Adrenalin - Zlatan Ibrahimović - E-Book

Adrenalin E-Book

Zlatan Ibrahimovic

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Beschreibung

»Den Spieler Ibra kennen alle, aber den Menschen Ibra nicht.«Was macht den Fallrückzieher für einen Fußballspieler so besonders? Welche Bedeutung haben Tore für einen Stürmer, der auch mit vierzig noch auf Weltklasseniveau kickt? Und welche Rolle spielen Trainer und Teamkollegen, Elfmeter und Verletzungen für jemanden, der sich schon so lange im Profisport behauptet? Zlatan Ibrahimović muss sich und den anderen auf dem Platz nichts mehr beweisen. Seine Erfolge in den international renommiertesten Clubs stehen für sich; und sie haben ihn zu einem der besten Spieler der Welt gemacht, der von Journalisten wie Gegnern für seine exzentrische Art gefürchtet wird, aber zugleich als bodenständiger Familienmensch gilt. »Das ist nicht das Evangelium eines Gottes, sondern das Tagebuch eines vierzigjährigen Mannes, der mit seiner Vergangenheit abrechnet und der Zukunft direkt in die Augen blickt, als wäre sie ein weiterer von unzähligen Gegnern, denen es entgegenzutreten gilt.« In seiner Autobiografie gibt der »Gott des Fußballs« sehr persönliche Einblicke, wie er im Laufe der Jahre gereift ist – zu einem Mann, der vor allem vor sich selbst bestehen kann. Der zwischen Adrenalin und Balance seinen Platz auf dem Rasen und im Leben gefunden hat. Und zu dem neben Stärke, Entschlossenheit und Mut auch die Angst vor der Zukunft gehört. Offen wie nie spricht der Torjäger darüber, was ihm wirklich wichtig ist: über Rückschläge und Freiheit, Freundschaft, Liebe und Verlust. Ein Buch voller überraschender Offenbarungen. Und zugleich die packende Quintessenz eines bewegten (Fußballer-)Lebens. »Der Wahnsinn hat einen Namen: Zlatan Ibrahimović.« Kicker »Ibrahimović ist der kompletteste Spieler seiner Generation. Weil er, wie kaum ein anderer, das Spiel mit der Show verbunden und das Ergebnis mit dem Spektakel versöhnt hat.« Lucas Vogelsang, Stern »Der Fuß Gottes« Frankfurter Allgemeine Zeitung »Das größte Spektakel im Weltfußball« 11 Freunde »Zlatan Ibrahimović ist der extremste Fußballer dieser Zeit.« Süddeutsche Zeitung

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Von Zlatan Ibrahimović liegen im Malik Verlag und im Piper Verlag vor:

Ich bin Zlatan

Adrenalin

Aus dem Italienischen von Barbara Neeb und Katharina Schmidt

© 2021 Zlatan Ibrahimović

© 2021 RCS MediaGroup S. p. A., Milano

Titel der italienischen Originalausgabe: »Adrenalina. My untold stories«, erschienen 2021 bei Cairo, RCS MediaGroup S. p. A., Mailand

© der deutschsprachigen Ausgabe:

Piper Verlag GmbH, München 2022

Redaktion: Steffen Geier, Heidelberg

Covergestaltung: Birgit Kohlhaas, kohlhaas-buchgestaltung.de

nach einem Entwurf von PEPE nymi

Covermotiv: Settimio BenedusiKonvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

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Ich liebe Fallrückzieher.

Ich liebe es, in der Luft den Ball mit den Füßen zu treffen,

die doch die untersten Teile am Körper sind.

Ehe ich dann auf den Boden zurückfalle, betrachte ich

noch einen Augenblick die Welt auf dem Kopf.

Und in dem Moment stehen für mich alle anderen –

die Teamkollegen, der Schiedsrichter, die Zuschauer – kopf.

Es ist eine exklusive und sehr privilegierte Sicht.

Und sie gehört mir allein.

Ich widme dieses Buch allen, die gern

Regeln, Ansichten und Vorhersagen auf den Kopf stellen.

Denn nur wenn man hartnäckig und entschlossen,

mit Hingabe und Einsatz dem eigenen Instinkt folgt,

kann die eigene Sicht der Welt einzigartig sein.

Privilegiert und exklusiv.

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Vor der Partie

1 Fallrückzieher

2 Dribblings

3 Gegner

4 Bälle

5 Berater

6 Journalisten

7 Tore

8 Schiedsrichter

9 Verletzungen

10 Pässe

Verlängerung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Vor der Partie

(oder: über Adrenalin und Balance)

Mailand, Montag, den 4. Oktober 2021

Okay, ich füge mich meinem Schicksal.

Ich bin ein Gott, aber ein Gott, der älter wird.

