eines Visums oder einer Schiffskarte konnten nun über Leben oder Tod entscheiden. Der Schriftsteller Leonhard Frank schrieb an seinen Verleger Emil Oprecht am 12. August 1940 noch aus dem Lager: »Es ist eine Nervenmühle ohnegleichen. Bitte tun Sie weiter alles nur Erdenkliche. Meine Situation ist sehr ernst.« Bereits fünf Tage später folgt der nächste Brief an Oprecht. Dort heißt es: »Es ist mehr als die höchste Zeit. Es geht ums Leben.«13 Mit Hilfe Varian Frys, der über 2200 Menschen die Flucht ermöglichte, gelang Frank und Konrad Heiden Mitte Oktober 1940 gemeinsam die Flucht. Konrad Heiden wurde zum Zweck seiner Rettung in David Silbermann umgetauft. Dieses jüdische Inkognito zeigte auch, dass der Autor Heiden mehr gefährdet war als ein vermeintlich einfacher Jude. Allerdings besaßen die ausgebürgerten Deutschen keine gültigen Pässe mehr, sodass sie von Fry und mit Hilfe des International Rescue Committee, zu dem auch Oprecht und Mann gehörten, mit falschen allgemeinen tschechischen Pässen ausgestattet wurden. Fry ließ die Emigranten auch mit Sichtvermerken Chinas, Siams oder des Belgisch-Kongo nach Lissabon reisen, damit sie dort auf die Einreiseerlaubnis in die USA warten konnten. Am 13. Oktober 1940 erreichten Franz Werfel, Alma Mahler-Werfel, Heinrich und Golo Mann, die gemeinsam die Pyrenäen überstiegen hatten, die USA. Wenige Tage späten trafen Leonhard Frank und Konrad Heiden in New York ein.

Die Jahre in den USA und nach dem Zweiten Weltkrieg

Bis März 1941 hielt sich Konrad Heiden in New York auf. Von Juni bis Dezember 1941 lebte er in San Francisco, um dann wieder nach New York zurückzukehren. Am 19.02.1942 erhielt er die »Alien Registration Cards pink and yellow« mit Foto und auf seinem eigenen Namen. 1944 erschien sein Buch »Der Führer – Hitlers Rise to Power« bei Houghton Mifflin. Über den Book of the Month Club in den USA und den Left Book Club in Großbritannien (beide hatten zusammen über 57.000 Mitglieder) fand das Buch eine große Verbreitung. Das Buch ist bis heute sein international meist beachtetes und am meisten verbreitete Buch. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Heiden vor allem wieder als freier Journalist tätig. Er schrieb für amerikanische Zeitschriften, wie zum Beispiel für das Life Magazine. Konrad Heiden erhielt in den 1950er Jahren die amerikanische Staatsbürgerschaft.

Vom Dezember 1951 bis zum Mai 1952 war Heiden zum ersten Mal wieder in Deutschland. Er bereiste Deutschland damals per Flugzeug. Von 1952 bis 1961 steuerte er im Auftrag des Süddeutschen Rundfunks in Stuttgart Beiträge für die wöchentliche Viertelstundensendung »Streiflichter aus Amerika« bei. Ähnliche Beiträge produzierte er für Radio Bremen. Ab 1954 verfasste Heiden für den Süddeutschen Rundfunk unter dem Titel »Vier Monate Amerika« monatliche Berichte.

Allerdings verringerte sich Heidens Arbeitspensum durch eine fortschreitende Parkinsonerkrankung immer weiter. Er lebte jetzt die meiste Zeit in Orleans, Massachusetts, wo er zwar nicht verheiratet, aber mit der Lebensgefährtin Margaret A. van Weert lebte. Sie verstarb im April 1961. Nach zwei Operationen am Kopf wurde Konrad Heiden 1962 ein Pflegefall. Zum Arbeiten war er kaum noch in der Lage. Am 18. Juni 1966 verstarb er, verarmt, im »Beth Abraham Hospital« in New York.

_________

1  Wolfgang Benz: »Der Kampf gegen den Nationalsozialismus vor 1933«. In: Informationen zur politischen Bildung Heft 243, Berlin 2004.

Siehe auch im Internet:

http://www.bpb.de/publikationen/OK89GF,1,0,Der_Kampf_gegen_den_Nationalsozialismus_vor_1933.html

2 Die Saarabstimmung 1935: Nach der Niederlage des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg wurde das Saarland mit seinen rund 800.000 Einwohnern durch die Bestimmungen des Versailler Vertrags von 1919 Mandatsgebiet des Völkerbundes. Neben Oberschlesien und Danzig im Osten gehörte es zu den Gebieten, deren Verlust die Deutschen psychologisch und ökonomisch am meisten schmerzte. Verstärkt wurde die Wut auf Versailles durch die Übertragung der Leitung der zuständigen Völkerbundskommission an Frankreich, das im Rahmen der deutschen Reparationen auch die Rechte an den Saar-Zechen erhielt. Wie im Versailler Vertrag vorgesehen, fand am 13. Januar 1935 unter Aufsicht des Völkerbunds eine Volksabstimmung statt. Zu entscheiden hatte die Bevölkerung über die Zugehörigkeit des Gebietes zum Deutschen Reich, zu Frankreich oder die Beibehaltung des Status quo. Vor allem von deutscher Seite ging der Abstimmung eine massive Propagandakampagne voraus. Unter Führung der NSDAP hatten sich 1933 im Saarland rechte Parteien zur »Deutschen Front« formiert, die vom Deutschen Reich auch finanziell unterstützt wurde. Die Reichsregierung wollte mit einem hohen Votum der Saarländer für die Rückkehr zu Deutschland den Westmächten gegenüber deutlich machen, dass die Abtrennung des Saarlandes 1920 in krassem Gegensatz zum Selbstbestimmungsrecht stand. Gezielt gesteuert von Propagandaminister Joseph Goebbels, warb die »Deutschen Front« unter der Losung »Deutsch ist die Saar, immerdar! « mit Kampagnen und Großkundgebungen für die Rückkehr des Saarlandes »heim ins Reich«. Die pro deutsche Propaganda, die stets auch emotional an die deutschen Opfer des Ersten Weltkrieges und die »Schmach von Versailles« erinnerte, war weitaus erfolgreicher als die Warnungen von deutschen Emigranten sowie der politischen Linken im Saarland, die auf die politische Verfolgung im Deutschen Reich und auf die dort errichteten Konzentrationslager (KZ) hinwiesen.

Von den rund 540.000 Stimmberechtigten votierten 90,5 Prozent für Deutschland. Für den Anschluß an Frankreich stimmten nur 0,4 Prozent. Am 1. März 1935 erfolgte der Anschluss des neu geschaffenen Gau Saarland unter Gauleiter Josef Bürckel (1895–1944), wo die nationalsozialistische Gleichschaltungspolitik unmittelbar einsetzte. Nach der Abstimmung flüchteten rund 8.000 von Verfolgung Bedrohte aus dem Saargebiet. Die Saarabstimmung brachte Adolf Hitler sowohl einen Prestigeerfolg im Ausland als auch einen erneuten Sympathiezuwachs im Deutschen Reich: Die »Heimkehr der Saar« feierten die Deutschen als den bis dahin größten Erfolg Hitlers.

