Al Capone - Alfred Hornung - E-Book

Al Capone E-Book

Alfred Hornung

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Beschreibung

Treusorgender Familienvater, knallharter Mafia-Boss und Liebling der Massen Schutzgelderpressung, Prostitution, illegales Glücksspiel, organisierte Kriminalität: Al Capone, genannt Scarface, war ein erfolgreicher Geschäftsmann der Chicagoer Unterwelt. Rigoros nutze der mehrfache Mörder die Aufstiegschancen des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Seine kriminelle Karriere begann bereits in seiner Geburtsstadt New York, wo er als Kind europäischer Einwanderer mit Diskriminierung konfrontiert wurde. Doch er forderte für sich einen Anteil am amerikanischen Traum ein - ein Ziel, dass er radikal verfolgte. Prof. Dr. Alfred Hornung zeichnet in seiner konkurrenzlosen Biografie Al Capones Werdegang nach. Dabei beleuchtet er auch den Mythos, in dem spürbar die Faszination für brutale Gewalt mitschwingt, die Alphonse Gabriel »Al« Capone geschickt hinter Seriosität und Freundlichkeit verbarg. - Die Anfänge: Mitglied in Jugendbanden und "Lehrling" des Mobsters Frankie Yale - Alles für die Familie: Ehemann, Vater und Kapitalverbrecher - Weggang aus New York und Aufbau des Chicago Outfit - Bandenkriege, Valentinstag-Massaker und erste Gefängnisstrafen - Abstieg des Chicago-Gangsters: Wegen Steuerhinterziehung nach Alcatraz Ein amerikanischer Mythos, der weiterlebt Al Capone übte schon zu Lebzeiten eine eigentümliche Faszination auf seine Mitmenschen aus. Während der Prohibition machte er sich durch illegalen Alkoholhandel bei den Einwohnern von Chicago trotz zwielichtiger Machenschaften auch Freunde. Das Bild des fürsorglichen Familienvaters, der im Alter von 48 Jahren an den Spätfolgen einer Syphilis-Erkrankung stirbt, zeigt ebenfalls deutlich seinen ambivalenten Charakter, der vielleicht gerade auf Grund dieser Unvereinbarkeiten bis heute fesselt. Alfred Hornung hat sich auf Spurensuche begeben und präsentiert eine Biografie, die spannende Einblicke in das Leben des Mannes bietet, der den Typus des amerikanischen Gangsters prägte wie kein anderer!

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Seitenzahl: 401

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

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wbg THEISS ist ein Imprint der wbg.

Copyright © 2021 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt

Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht.

Lektorat: Mechthilde Vahsen, Düsseldorf

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-8062-4129-7

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:

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Inhaltsverzeichnis

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Impressum

Inhalt

Vorwort

Italiener in New York

Süditaliener im amerikanischen Schmelztiegel

Schulzeit und Streetgangs

Kriminelle Karriere und der amerikanische Traum

Narbengesicht

Konventionelle Lohnarbeit und kriminelle Nebenjobs

Liebesleben und Vaterschaft

Familienvater und Kapitalverbrecher

Boss in Chicago

Prohibition und Verbrechen

Aufbau eines Imperiums

Firmensitz in Cicero

Gnadenloser Wettbewerber

Bandenkriege

Auszeit

Valentinstag- Massaker

Im Netz der Justiz

Abrechnung mit Gegnern

Selbstgewählte Schutzhaft

Veränderte Weltsicht nach dem Börsenkrach

Prozess wegen Steuerhinterziehung

In Haft

Leben nach dem Tod

Krankheit und Pflege

Ruhm und Nachleben

Der Mythos lebt

Bibliografie

Personenregister

Werkregister

Abbildungsverzeichnis

VorwortAl Capone – Ein amerikanischer(Alb-)Traum

Während der Präsidentschaft von Donald J. Trump wurden wiederholt Vergleiche zu Al Capone, dem legendären Gangsterboss im Chicago der 1920er-Jahre, gezogen. Donald Trump selbst hat die in seinen Augen ungerechte strafrechtliche Verfolgung seines Wahlkampfmanagers Paul Manafort 2018 mit der seiner Einsicht nach ebenso ungerechten Behandlung Al Capones verglichen. Die Vergabe von Lizenzen für die Betreibung von Spielcasinos an Nachfahren der amerikanischen Ureinwohner, die seinen eigenen Spielhallen Konkurrenz machen würden, hat Trump schon 1993 als das schlimmste Verbrechen seit Al Capone bezeichnet. Eine weitere Parallele findet sich in den Recherchen der New York Times im Zusammenhang mit der Weigerung des 45. Präsidenten, seine Steuererklärungen offenzulegen. Dank cleverer Steuerberater und Abschreibungen habe Donald Trump für die Jahre 2018 und 2019 jeweils nur 750 Dollar an Steuern gezahlt. Dabei berief er sich wie einst Al Capone vor Gericht auf das allen Bürgern gemeinsame Bestreben, möglichst wenige Steuern an den Staat abführen zu müssen. Die Presse legte weitergehende Parallelen nahe mit dem Verweis darauf, dass Al Capone wegen Steuerhinterziehung angeklagt wurde, weil man ihn mangels Beweisen nicht für seine Kapitalverbrechen belangen konnte. Gerne wird in diesem Zusammenhang die wohl schon bei Trumps Vater bestehende Verbindung zwischen dem Baugewerbe und dem organisierten Verbrechen erwähnt, die sich in der nachfolgenden Generation fortgesetzt habe. Die Nichte Donald Trumps, Mary L. Trump, hat in ihrem Enthüllungsbuch Zu viel und nie genug: Wie meine Familie den gefährlichsten Mann der Welt erschuf (2020) auf den kontinuierlichen Betrug als die Lebensmaxime des Familienimperiums hingewiesen. Meist unerwähnt bleibt die Geschichte des Großvaters Friedrich Trump aus Kallstadt an der Weinstraße, der 1885 als 16-Jähriger in die USA eingewandert war und nach kurzer Tätigkeit als Friseur in New York ein Hotel im Rotlichtmilieu von Seattle an der Westküste betrieb und von dort aus sein Glück im Goldrausch am kanadischen Yukon versuchte. Seine geplante Wiedereingliederung in die deutsche Gesellschaft als mittlerweile eingebürgerter Amerikaner scheiterte bei einem Heimatbesuch, bei dem er die frühere Nachbarstochter Elisabeth heiratete und sich mit ihr schließlich 1905 dauerhaft in New York niederließ. Dort startete er die amerikanische Erfolgsgeschichte des späteren Trump-Imperiums zunächst als Inhaber eines gutgehenden Friseursalons an der Wall Street und dann als Immobilienmanager. 1918 wurde er eines der ersten Opfer der verheerenden Pandemie der Spanischen Grippe. Später übernahm der 1905 in New York geborene Sohn Fred das unter seiner Leitung florierende Immobiliengeschäft, bevor er es 1971 als Multimillionär an seinen Sohn Donald übergab.