Endlich nehme ich das zur Kenntnis, so wie ich zur Kenntnis genommen habe, dass mein Körper nicht mehr wie früher ist. Jahrelang habe ich die Signale ignoriert, die mein Körper an mich sendete, bevor ich mich entschlossen habe, auf sie zu hören. Ich kann mir nicht mehr einen Spurt nach dem anderen leisten, wie ich sie als junger Kerl hingelegt habe; wenn ich mich auspowere oder etwas abbekomme, brauche ich mehr Zeit, um mich zu regenerieren. Ich habe mein Spiel an meinen neuen Körper angepasst. Ich bin nicht mehr das ganze Spiel über mitten im Strafraum, wo einem die Bälle nur so um die Ohren fliegen. Oft nehme ich mich da raus und baue das Spiel auf, ich arbeite heute mehr für die Tore der anderen als für meine eigenen. Ich muss nicht mehr im Rampenlicht stehen. Was ich gewinnen musste, habe ich gewonnen. Heute möchte ich meine jungen Teamkollegen inspirieren und ihnen helfen, sich weiterzuentwickeln.

Ich bin vierzig Jahre alt und habe zwei Söhne, die inzwischen keine Kinder mehr sind, sondern Teenager. In diesem Alter zieht man normalerweise einen Strich unter sein bisheriges Leben und erste Bilanzen.

Genau das ist Sinn und Zweck dieses Buches.

Tagelang habe ich versucht, so zu tun, als ob nichts wäre, und nicht über meinen Geburtstag nachzudenken, der immer näher rückte. Ich habe es vermieden, an die Zahl 40 zu denken, aber dann stand sie gestern Abend vor mir, rot und riesig groß, über eine gesamte Hotelfassade. Man hatte dafür in einigen Zimmern das Licht eingeschaltet und in anderen nicht.

In diesem Mailänder Hotel hatte meine Frau Helena eine Überraschungsparty organisiert, die mich sehr gerührt hat. Dort waren meine Liebsten versammelt, so viele Freunde aus der ganzen Welt, Menschen, die in meinem Leben etwas bedeuten. Fußballlegenden waren gekommen, Trainer, sogar Spieler, die ich auf dem Feld hart angegangen war. Ich hätte nie erwartet, sie dort auf der Hotelterrasse wiederzusehen.

Eine Erklärung dafür gab mir Rino Gattuso: »Du warst immer du selbst, auch wenn du ihnen was auf die Knochen gegeben hast. Deswegen sind sie gekommen.«

Helena war großartig. Sie hatte das alles heimlich organisiert, und damit hat sie mir ein wunderbares Geschenk gemacht. Normalerweise bin ich es, der andere beschenkt.

Wie ich von Rosengård weggegangen bin, um Fußballmeister zu werden, habe ich schon oft erzählt. Ich bin mit einem abgewetzten Select-Ball am Fuß aufgewachsen, habe jeden umdribbelt, der sich mir in den Weg gestellt hat, dort im »Rosengarten«, der tatsächlich ein Sammelbecken für Migranten aus aller Herren Länder war. Ein Funke genügte, und schon schlugen wir uns die Köpfe ein. Aber dieses handtuchgroße Stück festgestampfte Erde war das Labor für meinen Fußball, die Schule, in der ich die Tricks gelernt habe, die mich zu Ibra gemacht haben.

Meine Eltern haben sich früh getrennt. Ich wurde hin und her geschoben zwischen einer Mutter, die sich abschuftete, um etwas zu essen auf den Tisch stellen zu können, und einem Vater, dessen Kühlschrank oft leer war. Was mir fehlte, nahm ich mir. Ich klaute Fahrräder und Klamotten, weil ich es satthatte, dass man sich in der Schule über mich lustig machte. Ich trug immer Fußballstutzen statt normaler Socken und Trikots von Malmö, die ich mir heimlich aus der Umkleide »besorgte«.

Dann hat mich der Fußball aus dem Getto katapultiert und in ein anderes Leben geführt. Ich bin nach Amsterdam gekommen, wo ich mir den ersten Porsche kaufte und Mino Raiola kennenlernte, meinen Agenten. Er und meine Frau Helena zählen zu den wichtigsten Personen in meinem Leben und werden es immer bleiben.

Mino ist viel mehr als ein Manager, er ist ein Freund, ein Bruder, ein Vater, alles. Er gab den Kurs meiner Karriere, meiner Triumphe vor, er hat mich aus den schwierigsten Momenten herausgezogen und für mich Tausende von Problemen gelöst. Je mehr ich an Verletzungen laborierte, desto näher war er mir.

Aus Holland hat mich Mino nach Italien gebracht, dann nach Spanien, zurück nach Italien, nach Frankreich, nach England, nach Amerika und wieder zurück nach Italien.

Helena war immer die Reifere und Verantwortungsbewusstere von uns beiden. Sie hat mir geholfen nachzudenken, sie hat mir Vernunft beigebracht und auch Geschmack, sie kann Schönes erkennen und selbst erschaffen. Und sie hat ein besonderes Gespür für Eleganz. Das war ihr Beruf und wird es auch dann noch sein, wenn ich mit dem Spielen aufhöre. Mit der Zeit hat sie meinen wilden Charakter ziemlich gezähmt, und vor allem hat sie mir das für mich Wertvollste auf der Welt geschenkt: meine Söhne.

Den Spieler Ibra kennen alle, aber den Menschen Ibra nicht.