3 Joachim C. Fest: »Hitler. Eine Biografie.« Als Ullstein TB lieferbar.

4 Ian Kershaw: »Hitler Gesamtausgabe in 3 Bänden: 1889–1936, 1936–1945 und 1889–1945 Registerband.« Als dtv TB lieferbar.

5 Curt Riess, Esther Scheidegger: »Café Odeon«. Europa Verlag Zürich 2010.

6 Golo Mann war bis 1940, nach der Emigration seiner Eltern in die USA, Gast des Ehepaars Oprecht in ihrer Wohnung am Hirschengraben 20 in Zürich.

7 Am 23. November 1936 wurde Carl von Ossietzky rückwirkend der Friedensnobelpreis des Jahres 1935 zugesprochen. Willy Brandt unterstützte maßgeblich in Norwegen, die Preisverleihung. Hermann Göring drängte persönlich vergeblich darauf, dass von Ossietzky verzichtet. Ossietzkys Antwort lautete:

»Nach längerer Überlegung bin ich zu dem Entschluss gekommen, den mir zugefallenen Friedensnobelpreis anzunehmen. Die mir von dem Vertreter der Geheimen Staatspolizei vorgetragene Anschauung, daß ich mich damit aus der deutschen Volksgemeinschaft ausschließe, vermag ich nicht zu teilen. Der Nobelpreis für den Frieden ist kein Zeichen des innern politischen Kampfes, sondern der Verständigung zwischen den Völkern. « Hitler verfügte danach, dass kein Reichsdeutscher mehr einen Nobelpreis annehmen durfte. Die Gestapo verweigerte von Ossietzky die Reise nach Oslo. 1938 starb Carl von Ossietzky in einem Berliner Krankenhaus an einer offenen Lungentuberkulose, die er sich während seiner KZ-Haft zugezogen hatte.

8 Peter Stahlberger: »Der Zürcher Verleger Emil Oprecht und die deutsche politische Emigration 1933–1945.« Zürich 1970. S. 121.

9 Eduard Korrodi gab am 21.1.1936 in der NZZ das Stichwort, als er Leopold Schwarzschilds Auffassung, es sei inzwischen »fast die ganze Literatur eines Landes« ins Ausland abgewandert, als »Aberwitz« bezeichnete, davor warnte, die »deutsche Literatur mit derjenigen jüdischer Autoren« zu identifizieren, und ausrief: »Was ist denn ins Ausland transferiert worden? Etwa die deutsche Lyrik, die Herrlichkeit der Gedichte Rud. A. Schröders? Wir wüssten nicht einen Dichter zu nennen. Ausgewandert sind doch vor allem die Romanindustrie und ein paar wirkliche Könner und Gestalter von Romanen. Betrachten sich diese als das Nationalvermögen der deutschen Literatur, dann ist es allerdings erschreckend zusammengeschrumpft. « Korrodis Schlusssatz von einer Emigrantenliteratur, welcher »der Hass lieber ist als das Streben nach Wahrheit und Gerechtigkeit«, machte Schule. Obwohl sich Thomas Mann am 3.2.1936 in seinem berühmten offenen Brief gegen den NZZ-Feuilletonchef und vor seine emigrierten Schriftstellerkollegen stellte, tönte es im Jahr darauf im »Bund« noch wesentlich misslicher als bei Korrodi. Dort empfahl Albert Bettex am 17.10.1937 den Emigranten schulmeisterlich, aus ihrem Schicksal »die eine große Hauptaufgabe abzuleiten: die beste, universale deutsche Kulturtradition lebendig und schöpferisch und in freierer Umwelt weiterzubilden und für die Gegenwart fruchtbar zu machen so wie die besten Schriftsteller im Reich es unter wenigstens politisch weniger günstigen Umständen tun. Schriftsteller dieser nicht allzu zahlreichen Art werden weit vor allen andern erwarten dürfen, dass sie in ihren Gastländern willkommen sind. « Vgl. Eduard Korrodi: »Deutsche Literatur im Emigrantenspiegel.« In: Neue Zürcher Zeitung, 26. 01.1936, 2. Sonntagsausgabe.

10 Hierzu hat die Neue Zürcher Zeitung am 10.11.2010 einen interessanten Artikel der Literaturprofessorin Ursula Amrein: »Im Visier der Nationalsozialisten.« publiziert. Zuletzt gefunden: http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/im_visier_der_nationalsozialisten_1.8328742.html. Dort heißt es u.a. auch, dass sich bereits 1933 der Schweizer Schriftstellerverein (PEN) in der Reichsschrifttumskammer unter Deklarierung aller jüdischen Mitglieder aufnehmen und instrumentalisieren ließ. Das deutsche Auswärtige Amt unterstützte diesen Antrag aus Gründen der Loyalitätsbeziehungen und um Einfluss auf die Meinungsbildung ausüben zu können.

11 Vgl. Der Bund, 19.10.1938 (Der Bund ist eine Berner Tageszeitung und eine der wichtigsten Zeitungen der Schweiz).

12 Vgl. Thomas Mann: »Briefe Bd. 2, Briefe 1937–1947«. Frankfurt am Main 1992, S.154.

13 Peter Stahlberger: »Der Zürcher Verleger Emil Oprecht und die deutsche politische Emigration 1933–1945.« Zürich 1970. S. 269.

Am furchtbarsten aber erscheint dieses Dämonische, wenn es in irgendeinem Menschen überwiegend hervortritt. Während meines Lebensganges habe ich mehrere teils in der Nähe, teils in der Ferne beobachten können. Es sind nicht immer die vorzüglichsten Menschen, weder an Geist noch an Talenten, selten durch Herzensgüte sich empfehlend; aber eine ungeheure Kraft geht von ihnen aus, und sie üben eine unglaubliche Gewalt über alle Geschöpfe, ja sogar über die Elemente, und wer kann sagen, wie weit sich eine solche Wirkung erstrecken wird? Alle vereinten sittlichen Kräfte vermögen nichts gegen sie; vergebens, daß der hellere Teil der Menschen sie als Betrogene oder als Betrüger verdächtig machen will, die Masse wird von ihnen angezogen.

Goethe, Dichtung und Wahrheit. Zwanzigstes Buch.

Vorwort

Dieses Buch verdankt seine Entstehung dem Bedürfnis auszusprechen, was ist. In Deutschland ist das heute unmöglich, weil dort die Interessen des Staates der objektiven Erforschung der Wahrheit entgegenstehen. Außerhalb Deutschlands erschweren es zunächst jene natürlichen Irrtümer, die aus Fremdheit und Entfernung entspringen. Ein System schließlich, das mit soviel Intelligenz und Leidenschaft über seine Grenzen hinauswirkt und das andrerseits wie mit magnetischer Kraft soviel Intelligenz und Leidenschaft feindlich gegen sich sammelt, ist durch sein bloßes Bestehen eine ernste Gefahr für den Wahrheitssinn in der ganzen Welt. Die Hingabe von Kämpfern an hohe Ziele kann ebenso wie der niedrige Einfluß von Interessen das reine Gefühl für Wahrheit trüben. Die Lüge ist wie der Krieg ein Unheil, das einseitig entfesselt werden kann, aber dann alle verdirbt. Wahrheit ist auf die Dauer die schärfste Waffe, und das Erz, aus dem sie geschmiedet wird, heißt Tatsache.