Der wiederholt angestellte Vergleich von Donald Trump mit Al Capone verweist auch auf die Geschichte der Einwanderung um die Jahrhundertwende 1900 und den Prozess der Amerikanisierung. Die Schwierigkeiten der deutschen Trump-Familie und der italienischen Capone-Familie bei der Integration in die primär von weißen angelsächsischen Protestanten, den WASP (White Anglo-Saxon Protestants), bestimmte amerikanische Gesellschaft sind zweifellos vergleichbar. Auf der Suche nach Möglichkeiten der Überwindung des durch eine andere Sprache markierten Außenseiterdaseins wurden neben dem sowohl von Friedrich Trump als auch von Al Capones Vater ausgeübten Friseurhandwerk auch unlautere Mittel im Wettbewerb um den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstieg eingesetzt. Die traditionellen arrivierten amerikanischen Wirtschaftsgrößen, die wie John D. Rockefeller, Cornelius Vanderbilt, Andrew Carnegie, J.P. Morgan oder Leland Stanford vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem Einsatz ähnlicher Mittel erfolgreiche Unternehmen gegründet hatten, machten sich die entstehenden Diskriminierungsmechanismen gegenüber den Neuankömmlingen bei der Abwehr von Konkurrenz zunutze. Besondere Ereignisse wie der Erste Weltkrieg, die Pandemie der Spanischen Grippe oder der Erlass der Prohibition intensivierten die radikale Trennung zwischen den sogenannten „100 Prozent Amerikanern“ und den in ihren ethnischen Vierteln lebenden europäischen Einwanderern, deren Anzahl um die Jahrhundertwende exponentiell anstieg. Sichtbare Zeichen der Differenz vom „weißen Standard“ betrafen etwa auch orthodoxe Juden aus Osteuropa und dunkelhäutige Süditaliener. Für viele Einwanderer, die oft schon in ihren Heimatländern von den Verlockungen des „amerikanischen Traums“ gehört hatten und dadurch zur Auswanderung motiviert wurden, wirkte dieses Motivationspotenzial für einen künftigen Aufstieg im sprichwörtlichen Land der ungeahnten Möglichkeiten als eine Art Kompensation für die bisher erfahrene Diskriminierung. Allerdings war die Verfolgung des amerikanischen Traums auch Teil eines Verteilungskampfes der verschiedenen Gruppierungen in Amerika um mögliche Erfolgsmodelle in dem den puritanischen Siedlern „verheißenen Land“. Der 44. Präsident der USA, Barack Obama, hat in seinen autobiografischen Werken die im Lauf der Geschichte primär für weiße Bürger reservierten Segnungen des amerikanischen Traums für alle ethnischen Gruppen reklamiert und mit dem Titel seiner 2020 erschienenen Memoiren Ein verheißenes Land der von Puritanern exzeptionell beanspruchten Verheißung eine für alle offene Versprechung entgegengestellt.

Die Frage nach der Deutungshoheit über den amerikanischen Traum bestimmte die Geschichte Amerikas als eines klassischen Einwanderungslands von Anfang an. Die in Europa zirkulierenden Berichte über die Verlockungen des mit dem Land Amerika verbundenen Traums für Arme oder politisch und religiös Verfolgte haben auch viele Italiener, insbesondere im wirtschaftlich benachteiligten Süden, veranlasst, um die Jahrhundertwende 1900 in die USA aufzubrechen und dort einen neuen Anfang zu wagen. Al Capones aus der Umgebung Neapels stammende Eltern kamen zusammen mit ihren ersten beiden Söhnen 1895 in den USA an und ließen sich in New York im italienischen Viertel von Brooklyn nieder. Der Vater gab seinen in Italien ausgeübten Bäckerberuf auf und erlernte das Friseurhandwerk, während die Mutter neben ihrer Tätigkeit als Näherin sich um die ständig wachsende, schließlich acht Kinder umfassende Familie kümmerte. Al Capone wurde im Januar 1899 als vierter Junge der strenggläubigen Familie geboren und in der katholischen St. Michael-St. Edward Kirche getauft. Kindheit und frühe Jugend waren von Kontakten und Rivalitäten mit den in getrennten Bezirken lebenden deutschen, irischen und jüdischen Einwanderergruppen geprägt. Hilfen für die Mitglieder ihrer Kirchengemeinde und gemeinsame Baseballspiele wechselten mit Auseinandersetzungen mit anderen ethnischen Gruppen zur Behauptung der eigenen Lebensweisen ab. Seine Schulzeit beendete Al nach der 6. Klasse mit 14 Jahren, perfektionierte sein Billardspiel und schloss sich der Five-Points-Jugendgruppe an, die sich für Recht und Ordnung im Miteinander mit anderen ethnischen Gruppen einsetzte. Durch die Bekanntschaft mit Johnny Torrio, einem auf der anderen Seite des Gesetzes arbeitenden Organisator, wurde Al bald in die Mechanismen von Schutzgelderpressung, Prostitution und Wettspiele eingeweiht. Als Barkeeper in Frankie Yales „Harvard Inn“ machte er erste Erfahrungen mit kriminellen Aktivitäten in der Auseinandersetzung zwischen den irischen White Handers und den italienischen Black Handers und zog sich bei einem Kampf die ihn als „Narbengesicht“ kennzeichnende Verletzung zu.

Neben den Tätigkeiten für Torrio und Yale ging Al Capone einer regulären Arbeit in einer Papierfabrik nach, wo er seine Frau Mae Coughlin, die Tochter einer großen irischen Einwandererfamilie, kennenlernte und kurz nach der Geburt ihres Sohnes im Dezember 1918 trotz des Widerstands ihrer Mutter gegen die Ehe mit einem Süditaliener heiratete. Ungeachtet seiner zahlreichen Affären, bei denen er sich früh eine an Frau und Kind weitergegebene Syphilis-Erkrankung zuzog, war er der Familie liebevoll verbunden und sorgte zeitlebens für die Mitglieder sowohl der irischen als auch der italienischen Familie, für die er nach der Verlagerung seiner Geschäfte in den Mittleren Westen ein Haus in Chicago kaufte. Der Erlass der Prohibition im Januar 1920, der die Herstellung, den Transport und den Verkauf von Alkohol landesweit verbot, wurde zur willkommenen Geschäftsgrundlage für den Aufbau der als „Outfit“ bekannten Capone-Organisation, die anfänglich in Kooperation mit seinem Partner Johnny Torrio ausgehend von Chicago und Umgebung schließlich ganz Amerika mit Alkohol versorgte. Durch die ambivalente Einstellung der Behörden gegenüber der Prohibition, die von strikter Einhaltung über Duldung bis zur Kollaboration reichte, konnte eine vielseitige Freizeit- und Unterhaltungsindustrie mit Flüsterkneipen, Spielhöllen, Wettbüros und Prostitution entstehen. Probleme ergaben sich im Kampf um Absatzmärkte und Einflussbereiche zwischen den zahlreichen Gangs in Chicago, die in brutale sogenannte „Bierkriege“ ausarteten und der Stadt das Image eines unbeherrschbaren Mekkas des Verbrechens eintrug. Höhepunkt einer Reihe von kriminellen Kapitalverbrechen war die von Al Capone in Abwesenheit orchestrierte Ermordung von sieben Mitgliedern einer mit seinen Geschäften konkurrierenden Gang am Valentinstag 1929. Die enge Zusammenarbeit von korrupten Politikern mit dem organisierten Verbrechen sowie die Angst möglicher Zeugen vor Repressalien verhinderten effektiv jede Strafverfolgung, sodass besorgte Bürger der Stadt sogar den Präsidenten in Washington um Abhilfe durch Einsatz von Bundesbehörden baten mit dem Ziel, Al Capone durch ein Gerichtsverfahren aus dem Verkehr zu ziehen. Aus Angst vor der doppelten Verfolgung durch Rache von Konkurrenten und Strafverfolgung der Justiz erwarb Capone – auch auf Bitten seiner Frau – einen zweiten Wohnsitz am Miami Beach in Florida, um sich allmählich aus dem gefährlichen Geschäft zurückzuziehen. Nur den unermüdlichen Recherchen der Justizbehörden und der Entdeckung von geheimen Kassenbüchern ist es zu verdanken, dass Al Capone wegen nicht abgegebener Steuererklärungen und Steuerhinterziehung der Prozess gemacht werden konnte, der im Oktober 1931 mit einem Schuldspruch durch den gegen jede Korruption gefeiten Richter und der Verurteilung zu insgesamt 11 Jahren Gefängnis endete. Sicher trug auch die unkluge Strategie seiner Verteidiger zu diesem Strafmaß bei, die die Mentalität der aus dem ländlichen Umland rekrutierten Jurymitglieder falsch einschätzten. So verfehlte die von ihnen vorgebrachte Einlassung, Al Capone sei aufgrund des Vorurteils der weißen amerikanischen Gesellschaft gegenüber seiner als kriminell eingestuften italienischen Abstammung verurteilt worden, ihre Wirkung. Nach der erfolglosen Revision musste Al Capone im Mai 1932 die Haft unverzüglich zunächst im Bundesgefängnis in Atlanta antreten, bevor er als besonders prominenter Häftling im August 1934 in das neu eingerichtete Hochsicherheitsgefängnis von Alcatraz auf einer Insel in der Bucht von San Francisco überführt wurde. Die lange Haftzeit, in der er von vielen Mithäftlingen wegen vermeintlicher Vorzugsbehandlung angefeindet wurde, wurde durch die vermehrt auftretenden Auswirkungen seiner Syphilis-Erkrankung stark beeinträchtigt, sodass er 1939 zur Behandlung in das Krankenhaus der Justizvollzugsanstalt in Los Angeles verlegt und schließlich im November 1939 vorzeitig wegen guter Führung entlassen wurde mit der Auflage, sich von Dr. Joseph E. Moore am Johns Hopkins Hospital in Baltimore behandeln zu lassen. Im März 1940 kehrte er nach fast neunjähriger Abwesenheit und physischer Isolation auf sein Anwesen Palm Island in Miami zurück.