Ich will versuchen, von diesem Menschen zu erzählen, jetzt, auf der Hälfte meines Wegs, zwischen meiner Geschichte als Fußballspieler, die allmählich zu Ende geht, und einer Zukunft, die anders sein wird und immer näher rückt, aber im Moment noch unklar ist. Dieses Buch spiegelt in seiner Gliederung meine aktuelle Situation zwischen diesen zwei Welten.

Jedes Kapitel beginnt mit Geschichten aus dem Fußball und endet in Reflexionen über das tägliche Leben: vom Tor zum Glück, vom Schiedsrichter zur Gerechtigkeit, vom Assist zur Freundschaft, von der Verletzung zum Tod …

Ich verstecke mich nicht, ich spiele nichts vor. Ganz so, wie es Gattuso gesagt hat. Ich gestehe zum Beispiel, dass mir der Gedanke ans Aufhören Angst macht. Je näher der Zeitpunkt kommt, mit dem Spielen Schluss zu machen, desto größer wird meine Angst vor der Zukunft: Wo werde ich das Adrenalin finden, das mir heute eine Auseinandersetzung auf dem Platz mit Giorgio Chiellini verschafft?

Adrenalin, der Titel dieses Buchs, ist das Schlüsselwort meines Lebens.

In allem, was ich mache, muss ich eine Herausforderung sehen und mich mit maximaler Leidenschaft einsetzen. Mit dem letzten Blutstropfen. So ist es immer gewesen, und so wird es immer sein. Ich muss das Adrenalin spüren, wie es in meinen Adern pulsiert. Das jetzt, mit vierzig Jahren, mit zwei großen Söhnen, anders pulsiert, weil ich andere Bedürfnisse habe. Habe ich mich früher mit Schiedsrichtern angelegt, unterstütze ich sie heute. Früher habe ich gerne gespalten, und für mich gab es nur eine Meinung – heute gehe ich nach Sanremo und bin gerührt, wenn ich die Liebe und den Respekt aller Italiener spüre. Aber trotzdem bekomme ich kaum Luft, wenn zu viele Menschen um mich herum sind. Dann hole ich eines von meinen Schätzchen aus der Garage, fahre auf die Autobahn, trete das Gaspedal durch und fahre den Tank leer, oder ich verschwinde in einen Wald auf der Suche nach Freiheit. Ich suche die Menschen, und gleichzeitig meide ich sie.

Das ist nicht der einzige Widerspruch, den ich an mir erkenne. Ich habe immer welche in mir gehabt, sie sind Teil meines Charakters. Neu ist, dass ich nun mit vierzig versuche, sie zu kontrollieren, wie ich auch gelernt habe, meine spontanen Reflexe unter Kontrolle zu halten. Heute kommt es selten vor, dass ein Verteidiger mich provozieren kann, so wie am Anfang meiner Karriere. Ich folge nicht mehr blind meinem Instinkt, ich denke, dass ich ausgeglichener geworden bin. Das habe ich der Zeit, Helena und Mino zu verdanken. Glaube ich. Ich suche in allem, was ich tue, nach Ausgeglichenheit. Auch bei der Erziehung meiner Kinder: Ich gleiche Disziplin mit Zärtlichkeit aus.

Das Wort »Gleichgewicht« kommt mir leichter auf Englisch über die Lippen: balance. Ich muss oft daran denken. Wenn ich früher nur Adrenalin war, so bin ich jetzt Adrenalin und balance.

Das ist nicht das Evangelium eines Gottes, sondern das Tagebuch eines vierzigjährigen Mannes, der mit seiner Vergangenheit abrechnet und der Zukunft direkt in die Augen blickt, als wäre sie ein weiterer von unzähligen Gegnern, denen es entgegenzutreten gilt.

1 Fallrückzieher

(oder: über den Wandel)

Beverly Hills, Herbst 2019.

Es ist Abend, wir sind gerade von einem Essen im Restaurant nach Hause gekommen. Das Handy klingelt.

Helena vermutet: »Mino.«

Treffer: Es ist Mino Raiola, mein Agent. Aber das war nicht schwer. Seit Tagen bombardiert er mich mit Anrufen.

Nach der Erfahrung bei Los Angeles Galaxy und dem Ausscheiden in den Play-offs der MLS habe ich beschlossen, die Fußballstiefel an den Nagel zu hängen, und nun unternimmt er alles, um mich umzustimmen.

Er versucht es noch einmal: »Zlatan, einer auf deinem Level und mit deiner sportlichen Vergangenheit kann seine Laufbahn nicht in Amerika beenden. Man wird sagen, dass du keinen Mumm mehr hast, dass du schlapp geworden bist, dass du dich mit der leichten Tour begnügst. Wo ist der Löwe des Fußballs, der König des Waldes geblieben?«

»Ich bin angekommen, Mino. Ich hab damit abgeschlossen. Find dich damit ab.«

Aber er bleibt hartnäckig: »Nein. Du musst nach Europa zurückkehren und beweisen, dass du noch mit den Besten mitspielen kannst, trotz der Verletzung in Manchester. Und wenn es nur für sechs Monate ist, von Januar bis Juni. Beweis dich noch mal, nimm diese Herausforderung an, und dann mach, was du willst. Du bist Ibra. Du musst nach Ibra-Art abtreten. Ich finde einen Club für dich, wenn du willst.«

»Hör zu, Mino, es gibt nur eine Art, auf die du mich überzeugen kannst: mit Adrenalin. Ich brauche nicht irgendeinen Vertrag, ich brauche eine Herausforderung, die das Blut in meinen Adern unter Strom setzt. Hast du so was?«

Mit achtunddreißig Jahren kann ich mich immer noch im Training fertigmachen, mich total ausgepowert fühlen und trotzdem weitermachen. Aber wenn ich morgens aufstehe, brauche ich eine gute Antwort auf die Frage: Warum machst du das, Zlatan?