Das vorliegende Buch beruht auf fünfzehnjähriger Beschäftigung mit dem Thema; auf Beobachtung aus der Nähe, schon in der frühesten Stunde; auf Durchsicht aller erreichbaren Quellen, offener und vertrau-licher; schließlich auf Auskünften mancher eingeweihter Personen, von denen einige heute noch in der Nähe Hitlers an wichtiger Stelle tätig sind. Die aller Welt bekannten Umstände machen es leider unmöglich, diese Gewährmänner zu nennen; ich muß mich mit der Hoffnung zufrieden geben, daß die belegten Teile des Buches ausreichendes Vertrauen auch für die notgedrungenerweise nicht belegten erwecken werden.

Auf Grund dieses Materials habe ich in meiner »Geschichte des Nationalsozialismus« den Aufbau der Hitlerbewegung, in »Geburt des Dritten Reiches« den Aufbau des Hitler-Staates darzustellen versucht. Die Schilderung der Hauptperson mußte dabei zu kurz kommen; das Menschliche, Private, vieles Anekdotische wegfallen. In diesem Buche versuchte ich es, zu geben. Ich halte das für gerechtfertigt. »Adolf Hitler ist Deutschland«, wurde von heute maßgebender Stelle verkündet; nun, so versuche ich, in Adolf Hitler dies heutige Deutschland zu erklären.

Objektivität ist nicht Standpunktlosigkeit. Der »Helde« dieses Buches ist weder ein Übermensch, noch ein Popanz, sondern ein sehr interessanter Zeitgenosse und, zahlenmäßig betrachtet, der größte Massenerschütterer der Weltgeschichte. Man hat mich früher wegen Überschätzung dieses Gegners getadelt; ich muß heute bisweilen solche Tadler von ehemals ihrerseits vor Überschätzung warnen. Es scheint an dem eigentümlichen Magnetismus dieser Persönlichkeit zu liegen, daß sie die Urteile nach oben oder unten verrückt. Ob ich grade getroffen habe, mag der Leser entscheiden.

Wenn man einen Abgrund zuschütten will, muß man seine Tiefe kennen.

Es gibt in der Geschichte den Begriff der wertlosen Größe. Sie drückt oft tiefe Spuren in die Menschheit, aber es sind keine Furchen, aus denen Saat aufgeht.

Zürich, 20. August 1935.

Konrad Heiden.

Vorwort zum 18. bis 20. Tausend

Nach Erscheinen des Buches gingen mir, wie zu erwarten war, von vielen Seiten Mitteilungen zu, die dem Bilde Adolf Hitlers weitere Einzelzüge hinzufügen wollten. Ändern konnten sie es nicht. Lücken oder gar Irrtümer, mit denen eine zeitgenössische Darstellung rechnen muß, berichtigt zum Teil die Geschichte, indem sie die Figuren von ihren Plätzen stößt und Verborgenes bloßlegt; völlige Klarheit aber bleibt das unerreichte Ziel jeder Geschichtsschreibung. Künftige Forscher werden vieles sehen, was uns heute noch entzogen ist; manches werden sie aus ihrer Ferne kaum glauben, was die Gegenwart breit erlebt, aber selten lang bewahrt. Dies rechtfertigt den Versuch zeitgenössischer Geschichtsschreibung.

Die Notwendigkeit fortwährenden Neudrucks legte den Gedanken nahe, eine der Auflagen zur Einfügung des sich ansammelnden zusätzlichen Materials zu benützen. Das ist hiermit geschehen. Der Leser wird allerlei bisher unbekanntes Detail finden, und ich selbst hoffe, daß das Buch an Farbe und Spannung gewonnen hat. Vom Ganzen her gesehen handelt es sich freilich um Neuigkeiten, doch nicht um Neues. Die Familien- und Jugendgeschichte wurde aufgeforscht und mit Daten belegt; die Schauer des 30. Juni 1934 mußten, wie sie mir mit neuen Tatsachen mitgeteilt und verbürgt wurden, berichtet werden. Aber wirklich geändert werden mußte die Darstellung nur an einem Punkt. Der Tod Angela Raubals, der Nichte Adolf Hitlers, erscheint mir nicht mehr als Selbstmord.

Die Zusätze haben den Umfang des Buches erweitert. Sie hätten es noch mehr getan, wenn nicht einige Striche anekdotisches Nebenwerk, gelegentliche Wiederholungen und Längen beseitigt hätten.

*

In Tagen des Bangens um Europa werden diese Zeilen geschrieben. Die Zeit hat ein furchtbares Tempo angenommen, und die Schrecken von gestern weichen schon der rasch wachsenden Angst vor dem Morgen.

Aber gerade deshalb hat dieses Buch seinen guten Sinn.

Es sucht zu schildern, wie eine Welt unterging, weil sie der eigenen Kraft nicht mehr vertraute, an die volle Ruchlosigkeit des Gegners nicht glaubte, mit der Treulosigkeit Verträge und mit der Vernichtung Frieden schloß.

Diese tödlichen Irrtümer aber waren kein Zufall. Sie entsprangen dem Egoismus der einzelnen Teilhaber an jener versinkenden Welt. Ihnen fehlten Kraft und Klammer eines gemeinsamen, durch Willen lebendigen Gedankens, für den sie die eigene Existenz in den Kampf geworfen hätten.

Auch Europa wird den kommenden Kampf – in welcher Form immer er ausgefochten werde – nicht bestehen, wenn ihn nur die verbündete Selbstsucht einzelner Völker führt. Nicht das Sicherheitsverlangen ängstlicher Nationen, sondern das neue Hochgefühl einer stolzen europäischen Zukunft, weit alle beschränkten nationalen Zielsetzungen überflügelnd, wird die Gefahren von heute bannen.

Erst wenn die Ziele des kommenden Europa größer sind als die der heutigen Machthaber, wird auch sein Kraftbewußtsein stärker sein als ihre Drohungen. Würden die Völker sich einzeln in ihren Höhlen verstecken, so würden sie dort nicht die Sicherheit finden, sondern von den neuen Hegemonien und Imperien aufgesucht und erschlagen werden.

Und diese Hegemonien und Imperien würden, eins nach dem andern, wiederum an dem inneren Widerspruch ihrer Zielsetzung zugrunde gehen, die eine hoffnungslose Völkerwelt des Eroberns und Zerstörens, Fressens und Gefressenwerdens nicht überwindet, sondern verewigt.

Es gibt geschichtliche Notwendigkeiten, deren Strom tief unter dem Wellenschlag der Tagesereignisse dahinzieht. Die Europäisierung der Nationen wird der große geschichtliche Prozeß der nächsten Jahrzehnte sein. Aus ihm wird ein Europa hervorgehen, das nicht mehr auf den Berechnungen der Staatsmänner, sondern auf dem Willen der Völker gründet.