Die letzten Jahre bis zu seinem Tod im Januar 1947 waren gezeichnet von den verheerenden Auswirkungen seiner von Demenz begleiteten Erkrankung, die zunehmend unkalkulierbare Verhaltensweisen auslöste. Neben den fortgesetzten Nachforschungen der Steuerbehörden nach dem Verbleib möglicherweise versteckter Gelder und einer Schar von informationsgierigen Journalisten vor seinem Anwesen war sein Alltag vom behüteten Umgang mit der Familie bestimmt. Besonders erfreut war er über die Hochzeit seines Sohnes mit der Tochter irischer Einwanderer und die aus dieser Verbindung hervorgehenden vier Enkelkinder. Als Al nach langer Leidenszeit am 25. Januar 1947, wenige Tage nach seinem 48. Geburtstag, an einem durch Lungenentzündung verursachten Schlaganfall im Kreis seiner Familie starb, kommentierte die Presse gehässig das unrühmliche Ende des einst allmächtigen Gangsterbosses, der abgeschirmt von der Öffentlichkeit im Familiengrab in Chicago beigesetzt wurde.

Auf seinen Nachruhm hatte Al Capone schon zu Lebzeiten hingearbeitet. Allerdings gibt es außer Zeitungsinterviews und Aussagen bei Verhandlungen oder vor Gericht keine eigenen Schriftdokumente, auch weil seine Frau die zwischen ihr und Al während seiner Haftzeit ausgetauschten Briefe bewusst vernichtete. Eine Autobiografie aus der Hand eines Ghostwriters, mit der er das kritische Bild über sich in der ersten, schon 1930 erschienenen Biografie korrigieren wollte, kam wegen Differenzen in der Konzeption nicht zustande. Sein an der historischen Statur des französischen Kaisers Napoleon orientiertes Selbstverständnis – er hatte dessen Biografie während der Haft gelesen – war nicht vermittelbar. Ersten Filmen mit Bezug auf seine Lebensgeschichte gab Al Capone noch vor seiner Verurteilung und Haft sein Plazet. Nach dem 2. Weltkrieg wurde er posthum durch das entstehende Genre des Gangsterfilms zum prominenten Sujet der amerikanischen Kulturindustrie, die in zahlreichen Varianten den anfänglichen Spagat zwischen Heroisierung einerseits und Ablehnung der Gewalt andererseits aufgab und die Lust an spannender Action etwa in den unter der Regie von Brian de Palma gedrehten Streifen Scarface (1983) oder Die Unbestechlichen (1987) mit Sean Connery und Robert de Niro in den Vordergrund rückte. Gemeinsam war diesen Bearbeitungen das durchgängig mit Al Capones Leben verbundene Thema der Diskriminierung und Kriminalisierung italienischer Amerikaner, wobei die Darstellung des amerikanischen Traums mit dem organisierten Verbrechen verschränkt wurde. Beispiele von Anleihen aus Capones Leben und Wirken in der Hip-Hop-Musik, in Videospielen und kulturellen Veranstaltungen verweisen auf die kreative Energie und Imagination unterprivilegierter und unterrepräsentierter Gruppen nicht nur in der amerikanischen Gesellschaft, sondern weltweit. Gleichzeitig wird im akademischen Bereich der kulturgeschichtliche und politische Kontext der Entstehung einer Parallelgesellschaft anhand von Al Capones mit kriminellen Mitteln erreichten Wirtschaftsimperiums untersucht. Ein Kurs an der Harvard Business School analysiert die marktwirtschaftliche Struktur der Capone-Organisation, und der amerikanische Juristenverband veranstaltet als Mock Trial eine Wiederholung des Strafprozesses wegen Steuerbetrugs.

National und international ist das Phänomen Al Capone insbesondere in jüngster Zeit für die Analyse aktueller Ereignisse genutzt worden. So sind die durch die Pandemie des Coronavirus verfügten Einschränkungen des öffentlichen Lebens in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 8. November 2020 mit den durch die Prohibition erlassenen Verboten und kreativen Möglichkeiten des Umgehens persönlicher Restriktionen mit illegalen Aktivitäten Al Capones verglichen worden. Diese Vergleiche betreffen auch das politische System der Demokratie und den Ablauf demokratischer Prozesse. Durch die Kollusion von korrupten Politikern mit Al Capones Organisation und anderen Gangs in Chicago wurden vor allem die Wahlen durch Betrug im Sinne der Gesetzesbrecher verändert. Dies führte schließlich dazu, dass Aufgaben des Staates nicht mehr von den zuständigen Gremien ausgeführt werden konnten, sondern von Vertretern des organisierten Verbrechens übernommen wurden. Durch die Organisation von Suppenküchen für die arme Bevölkerung nach dem Börsenkrach in der Weltwirtschaftskrise konnte sich Al Capone als Wohltäter der Menschheit feiern (lassen), der seine italienischen Landsleute zudem bei der Verwirklichung ihres amerikanischen Traums unterstützte. Donald Trumps erklärte politische Außenseiterrolle und seine damit gerechtfertigte Intention einer Disruption der Demokratie schließt die auch von Capone praktizierte Konstruktion einer auf Lügen basierenden alternativen Realität, die Skepsis gegenüber Wahlen, den Vorwurf des Wahlbetrugs und die Forderung nach Straffreiheit ein. Nicht von ungefähr konnte Trump 2016 im Wahlkampf in Iowa behaupten, dass er jemanden auf der Fifth Avenue in New York erschießen könnte, ohne dadurch einen einzigen Wähler zu verlieren. Es verwundert nicht, dass amerikanische Journalisten ihn wie Capone als „mobster“ bezeichnen, der wie ein Mafiaboss redet (Bogart 2021).

Die Aufgabe, eine Biografie über Al Capone zu schreiben, begegnet vielen Schwierigkeiten. Durch das Fehlen exakter Dokumente über sein Leben und seine Geschäfte müssen viele Bezüge und Entwicklungen kontextuell erschlossen werden. Darstellungen aus dem Kreis von Verwandten können durch Fehlleistungen der Erinnerung von direkt betroffenen Familienmitgliedern, wie seiner Frau Mae, seinem Sohn Albert Francis, genannt Sonny, und dessen Frau Diana Ruth Casey beeinträchtigt oder bewusst zur eigenen Selbstdarstellung und für kommerzielle Zwecke erdacht sein. Eine weitere Fehlerquelle liegt in der Vielzahl der vorhandenen historischen und biografischen Behandlungen sowie wissenschaftlichen Untersuchungen, die von unterschiedlichen Fakten zum Ablauf der Karriere oder des privaten Lebens von Al Capone ausgehen. In der Folge ist eine Reihe von Mythen entstanden, die sich wildwuchernd fortpflanzen und zum Gegenstand einer damit florierenden Kulturindustrie geworden sind, in der die Welt des organisierten Verbrechens das Hauptthema darstellt. Der Ausgangspunkt meiner Sicht auf Al Capone ist die Darstellung seines Lebens aus der Perspektive der durch seine süditalienische Abstammung in der zweiten Einwanderergeneration gekennzeichneten Stellung als Außenseiter, der durch die Realisierung des amerikanischen Traums seinen persönlichen Aufstieg und seinen Einstieg in die amerikanische Gesellschaft erreichen will. Die durch Ausschlussmechanismen der etablierten Wirtschaftselite bestehenden Widerstände führen unter den besonderen historischen Verhältnissen der 1920er-Jahre zu unentschuldbaren Kapitalverbrechen und seinem Ruf als Gangsterboss, hinter dem durch die öffentliche Wahrnehmung der Mensch verschwindet. Es stellt sich die Frage, inwiefern bessere Bedingungen bei der Eingliederung in die bestehenden Strukturen der Gesellschaft solche kriminellen Fehlentwicklungen und das Entstehen von kriminellen Clans des organisierten Verbrechens hätten verhindern können. Die aktuelle Abschottung von unwillkommenen Migranten in den USA ebenso wie partiell in Europa zeitigt ähnliche Verhaltensweisen, die durch eine ernstgenommene Inklusion von Diversität gesteuert werden könnten.