Und es kann nur eine Antwort darauf geben: Weil all diese Quälerei in Form von Adrenalin zu mir zurückkehrt, und das verschafft mir ein gutes Gefühl.

 

An einem Abend wenig später schaue ich zu Hause die HBO-Doku über Diego Armando Maradona. Irgendwann sieht man Aufnahmen einer weit zurückliegenden Partie des SSC Neapel, und die Bilder zeigen das Publikum im San Paolo. Das Stadion ist ausverkauft. Der Zoom geht auf die hitzigste Kurve, die Fans sind dicht gedrängt, sie singen, schreien, trommeln, die Spannung, die von ihnen ausgeht, ist unglaublich. Ich setze mich auf meinem Sofa auf, schaue aufmerksam hin und spüre, wie das Adrenalin zu pulsieren beginnt, hier, in den Adern am Hals. Bumm, bumm, bumm …

Sofort telefoniere ich mit Mino: »Ruf beim SSC Neapel an. Ich gehe zum SSC.«

»Zum SSC?«

»Ja, ich werde in Neapel spielen.«

»Bist du dir sicher?«, fragt er mich verdutzt.

»Du willst, dass ich weiter Fußball spiele? Mein Adrenalin sind die Fans von Neapel. Ich gehe dorthin, bei jeder Partie hole ich achtzigtausend Menschen ins Stadion, und ich gewinne den Scudetto wie damals Diego. Mit einem Sieg in der italienischen Meisterschaft bringe ich alle zum Ausflippen. Das ist mein Adrenalin.«

Wir sprechen mit dem Club, verhandeln und einigen uns.

Abgemacht. Ich bin jetzt beim SSC Neapel.

Der Trainer ist Carlo Ancelotti, den ich gut kenne, wir waren zusammen in Paris. Er freut sich riesig, dass wir dort wieder zusammenkommen, wir telefonieren fast jeden Tag. Er erklärt mir, wie und wo er plant, mich einzusetzen.

Mit dem Präsidenten, Aurelio De Laurentiis, habe ich nicht gesprochen, aber ich kannte ihn schon. Wir waren uns vor ein paar Jahren begegnet, als ich zusammen mit meiner Familie Urlaub in Los Angeles machte.

De Laurentiis hatte erfahren, dass wir im selben Hotel untergebracht waren, und an der Rezeption seine Karte hinterlassen: »Heute Abend sind Sie in diesem Restaurant eingeladen.« Daran hing ein Zettel mit der Adresse. Das wirkte nicht wie eine Einladung, sondern eher wie ein Befehl.

»Da gehen wir hin«, hatte Helena sofort gesagt.

Wir haben einen sehr angenehmen Abend verbracht.

 

Ich finde ein Haus in Posillipo, das für mich passen könnte, aber da ich nur sechs Monate bleiben soll und alle mir sagen, dass die Stadt ziemlich chaotisch ist, überlege ich mir auch die Möglichkeit, auf einem Boot zu leben.

An dem Tag, an dem ich in Neapel unterschreiben soll, am 11. Dezember 2019, schmeißt De Laurentiis Ancelotti raus. Mitten in der Saison.

Ich habe ein ungutes Gefühl. Das ist ein schlechtes Zeichen. Ich kann diesem Präsidenten nicht trauen. So jemand kann weder mir noch der Mannschaft Halt geben. Außerdem weiß ich, dass Ancelottis Nachfolger Rino Gattuso, der zwar mein Freund ist, einen anderen Typ Mittelstürmer für seine 4-3-3-Formation braucht. Und er meldet sich auch nicht bei mir.

Das Ganze platzt.

Ein paar Tage später rufe ich Mino an und frage ihn: »Wer braucht mich am meisten? Welche Mannschaft steckt am tiefsten in der Scheiße?«

Ich suche keinen Vertrag, ich suche eine Herausforderung.

»Milan hat 5 : 0 in Bergamo verloren.«

Normalerweise kehre ich aus Prinzip nicht zu einer Mannschaft zurück, in der ich schon einmal war, weil ich dann riskiere, schlechter zu spielen als damals. Aber dieses Mal ist es anders. Milan hat 5 : 0 verloren.

Ich trage Mino auf: »Ruf Milan an. Wir gehen nach Mailand.«

Meine Herausforderung wird es sein, einen der renommiertesten Clubs der Welt wieder an die Spitze zu bringen. Wenn ich das schaffe, zählt das mehr als alles, was ich bei den anderen Teams erreicht habe.