Denn an den Willen, nicht den Glauben, geht der neue Auftrag der Geschichte: das Europa des neuen Menschen zu schaffen. Deutschland wird in ihm nicht mehr der Schrecken, sondern eine Hoffnung der Welt sein. Das ist deutsches Ziel.

Zürich, 10. Mai 1936.

Konrad Heiden.

Erster Teil

1. Heimat und Herkunft.

Nationalhaß in Österreich.

Im Lande der Romantik ist Adolf Hitler geboren. Grün bricht und schäumt von Passau bis Linz die Donau durch schwarze Waldgebirge, weiß leuchten die Klöster und Schlösser von Oberösterreich, auf den Bergspitzen verwittern graue Ruinen. An diesem Strom, dessen Kultur ebenso alt, dessen Geschichte ebenso schwer ist wie die des Rheins, zogen Ostgoten und Hunnen entlang, Langobarden und Bajuvaren, Ungarn und Schwaben, Kreuzfahrer und Türken, Schweden, Franzosen, die deutschen Feldgrauen des Weltkriegs. Ritterliche Sänger schrieben hier im zwölften Jahrhundert die verschallenden Sagen der Völkerwanderung in herrlichen Rhythmen aufs Pergament und bewahrten im Liede dem Waldstromland den leuchtenden Namen der Nibelungenstraße. Im sechzehnten Jahrhundert tränkte der Adel das Land mit rebelelischem Bauernblut; Köpfe flogen auf den Rasen, Eingeweide wurden an Baumstämme genagelt.

Dome und Lustschlösser liegen über dem ernsten Antlitz des Landes wie ein Lächeln aus weißem, zartem Stein; während die Maurer an ihnen klopften, trieben die Reisigen des Bischofs Tausende von Landeskindern um ihres protestantischen Glaubens willen aus der Heimat. Im 18. Jahrhundert schossen die Grenadiere der Häuser Habsburg und Wittelsbach um dieses Erdenflecks willen einander tot; Habsburg siegte. Im neunzehnten Jahrhundert entsteht längs der Donau jenes düster-elegante Kolonialreich, österreichisch-ungarische Monarchie genannt, das der Welt den Wiener Walzer und den Weltkrieg schenkte und 1918 in Atome zersprang.

Eine absolute Fürstenherrschaft über sechs große und mehrere kleine Völker, in Abstammung, Sprache, Gesinnung und Kulturgrad von einander ganz verschieden, die entweder einander beherrschten oder sich von einander befreien wollten. Die Fortgeschrittensten dieser Nationen, Deutsche und Tschechen, stritten in den älteren Teilen Österreichs um die Vorherrschaft; das Herrscherhaus und die hohe Bürokratie drängten den ursprünglich überwiegenden deutschen Einfluß zugunsten der auf strebenden tschechischen Nation etwas zurück, ohne den tschechischen natürlichen Wünschen gerecht werden zu können. So wuchs ein erbitterter deutscher Nationalhaß im alten Nibelungenland, in Oberösterreich und in der Wachau gegen das dem Deutschtum sich entfremdende Herrscherhaus, gegen die ganze österreichische Monarchie und namentlich auch gegen die mit ihr innig verbündete katholische Kirche hoch. Die »Los-von-Rom«-Bewegung des Ritters Georg von Schönerer und seines Genossen Wolf ergriff das gebildete Bürgertum; sie begeisterte sich an dem unter Bismarck und den Hohenzollernkaisern machtvoll aufsteigenden Nachbarreich, verlangte die Auflösung der Habsburger Monarchie und den Anschluß ihrer deutschen Teile an das Deutsche Reich. Mit Neid sieht das österreichische Bürgertum die Wirtschaftsblüte des Reichs unter den Hohenzollernkaisern, die machtvollen Schritte der deutschen Industrie auf dem Weltmarkt; mit Neid sehen die Fabrikanten von Reichenberg und Steyr Deutschlands gewinnreiche Seeschiffahrt, die geschäftereiche Kolonialpolitik und die Staatsgelder, die auf dem Wege über diese Wirtschaftszweige an tüchtige Kaufleute fließen. So hat das mächtig sich regende Nationalgefühl der Deutschen Österreichs eine gutgefütterte Unterlage; doch setzt sich oft genug der nationale Haß über alle wirtschaftlichen Berechnungen weg, namentlich im heftigen Streit der Deutschen und Tschechen. Wie immer sind diese Gefühle am stärksten bei den mittleren Schichten, weniger beim national sehr gemischten Proletariat, gar nicht beim hohen Adel. Die Turnerbünde und Schützengilden, die Mittelschulen und Sängerfeste hegen diesen Nationalismus, und beim nächtlichen Gelage auf weinlaubumrankter Terrasse an der Donau singt ein alter Herr mit goldener Brille:

Und rinnt von des Römers blinkendem Rand

der letzte Tropfen vom Alten,

dann ruf ich: Wachau, du mein heimatlich Land,

bleibst deutsch uns ewig erhalten!

Zu den kleinen Nationen der Monarchie gehörten die Juden, die in einigen Teilen des Landes in geschlossenen Siedlungen und großer Rückständigkeit lebten; oft mit einer eigentümlichen, ganz uneuropäischen Geistesbildung. In den deutschen und tschechischen Landesteilen assimilieren sie sich schneller und steigen z. B. in Prag zu einer hohen und feinen Kultur auf, geradezu Vorbild und Beispiel ihrer Umgebung; in Galizien bleiben sie der alte Ghetto-Typ. In Wien vereinigen sich diese verschiedenen Kulturgrade zu einem nicht durchweg erfreulichen Gemenge. In Handel und Gewerbe, vielleicht noch mehr in Presse und Literatur erlangt nicht der Jude an sich, sondern ein bestimmter jüdischer Bildungs-Typ zeitweise übermäßigen Einfluß, denn diese weit Herumgekommenen kennen die Bedürfnisse aller Schichten und Nationen des Reichs. In dem unruhigen Völkergemisch werden die Juden von keiner Nation endgültig angezogen, wechseln herüber und hinüber, erhalten aus den Ghetto-Siedlungen Galiziens immer wieder Nachschub mit ausgeprägten Nationalzügen und assimilieren sich aus all diesen Gründen als Ganzes langsamer als in anderen Ländern. So entsteht eine von allen Nationen Österreichs gehetzte Zwischenschicht, überwiegend proletarisch, mit wohlhabenden, beneideten und verlästerten Spitzen.