Die Fertigstellung dieser Biografie verdanke ich dem Zusammenwirken zahlreicher Faktoren und geschichtlicher Konstellationen. Vor allem wurden die vorliegenden Untersuchungen und Bearbeitungen kritisch gesichtet und in der Darstellung berücksichtigt. Als besonders aufschlussreich und aktuell haben sich Deirdre Bairs Biografie Al Capone: His Life, Legacy, and Legend (2016), die Erinnerungen von Capones Frau in der Aufzeichnung ihrer Enkelin Diane Patricia Capone (2019) und die historische Studie von John J. Binder, Al Capone’s Beer Wars: A Complete History of Organized Crime in Chicago during Prohibition (2017) erwiesen. Die von Mario Gomes eingerichtete und ständig aktualisierte Internet-Seite „My Al Capone Museum“ ist ein unerlässlicher Quellenschatz von Text- und Bildmaterial für alle Capone-Interessierten. Alle aus diesen amerikanischen Quellen zitierten Texte von und über Al Capone wurden von mir übersetzt. Bei der Konzeption der Biografie konnte ich auf die Ergebnisse des seit vielen Jahren in der Amerikanistik am Obama Institute for Transnational American Studies der Johannes Gutenberg-Universität betriebenen Forschungsschwerpunktes „Life Writing“ und die dort erarbeiteten Studien zu allen Formen von Lebensbeschreibungen in verschiedenen Medien zurückgreifen. In diesem Rahmen habe ich für besonders motivierte Studierende des neu eingerichteten Q-Studiengangs eine Lehrveranstaltung über das Schreiben einer Biografie von Al Capone abgehalten und von den Ideen und Überlegungen der TeilnehmerInnen, besonders von Max Dreysse, Philip Knauf und Alessandra Russello, profitiert. Bei den Recherchen konnte ich mich auf die fachkundige Mithilfe von Heather Marie Trosclair, Neslihan Bulut ebenso wie auf Dr. Joy Katzmarzik verlassen, die zudem das gesamte Manuskript editorisch begleitet, zur Auswahl der Illustrationen wesentlich beigetragen und den Index erstellt hat. Bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft hat Frau Jasmine Stern, zeitweise von Frau Sophie Dahmen unterstützt, dieses Projekt von Anfang an betreut und zusammen mit Herrn Johannes Klemm durch die verschiedenen Stadien der Produktion wesentlich gefördert. Das gründliche Lektorat von Dr. Mechthilde Vahsen und die wertvollen Vorschläge haben wesentlich zur Verbesserung der Darstellung beigetragen. Allen diesen hilfreichen Personen bin ich zu großem Dank verpflichtet. Mein ganz besonderer Dank gilt meiner Frau Prof. Dr. Beate Neumeier und unserem Sohn Alexander, ihrer kritischen Lektüre, ihren zahlreichen Ideen und ihrer steten Unterstützung während der Abfassung des Manuskripts, ohne deren Hilfe diese Biografie in der vorliegenden Form nicht erschienen wäre.

Italiener in New York

Italiener im urbanen Großraum von New York, die um die Jahrhundertwende 1900 nach Amerika eingewandert waren, hatten es nicht leicht. Abgesehen von den Unwägbarkeiten der langen Schiffspassage über den Atlantik in den Hafen von New York war der Aufbruch in eine neue Zeit in einem unbekannten Land mit vielen ungeahnten Schwierigkeiten verbunden, die man lediglich aus Berichten von befreundeten Auswanderern oder offiziellen Auskünften der Behörden in beiden Ländern kannte. Kulturelle Unterschiede aufgrund verschiedener Sprachen, Essensvorlieben und gewohnter Abläufe im Familienleben bedingten die Auseinandersetzung mit der aus vielen ethnischen Gruppen bestehenden amerikanischen Gesellschaft. Der erste Kontakt fand für alle Einwanderer in die USA auf der im Hafen New Yorks liegenden Insel Ellis Island statt. Noch vor der offiziellen Einreise in die USA mussten eine Überprüfung der Dokumente und ein Gesundheitscheck auf der Insel durchlaufen werden, was mehrere Tage oder auch Wochen dauern konnte. Wenn man heute als Tourist diese nun in ein Museum umgestaltete Durchlaufstation auf der Insel besucht, kann man in der umfangreichen (digitalen) Kartei nach möglichen Verwandten suchen und anhand der zahlreichen Exponate den bangen Prozess der Einreiseformalitäten zwischen Hoffnung und Angst nachempfinden, der nicht immer erfolgreich war und dann die unmittelbare zwangsweise Rückreise zur Folge haben konnte. Die glücklich akzeptierten Einwanderer konnten auf der Überfahrt von Ellis Island nach Manhattan, einem der fünf Stadtteile von New York City, die Freiheitsstatue auf der Insel Liberty Island bewundern. Auf dem Sockel war 1903 das Gedicht „The New Colossus“ (1883) der jüdisch-amerikanischen Dichterin Emma Lazarus eingraviert worden, das den Armen und Heimatlosen der Welt eine rosige Zukunft versprach. Als Nachkomme jüdischer Einwanderer aus Deutschland und Portugal konnte sie das Schicksal der in Europa wirtschaftlich und politisch leidenden Menschen nachvollziehen und in einem Sonett in Worte fassen.

Nicht wie der metallene Gigant von griechischem Ruhm, Mit sieghaften Gliedern gespreizt von Land zu Land. Hier an unserem meerumspülten hesperischen Tore soll stehen Eine mächtige Frau mit Fackel, deren Flamme Der eingefangene Blitzstrahl ist, und ihr Name Mutter der Verbannten lautet. Von ihrer Leuchtfeuerhand Glüht weltweites Willkommen, ihre milden Augen beherrschen Den luftüberspannten Hafen, den Zwillingsstädte umrahmen. „Behaltet, o alte Lande, euren sagenumwobenen Prunk“, ruft sie Mit stummen Lippen. „Gebt mir eure Müden, eure Armen, Eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren, Den elenden Unrat eurer gedrängten Küsten; Schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen, Hoch haltʹ ich mein Licht am gold’nen Tore!“ (Auf die Freiheitsstatue, 1953)

Auch wenn die meisten Einwanderer vermutlich diese der amerikanischen Freiheitsrhetorik entsprechende Willkommensbotschaft nicht lesen und auch keine Beziehung zur abgebildeten römischen Göttin der Freiheit herstellen konnten, verhieß der Anblick dieser von Frankreich der amerikanischen Nation zur Hundertjahrfeier ihres Bestehens 1876 geschenkten Statue damals noch die Hoffnung auf einen Neuanfang.

Süditaliener im amerikanischen Schmelztiegel

Dies müssen jedenfalls die visuellen Eindrücke und ersten Gefühle der Capone-Familie aus Neapel gewesen sein, als sie 1895 im Hafen von New York ankam und sich schließlich in dem New Yorker Stadtteil Brooklyn niederließ. Es ist fraglich, ob beide Eltern zusammen mit den in Italien geborenen Söhnen Vincenzo und Raffaele ankamen oder ob die Mutter alleine mit den Söhnen reiste, wie die Datenbank in Ellis Island nahelegt. Kurz nach der Ankunft kam der dritte Sohn Salvatore im Juli 1895 nun als Amerikaner zur Welt, dem im Rhythmus der Anpassung an eine neue Großstadt sechs weitere Kinder folgten. Der schließlich später weltweit berühmt-berüchtigte Alphonse Capone wurde am 17. Januar 1899 als viertes Kind der Familie geboren und am 7. Februar in der St. Michael-St. Edward Kirche in Brooklyn katholisch getauft. Die ersten Jahre in der neuen Welt waren mit verschiedenen Wohnungswechseln verbunden und der nicht immer einfachen Anpassung an eine neue Nachbarschaft. Der Umzug der Familie von der Navy Street in eine Vierzimmer-Wohnung in der Park Avenue nahe des Marinehafens in Brooklyn war für die ständig wachsende Familie dringend nötig. Unterstützt wurden diese Anfangsjahre durch die italienische Gemeinde, in die die Capone-Familie emotional eingebunden war. Das als „Little Italy“ bezeichnete Wohngebiet der Italiener bot ähnlich wie etwa das Viertel „Chinatown“ der Chinesen Schutz vor anderen Einwanderern und war Ausgangs- und Rückzugspunkt für die Kontakte mit dem von den angloamerikanischen Einwanderern gebildeten Mainstream der amerikanischen Gesellschaft.