Das ist mein Adrenalin.

 

Zunächst haben wir mit Paolo Maldini, dem Technischen Direktor, gesprochen, und ehrlich gesagt lief es überhaupt nicht gut.

Okay, ich habe beschlossen, zum AC Milan zu gehen, und ich habe mich selbst vorgeschlagen, aber wenn du mich willst, dann musst du mich unter Spannung setzen, du musst mir Vertrauen einflößen, du musst mir Begeisterung vermitteln, du musst mich überzeugen und sollst mir nicht ständig vorbeten, dass ich achtunddreißig bin.

Ich weiß selbst sehr gut, wie alt ich bin, wie viele Geburtstage ich gefeiert habe.

Paolo vermittelte mir keine Sicherheit, genau wie der Präsident von Neapel. Dann kam Zvonimir Boban, der Manager, zu den Verhandlungen hinzu, und endlich verstanden wir uns. Zvone war deutlich überzeugter von mir: »Zlatan, verlang, was du willst, ich gebe es dir.«

Genau so spricht man mit Ibra.

Und so kam Ibra nach Mailand zurück.

 

Ich kannte Stefano Pioli nicht sehr gut, aber das war kein Problem. Mir war das Verhältnis zu den Trainern nie sehr wichtig. Ich habe mich ihnen gegenüber immer sehr professionell verhalten. Nur mit Pep Guardiola gab es Probleme, aber die hatte er mit mir, nicht ich mit ihm. Ehrlich gesagt, habe ich immer noch nicht verstanden, welche. Seine Sache.

Ich habe mir die neuen Teamkollegen genau angesehen und mir sofort gesagt: Die wissen nicht, was es heißt, beim AC Milan zu spielen.

Mein altes Milan, das waren Leute wie Gattuso, Pirlo, Ambrosini, Nesta, Cafu, Thiago Silva … Die alte Garde eben. Wenn du dich im Training nicht ins Zeug gelegt hast, bekamst du was auf die Fresse. Sie sagten nicht viel, aber sie gaben dir zu verstehen, dass du einen Fehler gemacht hast.

Jetzt sah ich dagegen, dass fast alle im Training langsam machten. Aber das habe ich mir nicht lange angesehen. Ich war zum AC Milan gekommen, um Dinge zu ändern, um den Verein auf den Kopf zu stellen, um die Revolution zu wagen.

Ich nenne keine Namen, aber einen Teamkollegen habe ich gefragt: »Sag mal, warum rennst du nicht?«

Und er: »Das stimmt nicht, ich renne doch.«

Ich weiter: »Nein, du rennst nicht. Erwartest du etwa, dass jemand für dich rennt? Weißt du, wann ich für dich rennen werde? Wenn ich mit dir etwas gewinne, aber du hast in deinem Leben noch nichts gewonnen. Also fang endlich an, zu spielen und zu rennen.«

Danach rannte er wirklich.

Die Mannschaftsgefährten haben mir mit Respekt zugehört, aber auch mit einer Spur Angst. Ich habe ihre Reaktionen aufmerksam beobachtet: Wenn einer nach Kritik zusammenbricht, dann schafft er es nicht; wenn er wieder aufsteht und sich ändert, dann kann er es schaffen. Und genau solche Leute brauchten wir.

Wir mussten lernen zu leiden, mussten lernen, in jeder Sekunde des Spiels um jeden Zentimeter auf dem Platz zu kämpfen, wir mussten eine starke Einheit werden, eine einzige Seele, denn nur so würden wir siegen können.

Wir waren nicht mehr der AC Milan von vor zehn Jahren. Allein mit Qualität würden wir nicht weit kommen, denn die anderen waren viel stärker als wir. Wir konnten nicht hingehen und uns den Ball hin und her schieben und auf Tikitaka machen oder auf den geeigneten Moment für einen Geniestreich warten, wir mussten die Partie gewinnen, indem wir die gesamten neunzig Minuten alle gemeinsam kämpften.

Aber so eine Haltung lernst du nur, indem du jeden Tag im Training dein Bestes gibst.

Wenn ich jemanden sah, der das nicht tat, dann sagte ich ihm das direkt ins Gesicht, noch ehe Pioli etwas sagte; auch nicht unter vier Augen, sondern vor der gesamten Mannschaft, denn das, was ich einem sagte, galt auch für die anderen, die zuhörten.

Ich selbst bin im Training aufs Höchste motiviert, ich mache immer alle fertig.

Auf diese Weise ist nach und nach der Teamgeist gewachsen, die Opferbereitschaft, mein Feeling für die Gruppe, mein Verantwortungsgefühl gegenüber den Jungs. Jedes Mal, wenn ich in die Kabine ging, spürte ich, wie sie mich anschauten, als wollten sie mich fragen: »Ibra, was machen wir heute?«

Dieses Gefühl begeisterte mich. Es war genau die Herausforderung, die ich gesucht hatte.

Folglich wurden auch die Ergebnisse immer besser.

Doch nach dem Weggang von Boban im März 2020 änderte sich alles, und es wurde sehr chaotisch. Man konnte weder erkennen, wo Milan jetzt stand, noch, wo es hinwollte.