Auch die »Los-von-Rom«-Bewegung war scharf antisemitisch; sie erklärte das Judentum für das Symbol jenes österreichischen Völkergemenges, in dem das Deutschtum zugrunde gehe. Dieser Antisemitismus des 19. Jahrhunderts war in Österreich ebenso wie in Deutschland eine absolute Angelegenheit der bürgerlichen Oberschicht, die wiederum geistige Anleihen beim Adel machte und mit ihrer Judenfeindschaft unbewußt feudalen Zwecken diente. Denn der Jude war das Sinnbild der bürgerlichen Emanzipation; jüdische Intellektuelle halfen jene politischen Klassenschranken zerschlagen, mit denen der Feudalismus den Aufstieg des Bürgertums gehemmt hatte. Der Antisemitismus sickert von oben nach unten. Als Adolf Hitler geboren wurde, war er noch nicht bei den Bauern und Kleinbürgern, geschweige denn bei den Proletariern angelangt; Hitlers Vater hätte, wie der Sohn selbst bezeugt, im Antisemitismus ein Zeichen von Unbildung gesehen – mit Recht, denn er verfolgt die Opfer statt der Ursachen eines Übels.

Die Vorfahren.

Adolf Hitlers Vater ist der uneheliche Sohn einer armen Bauernmagd. Die merkwürdigen Familienverhältnisse Hitlers mag die nebenstehende Stammtafel, die sich zum Teil auf Forschungen des Wiener Genealogen Karl Friedrich von Frank, aber auch auf sonstige Nachforschungen in Kirchenbüchern stützt, etwas verdeutlichen.

Dieses Bruchstück einer Ahnentafel zeigt, wie die heutige Namensform Hitler aus einem Sammelsurium verschiedener Klänge und Schreibungen erst sehr spät herauswächst. Es gibt erwiesenermaßen viele, jüdische Hitlers, und die Ähnlichkeit des sonst seltenen Namens hat zur Suche nach einem jüdischen Einschlag in der Familiengeschichte verleitet. Es ist ein Irrtum. Man hat eine angebliche jüdische Großtante Adolf Hitlers in einer Klara Hitler feststellen wollen, die am 12. Oktober 1821 von jüdischen Eltern im böhmischen Polna geboren wurde, in Wien getauft worden sei und dann in Spital in Niederösterreich gelebt haben soll. Aber der Aufenthalt dieser Klara Hitler in Spital ist nicht erwiesen. Dagegen steht fest, daß die Großmutter Adolfs, Johanna Hütler, die Tochter eines katholischen Bauern Johann von Nepomuk Hütler aus Spital war. Die Namensähnlichkeit bleibt immerhin auffällig; auffällig bleibt weiter, daß Spital und Polna verhältnismäßig nahe beieinander liegen; auffällig bleibt schließlich, daß der Name grade auf der Wanderung von Walterschlag nach Spital sich aus Hiedler in Hüttler verwandelt – denn grade dies ist auch die Form, in der der Name auf dem Grabstein einer Rosalie Müller, gebe Hüttler auf dem jüdischen Friedhof in Polna vorkommt. Auf Gräbern der jüdischen Abteilung des Zentralfriedhofs in Wien heißt es dann bereits Hitler – die Namensform hat sich also in der christlichen wie der jüdischen Familie parallel entwickelt. Welcher Art diese auch sonst oft beobachtete Namensparallelität ist; ob sie einfach aus örtlicher Nachbarschaft sich erklärt oder auf eine bis jetzt nicht geklärte Beziehung hinweist, wäre leichter zu sagen, wenn die Bedeutung des Namens klarer wäre. Man hat die jüdische Form von Hut (Hitler gleich Hütelmacher), die christliche von Hütte abgeleitet; ein tschechisches Hidlar wurde vermutet, und ein in Hitlers Heimat wohnender Privatforscher führt den Namen auf einen Hüter oder Hirten (wenn man also will: Führer) zurück. Erwähnt sei, daß unter Hitlers Ahnen väterlicherseits im 17. Jahrhundert ein Bauer namens Johann Salomon in Nieder-Plöttbach (Bezirk Zwettl, Niederösterreich) vorkommt; er ist Adolf Hitlers Ururururgroßvater.

Im Gegensatz zur väterlichen zeigt die mütterliche Ahstammungslinie Adolf Hitlers die Merkmale einer festen Ruhe. Der Name bleibt von seinem ersten Auftauchen an unverändert bei der Form Pölzl, und bis zur Mutter Adolf Hitlers hinab sitzen diese Ahnen vier Generationen lang unverrückt auf dem Bauernanwesen Nr. 37 in Spital.

Ganz anders die fast vagantenhafte Unbeständigkeit der väterlichen Linie. Nicht nur der Name zuckt hin und her; auch der Wohnsitz wechselt in drei Generationen dreimal: Walterschlag, Spital, Strones, Leonding. Die Lebensgeschichte der einzelnen ist tatsächlich bewegt und zeugt von innerer Unrast. Johann Georg Hiedler, der Großvater des späteren Reichskanzlers, verbringt sein Leben an verschiedenen Orten Niederösterreichs bald als »Bestandmüller«, d. h. Mühlenpächter, bald als »vazierender Müllersgesell«. 1824 heiratet er zum ersten Mal, fünf Monate nach der Eheschließung wird ein Sohn geboren; Mutter und Kind sterben im Wochenbett (Traubuch, Taufbuch und Sterbebuch des Pfarramts Hoheneich bei Gmünd, Niederösterreich). Dreizehn Jahre später finden wir diesen Hiedler als Müller in Döllersheim, ebenfalls im Bezirk Gmünd. Im benachbarten Strones gebiert die Bauerntochter Anna Maria Schicklgruber am 7. Juni 1837 einen Sohn namens Alois. Fünf Jahre später heiratet die Siebenundvierzigjährige in der Pfarrkirche von Döllersheim den fünfzigjährigen Johann Georg Hiedler, der laut Traubuch der Pfarre Döllersheim damals als »Mütergesell« in Dürenthal lebt. 1847 stirbt Maria Anna Hiedler in Strones. Die Spur Johann Georg Hiedlers verliert sich dann auf Jahrzehnte; Alois trägt jedenfalls nicht seinen Namen, sondern den Mädchennamen der Mutter: Schicklgruber.

Alois Schicklgruber-Hitler.

Wenn die Abstammung dieses Kindes Alois von Georg Hiedler nach den äußeren Umständen nicht ganz sicher ist, so ist sie aus inneren Gründen wahrscheinlich. Die Unrast im Leben Georg Hiedlers wiederholt und steigert sich in Alois. Wie Georg Hiedler verläßt dieser den Bereich bäuerlicher Lebensführung und sucht nach einer Art Aufstieg. Georg Hiedlers Lebensbahn verliert sich in den späteren Jahrzehnten im Dunkel; Alois findet in dem ersehnten Beamtenberuf anscheinend nicht die volle Befriedigung und bricht diese Laufhahn auffallend früh ab. Dann wandert er unruhig von Ort zu Ort, kauft und verkauft rastlos immer aufs neue bald da, bald dort eine kleine Besitzung. Dreimal ist er verheiratet.

Er wächst in Spital auf, wo der Bruder Georg Hiedlers, Johann von Nepomuk Hütler, als Bauer lebt. Bei einem gewissen Ledermüller lernt er dort das Schuhmacherhandwerk. Eine kleine Anekdote hat sich erhalten: der junge Mensch habe eines Tages seine Geldbörse samt seinem ganzen Taschengelde, nämlich einen Kreuzer, wütend aus dem Fenster geworfen und gerufen, wenn er schon nicht mehr Geld habe, brauche er auch den Kreuzer nicht.