Die Zeit um 1900 brachte die radikalste demografische Veränderung für die Bevölkerung in den USA. Die ungewöhnlich großen Einwanderungswellen aus Europa führten zu einer Verdoppelung der Bevölkerung innerhalb von wenigen Jahren. Zum einen suchten die aus Osteuropa durch die Pogrome in Russland vertriebenen orthodoxen Juden Zuflucht in der Neuen Welt. Zum anderen folgten Arbeitslose und Arme den Verlockungen des Landes, den sprichwörtlich ungeahnten Möglichkeiten, die in dem Konzept des amerikanischen Traums zu einem starken Motiv für die Einwanderung wurden. Die aus verschiedenen Regionen Europas stammenden, kulturell und politisch unterschiedlichen Gruppierungen dieser Masseneinwanderung stellten verständlicherweise eine große Herausforderung für die Behörden der USA sowie für die Integration in die politischen und gesellschaftlichen Strukturen der amerikanischen Nation dar. Die in diesem Zusammenhang entwickelte Idee des Schmelztiegels, in dem die Einwanderer die charakteristischen Merkmale ihrer Herkunft und Heimat aufgeben und zu einer neuen Identität als Amerikanerinnen und Amerikaner verschmolzen werden sollten, verkündete der amerikanische Präsident Theodore Roosevelt 1906 als Programm für die als „Naturalisierung“ bezeichnete Einbürgerung in das neue Land. Dabei wurde der republikanische Präsident von dem erfolgreich am Broadway aufgeführten Melodrama The Melting Pot des jüdischen Dramatikers Israel Zangwill (1864–1926) aus England geleitet. In dem programmatisch Schmelztiegel genannten Stück heiratet ein vor dem Pogrom in Russland geflohener Jude eine nach New York eingewanderte russische Christin, deren Vater für die Vernichtung seiner jüdischen Familie in der Alten Welt verantwortlich war. Eine solche Angleichung ethnischer Eigenschaften europäischer Einwanderer als Voraussetzung für die Formierung einer amerikanischen Identität hatte schon der aus Frankreich eingewanderte Schriftsteller Michel Guillaume Jean de Crèvecoeur in der Frühen Republik der Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika in Briefe eines amerikanischen Landmanns propagiert:

Was ist also der Amerikaner, dieser neue Mann? Er ist entweder Europäer oder stammt von einem Europäer ab, besitzt also diese besondere Blutsmischung, die man in keinem anderen Land findet. Ich könnte Dir eine Familie nennen, deren Großvater Engländer war, dessen Frau Holländerin, deren Sohn eine Französin geheiratet hat und deren vier Söhne jetzt vier Frauen aus verschiedenen Nationen haben. Derjenige ist ein Amerikaner, der seine alten Vorurteile und Verhaltensweisen hinter sich lässt und neue von der neuen Lebensweise erhält, die er angenommen hat, der neuen Regierung, der er gehorcht, und dem neuen Status, den er einnimmt. Er wird Amerikaner durch die Aufnahme in den breiten Schoß unserer großen Alma Mater. Hier werden die Individuen von allen Nationen in neue Menschen verschmolzen, deren Anstrengungen und Nachfahren eines Tages große Veränderungen in der Welt bewirken werden.

(Crèvecoeur, 1782/1788–89, 3. Brief)

Deutlich wird schon aus dieser Quelle vom Ende des 18. Jahrhunderts, dass der Schmelztiegel einer amerikanischen Nation immer nur die Assimilierung europäischer Einwanderer an die weiße, ursprünglich angloamerikanische Gesellschaft bedeutet, und, wie Crèvecoeurs Nennung von Franzosen und Holländern zeigt, sich primär auf nordeuropäische Herkunftsländer bezieht. Nicht einbezogen in die Verschmelzung zu einer neuen amerikanischen Nation sind die Ureinwohner sowie die seit 1619 aus Afrika zur Arbeit auf den Plantagen eingesetzten Sklaven. Zu diesen Diskriminierten wurden Anfang des 20. Jahrhunderts auch Einwanderer aus Ost- und Südeuropa wegen ihrer dunkleren Hautfarbe gezählt. Zusammen mit Afroamerikanern, Ureinwohnern, orthodoxen Juden und Asiaten galten sie als „unassimilierbare Fremde“. Deshalb hatten vor allem die dunkelhäutigen Einwanderer aus Süditalien und Sizilien einen schweren Stand und mussten von Anfang an um ihre Anerkennung ringen. Diese mangelnde Wertschätzung hatten die gegenüber dem Norden als rückständig geltenden Süditaliener schon in dem nach 1861 vereinigten Italien erfahren. Neben der schlechten wirtschaftlichen Situation der weitgehend in der Landwirtschaft tätigen Bewohner aus den Regionen von Kampanien, Apulien, Kalabrien und Sizilien war die Diskriminierung durch die das Land dominierenden Nordstaaten einer der Hauptgründe für die Auswanderung gewesen. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts stieg die Zahl der Amerika als Ziel ihrer Träume ansehenden Süditaliener sprunghaft an, sodass in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts mehr als 2 Millionen Einwanderer registriert wurden, während der Rückgang in der zweiten Dekade auf immerhin noch 1 Million nur durch den 1. Weltkrieg bedingt war. Nicht unerheblich für die Beziehung zwischen der Heimat und dem prosperierenden Amerika war die große Zahl von Rückkehrern, deren vorübergehender Aufenthalt nur dem finanziellen Zugewinn für die in Italien verbliebene Familie diente.

Die Situation der auswanderungswilligen Italiener stellte sich fundamental anders dar als die der aus England seit dem 17. Jahrhundert eingewanderten Gruppierungen. Die von dem Seefahrer und Entdecker Sir Walter Raleigh 1585 mit der Billigung von Königin Elizabeth I. nach Amerika entsandte Gruppe von 105 Mann, mit der Absicht, dort auf der dem heutigen Staat von North Carolina vorgelagerten Insel Roanoke die erste Kolonie der Engländer in der Neuen Welt zu gründen, war aus bislang ungeklärten Gründen verloren gegangen. Erst ein weiterer Versuch führte schließlich mit der Gründung von Jamestown 1603 im heutigen Virginia zur dauerhaften, auf Landwirtschaft ausgerichteten Siedlung im Süden. Im Norden hatten Pilgerväter 1620 zunächst die Plymouth-Kolonie und die Puritaner 1630 mit Genehmigung des englischen Königs Charles I. die Massachusetts-Bay-Kolonie in Neuengland gegründet mit dem Ziel, ihre von der anglikanischen Kirche abweichenden religiösen Vorstellungen in einem neu zu gründenden Gottesstaat zu verwirklichen. Salem, der heutige Vorort von Boston, sollte ein zweites Jerusalem werden und nach dem Willen des ersten Gouverneurs John Winthrop eine „Stadt auf einem Hügel“ und ein Modell für die Welt sein, das schließlich zur Grundlage des amerikanischen Exzeptionalismus wurde. Diese schon am Anfang der Kolonialzeit in Neuengland religiös fundierte Vorstellung einer Ausnahmestellung in der Welt ist im Laufe der amerikanischen Geschichte politisch instrumentalisiert worden und hat das Selbstbewusstsein der amerikanischen Nation bis zu Donald Trump bestimmt. Bei der Beerdigung von Ronald Reagan 2004 wurde dem Wunsch des 40. Präsidenten entsprechend diese Textstelle aus John Winthrops Laienpredigt „Ein Modell christlicher Nächstenliebe“ verlesen.