Wir Spieler, dazu Pioli und sein Team, wir fühlten uns wie ein einziger Körper, aber wir waren der Körper eines Dead Man Walking, der dem Tod auf dem elektrischen Stuhl entgegengeht.

Wenn, wie es hieß, der Deutsche Ralf Rangnick als neuer Trainer gekommen wäre, wären wir alle raus gewesen, nicht nur Pioli, sondern auch ich, der Technische Direktor Maldini, der Sportdirektor Frederic Massara. Alle.

Jeden Tag haben wir uns gesagt: Wir können diese Situation nur auf eine Weise bereinigen, und zwar durch Ergebnisse. Einwände, Reden und alles Blabla würden nichts bringen. Harte Arbeit, Sichquälen und Ergebnisse: Das war die einzig mögliche Antwort, der einzige Ausweg. Wir glaubten fest an das, was wir taten, und in dieser Atmosphäre der Unsicherheit wurden wir noch stärker.

Irgendwann im Juni 2020 habe ich dann beschlossen, dass es zu viele Gerüchte gab und dass jetzt die Situation geklärt werden musste. Vielleicht war es nicht der beste Zeitpunkt, denn am Tag danach mussten wir die Partie unseres Lebens spielen, das Halbfinale der Coppa Italia gegen Juve, aber Ivan Gazidis, der CEO, war im Milanello, und diese Gelegenheit musste ich nutzen.

Ich sprach ihn vor der ganzen Mannschaft an: »Ivan, bei allem Respekt, hier brauchen wir mal ein wenig Klartext. In einem Monat laufen viele Verträge aus. Was sollen wir tun? Sollen wir die Mietverträge für unsere Häuser verlängern? Keiner weiß es. Die Mannschaft für nächstes Jahr? Wir wissen es nicht. Es gibt keine Sicherheit. Wofür kämpfen wir? Die Mannschaft verdient Respekt und Antworten.«

Er dementierte eine Verpflichtung von Rangnick, bestätigte Pioli, und wir besprachen noch viele andere Dinge. Gazidis war noch nicht daran gewöhnt, wie er seine Rolle als CEO und Geschäftsführer ausfüllen sollte, wie man es in Italien macht, nämlich ganz nah am Team. Mir tat es im Herzen weh, denn ich erinnerte mich an den AC Milan von vor zehn Jahren mit einer starken Persönlichkeit und einer perfekten Organisation. Jetzt war alles so anders.

Ich verlangte ja gar nicht, dass alles wie früher sein sollte. Ich wusste, dass das unmöglich war. Ich bin ein Profi, ich passe mich der Situation an, aber ein Minimum an Dialog muss immer da sein. Und in der Tat wurde nach dieser Aussprache alles besser, denn wenn etwas an dir nagt, ist es das Schlaueste, das Ganze auf den Tisch zu bringen.

Ivan näherte sich der Mannschaft an. Paolo redete mehr mit mir und den anderen Spielern. Anfangs war er noch zu viel Fußballer und zu wenig Direktor. Wenn du dein Leben änderst, musst du vergessen, was du vorher warst. Die Mannschaft muss dich als Direktor respektieren, aber nicht für das, was du als Verteidiger geleistet hast. Paolo ist mit der Zeit gewachsen, an Haltung und Erfahrung.

Die Revolution im Milanello war geglückt.

Beim Training sah ich einen unglaublichen Hunger. Wenn wir verloren hatten, waren alle stinksauer. Inzwischen hatten sie die richtige Einstellung. Endlich hatten alle kapiert, wie es bei Milan läuft. Und ich arbeitete hart, um mit gutem Beispiel voranzugehen.

Es gab Tage, an denen ich völlig zerschlagen war, Pioli fiel das auf, und er sagte im Training dann zu mir: »Zlatan, jetzt lässt du mal eine Laufeinheit aus.«

Dann erklärte ich ihm: »Mister, wenn ich sie mache, dann machen sie alle und hören mir zu, wenn ich rede. Sonst werde ich nur zu einer Mogelpackung.«

Und wirklich dachten alle: Wenn Ibra läuft, dann müssen wir auch laufen, denn nur so hat er all das gewonnen, was er gewonnen hat. Und wir müssen es genauso machen wie er.

Nur bei Rafael Leão habe ich bis jetzt nicht den richtigen Knopf gefunden, um ihn aufzuwecken. Ich habe alles probiert, ich war sanft zu ihm, war hart zu ihm oder habe ihn ignoriert. Bei allen habe ich es geschafft, nur bei ihm nicht. Letztendlich bin ich zu dem Schluss gekommen, wenn einer nicht von allein aufwacht, dann kann man nur wenig machen.