In Wien arbeitete er eine Zeitlang als Schuhmacher. Dann werden die Daten genauer: sein Personalakt als Beamter liegt vor. 1855 trat er in Saalfelden im Lande Salzburg in den Finanzwachtdienst ein, 1864 erreichte er im Avancement einen Posten, der als bürgerliche Sicherung gelten konnte: er wurde provisorischer Amtsassistent der 11. Dienstklasse beim Hauptzollamt in Braunau am Inn. Elf Tage nach der Beförderung heiratete er zum ersten Mal, und zwar ein Mädchen aus seinem Vorgesetztenkreise: die Adoptivtochter Anna des Zolleinnehmers Josef Hoerer in Radstadt, geboren als Tochter des Steuerbeamten Josef Glasl in Theresienfeld. Spätere Altersfreunde Alois Hitlers in Leonding wollen von ihm gehört haben, die neuen Schwiegereltern seien wohlhabend gewesen und hätten ihm eine behaglichere Lebensführung ermöglicht.

Anna Glasl-Hoerer war 1823 geboren, also vierzehn Jahre älter als ihr Gatte. Die Ehe blieb kinderlos. Nach dem Personalakt wurde sie nach sechzehnjähriger Dauer am 7. November 1880 durch das Bezirksgericht Braunau geschieden.

Mündliche Angaben von alten Leuten in Braunau füllen diese Daten mit etwas Leben. Die Angaben über das Naturell Alois Hitlers schwanken; die einen nennen ihn freundlich und gefällig; die andern zugeknöpft und etwas mürrisch. Jedenfalls sei er bildungshungrig und »in Wort und Schrift sehr bewandert« gewesen. Die Mittel der Adoptivschwiegereltern hätten ihm ein gewisses gesellschaftliches Auftreten, so wie den Luxus von Büchern und Reisen ermöglicht.

Um seiner kinderlosen und leidenden Frau Zerstreuung und Hilfe zu verschaffen, nahm Alois Schicklgruber das Töchterchen einer Cousine, die kleine Klara Pölzl, ins Haus. Das Mädchen wurde allgemein als Tochter der Familie betrachtet und hieß nach Alois Schicklgrubers Namensänderung das »Hitler Klarerl«.

Im Jahre 1876 änderte nämlich Alois Schicklgruber seinen Namen in Hitler. Über diesen Vorgang liegen mehrere Dokumente vor, von denen das interessanteste eine Auskunft des Ordinariats von St. Pölten vom 29. März 1932 ist. Wie sich aus dem dortigen Archiv ergibt, meldete sich am 6. Juni 1876 beim Notariat in Weitra Georg Hitler (so lautet jetzt die Schreibweise); der Mann also, über den seit 1842 keine Daten mehr vorliegen, dessen seitherige Lebensschicksale, ja dessen Sterbetag und -ort bisher nicht ermittelt werden konnten; nur daß er 1883 bereits tot war, geht aus einem anderen Dokument hervor. Dieser vierundachtzigjährige Greis erklärte vor dem Notar in Weitra vor drei Zeugen namens Rameder, Breireneder und Pautsch, er sei der Vater des am 7. Juni 1837 geborenen außerehelichen Kindes Alois Schicklgruber. Warum diese Legitimierung seinerzeit bei der Eheschließung mit der Mutter unterließ, ist aus den verschiedenen Aktenstücken nicht zu erkennen. Unter welchen Umständen sie dann 1876 erfolgte, was für ein Leben Georg Hiedler damals führte, wie er mit seinem Sohne stand und was ihn zu dieser späten Legitimierung veranlaßte, darüber schweigen die Dokumente gleichfalls. Die eigentliche Rechtskraft erhielt der Legitimierungsakt im Pfarramt zu Döllersheim, dem Georg Hiedlers notarielle Erklärung von Weitra aus zugeschickt wurde. Dort schreibt der Pfarrer Josef Zahnschirm, auf eine etwas unordentliche und später zu Zweifeln Anlaß gebende Art, Alois Schicklgruber am 23. November 1876 im Taufbuch auf Alois Hitler um. Rechtlich war der ganze Vorgang die Nachholung eines Aktes, der schon bei der Eheschließung 1842 hätte erfolgen sollen und offenbar aus Nachlässigkeit unterblieb; in der Amtssprache heißt er legitimatio per matrimonium subsequens.

Was die Akten verschweigen, müssen die Mitlebenden bekunden. Nach den Erinnerungen eines Altersfreundes von Alois Hitler in Leonding war die Ursache der Namensänderung eine Erbschaftsangelegenheit. Der Bruder Georg Hiedlers, Johann von Nepomuk Hütler in Spital, also Alois Hitlers Onkel und überdies der Großvater seiner späteren dritten Frau, hatte nur zwei Töchter, wollte aber, daß der Name nicht aussterbe, Er machte die Namensänderung zur Bedingung eines Legats, das er dem Neffen aussetzte.

Merkwürdige Familie.

Die Ehe Alois Hitlers mit der um vierzehn Jahre älteren Frau muß für beide Teile nicht leicht gewesen sein, zumal da die Frau immer kränker wurde. Alois Hitler beginnt ein Verhältnis mit einer jungen Gasthausköchin namens Franziska Matzelsberger. Darauf die Scheidung von der ersten Gattin, nach damaligem österreichischem Recht nur Scheidung von Tisch und Bett, die das Eingehen einer neuen Ehe nicht ermöglicht. Frau Anna Hitler bezieht eine eigene Wohnung, die zwanzigjährige Ziehtochter Klara Pölzl verläßt das Haus und geht nach Wien in Stellung. Franziska Matzelsberger führt Alois Hitler die Wirtschaft und gebiert ihm, noch zu Lebzeiten der ersten Gattin, am 13. Januar 1882 einen Sohn, der den Taufnamen Alois und später durch Legitimierung den Familiennamen Hitler erhält. Nach dem Tode der ersten Gattin – sie stirbt am 6. April 1883 an »Auszehrung« – heiratet Alois Hitler bereits am 22. Mai 1883 Franziska Matzelsberger; am 28. Juli des gleichen Jahres kommt eine Tochter Angela zur Welt. Von den Kollegen Alois Hitlers und ihren Frauen wird die neue Gattin gesellschaftlich geschnitten. Nach kurzer Ehe erkrankt auch Franziska Hitler an einem Lungenleiden und stirbt am 10. August 1884, laut Totenschein an Tuberkulose.

Die letzten Lebensmonate hatte sie in dem Ort Ranshofen in der Nähe von Braunau verbracht. Während dieser Zeit war die Ziehtochter Klara Pölzl aus Wien zurückgekommen und hatte Alois Hitler das Haus geführt. Ein halbes Jahr nach dem Tode der zweiten Frau, am 7. Januar 1885, heiratete Alois Hitler die dritte.