Die von den Plantagenbesitzern in den Südstaaten und den religiös motivierten Kolonialisten im Norden im Laufe der Besiedlung entwickelten politischen und kulturellen Überzeugungen in den aus den 13 englischen Kolonien entstandenen Vereinigten Staaten von Amerika bildeten den Wertekern einer angloamerikanischen Gesellschaft, deren Strukturen und Institutionen auf die Hegemonie der weißen Bevölkerung ausgerichtet waren. Neuankömmlinge aus Europa mussten sich diesem Standard der angelsächsischen Herkunft der Mehrheit anpassen, um im Schmelztiegel zu (weißen) Amerikanern zu werden. Vor allem die Süditaliener entsprachen aufgrund ihrer romanischen Sprache, ihrer katholischen Religion und ihrem südländischen Lebensstil nicht diesem Standard. Die reservierte Haltung gegenüber der Großzahl an Ankömmlingen aus Süditalien fußte auch auf Skepsis und Vorbehalten gegenüber ihrer vermeintlichen Zugehörigkeit zu mafiösen Gesellschaften und illegalen Praktiken in Süditalien und Sizilien, die sie nach Meinung von Italienreisenden mit nach Amerika brachten. Dabei hatte sich unter den politisch und wirtschaftlich führenden Repräsentanten der amerikanischen Gesellschaft schon bald nach der Staatsgründung ein auf Wahlkampf und Konkurrenz angelegtes System entwickelt, in dem xenophobe Einstellung und Korruption vor allem in den großen Wirtschaftsmetropolen wie New York und Chicago auf fruchtbaren Boden fielen.

Schon der Ausschluss der auf dem amerikanischen Kontinent seit mehr als 10.000 Jahren ansässigen Ureinwohner sowie der aus Afrika entführten Sklaven steht für die Marginalisierung und Ablehnung ethnischer Völker, die nicht der primär weißen Bevölkerung des kaukasischen Kulturkreises entstammen. Diese Unterscheidung ist in Artikel I, Sektion 2 der 1787 verabschiedeten Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika festgehalten. Danach setzt sich die Anzahl der Vertreter im Repräsentantenhaus, die im Unterschied zur konstanten Zahl der Senatoren variiert, aus den „freien Personen“ eines Staates und „drei Fünftel der Gesamtzahl aller übrigen Personen“ ohne die „nicht besteuerten Indianer“ zusammen. Die abwertende Einschätzung der indigenen Bevölkerung, die in vielen verlustreichen Kämpfen während der Kolonialzeit in ihrem eigenen Land zurückgedrängt worden war, wurde Teil der amerikanischen Politik und Grundlage der 1830 unter der Präsidentschaft von Andrew Jackson erlassenen Gesetze („Indian Removal Act“) zur Vertreibung und Umsiedlung der im Südosten ansässigen indigenen Völker in die Reservate westlich des Mississippi. Der in den USA zur Information über den fortschrittlichen Strafvollzug und zur Materialsammlung seines Berichts über den Stand der amerikanischen Demokratie reisende französische Diplomat und Historiker Alexis de Tocqueville berichtet 1831 im Weihnachtsbrief an seine Mutter von einem Gespräch mit einem Vertreter der Chacta auf dem „Pfad der Tränen“ als Zeuge dieser ‚Vertreibung und Auflösung eines der berühmtesten und ältesten amerikanischen Völker‘ (Tocqueville, 2021, Teil 2, S. 526f.). Die nicht vollständige Anerkennung „aller übrigen Personen“ in der Verfassung, die vor allem die Sklaven in den Südstaaten betrifft, garantierte durch Anrechnung von drei Fünftel eine den Nordstaaten gleiche Anzahl von Abgeordneten im Repräsentantenhaus des Kongresses, deren Zahl sich nach den im jeweiligen Staat registrierten Bewohnern richtet. In der Auseinandersetzung über den auch durch diese inhumane Regelung dokumentierten systemischen Rassismus hat der Präsidentschaftskandidat Barack Obama im März 2008 Stellung genommen zur Situation der afroamerikanischen Bevölkerung und die in der Verfassung kodifizierte Diskriminierung als die Erbsünde der Nation bezeichnet. In Philadelphia, dem Ort der Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung und der Verfassung, erinnerte er an die Leistung der aus europäischer Tyrannei und Verfolgung geflohenen Landarbeiter, Lehrer, Staatsmänner und Patrioten, die die Grundlagen für die amerikanische Demokratie legten, verwies aber zugleich auf ihr gravierendes Versäumnis, die Sklaverei abzuschaffen:

Das von ihnen schließlich unterschriebene Dokument blieb letztlich unvollendet. Es war befleckt durch die Erbsünde der Sklaverei dieser Nation, eine Frage, die die Kolonien spaltete und den Verfassungskonvent zu einem Stillstand brachte, bis die Gründerväter sich entschlossen, den Sklavenhandel mindestens zwanzig Jahre weiter zu führen, und eine Lösung letztlich zukünftigen Generationen zu überlassen. (Obama,The Wall StreetJournal, 2008)

Barack Obama trat an, um die in der Präambel der Verfassung formulierte ständige Aufgabe des amerikanischen Volkes, „unseren Bund zu vervollkommnen“, als erster nicht-weißer Präsident umzusetzen, wenngleich ihm dies aufgrund der Finanzkrise 2009 und der massiven republikanischen Opposition nur unvollkommen gelingen konnte.

Die sich aus den Verfassungsdokumenten ergebenden Geburtsfehler der amerikanischen Demokratie, zu denen natürlich auch die Nicht-Berücksichtigung aller Frauen gehört, setzten sich im 19. Jahrhundert im Wechselspiel zwischen Politikern und Wirtschaftsführern um die Vormachtstellung fort. Unwissende Neuankömmlinge, die Greenhorns, wurden häufig für die Manipulation bei Wahlen und als billige Arbeitskräfte missbraucht. Diese Vorgehensweisen von Politik und Kapital wurden durch das auf Charles Darwins Evolutionstheorie aufbauende Ausleseprinzip und dessen Anwendung als Sozialdarwinismus auf die amerikanische Gesellschaft offiziell legitimiert. Durch die schnelle wirtschaftliche Expansion, den Wiederaufbau nach dem Bürgerkrieg und die Erschließung des amerikanischen Westens boten sich große Möglichkeiten, schnell reich zu werden. Die als individuelle Vertreter der liberalen Wirtschaftsordnung zunächst gepriesenen Wirtschaftskapitäne wurden bald als „Räuberbarone“ bezeichnet. William H. Vanderbilt und Leland Stanford bauten, besaßen und beherrschten die verschiedenen Eisenbahnstrecken des ganzen Kontinents, John D. Rockefeller hatte sich das Ölmonopol in Pennsylvanien gesichert, Andrew Carnegie besaß die Stahlwerke des Landes, J. P. Morgan kontrollierte das Bank- und Finanzwesen und Philip D. Armour die Schlachthöfe und Fleischfabriken in Chicago. Der politische Apparat übernahm das von den Kapitalisten etablierte System der Wirtschaftsbosse und kollaborierte mit ihnen. Zum berühmtesten Fall dieser Filzokratie wurden die illegalen Operationen des Tweed Ring in New York City. William Tweed, der 1852 zum Stadtrat für die Demokratische Partei in New York und ein Jahr später zum Abgeordneten im Repräsentantenhaus in Washington gewählt wurde, war schon früh als Anführer einer kriminellen Vereinigung bekannt und nutzte als Vorsitzender der Demokraten in New York die Institution der Tammany-Gesellschaft, die nach einem den Weißen freundlich gesinnten Häuptling des Lenni Lenape-Stammes benannt und in der frühen Republik gegründet wurde, um als „Boss Tweed“ ein Korruptions- und Bestechungssystem aufzubauen. Die in allen Bereichen von Wirtschaft und Politik vorherrschenden Missstände wurden zum Ausgangspunkt für kritische Journalisten in der Muckraking-Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts. Die von Präsident Theodore Roosevelt 1906 nach einer Figur aus John Bunyans puritanischer Allegorie Pilgerreise zur seligen Ewigkeit (1685) als ‚Dreckwühler‘ verunglimpften Investigativ-Journalisten hatten es sich zum Ziel gesetzt, in neu gegründeten Zeitschriften Korruption und Machtmissbrauch aufzudecken und auf Reformen zu drängen.