Çalhanoğlu dagegen hat auf mich gehört. Ich sagte zu ihm: »Hakan, weißt du, was es heißt, die Nummer 10 bei Milan zu tragen, wie viel Geschichte dahintersteht? Weißt du, wer alles dieses Trikot schon getragen hat? Du musst wichtige Tore schießen, und bis jetzt kam von dir rein gar nichts.«

Ich habe ihn angetrieben und angetrieben, bis er endlich die Eier in der Hose hatte und eine Schippe zulegte. Mit Teamkollegen wie Hakan zusammenzuspielen war nun wesentlich einfacher. Viele der Jungs sind auch in ihrer Persönlichkeit gewachsen. Gianluigi Donnarumma zum Beispiel. Als ich ihn kennenlernte, bekam er fast nie den Mund auf. Ich habe ihn gezwungen, auf dem Platz herumzubrüllen. »Gigio, erzähl mir nicht, dass du jung bist, das interessiert mich nicht. Du bist hier, weil du stark und gut bist. Du musst dem Team helfen, seine Mission zu erfüllen.«

Ich durfte nicht der Einzige sein, der auf dem Spielfeld das Wort ergriff. Ich wollte ganz langsam auch andere Führungspersönlichkeiten aufbauen.

Als die Ultras ins Milanello kamen, um Donnarumma, der bei der Vertragsverlängerung zögerte, zu bedrängen, habe ich der Chefetage gesagt: »Lasst mich raus und mit ihnen reden. Hier haben wir gemeinsame Ziele, Einzelwünsche zählen nicht. Die Fans können sich immer noch am Ende der Meisterschaft äußern, jetzt fighten wir, um in die Champions League zu kommen. Ich werde ihnen sagen: Wollt ihr im nächsten Jahr die Champions League sehen oder nicht? Dann stört uns nicht weiter, kommt, wenn alles vorbei ist, dann könnt ihr schreien oder was immer ihr wollt. Wie kann man jetzt Gigio bedrohen? Wir brauchen Gigio. Wo landen wir wohl ohne ihn?«

Aber sie haben mich nicht rausgelassen.

Wir sind gewachsen und haben eine großartige Saison gespielt. Dass Inter den Scudetto gewinnen könnte, hatten im Sommer alle vorhergesagt. Dass Milan auf den zweiten Platz kommen würde, hatte niemand auf dem Plan. Was wir erreicht haben, ist sehr viel größer als das, was die erreicht haben. Sicher, wenn wir dann auch noch die Meisterschaft gewonnen hätten, wäre es noch mal eine ganz andere Geschichte gewesen. Ich hatte ab dem ersten Tag der Saison 2020/2021 daran geglaubt, dass wir den Scudetto gewinnen würden, denn wir hatten einen Lauf.

Pioli hatte es drauf, das Beste aus den ihm zur Verfügung stehenden Spielern herauszuholen. Mit seiner Organisation und unserem neuen Teamgeist standen wir lange Zeit an der Spitze. Als wir in ein Leistungsloch fielen, hätte uns die Qualität der einzelnen Spieler oben halten müssen. Aber wir hatten nicht so viel individuelle Klasse im Kader wie andere Mannschaften und fielen in der Tabelle zurück.

Eines Tages schoss mir in der Kabine eine Frage durch den Kopf: »Hand hoch, wer schon mal eine Champions-League-Partie gespielt hat.«

Nur bei Ciprian Tătăruşanu und Çalhanoğlu ging die Hand hoch. Ich war entsetzt.

Wenn Inter fünf Spieler auswechselte, kamen fünf gleichwertige oder stärkere Spieler auf den Platz, bei uns höchstens gleichwertige oder welche mit weniger Erfahrung. Daher habe ich dem Club vorgeschlagen: »Wir müssen dafür kämpfen, dass wieder nur drei Spieler ausgewechselt werden dürfen, sonst sind Inter und Juve dadurch im Vorteil.«

Aber obwohl wir keine so starke Mannschaft hatten, und trotz der vielen Verletzungen, haben wir es dennoch allen gezeigt. Niemand hatte an uns geglaubt, nur wir waren davon überzeugt, dass wir es schaffen konnten. Und wir haben den zweiten Platz gemacht.

Vor dem entscheidenden Spiel gegen Atalanta Bergamo am letzten Tag der Meisterschaft habe ich zu den Jungs gesagt: »Wisst ihr noch, wie ich euch gefragt habe, wer von euch schon mal in der Champions League gespielt hat? Mit diesem Spiel jetzt könnt ihr eure Antwort ändern. Wollt ihr in der nächsten Saison Champions League spielen? Dann zeigt das auf dem Platz!«

Und als wir aus der Kabine kamen, habe ich vor dem Anpfiff erklärt: »Heute gewinnen wir!« Ich war mir sicher. Ich musste die Partie gar nicht abwarten. Ich hatte das in den Augen der Jungs gesehen, ich hatte all diese positive Anspannung wahrgenommen, die in der Kabine herrschte.

Sie spielten eine perfekte Partie, mit Teamgeist, Opferbereitschaft und Leidensfähigkeit, ohne den Ball aufzugeben, ohne einen Zentimeter vom Platz kampflos zu überlassen. Wir waren Milan, der wahre AC Milan, mit dem Herzen, das wir in den Monaten im Milanello hart trainiert hatten.

Ausgerechnet gegen Atalanta Bergamo, die Pioli fünf Treffer eingeschenkt hatten, als ich noch in Los Angeles auf der Suche nach einer Herausforderung war, die mir das Blut in den Adern pulsieren lassen würde. Eine Herausforderung, die ich gefunden und erfolgreich gemeistert habe, nicht nur im Hinblick auf die Ergebnisse.