Klara Pölzl war nicht nur die Ziehtochter ihres neuen Gatten, sondern auch die Tochter einer Cousine. Das war nach kirchlichem Recht »Seitenverwandtschaft im dritten Grad, berührend den zweiten«; ein bischöf-licher Dispens war zur Eheschließung nötig. Wir werden im Leben Adolf Hitlers einen Vorgang kennen lernen, der etwas an des Vaters dritte Ehe erinnert.

Der neuen Ehe entspringen fünf Kinder, von denen drei im frühen Alter gestorben sind: Zwei Söhne, Gustav, geboren 1885, gestorben 1887, und Edmund, geboren 1894, gestorben 1900; ein Mädchen namens Ida, geboren 1886, stirbt 1888. Eine Schwester namens Paula, geboren 1896, lebt später als Kunstgewerblerin in Wien. Von den Stiefgeschwistern Adolf Hitlers heiratete die 1883 geborene Angela in Linz einen Beamten namens Raubal; nach dessen Tode lebte sie als Küchenleiterin in Wien, eine Zeit lang auch in einer jüdischen Gemeindeküche; ihr späterer Lebensgang wird uns noch beschäftigen. Der Stiefbruder Alois wurde von Beruf Kellner und hatte ein mehr als bewegtes Leben. 1900 erhielt er fünf Monate Kerker wegen Diebstahls, 1902 acht Monate, abermals wegen Diebstahls. Später ging er offenbar nach Deutschland; am 7. März 1924 verurteilte ihn das Landgericht Hamburg zu sechs Monaten Gefängnis wegen Bigamie. Dann verschwand er, angeblich nach England. 1934 gibt es in Berlin-Wilmersdorf eine viel von SA-Leuten besuchte Gastwirtschaft, deren Inhaber Alois Hitler heißt; er soll der Bruder des Reichskanzlers sein.

Das Familienleben im Elternhause Adolf Hitlers wird von Zeit- und Hausgenossen als harmonisch und freundlich geschildert. Eine alte Einwohnerin von Braunau, die als Dienstmädchen im Hause Alois Hitlers lebte, rühmt die Eintracht des Hauses; nur durch eine »hochmütige, arbeitsscheue und nicht ganz normale Schwester der Frau Klara«, die öfters zum Aushelfen da war, sei Unerfreuliches ins Haus gekommen.

Ob dies »Unerfreuliche« vielleicht mit der erwähnten Erbschaftsangelegenheit zusammenhängt? Es könnte so scheinen, denn im Jahre 1888 kauft Alois Hitler plötzlich in dem Dorf Wörnharts bei Weitra ein Bau-erngut und übergibt es seiner unverheirateten Schwägerin Johanna Pölzl zur Bewirtschaftung. 1892 verkauft er es dann wieder. Doch ihn selbst locken Boden und Besitz. Für zwei Dienstjahre siedelt er noch nach dem bayrischen Passau über (1892 bis 1894); dann läßt er sich nach der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz versetzen, wodurch er offenbar in eine höhere Gehalts- und Ruhegehaltsklasse kommt, und geht am 25. Juni 1895 mit dem Titel eines Zollamts-Oberoffizials in Pension; gerade 58 Jahre alt. Nun beginnt eine unruhige Besitzwirtschaft; es sieht eher nach Güterhandel als nach Seßhaftigkeit aus. 1895 kauft er sich in dem oberösterreichischen Flecken Hafeld an, 1897 in dem Städtchen Lambach; bleibt auch dort nicht, sondern siedelt 1899 nach Leonding, einem Vorort von Linz, über, wo er ein Haus neben dem Gemeindehaus besitzt. Dort geht er spazieren, die goldbordierte Samtmütze meist in der Hand, sieht nach seinen Bienen, lehnt am Zaun und plaudert mit den Nachbarn. Er schaut zu, wie ein Freund ein kleines Sägewerk errichtet und meint philosophisch: so seien die Zeiten; die Kleinen kämen herauf, die Großen stiegen herunter. Die Atemwege sind krank, er hustet und spuckt gelegentlich Blut. Wenn politisiert wird, stellt sich heraus, daß er »die Preußen nicht leiden« mag; er war »halt fest k. u. k., der alte Herr«, erinnert sich ein Ohrenzeuge.

Am Morgen des 3. Januar 1903, es ist kurz vor zehn, sinkt er auf offener Straße bei seinem Morgenspaziergang plötzlich zusammen. Ein Freund findet ihn und bringt ihn ins nahe Wirtshaus, die Wirtin läuft um Wein und Wasser in die Küche, da kommt ein Mundvoll Blut, und Alois Hitler stirbt in den Armen des Nachbars Ransmaier rasch und ruhig. In der Totenmatrik von Leonding steht: »Ist an Lungenbluten plötzlich gestorben«.

»Die Witwe Klara Hitler gibt den Wohnsitz in Leonding auf und zieht nach dem Linzer Vorort Urfahr in die Blütenstraße; es ist praktisch nur ein Wohnungswechsel in derselben Stadt. Auch sie kränkelt; am 21. Dezember 1908 stirbt sie, die Todesursache ist nicht erkennbar. Beide Gatten liegen in Leonding begraben.

Schweres Erbe.

Erklärt diese Familiengeschichte etwas? Man tut gut, die wesentlichen Merkmale zusammenzustellen und mit Schlüssen vorsichtig zu sein.

Das »Waldviertel«, dem die Hitler wie die Pölzl entstammen, ist eine ernste, abseitige, nicht eben reiche Landschaft; wie viele solcher Gegenden hat sie keinen Mangel an Aberglauben und Spukgeschichten. Die Ahnen scheinen arme Bauersleute gewesen zu sein; »Kleinhäusler« steht öfters in den Kirchenbüchern. Von der Unruhe der Hitlerschen, der Beständigkeit der Pölzlschen Linie, die in Adolf Hitlers Elternpaar aufeinandertreffen, wurde schon gesprochen. Georg Hiedler, der Großvater, scheint eine für die dortigen Verhältnisse geradezu abenteuerliche Figur gewesen zu sein, und auch Alois Hitler zeigt ein vom Herkömmlichen durchaus abweichendes Temperament. Den Schusterberuf, den er erlernen mußte, hat er nach dem Zeugnis seines Sohnes offenbar als Degradation empfunden; der frühe Eintritt in die Beamtenlaufbahn verrät anscheinend nicht so sehr Liebe grade zu diesem Beruf, als vielmehr den Wunsch, auf die einzige ihm mögliche Weise schnell etwas »Besseres« zu werden. Die Legende vom Aufstieg des kleinen Mannes! Auf einem der Bilder ähnelt Alois Hitler auffallend dem alten Hindenburg; nicht nur genau derselbe Schnurrbart, sondern auch dieselben Augen, dieselben Backen, Mund und Kinn; der ganze Kopf dasselbe unverkennbare Viereck. Etwas Spekulatives muß in dem Mann liegen, der im Alter Gut um Gut kauft und verkauft und als junger Mensch eine vierzehn Jahre ältere Frau aus wohlhabender Familie geheiratet hat – übrigens ein Fall, der in Adolf Hitlers Ahnenreihe nicht weniger als dreimal vorkommt. Dafür ist die letzte Gattin, Adolf Hitlers Mutter, um volle 23 Jahre jünger.