Dies war die politische und sozioökonomische Landschaft der Vereinigten Staaten von Amerika zu Beginn des 20. Jahrhunderts, deren Auswüchse für Auswanderungswillige im fernen Europa durch die Verlockungen des amerikanischen Traums verdeckt wurden. Die Süditaliener bildeten die größte Gruppe unter den Einwanderern dieser Zeit, die sich primär in New York niederließen, wobei die Sizilianer den Stadtteil Manhattan, die Neapolitaner die im Westen von Long Island gelegene Stadt Brooklyn bevorzugten. Der englische Name Brooklyn geht auf das holländische Breuckelen zurück und verweist auf die amerikanische Kolonialgeschichte der Holländer. Im 17. Jahrhundert hatten die Holländer das Gebiet von Long Island, auf dem Indianer des Lepane-Stammes lebten, eingenommen und 1646 Breuckelen gegründet, das schließlich einen Teil der Kolonie Neu-Niederland mit der Hauptstadt Neu-Amsterdam auf der Insel Manhattan bildete. Die von der Niederländischen Westindien-Kompanie 1624 an der Ostküste Amerikas etablierte Kolonie diente primär dem Pelzhandel. Der holländische Besitz der Kolonie währte jedoch nicht lange und schon 1664, endgültig 1674, mussten die Holländer den Engländern weichen, die Neu-Amsterdam sowie das Gebiet in New York nach dem Bruder des englischen Königs Charles II., Duke of York, dem späteren König James II. umbenannten. Im Zuge dieser Anglisierung wurde aus Breuckelen, das holländisch für Marschland steht, Brooklyn. Die im Laufe des 19. Jahrhunderts stark anwachsende und bedeutende Stadt wurde erst 1898 in den Verbund von Greater New York mit den fünf Stadtteilen eingemeindet.

Die Präferenz neapolitanischer Einwanderer für Brooklyn mag auch der Grund für die Capone-Familie gewesen sein, sich nicht in Manhattan, sondern bei dem engen Verbund von Italienern aus ihrer Region niederzulassen. Entgegen der in Biografien angegebenen oder angenommenen Herkunft stammt die Familie nicht direkt aus Neapel, sondern aus der Provinz Salerno in der weiteren Region Kampanien. Am 25. Mai 1891 ist die Eheschließung von Gabriele Caponi mit Teresa Raiola in der Stadt Angri, 45 Kilometer südlich von Neapel, registriert. Auch die ersten beiden Söhne, Vincenzo und Raffaele, werden in Angri geboren. In der eingangs genannten Datenbank in Ellis Island ist die Einreise der Mutter mit den beiden Söhnen auf dem Schiff Werra am 18. Juni 1895 dokumentiert (https://www.libertyellisfoundation.org/passenger-result). Die Nummern 93, 94 und 95 der Passagierliste benennen die 24-jährige Teresa Raiola mit dem dreijährigen Vincenzo und dem 10 Monate alten Raffaele. Nicht nur nutzte die Mutter ihren Mädchennamen, sondern die 1867 in Angri geborene Raiola machte sich auch noch um vier Jahre jünger. Erstaunlich ist zudem, dass der Name ihres Mannes Gabriele Capone nicht in der Datenbank auftaucht, was für die vielfach geäußerte Annahme spricht, dass Gabriele offenbar schon früher über Kanada in die USA eingereist war. Dokumentiert ist der Einzug in eine einfache Wohnung in der Navy Street Nr. 95 in Brooklyn, der größten italienischen Gemeinde in der Stadt. Das sprachliche und kulturelle Ambiente von „Kleinitalien“ (Little Italy) erleichterte die Eingewöhnung in das neue Leben in der Neuen Welt. Zugleich stillte der nur wenige Straßen entfernte Hafen von New York ein wenig das Fernweh nach der alten Heimat jenseits des Atlantiks. Die ebenfalls unweit gelegene, 1883 fertiggestellte Brooklyn-Brücke führte direkt zur italienischen Gemeinde auf der Insel Manhattan. Während das Gefühl der ethnischen Verbundenheit Sicherheit im Aufbau einer neuen Existenz bedeutete, erschwerten die Praxis der italienischen Sprache und der katholischen Religion die Integration in die amerikanische Gesellschaft. Gerade die Geschlossenheit der ethnischen Gruppierung brachte die Rivalität mit anderen Einwanderergruppen mit sich, die im wirtschaftlichen Wettbewerb auch mit unerlaubten Mitteln ausagiert wurde. Das an die Wohngegend angrenzende Hafenmilieu begünstigte kriminelle Praktiken wie Schutzgelderpressung und Prostitution.

Schulzeit und Streetgangs

Für die Capone-Familie muss der Wechsel von einer kleinen Stadt in Süditalien in die Großstadt eines fremden Landes trotz der Einbindung in einen italienischsprachigen Kontext viele Anpassungsschwierigkeiten mit sich gebracht haben. Warum Gabriele, der als Pizzabäcker in Italien angefangen hatte, nun einen neuen Beruf wählte und als Friseur arbeitete, ist nicht geklärt. Vermutlich wandte er sich aufgrund des großen Angebots und der damit verbundenen Konkurrenz im Bäckerhandwerk einem Metier zu, das heute noch oft in den USA mit Italien verbunden wird. Der als Markenzeichen für die Zunft der Haarschneider seit dem Mittelalter gebräuchliche Stab mit rot-weißen Streifen und blauen Enden, die auf die von Friseuren früher ausgeübte medizinische Tätigkeit – vor allem des Aderlassens – hindeuten, wird über die Ausübung des Berufs von italienischen Einwanderern oft mit den amerikanischen Nationalfarben – Rot-Weiß-Blau – assoziiert. Es spricht für seine seriöse Ausübung dieses Berufs, dass Gabriele Capone schließlich ein eigenes Friseurgeschäft betreiben konnte. Teresa setzte den schon in Angri erlernten Beruf einer Näherin fort und trug damit zum Auskommen der ständig wachsenden Familie bei. Zwischen 1896 und 1912 wurden zu den beiden italienischen Jungen noch sieben weitere Kinder, fünf Jungen und zwei Mädchen, geboren. Die Geburt und der Tod eines weiteren Mädchens mit dem Namen Rose 1910, das in gängigen Biografien erwähnt wird, ist offiziell nicht bestätigt. Stattdessen bleibt in diesen Biografien das kurze Leben von Erminia, die am 11. August 1901 geboren wurde und am 18. Juni 1902 starb, meist unerwähnt, wie Mario Gomes auf seiner Homepage festhält (siehe http://www.myalcaponemuseum.com/id213.htm). Die Karrieren von Al Capones Brüdern: Vincenzo [James] (1892–1952), Ralph [Raffaele] (1894–1974), Salvatore [Frank] (1895–1924), John [Erminio] (1901–?), Umberto [Albert] (1905–1980), Amadeo [Matthew] (1908–1967), sowie seiner Schwester Mafalda (1912–1988) verlaufen sehr unterschiedlich und sind nur teilweise mit seinen Aktivitäten verknüpft. Kindheit und frühe Jugend des in Brooklyn geborenen Alphonse Capone stehen weitgehend exemplarisch für das Aufwachsen in kinderreichen Einwandererfamilien im Umfeld einer sich rasant entwickelnden Großstadt in den USA um die Jahrhundertwende. Schon drei Wochen nach der Geburt wurde Alphonse in der nahe gelegenen St. Michael-St. Edward Kirche katholisch getauft. Diese Kirche brannte 1914 ab und wurde 1915 wenige Straßen entfernt neu aufgebaut. Der Neubau musste später einer Schnellstraße weichen. Die Unterlagen, die von den beiden Vorgängerbauten in den dritten Bau an der St. Edwards Street überführt wurden, konnten bei meinen Recherchen in Brooklyn 2018 nicht eingesehen werden, weil umfangreiche Reparaturarbeiten in der Kirche durchgeführt wurden. Es gab keine Hinweise auf Al Capone oder Informationen über die Capone-Familie, obwohl die Familie eng mit der Kirche verbunden war und Ralph und Al sich im Jugendclub, dem Young Menʹs Civic or Catholic Club, für die Belange der Kirche engagierten (s. Gomes). Bekannt ist, dass die Mutter sehr religiös und eine regelmäßige Kirchgängerin war. Diese Kirche konnte sie auch von der bei der Volkszählung („Census“) 1900 erfassten neuen Adresse in der Park Avenue No. 69 leicht erreichen. Der seit 1790 in der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika kodifizierte, alle zehn Jahre durchgeführte „Census“ bildet bis heute eine weitgehend verlässliche Auskunft über die in den USA lebenden Bürger. Der nächste Umzug der Familie im Jahr 1907 in die Garfield Place No. 38 markiert die allmähliche Konsolidierung der familiären Verhältnisse in dem neuen Land. Zum einen hatte das Familienoberhaupt Gabriele Capone die englische Sprache erlernt und sich erfolgreich um die amerikanische Staatsbürgerschaft beworben, die ihm und seiner Familie am 25. Mai 1906 offiziell verliehen wurde. Zum anderen konnte er durch seinen beruflichen Erfolg als Friseur die anrüchige Hafengegend mit seiner Familie verlassen und in eine bessere Wohngegend an einer leichten Anhöhe, der South Slope in Brooklyn, umziehen. Im Zuge zweier weiterer Wohnungswechsel in die Hausnummern 46 und letztendlich 21, von einem Apartment in ein Reihenhaus, waren die Familie und der Vater mit seinem Friseurladen schließlich erfolgreich arriviert. Zudem grenzte Garfield Place, eingerahmt von der 4. und 5. Avenue, an die besser situierte Nachbarschaft der schon aufgrund der englischen Sprache leichter assimilierbaren irischen Einwanderer. Auf der Anhöhe befindet sich zudem der schon damals beliebte Prospect Park, in dem man die Freizeit im Grünen verbringen kann.