Seit ich Fußball spiele, habe ich noch nie eine so starke Verbundenheit zu meinen Teamkollegen gespürt. Ich habe mich in keiner Kabine jemals so geliebt gefühlt.

Was ich ein paar Wochen zuvor auf der Bühne des Festivals von Sanremo gesagt hatte, war keine Show gewesen, ich hatte das wirklich so empfunden: Ich vermisste die fünfundzwanzig Söhne, die ich in Mailand zurückgelassen hatte.

Die meine zweite Familie sind.

 

Und so habe ich Milan auf den Kopf gestellt.

Ich hatte schon immer eine geheime Vorliebe für Fallrückzieher, bei denen für mich alles auf dem Kopf steht.

Der schönste? Na, das ist keine Frage, oder?

Erst mal, weil der gegen die Engländer war, die immer schlecht über mich geredet haben: Ibra hat noch nie ein Tor gegen England gemacht, Ibra hat noch nie gegen eine englische Mannschaft getroffen, Ibra hat die Premier League immer gemieden, Ibra ist eine Diva und bla, bla, bla … Sie hatten mich auf dem Kieker, seit ich in Holland spielte, und dann sind sie an mir drangeblieben und sind mir nach Italien und Frankreich gefolgt.

Okay. Dann kommt dieses Spiel gegen sie.

Es ist der 14. November 2012, die Partie, mit der die Friends Arena, das neue Stadion von Solna, einem Vorort von Stockholm, eingeweiht werden soll. Es ist nur ein Freundschaftsspiel, aber für mich ist es viel mehr. Ich muss endlich mit den Engländern abrechnen.

Wenn abseits des Platzes so viel gelästert wird, dann bin ich aufgeladen bis zum Maximum. Ich habe Kritik immer als »Öl ins Feuer« benutzt, um mehr geben und mehr beweisen zu können.

Seit ich ein Teenager war, hatte ich immer die Presse an den Hacken, im Guten wie im Bösen. Ich stand immer im Fokus. Natürlich war ich auch selbst daran schuld, ich redete zu viel, ich sagte, ich sei der Tollste von allen oder so was in der Art, weil ich großes Selbstvertrauen hatte. Deshalb griff man mich doppelt so scharf an, auch persönlich, wenn ich einen Fehler machte. Und ich fühlte mich danach noch stärker.

An diesem Abend singen die englischen Fans: »Du bist nur ein falscher Andy Carroll«, das ist ihr Mittelstürmer, der etwa so groß ist wie ich.

Dann der Anpfiff im ausverkauften Stadion, sechzigtausend Zuschauer. Ab der ersten Minute herrscht Krieg.

Die Engländer wollen etwas beweisen, und wir dürfen zu Hause kein schlechtes Spiel abliefern, ausgerechnet in unserem neuen Stadion. Ich trage die Nummer 10 auf dem Rücken und die Kapitänsbinde am Arm. Zwanzig Minuten später steht es 1 : 0 für uns: eine flache Flanke, ich gehe zum Ball, es kommt zu einem Zweikampf, der Ball bleibt liegen, ich treffe ihn im Nachsetzen mit der Spitze, Tor.

Okay, habe ich mir gesagt, ich habe das erste Tor im neuen Stadion geschossen. Das wird in die Geschichte eingehen.

England reagiert und zieht an uns vorbei: 2 : 1.

Ich gehe wieder zum Ball, stoppe ihn mit der Brust, Schuss: 2 : 2. Bei der Aktion verletzt sich jedoch ein englischer Verteidiger, Gary Cahill, daher ist mir nicht nach Jubeln, und außerdem war es ja bloß der Ausgleich. Einen Ausgleich bejubele ich nicht. Wie in Bergamo am letzten Tag der Meisterschaft, als Milan gewann und sich für die Champions League qualifizierte. Alle auf dem Platz jubelten. Natürlich war ich sehr glücklich, aber ich jubelte nicht. Ich jubele nicht über einen zweiten Platz. Das habe ich nie gemacht und werde ich auch nie: Ich jubele nur über einen Sieg.

Man gibt uns einen direkten Freistoß. Ich schieße ihn fest, ein flacher Ball, er trifft in eine Ecke des Tors. 3 : 2 für uns. Ich habe einen Hattrick in unserem neuen Stadion geschafft. Was sollten die Engländer jetzt noch sagen?

Dass es ja nur ein Freundschaftsspiel war, bla, bla, bla …

Die Zuschauer beginnen schon zu gehen, denn die Parkplätze sind noch nicht fertig, und mit dem Auto her- und wieder wegzukommen, ist schwierig. Deswegen verlassen die Leute vorzeitig das Stadion. Es ist kurz vor Schluss der Partie. Dann kommt dieser lange Pass von unserer Verteidigung, eigentlich eher, um Zeit zu schinden, als aus irgendeinem anderen Grund.

Der Instinkt befiehlt mir: »Geh hin!« Erst beim Laufen werde ich sehen, ob ich ihn kriege oder nicht.