Bemerkenswert ist in der väterlichen Linie die Vitalität. Die Zahl von Alois Hitlers ehelichen Kindern ist sieben, doch schon bei Georg Hiedler lassen die spärlichen Daten alle Vermutungen zu. Dreimal hat Alois Hitler geheiratet, 52, Jahre war er alt, als sein Sohn Adolf geboren wurde, mit 57 Jahren kam das letzte Kind. Das auffallende Kindersterben in der dritten Ehe deutet auf eine Schwächeanlage, die offenbar aus dem Blute der Mutter stammt; ihr Bild zeigt eine junge Frau von zartem Typus. Merkwürdig, wie dieselbe Krankheit durch die ganze Familie schleicht: Alois Hitlers erste und zweite Frau sterben an Schwindsucht, auch er erliegt einem Lungenleiden.

2. Ein früh Gescheiterter

Erste Daten.

Am 20. April 1889, abends 61/2 Uhr, wurde dem damaligen Zollamts-Offizial Alois Hitler in Braunau am Inn, Vorstadt 219 (Gasthof zum Pommer) ein Sohn geboren. Zwei Tage später, nachmittags 31/4 Uhr, erhielt dies Kind in der heiligen Taufe den Vornamen Adolfus.

Es ist das vierte Kind Alois Hitlers; und das zweite, das ihm die Gattin Klara nach neunjähriger Ehe gebiert. Die Taufpaten sind ein Ehepaar Prinz aus der Löwengasse in Wien.

Der Geburtsort Braunau ist der Platz, an dem Alois Hitler viele Jahre gewohnt hat. Die Familie stammt in der väterlichen wie der mütterlichen Linie aus Niederösterreich, also weit donauabwärts; aber Alois Hitler ist ein »Ausgewanderter«, und so wird Oberösterreich Adolf Hitlers Heimat.

Die nächste offizielle Nachricht über den Lebensgang dieses Kindes liefert das Jahr 1895. Am 2. April dieses Jahres kommt es in die Volksschule von Fischlham bei Hafeld. Zwei Jahre darauf Übergang in die Klosterschule des Stifts Lambach; ein Lehrer erinnert sich, daß er diesen Schüler wegen Rauchens im Klostergarten sofort entlassen habe. Das letzte Volksschuljahr verbringt er in Leonding; es muß vermerkt werden, daß in seinen Zeugnissen aus dieser Zeit überhaupt nur die Note 1 steht, gelegentlich mit Ausnahme von Gesang, Zeichnen und Turnen. Umso auffallender ist der Rückschlag, als er im September 1900 in die Staatsrealschule von Linz eintritt. Im ersten Schuljahr sind dort die Leistungen derart, daß er sitzen bleibt und die Klasse wiederholen muß. Dann bessern sich die Leistungen zeitweise; in Geschichte sind sie mehrmals vorzüglich, in Mathematik genügend und nicht genügend, ebenso in Französisch; meistens genügend oder allenfalle befriedigend auch in Deutsch, vorzüglich in Freihandzeichnen und Turnen. Der Fleiß wird als ungleichmäßig oder allenfalls hinreichend bezeichnet. Ein Jahr nach dem Tode des Vaters geht er aus nicht ersichtlichen Gründen von Linz fort nach Steyr in Oberösterreich, wohnt bei einem Gerichtsbeamten von Cichini und besucht die dortige Staatsrealschule. Sein letztes Zeugnis der dortigen vierten Klasse vom 16. September 1905 mag ein ungefähres Bild des Schülers Adolf Hitler geben:

I. Semester

II. Semester

Sittliches Betragen

befriedigend

befriedigend

Fleiß

ungleichmäßig

hinreichend

Religionslehre

genügend

befriedigend

Deutsche Sprache

nicht genügend

genügend

Geographie und Geschichte

genügend

befriedigend

Mathematik

nicht genügend

genügend

Chemie

genügend

genügend

Physik

befriedigend

genügend

Geometrie und geometrisches

Zeichnen

nicht genügend**

darstellende Geometrie

genügend

genügend**

Freihandzeichnen

lobenswert

vorzüglich

Turnen

vorzüglich

vorzüglich

Stenographie

nicht genügend

Gesang

befriedigend

Äußere Form der schriftlichen Arbeiten

minder gefällig

minder gefällig

* Wiederholungsprüfung gestattet.

** Infolge der Wiederholungsprüfung.

Kindheit und Schule.

Was sagt Hitler selbst über seinen Bildungsgang?

Der Vater will ihn studieren lassen. Er soll höherer Staatsbeamter werden. Adolf will nicht: »Mir wurde gähnend übel bei dem Gedanken, als unfreier Mann einst in einem Büro sitzen zu dürfen, nicht Herr sein zu können der eigenen Zeit, sondern in auszufüllende Formulare den Inhalt eines ganzen Lebens zwängen zu müssen.« Diese Scheu vor geregelter Arbeit ist ihm gehlieben. Er wagt aber dem Vater nicht offen zu widersprechen: »Ich konnte mit meinen inneren Anschauungen etwas zurückhalten, brauchte ja nicht immer gleich zu widersprechen. Es genügte mein eigener fester Entschluß, später einmal nicht Beamter zu werden, um mich innerlich vollständig zu beruhigen.« Also ein kleiner Duckmäuser.

»Wie es nun kam, weiß ich heute selber nicht, aber eines Tages war es mir klar, daß ich Maler werden würde, Kunstmaler.« Härteste Opposition des Vaters »Kunstmaler, nein, solange ich lebe, niemals!« Darauf passive Resistenz des Sohnes: »Ich ging einen Schritt weiter und erklärte, daß ich dann überhaupt nicht mehr Iernen wollte. Da ich nun natürlich mit solchen Erklärungen doch den Kürzeren zog, insofern der alte Herr jetzt seine Autorität rücksichtslos durchzusetzen sich anschickte, schwieg ich künftig« – der Widerstand duckt sich abermals vor dem väterlichen Stock – »setzte meine Drohung aber in die Wirklichkeit um. Ich glaubte, daß, wenn der Vater erst den mangelnden Fortschritt in der Realschule sähe, er gut oder übel eben doch mich meinem erträumten Glück würde zugehen lassen.«

Mit anderen Worten: der Schüler Adolf Hitler wird aus Kunstbegeisterung faul: »Sicher war zunächst mein ersichtlicher Mißerfolg in der Schule. Was mich freute, lernte ich, vor allem auch alles, was ich meiner Meinung nach später als Maler brauchen würde. Was mir in dieser Hinsicht bedeutungslos erschien oder mich auch sonst nicht so anzog, sabotierte ich vollkommen. Meine Zeugnisse in dieser Zeit stellen, je nachdem Gegenstande und seiner Einschätzung, immer Extreme dar. Neben »lobenswert« und »vorzüglich«, »genügend« oder auch »nicht genügend«. Am weitaus besten waren meine Leistungen in Geographie und mehr noch in Weltgeschichte«.