Garfield Place 38 (Foto: Alfred Hornung)

Der Eintritt in die Grundschule begann für Al Capone allerdings noch im Schulbezirk des Hafenviertels, wo er ab 1904 die Public School No. 7 besuchte. In der nach historischen Dokumenten schlecht ausgestatteten Schule wird kaum Rücksicht auf die sprachliche Kompetenz von Schülern mit Migrationshintergrund genommen, die oft erst hier Kontakt mit der englischen Sprache aufnehmen. Man kann sicher davon ausgehen, dass im Haus Capone Italienisch gesprochen wurde, zumal die Mutter kaum Englischkenntnisse besaß oder erwarb. Die Lehrkräfte waren meist unerfahrene junge Frauen, oft Einwanderer der 2. Generation aus Irland. Es überrascht nicht, dass Al Capone seine Bildung nicht in der pädagogischen Institution, sondern auf der Straße erfuhr. Früh lernte er, seinen eigenen Lebensweg zu gehen. So wurde er Teil der Navy Street Boys, die ihr Gerechtigkeitsempfinden in der Nachbarschaft durchzusetzen versuchten. Furchtlos nahm er es dabei auch mit überlegenen Gegnern auf, wie die Geschichte seiner Auseinandersetzung mit einem Wachsoldaten im Hafen zeigte, dessen Fehlverhalten er lauthals und furchtlos anprangerte (Bergreen, 1995, S. 27). Diese frühe Einübung eigenständigen Handelns außerhalb der konventionellen gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten wurde ein sein ganzes Leben bestimmendes Handlungsprinzip. Nach dem Umzug der Familie in die bessere Wohngegend in der Garfield Place wechselte er in die William A. Butler Public School No. 133. Die nach einem bekannten Schriftsteller und Juristen (1825–1902), der an der City of New York Universität als Professor und im Hochschulrat tätig gewesen war, benannte Schule war für Al über die 4. Avenue in einem 10-minütigen Fußweg leicht zu erreichen. Dennoch hat er diesen Schulweg nicht regelmäßig und vor allem nicht lange zurückgelegt, weil er kein Interesse an dem in der Schule vermittelten Wissen entwickelte. In der 6. Klasse, die er wiederholen musste, kam es schließlich zu einer vorhersehbaren Auseinandersetzung mit seiner Lehrerin, die ihn wegen seiner Fehlzeiten zur Rede stellte. Offensichtlich hatte er mehr als die Hälfte der Schultage ohne Entschuldigung geschwänzt. Da Al diese öffentliche Maßregelung nicht auf sich sitzen lassen wollte, kam es zu einem in diesem Milieu nicht unüblichen physischen Schlagabtausch zwischen ihm und der Lehrerin, die den Vorfall dem Direktor meldete. Diese gern als frühe Manifestation selbstständiger Durchsetzungskraft zitierte Episode wiederholt sich in den Lebensbeschreibungen einer ganzen Reihe von bekannten amerikanischen Persönlichkeiten. So bekennt auch Donald Trump in seiner von Tony Schwartz verfassten autobiografischen Darstellung The Art of the Deal, dass er schon in der 2. Klasse seinem Musiklehrer ein blaues Auge verpasst habe, weil er von dessen Musikkenntnissen nicht überzeugt gewesen sei. Einer Schulentlassung entging er nach eigener Darstellung und wohl auch mit Rücksicht auf die vermögende Familie nur knapp (Trump, 1987, S. 71). Im Unterschied dazu beschloss der aus bescheidenen Verhältnissen stammende Al auf die vom Direktor verabreichte körperliche Züchtigung hin, nie wieder in die Schule zurückzukehren, und beendete hiermit als 14-Jähriger seine Schulzeit. Bei meinem Besuch in der Schule wollte keiner der Gesprächspartner an den ehemaligen Schüler erinnert werden und zufällig befragte Schüler wussten nicht, dass Al Capone ihre Schule besucht hatte. Eine Suche nach einer Erinnerungstafel an den „berühmten“ Schüler erübrigte sich. Heute gehören zwei umliegende Stadtteile zum Schulbezirk der William A. Butler Public School No. 133, sodass Schüler aus dem vorwiegend von Latinos und Afroamerikanern bewohnten Gebiet Brooklyns mit denen aus der vornehmen Park-Slope-Wohngegend, angrenzend an den Prospect Park auf der Höhe, zusammentreffen. Park Slope gilt mit den im 19. Jahrhundert erbauten, heute mehrere Millionen teuren Brownstone-Reihenhäusern als eine der beliebten Wohnlagen von Wall-Street-Bankern und deren Familien. Der Park, auf dessen Gelände 1776 die Schlacht von Long Island im Unabhängigkeitskrieg mit der Niederlage Washingtons gegenüber den Engländern geendet hatte, wurde 1867 nach den Plänen von Frederick Law Olmsted und Calvert Vaux, die vorher den Central Park in Manhattan gestaltet hatten, eröffnet und bildet ein gern genutztes Erholungsgebiet inmitten von Brooklyn. Es ist nicht bekannt, ob Al Capone diese Gelegenheit zur Abwechslung nutzte, denn sein Revier waren der Billard-Raum neben dem Elternhaus in der Garfield Place, die Brooklyn-Docks und die Gesellschaft der Streetgangs.

Sitz der John Torrio Association (Foto: Alfred Hornung)

Auf dem Weg zur Schule kam Al Capone an dem Gebäude vorbei, in dem das schon bekannte Gangstergenie Johnny Torrio im 2. Stock sein Quartier bezogen hatte, die John Torrio Association. In dem an der Ecke von Union Street No. 674 und der 4. Avenue gelegenen stattlichen Haus betreibt heute die angesehene Brownstone Bread and Bagel Company ihr gut besuchtes Geschäft und Restaurant.

Auch hier findet man keinen Hinweis auf den Bewohner Anfang des 20. Jahrhunderts. Al Capones Erfahrungen, die er sich bei den Navy Street Boys und den Garfield Place Boys erworben hatte, waren eine bessere Vorbereitung auf die nun beginnende Laufbahn als die Schule. In den Kämpfen der rivalisierenden Gruppen, die zwischen den sizilianischen, jüdischen und irischen Einwanderern stattfanden, hatte er sich als Anführer bewährt. Besonders die Auseinandersetzung mit den irischen Nachbarn, die durch die englische Sprache und die Wohngegend nahe des Prospect Park privilegiert waren, wurde heftig geführt mit gegenseitigen Verunglimpfungen, was ihm unter anderem den Namen „Macaroni“ einbrachte. Die erste Wohngegend der Familie in der Navy Street bot dem jungen Al Gelegenheit, sich als Mitglied der Navy Street Boys im Kampf mit den irischen Jugendlichen auszuzeichnen. Oft entzündete sich der Streit im Umkreis von Bars, die von Iren betrieben wurden, deren Vormachtstellung durch Prügeleien auf der Straße angefochten wurde. Ein weiterer Streitpunkt war die beiden Einwanderergruppen gemeinsame katholische Religion. Die Iren fühlten sich immer schon als die besseren Katholiken angesichts des von ihnen kritisch beäugten italienischen Lebensstils und anderer Verhaltensweisen. Zudem konnten die Iren auf eine lange Einwanderergeschichte zurückblicken, die schon in der Kolonialzeit begonnen hatte, als die Enteignung der Katholiken durch den englischen Lordprotektor Oliver Cromwell bei der Rückeroberung Irlands 1649 eine erste Auswandererwelle auslöste. Der angesehene Status iri